notiz: krisennews und -gedanken (23)

zur einleitung gibt´s heute mal etwas aus der "welt", die sich seit letzter woche - ähnlich wie die "faz" - mit einem grundsätzlichen artikel unter dem aufhänger der untauglichkeit der konjunkturprogramme inzwischen auch höchst systemanzweifelnde tendenzen leistet:

(...)"Längst besteht kein Zweifel mehr daran, dass die Welt den gewaltigsten ökonomischen Erdrutsch seit 80 Jahren erlebt. Und allein sein bisheriger Verlauf lässt darauf schließen, dass die Krise, zumal in ihrer sozial-gesellschaftlichen und politischen Dimension, noch gar nicht richtig begonnen hat.(...)

Der US-Pulitzer-Preisträger Thomas L. Friedman sagt: "Wir sollten uns von dieser Vergangenheit verabschieden. Wir können uns eine Zukunft, die aussieht wie die Vergangenheit, nicht leisten." Recht hat er. Nur leider hört niemand auf ihn. Stattdessen versuchen Politiker weltweit nichts anderes, als die Krise mit den Methoden der Vergangenheit zu bewältigen und riskieren damit vielleicht alles."


ein treffender satz - "wir können uns eine zukunft, die aussieht wie die vergangenheit, nicht leisten". auch, wenn ich ihn vermutlich anders verstehe und weiter fasse als ein "welt"-redakteur, so kann er doch gut als motto über den heutigen news stehen, die da wären:
  • italien: massendemonstrationen und -streiks gegen krisenfolgen und regierungspolitik
  • frankreich: neuer generalstreik geplant / laufend proteste gegen bildungspolitik im zeichen der krise / generalstreiks in den französischen überseekolonien
  • deutschland: erste (?) größere gewerkschaftsdemonstration gegen krisenfolgen in hamburg
  • deutschland: innergewerkschaftliche kritik an den positionen der führungsfunktionäre
  • deutschland: aufruf zu den bundesweiten märzdemonstrationen veröffentlicht
  • usa / kalifornien: de-facto-bankrott befreit knastinsassen
  • aus den abgründen des finanzsystems: was sind eigentlich "credit default swaps"?
  • und was sind "abs" und "cdo"?
  • "europa am rande der depression"
*

für den vergangenen freitag hatten etliche große gewerkschaften in italien zu einem protest- und streiktag aufgerufen - und es ist
einiges losgewesen:

(...)"Mit Streiks und Demonstrationen haben hunderttausende Italiener am Freitag gegen die Regierung von Silvio Berlusconi protestiert und ein soziales Netz gegen die Krise verlangt. Unter einem Meer roter Fahnen forderten die Demonstranten "Arbeit für alle".

Allein in Rom reihten sich nach den Angaben der Organisatoren 700.000 Menschen bei drei Demonstrationszügen ein. Italiens stärkste Gewerkschaft CGIL hatte zu den Arbeitsniederlegungen aufgerufen, an denen sich Lehrer, Staatsbeamte und Metallarbeiter beteiligten. Von Gewerkschaftsseite wird der Mitte-Rechts-Regierung in Rom vorgeworfen, nur unzulänglich mit sozialen Maßnahmen auf die schwere Wirtschaftskrise zu antworten. Auch in anderen Städten gab es Großdemonstrationen gegen Berlusconi."(...)


das "meer von roten fahnen" ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen, wie das folgende video zeigt - kann hier übrigens jemand italienisch und vielleicht kurz die statements zusammenfassen?



nicht nur die erwähnten branchen bzw. dienste, sondern auch das motto "arbeit für alle" - zu dem es ja nun etliches anzumerken gäbe - machen meiner meinung nach deutlich, dass hier die gewerkschaften tatsächlich ihre "kerne" mobilisiert haben - interessieren würde mich dabei, ob es auch eine art schulterschluß mit den ebenfalls in den letzten monaten protestierenden schülerInnen / studentInnen gibt? und wo ist die in italien immer noch relativ starke radikale linke in diesen konfrontationen? wenn sich alle beteiligten zur abwechslung erstmal unter einem minimalkonsens bezgl. der krise finden könnten, würde ich italien ebenso wie frankreich als erste kandidaten für soziale massenbewegungen ansehen, die tatsächlich einiges an gegenmacht entwickeln könnten - in beiden ländern gibt es dafür jedenfalls ausreichend
gründe:

(...)"In Rom zogen Hunderttausende in zwei riesigen Demonstrationszügen unter roten Fahnen auf die zentrale Piazza San Giovanni im Herzen der Hauptstadt. »Italien erlebt einen sozialen Notstand, auf den die Regierung Berlusconi nur mit unzulänglichen Maßnahmen reagiert hat. Immer mehr Werke werden dichtgemacht, die Arbeitnehmer werden auf Kurzarbeit gestellt, überall wächst die Verzweiflung und die Wut«, sagte FIOM-Sprecher Gianni Rinaldini.

Besonders schwierig sei die Lage der vielen Arbeiter mit unsicheren Arbeitsverhältnissen. Über 600 000 Menschen mit befristeten Arbeitsverträgen könnten im Laufe dieses Jahres den Job verlieren, warnte die CGIL. Der Generalsekretär der kommunistischen »Rifondazione Comunista«, Paolo Ferrero, appellierte an die CGIL, gemeinsame eine starke Opposition in Italien aufzubauen. »Wir müssen die Rechte der Arbeiter in dieser schweren Krise verteidigen und wollen dabei die CGIL unterstützen«, so Ferrero."


*

währenddessen scheinen große teile der französischen sozialen bewegungen, incl. der gewerkschaften, auf den geschmack der rebellion gekommen zu sein - dazu braucht es bei unseren nachbarn bekanntlich und erfreulicherweise auch nicht viel, und mit einem sarkozy an der spitze gibt´s auch jemanden, der es immer wieder schafft, durch seine narzißtische ader noch weiteres öl ins feuer des allgemeinen unmutes zu gießen - der folgende
bericht gibt einige fundierte einblicke in die aktuelle soziale situation:

"Die französischen Gewerkschaftsverbände rufen, nach der gelungenen Mobilisierung vom 29. Januar, zu einem neuen Streik—und Aktionstag am 19. März auf. Reichlich spät, wie Viele finden. Doch in der Zwischenzeit halten der Arbeitskampf der Hochschullehrer (inzwischen mit Unterstützung der Studierenden), der Generalstreik auf den französischen Karibikinseln Guadeloupe & La Martinique und andere Ereignisse den sozialen Druck aufrecht. Die Regierung darf sich in den kommenden Wochen warm anziehen.(...)

„Glauben Sie, dass meine Arbeit einfach ist?“ fragte er die Journalisten- die Nachrichtensprecher der beiden größten französischen Fernsehanstalten, Laurence Ferrari von TF1 und David Pujas von France2 - die ihm anderthalb Stunden lang vorher ausgewählte und abgesprochene Fragen stellen durften. 15 Millionen Zuschauer verfolgten die Sendung.

Ob die Übung aber Erfolg hatte, ist eine offene Frage. Laut ersten Umfragen zeigen sich nur rund 35 Prozent der Franzosen von seinem Auftritt überzeugt, über die Hälfte der Befragten erklären das Gegenteil - außer in einer Auftragsstudie für die konservative Tageszeitung Le Figaro, die eine gegenläufige Tendenz belegen soll. Und zudem ergab eine am Montag publizierte Befragung, dass 53 Prozent sich derzeit bereit zeigen, „einer sozialen Bewegung zu folgen“, also beispielsweise in den Streik zu treten."


das ist auch so eine der vermutlich vielen regierungen, die sich am liebsten eine neue bevölkerung wählen würden. aber da das nur in den alpträumen der "eliten" möglich ist, muss sich sarkozy zwischenzeitlich damit beschäftigen, sich mit den folgen seiner absichten
auf den straßen zu konfrontieren:

(...)"Mehr als 40.000 Studenten, Forscher und Professoren haben am Dienstag in Paris und weiteren französischen Städten gegen umstrittene Bildungsreformen der Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy protestiert. Allein in der Hauptstadt versammelten sich nach Polizeiangaben 17.000 Demonstranten. Gewerkschaften gaben die Teilnehmerzahl der Proteste im ganzen Land mit 100.000 an, die Behörden sprachen von 43.000 Menschen.

Auslöser der Demonstration war eine Änderung des Statuts von Wissenschaftlern, was zu einer Beschneidung der Forschungstätigkeit führen könnte. Viele Studenten und Lehrer schlossen sich den Protesten aus Unzufriedenheit mit der Bildungspolitik der Regierung an."(...)


es ist einerseits - wie in italien - auch hier zu konstatieren, dass die krise längst in den gesellschaftlichen und ökonomischen kernbereichen angekommen ist und ihre - aus regierungssicht unabänderlichen - folgen dort auch exekutiert werden sollen, was in beiden ländern augenscheinlich in großer breite massiven widerstand mobilisiert. andererseits sehe ich bei diesen und auch anderen protesten das hauptproblem darin, dass die bedeutung der krise als symbol und symptom nicht nur für das bevorstehende ende einer art der ökonomie, sondern auch für das ende des westlichen "way of life", bisher überhaupt nicht - jedenfalls nicht wahrnehmbar - thematisiert wird. so sympathisch und für notwendig ich die meisten streiks und demos bisher empfinde und halte, so bedenklich finde ich doch die tendenzen zur besitzstandswahrung gerade in branchen wie der autoindustrie, aber auch von seiten der öffentlichen dienste. sozioökonomisch erträgliche verhältnisse für alle zu fordern, ja, das ist nötig. aber darüber hinaus auch zu sagen, dass gerade europa und die usa generell und systemisch nicht über ihre, sondern primär über die verhältnisse des planeten gelebt haben - auf kosten und zum schaden der großen mehrheit der weltbevölkerung -, also diese realität und ihre konsequenzen wahrzunehmen, aufzuzeigen, zu thematisieren und vor allem deutlich zu machen, dass die diesbezgl. nötigen strukturellen massiven veränderungen letztlich auch für den großteil der menschen hier von vorteil und im eigenen interesse wären - das ist aus meiner perspektive erst der schritt, mit dem tatsächlich die systemfrage gestellt werden würde. als indiz für den jeweiligen stand der entwicklung eines solchen bewußtseins würde ich die ausbreitung von nationalistischen und rassistischen tendenzen in den europäischen ländern betrachten - wenn es gelingt, die möglichst klein zu halten, wäre das aus meiner sicht ein erstes zeichen dafür, das zumindest ein paar grundbedingungen dafür vorhanden sind, die erwähnten schritt überhaupt als realistische option zu betrachten.

und unter den obigen aspekten finde ich auch die folgenden entwicklungen, ebenfalls im bericht beim labournet enthalten, ziemlich interessant:

(...)"So wird die französische Karibikinsel Guadeloupe seit dem 20. Januar durch einen Generalstreik in Atem gehalten. Gefordert wird u.a. eine wirksame Armutsbekämpfung, die Erhöhung des Mindestlohns und eine Aufwertung aller Tieflöhne um 200 Euro. Am gestrigen Donnerstag (12. Februar) brachen die Gewerkschaften die Verhandlungsrunde mit den Unterhändlern der Regierung ab, „weil diese keine Ahnung haben und ihr Dossier nicht kennen“. Inzwischen hat der Generalstreik auch auf die andere französische Antilleninsel La Martinique, und in Ansätzen fern auch auf einen weiteren französischen „Überseebezirk“ - La Réunion im Indischen Ozean - übergegriffen."(...)

auch dort regt sich die vom eurozentrischen blick gerne vergessene "peripherie" also wahrnehmbar. falls jemand mehr informationen über die dortigen sozioökonomischen verhältnisse hat, wäre vermutlich nicht nur ich über entsprechende anmerkungen erfreut.

*

kommen wir zur eigenen haustür. gibt es inzwischen vielleicht erste
anzeichen für eine langsame lockerung der kollektiven hiesigen apathie?

(...)"Bereits am Donnerstagabend marschierten 1.500 GewerkschafterInnen durch die Hamburger City. "Schließt das Finanzcasino - in Arbeit, Bildung und Zukunft investieren", lautete das Motto des DGB-Marsches. "Finanzcasinos schließen heißt Kapitalismus überwinden", setzte die Gruppierung Jour Fix der Gewerkschaftslinken drauf. "Sachdebatten und Fachvorträge, die wir in den vergangenen Monaten vielfach hatten, können die demokratischen Aktionen, die Willensäußerungen in der Öfentlichkeit nicht ersetzen", sagte DGB-Chef Erhard Pumm vor der Finanzbehörde "Wir gehen auf die Straße, weil wir politischen Druck machen wollen, gegen die sozialen Ungerechtigkeiten, die sich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise noch zu verschärfen drohen."

Für die Bezirksleiterin der IG Metall Küste, Jutta Blankau, muss Schluss sein mit dem "neoliberalen Geschwafel". " Wir setzen ein Zeichen gegen soziale Spaltung." Manager von Banken müssten die Grenzen aufgezeigt werden, notfalls durch Verstaatlichung. Ver.di Landeschef Wolfgang Rose stellte sogar die Haltung der Gewerkschaften in der Lohnpolitik in Frage."(...)


die überaus nötige stellungnahme aus der gewerkschaftslinken ist in den kommentaren
hier nachzulesen, und es sind klare und deutliche worte an die funktionäre - auszug:

(...)"Wir unterstützen Sommer und den DGB dabei, daß wegen der Krise niemand entlassen wird, daß die „Aufgaben der Daseinsvorsorge“ nicht privatisiert und die Arbeitslosen, die Alten und die Alleinerziehenden geschützt werden! Sobald der DGB den ersten Schritt tut zur Verwirklichung dieser Ziele und nicht nur redet, sind wir die ersten, die sich einreihen bei den Auseinandersetzungen – trotz aller sonstigen Kritik an der Ideologie von Michael Sommer und anderen Gewerkschaftsführern.

Bei der Schaffung einer neuen Grundlage zwischen Kapital und DGB müssen wir Michael Sommer allerdings allein lassen, auch seiner Forderung nach einer „Marktwirtschaft für Menschen“ (Rede am 22.1.09) können wir allerdings nicht beipflichten. Was heute „Marktwirtschaft für Menschen“ genannt wird hieß früher: Dem Kapitalismus ein „menschliches Antlitz“ zu geben oder ihn zu „zähmen“, noch früher „Arzt am Krankenbett des Kapitalismus“ zu sein (1931 Gewerkschaftsführer Tarnow auf SPD-Parteitag). 75 Jahre nach dem Überfall auf die Gewerkschaftshäuser in Deutschland wurde am 2. Mai 2008 im Hamburger Gewerkschaftshaus dieser schändlichen Tat gedacht. Wenn auch heute noch einem Kapitalismus gesucht wird, der den Menschen dient, die Fiktion aufrecht erhalten wird, das Verhältnis zum Kapitalismus auf eine neue Grundlage stellen zu können, so ist es nicht schwer, vorauszusagen, daß auch dieser Versuch wieder scheitern und in einer Niederlage enden wird. Diesmal aber werden keine Schlägertrupps der SA wie am 2. Mai 1933 notwendig sein, weil die Gewerkschaftsführungen dabei sind, selbst die Gewerkschaften zu zerstören, indem sie sich weigern, den Kampf um eine antikapitalistische Gesellschaftsordnung aufzunehmen."(...)


es ist jetzt schon absehbar, dass nicht nur die deutschen gewerkschaften, sondern all jene, die sich mittels der fiktion der "sozialpartnerschaft" um die wahrnehmung des klassenkampfes von oben gedrückt haben, im weiteren verlauf der krise vor echten zerreißproben stehen werden. aber das ist und war auch überfällig.

*

währenddessen zeichnet sich für die außerparlamentarische und radikale linke ab, dass die beiden seit längerem angekündigten demonstrationen in berlin und frankfurt/m. nicht nur ein ernstzunehmender test für die eigenen mobilisierungsfähigkeiten werden, sondern auch zeigen könnten, wieweit sich meine weiter oben bezgl. frankreich und italien formulierten gedanken bezgl. der inhaltlichen ausrichtung des jetzt nötigen widerstands tatsächlich aktuell umsetzen lassen. dieses fazit ziehe ich v.a. aus der betrachtung des jetzt vorliegenden
aufrufes:

(...)"Der Kapitalismus steckt in seiner schlimmsten Krise seit 1929. Sie hat verschiedene Gesichter: die Beschleunigung des Klimawandels, Kriege um den Zugang zu Rohstoffen, Hungerrevolten, Finanzmarkt-Crash und Rezession. Ausgehend von den Industrieländern wird auch der globale Süden hart getroffen, weil noch weniger Mittel für Klimaschutz und Entwicklung bleiben, und weil die globale Konkurrenz um Märkte und Profit noch brutaler zu werden droht. Millionen Menschen verlieren ihre Arbeit, ihre Wohnungen und ihre Lebensperspektiven.


demoplakat 28maerz

Zeit für Systemwechsel - Für eine solidarische Gesellschaft


Die Entfesselung des Kapitals und der erpresserische Druck der Finanzmärkte haben sich als zerstörerisch erwiesen. Ein anderes Weltwirtschaftssystem ist nötig. Eines, das Mensch und Natur dient; das auf den Prinzipien globaler Solidarität, ökologischer Nachhaltigkeit und demokratischer Kontrolle aufbaut. Dazu gehört, dass Bildung, Gesundheit, Alterssicherung, Kultur und Mobilität, Energie, Wasser und Infrastruktur nicht als Waren behandelt werden, sondern als gesellschaftliche Leistungen, die allen Menschen zur Verfügung stehen müssen."(...)


weder wird die krisenkaskade noch die nötige globale sichtweise und ausdrückliche benennung des trikonts vergessen, und das macht sofort die unterschiede bspw. zur "offiziellen" gewerkschaftlichen perspektive oben deutlich. deshalb ist es immerhin sehr erfreulich, dass im gegensatz zu einigen gewerkschaftsspitzen viele basisverbände mit zu den beiden demonstrationen aufrufen. und sich derart gleich zu beginn einer möglichen breiteren sozialbewegung deutlich positionieren.

*

zum neulich erwähnten kalifornischen quasi-bankrott gibt es noch eine konsequenz nachzutragen, die vermutlich von nicht direkt involvierten kaum jemand auf dem schirm hatte - und wenn sich das so umsetzt wie beschrieben, finde ich einen
grund zum mitfreuen zumindest mit all jenen gefangenen, die wg. vergleichsweiser lappalien - zb. sog. drogen- oder auch kleinen eigentums"delikten" - unter üblen bedingungen eingesperrt sind:

(...)" Kalifornien steht nicht nur vor dem Bankrott und ist mit einem Haushaltsloch von 42 Milliarden Dollar konfrontiert, auch die staatlichen Gefängnisse des Landes sind überfüllt. Weil die Verwahrung der Häftlinge katastrophal ist, gegen die Verfassungsrechte der Inhaftierten verstößt und sie in Zukunft aufgrund der Wirtschaftskrise schlimmer werden dürfte, hat nun ein Bundesgericht in einem vorläufigen Urteil angekündigt, dass Kalifornien ein Drittel aller Häftlinge aus den staatlichen Gefängnissen freilassen müsse. Nach Informationen der LA Times will die kalifornische Regierung dagegen Einspruch erheben.

Vor allem die medizinische und psychologische Versorgung der Inhaftierten sei aufgrund der Überfüllung völlig unzureichend, während die Ausbreitung von Krankheiten gefördert werde. Da es angesichts der Wirtschaftskrise und der Verschuldung des Bundesstaates keine Aussicht auf mehr Geld für die Gefängnisse gebe, sei die einzige Lösung eine massenhafte Entlassung. Die Gefängnisse wurden für eine Belegungskapazität von 85.000 Häftlingen gebaut, jetzt sind dort 158.000 eingesperrt. Weitere 170.000 Menschen sind in nicht-staatlichen Gefängnissen oder anderen Einrichtungen inhaftiert."(...)


das knastsystem der usa, aber auch hier, war ja schon öfter thema. und nicht nur unter den jetzigen skizierten bedingungen ist das quasi die einzig mögliche humane umgangsweise mit den folgen, die die krise innerhalb dieses kernbereiches des systems - seinem repressionsapparat - zeitigt. aus elitärer sicht natürlich eine katastrophe, und vermutlich werden auch etliche "normale" bürgerInnen schlecht schlafen. aber wenn die westlichen gesellschaften, bzw. in diesem fall ein us-bundesstaat, nicht auch noch die allerletzten reste ihrer demokratie- und humanitätssimulation aufs spiel setzen wollen (was vielleicht früher oder später sowieso passieren wird), bleibt ein solcher schritt die logische konsequenz. und wenn eine gesellschaft deshalb gezwungen sein sollte, sich mit den folgen ihrer "aus-den-augen-aus-dem-sinn"-praxis des wegsperrens aller delinquenten zu beschäftigen, finde ich das keinesfalls bedauernswert. knäste sind für nichts und niemanden eine wirkliche lösung.

*

themensprung: im verlauf der krise wurden alle interessierten beobachterInnen u.a. mit diversen esoterischen bezeichnungen von virtuellen und hochabstrakten "finanzprodukten" konfrontiert, die so virtuelle und abstrakt sind, das selbst die damit "professionell" beschäftigten am ende keinen rechten überblick mehr über das hatten, was sie da eigentlich wie sauerbier aller welt aufgeschwatzt haben. und wer könnte schon so aus dem stegreif erklären, was es bspw. mit den sog. "credit default swaps" auf sich hat? ich traue mir das jedenfalls erst nach ansicht des folgenden videos zu, welches sehr anschaulich - und tendenziell ein bißchen like-sendung-mit-der-maus - erklärt, was es mit diesen cds eigentlich so auf sich hat. und vor allem: warum sie auch unter dem namen "finanzielle massenvernichtungswaffen" bekannt sind:



und wo ich gerade dabei bin, möchte ich auf einen in meinen augen sehr aufschlußreichen
artikel hinweisen, der nicht nur sinn und funktion einiger analoger "finanzprodukte" wie "abs" und "cdo" erklärt, sondern generell etwas licht auf das treiben und die zusammenhänge wirft, die sich im schattenreich der "toxischen kredite" sowie der virtualisierten finanzwelt überhaupt in den letzten jahren abgespielt haben:

(...)"Zweifel an der Stimmigkeit seiner Welt kamen Kneißl erst allmählich. Der Aufbau der CDOs wurde fortwährend komplexer, bald gab es die CDO der CDO der CDO der CDO. "Ab der dritten oder vierten Verbriefung einer CDO haben wir nichts mehr gewusst." Dem Kreditfonds hätten Daten auf CD-ROM beigelegen, aber auch die seien nicht sehr ergiebig gewesen. "Wir haben nicht mal das Einkommen der Leute gekannt. Auf der CD stand nur die Bonitätsklasse und das Verhältnis Kreditsumme zu Immobilienwert. Der Rest war nicht gefragt." Immer weniger wussten die Banken, mit wem sie eigentlich Handel trieben. Das hauseigene Risk Office, so die Erfahrung von Kreißl, brachte wenig Licht ins Dunkel. "Da reicht man die CD an einen Junior-Analysten weiter, dem gibt man das Internet und die Yahoo-Finanzen und die Berichte der Rating-Agenturen von vor einem halben Jahr." Kneißl behauptet, der einfache Arbeiter in der internen Prüfung verfüge nicht über wichtige Quellen wie Bloomberg, das Börseninfosystem. Die BayernLB bestreitet dies. Auch die Wirtschaftsprüfer kritisierten die Zustände im Risk Office. Ein einziger Analyst sei für das gesamte "Subprime"-Portfolio von etwa 350 Wertpapieren zuständig. In ihrem Bericht bemängeln sie zu wenig Personal und veraltete Technik. Die BayernLB investierte ins Unbekannte. Eine Bank auf Autopilot."(...)

innenansichten aus einem winzigen teil eines verotteten systems.

*

und um Ihnen und mir jetzt den rest zu geben, besuchen wir zum schluß mal wieder die wirtschaftsquerschüsse, heute mit der erbaulichen botschaft:
europa am rande der depression - und die jüngsten zahlen zum absturz der europäischen ökonomien haben es wahrlich in sich. lesetipp!
elfboi (Gast) - 15. Feb, 13:10

Arbeit für alle?

Ich verstehe nicht, warum immer alle so versessen auf Arbeit sind. Wie wäre es mit "Zugang zu Ressourcen für alle" oder "gutes Leben für alle" oder sowas? Wenn Arbeit toll wäre, würden die Reichen uns nichts davon abgeben.

Sicher, es gibt Dinge, die müssen getan werden - aber warum bitteschön in Form von Lohnarbeit, dann auch noch mit Acht-Stunden-Tag?

Ganz abgesehen davon gibt es noch andere Gründe, warum wir uns das Leben der Vergangenheit nicht mehr leisten können - ökologische Gründe, ressourcenbedingte Gründe. Wir müssen die komplette industrielle und technologische Basis unseres Lebens neu erfinden und umkrempeln, wenn wir überleben wollen.

monoma - 15. Feb, 13:47

ich teile die kritik ja, habe ich nach meinem eindruck auch in diesem und früheren beiträgen deutlich gemacht.

aber mit den folgen der breiten akzeptanz von vermeintlichen "sachzwängen" in bezug auf lohnarbeit sowie der vorhandenen indoktrination von kindheit an, sich nur als arbeitenden bzw. "leistenden" menschen selbst als "vollwertig" wahrzunehmen, müssen sich doch alle bewegungen, die qualitativ und strukturell tatsächlich radikal sein möchten, herumschlagen. die beschriebenen demos in italien und frankreich drücken genau diesen entwicklungsstand aus, zumal sie noch von gewerkschaften und mehr oder weniger orthodoxen kommunistischen parteien organisiert worden sind, für die der fetisch lohnarbeit ein ganz zentraler und identitätsstiftender kern ist.

nichtsdestotrotz halte ich die aktionen vor dem hintergrund zwar für defensiv, aber in der derzeitigen situation auch für notwendig. wenn sich die krise so entwickelt, wie ich es mittlerweile einschätze, könnte die infragestellung von lohnarbeit = lebenssinn irgendwann in nächster zukunft sehr an gewicht gewinnen.
monoma - 16. Feb, 17:01

franz. kolonien - nachtrag

einen etwas genaueren bericht zu den erwähnten generalstreiks in den französischen übersee-kolonien möchte ich nicht unterschlagen:

(...)"Demonstranten auf der Karibikinsel Guadeloupe errichteten am Montag mehrere Sperren auf wichtigen Strassenverbindungen. Einsatzkräfte versuchten, die Strassensperren abzubauen, wie die Behörden mitteilten. «Die Protestbewegung erschöpft sich nicht, sondern weitet sich aus», erklärte die Dachorganisation LKP, die den seit vier Wochen dauernden Generalstreik in den französischen Verwaltungsgebieten anführt.

Offenbar wolle Frankreich Einwohner der Insel töten, erklärte die Organisation weiter, nachdem die Polizei am Wochenende Verstärkung aus dem Mutterland bekommen hatte.(...)

Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy hatte am Freitag angekündigt, er wolle «unverzüglich» einen mehrere Ministerien umfassenden Rat einsetzen, der sich mit der explosiven Lage auf den Karibikinseln befasst.

In den beiden französischen Verwaltungsgebieten, die vor allem vom Tourismus leben, steht das öffentliche Leben praktisch still, weil die Einwohner aus Protest gegen die teuren Lebenshaltungskosten im Generalstreik sind."

andi1789 (Gast) - 17. Feb, 16:32

Zum Video aus Rom

Von dem, was ich verstanden habe, geht es der CGIL in der Hauptsache um eine humanere Arbeit, um die Abschaffung von prekarisierten Arbeitsverhältnissen unter 600 Euro im Monat und Arbeitszeitverkürzungen.
monoma - 18. Feb, 01:58

danke für die info!

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