notiz: krisennews und -gedanken (28)

(...)"Die Auswanderung der Wohlhabenden ist ein globaler Trend. Wenn der Sozialismus beziehungsweise das Gemeinwohldenken gescheitert ist, wie man frivolerweise behauptet, bleibt der Asozialismus. Den diskutieren wir zumeist unter dem etwas höflicheren Begriff Individualismus, und zu dem bekennen wir uns meistens gerne. Aber was sind konsequente Individualisten? Es sind Menschen, die ein Experiment darüber veranstalten, wie weit man beim Überflüssigmachen sozialer Beziehungen gehen kann - und sie gelangen dabei zu erstaunlichen Fortschritten. Deswegen beginnt im Augenblick auf der Erde ein soziologisches Experiment, das in eine neue Art Menschheit münden könnte. Die Reichen sind zurzeit noch eine Klasse und keine Spezies, aber sie könnten es werden, wenn man nicht aufpasst.

Es dürfte zurzeit auf der Erde rund zehn Millionen Menschen in der Millionärs- und Multimillionärskategorie geben, dazu schon über tausend Milliardäre. Aus diesen Vermögenseliten bildet sich ein neues abstraktes Übervolk, das dieselben Eigenschaften aufweist, die man vom alten europäischen Adel kannte: Sie denken kosmopolitisch, sie reisen viel, sie leben mehrsprachig, sie sind gut informiert und beschäftigen die besten Berater, sie reden ständig über Beziehungen, Sport, Kunst und Essen. Beim Volksthema Sex bleiben sie diskret."(...)


dieses zitat von
peter sloterdijk lässt sich trefflich mit einigen ähnlichen diagnosen zur gesamtgesellschaftlichen situation abgleichen, die hier schon verschiedentlich thema waren. nur den asozialismus sollten wir von anfang an unter den schon gebräuchlichen bezeichnungen behandeln. in diesem zusammenhang finde ich auch sloterdijks bezugnahme auf den fetisch geschwindigkeit spannend, gehört diese doch letztlich untrennbar zum thema, was schon ein michael ende festgestellt hat. ich halte ja durchweg von "der philosophie" und ihren protagonisten nicht so wirklich viel und finde bei sloterdijk auch viel nebulöses zeug - aber inzwischen scheint sich die realität so deutlich selbst in diesen kreisen bemerkbar zu machen, dass zur abwechslung einmal situationsangemessenes gedacht wird. ich würde das allerdings nicht alleine auf die besitzende klasse beschränken, auch wenn es dort begründet zu einer häufung von schwer geschädigten persönlichkeiten kommt.

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  • global: wie die wirtschaftskrise den hunger explodieren lässt
  • global: müssen wir die Greatest Depression erleben?
  • usa I: "rally for new york" - 50.000 in new york city gegen haushaltskürzungen / demonstrationen im gesamten bundesstaat new york
  • usa II: krisenboom mit blut- und plasmaspenden sowie medikamententests
  • großbritannien: wildcat-bericht zur aktuellen situation
  • deutschland: gewerkschafterInnen kritisieren vorstände hinsichtlich der gewerkschaftlichen mobilisierung in der krise
  • in aller kürze: fertigsuppenhersteller sind krisenprofiteure / globaler seeschiffhandel und -bau wird voll erwischt / griechenland: neue anschläge / wirtschaftswissenschaften haben in der krise keine ahnung / fotoserie zur obdachlosigkeit in den usa / "wallraff was here" - reportage über obdachlosigkeit in d-land
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schon jetzt ist absehbar, dass die aktuelle krise mit am verheerendsten dort zuschlagen wird, wo bereits vorher die ausgelagerte kapitalistische dauerkrise als normalität herrschte: in den
elendszonen des planeten.

(...)"Die Finanzkrise hat die Ärmsten der Welt erfasst - weit stärker, als bisher angenommen. Laut dem Global Monitoring Report der Vereinten Nationen könnten in Folge der Krise zwischen 200.000 und 400.000 Kinder sterben. Es fehlten in den ärmsten Regionen der Welt einfach mehr und mehr Nahrungsmittel, so die Autoren der Unesco-Studie, Kevin Watkins und Patrick Montjourides. "Millionen von Kindern werden als Folge der Finanzkrise einen Schaden erleiden, der für lange Zeit nicht rückgängig gemacht werden kann", sagt Montjourides.

Insgesamt rechnen die Forscher damit, dass das Einkommen der 390 Millionen ärmsten Afrikaner um etwa 20 Prozent sinken wird. Das ist ein Vielfaches mehr als die negativsten Voraussagen für die westliche Welt. Die Hauptgründe dafür sind die abstürzenden Rohstoffpreise sowie ein massiver Einbruch bei den Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Wie es aussieht, wird die Wirtschaftskrise die weltweite Kluft zwischen Arm und Reich weiter vergrößern."(...)


von den betroffenen erwachsenen wird gar nicht erst geredet, was ich als unzulässig empfinde - auch, wenn die focussierung auf die kinder als verletzlichste gruppe ebenfalls im hinblick auf mangelernährungsbedingte schäden in ihrer entwicklung und die mittel- bis langfristigen negativen konsequenzen daraus verständlich ist.

(...)"Am härtesten von der Wirtschaftskrise betroffen sind der Unesco-Studie zufolge die Staaten Mosambik, Äthiopien, Mali, Senegal, Ruanda und Bangladesch. Auch die Wachstumsprognosen für andere Länder zeigen nach unten. Glaubt man den Prognosen des IWF, steht den meisten Schwellen- und Entwicklungsländern ein massiver Abschwung bevor.

Während die Europäische Union über Milliardenhilfen für taumelnde Staaten Osteuropas verhandelt, und die Vereinigten Staaten immer mehr Schulden machen, um ihr Wirtschafts- und Finanzsystem zu stabilisieren, gehen die Nöte der Ärmsten der Welt unter. In den Medien werden lediglich alle Rettungspakete für Banken analysiert, so Wissenschaftler Watkins. Jeden Tag eine neue Schlagzeile mit erschreckend vielen Nullen."(...)


bei aller nötigen besorgnis über die situation hier bzw. in europa darf das verschärfte elend keinesfalls vergessen werden. in den zonen massenmordet dieses system in aller offenheit, und das muss letztlich auch hier bei der nötigen grundsätzlichen umwälzung eine zentrale rolle spielen. ich bin´s jedenfalls leid, durch die immanenten systemzwänge ständig und tag für tag zum mittäter zu mutieren.

*

es scheint zu den charakteristischen merkmalen der jahre seit 1989 zu gehören, dass es nur so sog. historische momente hagelt und sich die superlative schon ordentlich abgenutzt haben. das gilt auch für die aktuelle weltwirtschaftskrise, die sich durchaus anschickt, ihre vorgängerin von 1929 in sachen monströsität in den schatten zu stellen - womöglich werden wir im rückblick von der
Greatest Depression reden müssen:

(...)"Obwohl die meisten Menschen die wirtschaftlichen Entwicklungen in den letzten 14 Monaten als sehr stürmisch empfunden haben, wird sich im Rückblick diese Zeit tatsächlich als Ruhe vor dem ganz großen Sturm herausstellen. Insbesondere in den USA häufen sich wieder die Signale, daß noch weitaus schlimmeres bevorsteht. Bank of America, Citigroup und AIG, der drittgrößte Versicherungskonzern der Welt, liegen im Wachkoma auf der Intensivstation, und nur der Tropf mit immer neuen Regierungshilfen hält sie am Leben. Früher oder später wird Washington jedoch durch die ökonomischen Realitäten gezwungen werden, den Stecker rauszuziehen. Das aber wird nicht nur den Exitus der amerikanischen Finanzgiganten bedeuten, sondern auch all jener, die immer noch von ihnen abhängig sind."(...)

es folgt ein brauchbarer überblick zu einigen kernbereichen der krise in den usa, um dann am schluß mit einem ordentlichen apokalypso den allerletzten tanz einzuläuten:

(...)"Der US-Ökonom und Analytiker Gerald Celente, der wegen seiner bisher auf den Punkt genauen Voraussagen der Hypothekenkrise, der Bankenkrise und des Börsencrashs inzwischen einen Guru-Status errungen hat, geht in seiner jüngsten Analyse davon aus, daß in Kürze restlos der Boden aus den Finanzmärkten fällt und dies den Anfang der »Greatest Depresssion«, der größten Depression der Weltgeschichte, einleiten wird. »Das globale Finanzsystem, das auf einem unendlichen Angebot billigen Geldes, wilder Spekulation, Betrug, Gier und Selbsttäuschung aufgebaut ist, ist unheilbar krank, und es kann durch nichts zu einem Neustart bewegt werden, weder durch Konjunkturpakete noch durch Bankenhilfen.« Die ersten Zeichen der Panik seinen bereits erkennbar, so Celente. Zugleich prophezeit er »drakonische Maßnahmen, die Regierungen ergreifen werden, um den vollkommenen wirtschaftlichen Kollaps und Chaos in der Bevölkerung zu verhindern«.

regelmässige leserInnen der news werden sich unter den "drakonischen maßnahmen" durchaus etwas vorstellen können. ansonsten wird meiner meinung nach mit jedem tag deutlicher und sichtbarer, dass es tatsächlich im systemimmanenten rahmen weder echte lösungen noch auswege gibt. die schlußfolgerungen daraus liegen eigentlich auf der hand - zeit, den rahmen zu zerstören.

*

und letzteres beginnt meistens mit ordentlich bewegung innerhalb des rahmens, und die chronik der massendemonstrationen und -proteste der letzten monate ist seit dem wochenende ergänzt - in new york city haben sich vor ein paar tagen mindestens 50000 menschen (andere quellen nennen 75000) unter starker beteiligung diverser us-gewerkschaften zur
rally for new york versammelt, um gegen die verschärften haushaltskürzungen nicht nur in der stadt, sondern im gesamten bundesstaat new york zu protestieren (im verlinkten beitrag gibt´s übrigens auch ein video zu betrachten:

rally for new york

(...)"Their message for Gov. David Paterson came in the form of booming chants:

"No more cuts! No more cuts!"

Everyday New Yorkers had their own personal messages for the governor as well.

"Governor Paterson, I wish you could have an open heart that we are going to suffer if this budget cut goes through," said China Lankford of Jamaica.

Paterson has proposed closing a $15 billion state budget gap by making cuts across the board, including $2.5 billion in education, $3.2 billion in health care and billions more in cuts to vital programs such as senior services, disability services, housing assistance and crisis intervention programs."(...)


kürzungsbetroffen sind also auch dort vor allem programme, die mit bildung, gesundheit und sozialer grundversorgung zu tun haben - und das in einer stadt, die einige hauptschauplätze der krise direkt in ihren mauern und jeden tag vor augen hat. was wird passieren, wenn diese kürzungen so umgesetzt werden? auf "open hearts" bei den funktionären und verwaltern des kapitalistischen elends zu hoffen, wird jedenfalls nicht reichen.

*

und auf dauer werden die krisenbetroffenen us-bürger auch nicht mit der eigenen und wortwörtlichen
totalen selbstverwertung über die runden kommen - mir sind ja bei ansicht des folgenden gleich diverse grausige assoziationen gekommen, aber in der systemlogik ist das alles bekanntlich durchaus "vernünftig" und "rational":

(...)"Was tun, wenn in Zeiten der Krise das Geld knapp wird? Millionen von Menschen haben in den USA während der vergangenen Monate die Arbeitsstelle verloren, neue Jobs gibt es kaum, und die geringen staatlichen Sozialleistungen reichen oft nicht zum Leben. Die Lösung liegt für manche US-Bürger nahe - hautnah, sozusagen. Denn sie bieten feil, was in ihnen und auf ihnen wächst: Blutplasma, Haare, Sperma. Mit den körpereigenen Rohstoffen lässt sich in Zeiten der Not gutes Geld machen.

Phil Maher vermittelt über seine Webseite bloodbanker.com Blut- und Spermaspender gegen Bezahlung an Interessenten. Das Geschäft sei allein in den letzten drei Monaten um mehr als 50 Prozent gewachsen, sagt der 32-Jährige. "Ich habe hier alleinerziehende Mütter, die niemals daran dachten, ihr Blut zu verkaufen - bis sie ihre Stelle verloren", berichtet er. "Jetzt gehen sie in die Klinik, spenden Blut und bekommen dafür 25 Dollar." Noch profitabler seien Spermaspenden, bei denen Männer bis zu 100 Dollar pro Sitzung kassieren könnten. "Man kann alle zwei bis drei Tage Sperma spenden", sagt der Vermittler. "Wenn man sich da auf ein Jahr verpflichtet, wird es finanziell wirklich interessant."

Es müssen freilich nicht immer Körpersäfte sein. Auch Dana Pendragon aus North Carolina hat Not mit Erfindungsreichtum gepaart - und sich entschlossen, ihr langes rotglänzendes Haar zu verkaufen. "Es reichte mir bis an die Hüften", erinnert sich Pendragon mit leichtem Bedauern. Über den Vermittlungsdienst HairTrader bekam sie 2000 Dollar für ihr Haar, das nun zu Echthaarperücken verarbeitet wird. Sie sah keine andere Wahl, nachdem ihr Auto kaputt gegangen war. "Ich wollte nicht noch mehr Schulden machen", sagt Pendragon. "Andererseits brauchen wir ein Auto. Also habe ich meine Haare abgeschnitten."

Über noch mehr Geld konnte sich Paul Clough freuen, der sich selbst scherzhaft als "menschliche Laborratte" bezeichnet. Clough verdient seinen Unterhalt damit, dass er sich für medizinische und klinische Experimente anbietet. Ungefähr 26.000 Dollar habe er so binnen Jahresfrist verdient. "Ich hatte ungefähr 400 Mal Nadeln in mir stecken", berichtet Clough."(...)


sollen wir das nun als beispiele für die vielzitierte "erneuerungskraft" und den "erfindungsreichtum" des kapitalismus betrachten? oder doch eher als perversen dreck innerhalb eines verrotteten systems, welches bereits in seinen historischen extremformen bewiesen hat, dass lampenschirme, filzstiefel und seife aus menschlichen körperteilen sich nur deswegen nicht als massenprodukte durchsetzen konnten, weil sie zuallererst in der produktion nicht rentabel genug waren? (hat übrigens irgendjemand der blutspendenden mutter erzählt, wie hoch die preise für blutkonserven am markt letztendlich tatsächlich sind?) die systemimmanenten tendenzen zur verdinglichung sind jedenfalls inzwischen nicht nur anhand solcher beispiele so deutlich sichtbar, dass sich die propagandamäuler des systems bei ihren immer schrilleren rechtfertigungsversuchen nur noch blamieren können.

*

ein weiterer länderbericht von wildcat geht einmal mehr auf die lage in
großbritannien ein, und ist auch einmal mehr der aktuelle lesetipp. nicht nur, weil weil eine prognose im hinblick auf den künftigen widerstand im land gewagt wird...

(...)"Falls die Möglichkeiten und Schwierigkeiten irgendeiner Klassenkonfrontation in der näheren Zukunft überhaupt auf diese Weise erfasst werden können, ist es vielleicht möglich, sich noch vorsichtiger einige Faktoren vorzustellen, die zu ihrem Ausbruch beitragen könnten:

* Neue Arbeitslosigkeit in großem Ausmaß, die mit der Einführung des repressivsten Regimes über die Arbeitslosigkeit seit jeher zusammenfallen wird. Die Arbeitsämter sind jetzt schon aufreibende, gewalttätige Orte; was wird das Auftauchen von Tausenden oder Millionen von Arbeiterinnen bedeuten, die solche Erniedrigungen nicht gewöhnt sind?

* Opportunistische Arbeitgeber nutzen die Krise als Gelegenheit, alte Konflikte um die Arbeit und widerspenstige Belegschaften loszuwerden. Natürlich kann das genauso gut auf die schnelle Kapitulation der erpressten Arbeiterinnen rauslaufen, aber könnte sich ein Streik wie der letztes Jahr bei der Post ohne die Illusion, überhaupt etwas verlieren zu können, weiterentwickeln?

* Neue Entlassungen, Kürzung von Löhnen und staatlichen Leitungen, Schließung wichtiger Dienstleistungen in Gebieten, in denen es eine starke kollektive Erinnerung an Kämpfe aus ähnlichen Gründen während oder seit der Deindustrialisierung gibt, z.B. im Nordosten (Bergarbeiterstreik 1984/85) und Liverpool (Streik der Hafenarbeiter 1995-98).

* Ständig wachsende Regulierung und Kontrolle der sozialen Reproduktion (Sammlung biometrischer Daten, Erlässe gegen anti-soziales Verhalten, staatliche Eingriffe in die Eltern-Kind Beziehung usw.). Das alles wird von Öffentlichkeitsarbeitern der Mittelklasse als »Bürgerrechtsthema« dargestellt, aber es hat in Wirklichkeit mehr mit dem Angriff auf halblegale oder illegale Überlebensstrategien der »sozial Ausgeschlossenen« zu tun: »Sozialleistungsbetrug«, informelle Arbeit, Drogenhandel in kleinem Maßstab usw. Die Überwachung dieser Dinge wurde bisher recht erfolgreich genutzt, um die »respektable«, überwiegend arbeitende Klasse und das sogenannte »Subproletariat« zu spalten. Aber wird das weiter funktionieren, wenn viel mehr Menschen plötzlich selbst von diesen »grauen Märkten« oder offiziell »anti-sozialen« Formen sozialer Zusammenarbeit ­abhängig sind?

Was man im Moment sehen kann, stimmt für die unmittelbare Zukunft eher pessimistisch, aber das muss nicht unbedingt auf die Lage in einem Jahr zutreffen. Eine Klassenauseinandersetzung, die aus Sicht des Proletariats im einen Moment wie ein Schlag ins Wasser aussieht, kann wenig später explosiv werden, weil die »objektiven« Bedingungen »subjektiv« auf eine stärker kollektive Art erfahren werden."


...sondern auch, weil in einem update auf die wilden streiks mit ihren nationalistischen tendenzen vor ein paar wochen eingegangen wird:

"Ende Januar brachen die kollektive Wut und ihre Widersprüche in wilden Streiks quer durch die ­Ener­gieindustrie aus. In der Total-Raffinerie in Lindsey streikten Arbeiter gegen die durch eine EU-Verordnung bedingte Entscheidung, dass der sizilianische Sub-Subunternehmer IREM »seine eigenen« italienischen und portugiesischen Arbeiter für Bauarbeiten mitbringen sollte, die vor Ort nicht ausgeschrieben wurden. Diese Unterstützung der Arbeitslosen allein wäre als »politischer« Streik schon »illegal« gewesen, aber es schlossen sich auch noch Arbeiter an elf anderen Standorten mit doppelt-»illegalen« Solidaritätsstreiks an. Die Streiks machten sich Gordon Browns Slogan »Britische Jobs für britische Arbeiter« zu eigen, so dass arbeiterfeindliche Zeitungen sie »unterstützen« und eine Frage der »Nationalität« daraus machten konnten. Die Streikenden betonten, dies sei nicht der Fall, aber wie weit ihre Stimme wahrgenommen wurde, ist unklar, da der Konflikt mit der Zusage, hundert »Briten« einzustellen, beendet wurde. Deshalb wiederholen wir es hier: Was sie sagten, ist wahr. So verheerend diese Parole war, in dem Konflikt geht es ums Unterbieten von Löhnen in einer Einkommenskrise. Tarifverträge sind in Großbritannien nicht gesetzlich verbindlich, so dass europäische Arbeiter, die entsprechend der EU-Verordnung »entsandt« werden, nicht den branchenüblichen Lohn erhalten müssen. Die Streikenden in Lindsey wollten nicht den Ausschluss von Ausländern, sondern den gleichen Schutz für ortsansässige und ausländische Arbeiter und internationale (gewerkschaftliche) Solidarität. Hunderte polnischer Arbeiter schlossen sich einem Solidaritätsstreik im Atomkraftwerk Sellafield an. Arbeitgeber sagen nun, sie wurden durch ­ständige Arbeitsniederlegungen »im Stil der 70er« ­provoziert, Ausländer anzustellen."

von dem solidaritätsstreik der polnischen arbeiter höre ich tatsächlich das erste mal, und mehr als die interpretationen der streiks stimmen mich solche meldungen vorsichtig optimistisch - ohne zu vergessen, dass trotzdem eine offene flanke richtung nationalismus bei diesen aktionen zu konstatieren ist. es wird für die weitere entwicklung nicht nur auf das bewußtsein der arbeiterInnen ankommen, sondern auch auf die positionierung der gewerkschaften in solchen konflikten.

*

letzteres wird auch einen gewaltigen einfluß auf die weitere entwicklung hierzulande haben - und im vorfeld der doppeldemonstrationen am 28. märz entwickelt sich anhand des defensiven und auch spaltenden verhaltens der gewerkschaftsspitzen hierzu gerade eine interne diskussion, die zunehmend öffentlich geführt wird - so bspw. mit der hilfe eines
offenen briefes seitens vieler verärgerter und / oder besorgter gewerkschafterInnen an der basis:

"Liebe Kolleginnen und Kollegen,

spätestens seit September 2008 ist klar, dass wir es mit einer Wirtschaftskrise zu tun haben, die in ihren Dimensionen nur noch mit der Weltwirschaftskrise in den Folgejahren von 1929 (korrigiert, mo) vergleichbar ist. Damit steht eine Verteilungsauseinandersetzung ins Haus, wie sie unsere GewerkschafterInnengeneration noch nicht erlebt hat.

Schon jetzt haben 100 000 befristet Beschäftigte und ZeitarbeiterInnen ihre Arbeit verloren. Die Prognosen für Wachstum, Untenehmensumsätze und Erwerbslosigkeit verdüstern sich fast im Wochenrhythmus. Vielleicht zeitversetzt zu den USA, spätestens aber nach der Bundestagswahl werden wir mit Firmenzusammenbrüchen, massivem Druck auf die Lohn- und Sozialstandards und mit neuer Massenarbeitslosigkeit konfrontiert sein. Man muss nicht die Analogie zu 1929 bemühen, um zu erkennen: auch für die Gewerkschaften selbst und die Demokratie erwachsen aus dieser Krise erhebliche Risiken.

Angesichts all dessen sind wir beunruhigt und enttäuscht, dass die Gewerkschaften in den Debatten und Auseinandersetzungen fast nicht wahrnehmbar sind. Immerhin geht es um Kopf und Kragen der Lohnabhängigen und sozial Schwachen.

In dieser Situation ist Abwarten keine Option! Hoffnungen, durch Gespräche und Beteiligungen am allgemeinen Krisenmanagement ließe sich das Schlimmste abwenden, werden trügen, wie sie schon 1929 getrogen haben. Auf wen die Lasten der Krise in den nächsten Monaten und Jahren, wenn es um den Abbau der gigantischen Staatsverschuldung geht, abgewälzt werden, ist eine gesellschaftliche Machtfrage, die danach entschieden wird, was wir auf die Beines stellen, zu welcher Mobilisierung auf Straßen und Plätzen und in den Betrieben wir in der Lage sind."(...)


dem ist wenig hinzuzufügen ausser der hoffnung, dass in den zunehmenden konflikten vor allem ein paar gehätschelte gewerkschaftliche fiktionen auf der strecke bleiben, wie zb. die der sog. "sozialpartnerschaft" oder auch die vom "zivilisierten kapitalismus". dazu muss sich die gewerkschaftliche basis aber zuerst mal mit ihren eigenen vorständen und funktionären in den apparaten befassen, die sowohl nutznießer als auch verkünder dieser fiktionen sind. ganz ernsthaft: viel erfolg dabei!

*

in aller kürze - das krisentelegramm + als profiteure der krise lassen sich durchaus die fertigsuppenhersteller betrachten, denn deren
absatz boomt: (...)"Bei Sonnen Bassermann in Seesen im Harz ist die Produktion voll ausgelastet ­ und das im Dreischichtbetrieb, 24 Stunden am Tag. «Seit etwa Oktober haben wir ein zweistelliges Wachstum bei Eintöpfen verbucht», sagt Nico Kapp, der für das Marketing der Suppen und Eintöpfe verantwortlich ist. Bereits während der vergangenen Wirtschaftsflaute sei das Geschäft mit diesen Produkten deutlich gestiegen, sagt Kapp. «Wir wissen, dass es diesen Zusammenhang gibt.» (...) Besonders gefragt seien derzeit klassische Gerichte mit Fleischeinlage, wie etwa der Linsen- oder Erbseneintopf.

Auch beim Konkurrenten Zamek stehen die Produktionsbänder nicht still. Das Düsseldorfer Unternehmen stellt mit seinen 500 Mitarbeitern Suppen für Discounter, aber auch Einzelhändler wie Rewe oder Edeka her. «Da ist ein deutlicher Aufwärtstrend erkennbar», sagt Unternehmenssprecher Manfred Reibeholz. Beim Lübecker Hersteller Erasco stieg in den vergangenen Monaten der Umsatz mit großen Familiendosen stark. Die Verbraucher suchten verstärkt nach günstigen Angeboten, berichtet eine Sprecherin."(...)
- wird da etwa schon auf vorrat gehortet? aber konserven sind in anbetracht auf die kommenden zeiten durchaus eine sinnvolle anlage +
die (container-)schiffahrt mit all ihren ablegern droht abzusaufen - wird zeit, mal wieder beim baltic dry index vorbeizuschauen + die serie von anschlägen in griechenland reisst nicht ab + zu den vielen offiziellen und inoffiziellen bankrotterklärungen dieser tage gesellen sich mit der eigenen die wirtschaftswissenschaften - (...)"Die Krise der Ökonomie ist entstanden, weil wir viele Verhaltensweisen der Menschen nicht in unsere Modellwelten integriert haben. Den Herdentrieb an den Finanzmärkten zum Beispiel oder Gier und mangelnde Fairness im Wirtschaftsleben. Wir haben mathematisch teilweise sehr ausgeklügelte Modelle, die uns wichtige Erkenntnisse liefern. Aber sie beschreiben nur einen Teil der Realität, viele blenden wichtige Aspekte aus."(...) ach. na sowas. woran könnte das wohl liegen? + eine bedrückende fotoserie über eine zeltstadt von obdachlosen in den usa möchte ich hervorheben + und das ist auch das stichwort für günter wallraff, der sich in bewährter manier den lebensbedingungen von obdachlosen in diesem land genähert hat, und damit einblicke in eine welt ermöglicht, die aller bitteren wahrscheinlichkeit nach in der nächsten zeit bevölkerungsmässig hohen zulauf erfahren wird +

*

in eigener sache noch zum schluß: viele der in den krisennews verarbeiteten meldungen fallen bei eigener recherche an; auf etliches werde ich jedoch erst durch hinweise an anderen virtuellen orten aufmerksam. zwei davon seien im folgenden hervorgehoben: einmal das forum von
chefduzen.de, und zum anderen das erwerbslosenforum. bei den betreffenden usern in beiden foren bedanke ich mich ausdrücklich für die informativen hinweise.
mayco (Gast) - 10. Mär, 14:12

also ich finde diese fast-gleichsetzung von Asozialismus(?) und Individualismus auch unmöglich. Einen gesunden Individualismus, vielleicht besser bezeichnet einen Sozial-Individualismus sehe ich als Voraussetzung für eine vernünftige individuum-übergreifende Sozialstruktur, also erst für sich und dann für die Gruppe denken. Dann bleiben die Beziehungen echt und nicht so konkurrenz- und sozialangst-mässig.

monoma - 10. Mär, 18:49

ist aber ein populärer fehlschluss

ich sehe ebenfalls einen authentischen individualismus als absolute ausnahme in unseren verhältnissen an. meist handelt es sich beim "individuellen" schlicht um style, outfit und egozentrismus mit fließender grenze zur antisozialität. die herrschende version von "individualität" ist unmittelbar an die jeweilige kaufkraft gebunden.

authentische individualität = ausdruck eines authentischen selbst. und das ist die voraussetzung für authentische kollektivität von gleichen, aber verschiedenen, unter gleichen und verschiedenen.

auch diesen begriff werden wir, wie soviele andere, regelrecht zurück erkämpfen müssen.
bibi (Gast) - 11. Mär, 00:41

na ja,

ich hätte schon noch Interesse, auf einem Hausboot zu wohnen.
Meinetwegen auch in´ner WG auf einem Containerschiff.
Wenn´s nicht anders geht und die jetzt bald überall rumliegen...

Bibi(die mühsam versucht, Krisen zu Chancen zu machen)

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