archenoe - 12. Sep, 20:21

Zustimmung - einige kleine Warnungen, Fragen und Ergänzungen

Zustimmung, weil diejenigen, die kontinuierlich (!) "niederträchtige, bösartige und machtsüchtige" Strategien verfolgen, besonderer Analyse bedürfen, die sich nicht nur auf dem Gebiet der sozio-ökonomischen Verhältnisse tummeln darf, sondern die (sozial-)psychologischen Bedingungen detailliert mit einbeziehen muss, allerdings mit differenzierten Ergebnissen.

1. Ich halte es nach wie vor für wahrscheinlich, dass ein erheblicher Teil der Niederträchtigen, Bösartigen und Machtsüchtigen nicht traumatisiert ist, sondern nahtlos die kapitalistischen und machtpolitischen Systemstrukturen "lebt", wie es eben auch einen erheblichen Teil durch traumatische Erfahrungen Gestörte gibt. Dies halte ich allein deshalb schon für wahrscheinlich, weil der Satz "Sie wissen, was sie tun" längst eine zweifache Bedeutung hat. Einmal die alte, nämlich dass die Täter in dem Sinne wissen, was sie tun, als sie gleichzeitig dabei wissen, wie bösartig ihr Tun ist und so bei den Kritikern und erstaunten Betrachtern die Hoffnung auf Besserung provozieren. Zum anderen aber hat sich m.E. im Laufe des 20. Jahrhunderts, gleichsam als "perfektes Leben" im immerwährenden Konkurrenzkampf (in Deinen Worten: quantifizierbare Leistungen als einziges [!] sinnstiftendes Element), ein Wissen um das eigene Tun herausgebildet, das gleichzeitig überhaupt nicht mehr weiß, dass man eigentlich anders handeln müsste, sondern das Wissen um das Tun als gerechten Vorteil, als erkämpften Erfolg, als zustehende Macht usw. versteht, also bei den Kritikern und erstaunten Betrachtern erst einmal jede Hoffnung auf Besserung zerstören, weil das an diese Verhaltensweisen herangetragene Bewertungsinstrumentarium gar nicht mehr passend ist. Insofern müsste man auch tiefer analysieren, ob Sozialdarwinismus gar nicht mehr als Ideologie, als falsches Bewusstsein, als überwindbare Gesellschaftsinterpretation zu begreifen ist, sondern als adäquater Ausdruck der Verhältnisse, als völlig angemessene Denk- und Handlungsweise im Systemsinne verstanden werden muss.

Wenn diese Überlegung richtig ist, wären die traumatisierten "Bösartigen" sozusagen die Hoffnungsträger, weil sie ja auch Opfer sind, und die systemgemäßen Bösartigen (aus "unserer" Sicht) die nicht-traumatisierten Bösartigen, die Hoffnungszerstörer und damit das viel gravierendere Problem. Anders gewendet: Kann es sein, dass ein Begriff wie "deformierte Charaktere" bei zunehmend anwachsenden Mengen der Bösartigen schallendes Gelächter provoziert, weil sie längst in einem anderen Koordinatensystem leben, nämlich im kapitalistisch-funktionalen? Dass also die "Gewinner" gerade auch deshalb gewinnen, weil "wir" sie mit völlig untauglichen Begriffen zu erfassen suchen?
In diesen Zusammenhang gehört auch die Verlagerung der Bedeutung des Begriffes "Gutmenschen". War dieser Begriff in den 1970er/80er Jahren noch ein Kampfbegriff der materialistischen Linken gegen das emotionalisierende "Gutmenschentum" der Friedensfantasten, der Gerechtigkeitsgläubigen, der "Jeder-Muss-Bei-Sich-Selbst-Anfangen-Fraktion" usw. wird der Begriff heute gegen jeden benutzt, der noch Ziele außerhalb der systemisch vorgegeben "Bösartigkeit" propagiert und anstrebt. Er scheint aus Sicht dieser perfekt funktionierenden "Systemrädchen" schlicht eine lächerliche, weil anachronistische Figur zu sein.

2. Bösartiges Verhalten ist in allen sozialen Schichten und Milieus zu beobachten. Darauf müsste m.E. noch mehr Augenmerk gerichtet werden. In diesem Zusammenhang müssten etwa der Machtbegriff von Foucault (als auch den Bemächtigten umfassender) und die Kapitalsorten nach Bourdieu (ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital) zusammengedacht werden, um diese möglicherweise längst existente Menschenform des "total formierten Charakters" begreifen zu können.

3. Wenn auch nur einige Aspekte meiner Überlegungen ansatzweise zutreffend sind, stehen diejenigen, die sich selbst als deformiert, aber nicht als bösartig verstehen (und hoffentlich auch nicht bösartig sind) vor einer Problemlage, die an Schärfe und Dramatik kaum noch zu überblicken ist. Und das umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Möglichkeit einer wellenartig expandierenden Krise nicht von der Hand zu weisen ist. In einer solchen Krise müssen nämlich diejenigen, die für sich in Anspruch nehmen, etwas "Gutartiges" zu wollen, dann nicht nur mit den traumatisierten (behandelbaren?), sondern auch mit den funktionalen Bösartigen rechnen.

4. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der massiven gegenseitigen Stützung der gesellschaftlichen Kräfte, die immerhin noch "Gutartiges" erreichen wollen, denn die Hoffnungslosigkeit dieser Kräfte breitet sich m.E. aus. Wie diese Stützung erfolgen kann, ist mir leider (!!!) überhaupt nicht klar.

5. Sarrazin, Steinbach usw. halte ich allerdings für Menschen, die ein tradiertes Trauma mit sich herumtragen.

6. Die derzeitigen Entwicklungen bzgl. eines neuen Pharmagesetzes ließen sich vorzüglich in Deine Argumentationsreihe - Sarrazin - HRE - Energieindustrie einbauen.

Danke für Deine erhellenden Artikel!

Solidarische (ich weiß, veraltet, veraltet, s. m. Argumentation oben) Grüße

monoma - 13. Sep, 22:25

hey, fein, Dich hier mal wieder zu lesen :-)

zum inhaltlichen für den moment nur kurz: ich glaube, dass der schlüssel in Deinen ersten sätzen in punkt 1 liegt - und zwar in der frage der traumadefinition. und da beziehe ich mich zwar einerseits auf die "klassische" ptbs in all ihren heute diskutierten modellen; andererseits gibt es aber weiter offene fragen diesbezgl. bei denjenigen, die hier unter soziopathie bzw. als-ob-persönlichkeiten laufen. ein trauma im oben genannten sinne ist bei diesen leuten oft genug nicht festzustellen, was vielleicht auch daran liegen könnte, dass sie gar nicht die fähigkeit besitzen, sich traumatisieren zu lassen. einerseits. andererseits finde ich das modell der pränatalen traumatisierung weiterhin interessant, wobei das den bisherigen traumabegriff in mehreren ebenen sprengen würde - es gäbe dann menschen, die einen quasi traumatischen existenz- und seinsmodus, der auffällig kompatibel mit den kapitalistischen normen ist, ohne größere probleme für sie selbst - aber massiven für ihre gesamte umwelt - leben müssten. und diese habe ich neben den "klassisch" traumatisierten (wobei auch solche nicht eben selten, aber auch nicht als regel, antisoziale züge entwickeln können) speziell gemeint in dem, was ich zu den "eliten" geschrieben habe.

mehr demnächst, schlage mich nun schon ne ganze woche mit einem hartnäckigen infekt herum, nehme das gute alte penicillin und fühle mich teils entsetzlich zerschlagen. das erschwert das denken.

grüße zurück!

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