...der entgegen der massenmedialen darstellung jetzt nicht auf einmal wieder "ausgebrochen" ist, sondern faktisch ständig in diversen erscheinungsformen und intensitäten existiert, sei nochmals auf einen älteren beitrag hier verwiesen, der einen sehr wichtigen - und vielleicht gerade deshalb meist völlig ausgeblendeten - aspekt thematisiert: die macht des traumas - auszug:
(...)"wegen der eigenart der traumatischen gedächtnisspuren in ihrer form als abgespaltene seperate neuronale netzwerke taucht auch öfter der begriff "eingefrorene zeit" auf, die dann in symptomen wie z.b. flashbacks wieder "auftaut" und die aktuelle raum-zeit-wahrnehmung der betroffenen im extremfall völlig überlagern kann. wie dieser und womöglich auch andere mechanismen einfluß auf aktuelle krisen und konflikte wie z.b. den israelisch-palästinensischen haben, ja diese durch die beteiligten psychophysischen prozesse primär überhaupt erst mit ihren destruktiv-gewalttätigen "lösungsversuchen" möglich machen, wird durch u.a. die arbeiten und ansätze des israelischen psychologen dan bar-on deutlich."(...)
(...)„Als der erste Palästinenser über sein Leben, seine Vergangenheit, seine aktuelle und schmerzhafte Realität in der West Bank sprach, stellte ich fest, dass ich in der Defensive war und mich peinlich berührt, geschockt und verärgert fühlte. Es fiel mir sehr schwer zu glauben, es handele sich keineswegs um eine Ausnahme und deshalb sei es unfair, so zu tun, als sei es die >Normalität< für Palästinenser. Natürlich traute ich mich nicht, diese Gedanken zu äußern."
Wieder erzählte Miriam K. ihre Geschichte als Nachkommin von Holocaustopfern, doch diesmal erlebte sie, wie die eigene Opfer-Identität zu bröckeln begann: „Als der nächste Palästinenser sprach, wand ich mich. Schon wieder war es eine Geschichte über Verfolgung, Angst und unerträgliche Erniedrigung. Ich konnte nicht glauben, was ich hörte. Wie war das möglich? Je mehr ich hörte, desto mehr schauderte ich. Es war mir peinlich, Jüdin zu sein. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass meine jüdischen Mitmenschen diesen Leuten solchen Schmerz und solches Grauen zufügten. Ich wollte ihre Taten verteidigen, sie als ein Bedürfnis nach Sicherheit für Israels Bestreben, sich vor Terrorismus zu schützen, begründen. Aber ich konnte mich nicht einmal mich selbst davon überzeugen, dass diese Gründe gut genug waren. Ich war erschöpft und wünschte, ich wäre woanders."
(...)
"Ein Verständnis, das zunächst äußerst fragil war und durch die Frage einer Palästinenserin, die die Realität des Holocaustes in Frage zu stellen schien, wieder zu zerbrechen drohte. Martin Bormann wurde nun mit seiner Geschichte zum glaubwürdigen Zeitzeugen: „Die Palästinenser hörten ihm offensichtlich gebannt zu. Die ganze Situation war unwirklich: Juden versuchten, Palästinenser von der Bedeutung und Wahrheit des Holocaust zu überzeugen, während der Sohn eines berühmten Nazi-Täters die Fakten aufzählte."(...)
im nahen osten ist live und seit jahrzehnten eine spirale der gegenseitigen und generationenübergreifenden re-traumatisierung zu beobachten, die - realistisch betrachtet - nur durch eine massive intervention von außen, mit anschließender - vorläufiger - trennung und entwaffnung der kontrahenten sowie isolierung der am extremsten agierenden gruppen auf beiden seiten - betrifft zb. die klar islamistischen fraktionen genauso wie auch die religiös motivierten jüdischen siedler - gestoppt werden könnte. parallel zu diesen maßnahmen müsste dann in allen beteiligten gesellschaften besonderes gewicht auf die entwicklung ziviler strukturen / entmilitarisierung gelegt werden, zu denen neben einer gesicherten grundversorgung besonders bildung und auch ein breites angebot von traumaspezifischen therapeutischen strukturen gehören würde - letzteres ist meiner meinung nach unverzichtbar, um die wesentlichen quellen des konfliktes mittel- und langfristig aufzulösen.
wer die erwähnte massive intervention von außen allerdings durchführen sollte, ist das erste große problem - realistisch ist da eigentlich nur die uno zu nennen, und zwar ohne beteiligung der usa/nato einerseits (besonders d-land hat - als durch die geschichte mitverantwortliche konfliktursache - dort nichts zu suchen), aber auch ohne russland und china. und damit wird´s dann schon wieder unrealistisch. ich bleibe aber dabei, dass bis auf weiteres das oben grob skizzierte szenario dasjenige mit der größten wahrscheinlichkeit darstellt, den ewigen krieg tatsächlich zumindest wirkungsvoll behindern zu können.
so meine gedanken bei ansicht eines gleich folgenden zitates - aber der reihe nach.
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die möglichen gründe für die belegbare zunahme von diagnosen (!) aus dem autistischen spektrum besonders im letzten jahrzehnt - siehe zb. hier - sind in den sich zuständig fühlenden wissenschaftlichen bereichen bis heute gegenstand von vielfältigsten auseinandersetzungen. nun sorgt eine neue studie aktuell für diskussionen:
(...)"Mehr als ein Prozent aller Kinder leiden unter Autismus oder einer verwandten Störung aus dem Formenkreis der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt eine Kohortenstudie im Lancet (2006; 368:210-215). Die Zahlen liegen deutlich über den bisherigen Schätzungen, sind aber nach Ansicht von Experten kein Beweis für eine tatsächliche Zunahme der Störung.
Bis Ende der 80er-Jahre galt der infantile Autismus, heute als frühkindlicher Autismus bezeichnet, als eine sehr seltene Störung mit einer Prävalenz von 4-5/10.000. Dann kamen drei epidemiologische Studien in Japan zu einer Prävalenz von 13 -15,5/10.000. Seither übertreffen sich die Epidemiologen in Europa und den USA mit ihren Schätzungen. Doch Ergebnisse von Gillian Baird vom Guy's and St Thomas' Hospital in London und Mitarbeiter stellen alle bisherigen Annahmen in den Schatten: Danach liegt bei 38,9/10.000 Kindern ein Autismus vor. Bei weiteren 77,2/10.000 wurden andere Tiefgreifende Entwicklungsstörungen gefunden, zu denen das Rett-Syndrom, das Asperger-Syndrom und sonstige desintegrative Störungen des Kindesalters gehören. Damit ergibt sich eine Rate von 116,1/10.000 oder mehr als ein Prozent."(...)
(zum begriff der prävalenz eine imo verständliche definition von wikipedia: "Die Prävalenz oder auch Grundanteil ist eine Kennzahl der Epidemiologie und sagt aus, wieviele Individuen einer bestimmten Population an einer bestimmten Krankheit erkrankt sind. Sie gibt eine absolute Häufigkeit an. Die Prävalenzrate ist dagegen eine relative Größe; sie wird bestimmt durch die Zahl der Erkrankten im Verhältnis zur Zahl der Untersuchten.")
also, ich entnehme den zusammengefassten ergebnissen folgendes: erstens geht es hier zusammengefasst um die sog. "Tiefgreifenden Entwicklungsstörungen" bei kindern, zu denen u.a. die diagnosen des "klassisch" autistischen spektrums gezählt werden - frühkindlicher autismus (kanner), asperger-syndrom, atypischer autismus - ; zweitens werden dadurch die ergebnisse bzw. auch spekulationen früherer forschungen untermauert, die imo ebenso mehrheitlich von einer höheren autismus"rate" in der bevölkerung von verschiedenen regionen auf dem planeten berichtet haben; drittens taucht sofort - und das finde ich mittlerweile recht auffällig - die relativierung hinsichtlich der "tatsächlichen Zunahme der Störung" auf. soweit also erstmal alles bekannt.
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in einer für die presse aufbereiteten agenturmitteilung findet sich dann aber ein statement, das es in sich hat:
(...)"Man sollte die epidemiologischen Studien differenziert betrachten", so Stephan Partl, Assistenzarzt an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikum Würzburg, im Gespräch mit pressetext. Der Anstieg der autistischen Fälle sei schon länger bekannt. Ein Grund hierfür ist die Anzahl der Untergruppen von Autismus wie die Schizoide Persönlichkeitsstörung, Borderline oder ADHS, die sich in den letzten Jahren herausgebildet haben, erläutert Partl."(...)
"...Untergruppen von Autismus wie die Schizoide Persönlichkeitsstörung, Borderline oder ADHS, die sich in den letzten Jahren herausgebildet haben..." - nun, die letztere behauptung lässt sich bei großzügiger interpretation höchstens auf das "aufmerksamkeitsdefizit(hyperaktivitäts)sydrom" beziehen, wohingegen sowohl die schizoide ps als auch borderline nicht erst seit gestern in den diagnostischen katalogen vorhanden sind. und das "ad(h)s" taucht tatsächlich oft als komorbidität bspw. des aspergersyndroms auf (und auch bei borderline). das ist die eine sache.
die andere - und damit wäre hier tatsächlich in einer dem eindruck nach sogar eher beiläufigen bemerkung eine kleine sensation versteckt - ist die aussage, dass die borderline-ps eine "untergruppe" von autismus darstellen würde. ich staune immer noch - diese bemerkung stammt immerhin von einem angehörigen einer institution der orthodoxen psychiatrie, die sich - und genau das ist bekanntlich ein hauptthema dieses blogs - womöglich bei einigen ganz zentralen diagnostischen modellen gerade im bereich der persönlichkeitsstörungen (und im autismus- und traumakontext) sowohl in der konstruktion der diagnosen als auch im verständnis der ätiologie gehörig verzettelt hat. der einzige mir bekannte "professionelle" autor, der sich in den letzten jahren genau damit beschäftigt hat, ist der hier oft zitierte j.e.mertz, über dessen faktische ignorierung seitens der etablierten psychiatrie und psychologie ich im letzten jahr geschrieben hatte:
(...)"aber das ist doch laut titel ein buch zum thema borderline?, ließe sich fragen. ja - aber dieser zusammenhang lässt sich erst dann überhaupt diskutieren, wenn es einen begriff davon gibt, was autismus eigentlich bedeutet. es lässt sich einiges zu mertz und seinem modell anmerken, auch in mehreren punkten entschiedene kritik - trotzdem halte ich seine herausarbeitung der inneren struktur des autismus für plausibel und einleuchtend, und werde mich darauf im folgenden auch beziehen. zum buch insgesamt sei an dieser stelle noch gesagt, dass mir bisher - es ist vor gut fünf jahren erschienen und mittlerweile offensichtlich vergriffen - keinerlei fachspezifische rezension untergekommen ist. eine anfrage beim zuständigen verlag vor gut einem halben jahr ergab lediglich, dass es möglicherweise überhaupt nur drei rezensionen nach veröffentlichung gegeben hat. trotz professioneller recherchekenntnisse gelang es mir nicht, auch nur eine rezension zu gesicht zu bekommen, auch nicht nach recherchen in einer unibibliothek.(...)
dieses auffällige schweigen der fachwelt ist für mich - gerade im borderlinebereich, wo an sich jede veröffentlichung sehr bald von anderen professionellen kommentiert und rezensiert wird - inzwischen zwar einerseits verständlicher, stellt andererseits jedoch auch ein recht jämmerliches ausweichen dar - die thesen von mertz haben es wirklich in sich, dazu bringt er eine sehr scharfe kritik an der orthodoxen psychoanalyse sowie inspirierende beobachtungen zum westlich geprägten bewußtsein vor, ebenso einiges ketzerische zum geschlechterverhältnis - von der möglichen rolle der mütter bei psychischen störungen und der bedeutung der pränatalen phase nicht zu reden. viel explosives material also, um sich daran abzuarbeiten - aber stattdessen das erwähnte tiefe schweigen. und es geht dabei nicht um etwas beliebiges, was eigentlich egal ist - das buch kann für betroffene z.b. mit einer borderline-diagnose eine verheerende wirkung haben, und alleine schon deswegen wäre es eine sozusagen berufliche pflicht der überwiegend - in relation - hochbezahlten sog. professionellen, sich dazu zu äußern. aber die methode des aussitzens ist anscheinend nicht nur in einem gesellschaftlichen bereich als problemlösung beliebt."(...)
das buch ist mittlerweile tatsächlich schon länger vergriffen, und ich habe auch nichts von einer neuauflage mitbekommen. aber das erwähnte tiefe schweigen ist imo keinesfalls ein verzerrter eindruck - es finden sich an verschiedenen stellen bruchstückchen, die das deutlich machen. so schreibt eine userin in einem thread im forum des "borderline-netzwerks" vom januar 2005:
(...)"Einige Patienten hörten, dass es eine Studie geben soll, die eine besondere Form des Autismus bei BPS untersucht haben soll. Angeblich würden über 80% der " schweren Borderlinern" unter den gleichen, dem Autismus ähnelnden Symtomen leiden, es bestünde sogar der Verdacht, dass dies der Entwicklung von BPS Vorschub leistet."(...)
nun, das ist eine frage in einem unterforum dort, welches speziell dazu dient, mit psychiatrisch / psychotherapeutisch ausgebildeten und auf borderline spezialisierten professionellen ins gespräch zu kommen. diese frage ist seit über einem jahr ohne antwort. das kann ganz verschiedene gründe haben, ich weiß - und trotzdem entsteht so ein ziemlich merkwürdiger eindruck. ich habe zwischenzeitlich mal begonnen, in nicht kostenpflichtigen medizinischen datenbanken online nach dieser erwähnten studie zu recherchieren und werde Ihnen das ergebnis natürlich nicht vorenthalten. und falls die hier mitlesenden therapeutisch oder sonstwie einschlägig in betroffenen bereichen tätigen dazu mehr wissen bzw. hinweise geben könnten, wäre ich für entsprechende informationen sehr dankbar.
(vielleicht sollten sich die professionell tätigen auch mal diesen thread in einem forum von asperger-betroffenen anschauen - gerade der letzte beitrag wirft bei mir so einige fragen nach den methoden und inhalten der orthodoxen psychiatrischen diagnostik auf - insbesondere bin ich über die "kombination" asperger und posttraumatische belastungsstörung doch ziemlich erstaunt.)
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jedenfalls steckt in der oben zitierten unscheinbaren äußerung des arztes einiges an sprengstoff. und ich frage mich, ob, wo und vom wem das wahrgenommen wird?
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edit: ich kann mir vorstellen, dass es einige leserInnen hier gibt, die das obige thema vielleicht für eine art von pseudoauseinanderstzung um pure begriffe halten - aber darum geht es zumindest mir keinesfalls. ich sehe eher bzw. ahne eine ganze reihe von unabsehbaren konsequenzen nicht nur für direkt betroffene, nicht nur in und für die beteiligten wissenschaftlichen disziplinen, sondern weit darüber hinaus sogar für das selbst- und menschenbild primär der westlichen kultur.
ein wechsel in der wahrnehmungsweise von als krankhaft betrachteten menschlichen existenzweisen - und als solche lassen sich die als persönlichkeitsstörungen definierten zustände ebenso wie die verschiedenen formen von "anerkanntem" autismus durchaus begreifen - , ein solcher wechsel also würde bspw. recht schnell fragen danach aufwerfen, wie es denn zu den - imo oberflächlichen - unterschieden im verhalten von vielen borderline-diagnostizierten im vergleich mit bspw. asperger-betroffenen kommt, was zb. den umgang mit sozialen beziehungen anbelangt. und hier landen wir dann sehr schnell bei fragen zur bedeutung von simulativen zuständen innerhalb und für die menschliche existenz.
desweiteren stünden dann verschärft fragen nach der strukturellen bedeutung des vermehrten auftretens von autistischen zuständen in der menschlichen gesellschaft zur debatte; ebenfalls müsste das bisherige bild des autismus radikal korrigiert werden - und dazu dann auch wesentliche bereiche der heutigen psychiatrischen diagnostik, die sich zusätzlich um eine neue definition von "gesunder normalität" bemühen müsste - und damit dann wiederum die bisherige "normalität" ganz anders zu betrachten gezwungen sein würde...
auch das folgende thema wurde hier vor ein paar monaten schon erwähnt - falls Sie nachher um 23.00 h noch nichts vorhaben, können Sie sich über die aktuellen varianten einer versteckten "euthanasie" bzw. einer schon nicht mehr versteckten selektion anhand ökonomischer kriterien in diesem land informieren - in der vorankündigung ist u.a. zu lesen:
(...)"Menschen, die schwer erkranken, stehen oft alleine in ihrem Kampf ums Überleben. Sie brauchen Kraft, um gegen die Krankheit zu kämpfen und müssen sich zusätzlich gegen ihre Kasse und deren Weigerung wehren, die Kosten für eine lebenserhaltende oder lebensverlängernde Therapie bei ihrem behandelnden Arzt zu übernehmen. Eine bittere Erkenntnis für Patienten, gerade wenn sie auf Sicherheit und Zuversicht angewiesen sind.
Eine von ihnen ist die 38-jährige Julia L. aus München."Wollt Ihr uns sterben lassen, nur weil wir diesem System ausgeliefert sind?" fragt die schwer kranke Patientin. Mit ihrem Arzt und einer Anwältin kämpft sie um eine Therapie, doch die Kasse lehnt ab. Die Behandlung wird abgebrochen. Ebenso wie bei der 28-jährigen Stefanie R. "Ich will behandeln, darf aber nicht", sagt ihr Arzt, "man zwingt mich, gegen meinen medizinischen Eid zu verstoßen".(...)
ja doch, wir leben in einer dingwelt:
(...)"Viele Menschen sterben einen leisen Tod, weil sie keine Kraft haben, neben der Krankheit auch noch die Vorschriften, Absagen und bürokratische Entscheidungen zu bekämpfen. Sie werden zerrieben in einer Maschinerie, in der die Kosten das zentrale Kriterium zu sein scheinen und in der über Schicksale von Menschen nur nach Aktenlage entschieden wird."(...)
es ließe sich auch als eine sehr perfide art von mord bezeichnen.
manchmal benutze ich das blog für mich auch als eine art notizzettel, um interessante infos bzw. artikel vorläufig festzuhalten - weitere kommentierung meinerseits vorbehalten.
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Psychisch Kranke werden ausgeforscht , so die überschrift eines artikels der aktuellen taz. eines von derzeit vielen bereits verabschiedeten oder in der diskussion befindlichen gesetzen in vielen verschiedenen bereichen, die nichts gutes ahnen lassen.
"Der Bundesrat will den Behörden Ermittlungen im persönlichen Umfeld von Alten und psychisch Kranken ohne Zustimmung der Betroffenen erlauben. Bundesregierung begrüßt entsprechenden Gesetzentwurf der Länder, Verbände und FDP protestieren
Die Behörden sollen künftig das persönliche Umfeld von Alten und psychisch Kranken ohne deren Wissen und Zustimmung ausforschen können, um eine Betreuung vorzubereiten. Dies sieht ein Gesetzentwurf des Bundesrats vor, den die Bundesregierung unterstützt. "Das erinnert an Methoden einer Geheimpolizei in totalitären Staaten", kritisiert René Talbot von der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrieerfahrener das Vorhaben."(...)
"Im persönlichen Umfeld des Betroffenen, also bei Verwandten, Nachbarn oder an der Arbeitsstelle, darf die Behörde bisher aber nur Erkundigungen einholen, wenn der vermeintlich Kranke zustimmt. Hier setzt die geplante Änderung des Betreuungsbehörden-Gesetzes an. Wenn der zu Überprüfende (nach ärztlicher Feststellung) schon so verwirrt oder krank ist, dass er gar keinen rechtlich bindenden Willen mehr bilden kann, soll die Behörde auch ohne seine Zustimmung mit Menschen aus seinem Umfeld sprechen können. Die Länder wollen so "Verfahrensverzögerungen" verhindern. Die neuen Befugnisse der Behörden seien im Interesse des Betroffenen.
Das sehen Psychiatriekritiker aber ganz anders. "Auch als psychisch Kranker hat man ein Recht darauf, dass nicht alle Nachbarn und Arbeitskollegen von der Krankheit erfahren", kritisiert Matthias Seibt vom Landesverband Psychiatrieerfahrener NRW. "Die Betreuungsbehörde kann, ohne dass der Betroffene irgendetwas davon erfährt, dessen Ruf zerstören."(...)
wie bereits heute die bestehende gesetzeslage teils von behörden ausgelegt wird, war vor einiger zeit schon hier - "von alten damen und ministern" - zu lesen. ich hatte damals u.a. geschrieben:
(...)"die ganz geschichte macht sehr deutlich das grundsätzliche dilemma sichtbar, das ich weiter unten schon mal genauer umschrieben hatte: psychiatrische diagnosen können reale, für einen menschen bzw. das jeweilige umfeld tatsächlich gefährliche und bedrohliche krankhafte prozesse erfassen - aber in ihrem jetzigen status quo, der meist sehr interpretierbar ist, können sie genausogut zu allerlei schweinereien übelster art benutzt werden. und zwar ganz nach "recht und gesetz". die obige richterliche begründung jedenfalls folgt ziemlich genau dem muster, mit dem bspw. auch in totalitären systemen unliebsame kritikerInnen der verhältnisse kalt gestellt werden."(...)
und das letztere thema wird spätestens mit der jetzt geplanten gesetzesänderung ganz aktuell - einmal werden die aktuellen psychiatrischen diagnosemodelle (deren blinde flecken und faktische ignoranz, was real vorhandene verrückheiten bspw. von sog. führungspersonen betrifft, hier schon öfter beschrieben worden sind) damit tatsächlich zu einer art von waffe, deren destruktives potenzial in skrupellosen händen ungeheure ausmaße annehmen kann - siehe auch hier - und zum anderen ist dabei auch diese entwicklung zu berücksichtigen:
(...)"Ihre Sorge über die Zunahme psychischer Leiden hat die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen in einer Resolution „Gesundheit und soziale Lage“ ausgedrückt. „Zukunftsängste, Arbeitslosigkeit, Armut, wachsende Vereinzelung und das Auseinanderbrechen von Familien lösen immer häufiger Suchtprobleme und psychische Erkrankungen aus, die in vielen Fällen zu Berufs- und Erwerbsunfähigkeit führen“, erklärten die Delegierten am 25. März in Bad Nauheim.
Auch für Arztbesuche und Krankschreibungen seien zunehmend psychische und soziale Leiden verantwortlich, erklärten die hessischen Delegierten. Sie führen dies auf die gesellschaftliche Entwicklung zurück, in der „Solidarität und die Würde des Einzelnen der ökonomischen Ausrichtung nachgeordnet werde“.(...)
das eröffnet den strategen der sog. "inneren sicherheit" natürlich große möglichkeiten - die sog. psychiatrisierung von politischer opposition ist nicht nur in ländern wie weißrussland ein fast schon traditionelles mittel , sondern bis heute auch bspw. in china. und immer wieder auch in der brd zu beobachten gewesen, zb. in vielen verfahren gegen totale kriegsdienstverweigerer (also diejenigen, die auch den sog. zivildienst wg. seiner ersatzdienstfunktion und einbindung in die militärische planung abgelehnt haben) besonders in den 1980er jahren.
wie viele andere sehr bedenkliche entwicklungen auch, erfordert ebenfalls dieses geplante gesetz eigentlich größte öffentliche beachtung. eigentlich.
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dieses gesetz wird zudem in einem staat geplant, der ganz frisch vom europäischen gerichtshof verurteilt worden ist - ja, manchmal geschehen noch zeichen und wunder:
"Der Einsatz von Brechmitteln gegen Kleindealer verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Deutschland wurde deshalb gestern vom Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Der Brechmitteleinsatz sei eine "inhumane und erniedrigende Behandlung", entschieden die Richter mit 10 zu 6 Stimmen. Wenn der Staat auf diese Weise gewonnene Beweismittel im Strafprozess verwendet, verstoße dies gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Die Bundesrepublik muss dem Kläger Abu Bakah Jalloh jetzt 10.000 Euro Schmerzensgeld bezahlen."(...)
"inhumane und erniedrigende Behandlung" ist übrigens im allgemeinen sprachgebrauch nichts weiter als ein synonym für folter (und diesen älteren artikel verlinke ich deshalb nochmal, damit deutlich wird, dass die von gewissen personen und institutionen immer wieder angestrebte faktische aufweichung des folterverbotes in der brd - auch, wenn´s um tatsächlichen oder eingebildeten terrorismus geht - keinesfalls ein für sich alleine stehender skandal ist. wie spätestens dieses jetzige urteil deutlich machen sollte. ich bin mal gespannt auf die öffentlichen reaktionen. und nein, auch wenn ich dieses urteil mal ausnahmsweise bemerkenswert positiv finde, so sehe ich deshalb doch keinen grund dafür, mein grundsätzliches mißtrauen in die heutigen formen der justiz zu revidieren. und nochmals nein, mit dem problem der illegalisierung psychoaktiver stoffe mitsamt allen damit zusammenhängenden konsequenzen hat dieses urteil auch nur am rande zu tun - hier geht es darum, was ein staat an grenzen überschreiten darf.
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wenn ein emeritierter professor für philosophie sich mittels der orthodoxen freudschen psychoanalyse an der Psychopathologie der Abzockerei versucht, dann kann dabei so etwas herauskommen:
(...)"Die Moral der Geschichte von dieser politischen Psychopathologie der Abzockerei in einem wild gewordenen Kapitalismus lautet für einen kritischen, mit der Geschichte der Kapitalismustheorie vertrauten Geist: Das Es hat Adam Smiths angeblich so segensreicher, für eine gerechte Verteilung der Güter sorgenden «unsichtbaren Hand» das Steuer aus den Händen gerissen, es triumphiert frohlockend über das Über-Ich und verjagt aus dem Ich die letzten Ahnungen einer Aufklärung, der es, nach Kant, um den «Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit» ging."(...)
das es als alter amokfahrer sitzt jetzt am steuer, lacht hämisch das über-ich auf dem beifahrersitz aus und treibt das ich auf dem bürgersteig in eine tiefe verzweiflung. so sehen also die analytischen versuche der alten europäischen intelligenz aus. *seufz*
"Es reicht langsam. Es gibt ein ukrainisches Sprichwort, das heißt: `Wenn die Fahnen fliegen, ist der Verstand in der Trompete.' Wir haben den Zustand, dass uns der Verstand verloren geht, bald erreicht.(...)"
(das stammt - erstaunlicherweise - von heiner geißler )
“Die Weltmeisterschaft ist von der Sorte Partydroge, die sich herrschende Koksnasen am liebsten einwerfen. In der Schnee- und Schampussphäre dröhnt man sich besonders gern völlig zu, glaubt man die Bevölkerung in betäubten Zustand gebracht.“
(quelle)
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so. da den unerfreulichen begleiterscheinungen eines sportlichen events in form von täglich anschwellendem und teils strunzdummen massenmedialem geblöke alá “wir-sind-jetzt-alle-deutschland-und-fühlen-uns-so-wahnsinnig-geil-dabei-und-wer-dabei-nicht-mitmacht-ist-ein-miesmacher“ sowie den symptomen einer größere bevölkerungsteile befallenen trance in form einer us-amerikanische ausmaße erreichenden optischen verschandelung des öffentlichen raumes mittels sog. nationalfarben nicht zu entgehen ist, gibt es nun doch ein wm-special - und ich werde mich bemühen, den beitrag so zu gestalten, das vielleicht auch diejenigen zum lesen animiert werden, die ansonsten auch außerhalb von wm-zeiten mit fußball nichts anfangen können - bei einem derart in der sozialen realität präsenten phänomen lohnt sich das genaue hinschauen.
aus der perspektive dieses blogs sind dabei zwei seiten besonders interessant: einmal die wiederspiegelung allgemein verobjektivierender / verdinglichender tendenzen im durchkapitalisierten profifußball, zum anderen der sog. "patriotismus" als begleiterscheinung der wm. dementsprechend wird es zwei teile geben, sonst wird es einfach zu lang. ich fange an mit dem geschäft fußball.
***
1.
ich hatte es ja schon anklingen lassen, dass ich selbst durchaus ein gutes match zu schätzen weiß, mit vergnügen guten offensiv- und one-touch-fußball betrachte (wie er in den letzten jahren v.a. von werder bremen gespielt wird), und bspw. bei einem zinedine zidane in seinen besten zeiten durchaus künstlerische und ästhetische qualitäten wahrgenommen habe. als junge habe ich eine zeit selbst in einem verein gekickt, und es gab damals und auch noch in späteren jahren durchaus eine art fantum im klassischen sinne für mich, einerseits für den lokalen kleinstadtverein mit regelmäßigen stadionbesuchen, andererseits für einen lieblingsbundesligisten. im laufe der jahre veränderten sich die prioritäten, und fußball wurde phasenweise völlig unwichtig - auch bedingt durch eine intensive beschäftigung mit dem thema „mann(sein)“, welches für eine größere emotionale distanz zu den „klassischen“ begleiterscheinungen dieses in der vergangenheit eindeutig „männlich“ codierten sports sorgte (diese eindeutige codierung besteht imo heute nicht mehr in der form wie bspw. noch vor zwanzig jahren, zu diesem punkt später mehr).
2.
fußball kann in seinen besten momenten eine art von entertainment darstellen, die ich persönlich nutzen kann, um bspw. meinen kopf wieder freizubekommen - eine art auszeit, wenn die zumutungen dieser welt - besser: vieler ihrer menschen - mal wieder bis an den rand des erträglichen gegangen sind. eine spielerisch geregelte und körperbetonte form des auslebens von aggressivität, deren wichtigste funktion in der aktuellen realität u.a. darin besteht, eine art von emotionalem mehrwert zu schaffen - das gilt zwar auch für die spieler, aber auf eine etwas andere art und weise primär für das publikum.
damit ist die zwiespältigkeit des fußballs auch schon benannt: er dient einerseits zur ablenkung und kompensation, ist damit systemstabilisierend - und andererseits lässt sich ebenso eine art zivilisierende komponente - unter und mittels kapitalistischer bedingungen - finden, die klaus theweleit in seinem buch schön beschrieben hat:

“Fußball ist Krieg“ ist ein Satz, der Rinus Michels (ehemaliger trainer, anmerk. mo) zugeschrieben wird; zu Recht oder zu Unrecht. Als Autor der `Männerphantasien´, der sich zum „Körper des soldatischen Mannes“ geäußert hat, bin ich oft gefragt worden, ob Fußball als im Kern reiner Männersport, als Männerkampfsport, nicht unterm Gesichtspunkt „Körperertüchtigung (verdeckt) soldatischer Männer“ betrachtet werden muss; als eine Art Militärersatz also, dessen unausgesprochenes Ziel immer auch die fortdauernde Militarisierung der Gesellschaft sei, zumindest auf der Ebene fortdauernden Konkurrenz- und Hahnenkampfgehabes . Die Antwort, die in der Regel von mir erwartet wurde, sollte lauten: „Ja, so ist es“. Um zur Bestätigung „Hab ich doch immer gesagt“ zu führen.
Ganz auszuschließen ist ein solcher Anteil am konkurrierenden Bolzgehabe in der Tat nicht. Die „gewünschte Antwort“ habe ich dennoch eher verweigert. Zwar hat es Trainer gegeben, die Fußball genau unter solchen Gesichtspunkten betrieben haben. (...) Ein militärischer oder zumindest martialischer Überhang besonders im „Fußball alter Schule“ war zweifellos gegeben. Und nicht nur im deutschen Fußball. Der Torhüter Lars Leese („ronald reng“, anmerk. mo), der eine Weile in England gespielt hat, beschreibt in Der Traumhüter die Situation „Kabine“ nach einem Wochenendsieg mit den Worten: „Fußball ist eine Macho-Welt. Montagmorgens bei uns in der Umkleidekabine hättest du das Guinness-Buch der Rekorde neu schreiben können: Jeder war der Größte, jeder hatte am Wochenende 125 Bier getrunken und 99 Frauen weggehauen.“
Das ist sicher eine Form von Krieg; aber eine Form, die heute nicht mehr an erster Stelle gefördert wird, wenn ich mir die Spiel- und Lebensbedingungen in den Fußballinternaten heitiger Profivereine anschaue.
Es gibt andere Tendenzen und Entwicklungen auf den „artistischeren“ Seiten des Spiels, die es nahe legen, Fußball nicht als „Krieg“ zu sehen. Um dies zu beschreiben, braucht man nicht einmal unbedingt die Selbstverständlichkeiten anzuführen, die Kriege von Spielen unterscheiden: den überwachten Kanon des Fair Play, die Anwesenheit von Schiedsrichtern, während der Terror des Krieges prinzipiell schiedsrichterlos läuft. Was tut Fußball? Er organisiert einen Kampf; Kämpfe um die Herrschaft über ein bestimmtes Stückchen Erde - also genau das, worum Staaten Kriege führen. Er gibt dazu allerdings beiden Parteien ein und dasselbe Spielgerät in die Arena, den Ball. Dieses Spielgerät darf nicht zerstört werden. Sonst wird das Spiel unterbrochen oder abgebrochen. Dies ist der entscheidende Schritt zur unkriegerischen Lösung des angesagten Kampfes. Beide Mannschaften kämpfen auch - ob ihnen dies bewusst ist oder nicht - für die Unversehrtheit des Balles. Am Grunde des Spiels liegt für alle ihre Liebe zum Ball. Theo Stemmler schreibt in seiner „Kleinen Geschichte des Fußballspiels“ über „Kemari“, die japanische frühe Variante des Fußballs: „Es wird in spielerischem Ritual versucht, den Ball (= die Sonne) vor dem Herabfallen (= dem Untergehen) zu bewahren.“ Das hat van Gogh ähnlich gesehen, wenn er Sterne klar als rollende Bälle malt. Spiritualisierte Feuerbälle, die man rotierend in der Luft halten muss. Und: Man ist auf die gegnerische Mannschaft angewiesen, sonst gibt es kein Spiel. Krieg dagegen führen Staaten auch ganz gern gegen nicht vorhandene Gegentruppen.
Wenn so die einen sagen, Fußball militarisiere, kann mit gleichem Recht geantwortet werden, Fußball zivilisiere kriegerische Potenziale. Als Kampfsport ist er in genau dieser Weise ambivalent und kann in seiner Ausübung sowohl in die eine wie in die andere Richtung angelegt werden. Von einem Standpunkt aus, der absolut pazifiertes Körperverhalten als Voraussetzung der Zivilisiertheit ansieht, ist Fußball „brutal“: 22 durchtrainierte Körper ochsen full power aufeinander los, um sich dieses Ding abzujagen. Wenn das zufällig fünf Minuten lang elegant aussieht, reden großspurige Fußball-Ideologen gleich von Tanz und „Ballett“.
So kann man - abschätzig - sprechen. Wer andererseits einen bestimmten Pegel körperlicher Gewalt in der Gesellschaft als gegeben annimmt, der seinen Ausdruck und seine Betätigungsfelder sucht, kann Fußball geradezu als eins der bedeutensten Mittel benennen, an der Zivilisierung dieser Gewaltpotenziale mitzuwirken. Exakter gesagt: 95% der Zuschauer in den Stadien bekämpfen Wochenende für Wochenende erfolgreich den eigenen Hooliganismus. Als Möglichkeit liegt er in ihnen wie in den manifesten Hooligans auch. Aber mit Hilfe von Zivilisierungsformeln wie: „Die andern können auch Fußball spielen“..“Es kann nicht zwei Sieger geben“...“Es geht nicht immer gerecht zu auf der Welt, aber meistens gleicht sich das aus“ (naja, anmerk. mo) wird das Kriegerische in Spielern wie Zuschauern ständig heruntergefahren. Während „Krieg“ ja heißt, so lange auf den Feind einzuschlagen oder einzuwirken, bis er sich nicht mehr rührt. (...)
(klaus theweleit, „tor zur welt. fußball als realitätsmodell“; kiepenheuer & witsch; köln 2004; isbn 3-462-03393-X; s. 94 - 96)
im weiteren verlauf argumentiert theweleit u.a. auch mit dem interesse der vereine, ihr - und hier passt dieser scheußliche begriff besonders, darum führe ich ihn an - humankapital in form besonders teurer spieler vor verletzungen schützen zu wollen. vermutlich sehe nicht nur ich an dieser stelle einen z.zt. nicht auflösbaren widerspruch: der effekt dieses interesses besteht zwar in einer erhöhten fürsorge für die spieler - nicht umsonst werden schiedsrichter seit einigen jahren mehr dazu aufgefordert, allgemein die gesundheit der spieler, besonders aber die der „superstars“ zu schützen -, aber er entspringt eben nicht primär einer besonders humanen motivation, sondern einem profitinteresse: „verletztes kapital“, welches nur auf der bank sitzt oder sich im reha-zentrum aufhält, ist quasi totes kapital - und das können sich die proficlubs schlicht nicht leisten.
3.
der profifußball ist zu einem milliardengeschäft geworden, und in dieser hinsicht ein durchaus realitätstreues abbild und auch bestandteil der kapitalistischen globalisierung - vereine wie bspw. manchester united sind keine vereine mehr, sondern börsennotierte unternehmen, die eine weltweite "fan"schar
"Manchester United hat dieses Potential als erster Verein erkannt. Heute kommen von geschätzten 75 Millionen ManU-Anhängern weltweit allein 40 Millionen aus Asien und Australien. In 90 asiatischen Städten kaufen sie in MU-Megastores ein oder verfolgen in Red Cafés die Spiele ihres Vereins.(...)"
* (zur quelle dieses und folgender mit dem sternchen markierter zitate siehe das ende dieses beitrags)
mit dem produkt fußball plus merchandising, starkult und allem sonstigen drum und dran unterhalten müssen, wenn sie denn den primär wichtigen ökonomischen erfolg erreichen wollen. da sich aber im fußball eigentlich erfolge aufgrund des spielcharakters mit seiner potenziell impliziten unvorhersagbarkeit nicht so ohne weiteres planen lassen, boomt u.a. der markt für individuell hochklassige spieler, die zwar auch keinen sportlichen erfolg garantieren, aber doch die wahrscheinlichkeit dafür um einiges steigern können.
die suche (scouting) nach solchen spielern führt gerade in südamerika, afrika und auch osteuropa zu zahlreichen sog. "auswüchsen" (die in der realität natürlich systemimmanent produziert und bis auf die größten und offensichtlichsten exzesse auch toleriert werden):
"Der Fußballmarkt hat sich vor allem in den letzten zehn Jahren enorm globalisiert. Aufstrebende Ligen, wie die japanische, fordern genauso „Spielermaterial“ wie der europäische Markt. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Luxusmigration von internationalen Top-Stars. In Deutschland sind heute selbst Dritt- und Viertligavereine international besetzt.
Auf der anderen Seite steht ein Heer von Fußballern aus Ländern der Zweiten und Dritten Welt. Ausgebildet auf einer der zahlreichen Fußballakademien in Afrika oder Südamerika, warten sie auf den internationalen Durchbruch. Allein in Brasilien, auf dem größten Fußballermarkt der Welt, sind es 30.000. In den letzten vier Jahren hat Brasilien 3087 Profifußballer in alle Welt exportiert.(...)"
*
in einer ausgabe der welt vom mai letzten jahres war folgendes zu lesen (auszüge):
(...)"José Ferreirinha hatte eine andere Reaktion erwartet. Im Auftrag von Jose Mourinho, Trainer von Chelsea London, war er im März in das kleine Touristenstädtchen Santa Catarina an der portugiesischen Algarve-Küste gereist. Der Talentspäher sollte vor Ort die Familie Ponde dazu bewegen, daß ihm ihr zehn Jahre alter Sohn Cristian Ponde in die englische Hauptstadt folgt, um dort sein außergewöhnliches fußballerisches Talent weiter zu entwickeln. Doch der Filius des rumänischen Immigranten-Paares brach in Tränen aus, als man ihn über das Ansinnen des Besuchers unterrichtete. "Ich will aber für Sporting spielen", schluchzte Cristian.
Schließlich bekam Cristian seinen Willen. Das zehnjährige Talent darf künftig für seinen Lieblingsverein in Lissabon kicken. José Ferreirinha reiste unverrichteter Dinge ab - ein seltenes Erlebnis für den Scout des derzeitigen Krösus im europäischen Fußball.
Ob in Lissabon, Barcelona oder London - die Jagd auf die jüngsten Fußballtalente läuft aggressiv wie nie. Woche für Woche werden neue "Wunderkinder" entdeckt, sie und ihre Familien in Versuchung geführt und schließlich von Großvereinen unter Vertrag genommen und so oft entwurzelt.
Vor wenigen Tagen verpflichtete der FC Valencia den elfjährigen Nikon Jevtic, der von seinem Berater Karl-Heinz Förster auch dem VfB Stuttgart angeboten worden war. Der FC Barcelona angelte sich den zwölfjährigen Argentinier Erik Lamela, den auch Arsenal London und AC Mailand umworben hatten. Das jüngste Objekt der Begierde auf dem internationalen Kinder-Fußballmarkt ist Jean Carlos Chera, ein neunjähriger Fußballer aus Südbrasilien. Manchester United und der FC Porto hatten die Fühler nach dem Knirps ausgestreckt, die Eltern entschieden sich schließlich für den heimischen FC Santos.
"Wir leben in einem neuen Zeitalter", sagt der sportliche Leiter von Bayer Leverkusen, Michael Reschke. "Der Markt ist aggressiver geworden." Im vergangenen Jahr war das zwölfjährige Talent Dennis Krol von Leverkusen nach Barcelona gewechselt. Wenige Wochen später sprachen die Scouts der Katalanen bei einem Turnier in Spanien weitere Spieler an. Künftig verzichtet der Werksklub auf Reisen der Nachwuchsteams nach Spanien."(...)
"Das ist doch Piraterie", klagte Jose Maria Aguilar, Präsident von River Plate Buenos Aires, die erfolgreichen Abwerbungsversuche des FC Barcelona im Fall Lamela an. Der katalanische Spitzenklub lockte die Eltern des argentinischen "Jahrhunderttalents" mit der Aussicht auf gutdotierte Jobs und die Geschwister mit Studienplätzen über den Atlantik. Darüber hinaus erhält der 41 Kilogramm leichte Maradona-Fan ein Jahresgehalt in Höhe von 120 000 Euro. Das spanische Sportblatt "As" geht in Zusammenhang noch einen Schritt weiter und beschrieb solche Transfers als eine "Art von fußballerischer Pädophilie".
Das Seelenheil der Kinder spielt dabei auch für die Eltern oft nur eine Nebenrolle. So versuchte ein Taxifahrer aus Frankfurt vor kurzem den FC Bayern mit dem Talent seines 15 Jahre alten Jungen zu erpressen. Er wollte seinen Sohn nur ziehen lassen, wenn ihm der deutsche Rekordmeister eine gutbezahlte Stellung besorgen würde. Bayern München lehnte mit einem Hinweis auf die aktuelle Arbeitslosenquote in Deutschland ab und wünschte Vater und Sohn viel Glück.
Ein noch bedenklicherer Auswuchs der neuen Entwicklung ist bei Nikon Jevtic zu beobachten. Der Knirps wurde an den Bedürfnissen des Marktes geformt. Vor sechs Jahren entdeckte Vater Jevtic, ein wohlhabender Immobilienkaufmann aus Serbien mit Wohnsitz in Großbritannien, das Talent seines Sohnes und entschied, den Jungen zum Fußballstar zu machen. Der ältere Bruder übernahm das Fußballtraining, zwei Mal täglich, die Schwester unterrichtete ihn - eine Schule besucht Nikon bis heute nicht. Vor zwei Jahren zog die Familie nach Österreich, der Vater brachte seinen Sohn in der Fußballakademie von Austria Wien unter. Wie einst Brasiliens Fußballegende Pelé soll Nikon mit 16, so der Wunsch des Vaters, sein Debüt in der österreichischen Nationalmannschaft geben - pünktlich zur Europameisterschaft im eigenen Land. Mit dem Wechsel nach Valencia sind diese Pläne vorerst vom Tisch. Die Vermarktung des Sohnes hat Vorrang. Statt des sperrigen Jevtics firmiert der Clan ab sofort unter dem Namen "El Maestro".
"Er ist wie ein Fußballer, der im Labor gezüchtet wird. Dies ist ein Experiment, das für die Entwicklung des Jungen große Risiken birgt", kritisiert der spanische Sportpsychologe José Carrascosa die Verpflichtung Nikon Jevtics. Auch der deutsche Sportsoziologe Jürgen Buschmann von der Deutschen Sporthochschule in Köln ist skeptisch. "Das eigentliche Leistungstraining beginnt erst mit 15 Jahren." Die Entwicklung davor sei für die spätere Entwicklung weniger ausschlaggebend. "Am Ende entscheidet sogar weniger das Talent als die Persönlichkeit über den Erfolg eines Spielers", so Buschmann. "Ich kann nur warnen, für die Kinder zu viel Geld zu investieren."(...)
unter dem vielversprechenden titel "dem kinderhandel den kampf ansagen" wurden seitens des weltfußballverbandes fifa neue transferregeln eingeführt, die sich jedoch bei genauer ansicht als papiertiger entpuppen:
(...)"Der Status der Spieler wird neu definiert als Amateur oder Berufsspieler (bisher: Nicht-Amateur). Mit dem neuen Reglement sagt die FIFA dem "Kinderhandel" im Fußball den Kampf an, "Kidsnapping", wie es ein FIFA-Funktionär nannte, soll unterbunden werden. Grundsätzlich dürfen Spieler künftig erst ab dem 18. Lebensjahr international transferiert werden. Es gibt aber drei Ausnahmen, die Umgehungen befürchten lassen.
Spieler unter 18 Jahren können international den Verein wechseln, wenn "die Eltern des Spielers aus Gründen, die nichts mit dem Fußballsport zu tun haben, Wohnsitz im Land des neuen Vereins nehmen". Innerhalb der EU und des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) dürfen Spieler schon ab dem 16. Lebensjahr wechseln, wenn der Verein unter anderem eine schulische Ausbildung garantiert oder der Spieler höchstens 50 Kilometer von der Landesgrenze entfernt wohnt und der Verein des benachbarten Verbandes höchstens 50 Kilometer von der Landesgrenze ansässig ist."(...)
(aus einem artikel des kicker vom april 2005)
kurz: wie bei anderen massenwirksamen (tv-)sportarten auch finden sich hier alle erscheinungen wieder, die auf einen tiefgreifenden einfluß verobjektivierender wahrnehmung hindeuten - und zwar bei allen beteiligten: funktionäre, spieler, zuschauerInnen.
4.
weitere aspekte der kapitalisierung seien hier nur kurz angerissen:
wie schon oben erwähnt, sind die großen clubs heute von ihrem selbstverständnis her profitorientierte unternehmen, die sich mit den besonderen unwägbarkeiten des fußballsports herumschlagen. das hindert jedoch millionen- und milliardenschwere unternehmer nicht daran, in der hoffnung auf neue profitquellen ins geschäft einzusteigen - der us-amerikaner malcolm glazer bei manchester united bspw.:
(...)"Bei jedem Heimspiel im ehrwürdigen Stadion am Old Trafford wird der pausbäckige Unternehmer mit dem roten Bart von den Fans verflucht. Glazer-Puppen am Galgen gehören fast schon zum Standardrepertoire. Doch unbeirrt von den Protesten der United-Fans hat Glazer beharrlich an der Übernahme des börsennotierten Klubs gearbeitet.
Seit März 2003 erkaufte sich Glazer einen Anteil von 28 Prozent der Aktien. Nach langem Tauziehen sicherte sich der Milliardär am Donnerstag weitere 29 Prozent, die er den irischen Unternehmern John Magnier und John Paul MacManus abkaufte. Damit hält er die Mehrheit und bietet für die übrigen Aktien. Der Gesamtwert seiner Offerte: 790 Mio. £.
Die Anhänger des mehrfachen englischen Meisters und Europapokalsiegers fürchten jedoch, dass Glazer sie ausbeuten wird. Wie das geht, hat er in Florida gezeigt. Glazer kaufte die abgetakelte American-Football-Mannschaft Tampa Bay Buccaneers. Zur Finanzierung des Deals wurden die Kartenpreise drastisch erhöht und das Merchandising-Potenzial ausgeschlachtet."(...)
oder aber beim fc chelsea (london):
(...)"Roman Abramowitsch begann seine Karriere 1987 mit dem Verkauf von Gummienten. Bald wandte er
sich einem lukrativeren Geschäftsfeld zu: dem Öl. Heute wird sein Vermögen auf 18,2 Milliarden Dollar geschätzt. Wie vielen russischen Neureichen haftet Abramowitsch der Ruch dubioser Geschäftsgebaren an. Seine guten Beziehungen zum Kreml und sein Gouverneursamt in der russischen Provinz Tschukotka sicherten ihm freie Hand in der Wirtschaft. Doch die Gefahr, letztendlich so zu enden wie Michael Chodorchowski, schien groß. Nach und nach verkaufte Abramowitsch seine Beteiligungen in Russland, im Herbst 2005 schließlich auch seine Firma Sibneft. Käufer war der halbstaatliche Konzern Gazprom. Mittlerweile hat er sich als Unternehmer de facto aus Russland zurückgezogen. Der Abschied war lange vorbereitet. Sein Faustpfand für eine Aufenthaltsgenehmigung in England war der FC Chelsea.
Wie bei seinen anderen Unternehmungen bleiben auch die Umstände seines finanziellen Fußballengagements im Dunkeln. „Sind es Waffen? Sind es Drogen? Ist es Öl aus dem Meer?“ lautet ein Schlachtruf der Chelsea-Fans. Und sie geben auch gleich die Antwort: „Stellt keine Fragen!“ 2003 erwarb Abramowitsch die Aktienmehrheit des kurz vor dem Bankrott stehenden Klubs. 215 Millionen Euro kostete ihn das. 158 Millionen Euro investierte er noch im selben Jahr in international hochkarätige Spieler. „FC Chelski“ nannten Spötter fortan den Verein. Und der dient seinem Besitzer als Lebensversicherung. Durch sein Engagement baute er England peu a peu zu seinem sicheren Rückzugsgebiet aus.(...)"
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oder aber ein bekanntes beispiel aus österreich:
(...)"Nachdem Red Bull Chef Didi Mateschitz den österreichischen Bundesligisten SV Austria Salzburg übernahm, wurde aus einem Abstiegskandidaten schnell ein Favorit auf den Meistertitel. Mateschitz holte neue Topspieler wie Lokvenc oder Zickler, Kurt Jara als Trainer und baute das Stadion aus. Somit sollten in Salzburg doch alle zufrieden sein, oder etwa nicht?
Eher nicht. Denn Mateschitz machte noch viel mehr als das. Als erstes änderte er den Klubnamen in Red Bull Salzburg. Das wäre aber nicht das größte Problem gewesen. In einem seiner ersten Interviews nach der Übernahme meinte Mateschitz, dass er auf Tradition großen Wert lege und dass die Klubfarben (violett-weiß) nicht geändert werden. Dies wurde auch bei der ersten Generalversammlung bestätigt.
Bei der Präsentation der neuen Dressen erlebten die Fans der violetten Austria ihr blaues Wunder. Das neue Heimdress war rot-weiß, das Auswärtsdress blau-weiß! Nichts mehr übrig von dem Versprechen, die Klubfarben beizubehalten."(...)
wie schon in manchester kam es auch in salzburg zu einem - aus einer äußeren perspektive her - eigenartigen konflikt zwischen einem teil der fanszene, die sich als traditionalisten bezeichnen lässt, und der jeweiligen neuen clubführung: die umwandlung von klassischen fußballspielen in events, die der alten fanszene greulichen verachtung jeglicher vereinstradition (in salzburg auf die konsequente spitze mit neuem namen und neuen farben - denen von "red bull" - getrieben), die erhöhung der eintrittspreise und die umwandlung von steh- in sitzplätzen führte in manchester gar dazu, dass tausende von "traditionalistischen" fans nach dem scheitern aller abwehrversuche gegen glazer (die teils sogar einen militanten charakter bekamen), einen eigenen club gründeten, den fc united of manchester.
das bemerkenswerte engagement tausender von menschen für ihre freizeitbeschäftigung ist in meinen augen an einer völlig falschen stelle verschwendet - gerade, wenn man(n) sich die allgemeine sonstige gesellschaftliche apathie im angesicht des objektivistischen wahns (von dem die kapitalisierung von allem und jeden einen hauptteil darstellt) anschaut. aber die frage, was hier eigentlich so mobilisierend wirkt, ist durchaus nicht uninteressant - dazu mehr im zweiten teil zum "patriotismus", bei dem sich diese frage ebenfalls verschärft stellt.
- die erwähnten risiken des fußballs führten in den letzten jahren zu einer häufung sog. "skandale", deren kern regelmäßig in diversen manipulationsversuchen an den spielen besteht - großflächig gerade zu bestaunen in der höchsten italienischen spielklasse, der "seria a", bei der verschiedene funktionäre von sog. topclubs wie z.b. juventus turin offensichtlich mit erfolg die meisterschaft nicht nur eines jahres beeinflusst haben - im "vereinsinteresse", was sogar stimmt - weil das vereinsinteresse hier gleichzusetzen ist mit dem profit- und erfolgsinteresse. und hier ist dann auch eine schnittstelle gegeben, die auch in anderen wirtschaftszweigen mehr oder weniger offen zu sehen ist: hin zur organisierten kriminalität, die sich bei florierenden ökonomischen bereichen mit ermüdender penetranz mindestens als struktureller hintergrund finden lässt.
"Die Wettskandale, die 2005 und 2006 die Bundesliga erschütterten, haben der breiten Öffentlichkeit einen alternativen Nutzen des Volkssportes Fußball vor Augen geführt: Mit Fußballwetten lässt sich trefflich Geld verdienen – vor allem, wenn man das Spielergebnis schon vorher kennt. Hatte die Hoyzer-Affäre noch weitgehend lokalen Charakter, gibt es längst ein globales Wettphänomen. So hat die chinesische Wettmafia mittlerweile auch den europäischen Fußball für sich entdeckt. Spiele werden nicht mehr nur auf europäischen Fußballfeldern gewonnen, sondern auch in den Wettbüros in Hongkong und Macao. 2005 wurden in Asien unverhältnismäßig hohe Wetteinsätze auf Fußballspiele in Belgien beobachtet – nicht selten auf Spiele mit sehr eigenwilliger Auslegung der Abseitsregel, fulminanten Eigentoren, lustigen Fehlgriffen der Torhüter oder absolut unberechtigten Elfmetern.
Offiziell verdiente Zheyun Ye sein Geld im Textilgeschäft, aber in Wirklichkeit kaufte er Fußballspiele. Besonders gerne tat er das in Belgien, denn dort hatte er relativ leichtes Spiel. Zwei Vereine standen auf der Gehaltsliste von Herrn Ye: La Louvière und Lierse SK. In zwei weiteren investierte er 375.000 Euro. Die Spieler verloren bei bestimmten Spielen offensichtlich mit so vielen Toren Unterschied, wie Herr Ye es von ihnen verlangte. Einige Spieler und der Trainer haben mittlerweile eingeräumt, von Ye gekauft worden zu sein. Nach Presseberichten wiesen 18 Spiele in Belgien Indizien von Schiebung auf. Auch beim Spiel von Vantaan Allianssi gegen Haka Valkeakoski in Finnland hatte Herr Ye seine Finger im Spiel. Für jeden eingesetzten Euro gab es bei einem richtigen Tipp 8700 Euro Gewinn.(...)"
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- das boomende geschäft mit sport- und besonders fußballwetten (auf das der deutsche staat momentan gerade seine hände legen möchte, um den hauptteil zu kassieren) manifestiert sich hier in der stadt z.b. in einer vielzahl innerhalb der letzten beiden jahre öffnenden privaten wettbüros, bei denen ich irgendwann mit dem zählen nicht mehr hinterherkam. alleine in der straße, in der ich mich gerade befinde, gibt es davon mittlerweile fünf. und trotzdem lässt sich dieses business nicht vergleichen mit den wirklichen global playern, die nicht nur im fußball tätig sind, und deren "legale geschäfte" alleine bereits in vielfältigen teilen als organisierte kriminalität zu begreifen sind.
das fängt bei den hauptsponsoren der wm, "coca-cola"
"Verfolgung von Gewerkschaften mit „Todesschwadronen“ in Abfüllfirmen, Ausbeutung und Kinderarbeit in der Orangenernte, rassistische Diskriminierung"
(hinzuzufügen wären noch ökologische verwüstungen in indien sowie etliche versuche politischer einflußnahmen in der vergangenheit, von der rolle im nationalsozialismus mal ganz abgesehen) und "mc donalds" an
"Kinderarbeit in England und in chinesischen Zulieferbetrieben, Ausbeutung und katastrophale Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben, exzessiver Fleischverbrauch mit negativen ökologischen und sozialen Folgen"
und hört bei den sportartikelherstellern wie "adidas" oder "nike"
"Ausbeutung, Kinderarbeit, sexuelle Belästigung und andere Missstände in Zulieferbetrieben"
noch lange nicht auf (die obigen zitate sind alle der seite markenfirmen.com entnommen - einfach mal auf die logos klicken).
"Im Prinzip sind die Produkte von Nike, Adidas oder Puma austauschbar: Sportbekleidung, die teilweise parallel in den gleichen Dritte-Welt-Sweatshops kostengünstig gefertigt wird. Doch auf dem Weg in die Sportläden der Welt erfahren die Produkte eine magische Wertsteigerung. Denn es geht nicht um einen Schuh oder eine schnöde Turnhose – es geht darum, diese Turnhose mit Persönlichkeit aufzuladen, der Marke also ein bestimmtes Image zu geben. Oft genug liefert die sogenannte Zweite oder Dritte Welt mittlerweile nicht mehr nur das eigentliche Produkt, sondern auch gleich noch das passende Image dazu.
So sicherte sich Nike 1996 bei seinem Einstieg in den Fußballmarkt für einen Preis von 200 Millionen Dollar für zehn Jahre gleich das attraktivste Image: Brasilien. Das steht für barfuss kickende Künstler von der Copa Cabana, das steht für spielerischen, ästhetischen, begeisternden Fußball – eben das Gegenteil des unterkühlten, taktischen europäischen Fußballs. Das ist zwar ein überholtes Klischee – aber die Marke Brasilien funktioniert weltweit. Genauso wie die Marke Kamerun."(...)
Im gleichen Jahr, in dem Nike Brasilien unter Vertrag nahm, kam es auch zu einer einzigartigen Symbiose der Tierwelt, und zwar zwischen Puma und den „unzähmbaren Löwen“ aus Kamerun. Die auf Lifestyle fokussierte Firma profitiert seitdem vom lebensfrohen Image Kameruns. Puma schneiderte den Spielern spezielle, feuchtigkeitsregulierende und schweißabsorbierende Trikots auf den Leib, wegen der afrikanischen Hitze. Diese Trikots kann man seitdem für 68 Euro im frostigen Deutschland erwerben, in Kamerun aber leider nicht, weil das durchschnittliche Monatseinkommen nur 35 Euro beträgt. Deshalb soll im Mutterland des Kamerun-Gefühls eine nichtfeuchtigkeitsregulierende, aber dafür billigere Baumwollvariante angeboten werden.
Zwar hat sich Kamerun nicht für die WM 2006 qualifiziert, aber Puma erweckt mittlerweile den Eindruck, Ausstatter eines ganzen Kontinents zu sein: „Proud supplier of African Football“ lautet der Werbespruch, und tatsächlich tragen vier der fünf teilnehmenden afrikanischen Teams bei der WM 2006 den Puma auf der Brust. Etablierte Mannschaften, wie zum Beispiel Italien oder Tschechien, spielen in der Werbestrategie kaum eine Rolle. Puma setzt bewusst auf das Außenseiter-Image Afrikas, denn das entspricht genau dem Firmencredo. Puma sieht sich selbst als revolutionärer Herausforderer der etablierten Marken Nike und Adidas."(...)
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hier wird sehr schön eine durchaus perverse entwicklung deutlich, die auch in anderen ökonomischen bereichen zu beobachten ist: produktmarken, also bezeichnungen für dinge, werden mehr und mehr durch ihre koppelung mit menschlichen emotionen, sozialen zuständen und images (= konstruierten individuellen und kollektiven identitäten mit mehr oder weniger großem bezug zur realität) beworben und verkäuflich. da die manager der objektivierung durchaus nicht unintelligent sind, haben sie das entsprechende potenzial, welches gerade eine hoch emotionalisierte sportart wie der fußball diesbezgl. bietet, erkannt - und das bleibt natürlich nicht ohne die entsprechenden destruktiven folgen, die in diesem beitrag bereits grob skizziert wurden.

5.
über den hooliganismus - in und rund um den profifußball ein auslaufmodell, nicht hingegen in etlichen unterklassigen ligen - will ich nicht viele worte verlieren. das thema ist durchaus interessant, sollte jedoch nicht unbedingt im fußballkontext gesehen werden. eine der besten soziologischen reportagen, die ich jemals gelesen habe, macht das ganz gut deutlich. wie auch die tatsache, dass zwar etliche klischees über hooligans zutreffend sind, etliche andere wiederum nicht - so ist es z.b. kein "unterklassenphänomen", sondern es finden sich dabei auch akademiker (als extrem wäre die geschichte der festnahme eines mathematikers vor ein paar jahren zu nennen), ärzte, anwälte, polizisten...alles männer. und dieses klischee trifft nicht nur zu, sondern ist eine korrekte aussage über die entsprechende realität: hooliganismus ist ein explizit "männliches" phänomen. dazu eines mit suchtpotential. wie gesagt: wenn Sie einmal eine wirklich erstaunliche parallelwelt kennenlernen wollen, dann lesen Sie buford (und lassen Sie sich nicht vom zugegebenermaßen ziemlich bescheuerten titel abhalten) - er war in der ersten hälfte der 1980er jahre bis ca. 1990 hauptsächlich mit den damals sehr gefürchteten hools von manchester united unterwegs und hat aus den teils drastischen erlebnissen auch ein lesebuch zum thema massenpsychologie gemacht - ein thema, welches bis heute auffällig unterbelichtet ist (gustave le bon und andere "klassiker" in diesem bereich, auch elias canettis "masse und macht", sind imo eher als mehr oder weniger unterhaltsame intellektuelle essays zu verstehen (canetti) oder aber als ziemlich reaktionäres und elitäres geschwafel über "die massen" (le bon, nicht zufällig ein glühender bewunderer von mussolini). realistische analyseversuche der prozesse, die in (gewalttätigen) menschengruppen und -massen vor sich gehen, sind mir jedoch kaum bekannt (und buford versucht leider, seine teils sehr deutlichen und eindrucksvollen subjektiven erfahrungen in verhaltenspsychologischen ansätzen zu begreifen - meiner meinung nach ein fehler. aber das entwertet seine subjektiven beschreibungen keinesfalls).
6.
ein paar worte zum primär sportlichen aspekt der wm will ich mir nicht verkneifen. das beste spiel (von meinen ganz persönlichen eindrücken her) war für mich in der vorrunde: argentinien - elfenbeinküste. brilliante technik, schöne spielzüge, und eine in den entscheidenden momenten abgeklärte argentinische mannschaft. danach kommt erstmal eine weile lang gar nix, und das ist bezeichnend für diese wm - kein vergleich mit den spielen bei der europameisterschaft 2000, dort besonders von frankreich, portugal und den niederlanden. kein vergleich mit wm-klassikern wie dem spiel zwischen brasilien und frankreich 1986 (für mich eines der besten spiele aller zeiten). kurz: im großen und ganzen enttäuschend (besonders brasilien).
die hiesige mannschaft lässt mich dabei ziemlich kalt (nicht die unschönen begleitumstände, aber das ist ein anderes thema). eine der leichtesten vorrundengruppen (costa rica = fußballzwerg; eine im spiel dezimierte und bereits vor der wm zerstittene polnische mannschaft sowie ein b-team von ecuador) zu bestehen, ist imo keine besondere kunst. gegen argentinien und auch italien war sehr deutlich zu sehen, dass dieses team deutliche grenzen hat. und leider spielt portugal faktisch ohne sturm, sonst wären diese grenzen auch gestern wieder zu sehen gewesen.
ich hätte gern einen ronaldinho im anderen zustand gesehen, fühle mich aber durch die renaissance eines zidane durchaus entschädigt - ich würde mir sehr wünschen, dass einer der drei größten spieler aller zeiten heute abend sein letztes spiel angemessen krönen kann - nicht nur wg. seiner teils galaktischen spielweise, sondern auch deshalb, weil er ein sehr uneitler star ist - und dazu einen sehr begrüßenswerten umgang mit vereinnahmungsversuchen und nationalgedöns pflegt :
"So lieb und nett Zidane ist, weiß er seinen Standpunkt durchaus deutlich zu vertreten. Als Frankreichs Rechtsextremist Le Pen, Anführer des Front National (FN), die Auswahlspieler anging, vor Länderspielen gefälligst die "Marseillaise" mitzusingen, konterte Zidane, das er das mit Sicherheit nicht täte, nur um irgendjemandem einen Gefallen zu tun."
was er vermutlich auch heute abend nicht tun wird :-) und dazu ist seitens der französischen mannschaft auch noch einiges andere erwähnenswert - etwa die deutliche absage an den berüchtigten innenminister sarkozy:
"Dieser ist zwar der einzige wirkliche Fußballfan der Regierung, aber seinen Besuch lehnte die multikulturelle Nationalmannschaft ab. Spieler wie Thuram haben Sarkozy nicht verziehen, daß er angesichts der brennenden Autos die Banlieues mit einem Hochdruckreiniger der Marke „Kärcher“ säubern wollte."
undenkbar ein solcher schritt - bspw. schäuble vor die tür zu setzen - von all den "klinsis", "poldis" und "schweinis" (konsequente infantile regression übrigens - was für namen!).
***
alles zum "patriotismus" (und seinen wirkungen bzw. nutznießern) dann im zweiten teil - u.a. mit einem kleinen quiz: welche nachrichten der letzten fünf wochen haben Sie nicht mitbekommen? - und einigen anmerkungen zum bedenklichen revival des begriffs "miesmacher", der in diesem land eine längere tradition besitzt...
(* da es aus mir unerklärlichen gründen schwierigkeiten gibt, links mit der .pdf-endung zu setzen, trage ich also die quelle vieler obiger zitate hier nach: http://www.bpb.de/files/BFAEAD.pdf )
*
edit am 06.10.: eigentlich könnte ich den ganzen beitrag umbenennen und laufend updates veranstalten - in vielen ländern gibt es derzeit sog. skandale und informationen über genau die strukturen, die ich damals zur wm schon angesprochen hatte. die spektakulärsten entwicklungen finden z.zt. gerade in england statt:
(...)"Schnell bemerkte er, dass es nicht immer sauber zugeht in der Multimillionenbranche. "Manche Machenschaften haben mich an modernen Sklavenhandel erinnert", sagt auf dem Berge, "ich habe die schmutzige Seite des Geschäfts gesehen."(...)
aber auch in polen lässt sich nur allzu bekanntes beobachten:
(...)"Jedes Kind in Polen weiß, dass der Fußball hier korrupt ist", sagt Redakteur Tuzimek. Besonders in dieser Saison habe es verdächtig viele Fehlentscheidungen gegeben."(...)
und ein leider nur in der printausgabe der zeitschrift 11Freunde enthaltener artikel beschäftigt sich mit ähnlichen verhältnissen in griechenland.
zusätzlich ist nicht nur in d-land verschärft das thema rassismus beim fußball in den focus gerückt.
alles in allem verschärfen sich die zustände, die es mehr und mehr unerfreulicher machen, sich dem profifußball unkritisch und in der - naiven - hoffnung auf schöne und unbeschwerte spiele mit zeit und aufmerksamkeit zu widmen. die aktuellste meldung in diesem zusammenhang: der russische energiekonzern gasprom will sich medienmeldungen zufolge beim bundesligisten schalke 04 als hauptsponsor betätigen...
"Jürgen Roth, Experte für Wirtschaftskriminalität, nennt Gasprom ein "Selbstbereicherungssystem" mit "kriminellen Strukturen".(...)
tja. that´s business, so kann hier nur die zynische anerkennung der realität lauten. wobei das nicht auf akzeptanz hinauslaufen sollte und darf.
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den angekündigten zweiten teil des beitrags mit dem schwerpunkt "wm-patriotismus" möchte ich hiermit absagen. das thema wird aber zukünftig im allgemeinen kontext hier immer mal wieder behandelt werden.
wie kunst in relevanter weise soziale wahrnehmungsdefizite beheben kann, machen die aktionen zweier menschen deutlich, deren bisher vielleicht nachdrücklichste hier nachzulesen ist:
(...)"Die ganze Sache ist ebenso unglaublich wie kunstvoll eingefädelt. Für den 28. April 2005 luden die Veranstalter der Konferenz "Internationales Zahlungswesen" in London zu einem Vortrag von Erastus Hamm, einem Senior External Managing Consultant des multinationalen Pharmakonzerns Dow Chemical. Unter dem Schwerpunkt "Entscheidende Erfolgsfaktoren zur Kostenreduktion und Prozessoptimierung" sollte er über "vereinfachte durchgehende Kostenkontrolle in Unternehmen" sprechen. Pünktlich stand der Mann vor seinem Publikum, das aus Vertretern internationaler Banken, Investmentgruppen und namhafter Firmen bestand. Einer der Hauptsponsoren der Veranstaltung war Microsoft."(...)
in diesem blog waren die nachweislichen soziopathischen bzw. antisozialen tendenzen gerade innerhalb der sog. "führungseliten" aus politik und wirtschaft schon öfter thema; ihre rücksichtslosigkeit, kälte, und absolute empathielosigkeit im angesicht zu gewinnender profite. ebenso wurden die eigenschaften des diese zustände wahrscheinlich produzierenden objektivistischen modus skizziert. obwohl ich diesbezgl. auf spekulationen angewisen bin, so glaube ich doch, dass zwischen der wahrnehmung "die gehen über leichen" - die schon eine art klischeehafter qualität besitzt -, und der vollen realisierung dessen, was sich hinter diesem klischee wirklich an konsequenzen für unser aller leben verbirgt, bei den meisten menschen immer noch eine erstaunliche diskrepanz existiert.
es ist ja auch ein zu dickes ding: all die seriösen führungspersönlichkeiten , all die quitschbunten und allen bekannten markennamen und die dahinter stehenden unternehmen, all diese ganzen autoritäten sind in ihrer absoluten mehrheit hauptsächlich damit beschäftigt, schwere pathologische zustände auszuagieren bzw. ausdruck dieses ausagierens? gar teil und ausdruck von weltweit existierenden mafiösen strukturen in staaten, ihren institutionen und großen unternehmen, die auch ohne bedenken mit mord und terror "arbeiten", wenn´s ihnen gerade in den kram passt?
"das ist doch zu übertrieben"; "es sind doch nicht alle so"; "eine zu radikale perspektive" (die ich persönlich dringend nötig finde), und dergleichen mehr. ist ja auch unbequem, bedrohlich und beängstigend, sich mit einer solchen realität - bereits alleine als möglichkeit - zu beschäftigen. würde ja auch fragen nach der eigenen involviertheit aufwerfen - warum dulde(n) ich / wir verhaltenweisen und extremste grenzüberschreitungen, welches wir bei auch nur rudimentärer klarer wahrnehmung deutlich - und zwar auch im ganz eigenen überlebensinteresse - ablehnen müssen?
es gibt zu dieser frage einige erklärungsansätze, u.a. von seiten der psychohistorie aus - aber dazu ein andermal. jetzt geht es um wahrnehmungserweiterung, und das folgende sollten sich v.a. diejenigen genau durchlesen, die ich persönlich als abwiegelnd empfinde - diejenigen, die einfach nicht wissen und glauben möchten oder können, wie krank - ja, genau das - diejenigen tatsächlich sind, die hier bisher die realität bestimmen und gestalten.
(...)"Er berichtete, Dow Chemical habe eine Lösung für Risiko-Berechnungen in der Chemiebranche gefunden, nämlich das Datenbankprogramm Acceptable Risk™, inklusive eines Kalkulators. Der Logik des Marktes entsprechend sei nur mit hohem Risiko auch hoher Gewinn zu machen. Hohes Risiko jedoch heiße für Chemiekonzerne vor allem hohes Umweltrisiko, mitunter sogar tödliche Gefahr für anwohnende Menschen. Da in den westlichen Staaten die Sicherheitsanforderungen zu hoch seien, lohne sich die Investition hier kaum. Jetzt aber könne Dows Risiko-Kalkulator den geeigneten Standort für Konzerne ermitteln, an dem aus potentiellen Leichen kein finanzielles Fiasko würde, sondern gewissermaßen goldene Leichen. Er nannte sie golden skeletons. Zur Ausführung dieser These ließ er wie selbstverständlich einige Beispiele aus der Geschichte einfließen: Die Napalm-Opfer in Vietnam seien für Dow Chemicals, sagte Hamm, wie viele durch die Nazis vernichtete Juden wiewohl Leichen im Keller, dennoch goldene, also profitable Skelette.
Als letzten Höhepunkt seines Vortrags entließ Erastus Hamm seine Zuhörer mit den Worten "the only good skeleton is a gold skeleton" und enthüllte unter dem Beifall des Publikums die Figur neben ihm: Gilda, ein goldenes Skelett. Über der Brust trug sie eine Schärpe mit der Aufschrift "Dow Acceptable Risk".(...)
wie reagierten nun die anwesenden führungskräfte auf die darstellung ihrer selbst als quasi völlig hemmungslose kannibalen in nadelstreifen und schicken kostümen? empört? aber aber, da würden Sie denen zuviel menschlichkeit zutrauen:
(...)"Nach dem Vortrag trat der eine oder andere Zuhörer nach vorne, überreichte eine Visitenkarte, um die versprochene kostenlose Test-Version des Programms Acceptable Risk™ oder auch nur den Schlüsselanhänger mit Gildas Kopf zu erhalten. Einige der Banker und Manager ließen sich sogar lächelnd mit dem Goldskelett fotografieren."(...)
sie wissen, was sie tun. und wie sie es tun, können alle wissen, die´s interessiert - erinnern Sie sich noch an die in vielen prozessen gegen bspw. kindsmordende und -quälende eltern und familienmitglieder, aber auch gegen gewalttätige jugendliche immer wieder konstatierte gleichgültigkeit?
(...)"Wenn man das Video sieht, den Vortragstext liest und die Powerpoint-Präsentation betrachtet, irritieren weniger die zynischen Wahrheiten, die der Sprecher professionell-beiläufig erwähnt, als die völlige Gleichgültigkeit der Zuhörer. Es regte sich kein Unmut. Zwar zuckten ein paar von ihnen mit den Achseln, aber die meisten zeigten sich eher belustigt von der Performance und dem goldenen Skelett. Sie reagierten, als handele es sich um ein Spielchen und als wären es bloß nette Anekdoten, die der Redner gerade erzählt hatte."(...)
"sie" empfinden das als ihre normalität. wie war das noch? "Das Wesen einer Psychose besteht gerade darin, dass die Patienten sich für gesund halten"
(...)"Das an sich wäre bereits fatal, aber die Wahrheit scheint noch erschreckender zu sein: Vertreter derjenigen, die die wirtschaftliche Macht haben, um die Welt zu bewegen, scheinen nicht zu merken, wo sie welche Grenzen im Namen des Marktes überschreiten oder längst überschritten haben. Die versammelten Banker und Investoren zumindest haben die von Erastus Hamm beschworenen Leichen im Keller der Großkonzerne wohl eher als gefallene Spielfiguren in einem globalen Monopoly begriffen, denn als das, was sie sind: getötete Menschen."(...)
das wort "scheinen" im obigen absatz dürfen wir getrost streichen - sie merken´s wirklich nicht bzw. können es aller wahrscheinlichkeit aus den gesetzmäßigkeiten der dominierenden psychophysischen zustände heraus nicht (mehr) merken.
die grenzen werden von außen gesetzt werden müssen. und Sie dürfen jetzt darüber nachdenken, wer das tun muss, sogar als einzigste kraft tun kann. weder wird im letzten moment die kavallerie zur rettung kommen, noch irgendwelche freundlichen e.t.´s. und ebensowenig wird bruce willis im verschwitzen unterhemd im großen finale die kastanien aus dem feuer holen. no chance.
wenn Sie mit einem schwer bewaffneten und amoklaufenden irren in einem raum eingeschlossen wären, der Ihnen die ganze zeit erklärt, warum es unbedingt nötig und ökonomisch sinnvoll ist, jetzt mit Ihnen schluß zu machen (und Ihnen vorher noch etwas gnadenfrist einräumt unter der bedingung, dass Sie sich noch etwas nützlich machen) - was würden Sie tun? der raum - eigentlich durchaus annehmbar eingerichtet und mit allem nötigen versehen - hat keinen ausgang, der irre hat hier und da schon einige feuerchen entfacht und versucht Ihnen noch dazu ständig einzureden, dass dieser raum im aktuellen zustand die "beste aller welten" darstellen würde und quasi einen "naturzustand" bilden würde. was tun Sie?
ich bin mir sicher, dass Sie die antwort irgendwo in sich schon wissen.
im november letzten jahres wurde hier in einem beitrag u.a. über das reduzierte schmerzempfinden bei menschen mit borderline-diagnose und "selbstverletzendem verhalten" (svv) berichtet. zu diesem phänomen liegen nun neue forschungsergebnisse vor:
(...)"Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) fügen sich typischerweise selbst Verletzungen zu, so z.B. schneiden oder brennen sie sich oder schlagen mit dem Kopf gegen die Wand, und berichten dabei von reduzierter Schmerzwahrnehmung bis hin zu völliger Schmerzlosigkeit. Das Forscherteam um Schmahl und Greffrath hatte in einer früheren Arbeit (PAIN 2004; 110: 470-479) gezeigt, dass jedoch die Schmerzentstehung und die Schmerzweiterleitung bei diesen Patientinnen völlig normal funktioniert und auch, dass die schmerzverarbeitenden Nervenzellen im Gehirn der BPS-Patientinnen zunächst noch normal auf schmerzhafte Reize reagieren. Die Wissenschaftler hatten daher gemutmaßt, dass somit im Gehirn dieser Patientinnen die Entstehung von Schmerzempfindungen aktiv unterdrückt werden müsse.
Der Aufklärung der zentralnervösen Hintergründe dieses ungewöhnlichen Phänomens sind die Forscher nun einen großen Schritt näher gekommen. Sie untersuchten aktuell in Kooperation mit Erich Seifritz (Universitätsklinik für Psychiatrie, Bern) und weiteren Arbeitsgruppen aus Deutschland, Italien und der Schweiz, wie sich die zentralnervöse Verarbeitung von Schmerzreizen im Gehirn von Patientinnen mit BPS von der bei gesunden Versuchspersonen unterscheidet. Hierfür wurden sowohl objektiv identische als auch subjektiv gleich schmerzhaft empfundene Hitzereize auf den Handrücken der Versuchspersonen gegeben. Die Schmerzhaftigkeit wurde von den Teilnehmerinnen subjektiv bewertet während - mittels funktioneller Bildgebung in der Kernspintomographie - Hirnareale identifiziert wurden, die der Erkennung, Verarbeitung und Bewertung dieser Schmerzreize dienen."(...)
"Der dorsolaterale präfrontale Kortex, ein Hirnareal, das der kognitiven Schmerzbewertung dient, zeigte unmittelbar nach der Hitzereizung bei den Borderline-Patientinnen eine erhöhte Aktivität gegenüber Gesunden. Nachfolgend wurde in der Hirnrinde des vorderen Cingulums und in der Amygdala der Patientinnen die Aktivität deutlich reduziert - diese Hirngebiete sind dafür bekannt, dass sie der affektiven Bewertung von Schmerzreizen dienen. Dies legt den Schluss nahe, dass bei den Patientinnen mit Borderline-Störung eine erhöhte kognitive Kontrolle zu einer niedrigeren affektiven Schmerzbewertung führt und damit zur Schmerzunempfindlichkeit. Man kann vermuten, dass starke Schmerzreize zu einer Beruhigung von Hirnsystemen führen, die für die Verarbeitung von starken Emotionen verantwortlich sind.
Selbstverletzungen bei Borderline-Patientinnen können also in gewisser Weise als ein Selbstheilungsversuch angesehen werden. "Somit verfügt unser Gehirn offensichtlich über sehr effektive neuronale Netzwerke zur Unterdrückung von Schmerzen. Wenn wir diesen Mechanismus genauer verstehen, können wir möglicherweise in Zukunft von den Borderline-Patientinnen lernen, wie wir chronischen Schmerzpatienten besser helfen können", so die Autoren."(...)
was könnte nun eigentlich der begriff der "kognitiven kontrolle" in diesem zusammenhang bedeuten?
"Kognitive Kontrolle
- wird dann ausgeübt, wenn eine Person durch eine kognitive Strategie die wahrgenommene Aversivität eines Ereignisses reduziert
- Strategien sind: Ablenkung, Konzentration auf die positiven Aspekte eines Ereignisses, Uminterpretation des Ereignisses als harmlos, Einnehmen einer sachlich-analytischen Position, Sinnverleihung etc.
- hat fast ausschließlich positive Auswirkungen auf die antizipatorische Erregung als auch auf die empfundene Aversivität der
Stimuli (Thompson, 1981)
- bessere Noten bei Schülern, die Strategien wie Intellektualisierung, Isolation, Verneinung oder Rationalisierung anwenden
- elektr. Schläge werden als weniger belastend empfunden, wenn diese als interessante Erfahrung eingestuft werden, und Ruhe und Uninvolviertheit empfohlen wurde
- weniger Schmerzmittel und weniger Streß bei Operationspatienten, wenn diese vorher beruhigende Selbstgespräche, kognitive Uminterpretationen oder Ablenkungs- und Selbstbewältigungsstrategien durchführen konnten"
(quelle)
"Uminterpretation, Einnehmen einer sachlich-analytischen Position, Konzentration, Intellektualisierung, Isolation, Rationalisierung" - wenn Sie in diesem blog häufiger zu besuch sind, wird Ihnen wahrscheinlich recht schnell die assoziation zum bereits oft erwähnten objektivistischen modus gekommen sein. tatsächlich stellen die obigen attribute allesamt kennzeichen dieses modus dar, der zur menschlichen grundausstattung gehört und beim "korrekten" funktionieren als werkzeug innerhalb einer voll entwickelten und primär in der ganzkörperlichen (selbst-)wahrnehmung verankerten subjektivität zur verfügung steht. wie am aspekt der schmerzunterdrückung/verringerung zu sehen ist, kann er dabei wertvolle und durchaus sinnvolle dienste leisten. zum problem - und das wurde hier in vielen beiträgen zu den verschiedenen beziehungskrankheiten wiederholt skizziert - wird er dann, wenn er durch verschiedene mögliche pathogene (z.b. traumatische) einflüsse "entgleist" ist (was vermutlich in ganz unterschiedlichen entwicklungsphasen geschehen kann, bspw. bereits pränatal) und in der folge die gesamte subjektivität dominiert.
aus dieser sicht betrachtet, sprechen also die oben skizzierten neuen erkenntnisse meiner meinung nach für das modell des außer kontrolle geratenen objektivistischen modus. vielleicht lässt es sich so ausdrücken: beim svv steht der sich quasi fiktiv verselbstständigende objektive modus dem eigenen körper in deutlicher distanz gegenüber, dessen affektive wahrnehmungen (emotionen) als zu unerträglich empfunden werden. das sozusagen in diesem fall "überbewusste" (objektive) bewusstsein arbeitet dabei mit den typischen strategien der wahrnehmungsreduktion, wie konzentration, rationalisierung, isolation. ich vermute, dass sich diese "überbewusstheit" (verrückte objektivität, fiktive/virtuelle "realität") sogar zumindest in einzelnen situationen in einem deutlich tranceartigen zustand ausdrückt - der aspekt der dissoziation sollte hier nicht in vergessenheit geraten.
wie gesagt, steht dieses objektive werkzeug uns allen zur verfügung. entscheidend ist aber, wie das verhältnis dieses werkzeugs zur subjektivität aussieht. und diesbezgl. sind die beziehungskrankheiten die nachdrücklichste manifestation dessen, was eine krankhafte verschiebung dieses verhältnisses sowohl individuell als auch gesellschaftlich für katastrophale folgen haben kann.
das svv auch "in gewisser weise als selbstheilungsversuch" angesehen werden kann, stellt dabei keinesfalls einen widerspruch dar. das menschliche "funktionsganze" ist in dieser hinsicht sehr einfallsreich, wenn es um das eigene überleben geht. das große problem dabei ist nur, dass viele wege zu diesem ziel offensichtlich dysfunktional sind - auf dauer scheiternde versuche der selbstrettung (wenn denn überhaupt ein selbst im üblichen sinne vorhanden ist - daran gibt´s ja bekanntlich so einige zweifel, siehe die "als-ob-persönlichkeit").
da svv ja auch bei autistischen menschen und bei traumabetroffenen auftauchen kann, wäre ein neurophysiologischer vergleich vermutlich sehr aufschlußreich - die nicht wahrgenommenen eigenen körpergrenzen mittels direkter physischer manipulation spüren zu wollen, scheint mir ein einleuchtender erklärungsansatz für das svv im autistischen spektrum zu sein. ebenso wie das bild im traumakontext, quasi mittels eines "gegenfeuers" zu schmerzhafte gefühle aus der eigenen wahrnehmung zu verbannen. ob es dabei relevante unterschiede oder gemeinsamkeiten (von denen gehe ich persönlich aus) in den beteiligten neurophysiologischen mechanismen gibt, dürften entsprechende forschungen für das verständnis dieser zustände sehr hilfreich sein. falls Ihnen in dieser hinsicht weitere informationen vorliegen - Sie kennen ja die kommentarfunktion.
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weil ich nun gerade beim thema borderline bin, möchte ich Ihnen folgenden prozeßbericht nicht vorenthalten:
"Im Lübecker Mordprozess gegen den Schwerverbrecher Christian Bogner hat eine psychiatrische Sachverständige den Angeklagten für voll schuldfähig erklärt. Bogner sei nicht geistesgestört, leide jedoch an einer Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typus, sagte die Hamburger Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Freitag vor dem Landgericht. Der vielfach vorbestrafte Bogner soll laut Anklage den arbeitslosen Gärtner Engelbert Danielsen aus Eutin umgebracht haben, um nach einem Gefängnisausbruch dessen Identität anzunehmen."
identitätsdiebstahl? erinnern Sie sich noch an mr. ripley?
und wie neulich schon einmal thematisiert, müssen auch bei dieser geschichte einige fragen zu den verwendeten diagnostischen modellen gestellt werden:
"Es gebe keine Anhaltspunkte für eine psychotische Erkrankung. "Das Wesen einer Psychose besteht gerade darin, dass die Patienten sich für gesund halten", sagte die Ärztin vor Gericht."
ich frage mich, ob die ärztin schon mal etwas von simulativen zuständen und fähigkeiten und den möglichen grundlagen gehört hat? der täter kann hier durchaus versucht haben, aus ihm bekannten klischees/fragmenten so etwas wie ein "objektives" bild einer psychose zu konstruieren. was die psychiaterin - aus ihrer ebenfalls objektiven sicht berechtigt - als unglaubhaft abtut. soweit nachvollziehbar.
wenn der täter aber "bewusst" simuliert: würde das ausschließen, dass er sich vielleicht selbst ebenfalls für gesund hält? wie im beitrag neulich schon angesprochen, sehe ich hier mal wieder die möglichkeit gegeben, dass die orthodoxen kriterien für einen psychotischen zustand völlig in die irre führen. wer einen anderen menschen zum zwecke des identitätsdiebstahls umbringt, muss sich schon mindestens in einem außergewöhnlichen zustand befinden. berechnend und kaltblütig. halt sehr objektiv. und mit einigen fähigkeiten zur anpassung und kontrolle der aktuellen realitätsstandards. das schließt nach den herrschenden diagnostischen modellen einen grundsätzlich psychotischen zustand natürlich aus.
meine gegenthese ist vor diesem hintergrund weder überraschend noch neu: diese art von berechnender und kalter / empathieloser objektivität, die vielleicht sogar eine gesteigerte fähigkeit zur bewältigung der aktuellen herrschenden realität mit sich bringt (in der gefühle und weitere bestimmte elementare (selbst-)wahrnehmungen grundsätzlich einen unsicheren status haben), lässt sich spätestens bei dominierender position in einem menschen mit guten gründen als schwer pathologisch und durchaus auch als psychotisch ansehen.
bogners vermutliche simulation eines psychotischen zustands (mittels "objektiv" anerkannter kriterien wie halluzinierter stimmen u.ä.) lässt sich von daher auch als sekundäre und situationsbedingte simulation einer grundsätzlich simulativen persönlichkeit auffassen, die z.b. auch keine großen schwierigkeiten mit der vorstellung hat, in fremde identitäten zu schlüpfen - weil es keine authentische eigene identität gibt.
und wenn jemand keinen anderen zustand kennt oder aber nicht bspw. durch vergleiche auf die besonderheit dieses zustands aufmerksam wird, sehe ich keinerlei gründe dagegen, warum sich so eine person nicht selbst für gesund halten sollte. sowieso wandelt die ärztin mit dem ansatz, das gerade genannte kriterium zum "wesen" einer psychose zu erklären, schon auf einem schmalen grad (offensichtlich, ohne das es ihr aufgefallen wäre): wie viele politiker, aufsichtsräte, militärs... halten eigentlich sich selbst für durchaus "gesund und realitätsangepasst"? auch wenn eigentlich inzwischen selbst größten ignoranten so einiges auffallen sollte...zwei auszüge aus tp-artikeln bringen diesen sachverhalt zwar etwas populistisch, aber inhaltlich durchaus zutreffend auf den widerlichen und bedrohlichen punkt:
"Wenn man Ihren Ausführungen folgt, bekommt man den Eindruck, das Land werde von Kriminellen, Gesinnungslosen und Geisteskranken regiert, die das öffentliche Eigentum im Dienste von Privatunternehmen zu ihren Gunsten und zu Lasten der Bürger kaputt sanieren."
"In Politik und Film drängt sich die gleiche Frage auf: Wie verrückt muss ein Staatschef sein, der die Bombe wirft?"
der unterschied zu leuten wie bogner liegt bis auf weiteres mit hoher wahrscheinlichkeit vor allem darin, dass jene nur selten bis nie vor gericht stehen. und noch seltener bis niemals psychiatrischer diagnostik unterworfen sind, die praktischerweise dazu bisher so eingerichtet ist, dass sie gerade die schlimmsten und destruktivsten psychophysischen zustände nicht als pathologisch begreifen will - wg. "objektiver realitätskontrolle".
miese zeiten sind`s, in denen die verrückte objektivität als fetisch vergötzt und ihre übelsten repräsentanten bestenfalls ignoriert werden - ohne, dass das wahrscheinliche grundproblem überhaupt auf den tisch kommen würde.
in den letzten wochen hat sich mal wieder so einiges angesammelt - und falls Sie gerade das erste mal hier zu besuch sein sollten und sich über die auswahl wundern: in diesem blog geht es primär um tatsächliche, hypothetische, mögliche und unmögliche zusammenhänge zwischen dem spektrum "psychischer störungen", welches sich am besten mit dem begriff beziehungskrankheiten fassen lässt und den in vergangenheit und gegenwart herrschenden sozialen und ökonomischen verhältnissen nicht nur in dieser gesellschaft.
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fangen wir an mit dem stichwort borderline: für regelmäßige leserInnen hier wird die beobachtung, dass seit längerer zeit diese diagnose öfter in forensischen gutachten besonders in zusammenhang mit prozessen rund um gewalt gegen kinder bis hin zum mord auftaucht, nichts neues darstellen. und so überraschen auch meldungen wie die folgende zwar nicht, thematisieren jedoch unfreiwillig wieder einmal mehr die sichtbaren und möglichen defizite und bruchstellen in der orthodoxen psychiatrischen betrachtungsweise des borderline-phänomens - im bericht über den prozeß gegen die eltern der ermordeten karolina sieht das so aus:
(...)"Der Verdacht wäre ohne Geständnis eben auf beide gleichermaßen gefallen." Dazu komme das Verhalten der Angeklagten in der Haft - "kein Bedauern, sie haben getanzt und waren bester Laune". Wer ernsthaft den Tod seines Kindes betrauere, verhalte sich anders.(...)
Wenig Eindruck machte auf die Kammer auch, was Nedopil und Weber vortrugen. A. trieb zwar Missbrauch mit Drogen, Alkohol und Tabletten, bei ihm könne durchaus auch eine Borderline-Störung vorliegen - doch welche strafrechtliche Relevanz habe dies für Karolinas Tod, fragten die Richter. Die Kammer habe "erhebliche Zweifel, ob sich die Tat überhaupt so zugetragen habe, wie von den Sachverständigen angenommen". Die sadistischen Quälereien hätten über Tage angedauert, gleichsam nach einer Art "Masterplan".
Wenn das Kinde nicht wie ein dressierter Hund parierte, habe es geheißen: "Jetzt braucht sie's wieder." Ein Leiden an der Borderline-Störung, wie der Bundesgerichtshof es fordere für den Fall einer Schuldminderung, sei bei A. nicht festzustellen. "Da haben die Sachverständigen ihre Sicht der Dinge zugrunde gelegt - von der Lebensgefährtin verlassen, ohne Beruf, ohne Aussicht auf Besserung der Verhältnisse. Aber ihm hat's ja gefallen, sein Leben als Pascha. Er ließ seine Lebensgefährtin sitzen, weil ihm Zaneta besser gefiel. Das ist alles. Da war kein Leiden, keine Notlage, kein Zwang. Karolina war für ihn das Kind eines Zuhälters, ein Bastard ohne Lebensrecht, der die sexuelle Beziehung nicht stören sollte." A.s eigenes Kind, auch ein Mädchen, habe er nach Zeugenaussagen dagegen immer liebevoll und fürsorglich behandelt, "wenn er nicht gerade in Haft oder in der Psychiatrie war". Das passe ja wohl nicht zu einer gestörten Persönlichkeit.(...)"
was ich vom letzten satz halte? ich sehe darin eine art institutionell (psychiatrie und auch justiz) gebilligten/erwünschten und ideologisch (mittels der herrschenden diagnosenkonstruktionen) unterfütterten selbstbetrug; besser: eine typische art fragmentierender wahrnehmung, von der hier zumindest die richter komplett befallen zu sein scheinen. selbst in der orthodoxen psychiatrie ist es imo weitgehend eine anerkannte tatsache, dass gerade störungen aus den bereichen borderline / narzisstischer / antisozialer ps keineswegs für die betroffenen selbst immer mit leid verbunden sein müssen, sondern das im gegenteil primär die soziale umwelt unter den ausagierten symptomen des betroffenen menschen enorm leiden kann. das scheint sich jedoch in justiziellen kreisen noch nicht herumgesprochen zu haben.
wobei ich vermute, dass es in der psychiatrie und auch in der justiz einige gibt, die sich vielleicht vor den unvermeidlichen konsequenzen fürchten, wenn bestimmte diagnostische modelle etwas realitätsgerechter ausfallen würden: wie oben im prozeßbericht geschrieben, kommen die richter offensichtlich nicht mit dem - äußerlichen - widerspruch zurande, einer person, der sie extrem kalkulierendes und eiskaltes verhalten einerseits, aber eben auch "missbrauch mit drogen, alkohol, tabletten" (auch hier übrigens ist fragmentierende - und gesellschaftstragende - wahrnehmung beteiligt: alle genannten stoffe sind faktisch psychoaktive drogen) und damit ein meistens untrügliches indiz für psychophysische probleme andererseits attestieren. der angeklagte leidet ihnen zuwenig - und genau mit dieser impliziten aussage machen sie die mangelhaftigkeit der diagnostischen modelle recht deutlich, wie ich finde.
der justizielle (bzw. objektivistische) blick dürfte sich auch von den erwähnten zeugenaussagen getäuscht haben lassen, die dem angeklagten mann eine "immer liebevolle und fürsorgliche" behandlung des eigenen kindes zuschreiben. das darf berechtigt angezweifelt werden, besonders wenn wir an die möglichkeit simulativer - als-ob - zuneigung bzw. pseudoempathie denken. mir kamen bei dieser passage recht schnell mal wieder die kz-kommandanten des naziterrors in den sinn, bei denen ähnliche beobachtungen - tagsüber eiskalte killer, am abend die "fürsorglichen" und sentimentalen familienväter - bis heute für ratlosigkeit bei konventionellen historikern sorgen, die ähnlich wie die justiz grundsätzlich der reduktionistischen und fragmentierenden theorie und praxis der westlichen wissenschaft verpflichtet sind.
wenn wir dagegen mal von den (medial) bekannten tatsachen ausgehen, haben wir folgendes bild: a) ein grausam vernachlässigtes und gefoltertes totes kind, b) ein mann (stiefvater) und eine frau (mutter), die dieses kind zwingend in einem objektmodus wahrgenommen haben müssen (anders hätten sie nicht so handeln können), unter extremer empathiereduktion, c) die dazu noch die ebenfalls in solchen prozessen regelmässig festgestellten "begleitsymptome" wie gleichgültigkeit, kalkül und desinteresse am leiden ihres opfers zeigen.
wenn Sie sich nochmal die basisbeiträge "borderline" und "als-ob-persönlichkeiten" ins gedächtnis rufen, werden Sie vermutlich selbst zu dem schluß kommen, dass die dort vorgestellten alternativen erklärungsansätze für derartige konstellationen wie eben beschrieben sehr viel plausibler erscheinen als das, was orthodoxe psychiatrie und justiz in erklärung und umgang mit solchen geschehnissen anzubieten haben. vielleicht liegt für diese institutionen der unerträgliche und strikt zu verleugnende knackpunkt darin, dass sich tiefgreifende störung und scheinbar "objektiv" realitätsangepasstes verhalten nicht nur nicht ausschliessen, sondern sogar ein sehr der aktuellen realität angepasstes verhalten - und zwar im sinne einer totalen akzeptanz der herrschenden normen - ein starkes indiz für eine schwere psychophysische störung darstellen kann, nämlich dann, wenn diese herrschenden normen als einziges "objektives" kriterium für menschliches sein und handeln zugelassen werden, unter mißachtung aller "nur" subjektiven oder gar "weichen" menschlichen möglichkeiten (empathie, liebe, solidarität).
selbst bei einer nur teilweisen akzeptanz dieses ansatzes würde das bspw. in einem fall wie dem obigen deutlich machen, dass der angeklagte tatsächlich "nur" bestimmte (ideologische) grundsätze und (falsche) grundannahmen dieser gesellschaft konsequent "gelebt" bzw. angewendet hat: "der mensch ist prinzipiell egoistisch"; "man(n) muss seine ellenbogen einsetzen", "gut ist, was mir nützt" und dergleichen mehr. das ermordete kind wurde einfach als störendes und hinderliches ding auf dem weg zur jämmerlich reduzierten befriedigung wahrgenommen, und dementsprechend "behandelt" - was unterscheidet also das mörderische handeln dieser eltern eigentlich prinzipiell vom ebenso mörderischen handeln vieler staatlicher institutionen und großen unternehmen in dieser welt? in der rücksichtslosigkeit, kälte und vorgeschobenen behauptung "objektiver zwänge" sowie der völligen unterwerfung bzw. identitätskonstruktion unter und mittels herrschender ideologischer fragmente lassen sich für mich keine großen unterschiede feststellen. zu solchen schlüssen darf eine grundsätzlich rachebedürfnisse erfüllende und der präventiven abschreckung dienende (ersteres wird ebenso grundsätzlich verleugnet) justiz natürlich nicht kommen, würde sie doch dann noch mehr als jetzt in ihrer funktion als herrschaftsinstrument sichtbar werden und letztlich ihren als-ob-charakter einer angeblich "objektiven und überparteilichen" instanz verlieren, weil sie weder tatsächliche gerechtigkeit ausübt, noch den täterInnen eine chance bietet, ihr leben tatsächlich zu verändern (knäste machen bekanntlich alles nur noch schlimmer, was sogar die etablierten zuständigen wissenschaften sehen - ohne daraus konsequenzen ziehen zu wollen). beide eben genannten punkte hängen stark mit dem zusammen, was ich hier schon früher als täter-opfer-dialektik benannt habe - und genau diese dialektik wird bis auf weiteres konsequent ignoriert. das wurde auch schon in früheren prozeßberichten deutlich, siehe z.b. hier.
der begriff "klassenjustiz" erfasst die ganze fragwürdigkeit des justizapparates nur unzureichend, auch wenn das wort für den betreffenden bereich imo natürlich zutreffend ist (harte urteile gegen manager, politiker u.a. angehörige der "eliten" kommen i.d.r. nur zustande, wenn die betroffenen bereits vorher von ihren jeweiligen kumpanen ver- und ausgestoßen worden sind). der eigentliche strukturelle defekt der heutigen justiz liegt jedoch imo betrachtet in genau der katastrophal falschen anthropologie, die sich in so ziemlich allen bereichen der gesellschaft finden lässt - unser bild von uns selbst ist befrachtet von schlichter unkenntnis über das eigenen "funktionieren", die eigenen möglichkeiten bzw. unmöglichkeiten, einer verheerenden körperfeindlichkeit sowie der verherrlichung ausgerechnet der schlimmsten menschlichen möglichkeiten incl. offen schwer pathologischer zustände. kurz: was wir uns angewöhnt haben, hinsichtlich uns selbst und unserer mitmenschen als "normal" zu betrachten, ist in der realität eher zu einem viel zu großen teil zugleich ausdruck und produkt eindeutig pathologischer menschlicher defekte. und das impliziert als nötige gegenmaßnahme u.a. eine radikale wahrnehmungsänderung, die erstmal und besonders das anscheinend "selbstverständliche" in frage stellen muss.
natürlich sind die beiden angeklagten auf ihre jeweils individuelle art und weise im weitesten sinne (schwer) gestört - aber es ist völlig unzulässig, das als ihr "persönliches" problem abzutun. natürlich müssen sie für ihr handeln spürbare konsequenzen erleben - unter beachtung der schutzinteressen anderer menschen -, die ihnen ermöglichen, sich in den ihnen erreichbaren grenzen zu verändern. aber es ist völlig fraglich, ob gefängnisstrafen neben schutzinteressen irgendetwas anderes erfüllen können (von rachebedürfnissen in diesem fall zu reden, ist eh absurd - wenn das kind überlebt hätte, könnte es als einzige mit subjektiver berechtigung derartiges vertreten. keinesfalls aber direkt unbeteiligte, die derart hauptsächlich ihre eigenen sowie gesellschaftlich ressentiments und projektionen ausagieren). solche taten, die darauf folgende "rechtsprechung" und die öffentlichen reaktionen sprechen in ihrer ganz eigenen und beklemmenden weise von einer gesellschaft, die von ihren selbst produzierten mörderischen realitäten nichts wissen will und sich lieber im schein und in inszenierungen verliert - und in diesem punkt unterscheiden sich angeklagte, richter und auch das zuschauende und "pfui! hängt sie!" rufende publikum kein stück.
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aus österreich kommt der folgende prozeßbericht, bei dem auf andere weise die mängel der diagnostischen konstruktionen sowie des justiziellen umgangs deutlich werden:
"Während sich der 21-jährige Vater der kleinen Iris-Maria, die Anfang Februar 2006 an den Folgen ihrer Verletzungen gestorben ist, am 21. Juni wegen Mordes vor einem Wiener Schwurgericht verantworten muss, hat die Staatsanwaltschaft Wien das Verfahren gegen die Tante des dreijährigen Rene eingestellt. Ein psychiatrischer Sachverständiger bescheinigt der Frau, die den Kleinen schwer misshandelt haben soll, Zurechnungsunfähigkeit zum Tatzeitpunkt und stuft sie als "nicht gefährlich" ein.(...)
Der mittlerweile 21 Jahre alte Vater soll sich im gerichtlichen Vorverfahren teilweise geständig gezeigt haben. Gegen die 25-jährige Kindesmutter, die von den Misshandlungen gewusst und diese teilweise mitangesehen haben soll, war die Voruntersuchung vorerst noch nicht abgeschlossen.
"Es ist noch ein psychiatrisches Gutachten ausständig", stellte ihre Anwältin Irene Pfeifer am Mittwoch auf Anfrage der APA fest. Die Frau soll dem Vernehmen nach an einem Borderline-Syndrom leiden. Von der gerichtspsychiatrischen Expertise wird abhängen, ob die Justiz weiter gegen die 25-Jährige vorgehen wird. Derzeit wird gegen sie wegen Verletzung ihrer Obsorgepflicht bzw. Vernachlässigung einer Unmündigen im Sinne des Paragrafen 92 Strafgesetzbuch und nicht wegen Mordes als Beitragstäterin ermittelt. Sollte ihr der Sachverständige Zurechnungsunfähigkeit bescheinigen, ist in ihrem Falle eine Einstellung des Verfahrens möglich.(...)"
über den haupttäter erfahren wir hier nichts weiter, obwohl bei einer erweiterten psychiatrischen diagnostik auch zu diesem einiges zu sagen wäre - da bin ich mir ziemlich sicher. dann aber geht es um eine gewalttätige tante und die vernachlässigende mutter - und bei beiden um die frage der zurechnungsfähigkeit - aber mit welchen ergebnissen? ein bereits eingestelltes verfahren und eine mögliche verfahrenseinstellung machen die objektivistische ignoranz von psychiatrie und justiz diesmal aus einer anderen perspektive deutlich: sie missachten grob die allgemeinen schutzinteressen, die bei selbst von der orthodoxen psychiatrie anerkannten psychophysischen störungen nicht primär im reinen verwahren mittels knast liegen können, sondern in einer weitergehenden behandlung/betreuung der beiden betroffenen frauen, bei denen zudem sichergestellt sein muss, dass sie bis auf weiteres keinen kontakt mit kindern mehr bekommen. nunja, vielleicht existieren ja auflagen o.ä., von denen der artikel schweigt - aber wieder scheint mir die entscheidende frage darin zu liegen, wie realitätsgerecht die angewandten psychiatrischen modelle tatsächlich sind - eine borderline-ps kann mit zeitweiligen zuständen einhergehen, die gegen die "objektiven" realitätsnormen verstoßen und dann mehrheitlich als psychotisch begriffen werden, was justiziell dann den zustand der unzurechnungsfähigkeit nahelegt - wie gesagt, eine kann-situation. wenn aber borderline und auch andere persönlichkeitsstörungen nur unter bestimmten umständen derart "entgleisen", und auch nur bei einer minderheit von betroffenen, die ansonsten den anschein eines "normalen funktionierens" bieten - dann drängt sich auch hier der eindruck auf, dass die psychiatrischen modelle bzw. das verständnis von borderline und anderen störungen hoffnungslos in der falle der scheinalternative "(quasi)psychotisch = unzurechnungsfähig oder nicht?" stecken, zumal wenn als entscheidendes kriterium für eine "psychose" einzig und alleine die nichtanpassung bzw. das nichtfunktionieren unter den herrschenden normen von realität verstanden wird. und genau darauf lassen bis heute die kriterien für "psychose" und "unzurechnungsfähigkeit" reduzieren.
es würde mich aber mal interessieren, ob in österreich generell eine borderline-ps mit unzurechnungsfähigkeit gleichgesetzt wird? wenn jemand was darüber weiß - bitte sehr. und schonmal danke.
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wir verlassen die unschöne welt der prozeßberichte und werfen einen blick ins feuilleton - ein schriftsteller nörgelt über den literaturbetrieb und geht bei der zustandbeschreibung seiner kollegInnen bis zum äußersten:
(...)"Wer eine Gesellschaft umbauen will, muss die Menschen neu formatieren. Das klingt nach Science-fiction oder Totalitarismustheorie - und doch ist genau das der Punkt, der mich beunruhigt: dass ein politischer Wille, der ja nichts anderes ist, als der Wille einer bestimmten und überschaubaren Klasse, eine Gesellschaft so effizient durchdringen kann wie Karies meine Zähne. Der süße Geschmack tötet das Bewusstsein dafür ab, dass sich etwas ablagert und bis zur Wurzel durchfrisst. Am Schluss wird der zerstörte Zahn gezogen, an seiner Stelle wird ein neuer, künstlicher, kariesresistenter implantiert. Mit schönen Prothesen dürfen wir dann die Welt außerhalb unser selbst verachten. Erfolg ist, strahlend dort angelangt zu sein, wo wir nie hinwollten.(...)
Wer keine oder zu wenig Beachtung findet, weil die Welt zu groß ist und die Interessen zu vielfältig sind, der beachtet sich eben selbst. Aber nicht im Sinne von Selbsterkenntnis, sondern von Selbststimulation. Das ist neu: Ich brauche nicht mehr die Außenwelt, die Anderen, die Teile meines Selbst spiegeln, Teile, die ich dann zu dem zusammensetze, was man Ich nennt. Ich brauche nur mehr mich selbst und die Außenwelt als Publikum, dem ich eine Vorstellung von mir gebe. Ich definiere also mich selbst, schreibe mir selbst eine Rolle zu und bringe die Außenwelt dazu, mir zu glauben. Das nennt sich dann Erfolg und um nichts sonst geht es als um Erfolg.
Was dabei aufgelöst wird, ist das, was die Psychoanalyse als das kritische Selbst bezeichnet. Üblicherweise werden die Grenzen des Selbst vom Ich realistisch erfasst. Dazu braucht es Selbsterkenntnis - und die tut immer weh, weil damit die Erfahrung der eigenen Begrenztheit einhergeht. Wer diese Erfahrung in den Wind schlägt und sich stattdessen selber auf die Schulter klopft, manövriert sich in eine narzisstische Störung. Wenn diese Störung aber die Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung sein soll, wenn der neu formatierte Mensch sich dadurch auszeichnet, sich seine eigene Wirklichkeit zurechtzulegen und dadurch zur Borderline-Existenz zu verkommen, dann ist das das Ergebnis einer Besorgnis erregenden Borderline-Politik."(...)
eine treffende analogie, wie ich finde (mal abgesehen davon, dass sich über die verwendeten diagnostischen begriffe streiten lässt) - und durchaus auf andere bereiche zu übertragen, worüber sich der autor auch im klaren zu sein scheint.
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verweilen wir noch ein bißchen im kulturteil - ich habe ja bekanntlich ein faible für science fiction, und so sind mir solche gedanken durchaus vertraut:
(...)"Nun hat Science-Fiction eine neue, faszinierende Wendung erfahren. Aus den Einzelkämpfern sind Gruppen von Individuen geworden, deren Anderssein zum möglichen Schicksal eines jeden wird. Die "4400" bekamen ohne eigenes Zutun ein optimiertes Gehirn. Die "X-Men" leben mit angeborenen Mutationen - nur einer fällt aus der Reihe, weil er eine Laborzüchtung aus Wolf, Mensch und Supermetall ist. Sie sind das Ergebnis menschlicher Evolution und stehen in sozialer Konkurrenz zu den Normalos, die Angst vor ihnen haben, weil sie anders und besser sind.(...)
Natürlich ist alles Fiktion. Dennoch finden sich reale Vorbilder - nämlich in der Forschung über Autisten. Spätestens seit "Rain Man" sind Autisten einem breiten Kino-Publikum bekannt. Noch vor 20 Jahren galten die Betroffenen als geistig behindert.
Jeder zehnte Autist hat außergewöhnliche Begabungen, so genannte Insel-Begabungen. Eine hervorragende dreiteilige öffentlich-rechtliche TV-Dokumentation aus Deutschland porträtiert solche Autisten, auch Savants genannt. Sie beherrschen 25 Sprachen, sind Zahlengenies, können Klavier spielen, ohne es gelernt zu haben oder riesige Stadtpläne aus jeder erdenklichen Perspektive zeichnen.
Autisten können besonders gut logisch Denken – auf Kosten der sozialen Fähigkeiten wie Sprechen und Mimiken lesen. Das hat die Betroffenen in früheren Zeiten meist ins soziale Abseits gestellt. Im zaristischen Russland etwas glaubte man, dass autistische Kinder als besonders religiöse Menschen zur Welt gekommen sind und dass die "heiligen Narren" sich freiwillig für ein Leben jenseits aller Konventionen entschieden haben. Heute werden sie untersucht, gefördert und ans Leben herangeführt. Sie können wie die berühmte US-Amerikanerin Temple Grandin Professorin für Verhaltensforschung sein oder als Ehepaar zusammen in einer Wohnung leben.
Autismus hat genetische Ursachen, sagen die meisten Wissenschaftler. Damit lassen sich aber nicht alle Fälle erklären. Andere Forscher behaupten, zu viel Männlichkeitshormone im Mutterbauch oder neurologische Unfälle seien Schuld. Es gibt den berühmten Fall eines ehemaligen Schlägertypen, der nach einem Schlaganfall zu einem zahmen und hoch begabten Bildhauer wurde. Sein Gehirn wurde neu verdrahtet, erklärten seine Ärzte.(...)"
tja, nochmal der hinweis auf den möglichen charakter einer gesellschaftlich produzierten neurophysiologischen und bio-psychosozialen mutation - eine bestimmte gesellschaftsformation züchtet sich quasi mittels (neurologischer) selektion die ihr gemäßen mitglieder. geht nur voll in die hose, wenn die gesellschaft grundsätzlich durch traumatische struktruren geprägt ist - und davon um den preis des eigenen untergangs nichts wissen will.
ansonsten kann gute(!) science fiction imo durchaus zur weiter oben erwähnten nötigen wahrnehmungsveränderung / erweiterung beitragen - so meine eigene erfahrung. und noch etwas zu den benannten "ursachen": "genetisch", "hormonell", "neurologische unfälle": auch hier wieder die fragmentierende wahrnehmung, da es bis auf einzelfälle (und selbst da gilt die suggerierte kausalität nur bedingt) durchaus unzulässig ist, ein multidimensionales geschehen - in dem sinne, das neurologische, genetische und vielfältigste soziale einflüsse zusammen betrachtet werden müssen - so auf einzelne teile zu reduzieren. anders: ein wörtchen wie "genetisch" erklärt ohne den zugehörigenden kontext ersteinmal überhaupt nichts. stattdessen suggeriert es ein real nicht vorhandenes verständnis - aber damit lassen sich viele menschen auch gerne abspeisen. beruhigt ja auch ungemein.
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bleiben wir beim thema autismus: immer neue (und auch alte) erklärungsansätze sorgen für ständigen nachschub an news, siehe z.b. hier
"Wer sich ausruht und seinen Gedanken freien Lauf lässt, blickt oft nach innen und beurteilt dabei die vertraute Umgebung im Zusammenspiel mit der eigenen Person. Bei Autisten sind diese Tagträume nicht möglich. Die Gelegenheit zur Selbstreflexion wird offenbar durch die starke Konzentration auf äußere Einflüsse blockiert.
Wissenschaftler der Universität von Kalifornien vermuten in der fehlenden "Innenansicht" des Gehirns die Ursache für den sozialen und emotionalen Rückzug bei autistischen Personen. Autismus ist durch starke Selbstbezogenheit und Störungen im zwischenmenschlichen Verhalten gekennzeichnet. Oft fällt schon im Kleinkindalter die mangelnde Kontaktaufnahme zu engen Bezugspersonen auf.
In einer Studie verglichen Forscher die Gehirnaktivitäten autistischer Personen mit denen gesunder Probanden. Die während einiger Konzentrationsübungen und in den Ruhephasen gemessenen Daten zeigten, dass die typischen Hirnregionen der Selbstreflexion bei den autistischen Teilnehmern kaum beansprucht wurden. So genannte Netzwerke, die normalerweise in Entspannungsphasen für die Verarbeitung von Erlebnissen sorgen, bleiben bei Autisten inaktiv.
Bei gesunden Menschen wird das Netzwerk erst dann abgeschaltet, wenn anspruchsvolle geistige Aufgaben die volle Konzentration erfordern. Ob die Dysfunktion von gesammelten Eindrücken und deren Aufarbeitung bei autistischen Personen für deren emotionale Störungen verantwortlich ist, sollen weitere Untersuchungen klären."
passt erstens zur u.a. von temple grandin beschriebenen ständigen erregung des nervensystems (was bekanntlich auch ein symptom posttraumatischer zustände darstellt), ist aber zweitens reduktionistisch in dem sinne, dass mir hier zu sehr auf die rein kognitiven fähigkeiten primär des gehirns focussiert wird - ich bezweifle, dass phasen entspannter selbstreflexion auch mittels tagträumen alleine durch die betrachtung der dabei auftretenden neurologischen aktivitäten zu verstehen sind - hier wird vermutlich mal wieder ein ganzkörperliches geschehen (und entspannung spielt sich nun mal im ganzen körper ab) aufgespalten. dazu: tagträume sind nicht gleich tagträume - wenn in einem (relativ) gesunden menschen der objektivistische modus "korrekt" in einer voll entwickelten subjektivität arbeitet, dann ergänzen sich körperliche entspanung und tagträume (als "mentale" und womöglich kreative art, wie sich das gehirn entspannt), zu einem ganzen. wenn der objektivistische modus aber dominiert, dann können tagträume auch einen regelrecht dissoziativen (im pathologischen sinne) charakter bekommen - und stellen dann eher den ausdruck einer tiefgreifenden wahrnehmungsreduktion dar, die womöglich mit regelrechter trance einhergehen kann.
interessant auch der hinweis am ende darauf, dass die uns allen mehr oder weniger bekannten zustände von sog. geistiger konzentration sich tatsächlich als eine art quasiautistischer zustände begreifen lassen - sie basieren auf wahrnehmungsreduktion, die aber im gesunden fall nicht wirklich von der gesamten (körperlich basierten) wahrnehmung trennt - virtuelle räume, in denen bestimmte menschliche optionen verwirklicht werden können. und genau diese ausgangslage scheint mir bei den beziehungskrankheiten in verschiedener art und weise ver-rückt zu sein.
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beim stichwort "virtuelle räume" fällt mir noch eine buchbesprechung ein (ich werde das buch nochmal näher in der passenden rubrik vorstellen):
"Werner Bätzing ist Professor für Kulturgeographie und hat bereits mehrere Bücher zu ökologischen Problemen der Alpenregion geschrieben; Evelyn Hanzig-Bätzing ist Philosophin mit besonderem Interesse an Soziologie und Psychoanalyse. In ihrem ersten gemeinsamen Buch untersuchen die beiden aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen. Sie kommen zu dem Schluß, daß die entfesselte spätkapitalistische Gesellschaft alle bisher für die menschliche Spezies geltenden Grenzen einem allumfassenden Machbarkeitswahn opfert. Permanent geforderte Flexibilität und Leistungsbereitschaft rufen eine massenhafte Entindividualisierung hervor, verwandeln Menschen von handelnden Subjekten in ökonomisch kalkulierbare Objekte. In der Folge käme es zu einem massenhaften Verschwinden des Geschichtsbewußtseins und zu massiven Störungen bei der Wahrnehmung der realen Welt. An deren Stelle trete eine virtuelle Welt der unterschiedslosen Gleichzeitigkeit, in der alles berechenbar, beherrschbar und käuflich ist."(...)
"Evelyn Hanzig-Bätzing konzentriert sich auf die Folgen der sich in der Totalität des Marktes zunehmend wandelnden Lebenswelt für die in diese Welt eingepaßten Menschen. Postmoderne Beliebigkeit ersetzt die gesellschaftskritische Auseinandersetzung; Pille und Bildschirm treten an die Stelle geistigen Lebens. Beziehungsunfähigkeit, Verlorenheit, sexuelle Frustration – die auf Perfektionismus fixierte Gesellschaft bringt reihenweise psychische Krankheiten hervor.
Erschreckend manifestiert sich der Durchmarsch der totalen Leistungsgesellschaft am »Arbeitsplatz Schule«. Kinder, die ähnlichen Streßsituationen wie Erwachsene ausgesetzt werden, verhalten sich analog: Sie werden krank. Bis zu 25 Prozent der Kinder reagieren auf die gestiegenen Anforderungen mit psychischen und psychosomatischen Überlastungs- und Überforderungssyndromen."(...)
tja. dürfte in der reinen beschreibung vermutlich sehr zutreffend sein, und scheint auch über einige tellerränder herauszuschauen. ohne es selbst bisher zu kennen, sage ich mal: tipp.
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im zusammenhang mit den thematiken von beginn dieses beitrages hatte die zeit vor ein paar wochen einen imo recht guten artikel, in dem u.a. das folgende zu lesen ist:
(...)"Gerade das Schicksal des Täters S. illustriert, wie scheinheilig in Deutschland Kriminalpolitik gemacht wird: Gestörte Jugendliche und verurteilte Sexualstraftäter bleiben sich selbst überlassen, die Behörden sind blind für das, was ihnen gegenüber nötig wäre, und taub für alle Alarmzeichen – aber dann, wenn sich die wachsende Störung der Delinquenten in schweren Straftaten entladen hat, dreschen die Volksvertreter – vom Bürgermeister bis zum Bundeskanzler – publikumswirksam auf diese besonders verachtete Tätergruppe ein und rufen nach schärferen Gesetzen, am besten gleich in die nächste Kamera."(...)
und was so ein knastaufenthalt schlimmstenfalls anrichtet, ist sehr nachdrücklich so beschrieben:
(...)"Der psychiatrische Sachverständige Stefan Orlob diagnostiziert bei S. zwar diverse Störungen im Sozialverhalten, die eine drohende Entwicklung hin zu einer dissozialen Persönlichkeitsstörung andeuten könnten, stellt aber keine schwere seelische Abartigkeit fest. Im Urteil schließen die Richter aus den Ausführungen des Sachverständigen, dass S. durch gezielte Maßnahmen noch zu retten ist. Deshalb ordnen sie an: »Im Vollzug wird der Angeklagte dringend sozialtherapeutischer Hilfe bedürfen, um so die bei ihm festgestellten Defizite aufzuarbeiten.«(...)
"Als Stefan Orlob, der Sachverständige, der Maik S. nach der Vergewaltigung schon einmal untersucht hat, ihn nach dem Mord an Carolin ein zweites Mal begutachtet, trifft er auf einen Verschlossenen. Der Proband erleichtert sein Gewissen nicht mehr durch ein Geständnis, er schweigt zu seiner Tat. Orlob findet einen gefühlskalten und rücksichtlosen Menschen vor, dessen dissoziale Persönlichkeitszüge sich im Gefängnis zur Psychopathie verfestigt haben. Für irgendein Tätertherapieprogramm sei der Angeklagte wohl nicht mehr erreichbar, stellt der Gutachter fest."(...)
zwischen den beiden obigen absätzen ist zu lesen, wie die (eh schon begrenzten) möglichkeiten zur inneren veränderung des späteren mörders in einem wust aus behördlichem desinteresse und ignoranz verschwinden - so werden tatsächlich unter staatlicher aufsicht soziopathische persönlichkeiten erzeugt. und nicht umsonst werden knäste bekanntlich auch "schulen des verbrechens" genannt.
lesenswert wird der artikel auch durch die zwar nicht neue, aber dennoch immer wieder zu wiederholende feststellung der diskrepanz zwischen der seit jahren in den meisten bereichen rückläufigen kriminalität (in der offiziellen definition) einerseits und dem parallel zunehmenden unsicherheitsempfinden bei vielen menschen andererseits. hier geht es deutlich um wahrnehmungsweisen und -inhalte, und die haben zentral etwas mit psychophysischen zuständen zu tun bzw.drücken sie aus und prägen sie. die erwähnte diskrepanz ist hier ebenfalls für die zukunft als eigenes thema vorgemerkt.
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um schwere verbrechen, die allerdings selten bis nie geahndet und oft genug nicht mal als solche definiert werden, ging es vor ein paar wochen in einem schwerpunkt der taz - im dossier "kapital ohne moral" ist u.a. zu lesen:
"Aus den Schießscharten des gepanzerten Mercedes-Transporters spucken die Mündungsfeuer von acht Maschinengewehren. Wenn die brasilianische Spezialpolizei Drogenhändler in den Slums von Rio de Janeiro jagt, spielen zivile Opfer keine Rolle. Einwohnern, die sich nicht rechtzeitig verstecken, kann es ergehen wie dem elfjährigen Carlos Henrique. Bei einer Razzia im Elendsviertel Vila do João traf ihn im vergangenen Juli eine Kugel in den Kopf. Sie wurde aus einem Polizeipanzer abgefeuert.
Elf Personen kamen allein zwischen Mai und September 2005 auf diese Art ums Leben, sagt Katharina Spieß von amnesty international. Die Menschenrechtsorganisation hat Augenzeugenberichte gesammelt und eine Kampagne gegen die Polizeigewalt in Rio gestartet.
Amnesty international wirft DaimlerChrysler vor, dessen Produkte würden benutzt, um Menschenrechte zu verletzen. DaimlerChrysler verstoße gegen eigene und internationale Standards, denn der Konzern hat offiziell unterschrieben, alles zu tun, dass so etwas nicht passiert. DaimlerChrysler ist Mitglied im Globalen Pakt der Vereinten Nationen. Eins der Prinzipien des Vertrages verlangt, "dass Ihr Unternehmen sich nicht an Menschenrechtsverletzungen beteiligt". Bürgerrechtsorganisationen und Gewerkschaften fordern - so wie amnesty von DaimlerChrysler - auch von anderen Konzernen, die grundlegenden Menschen- und Arbeitsrechte nicht nur theoretisch zu akzeptieren, sondern sie auch praktisch einzuhalten.
"Totenschädel" heißen die schwarz gestrichenen Panzerfahrzeuge von Rio de Janeiro im Volksmund. Von einem Schwert durchbohrt ziert der Totenkopf das Wappen des "Bataillons für Spezialoperationen" (Bope) der Polizei von Rio de Janeiro. Bope-Kommandeur Venâncio Moura beschreibt die Tätigkeit seiner Truppe so: "Wie operieren wie in einem konventionellen Krieg: Die Panzer fahren voraus, die Infanterie umzingelt den Feind." Einwohner der Favelas berichten, dass die Lautsprecher der Panzerwagen im Einsatz verkünden: "Wir kommen, um eure Seelen zu holen."
Mit einem Foto von einem "Totenschädel"-Fahrzeug - im Brasilianischen "Caveirão" genannt - dokumentiert amnesty, dass die Spezialpolizei Produkte von DaimlerChrysler verwendet. Der Mercedes-Stern am Kühler des Panzerwagens ist deutlich zu sehen. In ihrem Brief an DaimlerChrysler-Direktor Michael Inacker schreibt die Menschenrechtsorganisation, dass "Fahrgestelle von Mercedes-Benz noch immer in Caveirãos der Polizei von Rio de Janeiro benutzt werden".
Die Recherchen von amnesty international haben ergeben, dass Mercedes-Fahrzeuge von der brasilianischen Firma TCT Blindados zu Polizeipanzern umgebaut worden seien. Auf der Internetseite von TCT, die mittlerweile nicht mehr erreichbar ist, waren bis vor wenigen Tagen Bilder von Panzerwagen mit den Emblemen von Mercedes und Ford zu sehen."(...)
passend dazu ein interviewauszug aus einer printausgabe des "ai-journals":
"Ein Krieg gegen Arme"
ai: Wer ist in Brasilien von der Gewalt besonders betroffen?
Marcelo Freixo: Die öffentliche Sicherheit in Brasilien befindet sich in einem sehr bedrohlichen Zustand. Insbesondere die Zahl der Personen, die von der Polizei getötet wurden, hat sich in den vergangenen Jahren eklatant erhöht. Durchschnittlich werden in Rio de Janeiro drei Menschen pro Tag erschossen. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es eine so hohe Tötungsrate durch die Polizei wie in Rio. Und das sind nur die offiziellen Zahlen - die Dunkelziffer ist noch viel höher. Insgesamt kommen in Brasilien jedes Jahr etwa 40.000 Menschen durch Schusswaffen ums Leben. Und die meisten Opfer sind arm und haben eine schwarze Hautfarbe.
Elizabete M. de Souza: Mein 13-jähriger Bruder wurde im Januar 2004 in Caju, einer Favela in Rio, von der Polizei erschossen, zusammen mit vier anderen Jugendlichen. Nach Angaben der Beamten haben die Opfer zuerst das Feuer eröffnet. Doch ein Augenzeuge berichtete, dass es eine regelrechte Exekution war. Nach seiner Aussage musste er mit seiner Familie das Viertel verlassen - aus Angst vor der Polizei. Ich habe damals gemeinsam mit anderen Angehörigen von Opfern eine Initiative gegründet, weil der Fall meines Bruders keine Ausnahme ist. Wir haben unsere Geschwister verloren, Vater und Ehemänner - und die Regierung unternimmt nichts. Wir wollen Gerechtigkeit. Die Täter müssen sich vor Gericht verantworten.
ai: Warum handelt die Regierung nicht?
Freixo: Der Grund liegt nicht in der Inkompetenz der Behörden. Die Ursachen liegen vielmehr in einem Konzept der öffentlichen Sicherheit, das alle Opfer einfach als Drogenhändler oder Kriminelle darstellt, gegen die nur Gewalt hilft. Und eine schlecht informierte Öffentlichkeit akzeptiert dieses haben viele Berichte und Empfehlungen an die Regierung gerichtet. Deshalb müssen unsere Nachforschungen absolut korrekt sein. Dabei stützen wir uns vor allem auf ein Netz von Menschenrechtsorganisationen und sozialen Bewegungen. Insbesondere mit amnesty international arbeiten wir seit Jahren eng zusammen.
ai: Weshalb wird die Polizeigewalt in einem so hohen Maße akzeptiert?
Freixo: Die öffentliche Meinung in Brasilien toleriert Polizeigewalt, weil diese Gesellschaft durch die Angst geprägt ist. Die Opfer stammen aus den armen Vierteln, doch die Angst regiert in den reichen Bezirken. Diese Angst führte auch zur Niederlage bei dem Referendum über die Waffenabgabe im vergangenen Oktober. Was wir vor allem brauchen, ist daher ein anderes Konzept von Sicherheit - ein Konzept, das die Armut und nicht die Armen bekämpft.
de Souza: Wer nicht in den Armenvierteln wohnt, fühlt sich durch deren Bewohner bedroht, als wenn sie alle in das Verbrechen involviert wären. Dabei kommen die Bediensteten der Mittel- und Oberschicht, die Kindermädchen, Pförtner und Hausangestellten, in der Regel alle aus der Favela.
ai: Werden Sie selbst bedroht?
Freixo: Wie viele andere Menschenrechtsverteidiger in Brasilien muss ich mit einer gewissen Gefahr leben. Dagegen gibt es keinen Schutz. Von den Behörden können wir jedenfalls keine Hilfe erwarten.
de Souza: Nachdem ich Anzeige wegen dem Tod meines Bruders erstattet hatte, erhielt ich die ersten Drohungen. Ein Mann sagte am Telefon, dass sie auch meine Tochter töten könnten. Ich schlafe deshalb nicht mehr zu Hause, sondern bei Freunden. Mein Kind habe ich außerhalb der Stadt untergebracht. Der Anruf kam aus einer Polizeistation.
(Interview: Anton Landgraf)
die einen nennen so etwas "demokratie und freie marktwirtschaft", andere nennen es neoliberalismus, wieder andere kapitalistischen staatsterrorismus. in meinen augen sind das alles synonyme - recherchieren Sie hier im blog einmal mit der internen suche und dem keyword "mafia".
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und sonst? wm-zeit ist tittytainment-zeit - und es hat mich schon etwas in den fingern gejuckt, aus der perspektive dieses blogs heraus sowohl die einzelnen teilnehmenden länder als auch erscheinungen wie den hooliganismus näher zu beleuchten. aber bei ersten vorbereitenden recherchen habe ich schnell gemerkt, dass so ein vorhaben derzeit einfach meine persönlichen kapazitäten übersteigt. wer einigermaßen interessiert ist und mitverfolgt, wie sich die soziale realität hier entwickelt, wird wahrscheinlich sowieso dieses globale event einzuschätzen wissen. wobei ich persönlich mich gleichzeitig mit der dramatik und auch ästhetik wirklich guten fussballs durchaus vergnügen kann. aber das sollte den blick trotzdem nicht trüben - von der korrupten fifa angefangen über die sponsoren coca-cola und die hamburgerbraterei bis hin zur gnadenlosen auslese in den fußballzentren brasiliens und der instrumentalisierung eventueller wm-erfolge durch die regierungen diverser staaten zwecks kaschierung antisozialer maßnahmen gibt es mehr als genug, was mehr als übel aufstößt.
wachsam bleiben, kann da nur die devise lauten.