kontext 41: trauma und musik

zwei artikel, die sich mit ein paar mich etwas überraschenden fragen rund um den komplex der überschrift beschäftigen, fand ich auf den seiten des dachau-institutes , dessen veröffentlichungen ich sowieso allen leserInnen hier nahelegen möchte. zum einen wäre da eine arbeit , die sich mit dem möglichen zusammenhang von kriegstraumata & avantgardistischer musik beschäftigt:

(...)"Ausgangspunkt ist die Beobachtung, daß sich die Beschreibung der Symptome schwer traumatisierter Menschen ( besonders Kriegs- und Kampftraumata ) der von avantgardistischer Musik nach 1950 auffällig ähnelt: emotionale Erstarrung, Dissoziation des Ichs und Verlust des Zeithorizonts.

Bereits nach dem Ersten Weltkrieg zeigt die Musik eine Distanziertheit, oft auch Emotionslosigkeit ( Strawinsky und der Neoklassizismus ) und ein Bedürfnis nach Ordnung ( Schönbergs Zwölftontechnik, bei gleichzeitigem Verlust des tonalen Bezuges ), Phänomene, die mit den Traumata der Krieges zusammenhängen könnten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg treten diese Phänomene in der "Seriellen Musik" mit ihrer gesteigerten Konstruktivität noch intensiver auf. Nach dem Ersten Weltkrieg die Zwölftontechnik, nach dem Zweiten der Serialismus - bemerkenswert, daß ein naheliegender Zusammenhang nie thematisiert wurde, auch nicht von Adorno. Statt dessen macht der Begriff des "musikalischen Materials" unkenntlich, in welcher Weise diese Techniken Ausdruck einer traumatisierten Gesellschaft sind."(...)


ich finde das einen sehr interessanten gedanken, weiß jedoch über die angesprochene musik schlicht zu wenig, um das beurteilen zu können. vielleicht mag sich jemand dazu äußern, der/die mehr musikalische kenntnisse besitzt?

e. munch - der schrei

zum anderen wäre da ein
bericht einer betroffenen über die re-aktivierung erlebter kriegstraumata durch basslastige musik - und wenn Sie sich bisher die möglichen folgen von traumata nicht oder nur unvollständig vorstellen konnten, lesen Sie´s. und lernen einiges über trigger:

(...)"Ich war im August 1942 unweit meiner jetzigen Wohnung geboren worden. Mit dem Beginn der Luft­schlacht um Berlin im August 1943 trafen Bomben mein ehemaliges Wohnhaus am Bahnhof, dem eigentlichen Ziel, - und damit mich. Diese und folgende Katastrophen kündigten sich durch die nahenden Fliegerverbände und ihre Luftvibrationen an. Der Luftschlacht – Amerikaner flogen tagsüber, Briten nachts - war ich als Säugling zwei Jahre lang hilflos ausgeliefert. Dröhnen, Jaulen, Vibrationen, Beben, Detonationen, Erschütterungen, Luftturbulenzen, Schreien traumatisierten meinen Organismus umso mehr, als mein Bewusstsein noch keine neuronale „Abwehr“, keine „Filter“, kein „Verstehen“ entwickelt hatte. Meine Neuronen haltbare „Panik-Verbindungen“.

Im Laufe von dreißig Jahren befriedete (linderte) ich unbewusst den Kriegsschaden, indem ich alles mied, was meinen Organismus in Aufruhr versetzen könnte. Kein Rock’n Roll, keine Großveranstal­tungen, keinen Stress, keine Lautstärken. Wenn es mir irgendwo zu laut wurde, betäubte ich meine Sinne mit Alkohol: Dröhnung gegen Dröhnen. 1973, während des Oktoberkrieges auf dem Sinai, setzte ich mich sogar dem Geräusch der Tiefflieger aus. Als angenehm empfand ich das Geräusch nicht, aber ich hielt es aus. Vierzig Jahre lang lebte ich gesellig, gut und gern. Ich war musikalisch, rhythmusbegabt und hatte ein absolutes Gehör. Ich tanzte viel, um die alten, unbewussten Flucht­reflexe abzureagieren. Heute ist mir durch die exzessive Verstärkung der Musikbässe das Tanzen als lebenswichtiges Ventil verwehrt. Heute soll der Sound mehr gefühlt als gehört werden.

Während der lebensbedrohenden Krebserkrankung brach durch jene zusätzliche Bedrohung, das unerträgliche Dröhnen verstärkter Musikbässe, dem ich in meiner Wohnung Tag und Nacht hilflos ausgeliefert war, jeglicher Schutzwall zusammen. Mein Organismus unterschied nicht zwischen ges­tern und heute. Er erinnerte sich unwillkürlich. Er erkannte in den Schallwellen Vibrationen, Beben, Luftturbulenzen wieder, die ihm im Krieg den „Weltuntergang“ angekündigt hatten. Als diese Er­scheinungen in einem modernen Kostüm auftraten, reagierte mein Organismus so unmittelbar wie damals der des Säuglings."(...)


klingt zumindest für mich spontan einleuchtend, und erinnert mich auch an einen text von klaus theweleit über jimi hendrix, bei dem es u.a. um die fähigkeit von schallwellen ging, verschiedenste körperzustände zu triggern und zu verändern - im positiven sinne allerdings.

*

in eigener sache noch: der
index ist mal wieder aktualisiert.
Tamara (Gast) - 16. Jun, 17:58

Hmmm ....

.... das Bässe ab einer gewissen Intenität triggernd wirken können kann ich nur bestätigen aus eigener Erfahrung. Allerdings bin ich Mitte 30 und habe keinen Krieg miterlebt. Was genau "getriggert" wird ist mir leider unbekannt. Beim Lesen dachte ich spontan an Alice Miller , die es für möglich hält, dass Kinder die unterdrückten Traumata ihrer Eltern (meine wurden im 2. Weltkrieg geboren) "übernehmen" bzw. "diese in verschiedendsten Formen" ausdrücken. Ob das tatsächlich bei mir der Fall ist - wage ich nicht zu beurteilen.

(Lesetipp: In der akutellen Zeit ist ein Artikel über Genetik - besser gesagt Epigenetik mit dem Titel: Ergut in Auflösung. Dieser Artikel ist (noch?) nicht online. Jedenfalls habe ich mich sehr darüber gefreut, dass meine Vermutung (die ich vor ca. 5 Jahren das erste Mal äußerte und für "ver-rückt" erklärt wurde), dass Erbanlagen - also Gene - sich während der Lebensspanne eines Individums im ständigen Wandel befinden - bestätigt wurde. Ob diese "Entdeckung" (für Biologen ist es scheinbar eine wirkliche Entdeckung!) allerdings Zugang zur breiten Öffentlichkeit findet - wage ich zu bezweifeln. Schätze - es ist leichter sich Erbanlagen deterministisch vorzustellen - als Verantwortung für sich und seine Mitmenschen zu übernehmen. Irgendjemand oder irgendetwas "muss" ja Schuld sein.)

Liebe Grüße
Tamara

Tamara (Gast) - 18. Jun, 19:19

Meine Geräuschempfindsamkeit hat nun ...

... auch einen offiziellen Namen: Hyperakusis. Diagostiziert beim auf Tinitus und Hyperakusis spezialisierten HNO. Geräuschempfindsam war ich ja schon immer, aber mindestens die letzten Jahre hätte mir der Tipp mal zum HNO zu gehen sehr geholfen. Aber die Empfindsamkeit wurde bis heute nur als Begleiterscheinung von Depressionsphasen, Überforderung und meinen früheren Ängsten gesehen. Als der "Nebeneffekt" nicht nachlies hätte ich vllt stutzig werden können. Aber anderseits: stark geräuschempfindsam bin ich schon so lange ich denken (also mich erinnern) kann. Im Moment bin ich sauer, dass ich nicht schon früher mal daraufhin gewiesen wurde mal zum HNO zu gehen. Schade. Aber so ist das wohl, wenn die Psyche im Spiel ist ... *schneuz*

Nun kann ich nur jedem geräuschempfindsamen Menschen raten mal zu HNO zu gehen. Zwar wird nicht jeder diese Art der "paradoxen Schwerhörigkeit" haben - aber hinterher weiß man es eben genauer.

Lieben Gruß
Tamara

(Aber ich denke der Zusammenhang von Musik, Bildern, etc. und Traumata ist sehr plausibel. Je länger ich darüber nachdenke, desto plausibler erscheint mir dieser Ansatz.)
monoma - 19. Jun, 12:13

hallo tamara,

...vielen dank für deine erfahrungsberichte. was mir spontan dazu eingefallen ist: existieren neben der besonderen wahrnehmung von geräuschen weitere gebiete bezgl. gesteigerter sinneswahrnehmungen? mir würde dazu zb. der geruch einfallen, und wenn das zutreffen sollte, könnte es für dich ganz interessant sein, sich näher mit dem thema der hochsensibilität zu beschäftigen, zumal auch bei der in vielen fällen ein traumainduzierter hintergrund vermutet wird. nur so als idee, die mir bei deinen beschreibungen kam.

gruß
mo

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