notiz: über verdinglichung (update)

lesestoff (rechts oben auf der seite ist der link zum download des manuskripts als .rtf-datei):

"Professor Axel Honneth, Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, also Adorno-Nachfolger, arbeitet seit langem an einem wichtigen Projekt: Zum einen hat er eine Intersubjektivitätstheorie ausgearbeitet, die zeigt, dass bei der Entwicklung des Menschen in erster Linie interpersonelle Dinge eine Rolle spielen und eben nicht kognitive: Es geht a priori um Vertrauen, Liebe, um gegenseitige Anerkennung. Der Säugling z. B. erwirbt erst - so Honneths These - auf Grundlage dieser Elemente geistige und emotionale Kompetenzen, die es ihm später ermöglichen, ein starkes Individuum zu werden. Zweitens mündet diese Theorie für Honneth zugleich in eine Gesellschaftskritik, die die Verdinglichungstheorie, die ja auch Adorno stark beeinflusst hat, aktualisiert. Verdinglichung meint: Im kapitalistischen System wird alles zum bloßen Objekt, zum Ding oder zur Ware reduziert, das gilt auch für den Menschen.

Honneth will nun zeigen, dass es auch in unserer Gesellschaft gefährliche Verdinglichungstendenzen gibt: Sie offenbaren sich genau dann, wenn das Prinzip der Anerkennung außer Kraft gesetzt wird, wenn Menschen im Umgang miteinander vergessen, dass sie nur deshalb miteinander kommunizieren können, weil sie sich im vorhinein als anerkennungswürdige Subjekte erfahren haben."


und in fortsetzung des obigen könnte ich vielleicht auch sagen, dass die weitaus meisten blogthemen hier antworten bzw. antwortversuche auf die frage enthalten, was alles passieren kann, wenn sich menschen nicht "im vorhinein als anerkennungswürdige subjekte erfahren haben".

*

edit am 17.03.: in den kommentaren zu einem beitrag weiter unten hat pete einen anonymen borderline-betroffenen zitiert, dessen aussagen eine art praktische anschauung davon geben können, was verdinglichung in ihren verschiedenen varianten in der menschlichen struktur anzurichten vermag:

(...)"Find so auch nicht zu euch, denn ein Spielzeug seit ihr nur so für mich. Seit ein Ding ohne Raum und Zeit, ohne Grenzen, ohne Gewicht. Benutzt, beschmutzt, belegt und abgelegt... Ich benutz euch und stolper nur über mich selbst."(...)

um mit anderen wie "spielzeug" umzugehen - was sich durchaus auch über das agieren diverser antisozialer "eliten" v.a. im wirtschaftlichen und militärischen bereich sagen lassen ließe - , sind gleichartige erfahrungen bezgl. der eigenen person voraussetzung. die aussage verrät also auch einiges über das schicksal des verfassers.

und sie verrät ebenso einiges darüber, was uns allen blüht, wenn die verdinglichung, objektivierung und ökonomisierung seitens des kapitalismus sich ungebremst als einzige variante des menschlichen sozialen lebens durchsetzen kann - die "subtile hölle des neuen menschen" ist dafür schon eine ganz gute metapher, die auch deutlich macht, das die bisher einzige - hm, ideologie, die es bisher geschafft hat, einen implizit totalitären anspruch auch materiell umzusetzen, tatsächlich auch die bisher einzige ist, die einen "neuen menschen" kreiert - nämlich über die wirkungen der von ihr geschaffenen gewalttätigen lebensbedingungen auf unsere psychophysische struktur, genauer auf unsere hirne/nervensysteme.

was in den "entwickelten" zonen des planeten über ein dauerbombardement von medien, werbung, pr und teils auch kunst (in allgemeinster art begriffen) von den subtilen arten der manipulation über deren gröbere varianten eine fließende grenze zur offenen und traumatisierenden gewalt mit ihren potenziell vereinzelnden und einschüchternden folgen besitzt. in diese prozesse sind natürlich auch der umgang mit kindern, die verhältnisse in familien und schulen verstrickt. ein weiterer entscheidender punkt ist die quasi materielle abhängigkeit, in die wir alle ebenso zur befriedigung der existenziellen grundbedürfnisse nach nahrung, wasser, wohnen etc. in die kapitalistische maschine verwoben sind.

insgesamt also wie gesagt ein - bisher und noch! - "erfolgreiches" totalitäres szenario, welches offensichtlich den punkt erreicht hat, an dem seine allgegenwart beginnt, die menschen in ihrem innersten umzuformen - ein symptom dafür bilden vermutlich viele derjenigen phänomene, die heute als "psychische krankheiten" begriffen werden. und als metapher für diesen prozeß...

"... könnten wir auch eine ganz spezifische art von invasion annehmen, die zu ihrem abschließenden erfolg unbedingt der zerstörung der elementarsten menschlichen fähigkeiten zum sozialen bedarf - an erster stelle wäre hier die liebesfähigkeit zu nennen.

genau diese findet in einem szenario entfesselter konkurrenz, in dem der "wert" eines menschen einzig an objektivistischen kriterien der "leistungsfähigkeit" festgemacht wird, nicht nur keine resonanz im sinne positiver beantwortung mehr, sondern wird in solchen verhältnissen sogar hinderlich und dysfunktional. ich hatte es früher ebenfalls schon mal geschrieben: wer hier "positiv" selektiert wird, d.h. am ende übrigbleibt, lässt sich nicht mehr als mensch nach unserem verständnis beschreiben - wer da übrigbleibt, ist eine totalitär vereinsamte und ständig paranoide figur, die ihre eigenen ununterbrochenen fiktionen mit der realität verwechselt, die aufgrund massiver psychophysischer schäden nicht mehr vollständig und v.a. nicht in ihrer sinnlichen qualität wahrgenommen werden kann. und falls sich dieses szenario so durchsetzen kann, würde es meiner meinung nach auch das definitive ende des "experiments mensch" bedeuten - nicht nur in dem sinne, dass den überlebenden wesen die wesentlichen und spezifischen menschlichen qualitäten fehlen würden, sondern auch deswegen, weil sie über kurz oder lang - und das ist heute bereits eindrucksvoll zu sehen - ihre eigenen lebensgrundlagen zerstören würden. ohne fähigkeiten zur wahrnehmung der eigenen untrennbaren verwobenheit in die planetare ökologie zb. werden sie ebenfalls nicht (mehr) in der lage sein, die vielfältigen warn- und gefahrenzeichen wahrzunehmen, die ökologische systeme vor dem kollaps noch abgeben."(...)


da wir es hier mit historisch bisher unbekannten ereignissen zu tun haben, wird auch der überfällige massive und wirkungsvolle widerstand gegen diese absolut alptraumhafte entwicklung wege, mittel, und züge aufweisen, die bisher ebenso unbekannt und überraschend sein werden. wir leben in interessanten zeiten.
che2001 - 17. Mär, 16:08

Die Selbstverwirklichung in derSelbstverdinglichung ist der größte Kategorialfehler, den Hegel begangen hat. Insofern ist die Haltung der Situationisten in der Frage die einzig konsequente: Alles, was anwendbar ist, ist nicht für den Menschen. Ohne Künstler gäbe es schon heute keinen Menschen mehr. Boykottiert alle herrschenden Systeme und Konventionen, indem Ihr sie nur als mißlungene Gaudi betrachtet. Genießen Sie den Untergang des Abendlandes!

monoma - 17. Mär, 17:04

höre ich da etwas fatalismus heraus?

"mißlungene Gaudi" - naja, dafür bleibt mir dann doch zu oft das lachen im halse stecken.
monoma - 17. Mär, 18:03

passend zum thema...

...ein beitrag zur teils voller heuchelei betriebenen sog. raf-diskussion:

"Es ist schon bitter. Der Ausgangspunkt für die meisten von uns war, aus einer unerträglichen Realität, die von Entfremdung und einem Objektverhältnis zu Menschen geprägt war, auszubrechen. Genau diese Strukturen haben wir dann im Verhältnis untereinander und gegenüber Außenstehenden reproduziert."

via spreeblick.

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