mit musik geht alles besser ? vielleicht.
immer noch geht es mir grundsätzlich gerade so, wie anfangs der letzten beiden beiträge skizziert - aber inzwischen ist mir selbst klarer geworden, dass diese partielle schreibblockade auch zu einem großen teil aus einem gefühl "alles viel zu viel!" stammt - ist ja nicht so, dass ich keine nachrichten mehr wahrnehme oder meine üblichen recherchezüge durchs netz zu den themen, die mich besonders interessieren, eingestellt hätte. aber mir persönlich geht es so, dass ich so drastisch wie vielleicht niemals zuvor in den letzten monaten den begriff informationsoverkill mal wirklich mit einem seinszustand assoziieren kann. syrien, libyien, überhaupt die ganzen arabischen und afrikanischen aufstände? fukushima? die weiter schwelenden finanz- und wirtschaftskrisen? das ölige debakel im golf von mexico? peak oil, die frage von ressourcen / rohstoffen und damit einhergehenden bereits laufenden und künftigen krisen überhaupt? der zustand der menschlichen spezies überhaupt?
kaum sind zu einem bereich mal gefühlt etwas tragfähigere gedanken entstanden, passieren mindestens in drei anderen thematischen gebieten wieder dinge, die dringend der näheren beschäftigung bedürfen; und / oder es tauchen auf einmal informationen auf, die wiederum ganz neue lichter werfen. ganz neu ist dieses phänomen ja nicht, aber wie gesagt: persönlich habe ich noch nicht ansatzweise so eine dadurch induzierte art lähmung verspürt wie zur zeit.
*
ich weiß nicht mehr, wo ich vor jahren den sinngemäßen satz gelesen habe, der einzige wirklich angemessene seinszustand in der konfrontation mit der existierenden menschlichen welt sei die melancholie. inzwischen kann ich damit mehr anfangen als früher, auch wenn ich oft genug - und ich finde, glücklicherweise - einfach nur wütend bin beim anblick dieses gebirges aus erbärmlichkeit, niedertracht und dummheit, welches unsere spezies in der kurzen zeit ihres daseins innerhalb der evolutionären zeitleiste bereits erzeugt hat. beim gleichzeitigen erahnen dessen, das alles so anders sein könnte...
für mich eine wirklich wunderschöne musikalische umsetzung des oben gemeinten - und damit willkommen in der welt von deep house! für mich schon seit jahren neben detroit-techno und drum`n´bass mit der bevorzugte stil von elektronischer musik. nicht zufällig - vor längerer zeit schrieb ich mal in einem ähnlichen zusammenhang:
"ich höre musik sehr stimmungsabhängig, und meine vorlieben für funk, jazz, und die meisten sparten elektronischer musik haben sowohl etwas mit rhytmus zu tun als auch mit den jeweils assoziierten inneren bildern, besonders bei den beiden letzteren stilen."
*
hatte ich damals den detroit-techno aufgrund seiner geschichte und den erzeugten atmosphären deutlich zu den (für mich) traumatischen tönen sortiert, mit dem potenzial zur transformierenden bearbeitung unerträglicher realitäten, so empfinde ich bei deep house etwas anderes im vordergrund. sind die allermeisten house-stile doch sowohl im guten wie im schlechten der inbegriff von zeitgenössischer party-musik - und das wort "party" verwende ich hier im durchaus negativen sinne von oberflächlichkeit, beliebigkeit, rücksichtslosem hedonismus, narzissmus und egozentrismus.
und es ist eine ironie der geschichte, dass ausgerechnet in dieser musik mit dem deep house so etwas wie ein - hm, dialektischer umschlag stattgefunden hat - vieles der housemusic seit ende der 1980er erscheint im nachhinein von den dort vermittelten stimmungen wie der perfekte musikalische ausdruck des rasend gewordenen neoliberalismus. als eine art subgenre existierte deep house eine ganze zeit eher unauffällig mit, und wurde vor etwa zehn jahren hierzulande versuchsweise so definiert:
(...) "Es geht um Tiefe und Wärme. Um die Beschwörung eines zurückgenommenen, repetitiven Grooves. So einer, der sich Zeit lässt, um zu kommen. (...)
Eine Fusion von Techno und Soul. Eine Verfeinerung von Garage, dem New Yorker Nachfolger von Disco mit wilderen, elektrifizierten Beats.
Doch wo Garage oder Disco House den klassischen Songstrukturen von Strophe und Refrain treu bleiben, dehnt Deep House einfach die Zeit, seziert dabei rhythmische und harmonische Strukturen wie in einem anatomischen Lehrfilm. Beseelte Stimmen deuten den Song dabei oft nur an. Hochdosiertes Soul-Extrakt. Wie ein Flaschengeist kann es im entkorkten Zustand für kurze Momente Urgewalten entfachen. Andeutung, Verzückung, Steigerung, Glück." (...)
*
ich würde ja die attribute um intensität, weite, verlassenheit, trauer und sogar bedrohlichkeit erweitern - ich kenne deep house-tracks, die das deutlich rüberbringen.
und natürlich eine überwältigende und oft genug paradoxerweise gleichzeitig sehr warme melancholie. das meinte ich mit dialektischem umschlag: musik für clubabende und euphorische, tagelange partys bis zum exzess tastet sich plötzlich zu den realitäten jenseits dessen vor - ich habe hier tracks auf cd, die nicht zufällig titel tragen wie alone again oder into this lonely crowd. im moment der größten euphorie, irgendwann am frühen morgen, schleicht sich die erkenntnis heran - all das war eine berauschende show, all die glücklichen verschwitzten gesichter um mich herum sind letztlich unerreichbar - was auf gegenseitigkeit beruht. der daraus entstehende enorme blues mit seinen extrem widersprüchlichen gefühlen stellt für mich persönlich letztlich das im- oder auch ganz explizite berührende hauptthema von deep house dar.
*
nicht nur bei den entsprechenden videos bei yt, sondern auch auf vielen covern von cds und lps aus dem bereich finden sich auffällig viele motive von menschenleeren landschaften, oft genug (traum-)strände, aber auch seen, weite himmel, wolken, leere bis zum horizont. ebenfalls großstadtpanoramen, in denen allerdings meist auch keine menschen erkennbar sind. die repetitive eindringlichkeit der beats bildet zusammen mit den oft genug schwer hypnotischen flächen (solche empfinde ich persönlich meist von herzzerreissender schönheit - als ich den ersten track oben, deep love, das erste mal gehört habe, war ich schlicht sprachlos bei diesen flächen. im passenden moment können auch durchaus tränen fliessen) letztlich den schlüssel, um innere räume, deren unbekannte weiten, aufzumachen zu können (eine eigenschaft, die ich beim detroit techno und bei vielen drum`n´bass-tracks auch feststelle.) für diese räume lassen sich die benannten bildmotive durchaus als versuchte annäherung begreifen. und diese räume sind immer nur zugänglich im sinne eines ganz individuellen und zutiefst persönlichen erlebens. bittersweet - ich würde solche räume oft genug sehr gerne in all ihrer mysteriösen großartigkeit teilen. aber - alone again.
*
und warum ich das jetzt alles schreibe? zum einen, um vielleicht den einen oder die andere mit einer musik bekannt zu machen, die wirklich verborgene schätze zu bieten hat. dann aber ist das für mich gerade der perfekte soundtrack zu diesem kuddelmuddel, welches ich am anfang beschrieben habe. und deshalb werde ich in der kommenden zeit öfter beiträge damit sozusagen illustrieren, um eine weitere informationsebene zu installieren. bestimmte widersprüchlichkeiten lassen sich so womöglich deutlicher und verständlicher rüberbringen als mit manchmal einfach hilflosen worten.
und wo ich gerade widersprüchlichkeiten schrieb: auch das thema verzicht ist bei musik aus strom, deren existenz ohne eine recht weit entwickelte technologie nicht denkbar wäre, ein durchaus relevantes, in diesem fall speziell für mich.
ich werde mich übrigens nicht an eine ganz starre definition des genres halten, wenn ich zukünftig hier öfter tracks einstelle - es gibt fliessende grenzen genauso zu vocal house, house mit latin-einflüssen sowie dem ganzen bereich, der sich nu jazz nennt. aber welche schublade man nun auch aufmacht - diese musik kann in verschiedener hinsicht ein look to the future sein.
kaum sind zu einem bereich mal gefühlt etwas tragfähigere gedanken entstanden, passieren mindestens in drei anderen thematischen gebieten wieder dinge, die dringend der näheren beschäftigung bedürfen; und / oder es tauchen auf einmal informationen auf, die wiederum ganz neue lichter werfen. ganz neu ist dieses phänomen ja nicht, aber wie gesagt: persönlich habe ich noch nicht ansatzweise so eine dadurch induzierte art lähmung verspürt wie zur zeit.
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ich weiß nicht mehr, wo ich vor jahren den sinngemäßen satz gelesen habe, der einzige wirklich angemessene seinszustand in der konfrontation mit der existierenden menschlichen welt sei die melancholie. inzwischen kann ich damit mehr anfangen als früher, auch wenn ich oft genug - und ich finde, glücklicherweise - einfach nur wütend bin beim anblick dieses gebirges aus erbärmlichkeit, niedertracht und dummheit, welches unsere spezies in der kurzen zeit ihres daseins innerhalb der evolutionären zeitleiste bereits erzeugt hat. beim gleichzeitigen erahnen dessen, das alles so anders sein könnte...
für mich eine wirklich wunderschöne musikalische umsetzung des oben gemeinten - und damit willkommen in der welt von deep house! für mich schon seit jahren neben detroit-techno und drum`n´bass mit der bevorzugte stil von elektronischer musik. nicht zufällig - vor längerer zeit schrieb ich mal in einem ähnlichen zusammenhang:
"ich höre musik sehr stimmungsabhängig, und meine vorlieben für funk, jazz, und die meisten sparten elektronischer musik haben sowohl etwas mit rhytmus zu tun als auch mit den jeweils assoziierten inneren bildern, besonders bei den beiden letzteren stilen."
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hatte ich damals den detroit-techno aufgrund seiner geschichte und den erzeugten atmosphären deutlich zu den (für mich) traumatischen tönen sortiert, mit dem potenzial zur transformierenden bearbeitung unerträglicher realitäten, so empfinde ich bei deep house etwas anderes im vordergrund. sind die allermeisten house-stile doch sowohl im guten wie im schlechten der inbegriff von zeitgenössischer party-musik - und das wort "party" verwende ich hier im durchaus negativen sinne von oberflächlichkeit, beliebigkeit, rücksichtslosem hedonismus, narzissmus und egozentrismus.
und es ist eine ironie der geschichte, dass ausgerechnet in dieser musik mit dem deep house so etwas wie ein - hm, dialektischer umschlag stattgefunden hat - vieles der housemusic seit ende der 1980er erscheint im nachhinein von den dort vermittelten stimmungen wie der perfekte musikalische ausdruck des rasend gewordenen neoliberalismus. als eine art subgenre existierte deep house eine ganze zeit eher unauffällig mit, und wurde vor etwa zehn jahren hierzulande versuchsweise so definiert:
(...) "Es geht um Tiefe und Wärme. Um die Beschwörung eines zurückgenommenen, repetitiven Grooves. So einer, der sich Zeit lässt, um zu kommen. (...)
Eine Fusion von Techno und Soul. Eine Verfeinerung von Garage, dem New Yorker Nachfolger von Disco mit wilderen, elektrifizierten Beats.
Doch wo Garage oder Disco House den klassischen Songstrukturen von Strophe und Refrain treu bleiben, dehnt Deep House einfach die Zeit, seziert dabei rhythmische und harmonische Strukturen wie in einem anatomischen Lehrfilm. Beseelte Stimmen deuten den Song dabei oft nur an. Hochdosiertes Soul-Extrakt. Wie ein Flaschengeist kann es im entkorkten Zustand für kurze Momente Urgewalten entfachen. Andeutung, Verzückung, Steigerung, Glück." (...)
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ich würde ja die attribute um intensität, weite, verlassenheit, trauer und sogar bedrohlichkeit erweitern - ich kenne deep house-tracks, die das deutlich rüberbringen.
und natürlich eine überwältigende und oft genug paradoxerweise gleichzeitig sehr warme melancholie. das meinte ich mit dialektischem umschlag: musik für clubabende und euphorische, tagelange partys bis zum exzess tastet sich plötzlich zu den realitäten jenseits dessen vor - ich habe hier tracks auf cd, die nicht zufällig titel tragen wie alone again oder into this lonely crowd. im moment der größten euphorie, irgendwann am frühen morgen, schleicht sich die erkenntnis heran - all das war eine berauschende show, all die glücklichen verschwitzten gesichter um mich herum sind letztlich unerreichbar - was auf gegenseitigkeit beruht. der daraus entstehende enorme blues mit seinen extrem widersprüchlichen gefühlen stellt für mich persönlich letztlich das im- oder auch ganz explizite berührende hauptthema von deep house dar.
*
nicht nur bei den entsprechenden videos bei yt, sondern auch auf vielen covern von cds und lps aus dem bereich finden sich auffällig viele motive von menschenleeren landschaften, oft genug (traum-)strände, aber auch seen, weite himmel, wolken, leere bis zum horizont. ebenfalls großstadtpanoramen, in denen allerdings meist auch keine menschen erkennbar sind. die repetitive eindringlichkeit der beats bildet zusammen mit den oft genug schwer hypnotischen flächen (solche empfinde ich persönlich meist von herzzerreissender schönheit - als ich den ersten track oben, deep love, das erste mal gehört habe, war ich schlicht sprachlos bei diesen flächen. im passenden moment können auch durchaus tränen fliessen) letztlich den schlüssel, um innere räume, deren unbekannte weiten, aufzumachen zu können (eine eigenschaft, die ich beim detroit techno und bei vielen drum`n´bass-tracks auch feststelle.) für diese räume lassen sich die benannten bildmotive durchaus als versuchte annäherung begreifen. und diese räume sind immer nur zugänglich im sinne eines ganz individuellen und zutiefst persönlichen erlebens. bittersweet - ich würde solche räume oft genug sehr gerne in all ihrer mysteriösen großartigkeit teilen. aber - alone again.
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und warum ich das jetzt alles schreibe? zum einen, um vielleicht den einen oder die andere mit einer musik bekannt zu machen, die wirklich verborgene schätze zu bieten hat. dann aber ist das für mich gerade der perfekte soundtrack zu diesem kuddelmuddel, welches ich am anfang beschrieben habe. und deshalb werde ich in der kommenden zeit öfter beiträge damit sozusagen illustrieren, um eine weitere informationsebene zu installieren. bestimmte widersprüchlichkeiten lassen sich so womöglich deutlicher und verständlicher rüberbringen als mit manchmal einfach hilflosen worten.
und wo ich gerade widersprüchlichkeiten schrieb: auch das thema verzicht ist bei musik aus strom, deren existenz ohne eine recht weit entwickelte technologie nicht denkbar wäre, ein durchaus relevantes, in diesem fall speziell für mich.
ich werde mich übrigens nicht an eine ganz starre definition des genres halten, wenn ich zukünftig hier öfter tracks einstelle - es gibt fliessende grenzen genauso zu vocal house, house mit latin-einflüssen sowie dem ganzen bereich, der sich nu jazz nennt. aber welche schublade man nun auch aufmacht - diese musik kann in verschiedener hinsicht ein look to the future sein.
monoma - 9. Mai, 01:00
deep blues
Auch dafür, dass Sie mich (durch Ihre Links) mit dem Begriff der „social trance“ und all seinen Facetten bekannt gemacht haben - ich habe schon lange nicht mehr einen so belebenden Tritt in den mentalen Hintern bekommen. Es lässt mich vieles, was oft oberflächlich als Lethargie, politisches Desinteresse oder gar verscheuklappte Dummheit abgewertet wird, in einem ganz anderen Licht sehen. Fürwahr, it‘s a deep house ;).
Der amerikanische Komponist Steve Reich hat vor sehr vielen Jahren (als die elektronische Musik noch in winzigen Kinderschuhen steckte) mal gesagt, für ihn seien elektronische Klänge die „ethnic music“, also so etwas wie die „Folklore“ unserer Zeit. Fiel mir ein, als ich Ihren Satz las „...der perfekte musikalische ausdruck des rasend gewordenen neoliberalismus.“ Reich hatte es zwar in Bezug auf die Verwendung elektronischer Instrumente gemeint, aber es lässt sich natürlich genauso anwenden auf die Auswirkung der Musik auf die Menschen.
Ja, deep house macht euphorisch und einsam („enormer blues“, genauso fühlt es sich an) und kann zur wildesten Melancholie führen, aber eben auch die Augen dafür öffnen, dass es so ist und - im glücklichsten Fall - warum es so ist und gar nicht anders sein kann. Aber selbst in dieser vom Katzenjammer bedrohten Glückseligkeit („all die glücklichen verschwitzten Gesichter um mich herum sind letztlich unerreichbar“) kann es musikalisch angestiftete Momente des Übergreifenden, Nichtisolierenden geben: Ich war ein paar Jahre lang in einem Club unterwegs (leider inzwischen geschlossen), wo freitags deep house spielte und zwei Musiker aus Fleisch und Blut den Soundtrack mit ihren Djembe-Trommeln begleiteten. Das hat aus dem dancefloor eine kochende Vorhölle an gemeinsam erlebter Exstase gemacht. Es war ein fast unerträglicher Glückszustand. Vielleicht nur zu ertragen, weil auch er, natürlich, illusionär war.
Ach ja - „bittersweet - ich würde solche räume oft genug sehr gerne in all ihrer mysteriösen großartigkeit teilen. aber - alone again.“ Hans Werner Henze hat (auch schon sehr lange her) auf die Frage: Wo stehen wir heute? geantwortet: „Die Frage kann nur so beantwortet werden: Jeder steht an einer anderen Stelle. Für sich allein.“
Hier, ich hab‘ noch was aus der Plattenkiste gezogen: Was kommt raus, wenn ethnic music im Reich‘schen Sinne gemixt wird mit ethnic music im traditionellen Sinne? Antwort: Congo Deep. Widerstand zwecklos. in halluzinatorischen Momenten bilde ich mir ein, Manu Dibangos Saxophon darin zu erkennen. Viel Freude damit!
PS: Übrigens, auf Ihre Latin-House-Tracks freue ich mich jetzt schon.