notiz: krisennews und -gedanken (16)

und zur einleitung dieser neuen folge möchte ich die leserInnen zunächst davon in kenntnis setzen, das der heutige beitrag mindestens für die nächste woche vorläufig mein letzter sein wird - passend zum allgemeinen (wirtschaftlichen) desaster habe ich das krisenjahr 2009 gleichmal mit einem persönlichen fiasko eingeläutet, welches in der letzten woche in der kombination von vereister straße und einem fahrrad dazu führte, dass ich mich morgen unters messer auf einem op-tisch legen muss. einer der seltenen anlässe, bei dem ich die mir persönlich verhasste durchhalteparole "muss ja!" wenigstens etwas sinnvoll finden kann.

*

und als ich dann vorhin so auf krücken in der kälte zum netcafé meiner wahl humpelte, habe ich mir überlegt, was denn wohl zur zwischenzeitlichen ansammlung immer neuer krisenbotschaften aus meiner sicht zu sagen wäre. und bin zu dem schluß gekommen, dass vieles vor allem ein ausdruck dafür ist, dass sich die krise inzwischen dem erwarteten verlauf aus sicht der sog. pessimisten annährt, und zwar in mehrdimensionaler hinsicht. einmal wäre da die weiter wirkende sedierung großer teile der hiesigen bevölkerung, die vermutlich bei vielen selbst dann noch das verhalten als untertäniges braves schaf stützen wird, wenn sie selbst aus ihren jobs geflogen sind und sich vor den örtlichen agenturen drängeln, um ihre staatlich gewährten brosamen in empfang zu nehmen. das dürfte in vielen fällen gleichfalls gekoppelt auftreten mit der - und in diesem fall ist das attribut angemessen - urdeutschen tradition des tretens und keilens gegen alle, die als noch schwächer und weiter "draußen" stehend wahrgenommen bzw. als solche seitens der "elitären politik" gekennzeichnet und stigmatisiert werden. tatsächlich haben wir die volle aktivierung all der unsichtbaren antisozialen spaltungslinien rassistischer und faschistischer coleur noch nicht einmal ansatzweise in größeren dimensionen erlebt - "deutsche" vs. "ausländer", "moslems", "juden"; aber auch "undeutsches" in form von "schwäche" bzw. minderleistung - obdachlose, kranke, erwerbslose. wobei: vielleicht gibt es gerade wenigstens bei den letzteren einen kriseneffekt, der neulich in der taz
so beschrieben wurde:

(...)"Eine reale Wirtschaftskrise fordert Arbeitsplätze. Psychologisch stellt sich die Frage: Wird nun die Arbeitslosigkeit wieder mehr zu einer kollektiv erlebten Erfahrung?(...)

Wenn Auswirkungen der Krise auch Bessergestellte treffen können, dann ist es nicht mehr so leicht, betroffene Bevölkerungsgruppen deswegen moralisch auszugrenzen. Es gab zuletzt eine Studie des Mannheimer ZEW-Instituts, wonach in Abschwungzeiten Erwerbslosen weniger unterstellt wird, sie seien selbst verantwortlich für ihr Schicksal. In vielen Milieus könnte die Krise eine ähnliche moralische Entlastung für Jobverlust und Firmenpleiten mit sich bringen."(...)


wenn man es so eng begrenzt sieht, könnte ich durchaus vorsichtig zustimmen. allerdings bezweifle ich sofort danach eben auch die fähigkeiten vieler "deutscher" erwerbsloser, ihre aufgrund der üblichen hiesigen sozialisation vorhandenen hasspotenziale jenseits von selbsthass und/oder tretens nach unten in eine richtung gegen oben und die dort favorisierten gesellschaftlichen verhältnisse focussieren zu können, die nicht in eine quasi-faschistische sackgasse führt. die fähigkeit zur kollektiven solidarität beruht u.a. eben auch auf den persönlichen empathiefähigkeiten, die in diesem land bekanntlich bis dato weder gefördert noch im größerem umfang gewünscht sind. daran ändern auch entsprechende bekenntnisse zur simulation von als-ob-empathie bspw. innerhalb von unternehmen nichts. dazu kommt die in vergangenen krisennews öfter erwähnte notwendigkeit, eine grundsätzliche und qualitative alternative jenseits des herrschenden systems von exponentiellem wachstum, konsum als lebenssinn, gesellschaftlichen hierarchien und posttraumatischer antisozialität zu entwickeln. dazu müsste aber bspw. der fortfall von zwangsweiser lohnarbeit von betroffenen ebenso als chance begriffen werden können wie die veränderung des bisher konsumfixierten eigenen lebens, was wiederum eine tiefgreifende auseinandersetzung mit den diese muster tragenden eigenen inneren psychophysischen strukturen zur bedingung hätte. ob eine solche weitgehende und auch schmerzhafte konfrontation mit sich selbst durch zunehmenden druck in den äußeren und alltäglichen strukturen entstehen kann, darf zumindest angezweifelt werden. aber vielleicht erleben wir auch hier positive überraschungen?

*

zum anderen können sich die pessimistischen prognosen der jüngeren vergangenheit in ausmaß und geschwindigkeit des prozesses bestätigt sehen, in dem sich die krise bis in die letzten winkel der herrschenden ökonomie frisst - alleine die schlagzeilen der letzten tage sind so spektakulär, dass ein social fiction-autor, der das hypothetisch bspw. vor zwei jahren als plot irgendwelchen verlagen präsentiert hätte, unter allgemeinem hohngelächter auf die straße befördert worden wäre. wieder einmal zeigt sich, dass die realität regelmässig die schärfsten geschichten schreibt und die größten überraschungen bereithält.
breite schrumpfung der industrieproduktion - unvorstellbar, zweistelliger rückgang der hiesigen exporte - absurd, staat wird größter aktionär bei commerzbank - grotesk. und so weiter und so fort. wobei es nicht nur, aber besonders rund um die bankster zum himmel stinkt - hinter diversen aktuellen aktionen zur "bankenrettung", die gerade weltweit unternommen werden, lassen sich prozesse und strukturen erahnen, die immer neue belege für die these liefern, dass es sich beim attribut "legal" innerhalb einer kapitalistischen ökonomie tatsächlich nur um ein leeres wort für eine als notwendig betrachtete simulation handelt, die prozesse decken soll, welche bei genauerer betrachtung keine strukturellen unterschiede mehr zu den illegalisierten schattenökonomien unter der fuchtel von mafia und co. erkennen lassen. wobei sich auch "der staat" in form von diversen landesbanken keinesfalls zurückhält - die sog. steuerparadiese bieten halt für alle leute mit sehr viel geld ihren service an:

"Die staatliche HSH Nordbank hat nicht nur kräftig beim globalen Finanz-Roulette mitgespielt, sie half auch, dem Staat Steuern zu hinterziehen: Briefkastenfirmen in der Karibik, Beteiligungen an dubiosen Fonds auf den britischen Kanalinseln und Tochtergesellschaften in Steuerparadiesen.

Die von der Finanzkrise schwer erschütterte Nordbank unterhält weltweit über 160 Beteiligungen, darunter Niederlassungen auf den karibischen Cayman Islands, den britischen Kanalinsel Guernsey und Jersey sowie den Marshallinseln im Pazifik. Offensichtlich bietet die Staatsbank ihren Anlegern Renditen in Steuerparadiesen an."(...)


was in diesen "paradiesen" wie genau abläuft, lässt sich ganz gut anhand der
kanalinsel jersey nachvollziehen. aber nicht nur deutsche banken handeln nach dem systeminternen zwang der kapital- und profitakkumulation; auch anderswo wird deutlich, dass begriffe wie "legalität", "gesetze" und vor allem "seriösität" für leute mit sehr viel geld offensichtlich eine andere bedeutung haben als für das normale bürgerliche schaf (welches sich natürlich in kleineren dimensionen von fall zu fall an den großen vorbildern orientiert) - "anderswo" liegt in diesem falle in der direkten nachbarschaft :

"Die Schweizer Großbank UBS gibt dem Druck der US-Behörden nach und wird rund 19.000 Offshore-Konten wohlhabender amerikanischer Kunden schließen, berichtete die New York Times am Freitag. Der größte Vermögensverwalter der Welt geriet unter Beschuss, da nur ein Bruchteil der Konten von amerikanischen Anlegern bei der Steuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) gemeldet waren. Die Zahl der Konteninhaber, die auf diesem Weg Steuern hinterzogen haben, soll sich auf einige tausend belaufen."(...)

wer immer noch glauben sollte, das seien nur ausnahmen von der regel, kennt die regel(n) noch nicht. die lassen sich zb.
hier studieren.

*

zum suizid des "pharma-milliardärs" merckle ist schon so viel gesagt und geschrieben worden, dass ich heute nur noch auf eine art nachruf bei
ad sinistram hinweisen möchte, ebenso auf den dortigen nachtrag:

(...)"Verschiedene Medien berichteten vom Spekulationsfiasko dieses Mannes, der angeblich sein ganzes Firmenimperium an der Börse verspielt hätte. Milliarden hätte er verloren - Milliarden, so wurde zudem berichtet, die er als williger Bruder im Geiste des Profites, skrupellos akkumulierte, die er seinen Kontrahenten regelrecht aus der Tasche nahm. Der freie Markt dieses Herrn war der unfreie Markt all jener, die ihm in die Quere kamen. Wir erinnern uns an den Ausspruch, dass man an ein Milliardenvermögen nicht mittels Ehrlichkeit herankommt - und erfahrungsgemäß wissen wir, die wir nicht einmal fähig sind, eine Million ehrlich zu verdienen, dass diese proletarische Polemik in Spruchform, durchaus ein Korn Wahrheit in sich bergen könnte. Zwar wurde er als bescheidener Patriarch dargestellt, der privaten Asketismus lebte, zwischen Bundesverdienstkreuz, Alpenverein und Studentenverbindung, der aber im Geschäftlichen aufblühte, was soviel heißt wie: verwelkte, weil er alles Zwischenmenschliche absterben ließ. Menschen, ob Angestellte oder Vertreter aus Politik, waren für ihn nur Mittel zum Zweck, benutzbare Bestandteile aus einem Kollektiv verwertbarer Humanroboter, die zur Sicherung und Wahrung, aber natürlich auch zum Ausbau seines Vermögens heranziehbar seien.

Vor diesem Hintergrund ist sein letzter Akt zu sehen. Er suchte ein Gleis auf, weil er selbst nicht tun wollte oder konnte, was einem Menschen, selbst bei größter Lebensmüdigkeit, nicht leichtfällt. So bediente er sich der Deutschen Bahn, genauer eines Lokführers, der zum ungewollten Tötungsinstrument werden sollte."(...)


bingo. nimmt man dazu noch die "öffentliche erklärung" seitens der familie...

"Adolf Merckle hat für seine Familie und seine Firmen gelebt und gearbeitet. Die durch die Finanzkrise verursachte wirtschaftliche Notlage seiner Firmen und die damit verbundenen Unsicherheiten der letzten Wochen sowie die Ohnmacht, nicht mehr handeln zu können, haben den leidenschaftlichen Familienunternehmer gebrochen, und er hat sein Leben beendet."

...vervollständigt sich der eindruck einer unglaublichen kälte in diesen kreisen, die sich ein leben jenseits ihrer wert- und normenskala so vollständig nicht mehr vorstellen können, das der tod in so einer situation als kleineres übel erscheint. sie begreifen sich tatsächlich primär als "unternehmer", "finanziers" u.ä. - und nicht mehr primär als menschen. wer glaubt denn wirklich, dass der milliardär selbst bei einem völligen crash seiner unternehmen verarmt auf der straße gelandet wäre? aber vor allem: wen wundert die breite berichterstattung über einen der ihrigen und das ebenso breite schweigen über
die anderen?

der vollständigkeit halber und in der sprache, die angemessen ist - hier die bisher bekannte "elitäre"
suizidale bilanz...

(...)"Im Mai vergangenen Jahres sprang Barry Fox, der neun Jahre für Bear Stearns gearbeitet hatte, aus seiner Wohnung im 29. Stock. Das geschah kurz nachdem Fox erfahren hatte, dass er nicht von JP Morgan übernommen wird. Im September stürzte sich der Chef einer Private-Equity-Firma in Großbritannien vor einen Zug. Im November erschoss sich in Brasilien ein Trader auf dem Parkett der Börse in São Paulo. Im Dezember nahm sich in den USA der Hedge-Fonds-Manager Eric Von der Porten das Leben. Und zwei Tage vor Weihnachten schnitt sich René-Thierry Magon de la Villehuchet in seinem Büro an der Madison Avenue in Manhattan die Pulsadern auf. Das Büro lag nur einige Blocks von der Wohnung von Bernard Madoff entfernt. Villehuchet hatte etwa 1,5 Mrd. $, sein Vermögen und das vieler Freunde und Familienmitglieder, bei dem Madoff-Betrug verloren."(...)

...die womöglich
erweitert werden muss:

"Der Chef eines führenden US-Immobilienauktionshauses, Steven Good, ist tot aufgefunden worden. Der 52-Jährige weise eine Schussverletzung auf, die er sich offenbar selbst beigebracht habe, teilte das Sheriff-Büro des Bezirks Kane bei Chicago mit."(...)

und es fällt mir durchaus sehr schwer, bei all diesen toten so etwas wie mitleid in mir zu entdecken.

*

zumal sie durch ihr treiben im leben einiges zur notwendigkeit von einrichtungen wie
suppenküchen beigetragen haben, die für sie selbst immer nur unendlich ferne parallelwelten darstellten:

(...)" Mutter Liz ist gewiss kein zorniges Gemüt, aber wenn sie anfängt, über die soziale Gesamtsituation ihrer Stadt zu reden, gerät sogar sie in Rage. Die Tatsache, dass es im Schatten der opulentesten Konsumtempel und der Konzernzentralen in solch unfassbarem Ausmaß Hunger gebe, wettert sie, werde ignoriert - von der Politik, von der Wirtschaft, von den Medien. "Es ist einfach unakzeptabel, dass Millionen von Menschen nichts zu essen haben. Wir brauchen eine völlig neue Diskussion darüber, was Gemeinwohl bedeutet."

Gewiss, Armut und krasse soziale Gegensätze hat es in New York immer gegeben. Seit sich die Finanzkrise zur Depression ausweitet, scheint jedoch niemand mehr wirklich gefeit davor, bei Mutter Liz in der Schlange zu stehen. "Wir sehen hier vielleicht noch keine arbeitslosen Banker, aber ihre arbeitslosen Putzfrauen und die arbeitslosen Chauffeure, die sind schon da." In vielen Fällen, so die Pastorin, hätten ihre Gäste sogar Arbeit, könnten von dem Lohn in New York jedoch nicht leben."(...)


mit einer gewissen wahrscheinlichkeit demnächst auch in unseren straßentheatern zu sehen - eine 1929er-revival-aufführung, präsentiert von wirtschaft & politik.

*

falls nicht auch hier doch noch entwicklungen eintreten, die der marxistische historiker und
optimist karl-heinz roth in einem interview so umschreibt:

(...)"Der Marktradikalismus selber war doch schon für viele Menschen mit Verunsicherung besetzt. Seine Krise löst nun die große Panik aus?

Ja, denn er hat den Alltag auch großer Teile der Unterschicht bestimmt. Es gab eine unglaubliche Expansion der Konsumentenkredite, die Masseneinkommen sind in den letzten Jahren radikal gesunken - auch in der Unterschicht. Millionen Menschen haben ihre prekäre Lage durch Kredite verdrängt und sitzen nun in der Falle. Die Unterklassen der entwickelten Welt kompensierten ihre Prekarität durch Verschuldung. Das spielt auch in der Alltagskultur eine gewaltige Rolle.

Inwiefern?

Das alte Sozialstaatsmodell ist gescheitert. Seine Wiederherstellung ist genauso in Frage gestellt wie der Marktradikalismus. Das sind Prozesse unheimlicher Dynamik. Alle bemerken: So geht es nicht weiter! In Italien führen die Bildungsreformen der Berlusconi-Regierung seit Monaten zu Massenaufständen. Die Jugendlichen sagen: Wir zahlen eure Krise nicht. In Griechenland gab es eine extrem weit fortgeschrittene Erwerbslosigkeit, dort existieren heute keine Perspektiven nach dem Studium. Das sind neue existenzielle Bedrohungen, die dort zu einer ganz breiten Sozialrevolte geführt haben.(...)

Sie werden dem, was Sie "dissidente Strömungen" nennen, zugerechnet. Was sind denn Ihre Rezepte?

Wir müssen die Krise analysieren und über aktuelle Teilaktivitäten hinaus eine konkrete Utopie formulieren. Das ist ein ungeheurer Anspruch, aber nur so wird man der epochalen Bedeutung der neuen Situation gerecht.

Können Sie das konkretisieren?

Bremerhaven etwa wird massive Problem bekommen. Als Folge der Wirtschaftskrise brechen seit dem Spätsommer weltweit die Frachtraten im Schiffsverkehr ein. Es gibt deshalb in Bremerhaven - wie auch anderswo - eine ungeheure Überakkumulation an Transportkapazität. Und es ist klar, dass deswegen alles abstürzen wird. Hier müsen wir Prozesse in Gang bringen, die die Privatisierung stoppen und die Wiederaneignung der Anlagen und der Infrastruktur auf die Tagesordnung setzen.

Wie soll das gehen?

Gefragt ist ein alternatives Restrukturierungsmodell für die Hafenindustrie. Die Arbeiter sollten sich selber organisieren und müssen dabei über das Klein-Klein der gewerkschaftlichen Betriebsgruppen hinausgehen. Mit ihnen werden neue Modelle zu entwickeln sein, die das katastrophale Scheitern der Managerklasse mit der Entlassung und Abschaffung der Managerklasse beantworten. Das steht an. Das ist sicher sehr weitgehend, aber so muss die konkrete Utopie aussehen, die es zu entwickeln gilt.

Die BLG ist rund eine Milliarde Euro wert, profitabel und gehört dem Land Bremen. Warum sollte dieses eine solche Form von Selbstverwaltung tolerieren?

Der Weg führt über die Arbeiter. Zu ihnen müssen wir mit unseren Konzepten gehen. Die Perspektive für sie muss lauten: Radikale Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Nur so können Massenbedürfnisse befriedigt und kann die für die gesellschaftliche Selbstverwaltung erforderliche Nicht-Arbeitszeit erobert werden."(...)


das finde ich tatsächlich ganz schön optimistisch, zumal über den inneren zustand des einzelnen arbeiters im angesicht der krise die gleichen bedenken angebracht erscheinen, die ich eingangs schon bezgl. der erwerbslosen geäussert hatte. wie gern würde ich mich in beiden fällen irren!

*

im interview oben ist auch das stichwort "griechenland" gefallen, und die durchaus sympathisierende beobachtung der dortigen sozialrevolte habe ich bekanntlich ebenfalls in dieser beitragsreihe eingeführt. ein mediales aufflackern der berichterstattung war zuletzt allerdings nur bei den
schüssen auf einen polizisten anfang januar zu registrieren, zu denen ich zunächst auszugsweise eine stellungnahme direkt "aus der bewegung" zitieren möchte:

(...)"Unser erster Gedanke war, dass keine Person, die Teil unserer Bewegung ist - egal wie wütend sie ist oder wie sehr sie die Taktiken der Stadtguerilla unterstützt - sich ausgerechnet den, in den letzten Tagen buchstäblich unter Besatzung der Polizei stehenden, Bezirk Exarchia aussuchen würde, um solch eine Attacke auszuführen und anschließend sicher zu entkommen.

Daher können wir es nicht als Zufall ansehen, dass Massenmedien, Politiker_innen und ihre Lakaien eine Athmosphäre aufgebaut haben, dass irgendeine dynamische Racheaktion unmittelbar zu erwarten sei. Wir können die Möglichkeit natürlich nicht ausschließen, dass so was passiert - aber wir sind nicht so dumm zu glauben, dass es in Exarchia passiert, oder wie das Mal zuvor [die Schüsse auf den Polizeibus einige Tage vorher, anm.ü.] vom Unicampus Zografou aus. Der Staat hatte über sein mediales Sprachrohr die öffentliche Meinung schon auf eine "bevorstehende" Aktion gegen die Polizei vorbereitet. Die Auswahl des Angriffsortes (das Kultusministerium in Exarchia) hat ihnen irgendwie die Suppe versalzen: Ein Angriff in dieser schwerstüberwachten Gegend verweist ganz klar auf Angreifer_innen, die nur vom Staat selbst kommen können. Es ist nicht der Rede wert festzustellen, dass diese Leute keine Skrupel haben, einen der ihren zu erschießen - darüber brauchen wir nicht nachdenken: Menschenleben bedeuten ihnen nichts.(...)

Bereits jetzt gab es 75 Verhaftungen, viele Übergriffe der Polizei auf Bewohner_innen und Passant_innen in Exarchia und Hausdurchsuchungen - wie praktisch für sie."(...)


nun meine persönliche meinung: spätestens seit dem bekanntwerden der existenz von "gladio" und der betrachtung der us-amerikanischen praktiken der aufstandsbekämpfung weltweit ist natürlich nicht auszuschließen, dass es sich bei dem athener angriff tatsächlich um eine klassische counter-insurgency-aktion gehandelt haben könnte. könnte deswegen, weil ich mir durchaus auch vorstellen kann, dass die schüsse tatsächlich von leuten abgegeben worden sind, die - ganz ähnlich wie einst hierzulande die raf - sich aufgrund einer falschen analyse der gesamtgesellschaftlichen situation zum handeln in ihrem sinne entschlossen haben. und das würde ich für falsch halten, zumal die griechischen verhältnisse noch nicht die einer offenen diktatur sind, in der sich die frage nach der legitimität von bewaffnetem widerstand sozusagen von selbst beantwortet. in den aktuellen westlichen demokratiesimulationen ist und bleibt das eine sehr, sehr zwiespältige sache. und wesntlich vielversprechender und auch wichtiger schätze ich die ersten ansätze für eine breite selbstorganisierung immer mehr gesellschaftlicher klassen ein, wie ich sie in den krisennews nr. 14 am ende dokumentiert hatte.

erste folgen dieser schüsse waren aktuell bereits wahrzunehmen, bei der ersten
großdemonstration des neuen jahres in athen kam es zu harten polizeiangriffen:

"Während der heute Mittag stattgefundenen ersten Demo von SchülerInnen und StudentInnen im neuen Jahr in Athen wurden 15 Rechtsanwälte die versuchten juristische Hilfe anzubieten, an ihrer Arbeit gehindert und festgenommen! Mindestens zwei Journalisten wurden verletzt, mehrere andere an ihrer Arbeit gehindert und festgenommen. Sogar Krankenwagenpersonal das Verletze abtransportieren wollte, wurde von der Polizei angegriffen und verletzt. Zwei Verletzte, die aus dem Krankenhaus entlassen wurden, sind von der Polizei nochmal einmal angegriffen und verletzt wurden."

es bleibt zu hoffen, dass der wichtige und eher unspektakuläre prozeß der selbstorganisation nicht von einer eskalierenden gewaltspirale aufgehalten bzw. verhindert wird.
Peter (Gast) - 11. Jan, 17:49

Oje...

Dann wünsche ich Dir mal gute Besserung und viel Glück/gutes Gelingen bei der OP!

sansculotte - 12. Jan, 11:12

Beste Wünsche

Alles Gute und baldige Genesung, Mo! Falls Du was brauchst - meine mail-addy hast du?
LG, s

Quirinus (Gast) - 13. Jan, 03:03

Oh no, Mo ... hoffentlich nicht schlimmer als einst bei mir, unter ähnlichen Wetterbedingungen. Das war übrigens mein Auftakt für das HISTORISCHE Jahr 2001. Was'n ZuFALL, daß du gerade zu Beginn dieses Jahres (das wieder einmal ein ganz besonders HISTORISCHES zu werden verspricht) etwas ähnliches erlebt hast. Mögest du ebenso rasch genesen wie ich damals, und möge die erzwungene Ruhe dich einiges an jenen Kräfte sammeln lassen, die wir alle brauchen, um auch dieses Jahr nicht zu kollabieren, angesichts dessen, was sich auch hier zusammenbraut: jeder gegen jeden, et in terra pax.

somlu (Gast) - 14. Jan, 19:16

Ich hoffe, du hast die OP gut überstanden und es geht dir schon besser.

quirinus, ja, es wird nicht besser.
jana (Gast) - 18. Jan, 14:09

antwortsuche...

und mal wieder hier gelandet ;-)
wünsch dir auch alles gute + gutes verheilen + gesundbleiben für rest-09 :yes:

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W-Day (Gast) - 23. Jan, 14:49
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Grummel - 9. Jan, 20:16
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Wednesday - 2. Jan, 09:37
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Grummel - 15. Sep, 16:50
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Wednesday - 13. Sep, 10:02
Leider nicht, hab ewig...
Leider nicht, hab ewig nix mehr gehört.
Grummel - 12. Sep, 20:17
Was ist mit monoma?
Weiss jemand was? Gruß Wednesday
monoma - 12. Sep, 14:48
Der Spiegel-Artikel im...
Den Spiegel-Artikel gibt's übrigens hier im Netz: http://www.spiegel.de/spie gel/spiegelspecial/d-45964 806.html
iromeister - 12. Jun, 12:45
Texte E.Mertz
Schönen guten Tag allerseits, ich bin seit geraumer...
Danfu - 2. Sep, 21:15

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