Montag, 19. Februar 2007

assoziation: zwei essays und drei interviews...(I)

...haben mich in der letzten zeit gedanklich öfter beschäftigt - und gerade, weil sie thematisch aus meiner sicht eng zusammen gehören, möchte ich sie auch innerhalb einer reihe auszugsweise vorstellen bzw. jeweils kommentieren.

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fangen wir an mit einem text des historikers franz schandl, der vor einiger zeit im freitag unter dem titel Eine andere Welt ist möglich, ein anderer Kapitalismus nicht veröffentlicht wurde:

"Nichts wird in Zeiten allgemeiner Egomanie so verhöhnt wie der Altruismus. Menschen, die sich nicht auf der Siegerstraße befinden, sollen aus unserem Blickfeld verschwinden. Da jeder sich selbst gehört, ist auch jeder für sich selbst verantwortlich. Ich bin meiner mir mich. Nicht Solidarität oder zumindest Betroffenheit ist angesagt, sondern in erster Linie Gleichgültigkeit oder im schlimmsten Fall sogar offene Aggression: "Eure Armut kotzt uns an!" Solidarität war zumindest in Ansätzen etwas, das auf ein Jenseits der zwänglerischen Identität (Ich bin ich) verwies. Sie besagte, dass ich für die anderen da bin, und sie für mich da sind."(...)

diese feststellungen sind zwar keinesfalls etwas neues, aber nichtsdestotrotz weiterhin gültig. was mich bei schandls thesen etwas stört, ist ihre fehlende präzision - als eine art kultur- und ökonomiekritischer essay fehlt diesen thesen in zeiten ständig zunehmenden wissens in bereichen wie den neurowissenschaften und der psychotraumatologie eine durchaus mögliche klarheit. "egomanie" verleitet zu assoziationen mit synonymen wie "selbstsucht" etc. - was auf falsche fährten führen kann, dazu gleich mehr. "da jeder sich selbst gehört" ist wiederum eine umschreibung einer im blog hier schon öfter thematisierten psychophysischen konstellation, in der ein quasi virtuelles "ich", produziert vom objektivistischen modus im menschen, sich unter zuhilfenahme sekundärer emotionen ("nationalgefühle", "freude" am shoppen u.ä.) quasi als "eigentliche" identität und subjektivität ausgibt - was es bekanntlich nicht ist, sondern viel eher eine art krücke zum rudimentären überleben unter gewalttätigen sozialen bedingungen (die es dazu überhaupt erst hervorbringen).

der kompensationsversuch einer elementaren schädigung also. in der jeweiligen art und weise als auch im ausmaß dieser kompensation können vermutlich erhebliche unterschiede vorhanden sein - von funktioneller und potenziell reversibler bis hin zu struktureller und totalitärer dominanz (letztere wird im modell der "als-ob-persönlichkeit" sowie strukturellen soziopathen deutlich) gibt es hier ein spektrum, welches allerdings in den symptomen etliche gemeinsamkeiten aufweist. und als eines der verbreitesten dieser symptome, welches eben aufgrund seiner allgegenwart als "normalität" betrachtet wird, kennen wir alle die konstellation des "eigenen körpers", der einem quasi "geistigen" ich anscheinend "gehört" und von diesem ich kontrolliert und gesteuert wird.

wie ich früher schon geschrieben habe, ist das keinesfalls als vollständige subjektivität zu begreifen - dieses eigentumsverhältnis ist im gegenteil ein objektivistisches (ein sich selbst als "subjekt" mißverstehendes virtuelles etwas nimmt den körper - und alles andere - als objekt wahr), und meiner vermutung nach dazu die wesentliche erfahrungsmäßige matrix für alle zustände, in denen das konstrukt "eigentum" irgendeine rolle spielt. natürlich und speziell auch und gerade im kapitalismus, der ohne diese defekte selbst- und weltwahrnehmung gar nicht existieren könnte (und es ist auch nicht so abwegig, hier den tieferen grund für die nicht nur potenziell traumatische gewalt zu sehen, die der kapitalismus ständig massenhaft in ganz verschiedenen versionen produziert - genau diese gewalt ist ja der ausgangspunkt für die ihm zugrundeliegenden und stützenden wahrnehmungszustände).

aus diesen wahrnehmungszuständen ergibt sich u.a. auch die benannte gleichgültigkeit (= empathiestörungen). aber es ergibt sich daraus auch, dass die alternative, die schandl aufstellt - "zwänglerische identität" vs. solidarität - so nicht vorhanden ist. das "ich", welches hier zurecht als "zwänglerisch" bezeichnet wird, ist eben nicht das aus der vollen subjektivität heraus mögliche ich, die vollentwickelte individualität, die eben zwanglos auch die einsicht in die notwendigkeit von und ein bedürfnis nach authentischer kollektivität beinhaltet (und sich von als-ob-kollektiven bzw. zwangsgemeinschaften aller art normalerweise angewidert abwendet).

so, wie es schandl oben ausdrückt, wird nur wieder der scheingegensatz von individualität vs. kollektivität beschworen - und diesen fatalen irrtum gilt es unbedingt zu überwinden.

ich überspringe einen großen - lesenswerten - teil, um gleich wieder eine anmerkung loszuwerden:

(...)"Entsicherte Subjekte jedenfalls können nur überleben, wenn sie selbst beinhart agieren. Wollen sie von den (neuen) Märkten nicht ausgespuckt werden, müssen sie sich zu kleinen Konkurrenzmonstern entwickeln. Es ist nicht der freie Atem, den das bürgerliche Subjekt - der so genannte freie Bürger - atmen darf, es ist asthmatisches Hecheln. Die Angst unter die Räder zu kommen, wird größer, es gilt daher schnell, schlau und verschlagen zu sein. Entsichert meint aber mehr als verunsichert - entsichert heißt auch, dass die flexiblen Subjekte permanent unter Spannung stehen, geladen sind, bereit sein müssen zu schießen, zumindest am Markt andere abzuschießen. Das Instrumentarium, das ihnen aufgezwungen wird, ist ein aggressives. Die Kalaschnikow ist entsichert und bei einigen wird sie nicht nur im übertragenen Sinne losgehen. Am Ende stehen dann kollektive Bandenbildung oder individualisierte Amokläufer. Kann sich keine positive Perspektive entwickeln, werden diese regressiven Tendenzen zunehmen, ja sich zur Barbarei verallgemeinern."(...)

jemand mit einer - wie auch immer genau ausgeprägten - psychophysischen struktur wie oben skizziert kann u.u. weder anders handeln noch sich überhaupt etwas anderes vorstellen - es ist ihm aufgrund des zustandes, in dem sich nervensystem incl. gehirn befinden, schlicht nicht möglich. und genau solche leute bilden mit einiger wahrscheinlichkeit genau die art antisozialer "elite", die hier mit ihrem treiben immer wieder thema ist. mir stellt es sich so dar, dass sich aufgrund traumatischer prozesse unter bestimmten bedingungen immer mehr menschen funktional dem wahrnehmungsstatus dieser "elite" anschließen, was sich bspw. in der übernahme der konstrukte und ideologien ausdrückt, die elitärerseits mit einigem erfolg verbreitet werden. als metapher könnten wir auch eine ganz spezifische art von invasion annehmen, die zu ihrem abschließenden erfolg unbedingt der zerstörung der elementarsten menschlichen fähigkeiten zum sozialen bedarf - an erster stelle wäre hier die liebesfähigkeit zu nennen.

genau diese findet in einem szenario entfesselter konkurrenz, in dem der "wert" eines menschen einzig an objektivistischen kriterien der "leistungsfähigkeit" festgemacht wird, nicht nur keine resonanz im sinne positiver beantwortung mehr, sondern wird in solchen verhältnissen sogar hinderlich und dysfunktional. ich hatte es früher ebenfalls schon mal geschrieben: wer hier "positiv" selektiert wird, d.h. am ende übrigbleibt, lässt sich nicht mehr als mensch nach unserem verständnis beschreiben - wer da übrigbleibt, ist eine totalitär vereinsamte und ständig paranoide figur, die ihre eigenen ununterbrochenen fiktionen mit der realität verwechselt, die aufgrund massiver psychophysischer schäden nicht mehr vollständig und v.a. nicht in ihrer sinnlichen qualität wahrgenommen werden kann. und falls sich dieses szenario so durchsetzen kann, würde es meiner meinung nach auch das definitive ende des "experiments mensch" bedeuten - nicht nur in dem sinne, dass den überlebenden wesen die wesentlichen und spezifischen menschlichen qualitäten fehlen würden, sondern auch deswegen, weil sie über kurz oder lang - und das ist heute bereits eindrucksvoll zu sehen - ihre eigenen lebensgrundlagen zerstören würden. ohne fähigkeiten zur wahrnehmung der eigenen untrennbaren verwobenheit in die planetare ökologie zb. werden sie ebenfalls nicht (mehr) in der lage sein, die vielfältigen warn- und gefahrenzeichen wahrzunehmen, die ökologische systeme vor dem kollaps noch abgeben.

wir sind auf dieser schiefen ebene insgesamt bereits ein ganzes stück ins rutschen gekommen.

und auch die von schandl erwähnte "kollektive bandenbildung", siehe auch hier, sowie der "individualisierte amokläufer" (der eben nicht individualisiert, sondern vereinzelt ist - genauso, wie die banden höchstens als zwanghafte als-ob-kollektive zu verstehen sind), lassen sich sowohl als existierende phänomene registrieren wie auch als zu erwartende entwicklungsschritte auf der erwähnten schiefen ebene begreifen. wobei mir dazu noch ein aspekt eingefallen ist: denken Sie einmal darüber nach, in welchen regionen des planeten besonders gangbildungen zu beobachten sind - und wo einzelne amoktaten. und vergleichen Sie vielleicht auch einmal die kulturellen und klassenzugehörigkeiten. ich will darauf hinaus, dass bandenbildung eher dort zu finden ist, wo in der vergangenheit und teils auch noch aktuell zumindest rudimentär funktionierende soziale strukturen vorhanden sind oder waren. das gegenteil dazu bilden die amoktäter "neuen typs", die v.a. ein produkt der westlichen kultur darstellen - und in ihrer vereinzelung den status unser gesellschaftlichen verhältnisse realitätsgetreu abbilden. der kapitalismus in den metropolen tendiert offensichtlich dazu, selbst simulationen von kollektivität - dazu gehören banden - nicht mehr zuzulassen. den vergleich zwischen der klassischen mafia und transnationalen konzernen habe ich hier schon öfter gezogen - zugunsten der mafia (auch ein als-ob-kollektiv) könnte man inzwischen sagen, dass die sich zumindest noch um den anschein einer rudimentären moral - "ehrenkodex" - bemüht hat...

jetzt zu einem anderen punkt, der hier ebenfalls immer wieder eine rolle spielt:

(...)"Auch Reizvokabeln wie "Skandal", "Schuldige", "Opfer", "Täter" führen auf Abwege. Die Politik der identitätslogischen Zuweisung ist zu überwinden. Wir alle sind - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaße - Opfer und Täter, Schuldige und Unschuldige, im Prinzip aber Funktionäre des Kapitals. Diese Struktur ist aber keine Natur, auch wenn sie als zweite Natur erscheint. Sie verfügt über uns, nicht nur weil wir uns fügen, sondern sie mit unseren Handlungen und Überzeugungen stets neu hervorbringen. Wir müssen allerdings Abstand von der Vorstellung gewinnen, die andere Welt sei nur gegen irgendwelche Andere durchsetzbar. Vor allem die unentwegte personelle Zuweisung bringt die Leute nicht zusammen, sondern hetzt sie gegeneinander auf. Nicht die Befreiung von uns formierenden Formprinzipien steht dann an, sondern der Kampf der formbestimmten Interessen. Das Böse kennt eben nicht Name, Anschrift und Gesicht, wie Bertolt Brecht - ganz Kind seiner Zeit - einmal meinte, sondern bloß Logik und Vorschrift."(...)

hier möchte ich deutlich widersprechen: zwar ist das obige - oberflächlich betrachtet - sehr ähnlich dem ansatz, den ich hier im blog unter täter-opfer-dialektik skizziert habe - aber die betonung liegt eben auf oberflächlich.

es gibt reale täter, und die frage danach, wie sie dazu geworden sind, kann diese realität nicht aus der welt schaffen. das "wir" - bewohnerInnen der westlichen gesellschaften - in unterschiedlichem maße sowohl täter als auch opfer sind, ist dabei noch das kleinste erkenntnisproblem. viel eher wird die täter-frage bei der these relevant, das wir "...allerdings abstand von der vorstellung gewinnen, die andere welt sei nur gegen irgendwelche andere durchsetzbar." das halte ich für eine gefährliche und geradezu suizidale aufforderung. warum? weil spätestens eine genaue auseinandersetzung mit den zuständen, die sich in form der massivsten beziehungskrankheiten manifestieren, die frage mit sich bringt, ob es bspw. mit soziopathen überhaupt eine ebene der authentischen verständigung geben kann. ich hatte dieses problem neulich mal so umschrieben:

(...)"wer einen entscheidenden teil der eigenen wahrnehmungsfähigkeiten eingebüßt hat (und stattdessen als objektivistisches surrogat z.b. den eigenen quantifizierbaren profit als einzigen "lebenssinn" zur verfügung hat), wird erstens weder rücksichtnahme auf soziale und ökonomische beziehungen und grenzen kennen, zweitens weitgehend ignorant gegenüber allen entsprechenden warnsignalen bleiben (von denen das leid von lebewesen für alle empathiefähigen menschen eines der wichtigsten darstellt), und drittens im schlechtesten fall nicht einmal das problem begreifen können - und damit ist eine unüberwindlichende grenze für jeden heutigen begriff von "politik" gesetzt, die abstrakt und objektivistisch von einer diffusen "gleichheit" aller menschen ausgeht. es gibt nun aber real durchaus qualitative psychophysische unterschiede zwischen menschen, die im extremfall die wahrnehmung völlig unterschiedlicher welten bedeuten - die nazis z.b. haben mit ihrem gerede von "untermenschen" imo nicht nur unsinn erzählt, sondern auf ihre eigene art und weise ihren wahrnehmungsstatus durchaus korrekt beschrieben - und sie haben uns mit ihrem handeln einen deutlichen hinweis darauf hinterlassen, was derartige wahrnehmungsbeschränkungen für folgen haben können"(...)

es ist durchaus realistisch, vom worst-case-szenario auszugehen, welches da lautet: beziehungskranke und wahrnehmungsgeschädigte menschen können weder interesse an noch überhaupt eine vorstellung von einem leben jenseits gewalttätiger und hierarchischer strukturen haben. und sowohl mit dieser option als auch den daraus folgenden konsequenzen - die bspw. in einer strikten sozialen isolierung betroffener liegen könnten - hat sich jede emanzipatorische strömung auseinanderzusetzen. schandl geht aus meiner sicht implizit von der oben erwähnten abstrakten gleichheit aller menschen aus, die allerdings in einem psychophysischen sinne nicht vorhanden ist - der jeweilige zustand unseres nervensystems entscheidet auch über die wahrnehmung dieser welt und die möglichkeiten des lebens (und das ist ausdrücklich kein konstruktivistischer ansatz - das nur nebenbei gesagt).

weitgehende zustimmung meinerseits dann zum letzten abschnitt:

(...)"Wir fordern somit nicht Erfüllung, sondern Distanz von der eigenen Charaktermaske. Die Leute sollen sich ernster nehmen als ihre Rollen. Das Rollen-Ich - Dividuum nannte es Günther Anders - ist zu durchbrechen, will überhaupt so etwas wie Individuum ermöglicht werden. Ganz kategorisch gilt es zu sagen: Leben und Kapitalismus sind unvereinbar. Eine andere Welt ist möglich, ein anderer Kapitalismus nicht. Die neue oder notwendige Sozialbewegung wird sich daran messen lassen müssen, ob sie diese Radikalität zulässt oder sich einmal mehr in den Schützengräben des bürgerlichen Kontinuums verkriecht. Wenn sie nicht darüber hinauskommt, mit den "edlen" Werten der kapitalistischen Warengesellschaft gegen die kapitalistische Realität zu revoltieren, wird sie ein obligates Schicksal ereilen. Sie affirmiert dann ja bloß, was sie vermeintlich angreift, tut so, als hätte das Eine mit dem Anderen nichts zu tun. Der Kommunismus ist nur zu haben als eine planetarische Assoziation befreiter Individuen. Wobei Freiheit Freiheit von fetischistischer und verdinglichter Form bedeutet. Befreiung meint frei sein vom Wert und seinem ganzen Rattenschwanz, dem beschränkten Universum, das sich als ewig missversteht: Recht und Demokratie, Politik und Staat, Ökonomie und Ideologie, Tausch und Markt. Das wäre doch mal was anderes."

yo. "das rollen-ich ist zu durchbrechen" - das bedeutet die auflösung der dominanz von als-ob-zuständen im sozialen leben. dieser prozeß muss und kann nur ein globaler sein. und ob das daraus und vielen anderen veränderungen entstehende dann kommunismus oder tendenziell eher anarchie genannt wird - oder auch ganz anders - ist eine nachrangige frage. aber etwas anderes wäre es zur abwechslung wirklich mal.

Sonntag, 11. Februar 2007

notiz: ...und es geschah in "der besten aller welten"

"In einem verschmutzten Nachthemd, eine Plastiktüte mit seinen Habseligkeiten zwischen den Zähnen, versucht ein querschnittsgelähmter Mann auf dem Bürgersteig vorwärts zu kriechen. Wenigen Stunden zuvor war er noch in einem Krankenhaus in Los Angeles behandelt worden, jetzt hat ihn ein Fahrer der Klinik laut Polizei im berüchtigten Obdachlosenviertel Skid Row ausgesetzt."(...)

so beginnt ein artikel zu einigen vorfällen in los angeles, bei denen ich dringend davor warne, sie alleine als "einzelfälle" und "versagen bzw. verfehlungen einzelner verantwortlicher" anzusehen. nein, das geschilderte ist eher symptomatisch für das, was zukünftig noch alles zu erwarten ist - wenn wir denn nicht endlich aus unserer sozialen trance erwachen.

(...)"Nach Auskunft der Stadtverwaltung von los Angeles ist der Fall nicht der erste. Immer wieder würden obdachlose, manchmal orientierungslose Patienten dort einfach sich selbst überlassen.

Vor drei Monaten erhob die Staatsanwaltschaft in Los Angeles zum ersten Mal Klage. Auf Videoaufnahmen war damals zu sehen, wie ein 63 Jahre alter Patient in einem Nachthemd und auf Socken in den Straßen von Skid Row umherirrt. Inzwischen hat die Stadt ähnliche Vorwürfe gegen mehr als ein Dutzend Krankenhäuser vorgebracht. Viele haben diese zurückgewiesen, andere räumen ein, Patienten bei Hilfsgruppen in dem wegen Kriminalität berüchtigten Viertel abzusetzen."(...)


schauen Sie sich noch einmal die geschichte von kevin an - und Sie werden feststellen, dass sich in diesem land hier grundsätzlich ähnliche tendenzen des antisozialen feststellen lassen. aber es heißt ja immer, dass "wir" hier den usa um ein paar jahre "hinterher" sind...

Samstag, 10. Februar 2007

notiz: "Traumaarbeit ist ein Teil des Widerstands"

im folgenden ein kurzer verweis auf eine längst überfällige und meiner meinung nach sehr sinnvolle initiative von und für politisch und sozial aktive:

"Was ein Trauma oft schafft, ist das was die Repression erreichen soll. Aber es liegt an uns wie wir darauf antworten, was wir mit unserer Angst machen und wie wir uns unterstützen."

der erste satz ist nur zu unterstreichen - tatsächlich ist traumatisierung vielleicht sogar der langfristig wirksamste repressionseffekt, der überhaupt denkbar ist - dazu mit einer art "streuwirkung", weil regelmäßig nicht nur alleine der traumatisierte mensch betroffen ist, sondern auch das soziale umfeld. mehr zu diesem aspekt in einem der folgebeiträge in der traumareihe.

"Obwohl die Gesellschaft anfängt „Posttraumatischen Stress“ (PTSD) ernst zu nehmen, gilt für uns immer noch das Bild des „unerschütterlichen Aktivistinnen“. Wir negieren Schwäche, haben das Gefühl und „normal“ und stark verhalten zu müssen, auch wenn dieses dem subjektiven seelischen Empfinden widerspricht. Dieses Stigma gilt es zu überwinden, denn wir müssen uns im Kampf gegen die Repression unterstützen, wenn wir als Bewegung effektiv sein wollen. Innerhalb dieses Vorgangs ist es unabdingbar, dass das Verhältnis zwischen der Gruppe und dem ich analysiert und ggf. neu geformt wird. Dabei ist es hilfreich, Erfahrungen mit Angst und Trauma jeglicher Art und Weise auszutauschen und auf die Auswirkungen von psychischer und physischer Gewalt einzugehen.

Letztendlich ist es unser aller Aufgabe uns klarzumachen, dass Aktivität oder Länge politischer Arbeit keinen Schutz vor traumatischen Erfahrungen darstellen. Wir wollen mit dem Activist Trauma Support Raum und Personen zur „Emotionalen Ersten Hilfe“ bieten."


und hier geht´s zur seite der gruppe out of action:

"Politische Events, wie z.B. Gipfelproteste, sind nicht nur eine gute Möglichkeit um aktiv zu werden, sich zu vernetzen und etwas zu bewegen, sondern können auch zu erhöhtem Stress und einem Anstieg der Repression führen. Ein Ziel dieser Repression ist es, kritische Menschen einzuschüchtern und ihnen ein Gefühl von Ohnmacht gegenüber staatlicher Herrschaft zu vermitteln. Im Zuge dessen können Traumatisierungen entstehen, die manchmal dazu führen, dass sich Menschen aus politischen Zusammenhängen zurückziehen. Es ist es wichtig, ein Bewusstsein für eben dieses Vorgehen staatlicher Gewalt zu entwickeln, um sich gegenseitig zu unterstützen und wehren zu können, anstatt alleine irgendwann zu resignieren."(...)

wie gesagt: ein sehr unterstützenswertes projekt.

Freitag, 9. Februar 2007

assoziation: einsamkeit, stress, alter und alzheimer

möglicherweise erinnern Sie sich noch an diesen beitrag, in dem es u.a. um die zunehmende verbreitung von sozialer isolation und einsamkeit in den usa geht. ich möchte das nochmalige lesen empfehlen, denn zusammen mit den gleich folgenden informationen geht es hier um fatale konsequenzen gesellschaftlicher realitäten, die nicht erst seit gestern für die große mehrheit aller lebenden menschen bedrohliche formen angenommen haben.

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jetzt zu den eben erwähnten informationen, die ich zwei artikeln des deutschen ärzteblattes entnommen habe. zum einen gibt es dort unter der überschrift Deutliche Zunahme neurologischer Erkrankungen zu lesen:

(...)"Offensichtlich ist dagegen der Grund für die Zunahme der Alzheimer-Erkrankungen: die steigende Lebenserwartung. Sie zählt mit 67 von 1.000 US-Amerikanern zu den häufigsten (schweren) neurologischen Erkrankungen. Auch die Zahl der Parkinsonerkrankungen, an der heute 10 von 1.000 US-Amerikaner erkranken, wird weiter ansteigen. In einem weiteren Beitrag prognostiziert Ray Dorsey von der Rochester Universität eine Verdopplung der Zahlen bis zum Jahr 2030 (Neurology 2007 68: 384-386)".(...)

(das der artikel auch aussagen über die hier bereits öfter erwähnten steigenden zahlen von diagnosen aus dem "offiziellen" autistischen spektrum macht und dazu kurz den immer noch laufenden streit über die interpretation dieser zahlen streift, soll hier ausnahmsweise einmal nicht das thema sein).

eine komprimierte zusammenfassung des derzeitigen informationsstands zur alzheimer-demenz findet sich hier. wobei zu sagen ist, dass ergänzend eigentlich diese studienergebnisse dazugehören. und wie schon gesagt: erinnern Sie sich nochmals an das ausmaß der verbreitung von sozialer isolation in den usa.

"Menschen, die sich einsam und verlassen fühlten, erkrankten den Ergebnissen einer Kohortenstudie zufolge mehr als doppelt so häufig an einer Alzheimer-Demenz wie gesellige Menschen. Die Autoren glauben in den Archives of General Psychiatry (2007; 64: 234-240) nicht, dass der soziale Rückzug ein Frühsymptom der Erkrankung ist, haben aber keine Erklärung, wie negative Emotionen die doch massiven strukturellen Veränderungen im Gehirn des Alzheimerkranken auslösen könnten.(...)

Mit dem Memory and Aging Project erforschen Mediziner der Rush Universität in Chicago seit Jahren die vielfältigen Aspekte der Alzheimer-Demenz. Dazu gehört die Tatsache, dass viele Personen bereits vor dem Ausbruch der Erkrankung zunehmend sozial isoliert sind. In der aktuellen Studie zeigen Robert Wilson und Mitarbeiter, dass allein schon das Gefühl der sozialen Isolierung mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko assoziiert ist. Die 823 Senioren, die sich seit Ende 2000 an dem Projekt beteiligen, wurden in einem Fragebogen zu Beginn der Studie und danach jährlich wieder nach ihren Gefühlen befragt."(...)


die tatsache, dass alleine schon das gefühl der sozialen isolierung (und das ist hier nun mal wahrnehmungsmäßig relevant) "mit einem erhöhten erkrankungsrisiko assoziiert" ist, stellt dabei keineswegs eine besonders neue erkenntnis dar - und sie ist auch bei weitem nicht nur im hinblick auf alzheimer von belang. mit dem fortschreitenden wissen der neurowissenschaften wird immer mehr das deutlich, was im nächsten absatz an erster stelle steht:

(...)"Die Studie zeige, dass soziale Interaktionen einen spürbaren Einfluss auf das Gehirn haben, meint Susanne Sorensen von der britischen Alzheimer's Society, welche die Studie auf ihrer Internetseite kommentiert. Ähnlich äußert sich Rebecca Wood vom Alzheimer's Research Trust, einer britischen Stiftung. Mahnend weist sie auf Fragmentierungstendenzen in der Gesellschaft mit der Zunahme sozial isolierter Menschen hin, die langfristig einen „echten“ Einfluss auf die mentale und physische Gesundheit der Bevölkerung haben könnte."

das "könnte" streichen wir an dieser stelle mal. wichtig wäre nach diesem schritt eher, die art und weise dieses einflusses und seine folgen möglichst genau zu bestimmen - aber diese aufgabe würde eine veränderung im menschen- und weltverständnis erfordern, die offensichtlich auch für wissenschaftlerInnen nicht so einfach zu realisieren ist:

"Weder die Autoren noch die Kommentatoren haben jedoch eine Idee, wie die psychosozialen Faktoren in die Pathophysiologie der Alzheimer-Erkrankung einwirken und wie sie zum massiven Untergang von Hirnzellen betragen könnten."

ach? wirklich überhaupt keine idee?

(...)"Unsere Versuche bestätigen, dass soziale Isolation der mit Abstand größte Stressfaktor ist, weit vor Elektro- oder Kälteschocks", erklärt Professor Bauke Buwalda von der niederländischen Universität Groningen den Sinn dieses Experiments."(...)

stress nun wiederum, und das ist meines wissens mittlerweile wirklich keine spekulation mehr, stress kann psychophysisch sehr fatale wirkungen mit sich bringen:

(...)"Zwischenmenschliche Belastungen, Überforderungen oder bereits kleinere psychische Anspannung schalten im Hirn Stressgene an, deren Produkte über den Blutweg die Nebenniere erreichen, wo vermehrt Cortisol produziert wird. Letzteres unterdrückt die Produktion von Sexualhormonen und die Immunabwehr. In diesem Sinne werden heute in der Psychoneuroimmunologie mögliche Zusammenhänge zwischen Stress und Krebs diskutiert. Aber auch zur Alzheimer-Entstehung bieten sich Verbindungen an: Stressgene hemmen andere Gene, die Nervenwachstumsfaktoren produzieren. Auch vermag laut Bauer Stress ein bestimmtes Protein Alzheimer-typisch zu verändern."(...)

vielleicht sollten sich die autoren der oben erwähnten alzheimer-studie einfach mal mehr außerhalb ihrer vermutlichen wahrnehmungstunnel bewegen?

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ich habe vor langer zeit selbst mal ein halbes jahr auf zwei pflegestationen eines privat (lies: kommerziell) betriebenen sog. "alten- und pflegeheims" gearbeitet. und von den vielen in diverser hinsicht unangenehmen erinnerungen ist mir das miterleben des in einem atemberaubenden tempo vor sich gehenden dementen verfalls eines alten mannes als eine der nachdrücklichsten im gedächtnis. dieser mann kam in einem durchaus "fitten" zustand in die station, d.h. er konnte sich um seine sachen selbst kümmern, war geistig klar und orientiert, kommunikationsfähig, nicht bettlägerig und - neben einigen heutigen alterstypischen beschränkungen - durchaus jemand, zu dem das attribut "rüstig" gepaßt hat.

all das änderte sich in nur zwei- bis drei monaten des stationären aufenthaltes in extremer und erschreckender hinsicht.

neben einem etwas schleichender vonstatten gehenden körperlichen verfall fielen als erstes kleine vergeßlichkeiten auf, ebenso wie unsicherheiten in form längerer pausen im gespräch. diese symptome steigerten sich im laufe der - kurzen - zeit zu einer mehr oder weniger vollausgebildeten allgemeinen demenz.

wie gesagt, diese geschichte liegt schon über zwei jahrzehnte zurück und natürlich könnte auch eine zufällig gerade in dieser zeit voll "aktiv" gewordene primär "hirnorganische" krankheit mit verantwortlich gewesen sein - das kann ich nicht mehr rekonstruieren. aber selbst in diesem falle würde sich die frage nach dem oder den auslösern dieser aktivität stellen.

und damit zu dem, was heute immer als psychosoziale bedingungen bezeichnet wird: das klima - und zwar sowohl allgemein als speziell das arbeitsklima - dieser station war ein durchaus desolates: eine autoritär auftretende und willkürlich handelnde stationsleiterin, medikamenten- und alkoholprobleme bei teilen des personals - und einige phänomene mehr, die heute wohl unter den begriffen mobbing und burn-out laufen würden (supervision war natürlich völlig unbekannt). das verhältnis zu den "patientInnen" wiederum war unter diesen umständen - wie konnte es auch anders sein? - ein verdinglichendes in dem sinne, dass die reibungslosigkeit des betriebs vorgeordnet an erster stelle stand, weit vor allen etwaigen bedürfnissen der alten. dazu wurde großzügig von medikamenten, v.a. psychopharmaka, gebrauch gemacht. die reine befriedigung der körperlichen grundbedürfnisse wurde zwar gewährleistet, jedoch wurde auch hier der formale rahmen an die erste stelle gesetzt. was konkret bspw. bedeutete, dass der wunsch einer alten frau nach einem zusätzlichen nachtisch beim mittagessen glatt abgeschmettert wurde - "aus prinzip". es blieb jeden tag einiges an essensportionen über, und diese reste wurden jeden tag in den "schweineeimer" geschmissen und entsorgt. an der verfügbarkeit eines zweiten nachtisch lag es also nicht.

aber am "prinzip". was hier als synonym dafür zu lesen ist, dass ein großteil des personals die alten als störend und lästig empfand - gerade und besonders dann, wenn sie bedürfnisse äußerten, die über die vorgeschriebene minimalversorgung hinausgingen. ich will hier generell kein altenpflegerInnen-bashing betreiben: dieser beruf ist aus meiner perspektive einer der schwierigsten, den es gibt. die ständige konfrontation mit verfall, krankheit und v.a. dem tod unter bedingungen von personalknappheit (Sie wissen schon: die "betriebswirtschaftliche logik"...) und grotesk schlechter bezahlung verlangt eine enorme persönliche stärke, die aber unter den herrschenden gesellschaftlichen bedingungen niemals ausreichen kann. das nur am rande.

"minimalversorgung" jedenfalls meinte damals auch, dass die bedürfnisse nach aktivität und kommunikation - sofern noch vorhanden - seitens der bewohnerInnen in der art "befriedigt" wurden, dass diejenigen, die nicht ständig bettlägerig waren, nach dem frühstück angezogen wurden und bis zum - am späten nachmittag stattfindenden - abendessen in einen scheußlich eingerichteten raum vor den fernseher gepackt wurden - programm nebensächlich - und dort unter weitgehender sprachlosigkeit und sich selbst überlassen vor sich hindämmerten, bis sie wieder ins bett befördert wurden.

manifeste lieblosigkeit - auch ein synonym für soziale isolation. ich habe in den paar monaten dort selbst psychophysische symptome entwickelt, und bin nach einer schweren auseinandersetzung mit der erwähnten stationsleiterin auf eine andere station versetzt worden, auf der ich eine art gegenmodell zum gerade beschriebenen kennenlernen konnte. ein pflegeteam, das aus den eigenarten und den persönlichen fähigkeiten seiner mitglieder heraus sowohl insgesamt ein ganz anderes arbeitsklima etablieren konnte und v.a. seine aufgaben auch jenseits des vorgeschriebenen minimalismus suchte und fand. so wurden zb. spielnachmittage und ausflüge organisiert, und besonders jeden tag und immer wieder das gespräch mit den alten gesucht - und sich zeit genommen. ich kann von heute aus nicht sagen, ob die verantwortliche stationsleitung dazu besondere kämpfe mit der heimleitung ausfechten musste. ich vermute eher, dass lediglich die vorhandenen möglichkeiten konsequent ausgeschöpft wurden.

und als basis dafür braucht es u.a. ein empfinden dafür, es bei pflegerischen tätigkeiten eben nicht mit irgendwelchen dingen zu tun zu haben, die sich beliebig in die ecke stellen lassen - und später wieder rausgeholt werden.

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warum ich diese geschichten gerade erwähnt habe, sollte eigentlich deutlich sein. und seit damals muss ich immer wieder über einige aspekte von demenz nachdenken, die mir deutliche botschaften zu enthalten scheinen, welche unter berücksichtigung des themas soziale isolation noch deutlicher zu werden:

demenz bedeutet vergessen. und ich kann mir kaum etwas in einem gewissen sinne wirkungsvolleres vorstellen als strukturelle hirnveränderungen, um einsamkeit, schmerzen, demütigungen und allgemeinen stress ein für alle mal anscheinend zu entkommen.

demenz bedeutet selbstverlust. und damit verschwindet die angriffsfläche für die gerade genannten negativen zustände.

demenz bedeutet einen funktional autistischen zustand immer weiter um sich greifender (scheinbarer) beziehungslosigkeit. die sich speziell und konkret in den sozialen beziehungen manifestiert. das lässt sich als sehr umfassenden rückzug aus dem wichtigsten bereich des menschlichen lebens interpretieren.

und mit all dem obigen ganz eng zusammen hängt für mich der letzte aspekt, den ich erwähnen möchte: demenz bedeutet letztlich eine rückkehr in die früheste kindheit. zu meinen alltäglichen arbeiten damals gehörten füttern, windelwechsel sowie waschen - alte babys. ein zustand der zunehmenden hilflosigkeit, in dem die elementarsten körperfunktionen eine - wie auch immer konkret aussehende - zuwendung und aufmerksamkeit praktisch "erzwingen". ich kann mir nicht helfen: auch das lässt sich als ein - nicht "bewußt" durchgeführter und aus bestimmter perspektive kreativer - ausweg aus einer position der isolation interpretieren, bei dem selbstachtung, scham- und stolzgefühle keinerlei hindernisse mehr darstellen können, weil sie schlicht vergessen werden.

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was aus dem obigen für folgerungen bezgl. unserer lebensverhältnisse zu ziehen sind, möchte ich Ihnen überlassen.

Mittwoch, 7. Februar 2007

happy birthday, klaus theweleit!

alles gute zum 65. und danke für viele jahre inspirationen und anregungen - in der hoffnung, dass es noch lange so weitergehen möge. die "männerphantasien" waren für mich ein schlüssel für eine andere art der wahrnehmung - und es ist selten genug, dass sich solches über kulturelle produktionen sagen lässt.

mehr hier.

(...)"Mit seiner Doktorarbeit traf Theweleit den Nerv des Publikums. Seine Dissertation 1977 und 1978 über "faschistisches Bewusstsein und der soldatischen Prägung des Ich" bildeten die Grundlage für das Buch "Männerphantasien". Darin geht Theweleit mit Hilfe von Freikorpsliteratur der Frage nach, welcher Typ Mann im Dritten Reich in den Sog des Faschismus geriet.

"Die Frage ist hoch aktuell", sagt Theweleit. Es gehe darum, wie ein Mensch ein Nazi und ein zum Töten bereiter Soldat werden könne. Sein Ziel sei es, die Leser zu einer Auseinandersetzung mit dieser Frage zu bewegen. Eine wichtige Rolle nehme dabei das Verhältnis zwischen Mann und Frau ein."(...)

Sonntag, 4. Februar 2007

assoziation: "Ein verstörender Trip in ein System vor dem Kollaps"

so lautet der letzte satz eines artikels zu - nein, nicht zu den kommenden klimaveränderungen, sondern zu einer neuen fernsehserie. tv-frei, wie ich sehr weitgehend bin, interessiert mich nun diese serie zwar weniger (auch wenn die inhalte recht realitätsgetreu zu sein scheinen), nichtsdestotrotz ist der satz eine absolut passende überschrift für diese neue ausgabe des kleinen presserundblicks.

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ich weiß, dass hier noch einiges gerade an antworten auf kommentare von verschiedenen leserInnen aussteht - und möchte die betreffenden deshalb schon mal um entschuldigung bitten. ich bin persönlich gerade in einer stresssituation und komme deshalb nur sporadisch zur arbeit hier im blog.

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und einiges gibt es gerade aus den letzten tagen nachzutragen, was ich thematisch relevant finde. ich fange mit ein paar ergänzungen zu verschiedenen blogthemen an.

der sog. amoklauf von emsdetten ist, wie nicht anders zu erwarten war, bereits schon wieder halb dem öffentlich-medialen vergessen anheim gefallen. ich hatte damals besonders zum aspekt der auffälligen geschlechtlichen verteilung bei amok-tätern bzw. der frage, ob es sich dabei um ein "männliches" phänomen handelt, geschrieben:

(...)"bis auf weiteres tatsächlich ja. zwar gibt es auch affekttaten von frauen, hauptsächlich im sog. häuslichen beziehungsbereich. aber diese besondere art der öffentlichen gewalt, schwerbewaffnet und grundsätzlich wahllos, ist bisher eine männliche domäne. ich glaube allerdings, dass es nur noch eine frage der zeit ist, bis sich das ändert: ähnlich wie bei den essstörungen, von denen seit kurzer zeit inzwischen auch zunehmend mehr und mehr männer betroffen sind, während gleichzeitig prügelnde mädchengangs deutlich machen, dass eine emanzipation, die sich in abstrakter (objektivistischer) "gleichstellung" erschöpft, keine wirkliche emanzipation darstellt"(...)

ich hätte mir - ähnlich wie in anderen fällen - gewünscht, dass meine obige prognose nicht so schnell zur realität wird:

"Eine angetrunkene Frau hat in Halberstadt mit einem Messer wahllos auf Passanten eingestochen. Wie die Polizei mitteilte, wurden dabei gestern Abend drei Menschen verletzt. Die 28-jährige Täterin habe das Messer zunächst einer 66-jährigen Frau an den Hinterkopf geschlagen. 20 Minuten später habe sie eine junge Frau oberhalb der Brust verletzt. Danach habe die Frau noch einen Radfahrer angegriffen. Ihm sei das 17 Zentimeter lange Küchenmesser so in die Schulter gerammt worden, dass er operiert werden musste."(...)

ich bin persönlich bei meiner spekulation ebenfalls davon ausgegangen, dass für den fall solcher taten von frauen gleichfalls ein relativ junges alter der täterinnen zu beobachten sein wird - einfach deswegen, weil alle menschen, die etwa seit 1980 geboren worden sind, völlig ohne jede wahl und vergleichsmöglichkeiten in die zunehmenden realen antisozialen verfallsprozesse dieser gesellschaft - die sich v.a. in einer explosion virtueller bzw. objektivistischer phänomene manifestiert - gezogen worden sind und werden. zusammen mit den jeweiligen individuellen entwicklungs(un)möglichkeiten und - bedingungen ist das ein punkt, den ich nicht unterschätzen würde (selbst für den fall, dass die betreffende junge frau noch in der alten ddr sozialisiert geworden sein sollte - dieser staat hatte bekanntlich seine eigenen varianten der verdinglichung, und hat sich dazu, wie der gesamte sog. ostblock, immer nur im vergleich mit dem extremkapitalismus des westens wahrgenommen - und ist darüber letztlich in einer position des anhängsels, der billigen kopie, gelandet.)

*

was ich gerade oben geschrieben habe, sollte etwas klarer werden bei ansicht eines artikels, der sich u.a. näher mit der üblen erscheinung des sog. happy slapping beschäftigt:

(...)"Happy slapping - so heißt im Szenejargon die absonderliche Mode, mit der Handykamera Misshandlungen aufzunehmen, die man selbst begeht. Happy slapping, fröhliches Dreinschlagen, wird häufig nicht als Gewaltakt wahrgenommen, die Opfer werden nicht als Opfer angesehen, sondern eher als Kleindarsteller, oft kommen sie zufällig des Wegs, sind zur falschen Zeit am falschen Ort.

Slappen ist eine Art kollektives Freizeitvergnügen. "Es tut gut, irgendwelche Leute zu verhauen, außerdem macht es Spaß", ist in einem Chatforum im Internet zu lesen, und: "Auch wenn es denjenigen, die verhauen werden, wahrscheinlich wehtut, ist es witzig, als ob man einen Sketch im Fernsehen sieht."(...)


dieses "zur falschen zeit am falschen ort" sein ist übrigens für mich von genau der gleichen art, wie es sich bei opfern von amokläufern finden lässt - was weitergedacht auch bedeutet, dass den täterInnen der konkrete mensch jeweils mehr oder weniger in allen aspekten völlig egal ist - mittel zum zweck. soll das nun noch als interpersonale gewalt (= aus einer entgleisten, wenn auch noch grundsätzlich und realen subjektiven wahrnehmung heraus) begriffen werden, oder doch eher als grundsätzlich a-personale (der/die andere kann und wird nicht mehr als mensch wahrgenommen)? die wahrscheinliche antwort findet sich auf der dritten seite des artikels:

(...)"Klaus Hurrelmann, der Erziehungswissenschaftler aus Bielefeld, denkt vor allem an die Opfer, wenn er eine Erklärung dafür sucht, warum so oft nach dem Zufälligkeitsprinzip zugelangt wird.

Der Ehrenkodex hat sich geändert und damit das Verhältnis zwischen Opfer und Täter." Es gebe keine Regel mehr, die das Opfer schütze, sein Schicksal spiele keine Rolle mehr. Wie auch, fragt er, wo doch der Mensch, der malträtiert werde, "in einer Mischung aus Kurzschluss und psychischem Ausnahmezustand nicht mehr als Mensch wahrgenommen wird?".

Heute gehe es selten darum, die Missetat eines anderen zu vergelten, sich für eigenes Unrecht zu rächen. Der Mensch, der auf der Straße, in der Schule geprügelt werde, sei in der Wahrnehmung der Täter "ein virtueller Mensch".(...)


yo. der letzte satz bringt es auf den katastrophalen punkt, der eine entwicklungstendenz zusammenfasst, die für sich ebenso einen solchen öffentlichen alarm auslösen müsste, wie es gerade hinsichtlich des klimas zu beobachten ist (ich bin dabei, nicht sehr überraschend, der meinung, dass es zwischen den beiden entwicklungen gar nicht mal so untergründige verbindungen gibt - mehr dazu später).

nur den "psychischen ausnahmenzustand" würde ich präzisieren wollen: genauer wäre es, von einem zustand der psychophysischen schädigung der wahrnehmungsgrundlagen mit der folge der dominanz objektivierender bzw. objektivistischer/verdinglichender teilwahrnehmung zu reden. die im artikel ebenfalls erwähnte "langeweile" lässt sich bereits als symptom dieses zustands betrachten, weil sie als ausdruck einer impliziten und zwangsweise mit der dominanz des objektivistischen modus (der ja nur eine art werkzeug darstellt und für die aufgabe der kontinuierlichen sinnwahrnehmung weder gedacht noch funktionabel ist) zusammenhängenden sinnlosigkeit des lebens zu begreifen ist.

diese sinnlosigkeit ist dabei letztlich völlig unausweichlich in einer kultur, die sich - mit einiger wahrscheinlichkeit bedingt durch die massenhafte verbreitung von gewalt in so ziemlich allen sozialen bezügen mitsamt ihren traumatischen folgen, die sich eben auch in einer ebenso verbreiteten schädigung der wahrnehmungs- und empathiefähigkeiten manifestiert - schon seit jahrhunderten auf dem suizidalen irrweg der leugnung, verdrängung und abspaltung der tatsache befindet, dass menschen sowohl unabänderlich soziale wesen sind als auch - ebenso unabänderlich - von den engsten sozialen beziehungen angefangen bis hin zur verwobenheit in die planetarische ökologie in ein uraltes und lebenslanges beziehungsgeflecht eingebunden sind, aus dem es selbst - ich sagte es früher schon - für autisten aller coleur keine realen, sondern immer nur halluzinierte - virtuelle - "ausgänge" geben kann. können diese tatsachen mitsamt den daraus folgenden möglichkeiten und aufgaben nicht (mehr) kontinuierlich als selbstverständliche realität wahrgenommen werden, so ist das gefühl einer umfassenden und ständigen sinnlosigkeit die logische konsequenz. und diese totalitäre leere wird dann, jeweils kulturabhängig, mit beliebigen konstruktionen - also produkten des objektivistischen modus - versucht zu füllen. global beliebt dabei "götter" und "nationen", die sich heute in einen wettlauf mit dem konsequenten und auf eine historisch neue weise totalitär verdinglichenden ökonomismus des westens befinden, der auf seine perverse art und weise die ganze geschichte auf den kranken und in einem klinischen sinne wahnsinngen punkt bringt: quantifizierung, vergleich, abstraktion und konkurrenz. und es ist absolut kein zufall, dass damit genau die internen "funktionsprizipien" des objektivistischen modus im menschen benannt sind.

und "suizidaler irrweg" deswegen, weil das genannte beziehungsgeflecht zwar keine realen ausgänge, aber für jedes individuum ein sehr reales ende hat: nämlich den eigenen tod. das ist und bleibt die einzige (!) möglichkeit, wobei diese in diesem beziehungsgeflecht bereits vorgesehen ist, ebenfalls einen teil dessen darstellt und auch sinnvolle funktionen erfüllt.

was in einem strukturellen oder funktionellen autistischen/objektivistischen modus befindliche menschen allerdings - leider - können, ist die zerstörung gerade derjenigen materiellen grundlagen und teile des beziehungsgeflechtes, die für das überleben nicht nur unserer spezies lebensnotwendig sind. wer einen entscheidenden teil der eigenen wahrnehmungsfähigkeiten eingebüßt hat (und stattdessen als objektivistisches surrogat z.b. den eigenen quantifizierbaren profit als einzigen "lebenssinn" zur verfügung hat), wird erstens weder rücksichtnahme auf soziale und ökonomische beziehungen und grenzen kennen, zweitens weitgehend ignorant gegenüber allen entsprechenden warnsignalen bleiben (von denen das leid von lebewesen für alle empathiefähigen menschen eines der wichtigsten darstellt), und drittens im schlechtesten fall nicht einmal das problem begreifen können - und damit ist eine unüberwindlichende grenze für jeden heutigen begriff von "politik" gesetzt, die abstrakt und objektivistisch von einer diffusen "gleichheit" aller menschen ausgeht. es gibt nun aber real durchaus qualitative psychophysische unterschiede zwischen menschen, die im extremfall die wahrnehmung völlig unterschiedlicher welten bedeuten - die nazis z.b. haben mit ihrem gerede von "untermenschen" imo nicht nur unsinn erzählt, sondern auf ihre eigene art und weise ihren wahrnehmungsstatus durchaus korrekt beschrieben - und sie haben uns mit ihrem handeln einen deutlichen hinweis darauf hinterlassen, was derartige wahrnehmungsbeschränkungen für folgen haben können (die schweren und ernsten konsequenzen aus dieser situation für alle bestrebungen, die auf radikale und nötige gesellschaftliche veränderungen abziehen, sollen ein anderes mal thema sein.)

*

was ich mit dem obigen konkret meine, wird anhand eines tp-artikels gleich mehrfach deutlich: einmal werden dort die neuesten bestrebungen des konzerns "exxon" thematisiert, mittels lobbyarbeit (dieser konzern und seine diesbezgl. methoden waren in einem der letzten beiträge hier schon thema) die uno-studie zur globalen erwärmung zu wiederlegen - die offensichtliche gleichgültigkeit gegenüber den verheerenden folgen des eigenen handelns, die mafiöse art und weise der manipulationsversuche sowie das augenscheinliche interesse am profit einiger weniger machen diesen und andere konzerne als objektivistische institutionen deutlich, die sehr berechtigt als "feinde des planeten" bezeichnet werden müssen.

zum anderen wird einer der vom kapital gekauften wissenschaftler mit worten zitiert, die an klarheit und deutlichkeit nicht mehr zu wünschen übrig lassen - und sie machen meiner meinung nach das, was ich oben abstrakt versucht habe zu beschreiben, in einer plastischen art und weise greifbar - der betreffende schreibt bezgl. all derer, die die notwendigkeit zu drastischen veränderungen des parasitären westlichen lebensstils sehen, folgendes:

(...)"Alles, was in Richtung Emissionsbegrenzung geht, zeigt eine `begrenzte Vernunft´ – und dient den Interessen einer mächtigen `tödlichen Koalition´– von Leuten, `die fossile Energien hassen, Autos, große Häuser, urbane Ausweitung, Autobahnen, reiche Leute, dicke Menschen, Industrie, Flugzeuge, Fleischkonsum, nicht recyclebares Papier und alles andere, was jemanden Freude bereitet (...)"

eines der eindrucksvolleren beispiele der irren - und real tödlichen - logik des mainstreams der westlichen kultur, wie ich finde. hier steht alles buchstäblich auf dem kopf, d.h. weist eine unübersehbare perverse und v.a. dingorientierte tendenz auf: "fossile energien, autos, große häuser, großstädte, autobahnen, reichtum, industrie, flugzeuge" gelten hier nicht als mittel, die menschlichen lebensnotwendigen grundlagen zu sichern und dabei mit realer rationalität (= eine rationalität, die aus der gesamten vollständigen subjektivität stammt und darum auch emotional fundiert ist) die positiven und negativen konsequenzen von technischen errungenschaften und bestimmten lebensstilen abzuwägen und bei überwiegen letzterer die betreffenden "errungenschaften" eben auch nötigenfalls - und zwar letztlich im eigenen interesse - abzuschaffen bzw. verträglich anzupassen. nein, das einzige "argument", welches für klimaschäden durch fossile energien, landschaftsversiegelung durch urbanität, tausende verkehrstote und die gesamten negativen folgen unserer wahnsinnigen motorisierung, immense soziale verwerfungen und instabilitäten durch die ungerechtigkeiten des arm-reich-gefälles, die endlos bekannten risiken aller art durch übermäßige industrialisierung, die ebenfalls nicht mehr zu verantwortenden schäden durch den flugverkehr, das elend von millionen tieren und sonstige katastrophale wirkungen des westlichen lebensstils vorgebracht wird, ist - und das ist kaum zu glauben, auch wenn´s zu erwarten war:

freude.

es ist erstens interessant zu sehen, wie im angesicht der nur noch von kompletten ignoranten und bewußten tätern zu leugnenden desaströsen folgen des kapitalismus gerade ein vertreter der benannten gruppe all das ideologische geschwafel von "rationalität" und "objektivität" eben als genau das kenntlich werden lässt, und sich auf die verpönten gefühle zurückzieht (den aspekt der projektion, mit dem im obigen zitat kritikern "hass" vorgeworfen wird, lasse ich hier mal außen vor):

"wir prassen, verschwenden und vergiften uns und alle anderen zwar, führen ein wahrhaft parasitäres leben nicht nur auf kosten von milliarden heutiger menschen und eigentlich der gesamten ökosphäre, sondern ruinieren gleich auch noch unzählige kommende generationen mit und üben mit all dem bzw. den mitteln zur durchsetzung dieser lebensweise zwar massive gewalt aus - aber das macht uns freude"

zweitens aber ist es ungeheuer wichtig, sich über den psychophysischen ursprung dieser "freude" klarzuwerden: sie ist letztlich ein surrogat, ein objektivistisches konstrukt, welches die reale unfähigkeit zum genießen - zu dem zeit, stille, intensität und v.a. liebesfähigkeit im weitesten sinne gehört - nicht mal mehr ansatzweise verdecken kann. was alleine dadurch bestätigt wird, dass es sich im kern hier um "freude" an prozessen der destruktion und vernichtung handelt. und bezgl. des letzteren sollten wir imo diese "freude" wortwörtlich nehmen: ich vermute, dass es sich bei extrem vielen vertreterInnen der heutigen "eliten" letztlich um leute handelt, die sich selbst, andere menschen und alles lebendige überhaupt zutiefst hassen und verachten. das ist eine logische folgerung aus ihrem mörderischen treiben. zum anderen aber ist tatsächlich der surrogatcharakter wichtig: in einer grundsätzlich autistischen/objektivistischen wahrnehmung gibt es keinerlei authentische sinnlichkeit, die in all ihren vielfältigen erscheinungsweisen für echte freude (und darüber auch für impliziten lebenssinn) sorgen kann. stattdessen wird eine pervertierte freude alleine aus den konstruktionen gezogen, die der objektivistische modus produzieren kann: mehr haben - und zwar in einer quantifizierbaren und konkretistischen art und weise - als andere (hier dürfte die eigentlich quelle für das irrsinnige raffen von geld und beliebigen dingen zu suchen sein) ; sich in einem ebenfalls quantifizierbaren und konkretistischen maßstab größer als andere fühlen (einer der wichtigsten motoren für alle hierarchischen systeme).

schauen Sie sich einfach mal in unseren verschiedenen lebensbereichen um, wo dort überall diese quantifizierbaren und konkretistischen maßstäbe zu finden sind - und Sie können sehen, wie weit die surrogate für ein authentisches soziales leben bereits in diese gesellschaft eingedrungen sind.

*

es ist höchste zeit, sich von dieser wahnsinnigen und suizidalen verirrung radikal zu verabschieden.

Samstag, 27. Januar 2007

notiz: "Prügelstrafe light" (update)

wenn ich über nachrichten wie diese näher nachdenke, dann ist das ergebnis einerseits, dass ich mehr und mehr dazu tendiere anzunehmen, dass sich die sog. "eliten" weltweit mehr oder weniger einem zustand des offenen psychotischen agierens nähern - in politik- und geschichtswissenschaften werden solche ereignisse dann unter namen wie "diktatur", "totalitarismus" oder "autoritäre formierung" abgeheftet, meist unter mehr oder weniger gelungenen versuchen, die damit real verbundenen leiden, schmerzen und zerstörungen in abstraktionen bzw. objektivistischen konstruktionen verschwinden zu lassen. andererseits ist eine untrennbare reaktion ebenfalls auch ein emotionaler aufruhr, der von fassungslosigkeit bis hin zur wut reicht - ich wäre sehr an weiteren reaktionen von anderen auf das folgende interessiert:

(...)"Japanische Lehrer sollen in Zukunft aufmüpfige Schüler in die Ecke stellen und mit leichten Schlägen auf den Kopf bestrafen - das schlug eine Expertenkommission Ministerpräsident Shinzo Abe vor. Die "Prügelstrafe light" fand Abes ausdrückliche Zustimmung, um wachsender Gewalt und Disziplinlosigkeit an den Schulen zu begegnen.

Auf keinen Fall gehe es aber darum, die Schüler wie früher mit dem Stock zu züchtigen oder brutal zu verprügeln, sagte ein Sprecher Abes. Neben den Disziplinarmaßnahmen ist auch eine Ausweitung der Unterrichtszeit geplant. Etwa zehn Prozent länger sollen die Schüler lernen, denn aus Sicht der Regierung haben ihre Leistungen nachgelassen. Letzten Monat hatte das Parlament zudem ein Gesetz verabschiedet, das mehr Patriotismus in Japans Schulen tragen soll."(...)


das wort zurichtung, und zwar für das (im kern total sinnlose) ökonomische "rat race", trifft es hier schon ganz genau. zur sinnkonstruktion gibt´s dann wieder mal das altbewährte emotionale stützkorsett namens "patriotismus" für in ihrer authentischen identität geschädigte menschen.

zu einigen weiteren zuständen in japan mehr hier und hier.

*

edit: und dann kommt mir prompt dieser artikel vor die augen, dessen inhalt durchaus als eine art alternativprogramm zu den japanischen maßnahmen - bei ähnlicher problemlage - gelesen werden kann (und auch, wenn mir kandinsky unten im kommentar zuvorgekommen ist, lasse ich die schon geschriebene ergänzung jetzt einfach so stehen):

(...)"An Privatschulen wie dem Wellington College wurden bereits "Glücklichkeitsstunden" oder Unterricht in well-being eingeführt, nachdem die Regierung empfohlen hatte, es sei auch wichtig für die Kinder, emotionale Intelligenz zu entwickeln und ihre Gefühle kennen zu lernen, die auch das Verhalten prägen. Geistige Leistungsfähigkeit und soziales Verhalten finden auf der Grundlage der emotionalen Intelligenz statt, glaubt man nicht ganz zu Unrecht, weswegen das britische Kultusministerium bereits 2005 den Umgang mit Gefühlen als Thema des Unterrichts in Schulen vorgeschlagen hat. In diesem Jahr sollen die ersten Versuche an Schulen bewerten werden, um zu entscheiden, ob man "happiness classes" als Pflichtstunden an allen Schulen einführt.

Britische Schulen haben bereits jetzt die Verpflichtung, sich um das geistige, emotionale und soziale Wohl der Schüler zu kümmern. So sollen bereits alle Grundschulen Sitzungen machen, auf denen die Schüler über ihre Gefühle sprechen. Dabei sollen die Lehrer Anleitungen geben, wie man Freundschaften schließt, Streitereien schlichtet oder mit Ärger umgehrt. Sekundärschulen sollen emotionale Bildung (emotional literacy) in diesem Jahr mit den Themen Selbstbewusstsein, Mitgefühl, Kontrolle von Gefühlen, Selbstmotivation und soziale Interaktion einführen."(...)


hmhmhm. ich bin stark zwiegespalten. grundsätzlich finde ich die ignoranz und nichtthematisierung von ganzen und wesentlichen bereichen des menschlichens lebens - richtig: gefühle, "psyche", körper - innerhalb des bisherigens schulsystems nicht nur in de. einen bezeichenden ausdruck für die allgemeine gesellschaftliche dissoziation. und würde deshalb auch grundsätzlich konzepte wie oben stark begrüßen (alleine schon, wenn ich mich an meine eigene schulzeit erinnere - zurichtung zu einem ökonomie-kompatiblen wesen bei gleichzeitigem einseitigem training der objektivistischen fähigkeiten unter ignoranz aller "nur" angeblich subjektiven (lies: von geringem wert) reaktionen und empfindungen.)

mit der einführung solcher maßnahmen wird dann übrigens spätestens jetzt auch staatlicherseits unausgesprochen zugegeben, dass die heutigen gesellschaftlichen verhältnisse auf so derart viele menschen destruktive wirkungen haben, dass ganz elementare soziale fähigkeiten nachhaltig in massenhaften dimensionen ge- und zerstört sind, und von derart betroffenen als eltern dann eben auch nicht mehr weitergegeben können.

andererseits: wenn ich das ganze dann zusammen mit entwicklungen in großbritannien betrachte, wie sie bspw. im verlauf dieses beitrags oder auch hier erkennbar werden, und dazu berücksichtige, dass dieses land wie der gesamte sog. "freie westen" unter dem diktat einer zunehmend mörderischer werdenden allgemeinen verdinglichung und der ökonomistischen logik steht, kann ich mir die frage nicht verkneifen, ob wir vor diesem hintergrund ernsthaft davon ausgehen können, dass sich die herrschenden "eliten" selbst ein derartiges ei ins nest legen.

will sagen: kein herrschaftssystem - wirklich keins - hatte und kann interesse an selbstbewußten und psychophysisch gesunden menschen haben - es würde sich selbst den nötigen boden unter den füßen wegziehen. von daher befürchte ich spontan eher, dass es sich bei den dargestellten absichten tatsächlich eher um eine breit angelegte konditionierung von kindern handelt, die in den herrschenden verhältnissen formal funktionsfähig gemacht werden sollen - denn auch noch der raubgierigste kapitalismus ist für die ungestörte abwicklung der geschäfte wenigstens auf simulationen von sozialem verhalten angewiesen.

wenn es sich anders verhalten würde und bspw. tatsächlich empathie(un)fähigkeiten im täglichen leben thematisiert werden würde, wäre ich der letzte, der daran herumnörgeln würde - es wäre dann im gegenteil eine art von sozialem großversuch, der in ganz vielen bereichen gewaltige - und zur abwechslung einmal tendenziell positive - konsequenzen haben könnte. aber erstmal finde ich es berechtigt, sehr mißtrauisch zu bleiben.

Freitag, 26. Januar 2007

notiz: kevin - oder wenn verdinglichung, ökonomische logik und konstruierte "sachzwänge" zur tödlichen waffe werden

was seit bekanntwerden der geschichte des getöteten kindes immer wieder vermutet worden war (und ebenso regelmäßig von den involvierten "führungspersonen" der bremischen politik abgestritten wurde), ist jetzt durch eine aussage eines ehemals leitenden beamten vor dem entsprechenden untersuchungsausschuß bekräftigt worden - das gesamte statement ist hier zu finden, ich möchte nur ein paar kernaussagen wiedergeben - "AfSD" ist übrigens das kürzel für "amt für soziale dienste":

(...)"Ich wollte ihre Aufmerksamkeit auf institutionelle, atmosphärische und fachliche Rahmenbedingungen lenken, innerhalb derer das Fehlverhalten möglich war und zugelassen wurde. Für die Arbeit im AfSD wäre auch ohne den tragischen Tod des kleinen Kevin eine Zäsur dringlich angezeigt gewesen, damit notwendige fachliche Weichenstellungen vorgenommen würden. Der Maßnahmenkatalog der neuen Senatorin zu beabsichtigten Veränderungen im AfSD macht unübersehbar deutlich, welche Mängel es gab und gibt, die erst jetzt mit der Aufarbeitung des Kevin-Falles offen angesprochen werden.(...)

Ich möchte mit ihrer Erlaubnis mit einem Selbstzitat beginnen. 1999 habe ich in einer Entgegnung zum Gesamtkonzept für die ambulanten Dienste in einem internen Papier formuliert:

`Die Praxis der Jugendhilfe gerät in Gefahr, dass die von ihr erbrachten und zu erbringenden Leistungen künftig nur noch unter monetären Gesichtspunkten betrachtet werden. (…) Zu warnen ist davor, dass sozial benachteiligende Lebenslagen der Adressaten aus dem Blickfeld geraten und die Sicht öffentlicher Verantwortung und Aufgabenwahrnehmung verschwindet.´

Der Fall Kevin ist ein krasses und tragisches Beispiel dafür, dass die Warnungen ihre Berechtigung hatten. Die Kritik an dem Konzept wurde auch in ausführlichen Fachartikeln mit den Überschriften „Zur Tyrannei des Wegschauens“ und „Neue Steuerung und Systemik – eine verhängnisvolle Affäre“ publiziert. Eine offene Diskussion darüber hat die Amtsleitung nicht zugelassen, sondern als `Energievergeudung` diffamiert.

In den Jahren der Umsetzung dieses Konzeptes ist im AfSD ein Kostendruck-Regime errichtet worden. Eine kleine Gruppe von Leitungskräften, die nicht alle nach fachlicher Eignung und Erfahrung ausgewählt wurden, hat - durch die Weitergabe des Drucks an die Mitarbeiter - daran mitgewirkt, dass es bei einem Teil der Fachkräfte zu einer Deformation des fachlichen Selbstbewusstseins gekommen ist."(...)


dieses "kostendruck-regime" ist ganz maßgeblich durch vorschläge einer sog. unternehmungsberatung initiiert worden, also einer der verkörperungen jenes wahnzustandes, in dem nichts anderes mehr wahrgenommen werden kann als (pseudo-)"sachzwänge", "leistungsfähigkeiten" und "kosten-nutzen-rechnungen" - der mensch reduziert zu einem antisozialen und quasi-autistischen homo oeconomicus.

(...)"Das Fazit meiner Analyse ist, dass bei den Veränderungen im AfSD betriebswirtschaftliche Denk- und Handlungsmuster eine die Fachlichkeit überlagernde Eigendynamik entfaltet haben, die zu Lasten gründlicher fachlicher Abwägungen in der Alltagspraxis des Amtes ging. Das AfSD hat sich zu einem Exerzierfeld zur Einführung des neoliberal ausgerichteten „Neuen Steuerungsmodells“ entwickelt. Der Amtsleitung fungierte als Sparkommissar und sah sich beauftragt, die Sanierung des Bremischen Haushaltes zu unterstützen. Sie hat diesen Auftrag in unerträglich autoritärer und auch m.E. den gesetzlichen Aufträgen widersprechender Weise umgesetzt."(...)

das ist erstaunlich deutlich, und lässt mich wiederum mein vorläufiges fazit, welches ich damals gezogen hatte, präzisieren: das handeln des direkt verantwortlichen täters, also des vaters, erhält durch die immer deutlicher werdenden behördeninternen abläufe seinen realistischen kontext zurück. will sagen: es gab einen (im objektivistischen modus befindlichen und selbst nach den herrschenden psychiatrischen kriterien als gestört anzusehenden) täter, dessen handeln aber mindestens bei einer funktionierenden sozialen matrix (zu der in diesem fall auch behördliche sozialarbeit gehört hätte, die sich eben nicht primär im zustand der unterwerfung unter konstruierte "sparnotwendigkeiten" befindet) früher auffällig geworden wäre, wenn nicht gar verhindert hätte werden können. nun wird der täter derzeit psychiatrisch begutachtet - aber lassen sich nicht strukturelle verwandschaften zwischen ihm, den untätigen verantwortlichen behördenmitarbeitern sowie der handelnden in politik und "beratung" finden, die sich auf den gemeinsamen nenner "verdinglichende wahrnehmung von menschen" bringen lassen? es bleibt bis auf weiteres ein wunschtraum, dass die letzteren ebenfalls einmal bezgl. ihrer allgemeinen wahrnehmungs(un)fähigkeiten genauso begutachtet werden, wie es im falle des vaters von kevin für normal erachtet wird.

*

ein weiterer nachtrag: ich hatte ja damals bereits die befürchtung, dass die ganze geschichte auch von seiten der nazis als propaganda in ihrer typischen verzerrt-emotionalen art und weise benutzt werden könnte - und genau das ist mittlerweile passiert, wenn auch glücklicherweise vorläufig im kleinen rahmen. wobei das problem darin liegt, dass die nazis mit einiger wahrscheinlichkeit mehr stillschweigende zustimmung von der sich immer als "schweigende mehrheit" definierenden gruppe der opportunistischen recht-und-ordnungsfixierten bevölkerungsgruppe bekommen, als es aus dem anblick der kläglichen kundgebung heraus zunächst zu schließen wäre:

(...)"Am Ende mahnten sie allein und im Regen. Keine 25 Personen folgten am Samstagvormittag dem Aufruf des rechtsradikalen "Bündnis Keine Gewalt" zu einer "Mahnwache" gegen die Therapierung von "Kindermördern" vor dem Osterholzer Friedhof. Hintergund der von NPD-Kreisen sowie der Hooligan-Truppe "Backstreet Skinheads" organisierten Kundgebung ist die Verwahrung des Ziehvaters des getöteten Jungen Kevin in der Psychiatrie des Zentralkrankenhauses (ZKH) Ost."(...)

das sich die möchtegern-nachfolger von massenmördern unter dem namen "bündnis keine gewalt" versammeln, passt dabei perfekt in diese zeit.

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