assoziation: kommentierte kommentare zur gewaltfrage
die ereignisse bei der gestrigen großdemonstration in rostock gegen den "g8-gipfel" machen es in meinen augen dringend nötig, sich näher mit verfassung und möglichen motivationen der jeweiligen akteure auf den verschiedenen seiten zu beschäftigen. da ich in jüngeren jahren selbst in dem, was bis heute autonome szene genannt wird, politisch aktiv gewesen bin und auch heikle demonstrationssituationen miterleben musste, begreife ich die jetzt mal wieder ausgebrochene "gewaltdebatte" vor einem etwas anderen erfahrungshintergrund als große teile der sog. öffentlichkeit. daher möchte ich dieses medium jetzt dafür nutzen, einige facetten der realität wiederzugeben, die in der berichterstattung der mainstreammedien alá "spon" und anderen schlicht nicht existieren.
*
(...)"Bei der Großdemonstration in Rostock sind am Samstag nach Angaben der Veranstalter 520 Demonstranten verletzt worden. Zwanzig von ihnen seien schwer verletzt worden und müßten unter anderem wegen Knochenbrüchen stationär behandelt werden, sagte Mani Stenner aus der Demonstrationsleitung am Sonntag. Mindestens 165 Demonstranten seien festgenommen worden und über sechs Stunden lang in Gefangenensammelstellen festgehalten worden.
Die Polizei teilte mit, es seien insgesamt 433 Beamte verletzt worden, davon 30 schwer. Zwei Beamte müßten stationär behandelt werden."(...)
(aus dem newsticker der jungen welt)
*
zunächst etwas zur begriffsklärung: auch wenn das wort "autonom" medial bis heute teils nur als synonym für "krawallmacher" benutzt wird, so hat die geschichte der vielen und meist auch in vielen inhaltlichen punkten widersprüchlichen gruppen und grüppchen, die darunter zusammengefasst wurden, doch ganz andere, jahrzehntealte, internationale und vielfältigere hintergründe als die oben erwähnte "ein-punkt-beschreibung" seitens der medien und auch des staatsapparates. ebenfalls ist die - ursprünglich staatliche wortkreation - des "schwarzen blocks" eher eine bezeichnung für ein sekundäres phänomen alleine bei demonstrationen, welches primär als selbstschützende (vermummung) reaktion auf die zunehmende polizeiliche observations- und videopraxis seit den 1980er jahren entstanden ist. ich habe selbst etliche demonstrationen miterlebt, die ohne größere zwischenfälle mit kleineren und größeren "schwarzen blöcken" verlaufen sind.
erst später - in der zweiten hälfte der 80er - kam ein eher bedenklicher und sozusagen massenpsychologischer aspekt dazu, der meiner meinung bis heute kaum tiefergehend betrachtet wurde: die konstitution einer formierten und durch quasi-uniformierung einheitlich nach außen auftretenden masse mit einschüchterungspotenzial. diese geschichte bleibt zwiespältig: ein derartiger block kann durch seine präsenz und ausstrahlung in spezifischen, sehr eng raum- und zeitgebundenen situationen ein moment symbolisch/realer gegenmacht zum staatlichen repressionsapparat bilden, lässt sich aber dabei zwangsläufig auf die "logik" dieses apparates ein (das klassische beispiel dafür bilden bis heute die auseinandersetzungen um die hamburger hafenstraße, in deren verlauf einige demonstationen mit riesigen blöcken von bis zu fünftausend menschen mit dazu beitrugen, die folgen einer möglichen räumung für die staatlichen instanzen als unkalkulierbar erscheinen zu lassen - was Ihnen natürlich niemals von medien und staat bestätigt werden wird, aber trotzdem einen teil der wahrheit bildet).
zum anderen aber: jenseits solcher, sehr begrenzten und situationsgebundenen wirkungen kann die teilnahme in einem solchen block gerade für jüngere leute - und da primär männer - durchaus zu jenen individuell transformierenden psychophysischen wirkungen führen, die bspw. elias canetti in seinem klassiker masse und macht ansatzweise beschrieben hat. ich teile nicht alle folgerungen canettis, so ist seine im verlinkten wikibeitrag zitierte ausgangsposition „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes. […] Es ist die Masse allein, in der der Mensch von seiner Berührungsfurcht erlöst werden kann.“ - zitat wiki: ´Diese ersten Sätze aus Masse und Macht besagen nichts anderes, als dass der Mensch von Natur aus kein soziales Wesen ist. Nicht Empathie charakterisiert den Menschen, sondern die Furcht vor der Berührung diktiert sein Leben. Befindet sich der Mensch in der Öffentlichkeit, verlangen zufällige Berührungen mit anderen Menschen nach einer Entschuldigung. Steht der Mensch im Aufzug, drängt er sich in eine Ecke, um nicht in Kontakt mit den Anderen zu geraten. Und das Einschließen in die Häuser ist nichts anderes als ein Versuch des Menschen, sich dem bedrohlichen Fremden der Welt zu entziehen.´ eine der typischen reaktionen westlich geprägter philosophie, die aus bewußtlosigkeit gegenüber der uns umgebenden und durchdringenden matrix einer vielfältig traumatischen sozialen realität heraus zu solchen falschen generalisierungen des angeblichen "menschlichen wesens" neigt. nichtsdestotrotz sind - mit dem bewußtsein eben dieser realität - etliche seiner beobachtungen bezgl. des verhaltens von menschenmassen in dieser realität durchaus inspirierend, solange sie nicht als beobachtungen über angeblich "natürlich anthropologische" gegebenheiten fehlinterpretiert werden.
gewalttätige menschenmassen unterliegen einer sehr spezifischen dynamik, auf die ich hier nicht im einzelnen eingehen kann. aber die eigenarten der damit assoziierten ich-zustände, machtgefühle und auch drogenförmiger (adrenalin, endorphine) prozesse lassen gerade für grundsätzlich selbst-unsichere menschen, die erlebnisse von anscheinender stärke suchen, diese art der massenbildung bis heute sehr attraktiv erscheinen (eine tatsache, die erklärt faschistische bewegungen ebenfalls bis heute ausnutzen. aber auch eine tatsache, die für paramilitärische und polizeiliche massenbildung in eskalierenden situationen gültig ist, was meistens unterschlagen wird. mit der grundsätzlich betonten sog. "militärischen disziplin" ist es oft genug in derartigen momenten nicht mehr weit her, wie nicht nur ich oft genug selbst beobachten konnte. durch die sehr andersgeartete stellung sowie die ausbildung von beamten zb. unterliegen die genannten prozesse hier anderen dynamiken, aber ab einem bestimmten punkt ist es schwer, noch groß qualitative unterschiede zu finden).
und diese seite der blockbildung ist seitens der selbsterklärt militanten linken bis dato zu sehr unterbelichtet. wie gesagt: es kann für mich persönlich durchaus sehr eng definierte situationen geben, heute bspw. primär im bereich von antifa-demonstrationen, wo nicht nur aufgrund fotografierender nazis, sondern auch wg. der potenziellen nazigewalt eine derartige blockbildung unter selbstschutzapekten für eine begrenzte zeit sinn macht. aber das setzt eben auch ein bewußtsein über die eher unerwünschten möglichen psychophysischen dynamiken von menschen in einer masse voraus, welches ich für unterentwickelt halte.
soviel vorläufig zu meinen eigenen definitionen der beiden begriffe. im folgenden nun eine art öffentlicher-interner militanzdiskussion auf indymedia, bei denen die erwähnten und weitere aspekte zur sprache kommen - ich kommentiere im text.
*
"mili´s tanzbär" schreibt:
"militanz, unabhängig wie man zu ihr steht, erfordert ein politisches ziel. militanz auszuüben, ohne jegliches erkennbares ziel, kann wohl eher als hooliganismus bezeichnet werden."
und zwar ganz zurecht, weil sich die zugrundliegenden prozesse nicht von der lust von hooligans unterscheidn lassen. auch ansonsten kann ich dem kommentar weitgehend zustimmen.
"und genau diese tendenz war gestern deutlich erkennbar. es ging hier einzig und allein darum einigen lifestyle-autonomen kiddies den lange ersehnten adrenalin-kick zu verschaffen, nachdem man ja auf den meisten demos in deutschland zu schwach vertreten ist um eine derartige schlagkraft entwickeln zu können.
ohne sinn wurden da mal wieder steine geworfen, unabhängig davon ob damit nun auch eigene leute gefährdet und verletzt wurden. wie hier schon ergänzt wurde, setzt militanz auch verantwortungsbewusstsein voraus. hiervon konnte gestern jedoch keine rede sein.
wer nun versucht diese ausschreitungen durch "bullen-provo" zu begründen, macht es sich deutlich zu einfach. wie oft (bzw. eher selten), bitte schön, waren denn die entsprechenden demonstranten bereits auf demos um sich von dem, im vergleich zu vielen anderen aktionen, doch deutlich zurückhaltenden vorgehen den cops provozieren zu lassen? das war doch demo-alltag, wenn nicht sogar deutlich unter normalem provokations-niveau. auch der hinweis, es sollten willkürliche verhaftungen aus dem block heraus verhindert werden, führt ins leere: genau das gegenteil wurde bewirkt - massenweise verhaftungen, weil die autonomen völlig hysterisch, wie die aufgescheuchten hühner, kreuz und quer durch die gegend liefen!
ansonsten wird die konsequenz dieser ausschreitungen wohl v.a. eines sein: ein massiver rückschritt was linksradikale bündnis-fähigkeit betrifft, wenn nicht gar ihr vorläufiges ende - zumindest auf bundesebene.
ebenfalls gezeigt haben die randale, dass es dringend notwendig ist gerade junge, nachrückende autonome mit einer militanz-debatte zu konfrontieren, die als grundlage erstmal die begrifflichkeiten und deren bedeutung als politisches instrument klären. in dieser willkürlichen form, kann die erlebte gewalt jedenfalls nur noch als eines benannt werden: adrenalinsaure mackerkultur ohne jegliches emanzipatorisches / fortschrittliches bewusstsein."
"anton" merkt folgendes an:
"Was bei dem Begriff Globalisierung richtig und wichtig ist, ist bei dem Begriff Kapitalismus genau die Trennlinie.
Menschen die die Tobin-Tax fordern bezeichnen sich wohl auch eher als KapitalismuskritikerInnen. Herzlichen Glückwunsch, aber wenn eure Netzwerke bei einigen Aktionen Schaden nehmen ist mir das ziemlich egal.
Richtig ist auch das Gewalt in der militanten Linken wohl viel zu selten tiefgehend genug reflektiert wird, aber das ist wohl ehere Sache der handelnden Personen. Aber sehr interessant das sich hier mal wieder ein Großteil derer die eine Ergänzung geschrieben haben darauf beziehen.
Von wem die Gewalt tatsächlich ausgeht bleibt dabei viel zu oft unberücksichtigt. Es wird von zwischen Cops und "Autonomen" abgwogen und sich dann entschieden, oder auch nicht.
und macht einen ebenfalls oftmals unterschlagenen aspekt deutlich:
"Die Kriege der BRD, die Unterstützung und Förderung der Rüstungsindustrie die so genannte Entwicklungspolitik, all das ist Gewalt. Und wenn dann ein paar Leute Steine schmeißen fangen gleich alle an zu schreien. Der Protest wird in Veruf gebracht. Oh schade, bei all dem heulen über den Zusammenbruch des schönen Netzwerkes bleiben dann wohl keine Tränen für die Millionen von Verhungerten, Kriegstoten oder SklavenarbeiterInnen übrig.
Adäquat wäre es wohl mit der gleichen Stärke der Gewalt zu antworten welche auch vom System ausgeht, aber das ist gar nicht im Interesse der AktivistInnen. Das einzige was sie zun ist ein Zeichen setzen."
den grundgedanken - bei aller gewalt, die in und von den institutionen und profiteuren dieses systems alltäglich nicht nur im eigenen interesse geduldet, sondern auch aktiv praktiziert, durchgeführt und geschützt wird, ist die ständige aufregung über kaputte scheiben und autos, aber auch verletzte staatsbeamte, zutiefst heuchlerisch und verlogen - kann ich zwar klar nachvollziehen, jedoch halte ich den gedanken von der "adäquaten gewalt" als angemessene antwort zwar für (emotional) verständlich, jedoch trotzdem für gefährlich und falsch. es kann erstens gar keine "adäquate" antwort auf die ungeheure gewalttätigkeit des globalisierten kapitalismus geben, die nicht in suizidaler destruktion endet - einfach deswegen, weil letztere den zwangsläufigen endzustand des kapitalismus bildet. und wirkungsvoller widerstand im interesse eines authentisch-menschlichen lebens, welches diesen namen auch verdienen würde, kann diesen weg schlicht und einfach nicht gehen.
zweitens aber: die herrschenden verhältnisse werden, und das ist eine der kernaussagen dieses blogs, nicht unwesentlich von personen geprägt, deren psychophysische struktur ständige und vielfältigste übergriffe und grenzverletzungen gegen andere menschen zwangsläufig beinhaltet (was wieder nix mit einer angeblichen "anthropologischen konstante" zu tun hat, sondern mit den kompensatorischen prozessen, wie sie als reaktionen auf diverse ernsthafte psychophysische schädigungen zu beobachten sind). gegenüber leuten, für die eine derartige existenzweise quasi ein konstituierendes element ihres seins darstellt, sind alle menschen, die vor gewaltanwendung grundsätzlich tiefe hemmnisse verspüren und vor gewalt auch verständlich mit ängsten reagieren, von vorneherein in einem strukturellen nachteil.
gewalt als selbstschutz und notwehr in existenziell bedrohlichen situationen (ausdrücklich ist hier auch die eher verstecke strukturelle und anonyme, institutionalisierte, gleichwohl oft genug tödliche gewalt mit gemeint!) ist eine option, die in sehr eng gefassten grenzen von fall zu fall manchmal notwendig und wirkungsvoll sein kann. um diese entsprechend einzusetzen, braucht es jedoch eine hohe verantwortlichkeit bei denjenigen, die damit arbeiten wollen. und die kann nicht per se als gegeben angenommen werden. als "königsweg" für wirkungsvolle veränderungen kann sie jedoch keinesfalls begriffen werden.
"Und natürlich tun mir auch die Cops leid die jetzt verletzt wurden. Schließlich kann ich hinter der Uniform auch immer den Menschen erkennen. Aber ein/e SoldatIn braucht sich nicht zu wundern wenn er/sie im Krieg getötet oder verwundet wird. Und ein Cop braucht sich nicht zu wundern wenn er/sie beim Schützen des repressiven Staates, seiner Institutionen oder der durchsetzung kapitalistischer Interessen "unter die Räder" kommt. Schließlich haben sie sich, zumindest in den Grenzen der ökonomischen Zwänge innerhalb des Systems, freiwillig für den Dienst am Staat entschieden."(...)
hm. das berührt direkt die diskussionen um "verantwortlichkeit" und den "freien willen". die möchte ich gerade nicht wiederaufnehmen und verweise dazu auf entsprechende blogbeiträge, zb. zur sicht der hirnforschung.
ein "fotograf" schreibt:
"Eins vorneweg: Mit Pflastersteinen auf Menschen zu werfen ist etwas, wo man den Tod des anderen in Kauf nimmt oder sogar bewußt wünscht. Wasserwerfer, Gumminüppel und Pfefferspray sind dagegen Kinderkram!"
naja, auch wenn das erstere stimmt, so ist letzteres ein glatte verharmlosung: wasserwerfer können knochen brechen oder jemanden überfahren (vielleicht ist der name günther sare einigen noch bekannt), die "gummiknüppel" sind inzwischen tonfas geworden, mit denen sich ebenfalls tödliche verletzungen produzieren lassen. pfefferspray kann bei menschen mit lungenfunktionsstörungen zu schweren komplikationen führen. "kinderkram" sieht anders aus!
"Was man hungernden Kindern in Afrika damit gutes tun will, daß man in Deutschland irgendeinen Polizisten ins Krankenhaus, Rollstuhl oder Grab befördert müßte mir mal jemand erklären. Die Welt ändert man so nicht!"
nunja, das ist doch eher simpel, herr fotograf: letztlich schützen die polizisten hier genau die ordnung, die u.a. dafür verantwortlich ist, dass in afrika kinder hungern. warum ich trotzdem dem fazit im letzten satz zustimme, steht weiter oben.
"Ich war schon auf vielen Demos und habe oft genug das Geheule über Polizeigewalt nachher lesen müssen. Fakt ist: Die meisten wirklich verletzten Demonstranten die ich bislang gesehen habe sind durch die Stein und Flaschenwürfe ihrer vermeintlichen Mitdemonstranten verletzt worden. Auch wenn viele das aus ideologischer Verhärmung nicht zugeben können und es natürlich immer "die Bullen" waren."
wenn der ausdruck "die meisten" durch "einige" ersetzt wird, kann ich das unterschreiben. so ist es eher ein fehlschlagener entlastungsversuch.
"Wer Kinder und friedliche Menschen als Schutzwall benutzt und daraus mit Steinen zu werfen oder sich nach Steinwürfen unter diesen zu verstecken, ist ein verantwortungsloser Feigling und zeigt ein menschenverachtendes Verhalten, daß man sonst eher durch die Staatsmacht in Diktaturen findet. Wer dazu noch so feige ist, daß er sich soweit hinten versteckt, daß seine Steinwürfe noch in der eigenen Demo einschlagen, wer auf die eigenen Sanitäter wirft etc. dem sollten die anderen Demoteilnehmer eigentlich mal zeigen wo der Hammer hängt.
Denn auch das ist Feigheit: Zulassen, daß irgendwelche Hooligans eine politische Demo kapern um Randale zu machen und die anderen Demoteilnehmer zu gefährden oder gar zu verletzen."
hier nun wieder zustimmung.
"Tim" antwortet:
"Ich schließe weder Militanz für mich aus, noch grenze ich mich von militanten Gruppen grundsätzlich ab. Allerdings erfordert Gewalt - in welcher Form auch immer - ein Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein, damit sie gerechtfertigt werden kann. Dass Die Polizei provozieren würde und dass Einige ein Interesse an einer Eskalation hatten - klar, das ist immer so. Dass einie Hundert DemonstrantInnen das ebenfalls hatten, Dutzende Kilometer vom eigentlichen Schauplatz Heiligendamm entfernt, mitten in einer Bündnisdemo, finde ich zwar falsch, aber: O.K.
Dass aber diese GenossInnen über Stunden immer wieder die Polizei angriffen und nach jedem Angriff dann Schutz in der nicht-militanten Bündnisversammlung suchten, wo u.a. Kinder und ältere Leute waren, dass Steine noch aus der dritten und vierten Reihe geworfen wurden, nach Spiegel-Online-Bildern SanitäterInnen geduckt und im Steinhagel zu "unseren" Verletzten laufen mussten, die teilweise von den "eigenen" Leuten verletzt wurden ... nee Leute. Militanz benötigt ein vertretbares Ziel und Verantwortung. Das was gestern abgelaufen ist - bei aller Mitverantwortung der Polizei - war nichts als gefährlicher Schwachsinn, ausgelöst von erlebnisorientierten Jugendlichen - mit Politik hatte das so wenig zu tun wie schimmliges Brot. Und zu all den "Gewalt-gegen-die-Polizei-ist-geil-und-alle-nicht-Militanten-sind-ohnehin-doof" - Postern: Geht nach Hause, geht zur Schule, macht was Vernünftiges und überlasst Anderen die Politik."
d´accord.
ebenso wie bei "simpson", der dazu endlich mal einen der wichtigsten punkte anspricht:
"Schließe mich Tim vollständig an. Das politische Selbstverständnis von Leuten, die sich von einem leeren Polizeifahrzeug zur Eskalation bewegen lassen und die Gefährdung tausender Mit-DemonstrantInnen bewusst in Kauf nehmen, scheint mir doch extrem fragwürdig. Aber wenn man sich die Bilder und Filmausschnitte von den beginnenden Auseinandersetzungen so ansieht, erhält man ohnehin den Eindruck, dass die ausführende Klientel mit politischem Selbstverständnis nicht so viel zu tun hat. Ich behaupte mal, das sind nicht die Menschen aus den Zusammenhängen mit denen ich gewöhnlich zusammenarbeite und nicht die Leute, die gewöhnlich Verantwortung für Organisation und Bündnisse übernehmen. Eher die Leute, die aggressiv auf dich losgehen, wenn du versuchst, ihnen klarzumachen, dass ihre Aktionen grad weder inhaltlich noch strategisch Sinn machen.
Das Problem ist, dass es in der militanten Bewegung keinen Konsens oder auch nur Diskurs zum Umgang mit exzessiver und selbstbezweckender Gewalt gibt. Grundsätzlich davon auszugehen, dass die Polizei Agent Provocateur einsetzt, um friedliche Versammlungen zu eskalieren, ist sicher nicht zu weit hergeholt, aber wir müssen uns doch die ernsthafte Frage stellen, ob die Polizei dieses Mittel überhaupt benötigt."
und zwar hier:
"Möglicherweise haben wir in den eigenen Reihen genügend Personen, die Gewalt und damit zusammenhängende Macht viel zu sehr genießen, um auf sie verzichten zu wollen. Und möglicherweise scheißen diese Personen auf die Interessen anderer Menschen, um diesen Kick regelmäßig haben zu können."
bingo!
"Solche Personen widersprechen übrigens meinem politischen Selbstverständnis, denn sie missbrauchen ihre Macht (Gewalttätigkeit), um sich über gemeinsame Entscheidungen hinwegzusetzen und sabotieren mühsam aufgebaute langfristig hilfreiche Strukturen, Bündnisse und Ergebnisse."
genau das ist das problem, dem sich jede emanzipatorische bewegung in zeiten zunehmender psychophysischer verelendung gegenüber sehen wird und zu stellen hat: die größer werdende präsenz von menschen, die aus welchen gründen auch immer gar nicht mehr in der lage sind, bedingungen für und ausdrücke von freiwilliger und verbindlicher kollektivität wahrzunehmen. dieses problem ist meiner erfahrung nach bisher kaum erkannt, geschweige den thema ernsthafter arbeit geworden.
"Sicher muss hier auch über den Zusammenhang mit Männlichkeitsidealen gesprochen werden, denn mir scheint hier ein extrem maskulines Machtgebaren zu Tage zu treten, dessen Platz in der emanzipatorischen Linken ich nicht sehen kann und will.
Bei alldem hab ich natürlich die Rolle der Bullen ausgespart. Dass Militanz von denen provoziert wird, ist ja gar keine Frage. Und das diese wiederum auf Gewalt unsererseits begeistert einsteigen auch nicht. Aber grade WEIL man das weiß, muss man die Verantwortung übernehmen und die Sicherheit der GenossInnen schützen, die mit einem gemeinsam agieren, indem man entsprechend auf Provokationen und Gewaltbereitschaft der Bullen reagiert. Genauso wie Sitzblockaden lässt sich übrigens auch sowas trainieren und vorbereiten."
schöner beitrag insgesamt.
***
zu dem speziellen aspekt von möglichen beamteten - oder auch nur instrumentalisierten - provokateuren verweise ich auf eine unbedingt sehenswerte tv-dokumentation über die nachgewiesenen einsätze solcher seitens der polizei beim gipfel in genua. und wenn Sie sich die angeschaut haben, werden Sie vielleicht auch meine fragen nachvollziehen können, die mir gestern mittag beim anblick dieser meldung auf indymedia in den kopf kamen:
"Gerade sammeln sich Nazis am Kurt-Schumacher-Ring im östlich der Warnow gelegenen Rostocker Stadtteil Dierkow.
Es sind hier jetzt etwa 200-300 (grob geschätzt) die im Moment einfach nur rumstehen und von einem ihrer "Führer" gerade instruiert werden. Dürfte kaum einer über 20 dabei sein. Eher frustrierte Kids aus'm Plattenbau als organisierte Kader. Trotzdem besser nicht auf die leichte Schulter nehmen! Von Bullen ist bisher nichts zu sehen."
"Jetzt zwei Funkwagen mit vier Hanseln vor Ort. Nazis (etwa 300) haben Straßenbahn der Linie 2 geentert und lassen sich auch von den Bullen nicht daran hindern. Jetzt sind sie wahrscheinlich auf dem Weg ins Zentrum."
ich fände es einfach sehr interessant zu wissen, wo diese kids dann letztlich gelandet sind.
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(...)"Bei der Großdemonstration in Rostock sind am Samstag nach Angaben der Veranstalter 520 Demonstranten verletzt worden. Zwanzig von ihnen seien schwer verletzt worden und müßten unter anderem wegen Knochenbrüchen stationär behandelt werden, sagte Mani Stenner aus der Demonstrationsleitung am Sonntag. Mindestens 165 Demonstranten seien festgenommen worden und über sechs Stunden lang in Gefangenensammelstellen festgehalten worden.
Die Polizei teilte mit, es seien insgesamt 433 Beamte verletzt worden, davon 30 schwer. Zwei Beamte müßten stationär behandelt werden."(...)
(aus dem newsticker der jungen welt)
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zunächst etwas zur begriffsklärung: auch wenn das wort "autonom" medial bis heute teils nur als synonym für "krawallmacher" benutzt wird, so hat die geschichte der vielen und meist auch in vielen inhaltlichen punkten widersprüchlichen gruppen und grüppchen, die darunter zusammengefasst wurden, doch ganz andere, jahrzehntealte, internationale und vielfältigere hintergründe als die oben erwähnte "ein-punkt-beschreibung" seitens der medien und auch des staatsapparates. ebenfalls ist die - ursprünglich staatliche wortkreation - des "schwarzen blocks" eher eine bezeichnung für ein sekundäres phänomen alleine bei demonstrationen, welches primär als selbstschützende (vermummung) reaktion auf die zunehmende polizeiliche observations- und videopraxis seit den 1980er jahren entstanden ist. ich habe selbst etliche demonstrationen miterlebt, die ohne größere zwischenfälle mit kleineren und größeren "schwarzen blöcken" verlaufen sind.
erst später - in der zweiten hälfte der 80er - kam ein eher bedenklicher und sozusagen massenpsychologischer aspekt dazu, der meiner meinung bis heute kaum tiefergehend betrachtet wurde: die konstitution einer formierten und durch quasi-uniformierung einheitlich nach außen auftretenden masse mit einschüchterungspotenzial. diese geschichte bleibt zwiespältig: ein derartiger block kann durch seine präsenz und ausstrahlung in spezifischen, sehr eng raum- und zeitgebundenen situationen ein moment symbolisch/realer gegenmacht zum staatlichen repressionsapparat bilden, lässt sich aber dabei zwangsläufig auf die "logik" dieses apparates ein (das klassische beispiel dafür bilden bis heute die auseinandersetzungen um die hamburger hafenstraße, in deren verlauf einige demonstationen mit riesigen blöcken von bis zu fünftausend menschen mit dazu beitrugen, die folgen einer möglichen räumung für die staatlichen instanzen als unkalkulierbar erscheinen zu lassen - was Ihnen natürlich niemals von medien und staat bestätigt werden wird, aber trotzdem einen teil der wahrheit bildet).
zum anderen aber: jenseits solcher, sehr begrenzten und situationsgebundenen wirkungen kann die teilnahme in einem solchen block gerade für jüngere leute - und da primär männer - durchaus zu jenen individuell transformierenden psychophysischen wirkungen führen, die bspw. elias canetti in seinem klassiker masse und macht ansatzweise beschrieben hat. ich teile nicht alle folgerungen canettis, so ist seine im verlinkten wikibeitrag zitierte ausgangsposition „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes. […] Es ist die Masse allein, in der der Mensch von seiner Berührungsfurcht erlöst werden kann.“ - zitat wiki: ´Diese ersten Sätze aus Masse und Macht besagen nichts anderes, als dass der Mensch von Natur aus kein soziales Wesen ist. Nicht Empathie charakterisiert den Menschen, sondern die Furcht vor der Berührung diktiert sein Leben. Befindet sich der Mensch in der Öffentlichkeit, verlangen zufällige Berührungen mit anderen Menschen nach einer Entschuldigung. Steht der Mensch im Aufzug, drängt er sich in eine Ecke, um nicht in Kontakt mit den Anderen zu geraten. Und das Einschließen in die Häuser ist nichts anderes als ein Versuch des Menschen, sich dem bedrohlichen Fremden der Welt zu entziehen.´ eine der typischen reaktionen westlich geprägter philosophie, die aus bewußtlosigkeit gegenüber der uns umgebenden und durchdringenden matrix einer vielfältig traumatischen sozialen realität heraus zu solchen falschen generalisierungen des angeblichen "menschlichen wesens" neigt. nichtsdestotrotz sind - mit dem bewußtsein eben dieser realität - etliche seiner beobachtungen bezgl. des verhaltens von menschenmassen in dieser realität durchaus inspirierend, solange sie nicht als beobachtungen über angeblich "natürlich anthropologische" gegebenheiten fehlinterpretiert werden.
gewalttätige menschenmassen unterliegen einer sehr spezifischen dynamik, auf die ich hier nicht im einzelnen eingehen kann. aber die eigenarten der damit assoziierten ich-zustände, machtgefühle und auch drogenförmiger (adrenalin, endorphine) prozesse lassen gerade für grundsätzlich selbst-unsichere menschen, die erlebnisse von anscheinender stärke suchen, diese art der massenbildung bis heute sehr attraktiv erscheinen (eine tatsache, die erklärt faschistische bewegungen ebenfalls bis heute ausnutzen. aber auch eine tatsache, die für paramilitärische und polizeiliche massenbildung in eskalierenden situationen gültig ist, was meistens unterschlagen wird. mit der grundsätzlich betonten sog. "militärischen disziplin" ist es oft genug in derartigen momenten nicht mehr weit her, wie nicht nur ich oft genug selbst beobachten konnte. durch die sehr andersgeartete stellung sowie die ausbildung von beamten zb. unterliegen die genannten prozesse hier anderen dynamiken, aber ab einem bestimmten punkt ist es schwer, noch groß qualitative unterschiede zu finden).
und diese seite der blockbildung ist seitens der selbsterklärt militanten linken bis dato zu sehr unterbelichtet. wie gesagt: es kann für mich persönlich durchaus sehr eng definierte situationen geben, heute bspw. primär im bereich von antifa-demonstrationen, wo nicht nur aufgrund fotografierender nazis, sondern auch wg. der potenziellen nazigewalt eine derartige blockbildung unter selbstschutzapekten für eine begrenzte zeit sinn macht. aber das setzt eben auch ein bewußtsein über die eher unerwünschten möglichen psychophysischen dynamiken von menschen in einer masse voraus, welches ich für unterentwickelt halte.
soviel vorläufig zu meinen eigenen definitionen der beiden begriffe. im folgenden nun eine art öffentlicher-interner militanzdiskussion auf indymedia, bei denen die erwähnten und weitere aspekte zur sprache kommen - ich kommentiere im text.
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"mili´s tanzbär" schreibt:
"militanz, unabhängig wie man zu ihr steht, erfordert ein politisches ziel. militanz auszuüben, ohne jegliches erkennbares ziel, kann wohl eher als hooliganismus bezeichnet werden."
und zwar ganz zurecht, weil sich die zugrundliegenden prozesse nicht von der lust von hooligans unterscheidn lassen. auch ansonsten kann ich dem kommentar weitgehend zustimmen.
"und genau diese tendenz war gestern deutlich erkennbar. es ging hier einzig und allein darum einigen lifestyle-autonomen kiddies den lange ersehnten adrenalin-kick zu verschaffen, nachdem man ja auf den meisten demos in deutschland zu schwach vertreten ist um eine derartige schlagkraft entwickeln zu können.
ohne sinn wurden da mal wieder steine geworfen, unabhängig davon ob damit nun auch eigene leute gefährdet und verletzt wurden. wie hier schon ergänzt wurde, setzt militanz auch verantwortungsbewusstsein voraus. hiervon konnte gestern jedoch keine rede sein.
wer nun versucht diese ausschreitungen durch "bullen-provo" zu begründen, macht es sich deutlich zu einfach. wie oft (bzw. eher selten), bitte schön, waren denn die entsprechenden demonstranten bereits auf demos um sich von dem, im vergleich zu vielen anderen aktionen, doch deutlich zurückhaltenden vorgehen den cops provozieren zu lassen? das war doch demo-alltag, wenn nicht sogar deutlich unter normalem provokations-niveau. auch der hinweis, es sollten willkürliche verhaftungen aus dem block heraus verhindert werden, führt ins leere: genau das gegenteil wurde bewirkt - massenweise verhaftungen, weil die autonomen völlig hysterisch, wie die aufgescheuchten hühner, kreuz und quer durch die gegend liefen!
ansonsten wird die konsequenz dieser ausschreitungen wohl v.a. eines sein: ein massiver rückschritt was linksradikale bündnis-fähigkeit betrifft, wenn nicht gar ihr vorläufiges ende - zumindest auf bundesebene.
ebenfalls gezeigt haben die randale, dass es dringend notwendig ist gerade junge, nachrückende autonome mit einer militanz-debatte zu konfrontieren, die als grundlage erstmal die begrifflichkeiten und deren bedeutung als politisches instrument klären. in dieser willkürlichen form, kann die erlebte gewalt jedenfalls nur noch als eines benannt werden: adrenalinsaure mackerkultur ohne jegliches emanzipatorisches / fortschrittliches bewusstsein."
"anton" merkt folgendes an:
"Was bei dem Begriff Globalisierung richtig und wichtig ist, ist bei dem Begriff Kapitalismus genau die Trennlinie.
Menschen die die Tobin-Tax fordern bezeichnen sich wohl auch eher als KapitalismuskritikerInnen. Herzlichen Glückwunsch, aber wenn eure Netzwerke bei einigen Aktionen Schaden nehmen ist mir das ziemlich egal.
Richtig ist auch das Gewalt in der militanten Linken wohl viel zu selten tiefgehend genug reflektiert wird, aber das ist wohl ehere Sache der handelnden Personen. Aber sehr interessant das sich hier mal wieder ein Großteil derer die eine Ergänzung geschrieben haben darauf beziehen.
Von wem die Gewalt tatsächlich ausgeht bleibt dabei viel zu oft unberücksichtigt. Es wird von zwischen Cops und "Autonomen" abgwogen und sich dann entschieden, oder auch nicht.
und macht einen ebenfalls oftmals unterschlagenen aspekt deutlich:
"Die Kriege der BRD, die Unterstützung und Förderung der Rüstungsindustrie die so genannte Entwicklungspolitik, all das ist Gewalt. Und wenn dann ein paar Leute Steine schmeißen fangen gleich alle an zu schreien. Der Protest wird in Veruf gebracht. Oh schade, bei all dem heulen über den Zusammenbruch des schönen Netzwerkes bleiben dann wohl keine Tränen für die Millionen von Verhungerten, Kriegstoten oder SklavenarbeiterInnen übrig.
Adäquat wäre es wohl mit der gleichen Stärke der Gewalt zu antworten welche auch vom System ausgeht, aber das ist gar nicht im Interesse der AktivistInnen. Das einzige was sie zun ist ein Zeichen setzen."
den grundgedanken - bei aller gewalt, die in und von den institutionen und profiteuren dieses systems alltäglich nicht nur im eigenen interesse geduldet, sondern auch aktiv praktiziert, durchgeführt und geschützt wird, ist die ständige aufregung über kaputte scheiben und autos, aber auch verletzte staatsbeamte, zutiefst heuchlerisch und verlogen - kann ich zwar klar nachvollziehen, jedoch halte ich den gedanken von der "adäquaten gewalt" als angemessene antwort zwar für (emotional) verständlich, jedoch trotzdem für gefährlich und falsch. es kann erstens gar keine "adäquate" antwort auf die ungeheure gewalttätigkeit des globalisierten kapitalismus geben, die nicht in suizidaler destruktion endet - einfach deswegen, weil letztere den zwangsläufigen endzustand des kapitalismus bildet. und wirkungsvoller widerstand im interesse eines authentisch-menschlichen lebens, welches diesen namen auch verdienen würde, kann diesen weg schlicht und einfach nicht gehen.
zweitens aber: die herrschenden verhältnisse werden, und das ist eine der kernaussagen dieses blogs, nicht unwesentlich von personen geprägt, deren psychophysische struktur ständige und vielfältigste übergriffe und grenzverletzungen gegen andere menschen zwangsläufig beinhaltet (was wieder nix mit einer angeblichen "anthropologischen konstante" zu tun hat, sondern mit den kompensatorischen prozessen, wie sie als reaktionen auf diverse ernsthafte psychophysische schädigungen zu beobachten sind). gegenüber leuten, für die eine derartige existenzweise quasi ein konstituierendes element ihres seins darstellt, sind alle menschen, die vor gewaltanwendung grundsätzlich tiefe hemmnisse verspüren und vor gewalt auch verständlich mit ängsten reagieren, von vorneherein in einem strukturellen nachteil.
gewalt als selbstschutz und notwehr in existenziell bedrohlichen situationen (ausdrücklich ist hier auch die eher verstecke strukturelle und anonyme, institutionalisierte, gleichwohl oft genug tödliche gewalt mit gemeint!) ist eine option, die in sehr eng gefassten grenzen von fall zu fall manchmal notwendig und wirkungsvoll sein kann. um diese entsprechend einzusetzen, braucht es jedoch eine hohe verantwortlichkeit bei denjenigen, die damit arbeiten wollen. und die kann nicht per se als gegeben angenommen werden. als "königsweg" für wirkungsvolle veränderungen kann sie jedoch keinesfalls begriffen werden.
"Und natürlich tun mir auch die Cops leid die jetzt verletzt wurden. Schließlich kann ich hinter der Uniform auch immer den Menschen erkennen. Aber ein/e SoldatIn braucht sich nicht zu wundern wenn er/sie im Krieg getötet oder verwundet wird. Und ein Cop braucht sich nicht zu wundern wenn er/sie beim Schützen des repressiven Staates, seiner Institutionen oder der durchsetzung kapitalistischer Interessen "unter die Räder" kommt. Schließlich haben sie sich, zumindest in den Grenzen der ökonomischen Zwänge innerhalb des Systems, freiwillig für den Dienst am Staat entschieden."(...)
hm. das berührt direkt die diskussionen um "verantwortlichkeit" und den "freien willen". die möchte ich gerade nicht wiederaufnehmen und verweise dazu auf entsprechende blogbeiträge, zb. zur sicht der hirnforschung.
ein "fotograf" schreibt:
"Eins vorneweg: Mit Pflastersteinen auf Menschen zu werfen ist etwas, wo man den Tod des anderen in Kauf nimmt oder sogar bewußt wünscht. Wasserwerfer, Gumminüppel und Pfefferspray sind dagegen Kinderkram!"
naja, auch wenn das erstere stimmt, so ist letzteres ein glatte verharmlosung: wasserwerfer können knochen brechen oder jemanden überfahren (vielleicht ist der name günther sare einigen noch bekannt), die "gummiknüppel" sind inzwischen tonfas geworden, mit denen sich ebenfalls tödliche verletzungen produzieren lassen. pfefferspray kann bei menschen mit lungenfunktionsstörungen zu schweren komplikationen führen. "kinderkram" sieht anders aus!
"Was man hungernden Kindern in Afrika damit gutes tun will, daß man in Deutschland irgendeinen Polizisten ins Krankenhaus, Rollstuhl oder Grab befördert müßte mir mal jemand erklären. Die Welt ändert man so nicht!"
nunja, das ist doch eher simpel, herr fotograf: letztlich schützen die polizisten hier genau die ordnung, die u.a. dafür verantwortlich ist, dass in afrika kinder hungern. warum ich trotzdem dem fazit im letzten satz zustimme, steht weiter oben.
"Ich war schon auf vielen Demos und habe oft genug das Geheule über Polizeigewalt nachher lesen müssen. Fakt ist: Die meisten wirklich verletzten Demonstranten die ich bislang gesehen habe sind durch die Stein und Flaschenwürfe ihrer vermeintlichen Mitdemonstranten verletzt worden. Auch wenn viele das aus ideologischer Verhärmung nicht zugeben können und es natürlich immer "die Bullen" waren."
wenn der ausdruck "die meisten" durch "einige" ersetzt wird, kann ich das unterschreiben. so ist es eher ein fehlschlagener entlastungsversuch.
"Wer Kinder und friedliche Menschen als Schutzwall benutzt und daraus mit Steinen zu werfen oder sich nach Steinwürfen unter diesen zu verstecken, ist ein verantwortungsloser Feigling und zeigt ein menschenverachtendes Verhalten, daß man sonst eher durch die Staatsmacht in Diktaturen findet. Wer dazu noch so feige ist, daß er sich soweit hinten versteckt, daß seine Steinwürfe noch in der eigenen Demo einschlagen, wer auf die eigenen Sanitäter wirft etc. dem sollten die anderen Demoteilnehmer eigentlich mal zeigen wo der Hammer hängt.
Denn auch das ist Feigheit: Zulassen, daß irgendwelche Hooligans eine politische Demo kapern um Randale zu machen und die anderen Demoteilnehmer zu gefährden oder gar zu verletzen."
hier nun wieder zustimmung.
"Tim" antwortet:
"Ich schließe weder Militanz für mich aus, noch grenze ich mich von militanten Gruppen grundsätzlich ab. Allerdings erfordert Gewalt - in welcher Form auch immer - ein Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein, damit sie gerechtfertigt werden kann. Dass Die Polizei provozieren würde und dass Einige ein Interesse an einer Eskalation hatten - klar, das ist immer so. Dass einie Hundert DemonstrantInnen das ebenfalls hatten, Dutzende Kilometer vom eigentlichen Schauplatz Heiligendamm entfernt, mitten in einer Bündnisdemo, finde ich zwar falsch, aber: O.K.
Dass aber diese GenossInnen über Stunden immer wieder die Polizei angriffen und nach jedem Angriff dann Schutz in der nicht-militanten Bündnisversammlung suchten, wo u.a. Kinder und ältere Leute waren, dass Steine noch aus der dritten und vierten Reihe geworfen wurden, nach Spiegel-Online-Bildern SanitäterInnen geduckt und im Steinhagel zu "unseren" Verletzten laufen mussten, die teilweise von den "eigenen" Leuten verletzt wurden ... nee Leute. Militanz benötigt ein vertretbares Ziel und Verantwortung. Das was gestern abgelaufen ist - bei aller Mitverantwortung der Polizei - war nichts als gefährlicher Schwachsinn, ausgelöst von erlebnisorientierten Jugendlichen - mit Politik hatte das so wenig zu tun wie schimmliges Brot. Und zu all den "Gewalt-gegen-die-Polizei-ist-geil-und-alle-nicht-Militanten-sind-ohnehin-doof" - Postern: Geht nach Hause, geht zur Schule, macht was Vernünftiges und überlasst Anderen die Politik."
d´accord.
ebenso wie bei "simpson", der dazu endlich mal einen der wichtigsten punkte anspricht:
"Schließe mich Tim vollständig an. Das politische Selbstverständnis von Leuten, die sich von einem leeren Polizeifahrzeug zur Eskalation bewegen lassen und die Gefährdung tausender Mit-DemonstrantInnen bewusst in Kauf nehmen, scheint mir doch extrem fragwürdig. Aber wenn man sich die Bilder und Filmausschnitte von den beginnenden Auseinandersetzungen so ansieht, erhält man ohnehin den Eindruck, dass die ausführende Klientel mit politischem Selbstverständnis nicht so viel zu tun hat. Ich behaupte mal, das sind nicht die Menschen aus den Zusammenhängen mit denen ich gewöhnlich zusammenarbeite und nicht die Leute, die gewöhnlich Verantwortung für Organisation und Bündnisse übernehmen. Eher die Leute, die aggressiv auf dich losgehen, wenn du versuchst, ihnen klarzumachen, dass ihre Aktionen grad weder inhaltlich noch strategisch Sinn machen.
Das Problem ist, dass es in der militanten Bewegung keinen Konsens oder auch nur Diskurs zum Umgang mit exzessiver und selbstbezweckender Gewalt gibt. Grundsätzlich davon auszugehen, dass die Polizei Agent Provocateur einsetzt, um friedliche Versammlungen zu eskalieren, ist sicher nicht zu weit hergeholt, aber wir müssen uns doch die ernsthafte Frage stellen, ob die Polizei dieses Mittel überhaupt benötigt."
und zwar hier:
"Möglicherweise haben wir in den eigenen Reihen genügend Personen, die Gewalt und damit zusammenhängende Macht viel zu sehr genießen, um auf sie verzichten zu wollen. Und möglicherweise scheißen diese Personen auf die Interessen anderer Menschen, um diesen Kick regelmäßig haben zu können."
bingo!
"Solche Personen widersprechen übrigens meinem politischen Selbstverständnis, denn sie missbrauchen ihre Macht (Gewalttätigkeit), um sich über gemeinsame Entscheidungen hinwegzusetzen und sabotieren mühsam aufgebaute langfristig hilfreiche Strukturen, Bündnisse und Ergebnisse."
genau das ist das problem, dem sich jede emanzipatorische bewegung in zeiten zunehmender psychophysischer verelendung gegenüber sehen wird und zu stellen hat: die größer werdende präsenz von menschen, die aus welchen gründen auch immer gar nicht mehr in der lage sind, bedingungen für und ausdrücke von freiwilliger und verbindlicher kollektivität wahrzunehmen. dieses problem ist meiner erfahrung nach bisher kaum erkannt, geschweige den thema ernsthafter arbeit geworden.
"Sicher muss hier auch über den Zusammenhang mit Männlichkeitsidealen gesprochen werden, denn mir scheint hier ein extrem maskulines Machtgebaren zu Tage zu treten, dessen Platz in der emanzipatorischen Linken ich nicht sehen kann und will.
Bei alldem hab ich natürlich die Rolle der Bullen ausgespart. Dass Militanz von denen provoziert wird, ist ja gar keine Frage. Und das diese wiederum auf Gewalt unsererseits begeistert einsteigen auch nicht. Aber grade WEIL man das weiß, muss man die Verantwortung übernehmen und die Sicherheit der GenossInnen schützen, die mit einem gemeinsam agieren, indem man entsprechend auf Provokationen und Gewaltbereitschaft der Bullen reagiert. Genauso wie Sitzblockaden lässt sich übrigens auch sowas trainieren und vorbereiten."
schöner beitrag insgesamt.
***
zu dem speziellen aspekt von möglichen beamteten - oder auch nur instrumentalisierten - provokateuren verweise ich auf eine unbedingt sehenswerte tv-dokumentation über die nachgewiesenen einsätze solcher seitens der polizei beim gipfel in genua. und wenn Sie sich die angeschaut haben, werden Sie vielleicht auch meine fragen nachvollziehen können, die mir gestern mittag beim anblick dieser meldung auf indymedia in den kopf kamen:
"Gerade sammeln sich Nazis am Kurt-Schumacher-Ring im östlich der Warnow gelegenen Rostocker Stadtteil Dierkow.
Es sind hier jetzt etwa 200-300 (grob geschätzt) die im Moment einfach nur rumstehen und von einem ihrer "Führer" gerade instruiert werden. Dürfte kaum einer über 20 dabei sein. Eher frustrierte Kids aus'm Plattenbau als organisierte Kader. Trotzdem besser nicht auf die leichte Schulter nehmen! Von Bullen ist bisher nichts zu sehen."
"Jetzt zwei Funkwagen mit vier Hanseln vor Ort. Nazis (etwa 300) haben Straßenbahn der Linie 2 geentert und lassen sich auch von den Bullen nicht daran hindern. Jetzt sind sie wahrscheinlich auf dem Weg ins Zentrum."
ich fände es einfach sehr interessant zu wissen, wo diese kids dann letztlich gelandet sind.
monoma - 3. Jun, 15:13
"die drei tage von genua waren FASCHISMUS pur"
der streifenwagen, der mit steinen beworfen wurde, wiederholt sich....
ich hoffe nur, dass bei den protesten gegen heiligendamm nicht wieder ein mensch getötet wird - jeder verletzte, egal auf welcher seite, ist zuviel.
wie du hab auch ich reichlich erfahrungen in der linksalternativen szene, gehörte nie zu irgendwelchen sog. 'autonomen gruppen', war eher die, die im roten, grünen, gelben oder blauen mantel zwischen den 'schwarzen' an der demospitze lief und nicht nur einmal von der polizei in die mangel genommen wurde - mehr oder weniger 'im eifer des gefechts'. es kam immer glimpflich davon. aber ich weiss um die stimmung und die schwierigkeiten besonnen zu bleiben und sich nicht provozieren zu lassen, auch um die schwierigkeiten, leute, die die nerven verlieren wieder runterzubringen bevor es in den eigenen reihen irgendwo/irgendwie 'losgeht': das ist ganz und gar nichts für schwache nerven und schon gar nichts für 'erlebnisorientierte jugendliche', deren politisches und 'revolutionäres bewusstsein' im anzünden von mülltonnen, plündern von parkautomaten oder ähnlichem unsinn besteht - übrigens, waren das immer die ersten, die weg waren, wenn es ernst wurde und auch diejenigen, die an einer ernsthaften politischen längerfristigen arbeit kein interesse hatten, sich nicht einbinden liessen.
die diskreditierung der ernsthaften politischen arbeit in sog. 'autonomen gruppen' durch begriffe, wie sie jetzt wieder durch die presse geistern, entbehren jedenfalls jeder grundlage.
politische aktionsbündnisse kommen nur durch langwierige diskussionen zustande - u.a. darüber, was gewalt ist und welches verhältnis die einzelnen gruppen dazu einnehmen. dass bei so einer riesendemo irgendwelche leute unter den demoteilnehmern sind, die sich, anstatt verantwortlich für einen reibungslosen ablauf der demo zu sorgen und sich um das wohlergehen der anderen demoteilnehmer und -teilnehmerinnen zu kümmern, von der polizei provozieren lassen und zu gewalttätigkeiten hinreissen lassen, ist aber weder den veranstaltern der demo noch allen 'autonomen gruppen' anzulasten.
ich muss gestehen, dass mein erster gedanke am samstag, als ich von den ausschreitungen las - und es war v.a.d. auch die undifferenzierte, verächtliche, fast hämische art und weise, wie darüber geschrieben wurde und immer noch darüber geschrieben und geredet wird - übrigens auch von ranghohen politikern - die bei mir die alarmglocken schrillen liessen - der an sog. 'agent provokateure' oder 'nationale autonome' oder beides war. vielleicht waren es aber auch nur ein paar 'von revolutionärer aktion' träumende und antisozial agierende kiddies oder sich wie idioten verhaltende 'polithelden'.