notiz: über prügel an britischen schulen, borderline, die weltweite situation von kindern u.a.

weitgehend unkommentiert ein paar aufgefischte links. die mehr oder weniger untergründigen zusammenhänge lassen sich teils in anderen beiträgen hier lesen.

*

in einem zeit-blog ist folgendes zu lesen:

"Nachdem eine Studie ergab, dass an britischen Schulen inzwischen fast jedes Kind Gewalttaten ausgesetzt ist, will die das britische Schulministerium bisher völlig unbekannte Methoden ausprobieren: Lehrer sollen das Recht bekommen, Schulrowdys auch unter Gewaltanwendung zur Räson zu bringen. Außerdem sollen Eltern prügelnder Kinder Erziehungskurse besuchen müssen, sonst droht ihnen eine Strafe von 1.000 Pfund. Ministerin Jacqui Smith: „Kinder müssen lernen, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden, und dass sie bei Überschreiten der Grenzen mit Konsequenzen rechnen müssen".


klartext: lehrkräfte dürfen prügeln, und die eltern, die hier mit zur problemgruppe zählen, werden aller wahrscheinlichkeit nach ihre rechnung für die möglichen kosten und den zeitaufwand für die erziehungskurse (kein ganz falscher gedanke imo, aber so umgesetzt ziemlicher unfug) mit "ihren" kindern abmachen - womit ein sich selbst erhaltender kreislauf der schläge garantiert wäre.

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im gleichen blog ein solala-bericht zum thema borderline:

"Was genau in Borderlinern vorgeht, weiß sie auch nicht. Das weiß niemand so genau. Anne kennt nur die Symptome. Depressionen, Ängste, Realitätsverlust, Depersonalisierung, Identitätsdiffusion. Bindungsunfähigkeit, oft verbunden mit übertriebener Promiskuität. Autoaggression, Gefühlsstörungen, innere Leere, starke Emotionsschwankungen, suizidale Tendenzen und noch ein paar andere.
(...)
"Die gängigen Erklärungsversuche für Carolins Probleme sind: schlimme Kindheit, sexueller Missbrauch, Konflikte im Jugendalter, traumatische Erlebnisse. Carolin hatte eine normale Kindheit, soweit man weiß. Normales, kleinbürgerliches Elternhaus, kein Trennungskind. Zu ihren Eltern hat sie ein normal gutes Verhältnis. Wie es scheint. Über außergewöhnliche Konflikte in der Pubertät ist nichts bekannt. Traumata, Missbrauch? Niemand weiß darüber etwas."


ja. die sogenannte normalität. niemand weiß darüber etwas.

*

das ist auch normalität:

"Gestern hat Unicef zu diesem Tag den aktuellen Bericht über die Lage der Kinder 2005 veröffentlicht und mit trockenen Zahlen daran erinnert, dass trotz großem Reichtum in einigen Ländern, Regionen und Bevölkerungsschichten für viele Menschen die Ausgangsbedingungen hart, grausam und düster sind und dass die Weltgemeinschaft noch immer viel zu wenig macht, um das zu ändern und zumindest eine gewisse Chancengleichheit zu garantieren. Eher werden denn schon die Festungsmauern um die Wohlstandsinseln hoch gezogen und ziehen sich diejenigen, die Glück hatten, darauf zurück, dass sie das auch verdient oder gar selbst geleistet haben. Allerdings wird festgehalten, dass auch in den reichen Ländern meist die Zahl der Kinder gestiegen ist, die in Armut leben. In Deutschland beispielsweise von den 80er auf den 90er Jahren von 4,1 auf 9 Prozent. In Ländern wie Großbritannien, USA oder Kanada ist die Kinderarmut im selben Zeitraum zwar leicht gesunken, liegt aber dafür in den 90er Jahren sehr viel höher: 15,4, 21,9 bzw. 14,9 Prozent.

Kinder stellen heute trotz der vergreisenden Welt noch einen Großteil der Weltbevölkerung. 36 Prozent aller Menschen sind Kinder. 400 Millionen Kinder oder Minderjährige unter 18 Jahren – ein Fünftel - haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, 640 Millionen leben ohne angemessene Unterkunft – ein Drittel. 270 Millionen werden nicht ausreichend medizinisch versorgt: ein Siebtel aller Kinder. 1,4 Millionen Kinder sterben jährlich, weil sie kein sauberes Trinkwasser haben oder unter hygienisch unzureichenden Bedingungen leben. 10, 6 Millionen Kinder sterben, bevor sie fünf Jahre alt werden, so viele wie es Kinder unter fünf Jahren in Deutschland, Frankreich, Griechenland und Italien insgesamt gibt. Sie sterben in aller Regel an Krankheiten, die behandelbar wären. Allein durch Impfungen ließe sich jährlich das Leben von über 2 Millionen Kindern retten.(...)"

(tp-artikel)


ohne worte.

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nicht in der statistik enthalten: kindliche und jugendliche suizide:

"Täglich versuchen 40 Kinder und Jugendliche in Deutschland, sich das Leben zu nehmen."

ursachenforschung:

„...weil die Kinder keine verlässlichen Beziehungen erfahren. Sie versuchen verzweifelt, die instabile Familie, in diesem Fall die Mutter, zu retten. Das kann ein Kind natürlich nicht leisten.“

das ist natürlich ganz unpolitisch, und wegen so sozialklimbim gibt´s auch keinerlei sondersendungen und krisenstäbe. nur, wenn dann mal vermehrt autos brennen und der alltag in den schulen - siehe oben - massiv gestört wird, gibt es reaktionen. aber was für welche.
sansculotte (Gast) - 21. Nov, 22:10

Dinge, die sich mir nicht erschließen

Zu den Dingen, die sich mir nicht erschließen, gehört zweifellos die Macht der Ignoranz. Nur so ist es zu erklären, dass der Unicef-Bericht über die Lage der Kinder keinen Eingang in die Hauptnachrichten der Mainstream-Medien gefunden hat. Und so ist wohl auch der Borderline-Bericht von Andre Henning im zuender-blog der "zeit" der Macht der Ignoranz geschuldet und einer selbstgefällige Pose "als ob man wissen wollte" (A.Miller). Auf jeden Fall war ich darüber -gelinde gesagt- verstimmt und habe bei der "zeit" einen Kommentar hinterlassen:

"Bin über den Beitrag und die Darstellung äußerst verärgert. Die essayistische Vagheit, in der sich Andre Henning gefällt, trägt einzig zur Mystifizierung dieser Krankheit und der Betroffenen bei. Das ständige Einstreuen von Floskeln wie "niemand weiß es..", das ständige Beschwören eines "ganz normalen" Lebens und einer "normalen Kindheit" durch Henning versenkt ernsthafte Versuche der Ursachenforschung noch weiter in den Sumpf ignoranter Beliebigkeit. Hauptsache, so scheint's, Hennings Text kommt in seinem Tonfall trost- und ausweglos genug daher, um als existenzialistisch durchzugehen. Schulterzuckendes Resumee: "Da kann man eben nichts machen".

Man könnte, wenn man nur die Geduld, den Mut und die Ausdauer aufbrächte, genauer hinzuschauen. Fast immer findet sich dann doch ein direkt verbundenes Trauma und die scheinbare Normalität entpuppt sich als grausame Tristesse, in der Kinder ohne Lebensfreude und in ständiger seelischer Not aufwachsen. Man könnte genau beschreiben, was zu solch "unverstandenem Verhalten" führt, würde man auch die Ergebnisse empirischer Forschung berücksichtigen. Würde man nicht alles, was darüber in Erfahrung zu bringen ist, hartnäckig ignorieren. Dann wüsste man, dass Selbstverletzung mit der Ausschüttung körpereigener Opiate und Endorphine einhergeht, dass die Betroffenen grundsätzlich einen zu niedrigen Anteil davon haben, und dass diese physiologischen Störungen Ursachen in der Entwicklung haben: all das könnte Henning wissen - wenn er denn nur gewollt hätte."

Zu den Dingen, die sich mir nicht erschließen, gehört des weiteren die krude Logik jener Massnahmen, die sich im allgemein als vom "gesunden Menschenverstand" getragen begreifen: etwa wenn Gewalt mit noch mehr Einsatz von Gewalt und darüber hinaus ihrer Institutionalisierung bekämpft wird. Das ist ja auch zu einleuchtend: Lehrkräfte prügeln Schüler, um ihnen beizubringen, dass Prügeln nicht richtig ist. Alles klar.

mfG, s

monoma - 22. Nov, 12:40

die macht der ignoranz...

lässt sich imo dann begreifen, wenn einmal diese ignoranz genauer betrachtet wird, wobei die kollektive produktion von wahrnehmungsausschluß - denn das ist der präzisere begriff dafür - noch einmal anders funktioniert als die individuelle, auch wenn ich glaube, dass letztere zwangsweise die basis für erstere darstellt.

wenn einmal vorausgesetzt wird, dass kaum ein heute lebender mensch - von der vergangenheit ganz zu schweigen - ohne erfahrungen von verletzung, demütigung, verachtung...in unterschiedlichem ausmaß aufgewachsen ist bzw. mit sehr hoher wahrscheinlichkeit in direktem oder indirektem kontakt mit durch die bekannten historischen ereignisse des letzten jahrhunderts traumatisierten menschen steht oder stand, so wird diese ignoranz begreifbar. deMause schreibt in diesem zusammenhang von dissoziation als massenphänomen, und dieser gedanke ist leider sehr überzeugend. ebenso wie der klassische autismus wird auch die dissoziation heute als seltenes phänomen wahrgenommen, und sehr häufig nur im zusammenhang mit den "spektakulärsten" erscheinungsformen wie z.b. bei multiplen persönlichkeiten thematisiert. und auf diese weise in den extrembereichen heutiger psychiatrie belassen (eine gegentendenz ist die häufigere thematisierung in der psychotraumatologie, aber deren effekte müssen noch abgewartet werden).

soziale trance ist ein begriff, über den sich das nachdenken lohnt. und verabschieden müssen bzw. sollten wir uns sicherlich von den selbstbildern des bürgerlichen aufgeklärten individiums, welches nur dem eigenen willen unterworfen ist und verantwortlich handelt. das dürfte primär eine abwehrkonstruktion sein, um die tatsächlichen realitäten erträglich zu machen.

die soziale trance dürfte dazu gleichfalls auch an der logik beteiligt sein, die zb. gewalt mit mehr gewalt "bekämpfen" möchte. das lässt sich einerseits tatsächlich als re-inszenierung begreifen, andererseits jedoch auch als opferung (gerade die diesbezgl. thesen von deMause sind etwas, was ich mit einer spontanen inneren distanz betrachte, zu der allerdings auch die verbindungen zur religion beitragen, die er dabei herausarbeitet - kann sein, dass ich deren einfluss bis heute selbst unterschätze.

und borderline? ja, überdurchschnittlich häufig viele traumatische erlebnisse bei den betroffenen. zu definieren wären aber v.a. zwei dinge: erstmal der traumabegriff an sich (ich kenne bis heute zb. keinerlei untersuchungen zu möglichen zusammenhängen zwischen tradierten bzw. transgenerationalen traumata und bl), zum zweiten dann aber auch die bedeutung der pränatalen phase für die borderline-genese. zu der mertz einiges an material zusammengetragen hat. was mir dazu an dem zeit-artikel auffällt, ist das komplette verschweigen der antisozialen phänomene im bl-kontext. aber das ist bisher für derlei mediale berichterstattung geradezu typisch.

viele grüße
mo

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