archenoe - 30. Okt, 16:54

Das "perfekte Böse"

Danke!

Du schreibst: "...da der folterer zwingend nur im zustand einer extremen wahrnehmungsreduktion überhaupt foltern kann, wird er von seinem psychophysischen defektzustand dahin gebracht, das "angebot" der macht auf "teilhabe" und vor allem sicherheit anzunehmen ..."

Frage: Könnte es nicht sein, dass der Folterer gerade in einem Zustand der extremen Wahrnehmungsschärfung die Foltermacht ausagiert? Könnte es nicht sein, dass der psychophysische Zustand des Folterers keinen Defekt indiziert, sondern exakt gegenteilig perfektes Funktionieren darstellt, so dass gleichzeitig (in eins fallend) der Folterer als Instrument der übergeordneten Mächte und als (Selbst-)Befriedigungskörper fungiert? Sozusagen das "perfekte Böse"?

Könnte es sein, dass "wir" angstgefüllt den letzten Schritt der Analyse nicht wagen, weil wir die Erkenntnis nicht aushalten wollen, ein Mensch könne ohne einen Defekt das "perfekte Böse" sein?

Falls es so ist, müssten "wir" die "Täter" noch viel differenzierter, als "wir" es ohnehin versuchen, betrachten und analysieren, weil der von "uns" nicht gewollte und sich dem Verstehen möglicherweise entziehende "Fall" des "perfekten Bösen" zu all den Defektvarianten hinzukäme. Falls es so ist, müssten "wir" erst einmal Willen und Mut aufbauen, um "uns" mit solchen Überlegungen überhaupt beschäftigen zu können. Außerdem müssten "wir" auch das radikal psychophysisch und (!) gesellschaftlich denken und nicht etwa das "perfekte Böse" als angeblich genetisch Vorprogrammiertes in einem letzten Rettungsversuch für "unser Seelenheil" aus der "normalen Menschlichkeit" ausschließen wollen.

Bedrückt.

monoma - 6. Nov, 14:31

so, eine etwas verspätete antwort, die mir aber wichtig ist:

"Frage: Könnte es nicht sein, dass der Folterer gerade in einem Zustand der extremen Wahrnehmungsschärfung die Foltermacht ausagiert? Könnte es nicht sein, dass der psychophysische Zustand des Folterers keinen Defekt indiziert, sondern exakt gegenteilig perfektes Funktionieren darstellt, so dass gleichzeitig (in eins fallend) der Folterer als Instrument der übergeordneten Mächte und als (Selbst-)Befriedigungskörper fungiert? Sozusagen das "perfekte Böse"?

dazu fallen mir vor allem zwei aspekte ein: erstens wird mir viel zuwenig darüber nachgedacht, dass das "böse" v.a. eine bestimmte wahrnehmungsposition darstellt, die ich für mich gerne mit der ekelwahrnehmung vergleiche: letztere lässt sich ja so interpretieren, dass sie dem selbstschutz - bspw. vor verdorbener und schädlicher nahrung - dient. das wäre hinsichtlich der nichtmenschlichen umwelt eine sinnvolle funktion.

und auch in dieser kategorie würde ich bspw. als "böse" empfundene krankheiten empfinden - rein "sachlich" lässt sich einem hiv-erreger zb. nicht wirklich "bösartigkeit" im gewollten sinne unterstellen, aber die wahrnehmung "böse" gibt uns erstens informationen über unsere position dazu, und stellt dazu auch eine art alarmsignal dar.

wie lässt sich das nun auf die zwischenmenschliche beziehungswelt übertragen, in der sowohl bösartigkeit als auch ekel ebenfalls als wahrnehmungen vorkommen? ich denke, dass sie dort prinzipiell ähnliche funktionen wie in der auseinandersetzung mit der nichtmenschlichen welt erfüllen - aber das sie hier wie da sozusagen auch "verzerrt" auftreten können, in der hinsicht nämlich, dass sie bei reduktionistischen wahrnehmungsprozessen zu sehr dominieren können, was auf ein insgesamt gestörtes inneres gleichgewicht hindeutet. wenn mir andere "böse" vorkommen, dann steckt da meist mindestens eine weitere information dahinter, die aber bei der erwähnten dominanz nicht mehr decodiert werden kann - und dementsprechend kann diese wahrnehmung auch nicht mehr angemessen verarbeitet werden in dem sinne bspw., dass es - und damit komme ich zum zweiten punkt - für jegliches, als bösartig wahrgenommenes verhalten von menschen, immer (!) auch gründe gibt - und damit verliert der begriff dann seine quasi metaphysische dimension - die mir bei dir erstaunlicherweise aufscheint - und wird sozusagen auf seinen rechten platz gerückt.

"Könnte es sein, dass "wir" angstgefüllt den letzten Schritt der Analyse nicht wagen, weil wir die Erkenntnis nicht aushalten wollen, ein Mensch könne ohne einen Defekt das "perfekte Böse" sein?"

ich meine: nein.

die wahrnehmung von bösartigkeit verweist imo immer auf defizite/defekte/schäden, die hinter den entsprechend wahrgenommenen handlungen stehen. ich halte das nicht für anders möglich, wenn ich die uns bestimmenden psychophysischen gesetze berücksichtige.

*ächz* ich schreibe gerade mit einem ziemlich brummschädel (nein, keine alkoholbedingte beeinträchtigung) und komme mir leicht "grippig" vor. daher kriege ich meine gedanken nicht so auf den punkt, wie ich das eigentlich möchte. ich würde eigentlich gerne noch was zur relativität dessen schreiben, was als böse jeweils wahrgenommen wird - ein nazi zb. würde andere sachen als böse empfinden als *wir* -aber das bekomme ich grad nicht so recht hin. ich hoffe aber, dass oben meine position dazu etwas deutlicher geworden ist.

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