Dienstag, 6. Dezember 2005

assoziation: kritikhäppchen und -happen, speziell für und an linke menschen

das thema der weit verbreiteten mafiösen (und ähnlicher banden-) strukturen in vielen gesellschaften rund um die welt scheint sprachlos zu machen? ich dachte eigentlich, dass hier mehr widerspruch kommen würde - etwa auch zum punkt meiner impliziten (und bewußt provozierenden) aussage, dass es eine strukturelle übereinstimmung zwischen der als normal angesehenen durchschnittlichen kapitalistischen ökonomie und dem gibt, was so allgemein mit "mafia" bezeichnet wird (ich benutze das wort hier als metapher für die organisierte kriminalität). die fließenden grenzen zwischen beiden sektoren jedenfalls, die - wie im artikel neulich gezeigt - belegbar sind, deuten imo auf eine deutliche innere verwandtschaft hin - und wie die zustande kommt, ist eine sehr wichtige frage.

wie die aktuellen ereignisse rund um die folterflüge der cia deutlich machen, beschränkt sich diese eigenart der fließenden grenze natürlich nicht nur auf die pure ökonomie. das etwas unpräzise wort mentalität kommt mir in den sinn - ich kann diesbezgl. keine wirklichen unterschiede zwischen dem verhalten von bestimmten politikerInnen, sog. geheimdiensten (und dem rest der repressionsapparate), unternehmensführungen und der mafia erkennen. und das ist etwas, was mir auch in der ökonomie- und gesellschaftskritik von links absolut zu kurz kommt.

ohne ganz konkreten bezug zu obigen themen (aber durchaus mit indirektem), hat arno gruen vor vielen jahren folgendes geschrieben:

"Die Angepaßtheit an die etablierten Werte und Formen unter Mißachtung des eigenen Innenlebens ist eine unerschöpfliche Quelle alltäglicher Gewalt. Solange Erfolg definiert wird als Kontrolle und Beherrschung und Erfolg wiederum den Selbstwert definiert, sind alle Unterschiede der gesellschaftlichen Struktur ziemlich bedeutungslos: Das Selbst bleibt in jedem Fall verstümmelt. Ein Wechsel der politischen Ideologie ändert weder etwas an der Verstümmelung des Selbst noch an der daraus resultierenden Gewalt."

(arno gruen, "der wahnsinn der normalität", s.100 - siehe literaturliste)


hier hat gruen imo kurz und knapp den entscheidenden grund für die relative erfolglosigkeit aller bisherigen revolutionen (worunter auch auch das fällt, was in historischen rückblicken bspw. auf die russische revolution gerne als "pervertierung" bezeichnet wird) skizziert. linke ansätze, die die relevanz der strukturen des menschlichen gehirns und nervensystems sowie die daraus resultierenden wahrnehmungs(un)fähigkeiten und -möglichkeiten als eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste basis für das gesamte menschliche soziale leben nicht in betracht ziehen, nicht wahrnehmen oder ignorieren wollen, können keinerlei tatsächlich emanzipative entwicklung in gang bringen. sie können vielleicht, in besonderen historischen situationen und unter besonderen umständen, voraussetzungen dafür schaffen, dass eine gesellschaft weniger traumatische gewalt erlebt, dass die intellektuellen reflektionsmöglichkeiten durch bspw. breite alphabetisierung überhaupt erst in den bereich des möglichen kommen können u.ä. - aber sie können und konnten bisher nicht die grundsätzlichen tiefenstrukturen erreichen, in denen die prozesse ablaufen, die u.a. hier im blog ständig thema sind. und das liegt auch an einer falschen theorie bzw. an einer unhinterfragten akzeptanz des kulturellen kontextes, in dem theorien entstehen - genau dieser kulturelle kontext jedoch ist geprägt von den jeweiligen vorherrschenden psychophysischen strukturen innerhalb von relevanten mehrheiten der menschen einer gesellschaft:

"Karl Marx glaubte an eine Befreiung und Erneuerung des Menschen durch Umverteilung der Produktionsmittel. Er analysierte zusammen mit Friedrich Engels anhand brillianter Details die ökonomische Struktur des Kapitalismus, der Habgier und Besitz (-denken, mo) fördert. Doch er ging davon aus, daß Ohnmacht Schwäche sei, die der Mensch überwinden müsse, und erklärte die Eroberung der Dinge - auch die der Natur - zum obersten Ziel des Menschen. Damit verewigte er die Ideologie des machtorientierten Selbst sowie das soziale Übel, das er bekämpfen wolte. Er hat den Machtkämpfen eine neue Richtung gegeben, aber nicht die Ursachen verändert. Und noch schlimmer: indem er die menschlichen Möglichkeiten - auch die Moral (diesen punkt sehe ich bekanntlich anders, anmerk. mo) - nur unter ökonomischen Gesichtspunkten behandelte und nichts anderes zuließ, versperrte er den Weg zur Erkenntnis der tatsächlichen Wurzeln des Machtstrebens."

(gruen, "der wahnsinn...", s.100)


zu ergänzen wäre dazu noch, dass der wissenschaftliche anspruch, den marx selbst auch an sich stellte, deutlich unreflektiert alle fragwürdigkeiten des naturwissenschaftlichen weltbildes transportiert - u.a. eine verschärfte objektivistische wahrnehmung - , welches zu seiner zeit faktisch als konkurrenzlos betrachtet wurde. die reduktion auf die pure ökonomie jedoch als quasiwurzel allen (sozialen) übels stellt nach wie vor einen kapitalen und erkenntnisverhindernden fehler dar. viele jahre in der autonomen linken haben mich immer wieder dazu gebracht, mich mit der tatsächlichen definition von radikalität zu beschäftigen: radix, die wurzel - radikal = an die wurzel gehend (nebenbei gesagt, ist das übrigens auch der grund dafür, warum das wort rechtsradikalismus eigentlich einen widerspruch in sich darstellt...).

keineswegs radikal ist es imo, zwar den offensichtlichen wahnsinn der aktuellen und historischen gesellschaftlichen machtverhältnisse anzuprangern und zu analysieren, bei der analyse jedoch immer genau an den punkten aufzuhören, an denen es meiner meinung nach tatsächlich interessant wird: bei dem, was diejenigen motiviert und antreibt, die diese machtverhältnisse ständig neu erschaffen, reproduzieren, brauchen, verteidigen, tolerieren und auch ignorieren. wie mit stillem gehorsam gegenüber einem unausgesprochenem kollektiven verbot bleiben viele angeblich linke kritiken an dieser stelle stehen und begnügen sich mit nichterkärungen und mythen aus dem kollektiven bestand der bürgerlichen gesellschaft: das "der mensch an sich" schlecht sei, "böse", egoistisch, zu machtmißbrauch neige und deswegen streng kontrolliert gehöre und dergleichen mehr - alles "erklärungen", die in diskussionen zum standard rechtskonservativer bis (neo-)faschistischer "argumentation" gehören. das das tatsächlich existierende "böse" hingegen jedoch eine wahrnehmung des/der wahrnehmenden darstellt, bzw. besser eine durch wahrnehmung übermittelte information, einen wahrnehmungsinhalt (der in diesem speziellen fall quasi sofort mit einer moralischen wertung gekoppelt daherkommt) - diese tatsache scheint nicht allzusehr im bewußtsein verbreitet zu sein. auch nicht im linken. denn dann müssten eigentlich sofort weitergehende fragen gestellt werden: fragen z.b. nach den tatsächlichen ursachen für das spezielle verhalten derjenigen, die in meiner wahrnehmung als bösartig erscheinen. ebenfalls ist es nötig, nach den grundlagen dafür zu fragen, warum mir eigentlich etwas als bösartig vorkommt. das aber würde bereits eine qualität von selbst(körper)gefühl und -bewußtsein voraussetzen, die gerade durch die herrschenden verhältnisse nicht nur nicht gefördert, sondern geradezu verhindert wird. und in der logik der macht geradezu verhindert werden muss. denn genau hier sitzt ihre wichtigste und vermutlich eigentliche basis - als bedürfnis von entsprechend deformierten, verletzten und eingeschränkten körpern bzw. hirnen und nervensystemen (als basis unserer individualität/unseres selbstgefühls). genau hier liegt die tatsächliche - und materielle - wurzel aller hierarchischen verhältnisse, in denen macht als selbstzweck(!) den allerhöchsten wert besitzt. anders: machtbedürfnisse lassen sich als ausdruck eines fehlschlagenden versuchs psychophysischer selbstregulation innerhalb eines menschen verstehen. und der fehlschlag ist auf dauer unausweichlich. (es sei denn, die menschliche struktur an sich formt sich durch psychophysische bzw. genetische mutation selbst zu einer der macht ideal kompatiblen struktur um - diesen schwer beunruhigenden gedanken hatten wir schon einmal hier - punkt 5 .)

dadurch lässt sich auch zb. verstehen, warum ökonomische armut alleine zwar begünstigend, nicht jedoch primär auslösend für bösartiges antisoziales verhalten ist - rechtsextreme, faschistische, rassistische, sexistische und allgemein autoritäre einstellungen (als ausdruck von objektivierungsprozessen innerhalb der individuellen und kollektiven wahrnehmung) sind quer durch alle ökonomischen klassen hindurch anzutreffen und tatsächlich eher mit konzepten wie den psychoklassen von deMause zu begreifen, als mit der rückführung auf ökonomische klassenzugehörigkeiten. ebenfalls wird dadurch begreiflich, warum sich zb. in der endphase der weimarer republik ein recht umfangreiches und wiederholtes wechseln der mitgliedschaften von autoritären kommunisten und nazis ergeben hat - beide organisationen zogen durch ihre strikt hierarchische und autoritäre formierung natürlich die jeweils dafür disponierten persönlichkeiten an, die sich dann jeweils ebenso natürlich nur nach dem oppurtunitätsprinzip an die jeweils "erfolgreicher" scheinende seite hielten - ideologien sind in derlei strukturen tatsächlich beliebig austauschbar. (das eher intuitive begreifen dieser zusammenhänge dürfte damals auch wilhelm reich in seine eskalierenden konflikte mit der kommunistischen parteiführung getrieben haben).

"Hilflosigkeit kann aber nicht durch Machterwerb und Herrschaftsausübung bewältigt werden. Jede Theorie, die dies anstrebt, tut dem einzelnen Menschen und seiner Entwicklung Gewalt an. Die linke Gesellschaftstheorie nimmt zwar für sich in Anspruch, den Menschen aus dem Gang seiner Geschichte erklären zu können. Sie tut dies aber auf Kosten des Individuums, weil sie Macht nur unter dem Blickwinkel der Macht analysiert. Das mag sich tautologisch anhören, ist aber der entscheidende Punkt, da sie den Menschen alleine durch die Macht wirtschaftlicher Kräfte determiniert sieht. Georg Plechanow, der frühe Theoretiker und Propagandist des russischen Sozialismus, glaubte, daß er in seiner Untersuchung der historischen Prozesse die Rolle des Individuums beschreiben würde, tatsächlich aber leugnete er die Rolle, die das Individuum für den Fortgang der Geschichte spielt: `Die menschliche Natur kann heute nicht länger als die letzte und allgemeinste Ursache des historischen Fortschritts angesehen werden: Wenn sie unveränderlich ist, kann sie nicht den wechselvollen Gang der Geschichte erklären; kann sie sich aber wandeln, dann geschieht das ganz offensichtlich durch den historischen Fortschritt selbst."

(gruen, "der wahnsinn...", s.101)


der letzte satz von plechanow muss heute ergänzt werden: natürlich fällt der "historische fortschritt" nicht vom himmel, sondern kann seine basis nur innerhalb der menschen haben - das ist ein wechselseitiges verhältnis, bei dem aber die möglichkeiten für verändertes individuelles verhalten primär und ausschlaggebend sind - ändere ich nur die gesellschaftlich äusseren strukturen, so habe ich es dennoch mit im schlimmsten fall mit einer mehrheit von menschen zu tun, für die die gerade abgeschafften strukturen einen gewissermaßen authentischen ausdruck ihrer deformierten individuellen bedürfnisse dargestellt haben - die basis für alle konterrevolutionären und reaktionären bewegungen. das, was in einer mechanistischen marxistischen interpretation gerne als gesellschaftlicher "überbau" bezeichnet wird, dürfte real tatsächlich die basis aller emanzipatorischen veränderungen darstellen.

ich finde es immer sehr bedauerlich, das viele von sich selbst als links verstehenden bis heute auf die lektüre von solschenizyns "archipel gulag" verzichtet haben - mag er auch heute mit seinen monarchistischen und reaktionären ansichten ein ideales angriffsziel darstellen, so ist dieses buch von ihm - der sich bis zu seiner verhaftung und auch noch danach selbst als begeisterter marxist ansah, bei seiner verhaftung offizier der roten armee im kampf gegen die nazis - doch die nachdrücklichste und eindrucksvollste widerlegung etlicher autoritär-kommunistischer mythen, von denen der stalinismus nur einen teil bildet. unter anderem macht er auch mit einer sehr detaillierten analyse der struktur der stalinistischen polizei- und justizapparate einerseits sowie mit der beschreibung der rolle und funktionen der in den arbeitslagern regelrecht privilegierten offen kriminellen bevölkerungsteile andererseits sowie der fast schon als "ideal" zu bezeichnenden gegenseitigen ergänzung und inneren anziehung beider gruppen etwas deutlich, was für die heutige linke nur lehrreich sein kann: nämlich die erkenntnis, dass ein als "eigentlich" als befreiend-emanzipatorisch gedachtes modell unter vernachlässigung der tatsächlichen basis der sozialen katastrophe und falscher und mechanistischer prämissensetzung (hier: die ökonomie) zwangsläufig in die simulation von befreiung führen muss - ein als-ob-sozialismus. tatsächlich hat das bolschewistische system faktisch von beginn an, verschärft im offenen stalinismus, genau die art von selektion gezeigt, die auch offen im faschismus, und versteckter in den heutigen kapitalistischen "demokratien", abläuft: machtmenschen bevorzugt! genauer: leute mit autoritären bis offen psychopathischen zügen und zwanghaft-bürokratischen neigungen, gerne auch offen kriminelle antisoziale (der unterschied zwischen offenen diktaturen und den repräsentativen demokratien scheint mir u.a. hier zu liegen - in letzteren wird heute zumindest teilweise die simulation von sozialeren verhaltensweisen verlangt. aber da das ohne tatsächliche erfahrungsbasis stattfindet, können jederzeit entwicklungen hin zu autoritären systemen auftreten - die ansätze dazu sind jeden tag in den nachrichten zu betrachten.)

"Wo die Ideologie der Macht gilt, wird das Selbst von seinem inneren Kern und damit auch von den Wurzeln seiner historischen Erfahrung abgeschnitten - unabhängig von der speziellen Färbung dieser Ideologie und der jeweiligen Organisation der Produktionsmittel."

(gruen, "der wahnsinn...", s.101)


die in allen bisher bekannten historischen gesellschaftsystemen mehr oder weniger offene mißachtung des tatsächlich individuellen menschen; die anbetung von halluzinierten und konstruierten bildern von göttern, völkern, nationen und führern; die offene geringschätzung und herabsetzung von subjektivität und subjektiven erfahrungen (die nur dann tatsächlich verzerrt sein können, wenn sie von anfang an angegriffen werden und derart ein elementares misstrauen gegenüber den eigenen wahrnehmungen erzeugt wird); die verherrlichung einer konstruktion von objektivität, das unwissen über das menschliche psychophysische funktionieren und die adäquaten und notwendigen entwicklungsbedingungen unserer spezies; die willkürliche und unhaltbare spaltung und hierarchisierung von körper, psyche und "geist"; ein fehlender begriff und überhaupt eine fehlende vorstellung von psychophysischer gesundheit - dieses und einiges mehr unterstreicht die tiefe wahrheit des obigen satzes von arno gruen.

Montag, 5. Dezember 2005

notiz: unter anderem wegen genau solcher sätze...

...sind und bleiben die neurowissenschaften eine zwiespältige sache - auch trotz der tatsache, dass sie durchaus wichtige erkenntnisse produzieren. aber sie sind eben auch durch und durch produkte des westlichen weltbildes und seiner aktuellen ausprägungen:

"Mein Ziel ist es, den Glückszustand unabhängig von der Traurigkeitskomponente zu modulieren"

ohoh. da mutet dann die folgende aussage nur noch gnadenlos naiv an (mal ganz abgesehen von der tatsache, dass zustände von angst innerhalb eines gewissen rahmens durchaus ihren sinn und ihre notwendigkeit haben - völlig angstfrei sind nur psychopathen) :

"Sobald man mit der Biologie fertig ist, muss sich die Gesellschaft entscheiden, ob sie sie manipuliert haben will oder nicht."

was das für eine gesellschaft ist bzw. wie einige ihrer grundsätzlichen prägungen entstehen und sich ausdrücken, ist hier zur genüge thema. mr. kandel offenbart die typische haltung des eigentlich unbeteiligten wissenschaftlers: "wir forschen ja nur, auf die verwendung der ergebnisse haben wir doch keinen einfluss." aber nicht nur in der atom-, nano- und genforschung, sondern auch und gerade in den neurowissenschaften kann eine solche haltung verheerende folgen nach sich ziehen.

wichtige info: die meinungsfreiheit im netz...

...droht durch ein urteil eines hamburger gerichts massiv beeinträchtigt zu werden:

"Das Hamburger Landgericht hat eine einstweilige Verfügung bestätigt, nach der es heise online verboten ist, Forenbeiträge zu verbreiten, in denen dazu aufgerufen wird, durch den massenhaften Download eines Programms den Server-Betrieb eines Unternehmens zu stören. Der Heise Zeitschriften Verlag wird damit faktisch gezwungen, sämtliche Beiträge zu den Diskussionsforen im Vorhinein auf diesen Rechtsverstoß hin zu überprüfen. Das Urteil (Az. 324 O 721/05) dürfte gravierende Auswirkungen auf den Betrieb von Webforen und vergleichbaren Diensten haben."


der inhaltliche tenor dieses urteils läuft darauf hinaus, dass alle anbieter von diskussionsplattformen im netz - wozu neben foren auch blogs, chats, öffentliche mailinglisten u.a. zu rechnen sind, künftig generell in allen fällen haftbar sind, in denen sich privatpersonen oder unternehmen von auf der jeweiligen plattform veröffentlichten beiträgen in ihren tatsächlichen oder vermeintlichen rechten angegriffen sehen -auch ohne kenntnis der jeweiligen beiträge:

"Die Kammer erklärte, sie sei überzeugt, dass der Verlag allein durch die Verbreitung auch ohne Kenntnis für die im Forum geäußerten Inhalte haftbar zu machen sei. Er könne schließlich die Texte vorher automatisch oder manuell prüfen."

heise kommentiert das so:

"Sollte sich diese Rechtsprechung durchsetzen, führt das dazu, dass jeder Anbieter, der ungefiltert die Möglichkeit zu Kommentaren bietet, unmittelbar für Rechtsverstöße in den Beiträgen haftet und abgemahnt werden kann", kommentierte der Justiziar des Heise Zeitschriften Verlags, Joerg Heidrich. Davon seien nicht nur Foren, sondern auch alle anderen Web-Kommunikationsformen wie Blogs, Gästebücher oder sogar Chats betroffen. Nach Ansicht von Heidrich steht diese Rechtsprechung im klaren Widerspruch zu dem erklärten Willen des Gesetzgebers und einer EU-Richtlinie, wonach Diensteanbieter gerade nicht dazu verpflichtet seien, die von ihnen nur übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen. Auch der BGH gehe in einem Urteil zu dieser Problematik davon aus, dass ein Anbieter nur dann als Störer hafte, wenn zumutbare Kontrollmöglichkeit über die verbreiteten Inhalte bestünden."

und die logische konsequenz daraus:

"Die Auswirkungen des Urteils auf den weiteren Betrieb der Webforen von heise online sind kaum absehbar. "Wir werden Foren schließen müssen, wenn einzelne Teilnehmer über die Stränge zu schlagen drohen, und können wohl zu brisanten Themen generell keine Diskussionsplattform mehr anbieten", sagte Chefredakteur Christian Persson. Der Heise Zeitschriften Verlag hat bereits angekündigt, nach der Zustellung der schriftlichen Urteilsbegründung Rechtsmittel gegen die Entscheidung einzulegen."

klartext: anbieter von foren oder auch blogs, in denen zb. kritisch über ein unternehmen oder bestimmte produkte diskutiert wird, müssen bei bestand dieses urteils künftig eine "zumutbare kontrolle" (generelle (vor-)zensur) ausüben, wenn sie nicht das risiko einer klage eingehen wollen. was das bedeuten könnte, muss ich wohl nicht weiter ausführen. es bleibt nur zu hoffen, dass dieses urteil keinen bestand haben wird. bei heise sind jedenfalls schon einige foren zu potentiell brisanten (it-)themen abgeschaltet worden.

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edit am 6.12.: artikel zum thema heute in der zeit und bei telepolis. ansonsten scheinen vielen userInnen in foren und auch in blogs die möglichen konsequenzen dieses urteils entweder nicht bewußt oder aber egal zu sein - beides keinesfalls positive eigenschaften.

Sonntag, 4. Dezember 2005

assoziation: zur organisierten kriminalität und ihren möglichen psychophysischen hintergründen

in verschiedenen beiträgen ( hier und hier ) ging es ja bereits um dieses thema, und ich muss sagen, dass mein interesse an diesen strukturen gerade nach einem hinweis bei lloyd deMause auf eine psychoanalytische untersuchung hinsichtlich möglicher zusammenhänge zwischen den traditionellen familienstrukturen / der kindererziehung und der existenz der klassischen mafia noch einmal gewachsen ist. das gesellschaften nach phasen von repressiven bzw. diktatorischen regimes und/oder durch innere und äussere kriegerische gewalt sowie weit verbreiteter rückschrittlicher behandlung von babys und kindern erzeugten epidemisch verbreiteten individuellen und kollektiven traumata dazu neigen, soziale strukturen auszubilden, die deutliche spuren von typischen traumafolgen zeigen oder sogar von ihnen geprägt sind, hatte ich in einem meiner oben verlinkten beiträge schon einmal näher skizziert. ein paar fragen, die mir zunehmend im kopf herumgehen, lauten vor diesem hintergrund ungefähr so:

kann es sein, dass a) die als "normal" und "legal" (was innerhalb dieser "legalität" alles so als "normal" angesehen wird, lässt sich u.a. hier nachlesen) wahrgenommenen ökonomischen strukturen zu einem großen teil diese anscheinende normalität durch simulative effekte einerseits und massenhaft verbreitete defekte bzw. defizitäre (z.b. durch dissoziationszustände) wahrnehmungsmodi innerhalb großer bevölkerungsteile andererseits produzieren?; b) das diese ökonomischen strukturen einerseits sowohl ausdruck bestimmter bedürfnisse von als auch anziehungspunkt für menschen sind, die bevorzugt von einigen hier im blog thematisierten psychophysischen störungen betroffen sind?; und das c) als eine zwangsläufige folge bei weitgehender bejahung der beiden obigen fragen nicht davon ausgegangen werden muss, dass eine im herkömmlichen sinne verstandene wirkungsvolle politische opposition gegen derartige strukturen nicht von den trägerInnen eben dieser strukturen als existenzielle bedrohung angesehen werden muss und dementsprechend bekämpft werden wird? (wobei der verlust von eigenen machtpositionen und materiellen privilegien imo eher als oberflächlicher grund angesehen werden muss, da das streben nach dem gerade erwähnten eigentlich nur verständlich wird bei kenntnis der möglichen psychophysischen schäden und deren möglichen kompensationsformen, die bei menschen so auftereten können).

ich wäre sehr interessiert an meinungen zu diesem thema. und falls Sie glauben, es handele sich hier "nur" um randphänomene, möchte ich noch auf ein paar links und textauszüge hinweisen.

*

die seiten von business crime control und organized-crime bieten grundsätzliches zur definition, geschichte, möglichem umfang sowie aktuelle informationen zum thema ok an und sind als einstieg imo ganz empfehlenswert. eine veröffentlichung der bundeszentrale für politische bildung hingegen macht die mögliche macht dieser strukturen eindrucksvoll deutlich, wobei hier teilweise nur publik gewordene und spektakuläre einzelfälle erwähnt sind - auszüge:

frankreich:

"Einer der Angeklagten war Außenminister der Republik. Daneben hatte Roland Dumas in seinem langen Leben so viele hohe und höchste Staatsämter in Frankreich bekleidet, dass sie hier nicht aufzuzählen sind. Seine Position als einer von sieben Beschuldigten im ersten Prozess gegen das frühere "Staatsunternehmen" Elf Aquitaine (darunter der ehemalige Präsident des Unternehmens, Le Floch-Prigent) ist wohl nicht der Gipfelpunkt einer beeindruckenden Karriere. Immerhin ging es seit dem 22. Januar 2001 um die Klärung des Verdachts der Unterschlagung, Vorteilsannahme sowie der Veruntreuung öffentlicher Gelder. Umgerechnet etwa 20 Millionen DM sollen zwischen 1989 und 1993 aus den Kassen von Elf in Form gesetzwidriger "Kommissionen" abgeführt worden sein. Das Geld soll zum Großteil bei der damaligen Geliebten des Außenministers, Christine Deviers-Joncour, gelandet sein. Der französische Staatsanwalt, Jean-Pierre Champrenault, verglich in seinem Plädoyer die Methoden der Elf-Führungsspitze mit dem Vorgehen krimineller Kartelle. Der Präsident des Unternehmens und seine rechte Hand, Alfred Sirven, sollen Techniken der Mafia eingesetzt haben. Mächtige, wie Außenminister Dumas, seien mit Geld gefügig gemacht worden."

russland:

"Der ehemalige Verwaltungschef des Kreml, Borodin - enger Vertrauter von Boris Jelzin und des russischen Präsidenten Putin -, war zur Teilnahme an den Inaugurationsfeierlichkeiten des amerikanischen Präsidenten Bush eingeladen, als er bei der Einreise in die Vereinigten Staaten aufgrund eines schweizerischen internationalen Haftbefehls festgenommen wurde. Es geht u. a. im Zusammenhang mit Aufträgen zur Renovierung von Regierungsgebäuden in dreistelliger Millionenhöhe um Vorwürfe der Bestechung und Bestechlichkeit. Die tatsächlich involvierten Summen sind bis heute unübersehbar groß."

deutschland:

"Helmut Kohl hat eingeräumt, jahrelang Geld in Millionenhöhe angenommen und dessen Überweisung auf Konten veranlasst zu haben, die von den üblichen Konten der Bundesschatzmeisterei der Christlich Demokratischen Union getrennt waren. Über diese Gelder hat er nach eigenem Gutdünken verfügt.(...)"

Das gegen ihn wegen des Verdachts der Untreue eingeleitete staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wurde nach Zahlung einer Auflage in Höhe von 300 000 DM gemäß § 153 a StPO eingestellt. Dies bedeutet aber keineswegs, dass die strafrechtlichen Vorwürfe unbegründet waren. Es steht mittlerweile vielmehr fest, dass der ehemalige Kanzler der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen seiner politischen Funktionen den Straftatbestand des § 266 StGB schuldhaft verwirklicht hat. Aus schwer einsehbaren und vermittelbaren Gründen hat die Justiz von der Eröffnung des Hauptverfahrens abgesehen.(...)"

"Im Hinblick auf die Frage, ob wichtige Daten und Akten zum Bau der Raffinerie Leuna, zum Export von ABC-Spürpanzern, Airbus-Flugzeugen und zu dem Verkauf von Eisenbahnerwohnungen absichtlich vernichtet oder beiseite geschafft wurden, wird zudem öffentlich beklagt, dass die deutschen Staatsanwälte all ihren juristischen Einfallsreichtum nutzten, um sich diese heiklen Fälle vom Hals zu schaffen, statt mit der gebotenen Professionalität Licht in die dunklen Geschichten zu bringen. Es handele sich um eine "traurige Posse", die gleichsam strukturelle Ursachen habe."


italien:

"Dagegen hatte man in Italien anscheinend genügend Beweise gesammelt, um den langjährigen Ministerpräsidenten Andreotti wegen des Verdachts einer strafbaren Verbindung zur Mafia vor Gericht zu stellen."

serbien:

"So nahm beispielsweise auch das Regime des ehemaligen Präsidenten Serbiens und der Bundesrepublik Jugoslawien, Milosevic, am Ende Züge einer scheindemokratischen Diktatur an, in der Politik, Unterwelt und Polizei nicht mehr auseinander zu halten waren."

peru:

"In Peru hat man Beweismaterial beschlagnahmt, welches belege, dass eine "Mafia" den Staat gekapert habe. Der ehemalige Chef des peruanischen Geheimdienstes, Montesinos, soll systematisch Institutionen, Privatwirtschaft und Medien seines Landes korrumpiert haben."

japan:

"In Japan, so schätzt man, haben ca. 80 000 Personen, die der Organisierten Kriminalität ("Yakuza") zugerechnet werden, in den (bisherigen) Hauptzweigen der Unterwelt (Drogen und Sex) eine Billion Yen (9,3 Milliarden Dollar) im Jahr 2000 verdient (die Hälfte mit Drogen und ungefähr ein Viertel aus dem Sexgeschäft). Dort ist es aber mittlerweile zum größeren Problem geworden, dass sich zumindest eine kriminelle große Organisation (Yamaguchi Gumi) in die "New Economy" des Landes eingeschlichen hat und politische Verbindungen zu den höchsten Rängen der Regierung unterhält. Sie half bei den Unterhauswahlen im Juli 2000 diskret bei der Geldbeschaffung und beim Stimmenfang einer Vielzahl von Politikern aus der Liberal-Demokratischen Partei des (etwa ein Jahr im Amt befindlichen) Premierministers Yoshiro Mori und aus anderen konservativen Parteien. Es soll keinen einzigen Politiker in Japan geben, der seinen lokalen Yakuza-Boss nicht kennt. Ein in der Bekämpfung des organisierten Verbrechens ehemaliger führender japanischer Polizist (Raisuke Miyawaki) glaubt, dass es zudem unmöglich sei, die Verknüpfungen zwischen der Geschäftswelt Japans und der dortigen Unterwelt in den Griff zu bekommen, weil sie zu ausgedehnt seien."

nun, war Ihnen dieses ausmaß wirklich bewusst? ein ausmaß, zu dem auch z.b. die in folge des falls dutroux thematisierten zustände in belgien gehören:

"Der windige Geschäftsmann Michel Nihoul, der seit 1996 inhaftiert ist, rühmte sich stets seiner Kontakte zu Parteibonzen. Er gilt als Partner von Marc Dutroux. Die Zeugin X1 behauptet, Nihoul habe auf "Sexparties", die er organisiert habe, Geschäftsfreunde mit jungen Mädchen "belohnt". Regina Louf spricht von einem "harten Kern" prominenter Gäste, die häufig auf Nihouls "Feiern" aufgetaucht seien. Sie nennt die Namen Brüsseler Juristen, eines flämischen Bürgermeisters, sogar eines früheren Premierministers.

Belgiens Affären füllen ein 380seitiges Nachschlagewerk. Die Muster der größten Skandale wiederholen sich auffallend. Immer wieder spielen Polizei- oder Justizbeamte eine Rolle. Immer wieder geraten einflußreiche Politiker in den Verdacht, die Fäden zu ziehen. Fast nie werden Täter und Hintermänner gefaßt.

In den achtziger Jahren überfiel eine Bande Supermärkte und Waffenläden, tötete 28 Menschen, nahm aber nie wertvolle Beute mit. Sie kannte offenbar Einsatzpläne der Polizei. Rechtsradikale hätten hinter den Morden gestanden, um eine Staatskrise auszulösen, vermuten viele Belgier. Geklärt ist bis heute nichts. Warum der frühere Chef der Sozialistischen Partei Walloniens, André Cools, 1991 vor dem Haus seiner Freundin erschossen wurde, bleibt weiterhin rätselhaft. Es gab Hinweise auf eine umfangreiche Clique politischer Hintermänner, die jedoch nie aufgedeckt wurde.

Dem Herrscher der Brüsseler Schlachthöfe, dem früheren Verteidigungsminister Paul Vanden Boeynants, stand 1989 eine Anklage wegen Bestechung bevor. Doch plötzlich wurde er entführt. Ein Ablenkungsmanöver, mutmaßten einige Zeitungen. Man weiß nur, daß Vanden Boeynants nach seiner Freilassung in einem Taxi befördert wurde und sich erst Stunden später bei der Polizei meldete. Kurz zuvor hatte das Gericht die Anklage gegen ihn fallengelassen."


bemerkenswert wenig bekannt sind auch folgende, direkt zum dutroux-komplex gehörende details:

"Während der Ermittlungszeit bis zum Prozessbeginn verstarben 27 Zeugen teilweise durch Selbstmord, Unfall oder auf unerklärliche Art und Weise. Zum Beispiel wurde der ermittelnde Polizist Simon Poncelet nachts auf der Wache erschossen. Die Bekannte seines Komplizen fand man erhängt. Ein Verdächtiger starb, als er gegen ein Haus fuhr. Eine Sozialarbeiterin starb bei einem Autounfall, nachdem sie Todesdrohungen bekommen hatte. Der Schrotthändler Bruno Tagliaferro wollte gegen Dutroux aussagen, wurde aber vergiftet. Seine Frau verbrannte im Bett. Sex-Club-Besitzer Poiro, ein Bekannter Nihouls, wurde erschossen. Eine Frau, die über Dutroux aussagen wollte, wurde erwürgt aufgefunden. Der Staatsanwalt Hubert Massa beging Selbstmord."

es hat ganz den anschein, als würde derlei die tatsächliche realität ausmachen:

"Mediziner wurden finanziert, kritische Untersuchungen unterdrückt: In ungeahntem Ausmaß habe die Zigarettenbranche, so eine Studie, führende Institutionen des Gesundheitswesens manipuliert.(...)"

"Die Kooperation von Medizinern mit "Big Tobacco" war lange effektiv. Mit "ungeheurem Erfolg" habe es die Tabakindustrie über Jahrzehnte geschafft, renommierte deutsche Wissenschaftler in großer Zahl zu finden, die in ihren Veröffentlichungen die Beweise für die tödlichen Auswirkungen des Qualmens "manipulieren und verdrehen", lautet das Resümee der Grüning-Studie.

Mindestens 80 zumeist hochrangige Klinikprofessoren hätten sich "im Würgegriff der Tabakindustrie" befunden, weil sie Forschungsgelder annahmen. Denn fast immer waren die Zuschüsse an Vorgaben geknüpft, die die Auftraggeber bestimmten - ein Lehrstück für gekaufte Wissenschaft."


sollen wir das wirklich alles nur als "ausnahmen" innerhalb eines ansonsten ganz vernünftigen ( - das wort bleibt mir fast im halse stecken) systems betrachten, oder nicht doch eher als einblicke in die realen machtstrukturen nicht nur, aber besonders innerhalb gesellschaften mit kapitalistischer ökonomie? hat sich am ende die form von ökonomischen verhältnissen, die allgemein als kapitalismus gefeiert, beschrieben, kritisiert und verdammt wird, auch aus dem grund zeitweise anscheinend alternativlos durchgesetzt, weil sie in ihrer gesamtheit oder entscheidenden teilen davon den psychophysischen bedürfnissen mehr oder weniger großer bevölkerungsteile am "besten" entgegenkommt? leistungs- und konkurrenzprinzip, arbeitswahn, verdinglichende und objektivierende wahrnehmung sowie andere unabdinbare grundlagen des kapitalismus sind jedenfalls auffällige kennzeichen, die, wie hier schon mehrfach gezeigt, strukturelle eigenschaften / kennzeichen von bestimmten psychophysischen störungen darstellen.

und ich glaube nicht, dass diese übereinstimmung einen zufall darstellt.

*

der von mir sehr geschätzte science fiction-autor john brunner hat einem seiner romane den bezeichnenden titel schafe blicken auf gegeben. möchten wir wirklich unser leben als potenzielles schlachtvieh verbringen? gehorsam und pflegeleicht bis zum mehr oder weniger bitteren ende?

notiz: wieder mal ein hinweis...

...auf die virtuelle nachbarschaft: bei morgaine ist ein längerer auszug aus dem hier bereits vorgestellten buch Das emotionale Leben der Nationen von lloyd deMause zu lesen, den ich am thema interessierten leserInnen empfehlen möchte.

Freitag, 2. Dezember 2005

notiz: das wort zum wochenende



“Wenn man von ‚Liebesobjekten‘ spricht, so ist das nichts anderes, als wenn ein Geschäftsmann von einer Kapitalanlage spricht. Im letzteren Fall wird das Kapital investiert, in ersterem Fall die Libido.”



(erich fromm, 1981 - an sich sollte hier auch die onlinequelle zu sehen sein, aber da momentan hier technisch mal wieder der wurm drin ist, wird das nachgeholt. edit: das problem besteht leider z. zt. immer noch).


so, vorläufig als vollen link jetzt die zitatquelle:

www.sgap.ch/pdf/NarzisstischerMachtmissbrauch.rtf

zwar ein sehr spezielles thema, trotzdem mit einigen interessanten infos zum narzissmus-komplex aus therapeutischer - in doppelter bedeutung - sicht. dazu wird auch dezent eine kritik an menschenbild und sprache der orthodoxen psychoanalyse sichtbar, die ich begrüßenswert finde. das obige fromm-zitat bezieht sich u.a. genau darauf.

Donnerstag, 1. Dezember 2005

notiz: ist "anständigkeit" eine tatsächlich relevante kategorie...

...bei der wahrnehmung der heutigen ökonomischen strukturen? als deutlich moralische forderung eher nicht, wie ich finde - moral wird in gesellschaften immer dann gefordert, wenn die selbstregulationsfunktionen individuell und kollektiv bereits so geschädigt sind, dass ein konstruiertes soziales korsett - und nichts anderes stellt eine aufgepfropfte moral dar - als handlungsleitend eingesetzt werden soll. im angesicht der hier thematisierten psychophysischen tatsachen halte ich derartiges jedoch für weitgehend wirkungslos - weder narzissten noch borderlinemenschen, und schon gar nicht psychopathen werden sich von derartigen korsetts tatsächlich beeindruckt zeigen können - auch, wenn sie vielleicht vorübergehend diese moralischen handlungsanweisungen in der ewigen eigenen identitätskonstruktion verwerten mögen. und warum schreibe ich dies alles? weil das folgende mich dazu angeregt hat:

Der neue Typus nämlich, den der amerikanische Soziologe Christopher Lasch in seinem Buch Die blinde Elite beschrieben hat, ist bedenkenlos fixiert aufs ökonomische Kalkül. Gestählt in den Ausbildungslagern der Business Schools, ist er ein Ministrant des Kapitals. Von Grund auf heimatlos, fühlt er sich in der weiten Welt zu Hause, in den klimatisierten Arealen der Abflughallen, Hotelzimmer und Vorstandsetagen, und wo immer er sich befindet, agiert er weltumspannend. Anständigkeit mag er im privaten Umgang für erstrebenswert halten, im Job ist sie ihm keine handlungsleitende Tugend mehr.

und dieses schlußfolgerung ist sicher richtig:

"Schon jetzt sind die Anzeichen psychischer und sozialer Verwahrlosung erschreckend sichtbar, und es wäre, wenn die Entwicklung anhält, auf Dauer sinnlos, sich in eingezäunten Bezirken zu verschanzen.

es wird nicht ausreichend sein, hier noch an "anstand" zu appellieren.

Mittwoch, 30. November 2005

kontext 16: narzisstische persönlichkeiten im job...

...ist das thema eines nps-foren-threads, den ich interessierten leserInnen empfehlen möchte.

*

edit am 1.12: ein ähnliches thema - narzißmus und macht - wurde in einer sendung des deutschlandfunks thematisiert, von der ein manuskript online verfügbar ist. auch, wenn das thema hier natürlich hörerfreundlich komprimiert worden ist, eignet sich der mitschnitt imo als einstieg ins thema, und macht auch gleich ein paar zusammenhänge deutlich - auszüge:

"Mir fallen da ganz viele Patienten ein, die in der Therapie erarbeiten konnten, dass sie Marionetten waren, dass sie funktionieren mussten wie kleine Roboter, wobei sie den Erwartungen der Eltern perfekt entsprechen mussten. Und für sich selbst wenig Spielraum hatten. So entwickelten sie ein so genanntes "Falsches Selbst": Und wer sie genau beobachtet, diese Menschen, der erkennt, dass sie merkwürdig unecht wirken. Und sich nach außen anders darstellen, als sie sich in Wirklichkeit innerlich fühlen."

ähnlichkeiten mit dem modell einer als-ob-persönlichkeit werden sichtbar, wobei die "echte" als-ob-persönlichkeit (in gestalt des klassischen psychopathen verkörpert) imo nicht mit dem obigen gleichzusetzen ist. bizarrerweise ließe sich vielleicht eher von einer als-ob-als-ob-persönlichkeit reden. wobei sich für mich die frage stellt, ob nicht auch zumindest teilweise psychopathen fachlicherseits und irrtümlicherweise mit dem modell einer nps klassifiziert werden können? wäre ein ähnlicher effekt wie er z.b. auch hinsichtlich der borderlinestörung bereits von mertz thematisiert wurde - ein effekt, der v.a. durch das menschenbild und die theorie der orthodoxen psychoanalyse erklärbar wäre.

aber stichwort borderline:

"Es ist die Brillanz, es ist die Grandiosität, es ist ein bisschen so der Charme auch, die Wortgewandtheit, die Faszination, die ausstrahlt und wo man sich wünscht, ja ich möchte auch so sein."

schauen Sie nochmal an das ende des ersten borderline-beitrags. dann wird zumindest auch ein grund dafür klarer, warum diese beiden ps sowohl öfter als verwandte zwillinge gedacht werden als auch schwierigkeiten bei der jeweiligen spezifischen diagnostik bestehen. und ebenso wird meiner meinung nach dadurch deutlich, warum der bereich dessen, was allgemein so als psychische störungen bezeichnet wird, zwar in der vielfalt möglicher symptome schon recht ausgedehnt, aber eben auch begrenzt ist - ich sehe diesen bereich inzwischen eher als ein spektrum an, in dem die möglichen reaktionen eines menschen auf ungünstige prä-, peri- und postnatale entwicklungsbedingungen aller möglichen arten von vielfältigsten bio-psychosozialen einflüssen abhängig sind. was für mich u.a. als konsequenz bedeuten würde, eher nach zusammenhängen zu suchen als mittels ständig ausdifferenzierender modelle die möglichen zusammenhänge zu verschleiern. einen echten qualitativen unterschied sehe ich bisher tatsächlich nur zwischen den phänomenen echte psychopathie und "klassischem" (kanner-)autismus (imo nocheinmal voneinander unterschieden) einerseits und den anderen bisher hier erwähnten (persönlichkeits-)störungen (incl. wahrscheinlich dem asperger-syndrom) andererseits. der gemeinsame nenner von allen besteht jedoch in den mehr oder weniger schweren schäden der sozialen fähigkeiten allgemein und der beziehungsfähigkeiten im besonderen. und da mich dabei vor allem die möglichen gesellschaftlichen konsequenzen der verbreitung dieser störungen interessieren,summiere ich sie unter diesem aspekt deswegen als beziehungskrankheiten. gleichzusetzen sind sie trotzdem nicht, wobei ich den eindruck habe, dass die tatsächlichen unterschiede erst in den bereichen der neurophysiologie bzw. neurobiologie deutlich werden können. und eher nicht durch die verbreiteten psychoanalytischen bzw. diversen psychologischen entwicklungsmodelle, die teils zu sehr den primären charakter von geistigen konstruktionen aufweisen, deshalb eher einem stochern im nebel gleichen und dazu noch meist unhinterfragt diverse verzerrende kulturell-zeitgeistige und auch für die gesamtgesellschaft entlastende komponenten transportieren. das eine einigermaßen realistische wahrnehmung dieses komplexen bereiches ein hartes stück arbeit ist, will ich dabei nicht leugnen. und wenn hier professionelle aus den entsprechenden disziplinen mitlesen, wäre ich dankbar für mögliche hinweise auf denk- oder andere fehler in meinen obigen gedanken.

Dienstag, 29. November 2005

assoziation: piercing, tattoos, body modification - ein nachtrag

da meine gedanken zu diesem thema doch so einige kommentare ausgelöst haben, möchte ich das, was ich dazu im sinn habe, kurz präzisieren (mal von der tatsache abgesehen, dass "tatoo" mit doppel-o geschrieben wird - ähem...)

ich stimme etlichen der kommentierenden leserInnen zu - natürlich ist es auch eine modebewegung, die auch den üblichen vermarktungsmechanismen unterworfen ist bzw. sich durch eben diese mechanismen vermutlich erst durchsetzen konnte. aber das betrachte ich nur als einen aspekt - modewellen sind zumindest zum teil immer auch ausdruck kollektiver strömungen in teilen der gesellschaft, und brauchen diese basis schlicht und einfach - sonst könnten sie nicht existieren.

und vor diesem hintergrund gingen meine gedanken eher in die richtung, was für kollektive strömungen - verstanden als inszenierter ausdruck / verarbeitungsversuch weit verbreiteter realer erfahrungen - imstande sein können, ein verlangen nach doch mehr oder weniger schmerzhaften eingriffen am eigenen körper auszulösen. eingriffe zudem, deren jüngere ursprünge in der westlichen kultur in den genannten milieus zu suchen sind. was für zeichen benutzen also der ohrgepiercte banker oder polizist, die dezent tätowierte businessfrau?

es sind schlicht als "rebellisch" codierte zeichen, die aus welten der organisierten schmerzzufügung bzw. hinnahme zwecks lustgewinn (s/m) und der parallelwelt der mehr oder weniger organisierten kriminalität stammen.

rein sachlich also aus banden-strukturen, ohne die moralischen oder sonstigen wertungen bei diesem begriff jetzt zu berücksichtigen... ich halte "subkultur" für eine modernisierte version des wortes bande. wenn Sie sich nun einmal diesen hier schon früher erwähnten tp-artikel und meinen kommentar dazu anschauen, wird vielleicht deutlicher, warum ich die erklärung "modewelle" als zu oberflächlich ansehe. ich tendiere eher dazu, das, was allgemein unter "strukturen der organisierten kriminalität" oder auch mafia läuft, als eine weltweit zu beobachtende und geradezu typische folge von massentraumatisierungen besonders nach politischer/kriegerischer gewalt anzusehen - wie in diesem blog schon mehrfach aufgezeigt, greifen traumatische prozesse vor allem die menschlichen fähigkeiten zum sozialen an -das gesellschaften, in denen massentraumatisierungen vorkommen oder kamen, danach für kriminalität in diversen formen (als ausdruck der durch das kollektive trauma geförderten antisozialität) und, damit einhergehend, bandenbildung (die auch verschiedene formen annehmen kann - vielleicht sogar die form eines sog. multinationalen konzerns...?) anfälliger werden, lässt sich imo sogar statistisch belegen - in meinem kommentar bei tp habe ich ein paar beispiele erwähnt. vielleicht wird es jetzt klarer, warum ich zu meinen gedanken gekommen bin? das heißt jetzt - wie schon gesagt - im umkehrschluß nicht, dass alle gepiercten und tätowierten menschen derart ihre persönlichen traumata zur schau stellen. aber womöglich bestimmte kollektive strömungen ausagieren, die mit den erwähnten prozessen sehr viel zu tun haben.

zweite frage in diesem zusammenhang: ist das "modische" piercing bzw. tattoo gleichzusetzen mit dem extrempiercing bzw. dem, was unter body modification läuft?

"In der jugendlichen Subkultur der USA hat das Interesse an Body Modification in den vergangenen fünf Jahren stark zugenommen. Über „Conventions" und „Netzwerke" breitet sich der Trend derzeit „bis ins letzte Kaff" aus, berichtet der Kölner Kriminalbiologe Mark Benecke, der den bislang vor allem in Amerika grassierenden Verstümmelungskult wissenschaftlich zu ergründen versucht.

Mit Tätowierungen und Piercings haben die planvollen Selbstverletzungen nicht mehr viel gemein. In vielen Bodmod-Studios hängt der Geruch von verbranntem Fleisch in der Luft, weil selbst ernannte Folterknechte die Körper ihrer Klienten mit rot glühenden Eisen traktieren („Branding").

Extreme Gewebedehnungen („Stretchings") und Genitalpiercings zeichnen Bodmod-Anhänger bis an ihr Lebensende. Gewebeschnitte („Cuttings"), bei denen die Wunden häufig mit Mineralpulver oder Meersalz eingerieben und wiederholt nachgeschnitten werden, um die Narbenbildung zu verstärken, zaubern bleibende Versehrungen auf die Haut. „Es scheint ein Bedürfnis nach bizarren Körperritualen zu geben", erklärt der Kriminalbiologe, „das in unserer Gesellschaft nicht gestillt wird."

Vieles wird auf Video festgehalten, weil die blutigen Akte nicht beliebig wiederholbar sind. Anders als an der amerikanischen Ostküste finden die Selbstverstümmelungen in den Metropolen im Westen oft als rituelle „Sessions" und „Performances" vor handverlesenem Publikum statt.

Die Kontrolle über den Schmerz ist den Folter-Fans wichtiger als ein möglicher sexueller Reiz. „Mit Sadomasochismus", erläutert Benecke, „haben die meisten in der Szene nichts am Hut." Europäische Betrachter reagieren auf die Verstümmelungspraktiken geschockt. Über ein Jahr lang hat Benecke am Rechtsmedizinischen Institut der Stadt New York gearbeitet. In seiner Freizeit interviewte er Anhänger des Bodmod-Kults. Als er das Ergebnis seiner Recherchen kürzlich auf einer Tagung deutscher Rechtsmediziner in Frankfurt am Main präsentierte, waren selbst abgebrühte Obduktionsexperten über die gezeigten Bilder bestürzt.

Beim Kongress anwesende forensische Psychiater murmelten angesichts der Verstümmelungen ratlos von „Borderline-Persönlichkeiten". Sind die Selbstverstümmler also nur psychisch Kranke? Dann müssten Persönlichkeitsstörungen bei Urvölkem die Regel sein. Denn die Gewohnheit, den menschlichen Körper als Mal-, Brand- und Schneidegrund zu betrachten, ist fast so alt wie der Mensch selbst. Auf ägyptischen Mumien etwa haben Archäologen Spuren von Tätowierungen, Schmucknarben und Nabelpiercings entdeckt. Die mittelamerikanischen Mayas durchbohrten bei rituellen Feiern Penis oder Zunge. Die noch weichen Schädelknochen ihrer Säuglinge und Kleinkinder wurden dem herrschenden Schönheitsideal entsprechend verformt. Nordamerikanische Indianer baumelten beim "Sonnentanz", der so genannten 0-Kee-Pa-Zeremonie, an Fleischerhaken, die sie sich durch Brusthaut und -muskeln trieben. Extreme Gewebedehnungen sind noch heute in vielen afrikanischen Kulturen weit verbreitet. Narbenmuster auf der Haut signalisieren Stammeszugehörigkeit, sozialen Rang, durchlaufene Lebensstadien oder die Intaktheit des Immunsystems. „Wir alle machen etwas mit unserem Körper", sagt Enid Schildkrout, Anthropologe am Amerikanischen Museum für Naturgeschichte in New York, „um anderen zu zeigen, wer wir sind - selbst wenn wir uns nur die Haare kämmen."

Verstümmelungstraditionen sind aber beileibe nicht auf entlegene Regionen und vergangene Kulturen beschränkt. Auch Mitglieder schlagender Verbindungen sind stolz darauf, sich durch die Mensur prachtvolle Narben zuzufügen. Bis heute steht der Schmiss in bestimmten Kreisen für Maskulinität, Unerschrockenheit und gehobenen sozialen Status. Früher waren viele Frauen ganz wild auf die Narbenträger: „Ein Renommier-Schmiss zeigte", so der US-Historiker Kevin McAleer, „dass sein Träger Mut und Ausbildung besitzt - und damit ein guter Bräutigam ist." Einige der Männerbündler tauchen gelegentlich noch heute bei plastischen Chirurgen auf, um sich ihre Narben kunstvoll nachbessern zu lassen. Auch das Nipple-Piercing ist ein alter Brauch, den vermutlich schon die Offiziere der römischen Legionen praktizierten."


meine antwort auf die oben gestellte frage: nein. wobei ich das, was hier als body modification beschrieben wird, als quasikern dessen ansehe, was in piercing- und tatoostudios heute in den milderen varianten so abläuft. dabei ist der obige hinweis auf verstümmelungstraditionen älterer kulturen deswegen interessant, weil z.b. lloyd deMause gerade die benannten kulturen als außerwestliche beispiele für weit verbreiteten infantizid - absolut üblen bis mörderischen umgang mit kindern und babys - benennt, und die genannten rituale als re-inszenierung traumatischer erfahrungen begreift.

und die als "initiationsriten" zu verstehenden erwähnten rituale westlicher männerbünde bzw. -banden gerade militärischer bzw. militaristischer prägung lassen sich ebenfalls in den oben erwähnten kontexten begreifen - elemente von re-inszenierungen bzw. simulierten neugeburten - unter bewusster und rigider abgrenzung zum "alten" leben mit seinen vermutlich vielfach schmerzhaften erfahrungen - lassen sich imo ohne große probleme finden. ich sehe sogar zusammenhänge zur existenz virtueller welten - die bewegungen hin zur neukonstruktion des eigenen selbst sowie die vielfältigen manipulationen am eigenen körper ähneln sich imo sehr.

ich hoffe, es ist insgesamt etwas deutlicher geworden, warum ich das sage, was ich sage? ich bin noch etwas angeschlagen von einer schweren erkältung die tage, und möglicherweise durch eine gewisse matschigkeit im kopf nicht ganz in der lage, gedankengänge auf den für mich genauen punkt zu bringen. aber das wird sich hoffentlich bald wieder ändern.

Samstag, 26. November 2005

assoziation:pure wut

folgendes muss vorläufig fragmentarisch bleiben - aber es verstärkt meinen eindruck, dass an der geschichte von jessica exemplarisch diverse ver-rücktheiten im schlimmsten und wortwörtlichsten sinne sinne deutlich werden - verrückte eltern, verrückte großeltern, ein verrückt gewordener gutachter plus nach todesstrafe brüllende verrückte teile der öffentlichkeit. dazu gibt´s die verrückte welt der boulevardmedien und eine ebenso verrückte justiz. in einem insgesamt verrückten system ja auch eigentlich kein wunder. trotzdem, oder gerade deswegen, ist mir die ganze zeit extrem übel.

*

der forensische gutachter der mutter, hans-ludwig kröber , macht - kaum weiter kommentiert - eine ganze unheilvolle traditionslinie der psychiatrischen zunft in deutschland deutlich - eine institution, die sich sowohl in und nach den beiden weltkriegen als auch im nationalsozialismus nicht nur zu willigen bütteln der macht, sondern während der "t4"-"euthanasie"-aktion der nazis gleich insgesamt zu einem massenmörderischen instrument machte. und das sind nur die historisch auffälligsten ereignisse - das alltägliche elend der psychiatrie ist viel versteckter. und kommt aber im folgenden artikel zum vorschein:

"Essen habe es nicht gegeben, nur Kaffee, Alkohol und Zigaretten. Marlies’ Mutter war damals mit ihrem eigenen Onkel zusammen – er soll Marlies’ Kopf auf den Boden geschlagen haben, als sie einmal unter ihrer Decke hervorlugte. Während er mit ihrer Mutter Sex hatte, erinnert sich Marlies Sch., habe der Großonkel ihr zugerufen: „Du bist als Nächste dran!“

Zwischen den Beinen und an der Brust sei sie von ihm angefasst worden. Ihre ganze Kindheit sei „sicher herzhaft unangenehm“ verlaufen, sagt Psychiatrie-Professor Kröber und sorgt mit seinen unangemessenen Äußerungen nicht nur an dieser Stelle für Irritation. An die Theorie eines „großen Traumas“ glaube er nicht".


deutliche misshandlungen und gewalttätige sexualisierte übergriffe sind "HERZHAFT UNANGENEHM"?
und also dann auch eher nicht als "irgendein gräßliches Erlebnis" zu werten? hallo?!? geht´s noch?!?

"Muss krank sein, wer grausam handelt? Oder ist der Gedanke, Marlies S. sei verrückt, bloß die Hoffnung der Menschen im Saal 237 – um abzuschütteln, was ihre Vernunft übersteigt? Hätte Jessicas Mutter anders handeln können? Der Berliner Psychiater Hans-Ludwig Kröber hat daran keinen Zweifel. Er hat Marlies S. im Auftrag des Gerichts untersucht und keine klassische psychische Erkrankung festgestellt. An das große Trauma glaubt er auch nicht. »Ich wäre heilfroh gewesen, wenn ein seltener hirnorganischer Befund vorgelegen hätte oder irgendein grässliches Erlebnis«, sagt Kröber zu den Richtern, »dann hätten wir uns alle besser gefühlt – ich auch.« Aber die Jugend der Marlies S. unterscheide sich in nichts von der Tausender anderer ungeliebter Kinder. Wohl sei die Angeklagte mit enormen Defiziten behaftet, aber doch letztlich eine normale, intelligente Frau, deren infantile Bedürfnisse sich mit den Anforderungen eines kleinen Kindes nicht vertrugen und die deshalb angefangen habe, es zu piesacken und wegzusperren. »Über Wochen und Monate ist Zeit gewesen, das Kind zu retten«, sagt Kröber, »sie hat es nicht getan.« Jessicas tödliches Siechtum sei die Entscheidung ihrer Mutter gewesen."

spontane einschätzung: eine mischung aus betriebsblindheit ("keine klassische psychische erkrankung" vorhanden); unwissenheit (schon mal von tradierten traumata, wie sie seit der genaueren erforschung der holocaustfolgen in den folgenden generationen bekannt sind, oder auch kumulierten traumata - viele und dauernde "kleine", versteckte boshaftigkeiten und schmerzzufügungen - gehört, herr professor?!? von re-inszenierungen? wenn nicht, sind Sie - und das meine ich ernst - in Ihrem beruf komplett fehl am platz. andererseits in diesem system auch gerade richtig); und wahrnehmungsausschluss - ob gewollt oder nicht, ob bewusst oder nicht. wer in so einer position derlei äusserungen wie oben dokumentiert zur bezeichnung von gewalt verwendet, hat in einer gutachterposition nichts, aber auch gar nichts verloren.
da versteht ein psychiatrischer nichtfachmann, wenn auch aus seinen eigenen motivationen heraus, deutlich mehr:

"Manfred Getzmann, Verteidiger der Marlies S., sitzt in seinem Büro auf Sankt Pauli und zerbricht sich den Kopf. Er hat seine Mandantin gefragt, warum sie Jessicas kleine Leiche nicht einfach in einen Müllsack gepackt und entsorgt habe. Wer hätte sie schon vermisst? Da habe Frau S. das Gesicht in den Händen verborgen und geschluchzt: »So was kann ich doch mit meinem Kind nicht machen!« Unbegreiflich, findet Getzmann, »aber ich bin sicher, sie trauert um Jessica«. Auch deshalb hält er Marlies S. für »eine schwer gestörte Persönlichkeit«, die ihr Kindheitstrauma wie unter Zwang mit den eigenen Kindern immer wieder habe neu durchleben müssen und deshalb für Jessicas Tod nicht voll verantwortlich zu machen sei. Das ist Getzmanns Überzeugung, und für die kämpft er vor Gericht. Er will seiner Mandantin die lebenslange Freiheitsstrafe ersparen, die ihr unausweichlich droht, wenn das Gericht nicht finden sollte, dass ihre Schuldfähigkeit erheblich vermindert war.
(...)
Und Marlies S.? Hat sie sich für das Böse entschieden? Und ist bloß ein Beispiel dafür, dass menschliche Not für das Böse anfällig macht? Dass Böses auch ein Defizit am Guten ist und jeder nur geben kann, was er empfangen hat? Ihr Verteidiger spricht von der »transgenerationalen Weitergabe von Traumatisierungen«. Man kann es auch Erbsünde nennen. Gemeint sind jene Gesetzmäßigkeiten der Familiengewalt, die von den Eltern auf die Kinder und Kindeskinder übergehen und die trotzdem den Einzelnen nicht aus seiner Schuld entlassen. Es fragt sich nur, ob solch ererbte Schuld nicht doch geringer wiegt."


hat der gutachter kröber mit seinen fragwürdigen einlassungen hier vielleicht bewusst geschützt und gerade deshalb unfreiwillig offenbart, was nicht öffentlich und breit bewusst werden darf und soll? das eine nüchterne rekonstruktion der ereignisse unter einschluss der transgenerationalen familiendynamiken nicht nur die kette der gewalt, sondern auch unser aller gesellschaftliches versagen, unsere quasiakzeptanz dieser kette deutlich machen würde? mussten die beiden eltern alleine schon zur aufrechterhaltung des eigentlich unhaltbaren juristischen schuldbegriffs und menschenbildes auf alle fälle voll "schuldfähig" gesprochen werden? werden damit nicht auch die deutlichen widersprüche der staatlichen und politischen propaganda, die sich familien- und besonders kinder"freundlich" gibt, zur realität von politischen entscheidungen deutlich, die durch ökonomische verelendung genau die milieubedingungen fördert, in denen offene gewalt oder stille verwahrlosung von ganzen familien bevorzugt gedeihen, unter den teppich gekehrt? genauso wie die offenkundige unfähigkeit der offiziellen psychiatrie, zustände von wahnsinn - ausgelöst durch menschliche gewalt - korrekt zu erkennen und eben nicht durch die alleinige orientierung an scheinbarer "realitätstüchtigkeit" und "objektiv" vorhandener kognitiver intelligenz komplett zu leugnen und auf eine "als-ob"-simulation hereinzufallen (genauso werden auch die vielen hitlers dieser welt aus dieser sphäre des wahnsinns ferngehalten herausdefiniert - es wäre ja auch zu gefährlich, das zu erkennen und gleichzeitig nach der inneren verfassung der den "führern" folgenden massen fragen zu müssen)? müssen deshalb auch auschwitz (bzw. das, wofür es steht) und ereignisse wie das hier thematisierte regelmäßig als "leider völlig unerklärbar" bezeichnet werden?

"Marlies Sch. und Burkhard M. haben beide gelogen und Ausflüchte gesucht, sagt der Richter in seiner Urteilsbegründung und bezeichnet die Eltern als gefühl- und mitleidlose Menschen.

Am Ende sagte Schaberg, das Leben sei unerklärlich, oft chaotisch und voll von Grausamkeiten, die Menschen einander antun. "Aber eine Tat wie diese macht auch ein Schwurgericht ratlos. Das Gericht weiß auch keine genaue Antwort auf das Warum."


das könnte so wie es da steht auch ein blitzlicht aus irgendeinem prozess gegen kz-wärter oder folterer sein. aber wer verstehen will, warum und durch was diese eltern so gefühl- und mitleidlos (eine korrekte wahrnehmung) geworden sind, könnte auch verstehen. meine fresse, macht mich diese regelrechte verdummung, diese unermeßliche ignoranz und diese erbärmliche feigheit wütend! "wir wissen leider auch nichts..." pah! ihr wollt es nicht wissen, weil ihr dann eure ganzen jämmerlichen lügengebäude in die tonne treten könntet und müsstet! auch die halluzination, dass mütter auf jeden fall und immer gut und edel sind - gehören nicht eigentlich die täterinmutter der täterinmutter und die dazugehörigen männer mit auf die anklagebank? und müssen nicht eigentlich auch die weiteren sozialen und ökonomischen verhältnisse gleich mit dazu gepackt werden?

"Das Gericht hat auch die Mutter der Marlies S. hören wollen, die aber hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Weniger Zurückhaltung zeigte sie gegenüber den Medien. Schon kurz nach dem Tod ihrer Enkelin Jessica überschüttete sie die Tochter im Fernsehen mit Hasstiraden, und zum Prozessbeginn forderte ausgerechnet sie in der Bild-Zeitung, man möge ihre Tochter mindestens lebenslang einsperren und am besten noch zwangssterilisieren. Angesichts dieses Vernichtungswillens kann man sich vorstellen, was dem Kind einst widerfuhr."

muss das noch kommentiert werden? aber für die offizielle justiz und psychiatrie hat das nicht zu existieren, diese zusammenhänge sollen und dürfen nicht wahrgenommen werden. vielleicht können sie auch nicht wahrgenommen werden, weil das einer enthüllung über die eigene geschichte gleichen würde?

*

entschuldigung für meine drastische sprache, aber mir ist jetzt wirklich der kragen geplatzt.

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