schorsch (Gast) - 17. Okt, 18:53

Traumaforschung - objektivistischer Umweg?

Ist angesichts der von dir wortgewaltig beschriebenen Exklusion, "Verschrottung" und Verrohung sowohl der Nutznießer als auch der "Verschrotteten" der Wertverwertung unter dem irrationalen Selbstzweck des Kapitals möglicherweise die intensive Beschäftigung mit Trauma (in diesem Zusammenhang!!!) eine objektivistische "Selbstkontrolle", die den direkten Weg zum Widerstand gegen die Verhältnisse verstellt oder zumindest massiv verlängert?
Bieten Traumaforschung, intensive Auseinandersetzung mit Traumatisierten und Traumatherapie tatsächlich die Möglichkeit genauere und v.a. den Widerstand fördernde Antworten auf die von dir gestellten Fragen zu finden?

"warum regt sich so wenig widerstand?"

Wenn wir davon ausgehen, dass in diesen Verhältnissen nicht alle traumatisiert sind (dann wäre der Begriff leer), sondern "nur" einige, dann bietet Traumadurchdringung eben auch nur in einigen Fällen mögliche Antworten auf deine Frage, denn auch nicht bei allen Traumatisierten werden wir durch Durchleuchtu7ng ihres Traumas gerade die Gründe für ihren mangelneden Widerstand finden. Und ob der eigene Widerstand als Überwindung der Ohnmachtsgefühle (das sehe ich schon, dass das geleistet werden müsste) dadurch kräftiger, klarer, zielgerichteter wird, dass man mehr über Trauma weiß, kann ich noch nicht logisch nachvollziehen ...

- warum kann das "teile-und-herrsche"-prinzip (spaltung) der herrschenden "eliten" bis jetzt so gut aufgehen?

Das muss ich doch wohl eher aus den sozial-ökonomischen Verhältnissen und aus den diese "erklärenden" Ideologien ableiten. Traumadurchdringung kann da höchstens eine begleitende Schärfung der Sicht für einen Teil der Gesellschaft bedeuten. Mir scheint die Gefahr einer Überstrapazierung des Traumabegriffs gegeben zu sein.

- warum gibt es tatsächlich in den verarmenden bevölkerungsteilen nicht nur resignation, sondern auch eine teils stark ausgeprägte bereitschaft zu ressentiments gegen als noch schwächer/ausgegrenzter wahrgenommene menschen?

Zusammenhang zur Traumatisierung scheint mir hier noch am ehesten möglich und produktiv zu sein. Aber auch hier habe ich Zweifel ...

- welche bedeutungsebenen haben die grenzen, die auf dem planeten real gezogen werden?

Hm!

Vielleicht bin ich auch momentan innerlich zu ungeduldig, aber ich kann nicht besonders gut erkennen, inwiefern Beschäftigung mit Trauma die Antworten auf die richtig gestellten Fragen tatsächlich fundamental schärfen könnte. Spontan erscheint mir dein Vorhaben eher als objektivistischer Umweg, auf dem erst einmal die Traumatisierten und die Ursachen der Traumatisierung vermessen werden sollen (als Objekt benennbar werden sollen), ehe du dich "traust" den Verhältnissen praktisch etwas entgegenzusetzen.

Ziemlich ungerkochte Gedanken, aber ich wollte sie so roh hier äußern!

LGS

mo (Gast) - 17. Okt, 21:57

guten abend,

deine anmerkungen und fragen bieten mir die gelegenheit, ein paar dinge zu präzisieren (vermutlich werde ich sowieso noch ein update hinterherreichen, weil mir - wie so oft - beim wiederholten lesen noch einiges durch den kopf gegangen ist).

Ist angesichts der von dir wortgewaltig beschriebenen Exklusion, "Verschrottung" und Verrohung sowohl der Nutznießer als auch der "Verschrotteten" der Wertverwertung unter dem irrationalen Selbstzweck des Kapitals möglicherweise die intensive Beschäftigung mit Trauma (in diesem Zusammenhang!!!) eine objektivistische "Selbstkontrolle", die den direkten Weg zum Widerstand gegen die Verhältnisse verstellt oder zumindest massiv verlängert?

kurze antwort: diese gefahr sehe ich v.a. dann, wenn sich die auseinandersetzung mit den traumatischen folgen der genannten gewaltverhältnisse alleine darauf beschränkt, die betroffenen wieder funktionsfähig machen zu wollen. in anbetracht des mainstreams in medizin/psychiatrie leider eine reale gefahr.

ieten Traumaforschung, intensive Auseinandersetzung mit Traumatisierten und Traumatherapie tatsächlich die Möglichkeit genauere und v.a. den Widerstand fördernde Antworten auf die von dir gestellten Fragen zu finden?


hier kann ich für mich deutlich mit ja antworten - warum ich das so sehe, wird sich aber im laufe des kommenden schwerpunkts hier so richtig erschliessen.

Wenn wir davon ausgehen, dass in diesen Verhältnissen nicht alle traumatisiert sind (dann wäre der Begriff leer), sondern "nur" einige, dann bietet Traumadurchdringung eben auch nur in einigen Fällen mögliche Antworten auf deine Frage, denn auch nicht bei allen Traumatisierten werden wir durch Durchleuchtu7ng ihres Traumas gerade die Gründe für ihren mangelneden Widerstand finden. Und ob der eigene Widerstand als Überwindung der Ohnmachtsgefühle (das sehe ich schon, dass das geleistet werden müsste) dadurch kräftiger, klarer, zielgerichteter wird, dass man mehr über Trauma weiß, kann ich noch nicht logisch nachvollziehen ...

selbst die mir bekannten "offiziellen" epidemiologischen zahlen bzw. schätzungen zur ptbs in verschiedenen regionen (gerade von offener gewalt betroffenen regionen) sind bereits erschreckend. die wahrscheinlich zu eng gefaßte definition der heutigen ptbs mitberücksichtigt, halte ich es für berechtigt, eher von einem massenphänomen zu sprechen (tradierte/transgenerationale traumata zb. miteinbezogen).

kognitives wissen alleine verändert nix, sicher. aber es kann zumindest grundlagen schaffen und womöglich - in kombination mit bestimmten, durch die verarbeitung diess wissen angergten emotionen - erkenntnisprozesse in gang setzen, die diesn namen auch wirklich verdienen.

gewalt - strukturelle und offene - verändert nun mal menschen, und zwar teils massiv und tiefgreifend, bis hin zur schädigung neurophysiologischer strukturen. das kann in sehr komplexer und unterschiedlicher art und weise passieren, aber eine der heute bekanntesten wirkkomplexe ist imo das, was unter trauma aktuell verstanden wird.

Das muss ich doch wohl eher aus den sozial-ökonomischen Verhältnissen und aus den diese "erklärenden" Ideologien ableiten. Traumadurchdringung kann da höchstens eine begleitende Schärfung der Sicht für einen Teil der Gesellschaft bedeuten. Mir scheint die Gefahr einer Überstrapazierung des Traumabegriffs gegeben zu sein.

mit dem letzten satz hast du z.t. recht, auch wenn mir dieses risiko sozusagen eher aus der bisherigen, fast völligen ausblendung der bedeutung traumatischer prozesse für die entwicklung ganzer gesellschaften zu kommen scheint (eine extreme gegenreaktion also, die sich aber nach einiger zeit vermutlich "einpendeln" dürfte).

ich finde, du machst einen denkfehler: sozial-ökonomische prozesse finden nicht im luftleeren raum statt, sondern können sich nur durch unsere körperliche - und damit auch psychische - realität vermitteln. sie werden durch diese realität beeinflusst und beeinflussen sie ebenfalls. ich kann mittlerweile keine gesellschaftlichen analysen mehr ernstnehmen, die quasi versuchen, sozusagen ohne menschen auszukommen. und an deren stelle beliebige abstraktionen setzen. der "homo oeconomicus" wäre ein extrembeispiel für ein solches vorgehen - ein reines konstrukt, auf dem dann später ganze weltbilder entstehen.

Zusammenhang zur Traumatisierung scheint mir hier noch am ehesten möglich und produktiv zu sein. Aber auch hier habe ich Zweifel ...

dieser punkt hängt für mich stark mit "teilen und herrschen" zusammen, und wieder behaupte ich, dass sich diese strategie der macht nur dadurch durchsetzen kann, weil es in den psychophysischen strukturen besonders von traumatisierten menschen dafür leider sehr gute hebelpunkte gibt.

Vielleicht bin ich auch momentan innerlich zu ungeduldig, aber ich kann nicht besonders gut erkennen, inwiefern Beschäftigung mit Trauma die Antworten auf die richtig gestellten Fragen tatsächlich fundamental schärfen könnte.

wie gesagt, ich hoffe, es wird während und nach dem traumaschwerpunkt deutlicher sein, warum ich so argumentiere, wie ich´s tue.

Spontan erscheint mir dein Vorhaben eher als objektivistischer Umweg, auf dem erst einmal die Traumatisierten und die Ursachen der Traumatisierung vermessen werden sollen (als Objekt benennbar werden sollen), ehe du dich "traust" den Verhältnissen praktisch etwas entgegenzusetzen.

*g* immerhin scheint es mir zu gelingen, den begriff objektivistisch weiter zu verbreiten.

nee, im ernst: bei meiner vorgehensweise hier im virtuellen raum, die selbst zwangsläufig objektivistische züge tragen muss, kann so ein eindruck natürlich nicht ausbleiben. mir liegt aber einiges daran, eher durch die kombination von psychotraumatologischem wissen und den sich daraus ergebenden konsequenzen in der betrachtung gewaltdurchtränkter gesellschaften die destruktiven prozesse in letzteren anders - und wie ich finde, auch besser - zu begreifen. und genau das setze ich mir für diesen schwerpunkt als ziel *latte hochleg*

und den verhältnissen lässt sich wirksam imo nur etwas entgegensetzen, wenn sie möglichst transparent gemacht worden sind - und ich bin der meinung, dass die konventionelle kapitalismuskritik da etwas zu kurz greift. aber das wird dir ja nicht unbekannt sein ;-)

Ziemlich ungerkochte Gedanken, aber ich wollte sie so roh hier äußern!

gar kein problem, feedback ist immer willkommen.
sansculotte (Gast) - 17. Okt, 22:39

Einige Antworten

Lieber Schorsch,

Du schreibst:
"Wenn wir davon ausgehen, dass in diesen Verhältnissen nicht alle traumatisiert sind (dann wäre der Begriff leer), sondern "nur" einige, dann bietet Traumadurchdringung eben auch nur in einigen Fällen mögliche Antworten auf deine Frage, denn auch nicht bei allen Traumatisierten werden wir durch Durchleuchtung ihres Traumas gerade die Gründe für ihren mangelneden Widerstand finden."

Doch! Die Unterhöhlung der persönlichen Ressourcen, die Angst, Ohnmacht und Handlungseinschränkung, sowie eine gesellschaftlich relevante erlernte Hilflosigkeit gehören zu DEN zentralen diagnostischen Kriterien einer posttraumatischen Störung. Außerdem kannst Du davon ausgehen, dass nicht "nur einige", sondern die meisten traumatisiert sind. Die Häufigkeit, mit der Traumatisierung stattfindet, verhindert, dass ihr fast permanentes Vorhandensein vor dem fehlenden Hintergrund nicht-traumatisierender Verhältnisse überhaupt noch wahrnehmbar ist.

Weiter schreibst Du:
"Und ob der eigene Widerstand als Überwindung der Ohnmachtsgefühle (das sehe ich schon, dass das geleistet werden müsste) dadurch kräftiger, klarer, zielgerichteter wird, dass man mehr über Trauma weiß, kann ich noch nicht logisch nachvollziehen ..."

Gar nix müsste, gar nix kann hier "geleistet" werden. An der "Überwindung der Ohnmachtsgefühle" arbeiten Traumatisierte oft ihr Leben lang. Die Ohnmacht ist für das Trauma konstitutiv. Eine Therapie, die es ermöglicht, diese posttraumatischen Symptome zu beseitigen, stärkt die persönlichen Ressourcen und damit die Fähigkeit zum Widerstand. Gerade darum ist die Beschäftigung mit dem Trauma und die Entwicklung einer effizienten Therapie so wichtig, wollen wir gesellschaftlich handlungsfähige Menschen haben.

Und schließlich:
"Das muss ich doch wohl eher aus den sozial-ökonomischen Verhältnissen und aus den diese "erklärenden" Ideologien ableiten. Traumadurchdringung kann da höchstens eine begleitende Schärfung der Sicht für einen Teil der Gesellschaft bedeuten. Mir scheint die Gefahr einer Überstrapazierung des Traumabegriffs gegeben zu sein."

"Überstrapazierung des Traumabegriffs"? Ooch, der Ärmste. Hoffentlich verkühlt er sich nicht auch noch. Das, was du hier betreibst, ist objektivistischer Hokuspokus. Eine gesellschaftliche Realität, die fast allgegenwärtig ist, kann gar nicht "überstrapaziert" werden.

Die Traumatisierung großer Teile der Bevölkerung wird systematisch betrieben. Armut etwa, wie sie durch Hartz IV und andere Grausamkeiten planvoll herbeigeführt wird, stellt durch die faktische gesellschaftliche Entmachtung, durch die darauf folgende soziale Deprivation und Einschränkung eine mächtige traumatisierende Grundbedingung dar. Große Teile der Bevölkerung werden dadurch systematisch in die "erlernte Hilflosigkeit" (Seligman) gezwungen, zur Lethargie verdammt, negativ konditioniert und in dysfunktionale Regelkreise gestoßen. Daraus entstehen dysfunktionale Familienverbände mit ungeheurem Gewaltpotential. Das, was dann noch bleibt, ist die Diagnose "strukturelle Gewalt", weil die Traumabedingungen dermaßen umfassend und generalisiert sind, dass sie kaum noch wahrgenommen werden.

Mit anderen Worten: das genau Gegenteil des von Dir Beschriebenen ist der Fall. Die Traumadiagnose verdeckt nicht die Verhältnisse, sondern die Verhältnisse verunmöglichen den klaren Blick auf die notwendige Diagnose: dass hier Traumatisierung am Werk ist und von den Eliten -wenn auch nicht gänzlich bewusst- so aber doch systematisch betrieben wird, weil sie das Gros der Menschen handlungsunfähig macht.

gruß, s

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