Lotta Gruen (Gast) - 1. Jun, 00:00

Hallo Mo,

Weil du in deinem anderen Beitrag doch gefragt hast, wie andere die Lena sehen, muss ich gestehen, ich bin - rein von meinem Bauchgefühl her - zu einem ganz anderen Schluss gekommen als du. Allerdings muss ich einschränken, dass ich mich kaum mit ihr befasst habe und also nicht so ein Hintergrundwissen aufweisen kann. Aber das, was ich wahrgenommen habe (speist sich nur aus kurzen Youtube-Mitschnitten ihres Musikvideos und einem Teil des Grandprix-Auftritts) war eine junge Dame, die sich auf eine typisch "viereckige" Art bewegt, wie ich sie von jungen Menschen her kenne, die Probleme mit ihrem Körpergefühl bzw. dem authentischen "Bei sich bleiben" haben.
Und ehrlich gesagt, fällt es mir persönlich schwer anzunehmen, dass ein in Liebe gewachsener Mensch das Bedürfnis hegt, sich als Zugpferd für die patriotischen Gelüste seiner Landsleute verheizen zu lassen.

Ansonsten geht es mir wie dir, ich hätte ihr für ihr Wohlbefinden gewünscht, dass sie nicht gewinnt. Es ist Wahnsinn, in was für eine Maschinerie sie da jetzt rein gerät - schon allein die Boulevardtitelseiten von heute. Und die allgegenwärtigen Kommentare sind furchtbar. Als glaubten tatsächlich manche Leute sie hätten einen Besitzanspruch auf "unsere" Lena. Von diesem Druck wird selbst der psychisch stabilste Mensch verrückt gemacht.

Lieben Gruß,
Lotta

monoma - 1. Jun, 00:56

hi lotta,

kurzer versuch einer antwort drauf: es ist ja letztlich so eine art ferndiagnose, die ich da geschrieben habe - basierend darauf, dass ich (nicht alleine, ganz sicher) vermutlich früher und mehr von ihr angeschaut und -gehört habe, als die allermeisten, die sich aktuell äussern. es gab da in den letzten monaten ein paar sehr aufschlußreiche audio- und videointerviews, die mich letzlich - zusammen mit dem, was bei den castingshows zu sehen war UND mit den wahrnehmbaren reaktionen vieler anderer und sehr verschiedener leute - zu meinem eindruck gebracht haben.

darauf basierend und nach ansicht weiteren aktuellen materials glaube ich, das sie selbst das alles eher als wahlweise "rausch" / party / unglaubliches erlebnis wahrnimmt und das auch qualitativ so ansiedelt - im sinne von einfach nicht ernstnehmen (so hat sie sich auch heute sinngemäß in einer pk geäussert - dito auch ihre im positiven sinne herablassende reaktion gegenüber der idee mit dem bundesverdienstkreuz, im prinzip eine deutlich ausgeprochene entwertung dieses ordens - dieser quatsch kam bezeichnenderweise von cdu-mißfelder ).

leider glaube ich auch, dass eine menge von dem richtig ist, was hier zu lesen ist:

eine nationale umarmung

und das hat - wie der artikel selbst aussagt, und was ich unterstreichen würde, weil ich den eindruck habe, dass sie grundsätzlich distanziert gegenüber, wenn nicht uninteressiert an den "offiziellen" gesellschaftlichen sphären ist - weniger mit ihr als mit der maschine um sie herum zu tun, primär mit dem für mich absolut unsäglichen raab, der da einen haufen ganz eigener interessen nur mühsam zurückhalten kann in dem sinne, dass er wenigstens partiell den anstand besitzt, ihr ein wenig ruheraum zu lassen. und auch mit dem bedürfnis vieler leute hier im land, tatsächlich die fiktion nationaler pseudogemeinschaft immer wieder anzustreben. wenn´s denn bei solchen events wie jetzt oder auch der wm bleiben würde (schon schlimm genug), könnte man das noch zähneknirschend hinnehmen. aber im kontext der weiteren krisenentwicklungen könnte der "taz"-artikel da sehr recht haben, dass das jetzige nur ein anfang ist.

ich weiß aber nicht, ob ich lena persönlich ihr diesbezgl. nichtbewusstsein zum vorwurf machen würde. sie ist einfach eine 19jährige frau, die sich halt primär für das interessiert, für was sich 19jährige innerhalb dieser kultur nun mal interessieren - zumal, wenn sie aus dem bildungsbürgerlichen milieu kommen und mit einen ordentlichen (nicht pathologischen) schuß narzißmus ausgestattet sind - musik, kultur, mode, alles leicht "indie" angehaucht. offene andockpunkte für "alte" nazis sehe ich da wenig bis gar nicht, eher schon das szenario, welches in der taz gezeichnet wird. aber sie dafür verantwortlich machen ? eher ja wohl nicht. und ich bin mir auch nicht sicher, ob sie verstehen würde, warum eine deutliche grenzziehung zu der rolle von "lena nazionale" ("spon"-ausdruck heute) ein verdammt wichtiges signal wäre.

wünschen würde ich mir eine emanzipation ihrerseits von ihrem jetzigen professionellen umfeld, und dann - zugegebenermaßen im eigenen interesse, weil ich einfach finde, dass sie wirklich potenziale hat - einen eigenen weg - egal ob musik, schauspielerin oder ganz was anderes. wer sich die reaktionen auf sie betrachtet, wird erstaunliches feststellen - von noch recht kleinen kindern bis hin zu 80jährigen sammelt sie quer durch alle geschlechter und auch klassen bewunderer (und sympathisanten wie mich ;-) ein. und ansatzweise ist schon zu sehen, dass dieser effekt sich nicht alleine hierzulande manifestiert. wenn sie denn selbst will, könnte sie mal eine wirklich - ich benutze das folgende wort selten und ungern, aber mir fällt gerade nix besseres ein - große künstlerin werden, mit enormer öffentlicher wirkung. aber ob das so kommt und ob sie das überhaupt selbst will - who knows.

abschließend: wenn ich mir so die gesellschaftliche situation betrachte, fürchte ich grundsätzlich ja eh, dass sie die zeit und möglichkeiten für ihre weitere entwicklung überhaupt nicht mehr bekommen wird. und an dem punkt sind wir dann tatsächlich alle lena - und umgekehrt.

gruß zurück!
demon driver - 1. Jun, 11:58

Künstlerin, Kommerz und Bundesverdienstkreuz

Hi Mo,

zum Thema Lena M.-L. vielleicht ganz kurz: ich stimme fast vollständig mit Dir überein, mit vor allem einer Ausnahme: trotz allem, was man über die jetzt gerade erwachsen gewordenen Generationen sagen könnte, leidlich (und, wie ich meine, ähnlich) nette, sympathische Neunzehn-/Zwanzigjährige (beiderlei Geschlechts) gibt es in Deutschland zu Tausenden, nur kriegt normalerweise niemand davon die Chance auf eine Karriere als Popstar (okay, ob sich das letztlich als Chance oder Fluch erweist, sei mal dahingestelt, das bleibt den Unwägbarkeiten des Einzelfalls überlassen - auf jeden Fall ist es aber die Chance auf eine wirtschaftlich besser ausgestattete Zukunft, als sie den meisten je offen steht).

Deswegen finde ich den Hype so unangemessen und deswegen werde ich wohl auch kein "Fan" werden, zumal ich das, was ich bisher von ihr an Musik gehört habe, gerade mal soweit okay finde, dass man nicht gleich umschalten muss, wenn's gerade läuft ;-)

Für eine "Künstlerin" halte ich sie nicht (wobei ich eh Probleme mit dem Begriff habe), und ich kann da auch irgendwie kein besonderes Potenzial erkennen. Im Gegenteil scheint mir ein beträchtlicher Teil der Sympathien (auch meiner) genau daher zu rühren, dass sie das wohl weiß und im Gegensatz zu den Nicoles oder Siegels dieser Welt aber auch nicht so tun will, als wäre sie's.

Damit das, was dabei entsteht, einmal irgendwie interessant werden könnte, müsste sie sich schon radikal vom Mainstream distanzieren - das heißt von genau den Maßstäben, die beim ESC gelten. Und da bin ich nicht sicher, ob sie diese Maßstäbe nicht schon jetzt zu sehr verinnerlicht hat.

Aber, wie gesagt, ansonsten stimme ich mit Dir überein.

Eins vielleicht noch zum Bundesverdienstkreuz - genaugenommen, was natürlich kaum die Intention des Herrn Mißfelder ist, wäre Lena M.-L., wenn überhaupt, dann eine Aufwertung für diese "Auszeichnung", die ja nun einer ganzen Reihe von Berufsarschlöchern einschließlich nicht weniger Altnazis zuteil wurde, was m.E. ihren tatsächlichen Charakter ausmacht.

(Was war denn ihre Reaktion auf den Vorschlag? Habe auf die Schnelle nichts gefunden.)

Grüße,
d. d.
monoma - 2. Jun, 02:18

@d.d.

sicher, dass es sehr wahrscheinlich tausende andere in ihrem alter gibt, mit ähnlichen oder mehr talenten und auch ähnlicher präsenz - kein widerspruch. ähnlich hat sie sich übrigens schon selbst geäussert.

"fan werden": also, aus dem alter bin ich wohl erstens definitiv raus, und zweitens bin ich dafür einfach grundsätzlich zu nörgelig :-)

aber ich hab´s ja bereits schon im ersten beitrag geschrieben: es gibt da bei ihr irgendetwas - was ich versucht habe zu beschreiben - , was mich dann doch immer noch beschäftigt. das ist mir selbst teils suspekt, aber ich könnte hier eine fülle von material präsentieren, wo völlig verschiedene leute eigentlich das gleiche erleben - selbst totale verächter von castingsshows (wie ich), oder auch solcher musik (wobei sie in den ganzen auswahlshows schon eher richtung indie gepolt war und auch aufgrund ihre coverauswahl sehr auffällig war), leute, die aus ganz anderen musikalischen ecken kommen oder auch selbst musik machen, leute ganz verschiedenen alters etc., und auch viele, die vorher "fantum" grundsätzlich ablehnten - alle beschreiben ähnliche effekte. teils liest sich das wie regelrechte erweckungserlebnisse, anders lässt sich das nicht sagen. und ich glaube nicht, dass da viel übertrieben wird, weil ich das selbst in abgewandelter form ähnlich erlebt habe in dem sinne des völligen erstauntseins über mich selbst, wie halt schon geschrieben.
bei vielen war das auch schon "lange" (in dem fall relativ) vor dem vergangenen wochenende der fall, und hatte grundsätzlich auch erstmal keinerlei "nationale" bezüge (mal abgesehen von den hardcore - eurovisionsfans, die sich genau das erhofft hatten, was jetzt eingetreten ist).

jedenfalls: solche wirkungen machen mich dann sofort sehr sehr neugierig - was passiert da und warum. und ich glaube in diesem fall, dass die erklärung "projektionsfläche" ausreicht - da spielt tatsächlich ihre persönlichkeit mit, und die finde ich - wenn man sich denn mal die mengen an medial festgehaltenen momenten anschaut - durchaus facettenreich und v.a. liebenswert - klingt blöd, aber anders kann ich es nicht genauer auf den punkt bringen. "verifizieren" (oder eben nicht) ließe sich dieser eindruck für mich letztlich nur durch einen realen eindruck im kontakt selbst, aber das dürfte wie üblich in solchen fällen utopisch sein.

jedenfalls: an diesen eindruck kann ich mich von keiner öffentlichen person bei mir jemals erinnern - sicher, beeindrucktsein, respekt, neugier, anerkennung für die künstlerischen leistungen etc. -
aber eben nicht dieses nicht- bzw. schwerzufassende berührtsein. vielleicht ist das auch vorübergehend, keine ahnung. aber wie gesagt: wenn ich sowas in dimensionen wahrnehme, die schon durchaus als massenwirkung gelten können (selbst ohne die ganzen leute, die jetzt primär wg. des "nationalen erfolgs" zu "fans" mutieren), dann fange ich an, mir gedanken zu machen. ich hoffe sehr, dass sich irgendwann mal "open-minded"-soziologen oder auch psychologen finden, um das mal vorsichtig zu sezieren. ich glaube nämlich - hatte ich auch schon geschrieben - dass sich aus solchen ereignissen durchaus wichtige dinge über aktuelle gesellschaftliche zustände lernen lassen. aber mindestens natürlich über mich selbst ;-)

zur pk: zb. hier, letzter absatz. wobei der ton (und mimik) die musik macht - auf youtube gibt´s verschiedene videos davon, und da fand ich die tendenz schon eindeutig - in richtung nicht-ernst-nehmen. auch, wenn sie dann ganz zum schluß das ding "vielleicht doch" annehmen würde.

ps: hier noch eine gesprochene, typisch feuilletonistische kritik, der ich zwar in fast allen punkten widersprechen würde, die aber immerhin mal ein paar nachdenkenswerte thesen bringt.

gruß
mo

edit: hups, war das ein freudscher...? ...und ich glaube in diesem fall, dass die erklärung "projektionsfläche" ausreicht...

da fehlt ein "nicht".

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