assoziation: von bleiernen zeiten und ihrem dahinschmelzen (4)

zumindest einen kurzen überblick soll´s heute geben, die nächsten tage werde ich kaum gelegenheit haben, etwas längeres zu schreiben.

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ägypten: sieht insgesamt etwas verworren und eher ungut aus - versprechungen gerade der führenden offiziere, die bereits unter mubarak jahre- und jahrzehntelang "gedient" haben, ist eben eher nicht zu trauen. aktuell wird das land von einer
streikwelle geflutet:

(...) "Am Montag protestierten Dutzende von Unteroffizieren der Polizei im Kairoer Stadtteil Giseh. Etwa 1000 Polizisten versammelten sich vor dem Innenministerium. Sie forderten bessere Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter. Ähnliche Forderungen stellten die Sicherheitskräfte auf dem Flughafen der Stadt Luxor. Arbeiter des Bauamtes von Kairo blockierten einen Tunnel in der Hauptstadt, um auf ihre schlechten Arbeitsbedingungen hinzuweisen. Auf der Sinai-Halbinsel kam es zu Protesten von Arbeitern und Angestellten der Behörden für Wohnungsbau, Straßenbau und Häfen.

In Kairo protestierten zudem Mitarbeiter der Telekommunikationsbehörde, der staatlichen Banken und einiger Medienbetriebe. Ihnen ging es nach eigenen Angaben auch darum, dass etwas gegen die Korruption in ihren Behörden unternommen wird." (...)


vermutlich dürften auch die bereits in den letzten wochen begonnenen streiks in vielen privaten sektoren an vielen orten andauern, darüber kann ich gerade nichts herausfinden. das militär reagiert, wie militär in so einer situation eben reagiert: forderungen nach "ruhe, ordnung, normalität, sicherheit" bei gleichzeitigen versprechungen, zukünftig alle "legitimen" ansprüche der bevölkerung umzusetzen. insgesamt ist dem militär ja durchaus das verhalten während des sturzes von mubarak positiv anzurechnen, selbst wenn ich glaube, dass das keinesfalls durchgängig freiwillig geschah. aber der immense - v.a. materielle - westliche einfluß in dieser armee dürfte auch potenziell alles stärken, was primär auf simulierte veränderungen alá "westliche parlamentarische demokratie" in einer noch autoritäreren form als hier aus ist. aber wie im letzten beitrag schon geschrieben, könnte da die rechnung ohne die aktiven vom tahrir-platz gemacht worden sein. es wird am freitag so oder so spannend werden, und weitere streiks könnten durchaus die situation derart verschärfen, dass sich die armee am ende dann doch definitv entscheiden muss, ob sie eine tatsächliche revolution - auch mit dem attribut "sozial" davor - mittragen will. und spätestens dann wird´s auf die einfachen mannschaften drauf ankommen.

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tunesien: zunächst zwei artikel, die sich mit tieferen hintergründen beschäftigen; der
eine noch von ende januar, dann eine direkte antwort darauf. es geht u.a. um den versuch, etwas klarer bei der frage zu sehen, welche gesellschaftlichen klassen die revolution - und ich finde, es spricht anders als z.zt. noch in ägypten, einiges dafür, diesen begriff hier zu verwenden - eigentlich tragen und welche interessen sie gemeinsam haben und welche nicht.

ich hatte ja in einer der vorherigen folgen der reihe schon davon geschrieben, dass die aufstände unabsehbare konsquenzen auf vielen ebenen mit sich bringen werden. angesichts der nun - wie üblich
abwehrend und schreckhaft - registrierten tatsache, dass die eu-südgrenze durch den sturz der dikatoren zwangsläufig wieder durchlässiger werden wird - u.a. auch zu diesem zweck der aus europäischer sicht bequemen niederhaltung von politischen und armutsflüchtlingen aus ganz afrika dienten (und dienen) die westfinanzierten diktatorischen marionetten, sie wurden und werden für die drecksarbeit gebraucht - , angesichts dieser tatsache also erhebt also nun als erstes betroffenes land italien zusammen mit sorgenvollen eu-bürokraten der sog. inneren sicherheit die ringenden hände. auch da sind die herrschaften kalt erwischt worden, und es durchaus eine der wünschenswerten folgen der revolution(-en), dass diese südgrenze so löchrig wie schweizer käse werden möge. auf die dauer können sich die europäischen kernländer (und damit sind auch große teile ihrer bevölkerungen gemeint!) nicht mit dem größtenteils bis heute zusammengeplünderten materiellem wohlstand innerhalb einer quasi globalen "gated community" verschanzen. fällig wären endlich mal öffentliche diskussionen auch über diese tatsache. und jetzt wäre abermals eine gelegenheit dafür (was aber eine auch emotionale rationalität voraussetzen würde - daran leiden wir hier bekanntlich einigen mangel).

*

iran: die meldungen von heute sind bis zur stunde widersprüchlich, aber es dürfte tatsächlich im großen und ganzen
so ausgesehen haben:

(...) "Die Demonstrationen fanden auf dem Platz der Revolution, dem Imam-Hossein-Platz und angrenzenden Hauptstrassen statt. Die Polizei ging teils auf Motorrädern gegen die Demonstranten vor. Die Demonstranten ihrerseits zündeten Mülleimer an.

Wie die der Reformbewegung nahestehende Website kaleme.com berichtete, kam es auch in der zentraliranischen Stadt Isfahan und Schiras im Süden des Landes zu ähnlichen Kundgebungen. Die halbamtliche Nachrichtenagentur Fars, die den paramilitärischen Revolutionsgarden nahe steht, meldete, es sei zu Festnahmen gekommen." (...)


die zahlen der teilnehmerInnen schwanken zwischen "einigen hunderten" bis "zehntausende". diese differenzen innerhalb diversester westlicher internationaler medien finde ich auffallend, und ich kann mir das z.zt. auch nur spekulativ erklären. wenn ich mir die mir bekannten berichte bisher gesammelt anschaue, dann dürfte die beteiligung tatsächlich eher in den zehntausenden gelegen haben (in verschiedenen städten zusammen), was ich bereits für die iranische opposition als klaren achtungserfolg verstehen würde. die bedingungen im iran unterscheiden sich auf vielen ebenen dann doch erheblich bspw. von tunesien und ägypten, auch wenn die potenzielle brutalität der jeweiligen regimes und das vorhandensein einer riesigen zahl von relativ jungen menschen durchaus parallelen darstellen.

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yemen und bahrein: über beide länder weiß ich letztlich viel zu wenig, um das geschehen dort wirklich beurteilen zu können. im yemen gab es heute den vierten tag in folge demonstrationen und zusammenstöße, analog den gestrigen ereignissen. und es dürfte auch so sein, dass die westlichen darstellungen des yemen als "failed state" mit vorsicht zu genießen sind. die forderungen auf den demonstrationen jedenfalls kommen mir erstaunlich zeitgemäß vor und sprechen eher gegen die allseits proklamierte "besondere rückständigkeit" der dortigen bevölkerung. mögen auch clanwesen und islamistische fundamentalisten im land ein tatsächliches problem sein, so dürfte doch nicht die gesamte bevölkerung darunter zu addieren sein.

bahrein - das war für mich eine echte überraschung, weil ich nicht davon ausgegangen bin, dass die emirate am golf - geringe bevölkerung und relativ großer (öl)reichtum bei westlichem "schutz" der herrscherschichten und in relation recht großen repressionsapparaten - ernsthaft in probleme geraten könnten, zumal mir hier auch noch dazu saudi-arabien eine art besondere wächterrolle zu spielen scheint. und heute nun
das:

"Im Golfstaat Bahrain ist es zu schweren Zusammenstössen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen. Mindestens ein Demonstrant wurde getötet, über 20 wurden verletzt.

Nach den Unruhen in mehreren arabischen Ländern hatten Oppositionelle in Bahrain über das Internet zu einem «Tag des Zorns» aufgerufen, worauf es in mehreren Orten Proteste gegen die Staatsführung gab. (...)

Das arabische Königreich wird von einer sunnitischen Herrscherfamilie regiert, obwohl schiitische Muslime die Bevölkerungsmehrheit stellen. Mehrere politische Gruppierungen der Schiiten unterstützten den Protestaufruf, den Unbekannte im Internet verbreitet hatten."


falls es leute gibt, die dazu mehr sagen können - nur zu. mir kommt das beim ersten eindruck heikel vor, gerade wg. des erwähnten religiösen hintergrundes und der existenz des schiitischen irans am anderen golfufer, und ich könnte mir gut vorstellen, dass gerade in saudi-arabien heute ein paar leute noch schlechter schlafen werden als sie´s zur zeit eh schon tun. es wäre auch interessant zu wissen, inwieweit was für sozioökonomische verhältnisse hier eine rolle spielen.

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algerien: es gibt ein meiner meinung nach sehr lesenswertes
interview der "taz" mit dem algerischen schriftsteller boualem sansal. ich möchte den gesamten test empfehlen, weil er anfangs auf die verfassung gerade der jugendlichen im gesamten nordafrikanischen / arabischen raum focussiert, aber gerade die passagen zur situation im algerien sind sehr aufschlussreich:

(...) "Auch in Algerien rebellierte die Jugend Anfang Januar. Doch die Opposition hat die Rebellion verschlafen. Erst jetzt, am 12. Februar, mehr als einen Monat später, organisiert ein breites Bündnis Demonstrationen für einen demokratischen Wandel.

Die Bewegung, die jetzt zu Demonstrationen aufruft, ist keine spontane Angelegenheit, wie dies in Tunesien der Fall war. Die Frage ist, ob das Bündnis auch die Jugend mobilisieren kann.

Dabei ist die Opposition in Algerien wesentlich mehr strukturiert, als dies in Tunesien der Fall war.

In Algerien gibt es tatsächlich mehr sichtbare Strukturen aus Parteien und Verbänden. Doch die Jugendlichen haben Angst davor, dass sie politisch manipuliert werden. Die Parteien in Algerien sind keine echten Parteien. Sie stehen im Ruf, mit der Aristokratie des Systems im Kontakt zu stehen. Aber es gibt auch unsichtbare Strukturen. In jeder Straße hängen die Jugendlichen herum, sie stützen die Wände, wie man bei uns sagt. Sie diskutieren, sie tauschen sich aus, sie bilden informelle Strukturen. Die gesamte algerische Jugend ist auf diese Art und Weise vernetzt. Sie reden über Rebellion, über das, was sie anderswo sehen.

Aber diese Strukturen der algerischen Jugend haben bisher nur spontane, lokal oder regional begrenzte Aufstände hervorgebracht und keinen Flächenbrand, wie in Tunesien. Warum ist das so?

Algerien ist sehr groß, vor allem ist es kein wirklich einheitliches Land. Die Berberregion Kabylei ist ein Land im Land. Das Gleiche gilt für die Region rund um Algier, für Oran, den Süden, den Osten …Wenn etwas in Oran passiert, interessiert das die Menschen in Algier kaum und umgekehrt. Das Nationalgefühl der Algerier ist nicht so ausgeprägt wie in Tunesien. Hinzu kommt die linguistische Aufspaltung Algeriens: Wir definieren uns als arabophon, frankophon oder sprechen die Berbersprache …

Es ist aber auch der Fehler der Opposition. Ihr ist es nicht gelungen, diese regionalen Unterschiede zu überwinden, das Land als solches zu mobilisieren.

Sicher, die Opposition ist ein Ausdruck dieser zersplitterten Realität. Es ist sehr schwierig, eine nationale Oppositionspartei ins Leben zu rufen.

Bis auf die Islamisten. Die waren in den 1990er-Jahren eine wirkliche nationale Kraft.

Die Islamisten sind keine Ausnahme. Am Anfang war es eine romantische Bewegung, die an das goldene Zeitalter des Islam glaubte. Doch sie haben ganz schnell gelernt, wie die anderen Parteien zu funktionieren. Auch sie zerfielen intern in Strömungen, Regionen, Interessengruppen. Heute haben wir zwei islamistische Parteien: Ennahda, die sich im Osten rekrutiert, und MSP-Hamas, deren Führer alle aus Blida, unweit von Algier, stammen.

Die Machthaber in Algerien scheinen gelernt zu haben, mit den immer wieder aufflammenden, spontanen und isolierten Aufständen zu leben.

Die ehemalige Einheitspartei FLN, die das Land in die Unabhängigkeit geführt hat und bis heute regiert, kennt das Land sehr gut. Sie kennen die regionalen Unterschiede sehr genau, mit diesem Wissen halten sie sich an der Macht. Hinzu kommt, dass die eigentliche Macht in Algerien seit dem Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich unsichtbar geblieben ist. Die FLN funktionierte im Untergrund ohne große, bekannte Führer. Das ist bis heute so geblieben. In Algerien trifft eine Gruppe der Mächtigen im Hintergrund die Entscheidungen. In einem modernen Staat ist es eigentlich unerlässlich, dass die Menschen die Entscheidungsträger kennen, dass diese sichtbar sind. Der moderne algerische Staat ist nur eine Fassade. Dahinter steckt noch immer dieses Kollektiv, die klandestine Gruppe." (...)


es lässt sich etwas von der vielschichtigen komplexität dieses landes erahnen, die tatsächlich für breitflächige aufstandsbewegungen erstmal ungünstig zu sein scheint. momentan könnten sich allerdings durch die schiere eigendynamik, die nach dem sturz mubaraks und dem damit initiierten beispiel erzeugt worden ist, selbst auf ungünstigen terrains überraschende entwicklungen ergeben. mal sehen, wie es am nächsten wochenende aussehen wird. und es dürfte auch eine rolle spielen, wie sich die eu und vor allem frankreich als ehemalige kolonialmacht in diesem fall verhalten.

*

marokko: ein weiterer neuer name auf der karte der aufstände und revolten, zu dem ich ebenfalls recht wenig sagen kann. ich verweise auf den folgenden
telepolis-artikel, der sich anfangs nochmal mit der lage in algerien beschäftigt, um dann so zu enden:

(...) "Für Sonntag, den 20 Februar, werden auch Proteste im Nachbarland Marokko angekündigt. Hinter der sogenannten #Feb20-Kampagne steht laut "The Arabist" die Mittelinkspartei PSU und "zivilgesellschaftliche" Gruppen:

Schon hat eine Gegen-Kampagne gegen diese Bewegung in Marokko begonnen, die Organisatoren werden als "Islamo-Linke" und "Nihilisten" und anderen derartigen Schlagworten bezeichnet, die vom lächerlichen Kommunikations-Ministerium favorisiert werden. Währenddessen haben es die Marokkaner zuhause und im Ausland satt, solchen Unsinn und leere Versprechungen zu hören [...]. Der König hat nichts dazu getan, den Marokkanern zu einem würdevollen Verhältnis zum Staat im 21. Jahrhundert zu verhelfen. Die marokkanische Regierung hatte in den vergangenen 10 Jahren Chancen, wirksame Reformen anzugehen, tat dies aber nicht. Die Einschüchterung der Bevölkerung geht weiter und die Folter erlebte ein Comeback. Es ist Zeit, dass die Regierung einen Stoß in die richtige Richtung erhält."


hier der
originalartikel im mir bisher unbekannten blog "the arabist". vielleicht sollte auch noch einmal mehr darauf hingewiesen werden, dass laut "expertenmeinungen" marokko ebenso wie die emirate am golf "niemals" vor ernsthaften problemen aufgrund sozialer unruhen stehen werden. so, wie das auch noch vor vier wochen in bezug auf ägypten gesagt wurde... (was natürlich nicht bedeutet, dass eine solche entwicklung zwangsläufig ist. aber es ist doch schon eindeutig, dass äygpten jetzt anscheinend in der ganzen region tatsächlich wie ein fanal wirkt.)

es gibt bei marokko übrigens auch etwas, was ich bezgl. seiner möglichen fernwirkungen überhaupt nicht einschätzen kann - den fast vergessenen und nur "halb befriedeten"
westsaharakonflikt. wie würde sich ein möglicher umsturz in marokko darauf auswirken? wie wären die folgen im gesamten nördlichen westafrika? fragen über fragen.

wer mir übrigens gerade einen zu kühlen blick auf all die ereignisse unterstellen sollte, die ohne zweifel auch überall mit großem menschlichen leid verbunden sind - den habe ich hier, wie auch bei sonstigen themen im blog, ganz bewusst. das thema gewalt und trauma will ich in einer der nächsten folgen gerade anhand der aktuellen ereignisse ausführlich und gesondert bearbeiten.

*

italien: gehört sicher nicht umstandslos in die vorherige reihe, allerdings für mich durchaus in der hinsicht, dass italien eines der ersten länder sein könnte, in denen außerhalb der aktuellen unruheregion die aufstände ihre funken schlagen können. ausführlich war dazu ja schon was gestern zu lesen, deshalb heute nur noch einige ergänzungen.

das die gestrigen massendemonstrationen durchaus nicht primär unter dem motto "moral und anstand", wie es medial öfter vermittelt wurde, standen und auch die teilnehmerInnen verschiedenste gründe hatten, zu protestieren, wird vielleicht
hier etwas deutlicher:

(...) "Ich bin nicht hier, um Porno-Feste zu kritisieren", sagt eine ehemalige Parteigenossin Berlusconis, "ich kritisiere die politische Klasse, die solche Feste zum herrschenden System macht. Wir wollen Protagonistinnen sein, nicht Lachobjekte in Männerwitzen, die der Premier in seinen Villen erzählt." Die Chefin des größten Gewerkschaftsbunds sagt: "Wir sind Statistinnen in einer endlosen Seifenoper." Eine Nonne, die in Turin mit afrikanischen Prostituierten arbeitet, sagt, Frauen seien zur Ware geworden, man benutze sie und werfe sie dann weg.

Sie verlesen jetzt Zahlen, die Italien in Sachen Gleichberechtigung als Entwicklungsland dastehen lassen: 90 Prozent der Italienerinnen haben einen Uni-Abschluss, aber nicht mal die Hälfte hat einen Job. "Wir arbeiten härter als die Männer, werden schlechter bezahlt und besetzen die wenigsten politischen Posten in Europa." Sie klagen über Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt, dass man ihnen kündigt, wenn sie schwanger sind. "Eine von Angela Merkels ersten Amtshandlungen: Mehr Kindergartenplätze", sagt eine Aktivistin. "Und was macht Berlusconi? Er rät unseren Töchtern, sich möglichst früh einen reichen Mann zu angeln! In was für einem Land leben wir eigentlich?" (...)


nun ja, es ließe sich auch fragen, was das eigentlich für ein europa ist, in dem jemand wie merkel auch nur irgendwo für irgendwas als vorbild durchgeht...

aber durchaus positiv scheint die tatsache zu sein, dass gestern das erste mal sichtbar viele ältere frauen aus der mittelschicht beteiligt waren - das ist eine von berlusconis bisherigen stammwählerschichten gewesen. gut möglich, dass er den bogen inzwischen wirklich überspannt hat.

aus der huffington post eine art
erlebnisbericht aus florenz:

“I participat­ed in the protest in Florence yesterday, just one of the more than 200 cities where protests were held, and I want you all to know that it was HUGE!!! If any of you know Piazza della Repubblica in Florence, it was OVERFLOWIN­G into the surroundin­g streets. No one had anticipate­d so many people, and so the police had not blocked off the car traffic, and cars were stuck among the protesters­.

It was fantastic. Organized and motivated by women, but all kinds of people participat­ed. Many had never been to a protest before, but felt so strongly about Berlusconi that they came out into the piazza this time.

This is just the beginning - the Italian people will continute to protest against Berlusconi and his media-mogu­l system. Stay tuned!”


kurze sinngemäße übersetzung: der zentrale platz von florenz plus einmündende straßen waren völlig überfüllt, niemand hatte eine solche beteiligung erwartet. ebenso war es keine reine frauendemo, sondern ebenso waren männer und kinder vertreten. am ende geht es um eine vorhersage, die mir heute auch schon öfter unter die augen gekommen ist, die ich aber bisher nicht verifizieren kann: die proteste sollen ab jetzt regelmässig weitergehen - bis berlusconi weg ist. falls das stimmen sollte, wird es wirklich interessant.
Yurun (Gast) - 15. Feb, 08:24

Ein paar ausufernde Punkte

'Bezüglich Flüchtlinge "aus Tunesien": ich hatte das mal zufällig mit einem Kollegen zum Thema und der meinte dann es wäre da wohl die Frage welche Tunesier da in Italien anlanden. Das hat mich dann schon etwas verdutzt, wenn ich Zeitungsartikel dazu lese fällt aber wirklich auf das jede Einordnung fehlt. Da wird durch Auslassung das Bild vermittelt irgendwelche Tunesier machen sich aus dem Chaos dort nun auf den Weg nach Italien, während in der Realität wohl schlichtweg die Häfen nicht mehr kontrolliert werden und Menschen die Chance des Transitlands Tunesien nutzen (genaue Informationen fehlen mir aber). Entweder das ist journalistische Schlampigkeit oder Absicht. Ich bin mir aber sicher da wird sich schneller eine europäische Eingreiftruppe finden als für den Sudan, sehr viel schneller. Vielleicht ist Frontex längst angerückt.

Bezüglich Westsaharakonflikt und Europa: beinahe unabhängig vom Ausgang in Marroko wird es da ganz sicher Auswirkungen geben, sozialistische Gruppen gerade dort sind international ziemlich vernetzt und bisher hat noch jeder große Ruck an einem Ende der Schnur da Auswirkungen bis ans andere Ende gehabt. Das einzige was sich wohl nicht ändert ist das mediale Nichtexistieren dieses Konflikts in europäischen Medien (insb. außerhalb Frankreichs). Frankreich mit seinen zahlreichen Einwohnern aus nordafrikanischen Ländern müsste dabei eigentlich hinsichtlich der Resonanz eine besondere Rolle spielen, wenn ich das auch bisher (wohl auch dank Sarkozys politischem Klima) noch nicht sehe. In Italien würde ich dabei nicht von über das Mittelmeer hüpfenden Funken sprechen, die scheinen mir da schon ihre ganz eigene Funkenfabrik zu haben, allerdings auch eine mehr oder weniger spezifisch nationale. In einem politisch bisher ziemlich hoffnungslosen Land voller Scham und Schande sicher nicht zu früh.

Der eigentliche Grund warum ich noch einen Kommentar schreiben wollte ist aber ein anderer: im Titel is da vom dahinschmelzen bleierner Zeiten die Rede und ich weiß nicht so recht wie ich das in Bezug auf das eigentliche Thema des Blogs deuten soll. Lösen sich denn in Ägypten oder sonstwo wirksam jene psychosozialen Strukturen auf, welche noch bisher immer in Herrschaft von Pest oder Cholera gemündet haben?

Das wohl eher nicht, wenn es auch von außen (und wohl selbst innen) nur schwer zu beurteilen ist, doch die Art der Dynamik die sich da entfaltet und welche Art von Blei sie in der Lage ist zu vertreiben sind schon interessant. Da ich dabei selbst kein Ägypter oder Tunesier bin und mir das lokale Blei wesentlich näher steht, finde ich Beobachtungen zur hier existierenden Wahrnehmung der jüngsten Ereignisse fast interessanter, obwohl hier nichts passiert. Freilich lässt sich sowas nur schlecht einschätzen, insbesondere ob und wie etwas durch den Mantel der Gleichgültigkeit dringt. Eine Art Euphorie der Veränderung ala Obama-Effekt für Revolutionsfreunde hat dabei seine Tücken für all jene, die mit dem was da passiert vielleicht allzu naive Vorstellungen verknüpfen. Das vor allem weil dieses Blei zwar vielleicht von vielen gespürt, aber nur von wenigen verstanden wird (oder auch richtig gespürt). Ich fand da eine Arte Doku zu einem jungen italienischen Faschisten namens Mario Piazzesi eindrucksvoll. Dessen Tagebücher aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zeigen ziemlich klar wie die Burschen da im Eifer großer Gefühle und Kameradschaft die nützlichen Idioten ihrer Zeit gespielt haben. Viele Entwicklungen sind da heute klüger, wenn auch oft ziemlich esoterisch und damit letztlich Sackgassen eigener Art. Insofern braucht es ein Bewusstsein was da überwunden werden muss, ein Bewußtsein dafür wie man das tun kann (bei sich selbst und im Zusammenleben) und schließlich und vielleicht gar am wichtigsten ein Bewußtsein dafür was am Ende ein gesunder Mensch und damit auch eine Gesellschaft bestehend aus gesunden Menschen ist (ersteinmal die Bereitschaft zuzugeben, dass so etwas existieren kann, was in der Regel das Fallbeil des Scheiterns selbst bei klugen Leuten ist). Letzteres beinhaltet dann auch was denn der einzelne Mensch von einer wirklichen Revolution wirklich haben könnte, wenn auch bei uns fast jeder heute auf Gedeih und Verderb hin geradezu sich selbst überzeugen muss, bereits glücklich und gesund zu sein, jedenfalls um sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen (eine Kollegin sagte vorletzte Woche sie will tatsächlich lieber einen Leberschaden als etwas psychosomatisches als Diagnose).

Solcher Art Kontext geht über das Nachrichten- und Berichterstattungswesen ziemlich weit hinaus und macht auch nicht gerade beliebt. Auf heile Welt Phantasien kann man in einer kranken Welt, die sich auch gerade durch sie krank erhält, garnicht genug einschlagen. Insofern möchte ich da keine Begeisterung schlecht reden, viele Menschen in Ägypten lassen ja tatsächlich eine Menge Angst los und vor allem: sie reden auf einmal wirklich miteinander. Doch diesen ich nenne es mal Huffington Post Illusionen nach dem Motto "jetzt werden die eine Demokratie und dann sind alle glücklich und zufrieden", da muss man auch mal kräftig in die Suppe spucken und sagen wieviel Arbeit zu tun und wieviel Schmerz aufzuarbeiten ist, um zu so einem Punkt zu kommen (also dem glücklich). Nicht zuletzt gerade auch um Enttäuschungen zu begegnen, weil mit - überspitzt ausgedrückt - ein paar Demos nun nicht gleich die beste aller Welten ausbricht. So sind schon viel zu viele Zyniker entstanden, denen das oben genannte Bewußtsein schlicht fehlt, was dann auch zu falschen Schlüssen führt wenn irgendein ideologisches Modell nicht so funktoniert wie es das soll. Insofern: was sind die richtigen Schlüsse und wie findet man sie im Tun und Lassen alltäglichen Zeitgeschehens, besonders in Anbetracht einer derart verworrenen Gemengelage moderner Ungleichzeitigkeiten? Von welchem Annahmen ausgehend lande ich dann in der Praxis am Ende nicht wieder beim seit jahrtausenden gleichen "der Mensch ist schlecht und ohne äußere Normen gibt es keine menschliche Gesellschaft", also letztlich in der Theologie? Im Gegenzug: finde ich davon etwas in revolutionären und sonstigen Bestrebungen, oder handelt es sich lediglich um einen neuen Vorhang zum Theater menschlicher Leidensfortschreibung mit dem zynischen Erlösungsmodell Atomkrieg?

Es ist dabei schon schlimm wieviel Aufwand es da braucht, sich einigermaßen adequat zu informieren und dann davon ausgehend vielleicht gar noch zu irgendwelchen eigenen Einschätzungen zu kommen, die nicht völlig an den Haaren herbeigezogen sind. Ich wünsche dabei dennoch bestes Gelingen.

fluffy (Gast) - 15. Feb, 22:34

Bahrein ist erst der Anfang

Rund um den persischen Golf ist die Situation schon lange nicht mehr so rosig, wie es in den westlichen Medien gebetsmühlenartig verbreitet wurde. Die Ölvorkommen sind in vielen Ländern bereits erschöpft und nicht jede Herrscherfamilie versteht es wie die Al Thani-Dynastie in Katar ( bekannt durch den Nachrichtensender Al Jazeera), mit dem Reichtum „weise" umzugehen. Bahrein beispielsweise hat schon lange mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen. Kein Wunder also, dass es dort zu Unruhen gekommen ist. Seit des Zusammenbruch des Immobilienirrsinns hat sich die Situation der so genannten „Locals" (Einheimischen) in den Golfstaaten insgesamt verschlechtert. Mit Massenentlassung von Gastarbeitern hat Dubai beispielsweise auf die aktuelle Krise reagiert. Die Arbeiter und Hausangestellten, die nicht des Landes verwiesen wurden, werden deutlich schlechter bezahlt und müssen um die wenigen übrig gebliebenen Job kämpfen. Seit 2008 sind immer wieder Streiks aufgeflammt. Seit etwa zwei Jahren sind auch immer mehr bettelnde Illegale auf den Straßen zu sehen. Was passieren an den „Tagen des Zorns" rund um den Golf passieren könnte: Wenn also Bahrein der Anfang der Dominokette sein sollte, dann werden die Unruhen meiner Ansicht nach, mehr von dem Heer der Bauarbeiter, Taxifahrer etc. ausgehen. Würden sich noch Krankenschwestern, Köchinnen oder Kindermädchen anschließen, dann wäre ziemlich schnell Schluss mit lustig :) Ein Generalstreik könnte die Golfregion
in null komma nix zum Erliegen bringen.

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