Spunky (Gast) - 7. Dez, 00:43

Genau das war mittlerweile auch mein Erkenntnis

Ich habe es erst in den letzten Wochen herraus gefunden und lese es zufällig heute hier von dir.
In den Büchern die ich las, spricht man von Selbstliebe, dem inneren Kind, vom inneren Kritiker usw. Erst wenn man zu sich selbst findet, sich selbst liebt, dann hat man seinen Frieden gefunden. Dann braucht man keine Gewalt, keine Autorität mehr. Man sucht nicht mehr seine Bestätigung in der Unterdrückung anderer.

Wie bringt man es jetzt nur der grossen Masse bei?

sansculotte (Gast) - 7. Dez, 01:40

Wie erreicht man die Leut'?

Hallo Spunky,

das ist die Frage aller Fragen. Ich bin mir zunächst nur ziemlich sicher, wie es nicht geht, dass es also nicht etwa dadurch geschehen kann, dass man bloß neue Imperative setzt (oder besser: die alten Befehle durch neue ersetzt), wie etwa: hör auf dein inneres Kind, sei gut zu dir selbst usw. etc. Auch wenn das inhaltlich treffen mag, so fällt es doch nicht auf fruchtbaren Boden, weil vom "Herbeten" dieser Erkenntnisse bloß die rationale Einsicht betroffen ist. Das Problem selbst liegt aber viel tiefer, in den psychophysischen Dispositionen jedes einzelnen und hier hilft oft nur Therapie. Nun ist die Entscheidung zur Therapie aber grundsätzlich fakultativ, freiwillig, jemanden zu einer Therapie zu zwingen, wäre ja schon kontraindiziert, also stünde dem Therapieerfolg entgegen. Die einzige Möglichkeit besteht also mE in der Bereitstellung möglichst niederschwelliger Angebote (Psychotherapie auf Kasse, in erreichbaren Einrichtungen, ohne grosse "klinische Diagnose", usw.), die sich aber nur durchsetzen lassen werden, wenn man immer und immer wieder öffentlich auf die Notwendigkeit solcher Angebote aufmerksam macht, mit Hinweis auf die Zusammenhänge, wie sie etwa in diesem blog aufgezeigt werden.

viele Grüße, s
sansculotte (Gast) - 7. Dez, 02:08

Nachtrag

p.s. Entschuldige, dass ich mich mit einer Antwort "eingemischt" habe.

Mir fiele noch ein: man müsste ein regelrechtes politisches Programm daraus machen, genauso, wie heutzutage zB. bestimmte Impfungen gegen Kinderkrankheiten durch Aufnahme in ein offizielles medizinisches Curriculum (in Österreich gibt's da etwa den "Mutter-Kind-Pass") zur Selbstverständlichkeit geworden sind, oder wie die zahnärztliche Versorgung mittlerweile Alltag ist. Mir ist noch in Erinnerung, dass ich als Volksschüler jedes halbe Jahr einmal "Zahnpflegetag" hatte, das war in den frühen Siebzigern in den öffentlichen Lehrplänen. Dahin müsste man auch mit den hier vorgestellten Erkenntnissen kommen - in die Lehrpläne und öffentlichen Gesundheitsprogramme. Also hilft weiter nur Öffentlichkeitsarbeit, auch wenn es im Moment starken Gegenwind gibt.
jana (Gast) - 7. Dez, 08:16

ich halte "vorleben",sich leben,DAS leben, was man für sich erkannt hat weiterhin am sinnvollsten .
ich bin nicht perfekt, kein mensch oder irgendwas ist perfekt. so ist im erleben andrer menschen, wie sie leben und mit ihren schwächen, mit ohnmachtsgefühlen auch hier und da usw usf viel mehr in bewegung gebracht,als mit offensiven gen "gesund" leben ...

manchmal ists ein trotzen, mir mir den eingespielten mustern im außen, teils ja muster, die mich verletzen,allein dadurch,daß ich sie wahrnehme , trotzen,indem ich aber tue,lasse,leben,wie ichs für wichtig halte.

der körper = das gedächtnis.
was teils als eigendlich ja nur psychische regung wahrgenommen wird, ist wirklich oftmals ein impuls aus erinnertem, eingefahrenem,aus automatisierten mechanismen. dies wahrzunehmen,zu unterscheiden und eben dann doch auch soetwas wie training, da teils eben die ursache bzw eher der auslöser im körper zu finden ist, lassen eingeprägte, ja eingepflanzte mechanismen sich abändern ... dort bringt ausnahmsweise eben für mich überraschend "anders tun" doch auch ein loswerden von automatisiertem...

ich latsche nicht in der welt rum und sage : so mußt du es machen, so müßts laufen oder : schau mal,deshalb und deshalb ists so und so...
ich bin nur da und leb vor mich hin mit mir und da es was tief angelegtes im menschen ist wohl,immerzu vergleichen zu müssen,sich mit andren, so nehm ichs einfach als vergleichspunkt : jana lebt so und so,macht was so und so,hmm,warum..?
naja, zumeist wundern sich die leuts,warum ich fast nie austicke,warum ich oftmals von irgendwas dann nicht so verletzt bin wie sie und bei andrem aber nen aufstand mache (respektlosigkeiten,grenzen mißachten usw) ...
und sie sehen,daß nichts fest ist,allesnoch erkennen,wahrnehmen,verändern ist....daß nirgens n schild steht : how to do ... usw...
und sei es,daß sie dadurch zum selbstmachen,selbstdenken sich ermutigt fühlen,denn anscheinend stirbt man davon nich ...

naja,soweit

lg
jana
wednesday (Gast) - 7. Dez, 09:54

Zu: Wie erreicht man die Leut'?

Auf das "innere Kind" zu hören, was soll das bringen, wenn dieses Kind verkümmert und fast vernichtet ist? Verstehe ich nicht; mich nervt dieses meist auch esoterische Getue um das "innere Kind", so wie man es auf kleinformatigen Plakaten im Aushang irgendwelcher Läden und der Volkhochschule sieht. Es kommt mir vor wie eine Art Baldrian; es ist nur Therapie für den Einzelnen und Isolierten; nicht aber Reform oder gar Revolution.

Und. Ich will mich auf die therapeutischen Einrichtungen einer Gesellschaft, in der wir so leben müssen: Unter dem Zwang zu Arbeit, Leistung, Konkurrenzdenken, extremen und rücksichtslosen Konsumverhalten (wobei alle Punkte die verarmten bis völlig entrechteten und zerstörten Länder und ihre BewohnerInnen in Mitleidenschaft zieht) etc., nicht verlassen.

Ich bin mir leider ziemlich sicher, daß auch weiterhin der rücksichtslos erfolgreiche Menschenschlag nicht als sozial und psychisch gestört gelten wird; stattdessen windet sich das Opfer solcher Aliens im Behandlungszimmern des Therapeuten, wo man ihm gerne sagt, daß es an sich denken soll, sich nur mit sich selber beschäftigen soll, daß es an sich arbeiten soll, und nicht versuchen sollte, die Menschen um sich herum zu ändern, denn das funktioniere nicht; kurz, daß es bescheiden untergehen soll - gepflegt, unauffällig, angepasst. So sieht es aus.

Zur Erklärung, bevor sich jemand angegriffen fühlt: nicht die Kommentare hier machen mich wild, sondern unser Leben, unser Lebensstil, unser Gesellschaftssystem. Und meine Hoffnungslosigkeit. ;-(

Gruß,
W.
sansculotte (Gast) - 7. Dez, 10:34

@Wednesday

Keine Frage, die Rede vom "inneren Kind" ist nicht jedermanns Sache und muss auch gar nicht sein. Es geht auch nicht um irgendwelche Chimären, sondern um Handfestes, um psychophysische und physiologisch nachweisbare Folgen eines gewalttätigen Erziehungsstils.

Es gibt vielerlei Arten von Therapie und man kann sie nicht alle über einen Kamm scheren. Teilen wir sie der Einfachheit mal in gute und schlechte ein, wobei sich die "guten" Therapien mE dadurch auszeichnen, dass sie einen paradoxen, oder wenn so man will, dialektischen Effekt haben. Je konstruktiver und heilsamer nämlich die Beschäftigung mit mir selbst ist, umso mehr Kompetenz gewinne ich für einen konstruktiven, empathischen und unverkrampften Umgang mit anderen. Gute Therapie macht den Betreffenden sozialer, nicht etwa selbstversessen, sie hilft ihm, individueller und entspannter zu sein, nicht angepasster, unauffälliger oder "gepflegter". Gute Therapie befreit von überkommenen Ängsten und Spannungen und ermöglicht so im Idealfall offeneres Zugehen auf andere und eine aktive Lebensführung.

Natürlich ist Therapie nur eine Seite der Medaille. Die andere erfordert engagierte Arbeit an unserem Gesellschaftssystem und unserem Lebensstil, weil hier zweifellos viele aversive Bedingungen vorliegen. Ich denke da eher an so eine Art "Scherenbewegung", in der beides forciert wird: die Arbeit an den individuellen und den gesellschaftlichen Bedingungen, welche -wie man hier im blog nachlesen kann- auf sehr "tückische" Weise miteinander verwoben sind.

Gruß und chin up, s
Morgaine - 7. Dez, 12:43

Politische Arbeit, individuelle Therapie: Alles sehr schöne Ansätze, die langfristig sicher wunderbar wirken können. Was aber machen wir in der Zwischenzeit mit den Kindern, die gerade den Wahnsinn der Realität im Klassenzimmer erfahren dürfen? Darf ich hier einmal kurz aus dem Buch zitieren, dass meine 12-jährige Tochter gerade schreibt, um sich vielleicht auch ihre Erfahrungen vom Leib zu schreiben:

"Da kommt ja Miss Pferdig neun mal klug" ... Julia war nicht gerade sehr beliebt in der Klasse ... Ein Junge rempelte sie an doch sie blieb fest und bodenständig stehen und schaute ihn nur böse aber auch gleichzeitig traurig darüber an ... ihre Freunde hatte sie auf dem Gestüt Falkenhorst, wo sie jeden Tag hinging ..."


Muss ich noch erwähnen, dass es sich nach der Aussage von externen Experten um ein intelligentes Kind mit hoher sozialer Kompetenz handelt, die neben dem Umgang mit den Tieren im Reitstall die unterschiedlichen Altersstufen und die Freundschaften dort sehr genießt?

Noch einmal konkret: Was machen wir mit diesen Kindern? Sich abarbeiten lassen in einer Umgebung, die ich sicher hier nicht näher beschreiben muss? Oder dürfen sich diese Kinder in Ruhe entfalten in der Gemeinschaft Gleicher, was natürlich den Vorwurf der Elitenbildung impliziert? Ich fürchte, wir haben nicht so viel Zeit, darauf zu warten, bis die Folgen politischer und therapeutischer Arbeit breitere Wirkung zeigen. In der Zwischenzeit gehen uns viele Kinder verloren durch diverse Flucht-Methoden aus diesen Zuständen.
Spunky (Gast) - 7. Dez, 13:03

@wednesday

Ich hielt auch nicht viel von esoterischem Schnickschnack, aber das Buch "Aussöhnung mit dem inneren Kind" ist eine interessante Betrachtung des eigenen inneren. Ich sehe dieses "innere Kind" als das Gegenstück zum "inneren Kritiker". Das Kind ist das Bauchgefühl und der Kritiker steckt im Kopf.
Es geht darum, wie man mit sich selbst umgeht, sich selbst akzeptiert, mit sich selbst ins reine kommt und somit in sich selbst ruht. Ist man liebevoll zu sich selbst, läuft man durch die Welt, wie Jana es beschreibt. Man kann härteste Kritik wegstecken, da man es als Standpunkt des anderen Akzeptiert, sich aber nicht gleich als Dreck behandelt fühlt.
In dem Bibel-Gebot "Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst" steckt diese Grundlage. Liebt man sich selbst, so kann man sehr einfach auch andere lieben. Ich bin dann nicht auf die Bestätigung anderer angewiesen, weil ich sie mir selber gebe. Ich weiss, "ich bin richtig".

Ich vermute, wenn sich jeder selber akzeptiert und liebt, dann brauchen wir keine Regierungen mehr, dann funktioniert die Anarchi (nicht zu verwechseln mit der Anomie)
monoma - 7. Dez, 14:50

na...

...so viele gedanken freuen mich natürlich (btw: hi spunky ;-)

etwas durcheinander jetzt assoziationen zu einzelnen stichwörtern.

*

inneres kind: imo ein wahrscheinliches produkt der "normalen" dissoziation, die hier herrscht, und wahrscheinlöich so zustande kommt, wie es sansculotte schon umschrieben hat. ich kenne den entsprechenden sachbuch-klassiker auch, und die arbeit, die die autorinnen empfehlen, kann individuell durchaus positive folgen haben. aber sie ist imo nicht in der lage, auch nur leicht über der "norm" liegende traumatische strukturen tatsächlich aufzulösen, auch wenn sie dabei unterstützend wirken könnte.

*

"massentherapie" war schon eine idee, mit der sich w. reich vor über siebzig jahren herumgeschlagen hat - aus ähnlichen gründen wie hier.

aber dafür gibt es bis heute kein ernsthaftes konzept; individuelle therapieformen sind imo nicht auf große gruppen übertragbar, und dazu existierenden gegenüber den inhalten und menschenbildern vieler heute existierender therapieansätze auch ernstzunehmende bedenken. schließlich sind sie alle produkte dieser kultur, und tragen dementsprechend auch mehr oder weniger die destruktiven elemente dieser kultur in sich. entscheidend ist imo die möglichkeit/fähigkeit zur selbstreflektion und kritischen überprüfung, die ein therapeutisches modell einräumt - oder eben nicht einräumt.

*

also prävention und prophylaxe: kann so aussehen, wie es deMause vorschlägt - elternberatungszentren; aber auch ansätze der pränatalen prävention wie sie zb. das projekt "die emanzipation des kindes" (linkliste) vorschlägt.

@morgaine: schwierige frage. möchte ich für mich nochmal länger drüber nachdenken.

*

was mir aber hier etwas untergeht, gerade in bezug auf den neuesten blog-eintrag: diejenigen, deren innere strukturen das streben nach und den besitz von macht zu etwas für sie existenziell notwendigem machen, werden nicht freiwillig gehen. nicht gehen können. die frage ist, was das bedeutet?

*
soweit erste gedanken meinerseits,

gruß in die runde
mo

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