basis: traumageschichte(n) 5 - tradierte traumata - eine mail

die im folgenden (mit einverständnis) dokumentierte mail stammt von einer frau, die sich seit jahren mit dem existenziellen erbe auseinandersetzen muss, als kind in eine familie hereingeboren worden zu sein, in der die erwachsenen eltern unbegriffen und unaufgearbeitet ihre eigenen schäden aus ns-zeit, weltkrieg und nicht zuletzt auch der "ganz normalen erziehung" an ihr ausagiert haben. als kind erlebte sie innerhalb der familie emotionale vernachlässigung, körperliche gewalt und sexualisierte gewalt.

mit welcher dynamik und mit welchen (gesamtgesellschaftlichen) folgen tradierte traumata wirken, macht der folgende text eindrucksvoll deutlich, der sich auch als vertiefung und ergänzung zum beitrag der traumareihe bezgl. der "sehr deutschen" pseudodiagnose
vegetative dystonie lesen lässt. die erwähnte gesprächspartnerin der frau ist eine fachärztin für psychiatrie & neurologie.


Hallo ....

ich hatte heute nacht schlimme Albträume. wenn du weiter liest, wirst du auch verstehen, warum. Ich möchte dir etwas von dem Gespräch mit Frau M.erzählen, weil es mich so sehr beschäftigt. Kann sein, dass ich es noch nicht so gut ausdrücken kann, weil es noch so sehr in mir wogt.

Vieles darin wird dir vertraut sein, aber vielleicht gibt es auch durch meine Art, Hintergründe verstehen zu wollen und Zusammenhänge herzustellen, doch noch das eine oder andere neue für dich.

Im Gespräch gestern ging es unter anderem um die Generation unserer Eltern, die ihre eigenen, nicht aufgearbeiteten Traumata an uns, ihre Kinder weiter gegeben haben. Meine Geschichte ist zwar individuell, aber sie ist, was die Ursachen dafür und deren Folgen angeht, kein Einzelfall.

Sie sagte, dass unsere Eltern, die als Kinder im 2. Weltkrieg aufgewachsen sind, von ihren Eltern, deren Väter zum grossen Teil als Soldaten am 1. Weltkrieg teilgenommen haben (manche sogar an beiden Kriegen), gelernt haben, unglaublich viel auszuhalten und die eigenen Gefühle nicht zu spüren. Das wurde unseren Eltern durch ihre Eltern "beigebracht". Die Erziehung unserer Eltern durch ihre Eltern war eine brutale Erziehung.

Für die Eltern unserer Eltern war es überlebenswichtig, nichts zu spüren, sonst wären sie an dem, was sie erlebt haben, verrückt geworden. Weil vieles so schlimm war, dass man damit nicht einfach weiter leben kann. Und die Eltern unserer Eltern haben die im Krieg erlebten Grausamkeiten nicht aufgearbeitet, sondern sie haben die erlebte Gewalt an ihre Kinder - unsere Eltern - weiter gegeben, um sich selbst emotional zu entlasten. Durch die Art ihrer Erziehung, in ihrem eigenen autoritären Verhalten, in den brutalen Strafen, in der emotionalen Vernachlässigung ihrer Kinder haben sie die eigene erlebte Gewalt weiter gegeben.

Auch unsere Eltern haben wie ihre Eltern einen Krieg erlebt - als Kinder, sie wuchsen darin auf. Sie haben von ihren Eltern Gewalt durch die Erziehung erlebt (siehe vorheriger Abschnitt). Und auch sie wurden so erzogen, möglichst nichts zu fühlen, möglichst viel auszuhalten. Zusätzlich zu dieser Erziehung haben sie den 2. Weltkrieg als Kinder erlebt, mit allem Furchtbaren und allen Entbehrungen. Diesen haben sie erlebt mit dem in sie durch die Erziehung eingehämmerten: Du sollst nichts spüren. Du musst aushalten.

Und unsere Eltern haben die durch ihre Eltern erlebten Grausamkeiten nie aufgearbeitet und verarbeitet. Sie haben es genau so gemacht wie ihre Eltern: sie haben die erlebte Gewalt an uns weiter gegeben, um sich emotional selbst zu entlasten (was natürlich eine Pseudoentlastung ist, denn ohne Aufarbeitung kann man diese erlebte Gewalt nicht überwinden).

Unsere Eltern haben dann kräftig am Wirtschaftswunder mitgearbeitet. So mussten sie sich nicht auf ihre eigenen Gefühle konzentrieren, die Verletzungen spüren. So haben sie weggeschoben, was notwendig gewesen wäre: die Auf- und Verarbeitung ihrer Vergangenheit. Unsere Eltern hätten die Chance gehabt, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten - auch später noch. Aber die meisten konnten es nicht - und wollten es auch nicht. So haben sie ihren Müll an uns weiter gegeben.

Frau M. sagte, dieser Sadismus, mit dem viele unserer Großeltern ihre Kinder traumatisiert haben - durch die Erziehung beeinflusst von den unverarbeiteten Kriegserlebnissen - sei unvergleichlich. Diesen Sadismus haben auch viele unserer Eltern an uns weiter gegeben / uns zugefügt. Auch heute gibt es noch Traumatisierungen bspw. durch emotionale Vernachlässigung, aber diesen ganz speziellen Sadismus der beiden Kriegsgenerationen gibt es darin so nicht mehr.

Sie sagte: Wenn jemand im Krieg war und das nicht verarbeitet hat, gibt er das als unglaublichen Sadismus weiter. Auch als Kind im Krieg aufgewachsen zu sein und Schlimmes erlebt zu haben, erzeugt Sadismus. Aber wenn jemand selbst als Soldat im Krieg war, bei Gewalttaten zugesehen hat und an Gewalttaten beteiligt war, ist das noch viel schlimmer. Das ist meine Erfahrung hier in der Praxis - die am schlimmsten Traumatisierten sind die Menschen, die solche Eltern haben.

Sie sagte auch: Wenn man das eigene Trauma nicht aufarbeitet und irgendwann verarbeitet, gibt man es weiter.

Nach all dem, was ich gestern im Gespräch erfahren habe, denke ich jetzt:

Unsere Eltern konnten und wollten auch später - in "Friedenszeiten" ihre Gefühle nicht fühlen. Sie haben uns den ganzen Rotz weiter gegeben:

- Die Haltung: Es ist gut, möglichst nichts zu fühlen, möglichst viel aushalten zu können.
Was für eine lebensfeindliche Haltung!!!!!!!!!
- Sie haben an uns die Gewalt weiter gegeben, die sie selbst erlebt haben - als Kinder ihrer autoritären, oft
sehr brutalen Eltern.

Ihre Erziehung bestand darin, dass aus ihnen "brave" Kinder gemacht wurden = Kinder, die keine unbequemen Fragen stellten, Kinder, die aufgefordert waren, taub, blind, stumm und lahm zu sein! In einem solchen Sinne erzogen wuchsen sie im Faschismus auf, erlebten ihn unhinterfragt, waren Teil darin, angepasst, waren "mucksmäuschenstill".

- Als solche fügig gemachten, angepassten, verängstigten Kinder erlebten sie dann auch den Krieg - mit
seinen Gräueltaten und Entbehrungen.

Unsere Eltern haben nichts von ihrer eigenen Vergangenheit aufgearbeitet und verarbeitet - dafür hätten sie all die vielen verleugneten und verdrängten, unglaublich schmerzhaften Gefühle fühlen müssen. So sieht die Bearbeitung eines Traumas aus, anders kann es nicht verarbeitet werden. Schwerstarbeit, ich weiss es!

Unsere Eltern sind diesem schwierigen, schmerzvollen Prozess ausgewichen. Sie haben uns ähnlich erzogen, wie ihre Eltern sie erzogen haben. Sie haben uns ihre eigenen Deformationen weiter gegeben, aufgedrückt. Mit den kämpfen wir jetzt! Diese versuchen wir jetzt aufzulösen! Um aus der Gewaltspirale auszusteigen, um erlebte Traumata, um erlebte Zerstörung nicht mehr weiter zu leben und nicht mehr weiter zu geben. Was für ein Erbe!!!!!!!!!

Und was mich aufregt: Ich habe meine Mutter SIEBZEHN! Jahre lang aktive Angebote gemacht, sich mit den Gewaltstrukturen in unserer Familie, einschliesslich ihrer eigenen an uns weiter gegebenen Gewalt, auseinander zu setzen. Sie hat sich geweigert! Sie hat alles beschwichtigt und bagatellisiert! Sie hat sich nichts vorzuwerfen! Sie ist über alle Kritik erhaben! Kinder haben ihre Eltern nicht zu kritisieren - Punkt!
Das macht mich fassungslos!

Ich sehe mit einer Deutlichkeit wie nie zuvor. Ich bin entsetzt! Ich könnte schreien! Das ist unsere Gesellschaft!!!!!!! Und diese Auf- und Verarbeitungsprozesse dauern so lang! Ich erlebe es ja an mir. Und anders kann sich nichts ändern! Sonst wird es immer nur eine Wiederholung geben - in neuen Gewändern. Ist das nicht wahnsinnig???????

Wir sprachen in diesem Zusammenhang auch über die RAF, mit der ich als Jugendliche sympathisierte, weil sie sich gegen all das wehrte, was ich damals gefühlt, aber unbegriffen mit meinen Eltern in Verbindung brachte. Frau M. sagte: Die RAF hat versucht, die Geschichte der deutschen Kontinuität zu brechen - aber mit der gleichen Methodik. Sie haben mit der gleichen Brutalität gehandelt, wie sie sie selbst erfahren haben - als Kinder kriegstraumatisierter, sadistischer Eltern. Sie haben versucht, einen Bruch zu machen - die Ideologie war eine andere, aber das Vorgehen darin war genau so gewalttätig und brutal. Sie hätten ihre eigene Geschichte aufarbeiten müssen, mit der Gefühlsverleugnung und -verdrängung brechen müssen! So haben sie etwas davon weiter gegeben, was sie selbst erleben mussten. Die Geschichte der RAF war kein Bruch, sie war eine Fortsetzung. Nur die Ideologie war eine andere.


*

ich möchte dazu nur zwei anmerkungen machen: erstens glaube ich, dass sowohl die wahrscheinlichkeit als auch die zeitliche dauer für und von heilungsprozessen ganz anders aussehen würde, wenn es eine breite und spürbare gesellschaftlich positive resonanz und auch akzeptanz für die elementare wichtigkeit dieser arbeit gäbe.

und zweitens sehe ich den aspekt hinsichtlich der raf ähnlich, halte diesen jedoch als alleinigen hintergrund für zu eindimensional, weil gerade die ersten aktionen der raf mit bezug auf den vietnamkrieg etwas waren, was sich im historischen rückblick sehr wohl als begründet und allgemein menschlich legitimiert betrachten lässt - ohne den spezifisch deutschen hintergrund der raf, der auch in der
kommandoerklärung zu einem ihrer ersten anschläge auf das us-hauptquartier in stuttgart 1972 zum ausdruck kommt, zu vergessen.

tatsächlich war diese institution eine entscheidende koordinierungsstelle für die bombardements, die sich als verbrechen betrachten lassen. und ist eben deshalb auch für den wunsch, dieses verbrechen wirkungsvoll zu stören, die passende anlaufstelle gewesen - immer vor dem hintergrund, dass weder die regierung noch die bevölkerung der damaligen brd willens gewesen ist, hier wirkungsvoll einzugreifen.

tatsächlich aber sind auch die gezogenen vergleiche mit auschwitz und dresden ausdruck einer nicht begriffenen inneren verwirrung seitens der guerilla, die hier gleich mit ihrem beginn ihren psychohistorischen hintergrund deutlich machte. und in diesem verlauf auch noch täter und opfer gleich setzt. nichtsdestotrotz hatten diese vietnambezogenen aktionen der raf einen charakter, der sich primär durch die damalige aktuelle situation entschlüsseln lässt - auch, wenn sie zumindest in hinsicht auf die inneren motivationen der akteure teilweise auf der matrix von ns-zeit und weltkrieg stattgefunden haben.

dazu sollte man sich dann auch einmal die herkunft vieler der ersten aktivistInnen anschauen, die sich der raf anschlossen: einige kamen aus dem
sozialistischen patientenkollektiv heidelberg und waren als - hm, patientInnen mit verschiedenen psychiatrischen diagnosen durchaus repräsentativ für das gesammelte psychophysische elend, das in der alten brd unter dem deckmäntelchen von wohlstand & ordnung jahrzehntelang unter den teppich biederer bürgerlichkeit gekehrt wurde. einige andere kamen aus solchen heimen, in denen kinder & jugendliche mit extrem repressiven und traumatischen methoden direkt aus der "schwarzen pädagogik" bis weit in die 1970er jahre hinein traktiert wurden. der wunsch nach dem bruch und "zurückschlagen" ist von daher durchaus verständlich.

ich möchte aber hier ausdrücklich keine raf-debatte, jedenfalls im ideologisch-politischen sinne, anstoßen - das thema steht in der überschrift, und die raf und ihre geschichte sind dabei - wie sich an der mail erkennen lässt, nicht nur aus meiner perspektive - zwar ein sehr spektakulärer, aber keinesfalls der einzige punkt.
maik@ (Gast) - 26. Feb, 13:09

Sehr wichtiges Thema, beim lesen überschattet die RAF das vorher gesagte etwas, daher nur kurz: Es darf nicht vergessen werden das mit der RAF auch der deutsche Polizeistaat wieder auferstanden ist und das Auf- und Rückbäumen auch als für alle Seiten befriedigende Befreiung vor der Wachstumsangst gedeutet werden kann.
Nach dem Weltkrieg, NS, Wiederaufbau, einer stressigen Erziehung müssen die 60er die ersten Jahre der Ruhe gewesen sein die für traumatisierte Menschen, die keine alternativen Umgangskonzepte für Traumabehandlung kannten, eine Zerreissprobe bedeuteten.
Jegliches politisches Handel, sei es als Rebell gegen den Krieg und die Verbrechen der Eltern oder als Politker gegen die Rebellen, hinter beiden Schemata steht die Verdrängung.
Eigentlich wollte ich was über die transgenerationalen ernährungspädagodischen Besonderheiten in deutschen Familien schreiben, mach ich dann ein andermal.

monoma - 26. Feb, 16:11

ja, den effekt der "überschattung" habe ich auch mit der verfasserin diskutiert und mich darum zur anmerkung im letzten absatz entschlossen, weil ich trotz der eigentlichen intention des beitrags die ergänzungen bzgl. raf wichtig fand.

frage: was sind die erwähnten "ernährungspädagogischen besonderheiten"? ich habe da schon einen bestimmten verdacht, würde mich aber freuen, wenn du das tatsächlich genauer ausführen könntest.
arboretum - 4. Mär, 21:08

Die Eltern, die als Kinder den Zweiten Weltkrieg erlebten, hatten in der Regel aber Eltern, die während des Ersten Weltkriegs ebenfalls Kinder (und nicht Soldaten) waren.

monoma - 5. Mär, 00:48

???

ich verstehe Ihren kommentar nicht. erstens konnten soldaten, die 1914 um die 20 jahre alt waren (und überlebt haben), sehr wohl in den 1930ern und auch zu beginn der 40er väter werden. zweitens wird der erste weltkrieg in seinen traumatischen folgen primär für die soldaten regelmässig unterschätzt - und vermittelt dürften diese folgen auch in vielen familien angekommen sein, verstärkt dann noch durch die katastrophalen materiellen verhältnisse gegen ende des wk1. drittens spielen dazu noch die durchweg brutalen und repressiven erziehungsmethoden in ihrer kontinuität vom kaiserreich (bei dem es sich faktisch um eine militärdiktatur mit einer entsprechend formierten gesellschaft handelte) bis hin zu den nazis eine rolle. und viertens: falls es menschen gab, die all diese vorgeschichten bis zum wk2 einigermaßen unbeschadet überstanden haben sollten (was eh nur ausnahmen gewesen sein dürften), so waren diese spätestens mit der einbeziehung der zivilbevölkerung in den krieg (primär durch den bombenkrieg) in gefahr, beim überleben traumatische strukturen zu entwickeln und diese dann transgenerational weiterzugeben.

sollte also Ihr satz als einwand gemeint gewesen sein, betrachte ich ihn als nicht nachvollziehbar.
arboretum - 5. Mär, 13:25

Hey, warum diese Aufgeregtheit? Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass die Elterngeneration der WWII-Kinder in der Regel zu Beginn des 20. Jahrhunderts (zwischen 1900 und 1910) geboren wurde, mithin selbst durch den WWI mehr oder weniger traumatisierte Kinder waren. Ich kenne niemanden, deren Großväter noch im WWI gekämpft haben, die waren damals alle selbst noch Kinder. Deren Kinder - also die Eltern meiner Freunde und Bekannten -, wiederum erlebten die NS-Zeit als Kinder. In meiner sehr großen Verwandtschaft (beide Großeltern kamen aus kinderreichen Familien) war das auch so.

Dito bei meinen Freunden im Ausland - das ist nämlich kein ausschließlich deutsches Problem. Ich darf daran erinnern, wer da zuerst mit dem Krieg gegen die Zivilbevölkerung begonnen hat. Fragen Sie mal die Engländer nach "The Blitz", oder Tschechen, Polen, Weißrussen und Russen nach den Massengräbern der Zivilisten (es gibt in Chatyn einen "Friedhof der verbrannten Dörfer", allein in Weißrussland haben Deutsche 186 Dörfer dem Erdboden gleich gemacht, das hat kaum einer überlebt).

Ich habe weder bestritten, dass Soldaten traumatisiert wurden, noch dass der Krieg und seine Folgen in den Familien angekommen sind und weitergegeben werden. Ich habe mich dazu selbst schon einige Male in meinem Blog geäußert. Ich habe lediglich angemerkt, dass in meinem Augen die Argumentation jener Frau in ihrer Verallgemeinerung etwas unsauber ist.
monoma - 5. Mär, 14:00

ich nehme mal an, dass mein tonfall etwas schroff rübergekommen ist - sorry.

aber Ihren ersten kommentar verstehe ich beim lesen des ersten absatzes oben jetzt immer noch nicht, weil ich keinen widerspruch erkennen kann.

und ja, klar ist das kein ausschließlich deutsches problem; jede gesellschaft, die in kriege, aber auch in diktatorische verhältnisse verwickelt war/ist, bekommt diese folgen zu spüren - was in etlichen ländern rund um den globus bis heute nicht nur eines der größten hemmnisse für jede positive soziale entwicklung darstellt, sondern auch ständig weitere konflikte hervorbringt.
arboretum - 6. Mär, 15:40

Wie gesagt, ich bin der Meinung, dass diese Aussage: "dass unsere Eltern, die als Kinder im 2. Weltkrieg aufgewachsen sind, von ihren Eltern, deren Väter zum grossen Teil als Soldaten am 1. Weltkrieg teilgenommen haben (manche sogar an beiden Kriegen)" in dieser Verallgemeinerung nicht korrekt ist. Es war kein genereller Widerspruch, sondern ich wollte lediglich darauf aufmerksam machen, dass das so nicht ganz stimmt. Die Fakten sollte man schon richtig auf die Reihe kriegen, finde ich.

Was mich allerdings an dem übrigem Text sehr stört, ist die implizite Unterstellung, dass die Eltern ihre Traumata mit Absicht, womöglich gar aus Böswilligkeit weitergegeben haben, die sich in solch Sätzen finden wie "Unsere Eltern hätten die Chance gehabt, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten - auch später noch. Aber die meisten konnten es nicht - und wollten es auch nicht. So haben sie ihren Müll an uns weiter gegeben" oder "Unsere Eltern konnten und wollten auch später - in "Friedenszeiten" ihre Gefühle nicht fühlen. Sie haben uns den ganzen Rotz weiter gegeben".

Abgesehen davon, dass denen oft gar nicht bewusst ist, dass sie traumatisiert sind und sie folglich gar nicht auf die Idee kommen, dass es da etwas aufzuarbeiten gäbe, hat auch gar nicht jeder die Chance, das zu tun. Es ist schließlich nicht jeder privatversichert, und für Kassenpatienten werden nur eine bestimmte Anzahl von Therapiesitzungen bewilligt. (schon gar nicht war es in den 1950ern und 1960ern üblich, zum Therapeuten zu gehen). Aber wie gesagt, die meisten waren einfach nur froh, überlebt zu haben und kamen auch später meist nicht auf die Idee, dass etwaige gesundheitliche Beschwerden etwas mit ihren Kindheitserlebnisen zu tun haben könnte. Ich muss Ihnen das nicht weiter erklären, schließlich haben Sie selbst hier Sabine Bodes Buch "Die vergessene Generation - Kriegskinder brechen ihr Schweigen" verlinkt.
mayko (Gast) - 6. Mär, 18:21

"Was mich allerdings an dem übrigem Text sehr stört, ist die implizite Unterstellung, dass die Eltern ihre Traumata mit Absicht, womöglich gar aus Böswilligkeit weitergegeben haben"

Ob das Böswilligkeit, Absicht oder einfach nur emotionale Kälte ist, denjenigen die das Trauma geerbt haben wird beides nicht helfen, da der Körper nicht verzeiht und nicht vergisst. Wer das böse Verhalten der Eltern nicht kritisiert oder es entschuldigt ist selbst noch KandidatIn das Trauma erneut weiter zu geben und wird von den Folgen betroffen bleiben. deswegen finde ich den Text nicht störend . sondern eher befreiend.
Gewalt erklären ist okey, verzeihen nicht, wer böses tut , aus was für Gründen auch immer, sollte auch kritisiert werden.
arboretum - 7. Mär, 02:55

Hatten Sie etwa traumatisierte Eltern, die permanent nur Böses taten und nur die eigenen Traumata an Sie weitergaben? Gar nichts Gutes?

Auch meine Eltern sind beileibe nicht perfekt, es gibt Dinge, die ich kritisiere, aber ich sitze nicht über deren Schicksal als Kriegskinder und hungernde Nachkriegskinder zu Gericht. Weil es mir zum einen gar nicht zusteht - wer weiß denn, wie ich unter den Umständen geworden wäre, wäre ich an ihrer Stelle gewesen -, und zum anderen sehe ich auch, wie sie zum Teil noch heute daran leiden. Es ist an mir, mit dem, was sie an mich weitergaben, klarzukommen - ab einem gewissen Alter kann man nämlich nicht mehr seine Eltern für alles verantwortlich machen.
monoma - 7. Mär, 13:21

@arboretum

auf Ihre letzte frage an mayko erlaube ich mir mal zu antworten: bei mir verhält es sich tatsächlich so, und ich habe meine eigenen konsequenzen - nämlich in form einer notwendigen distanzierung - schon lange gezogen.

Ihre argumentation ist zwar teils nachvollziehbar, enthält für mich jedoch auch ein deutlich irrational rechtfertigendes moment, und wenn Sie die wahrscheinliche quelle dafür interessieren sollte, empfehle ich Ihnen eine nähere beschäftigung mit den arbeiten von alice miller. eltern sind halt immer noch heilige kühe - aber es gibt situationen, in denen auch solche notwendigerweise symbolisch geschlachtet werden müssen!

was Sie meiner meinung nach nicht begreifen: es geht ganz richtig darum, wie mayko es so schön ausdrückte - verständnis ja, akzeptanz nein.

was konkret für mich bedeutet hat, jahrzehntelang mühsam(!) mit all dem tradierten zeug fertigzuwerden - ein weg, der mich u.a. in verschiedene ambulante und auch eine stationäre therapie(n) geführt hat. und mich einiges über täter-opfer-dialektik gelehrt hat, u.a. dadurch, dass die eltern meiner eltern durchaus als täterInnen im nationalsozialismus agiert haben, was meine eltern wiederum in diverser - und zugegebenermaßen ihnen selbst wahrscheinlich gar nicht bewusster art und weise - verteidigt und gerechtfertigt haben. und diese konstellation ist bei den kriegskindern des wk2 meiner meinung nach gar nicht so selten, wie auch entsprechende untersuchungen nahelegen.

Sie heben am schluß die sog. "selbstverantwortlichkeit" heraus. aber ist Ihnen klar, dass diese weder vom himmel fällt noch angeboren ist, sondern sich bestenfalls in einem gesunden prozeß unter entscheidender mithilfe eben der eltern entwickelt? die basis dafür ist eine gesundes beziehungsgeflecht, und genau das (bzw. seine voraussetzungen) ist in den hier diskutierten historischen konstellationen hauptsächlich geschädigt worden - traumata setzen immer an genau der basis an, weil sie im einzelnen menschen die vorhandenen grundlagen für die beziehungsfähigkeit (zer)stören.

ich kann inzwischen sehr wohl differenzieren, wozu zum größten teil auch die intensive beschäftigung mit der thematik beigetragen hat - aus einer intellektuellen perspektive führt das zu dem schluß, dass meine eltern durchaus innerhalb ihrer grenzen "ihr bestes" versucht haben. nur: das ist im hinblick auf die tradierten strukturen des mülls, mit dem ich mich ganz existenziell herumschlagen musste, irrelevant. Sie begreifen eine ganz entscheidende phase der traumaverarbeitung nicht: es ist zeitweise - und vor einer eventuellen, aber nicht zwangsläufigen - verzeihung absolut notwendig, die gefühle von wut, hass und rache zuzulassen und adäquat auszudrücken. und damit meine ich keine direkten angriffe, sondern die entsprechenden therapeutischen prozesse, in denen die täter, die das aus ihrem früheren opfersein heraus geworden sind, explizit als solche benannt und wahrgenommen werden müssen. meinetwegen können Sie das auch als "zu gericht sitzen" ausdrücken. Ihre betonung auf das "gute", was ja auch gesehen werden müsse, ist in diesem prozeß nicht nur wie gesagt irrelevant, sondern behindert ihn sogar - und macht damit eine mögliche authentische versöhnung potenziell unmöglich (wozu im übrigen immer auch zwei gehören - und betroffene eltern, die sich über ihre eigene situation nicht im klaren sind, sind per se dazu unfähig).

kurz: Sie verwechseln bei Ihrer argumentation die intellektuelle mit der emotionalen ebene. aber die letztere ist die entscheidende, die erste hängt immer verarbeitend nach.

und nochmal zu Ihrem letzten satz: für mich steckt da ein widerspruch in der form, dass Sie weiter oben einerseits die eltern nachvollziehbar in ihrer situation als kindliche opfer entschuldigen, andererseits aber nicht Ihren eigenen schluß auf diese anwenden - ich könnte genausogut sagen, dass meine eltern ab einem bestimmten alter durchaus selbst dafür verantwortlich dafür gewesen wären, sich mit ihrer traumatischen biographie zu beschäftigen. zumindest die nötigen wissensmäßigen voraussetzungen dafür liegen ca. seit mitte der 1980er jahre vor.

das solche prozesse gesamtgesellschaftlich jahrzehntelang nicht gewollt und auch letztlich die dynamik überhaupt nicht begriffen worden ist, schätze ich selbst so ein und sehe das durchaus als wichtiges argument für untätig- und unfähigkeiten seitens betroffener. bloß ändert auch diese intellektuelle einsicht nichts an den gesetzmäßigkeiten der emotionalen verarbeitung.
mayko (Gast) - 7. Mär, 16:19

"Hatten Sie etwa traumatisierte Eltern, die permanent nur Böses taten und nur die eigenen Traumata an Sie weitergaben? Gar nichts Gutes? "

Da hat monoma was zu gesagt und bei mir sieht das ähnlich aus. Entscheidend ist es für mich authentische Beziehungen zu führen. Mit Eltern die ihre eigene Vergangenheit mehr fürchten als alles andere ist das nur schwer möglich da es keine gemeinsame Ebene gibt. Das gilt nicht nur für Eltern sondern auch für FreundInnen.
Das schwierige an der Aufarbeitung ist nicht nur die Belastung die eine traumatisierende Kindheit mit sich brachte zu begreifen, es ist noch schwieriger sie zu erfassen, in alle Facetten immer dann wenn destruktive Gedanken einem das Leben schwermachen, dann zu wissen und zu fühlen das diese gelernten Schemata nur Erbstücke sind die mir von welchen ohne zu Fragen implantiert wurden.
In so einem Moment wäre es so einfach sich auf das "Gute", die schönen Momente der Kindheit zu konzentrieren und weiter zu verdrängen.
Aber dann hört es nicht auf. Dieser Prozeß hat nichts mit dem Alter zu tun wie Sie sagen:
" ab einem gewissen Alter kann man nämlich nicht mehr seine Eltern für alles verantwortlich machen."
Ich weiß das zum Beispiel gerade Kinder sehr viel einfacher begreifen das bestimmtes Verhalten ihrer Eltern nicht ok ist wenn sie denn jemanden verantwortungsbewusstes treffen der es ihnen vermittelt.
In diesem Moment öffnet sich ein eigener Raum in dem jeder Mensch gleich welchen ALters beginnt sich selbst anders wahrzunehmen und Platz für eine eigene selbstimmtere Form zu leben und überlegen entsteht.
Empathie mit sich selbst, beste Voraussetzungen: Distanz zu den Verursachern, nähe zu sich selbst und am allerbesten zu Menschen die den gleichen Weg gehen und einem nicht ständig Verzeihung predigen, was leider oft vorkommt wenn Erwachsene über ihre Kindheitsprobleme reden wollen.
arboretum - 7. Mär, 19:57

Offenkundig hatten Sie beide eine schlimmere Kindheit gehabt als ich. Allerdings zählten meine Großeltern auch nicht zu den NS-Tätern. Ich weiß nicht, ob Ihnen die Bekennende Kirche etwas sagt, der gehörten nicht nur Theologen an.

Mir waren in dem Text einfach zu viele Ausrufungszeichen und zu viele Verallgemeinerungen. Es haben nicht alle traumatisierten Kriegskinder später als Eltern physische oder gar sexualisierte Gewalt weitergegeben, wie das bei der Verfasserin jener E-Mail der Fall war.

Sie heben am schluß die sog. "selbstverantwortlichkeit" heraus. aber ist Ihnen klar, dass diese weder vom himmel fällt noch angeboren ist, sondern sich bestenfalls in einem gesunden prozeß unter entscheidender mithilfe eben der eltern entwickelt?

Demnach haben all die, deren Eltern gar nicht mehr am Leben sind, schlichtweg Pech: keine Chance auf Selbstverantwortlichkeit. Zugleich verlangen Sie diese aber von den Kriegskindern, von denen sehr, sehr viele ohne Väter aufgewachsen sind. Dass passt argumentativ irgendwie nicht so recht zusammen. Abgesehen davon wären all die Kriegskinder, deren überlebenden Eltern die entscheidende Mithilfe wiederum nicht leisteten, demnach ebenfalls entschuldigt.

was Sie meiner meinung nach nicht begreifen: es geht ganz richtig darum, wie mayko es so schön ausdrückte - verständnis ja, akzeptanz nein.

Erfahrungsgemäß kann man keinen anderen Menschen ändern, sondern nur sich selbst. Und man kann auch seine Eltern nicht zur Aufarbeitung/Therapie zwingen, auch nicht zur oben genannten Mithilfe.

Im Übrigen habe ich einige Texte von Miller gelesen, Danke. Es ist, nebenbei bemerkt, eine Grenzüberschreitung, wenn man sein therapeutisches Halbwissen ungefragt auf andere anwendet. Also seien Sie beide bitte so gut und unterstellen Sie mir nicht irrationale Rechtfertigung oder fortgesetzte Verdrängung. Sie wissen doch gar nicht, wie und was ich aufgearbeitet habe. Man muss übrigens aufpassen, dass man in der Phase der Wut, des Hasses und der Rache nicht verharrt*, sonst kann man sich kaum weiterentwickeln und wahrscheinlich auch keinerlei Milde aufbringen.

Und man kann auch zu lange in der eigenen Psychosuppe schwimmen.

* Womit ich nicht sage, dass Sie dieser Gefahr erlegen sind.
monoma - 9. Mär, 17:09

@arboretum

ja, bekennende kirche sagt mir was.

Es haben nicht alle traumatisierten Kriegskinder später als Eltern physische oder gar sexualisierte Gewalt weitergegeben, wie das bei der Verfasserin jener E-Mail der Fall war.

über das ausmaß lässt sich diskutieren, jedoch vergessen Sie hier die emotionale bzw. "psychische" gewalt, die ich eher unter psychophysisch führen würde. von vernachlässigung bis hin zur kommunikationsverweigerung / -unfähigkeit. und es ist schon seit längerer zeit hinreichend belegt, dass auch diese gewalt handfeste schäden hervorbringt.

zur selbstverantwortlichkeit: in aller regel sind eltern, wenn vorhanden und einigermaßen gesund, die ersten vermittler. allerdings können auch andere bezugspersonen diese aufgabe übernehmen, sobald die grundlagen für eine funktionierende beziehung vorhanden sind. und es geht wie gesagt zumindest aus meiner sicht nicht um schuldfragen.

Und man kann auch seine Eltern nicht zur Aufarbeitung/Therapie zwingen...

nein. aber man kann sich durchaus entsprechend deutlich distanzieren.

über den aufgekommenene verdacht müssen Sie sich nun nicht wirklich wundern bei Ihrer argumentation; die deutliche tendenz zur entschuldigung nehme nicht nur ich unangenehm berührt wahr.
arboretum - 16. Mär, 20:46

nein. aber man kann sich durchaus entsprechend deutlich distanzieren.

Letztlich muss da jeder seinen eigenen Weg finden. Nur weil Sie beide das für sich als das Richtige empfinden, muss das noch nicht das Allheilmittel für alle anderen sein. Dass Sie beide sich von Ihren Eltern deutlich distanzieren, ist nachvollziehbar - wer hat schon gerne Nazi-Täter als Eltern? Da lebt es sich sicher leichter, wenn man auf Distanz geht.

über den aufgekommenene verdacht müssen Sie sich nun nicht wirklich wundern bei Ihrer argumentation; die deutliche tendenz zur entschuldigung nehme nicht nur ich unangenehm berührt wahr.

Sie hingegen erwecken nicht nur bei mir den Eindruck, dass da noch ganz viel unbewältigt ist und funktionierende, stressfreie Beziehungen bislang kaum möglich sind. Aber darüber müssen Sie sich Ihrerseits auch nicht wundern.
mayko (Gast) - 16. Mär, 21:22

wer hat schon gerne Nazi-Täter als Eltern?

also meine Eltern sind definitiv zu jung um Nazi-Eltern zu sein, sie wurden erst ein Jahrzehnt nach Kriegsende geboren. Es ging ja auch transgenerationale Weitergabe,... Ich lebe übrigens nur weil sich jüdische Vorfahren von mir versteckten und -das Opfer oder Widerständler gleich bessere Menschen gegnüber ihren Kindern sind- davon halte ich auch nix.
Ich kann mit Ihren Kommentaren nicht besonders viel anfangen. Sie enthalten das was ich kenne: ich hatte eine tolle Kindheit, meine (Groß)Eltern waren keine Nazis, man muss verzeihen und so weiter.
Toll wenn alles so toll bei Ihnen gelaufen ist und sie in keiner "Psychosuppe" hängen- Empathie hat Ihnen trotzdem niemand beigebracht.

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