Lemmy Caution (Gast) - 23. Feb, 21:38

Spaniens Arbeitslosigkeit sei bereits von acht auf 14 Prozent geschnellt und werde bis Ende des Jahres wahrscheinlich auf 18 Prozent steigen. »Das muss eine junge Demokratie erst einmal aushalten können«, so der Harvard-Politologe.
... die lag Anfang der 90er bei über 20%.
edit: auch mit einigen stunden abstand wird das bild kein stück besser. sicher, das kapitalistische system hat bereits bei seinem ganz normalen funktionieren ständig krisen erzeugt, die in vielen weltregionen zu einer dauerhaften anomie
Der Kapitalismus hat sehr vielen Menschen eine Menge Wohlstand und vor allem auch persönliche Freiheit beschert.
Wo sind denn die Alternativen?
Nord-Korea? Kuba? Venezuela?

monoma - 23. Feb, 22:08

capitalism sucks

... die lag Anfang der 90er bei über 20%.

nehme ich mal als real an, weil ich´s grad nicht nachprüfen kann - aber selbst wenn, so vollzog sich das in einem ganz anderen ökonomischen umfeld - ob sich selbst hohe erwerbslosenraten als ernsthaft destabilisierend auswirken, hat viel damit zu tun, ob sich die leute für sich noch eine perspektive ausmalen können bzw. eine solche ihnen überzeugend suggeriert wird. damit sieht`s heute eben etwas anders aus.

Der Kapitalismus hat sehr vielen Menschen eine Menge Wohlstand und vor allem auch persönliche Freiheit beschert.

der satz ist unvollständig:

"der kapitalismus hat einigen (im verhältnis zur weltbevölkerung) weißen menschen eine menge wohlstand (den diese rücksichtslos auf kosten der ökosphäre, ihrer kindeskinder und vor allem der ausplünderung ganzer regionen und kontinente unter zwangsläufigem verlust jeglicher authentisch menschlicher und nicht marktkonformer eigenschaften zusammengerafft haben) und vor allem auch persönliche freiheit - nämlich die, zwischen 33 sorten waschmittel, 445 fernsehkanälen und 17635 handyklingeltönen zu wählen - beschert (wobei diese "freiheit" einzig dann vorhanden ist, wenn jemand eigentümer - sei´s von produktionsmitteln und/oder großen mengen geld - ist. mit weniger barschaft gibt´s auch weniger von dieser "freiheit".)

ja, ganz klasse sache, dieser kapitalismus. find ich auch. das einzige totalitäre system, das es bisher geschafft hat, sich die entsprechenden menschentypen zumindest ansatzweise heranzuzüchten, an der spitze die völlig systemkonformen soziopathen. respekt.

Wo sind denn die Alternativen?

whaa! erst hauen die vom kapitalfetisch besessenen irren so ziemlich die gesamte menschliche sozialität in klump, in dem sie alles und jeden in den warenförmigen verdinglichungsmodus befördern, dann kommen ihre fans beim fälligen crash auch noch an und stellen scheinheilige fragen - man, man, man!

über alternativen werde ich mit dir garantiert nicht reden, weil du dafür aus meiner sicht nicht mal annähernd die grundvoraussetzung besitzt - und die liegt darin, nicht wie ein papagei den blödsinn von "der-besten-aller-welten(TM)" zu wiederholen, sondern mal ernsthaft wahrzunehmen, was dieses glorreiche system in der realität ist und was es tag für tag anrichtet.
Camus (Gast) - 23. Feb, 22:16

In Kölle

"ihr eigenes land befindet sich im ebenfalls im stadium des rapiden sozioökonomischen zerfalls"

Tja auch wenn man das sicher mit Vorbereitungen auf staatliche Repressionsmaßnahmen erklären könnte, so hat mich doch ein Komentar des Kölner Polizeipräsidenten im Standanzeiger nachdenklich gemacht. Dieser spricht von "hooligan-artigen" Zuständen beim diesjährigen Karneval und einer Verdreifachung der Gewaltdelikte (gegen über 2008 wo es schon eine Verdoppelung gab). Zu mindestens die erste Zwischenbilanz, die letzten beiden Tage soll es sich aber etwas ruhiger zu getragen haben.
Insgesamt deckt sich das auch mit meinem gefühlten Erleben, und der Frequenz der Martinshörner/Rettungswagen hier in der Stadt...
Wednesday - 24. Feb, 06:40

> Der Kapitalismus hat sehr vielen Menschen eine Menge Wohlstand und
> vor allem auch persönliche Freiheit beschert.

Der Satz ist richtig, trotz Deiner auch richtigen Ergänzungen, Mo. Ohne Kapitalismus gäbe es die gewaltigen Fortschritte zB in der Lebensmittelindustrie nicht, nicht in der Medizin.

Auch nicht in der Rüstungsindustrie, ja, und trotzdem hat der Kapitalismus nebenher auch demokratisiert. Seine größte Wohltat war vielleicht, den Einfluss der Kirchen einzuschränken.

Man kann seine Vorzüge anerkennen, ohne scheinheilig oder irre zu sein.

Ciao
W.
monoma - 24. Feb, 08:44

w-day, das halte ich für einen populären irrtum...

...aber dazu heute abend mehr.
monoma - 25. Feb, 16:49

so, eigentlich wäre dafür mal ein eigener beitrag fällig...

...aber momentan muss die kurzversion reichen:

"Ohne Kapitalismus gäbe es die gewaltigen Fortschritte zB in der Lebensmittelindustrie nicht, nicht in der Medizin."

erstens schwingt mir dabei etwas zu sehr die vorstellung von der "notwendigen konkurrenz" mit, ohne die es weder "innovation" noch "fortschritt" geben würde. das halte ich für den ersten mythos, weil dabei untergeht, dass sich diese art der ökonomischen organisation keinesfalls auf irgendwelche scheinbaren anthropologischen konstanten alá "der mensch ist faul, gierig und egozentrisch" berufen kann, sondern sich innerhalb von gesellschaften entfaltet, die bereits schwere schädigungen innerhalb ihrer sozialstrukturen aufweisen - stichwort traumatische ökonomie.

zweitens waren diese fortschritte keinesfalls der zweck an sich, sondern eher inkauf genommene nebeneffekte (solange sie sich gut vermarkten lassen, was sofort überleitet zu)

drittens: diese fortschritte sind bekanntlich nur gegen geld zu haben und damit ausdruck der tatsache, dass die kapitalisten prinzipiell bereit sind, menschen ohne eigentum/geld als müll zu betrachten, dem nur das notwendigste zum überleben zugestanden werden muss ( hier im westen - woanders wird der menschenmüll seinem tödlichen schicksal überlassen).

ganz abgesehen von der frage, welche gesellschaftlichen und ökologischen konsequenzen diese art fortschritt inzwischen zeitigt.

viertens: jede, aber auch wirklich jede tatsächliche verbesserung der sozialen situation musste gegen den kapitalismus erkämpft und durchgesetzt werden. jetzt in der krise wird eher wieder sichtbar, wie der wa(h)re(n) charakter des systems wirklich aussieht - das haben wir hier im westen in den letzten jahrzehnten u.a. dank des machtpolitischen patts durch den östlichen staatsmonopolismus nur nicht so zu spüren bekommen - es ist im kern die ordnung der mafia, die die kapitalistischen prinzipien am deutlichsten zum ausdruck bringt. antisozial im quadrat, und den soziopathen als kapitalistischen idealtypus erwähne ich nicht zufällig immer wieder - er ist das tatsächlich.

es gibt von lem eine nette kurzgeschichte über einen planeten mit sehr kleiner eigentümerkaste und großer armer bevölkerung, auf dem die örtlichen gesetze vorsahen, dass niemandem gegen seinen willen irgendetwas geschehen durfte. unter der prämisse dieses gesetzes führte das am ende als lösung einer krise der profitakkumulation der eigentümer dazu (die bevölkerung war bereits ausgepresst wie eine zitrone und am verhungern, durfte aber nicht gegen den in den verhältnissen manifestierten willen der eigentümer verstoßen), dass eilig konsumierende roboter konstruiert wurden, die dann das zeug aus den fabriken verkonsumierten, bis die eigentümer alleine auf einem leeren planeten auf bergen von reichtum hockten. fiction?

...und trotzdem hat der Kapitalismus nebenher auch demokratisiert. Seine größte Wohltat war vielleicht, den Einfluss der Kirchen einzuschränken.

ersteres nur auf druck, und ebenfalls wird durch die krise heute wieder nur mal sichtbar, was "demokratie" in diesem system bedeutet - eine simulation von "mitspracherecht".

und er hat die fiktionen religiösen typs lediglich durch seine eigenen, ebenfalls religiös anmutenden fiktionen von "eigentum" und "freien märkten" ersetzt.
Wednesday - 7. Mär, 17:36

Herrschaft

> erstens schwingt mir dabei etwas zu sehr die vorstellung von der "notwendigen
> konkurrenz" mit

Das schwingt bei Dir mit, weil Du davon ausgehst, daß ich davon ausgehe? Du sitzt auf einem hohen Roß, und ich empfinde Deine Antwort als eine Unverschämtheit, weil Du so schreibst, als müsste man mir die Marktwirtschaft erklären. Vielleicht hast Du eher Nachholbedarf als ich. Vielleicht aber auch nicht, weil Du andere Zielsetzungen hast und Dich deshalb eher mit den aktuellen Auswirkungen und der Psychologie des Systems als mit der Geschichte des Kapitals auseinandersetzt.

Nein, es geht mir um die materiellen Grundlagen, die der globalisierte Warenverkehr, die Marktwirtschaft, die seit der Antike fort- und fortentwickelte Bürokratie, der "Kapitalismus" geschaffen haben, und diese materiellen Grundlagen ermöglichten erweiterte Anbau- und Zuchtmöglichkeiten und verbesserte Lagerung von Lebensmittel, ermöglichten zielgerichtete Forschung, Befreiung von Aberglaube, Befreiung der Geschlechter, des Kindes, der Künste etc. Hätten unsere Vorfahren das ohne "Herrschaft", ohne "Hierarchie" geschafft, müssten wir uns heute wahrscheinlich nicht die Köpfe heißschwätzen.

Ich verstehe Deine Argumentation so, daß Du auf die Auswirkungen des späten Kapitalismus abzielst (->"Nebeneffekte", "Mensch als Ware" etc.). Fragt sich, worüber wir überhaupt streiten, wenn wir über "Kapitalismus" reden.

Ich rede von der allmählichen Entwicklung der Marktwirtschaft ab der Verbreitung des Christentums - ohne dessen unvorstellbar grausamen Raub- und Eroberungszüge in Tateinheit mit der Verdrehung der ursprünglichen christlichen Lehre (nein, ich bin nicht gläubig) durch die katholische Kirche (und der späteren Pervertierung zB der Ware Arbeit durch div. protestantische Lehren) hätte es eine andere Entwicklung der europäischen Gesellschaft gegeben, aber welche, das kann naturgemäß keiner sagen, also sei die Spekulation darüber der Dichtung überlassen.

All das, was Du als "Kapitalismus" beschreibst, sind seine Auswirkungen der letzten ca. 200 Jahre. Daß ich nur Ware bin und nur was "wert" bin, solange ich Geld besitze oder meinen Körper, um diesen irgendwie (egal wie, Kapitalismus ist ja völlig unmoralisch, da sind wir uns immerhin einig) in Geld zu verwandeln, das ist mir bewusst, so wie mir mehr als den meisten Menschen um mich herum bewusst ist, daß die Wohnung, die ich bewohne, nicht aus Mildtätigkeit oder gar Nächstenliebe gebaut wurde und an mich vermietet wird, sondern weil der Vermieter einzig und allein an der zu zahlenden Miete interessiert ist. Genauso wie die Bäckerin so was von scheiß freundlich ist, solang ich das Brot bei ihr kaufe, anstatt es ihr zu klauen - oder woanders einkaufe. Ich bezahle nicht nur das Brot, sondern auch ihre geschäftsmässige Freundlichkeit. Das weiß ich; ich weiß aber auch, daß NIEMAND behaupten kann, daß es ohne der Entwicklung der Warenwirtschaft, des internationalen Handels und der Geldwirtschaft einen sog. Nahrungsmittelüberschuss (denn er wäre kein Überschuß, wenn man Nahrungsmittel nach Bedarf verteilen würde) gäbe, der, würde man ihn nicht - wie es, systemimmanent, geschieht - den Armen und Ärmsten vorenthalten, ALLE Menschen gleichwertig versorgen könnte, und diese Möglichkeiten, die der Kapitalismus geschaffen hat, nenne ich seine Vorteile. Ohne dabei auszublenden, daß er gleichzeitig, weil es zu seinem Wesen gehört, die Verteilung verknappt oder unterbindet, um sich selbst zu erhalten.

Ich unterliege den Fiktionen, die Du beschreibst, nicht. Und jetzt geh ich was Feines kochen.

Ciao,
W-Day
demon driver - 7. Mär, 18:23

Kapitalismusanalyse zwischen antikapitalistischer Ideologie, historischer Wahrhaftigkeit und kapitalismusideologischer Apologetik

Solche Diskussionen sind wohl vor allem deswegen so schwierig, weil Sätze wie die des Herrn Caution, "der Kapitalismus hat sehr vielen Menschen eine Menge Wohlstand und vor allem auch persönliche Freiheit beschert", so gerne von kapitalistischen Ideologen zur Apologetik der kapitalistischen Menschheitsverbrechen und der Politik ihrer ungebremsten Fortsetzung vewendet werden, um weiter dogmengleich die vermeintliche Alternativlosigkeit des Kapitalismus postulieren zu können, und das selbst dann noch, wenn jeder, der Augen hat, den Abgrund längst sehen könnte, in den er die ganze Welt zu reißen im Begriff ist, mitsamt denen, die heute noch meinen, weiter auf "Wohlstand" und "Freiheit" hoffen zu können.

Dabei ist es an und für sich und eben auch unabhängig von der Frage, ob andere, nichtkapitalistische Rahmenbedingungen und Konstellationen Ähnliches oder noch Besseres hätten erreichen können, doch völlig unzweifelhaft, dass das immerhin vorhandene Niveau der gesellschaftlichen, sozialen, medizinischen, materiell-lebensqualitativen Existenzbedingungen, das zumindest für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung erreicht wurde ("zu welchem Preis!", wird gerufen - ja, zu welchem Preis!, aber eben doch erreicht wurde), durch das Erreichen eines Produktivitätsniveaus ermöglicht wurde, welches direkte Folge der in der kapitalistischen Produktions- und Wirtschaftsweise angelegten Mechanismen ist.

Was ja auch Marx schon klar gewesen war, der den geeigneten Zeitpunkt zur Überwindung des Kapitalismus dann gekommen sehen wollte, wenn zuvor eben mithilfe des Kapitalismus ein ausreichendes Produktivitätsniveau erreicht wurde.

Was uns dann aber auch spätestens heute doch zu dem Schluss führen sollte, dass eine funktionierende Organisation globaler Ressourcen- und Güterverteilung bei dem /heute/ erreichten Produktivitätsnivau wirklich niemanden mehr hungern lassen müsste. Und dass das Mittel dazu nicht mehr Kapitalismus heißen kann, der sich seit Jahren von diesem Ziel wieder immer weiter entfernt. Aber da sind wir uns hier mit Ausnahme der eingefleischtesten Kapitalismusapologeten ja sicherlich einig.

Grüße,
d. d.

[Edit 07.03. 19:10: allgemein lebensqualitativ -> materiell-lebensqualitativ]
monoma - 9. Mär, 17:12

nö.

Das schwingt bei Dir mit, weil Du davon ausgehst, daß ich davon ausgehe?

nein. was mich bei deiner position stört, ist einfach die - für mich! - durchschimmernde implikation der alternativlosigkeit des kapitalismus für die sog. zivilisatorische entwicklung. das bestreite ich, und nichts anderes. vermutlich habe ich mich diesbezgl. zu undeutlich ausgedrückt.
Wednesday - 9. Mär, 18:12

"Meine Position"? Tatsache ist, daß die Geschichte der Marktentwicklung so verlaufen ist, wie wir sie heute betrachten können. Das heißt nicht, daß es nicht grundsätzlich keine Alternative gegeben hätte, aber es ist überflüssig, sich da was zusammenzudichten, denn es hat sich kein alternatives Gesellschaftsmodell durchsetzen können.

Und warum nicht?

Weil sämtliche Versuche alternativer Gesellschaftsmodelle mit großer Gewalt zerschlagen worden sind. Na sowas! Was an Gesellschaftsformen außereuropäisch vernichtet worden ist, wissen wir zum großen Teil, kaum eine hat aber meines Wissens ohne Repressalien gegenüber einzelnen oder Gruppen Bestand gehabt. Die anscheinend lebensfreundliche Form des Zusammenlebens von San sind eher Ausnahme als Regel.

Spekulationen über weit zurückliegende Vergangenheit machen für die wissenschaftliche Betrachtung der Entwicklung dessen, was sich letztendlich durchgesetzt hat, also Kapitalismus bzw. Staatskapitalismus, sehr wenig Sinn.

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