notiz: unruhen in saudi-arabien

im märz dieses bemerkenswerten jahres hatte ich zu diesem land u.a. geschrieben:

(...) "eine der übelsten diktaturen des planeten, entscheidender öl-lieferant für den westen, nachweislich exporteur religiös-fundamentalistischen terrorismus in die ganze region - wenn und falls die ölprinzen fallen sollten, dann ist die ganze jetzige schon atemberaubende dynamik wahrscheinlich nur eine art vorspiel - die "mutter aller aufstände", wie ein entsprechendes szenario in us-amerikanischen foren gerne genannt wird, könnte von weltweiten massiven erschütterungen begleitet werden, bis hin zu denkbaren kriegerischen auseinandersetzungen in der region und dem endgültigen ausbruch einer neuen und schwereren phase der schwelenden weltweiten wirtschaftskrise, die dann angesichts der eh schon prekären situation vieler staaten tatsächlich das ganze globale system sehr sehr nahe an den finalen abgrund bringen würde. (...)

die diktatur sieht sich, wenn ich das recht verstehe, gleich vier potenziellen konfliktpunkten gegenüber: einmal ein kulturell-religiös motivierter, nämlich den bereits stattfindenden protesten der schiitischen minderheit im osten des landes. dann wäre da zum anderen die situation der vielen jugendlichen, denen keine langfristige perspektive geboten wird. drittens die - analog den kleinen golf-monarchien - vielen als arbeitskräfte ins land geholten migranten aus anderen arabischen staaten, aber auch aus asien, die weitgehend rechtlos am untersten ende der gesellschaftlichen hierarchie stehen. und viertens die wie kaum in einem anderen land so offen patriachalische herrschaftsstruktur mit religiöser verbrämung, die potenziell große teile der weiblichen bevölkerung quer durch alle klassen hindurch zur rebellion bringen könnte." (...)


mir ist völlig entgangen, was sich da seit ein paar tagen verschärft und vor allem im schiitischen osten des landes abspielt -
via daeva...



...der dazu schreibt:

(...) "Die im Video dokumentierten Proteste finden im Osten des Landes statt. Es ist ein wenig müssig festzulegen, wer am schlimmsten in Saudi-Arabien unterdrückt wird (Schiiten, Ausländer, Frauen, Schwarze), aber die Schiiten liegen dabei recht weit vorne. Im Gegensatz zu den tunesischen und ägyptischen Protestlern ruft man nicht “Hau ab”, sondern “Tod dem saudischen Königreich”.

und ein kurzer
artikel bei "spon":

(...) "Bei Unruhen im ölreichen Osten Saudi-Arabiens sind seit Montag vier Zivilisten ums Leben gekommen. Das berichtete das Innenministerium in Riad am Donnerstag. Neun weitere Menschen seien bei den Ausschreitungen in Al-Katif verletzt worden, darunter eine Frau und zwei Angehörige der Sicherheitskräfte.

Zwei junge Männer aus der Region, in der vorwiegend Schiiten leben, wurden bei einer Demonstration erschossen. Zwei weitere starben nach Angaben des Ministeriums, als "unbekannte Kriminelle" während der Trauerfeier für einen der Getöteten auf die Sicherheitskräfte schossen, die dann das Feuer erwiderten.

Das Ministerium erklärte, der "Aufruhr" sei das Ergebnis "ausländischer Planung". Damit ist nach Einschätzung von Beobachtern das schiitische Regime im Iran gemeint." (...)


letzteres kann sein, kann aber als behauptung ebenso nur propaganda sein - in sachen religiös verbrämter diktatur stehen sich beide regimes bei aller feindschaft prinzipiell recht nahe.

jedenfalls sollte eins klar sein: wenn sich diese unruhen intensivieren und ausbreiten sollten, dann ist bei der bedeutung dieses staates mein einleitender absatz aus dem märz durchaus als prognose zu verstehen, die eine hohe wahrscheinlichkeitschance hat. mit dem iran im hintergrund, peak oil vor der nase und den weiter laufenden revolutionären prozessen in der ganzen region kann uns dieses fass bei einer explosion auch hier mächtig um die ohren fliegen.

*

vieles andere muss gerade wieder liegenbleiben; ich werde versuchen, das innerhalb der nächsten tage nachzuholen. aber die nachrichten von oben gehören in meinen augen mit zu den wichtigen - und eindeutig unterbelichteten - dieser woche.
daeva (Gast) - 27. Nov, 02:36

5., 6. und 7. Konfliktpunkt

nur eine Anmerkung, es gibt noch drei weitere Konfliktpunkte neben den von dir vier genannten:
5. die Stämme, insb. jene, die früher Königreiche gegründet hatten, die in der saudisch-britischen Expansion von 1902 bis 1929 eliminiert wurden, u.a. das Königreich Hedjaz (u.a. Sherif von Hussein und die ganzen Könige, die in den franko-britischen Kolonien nach dem 1. Weltkrieg eingesetzt wurden), das Rashidi Königreich und die jemenitischen Könige (heutige Provinz Asir). Die rote Flagge, die am Ende zu sehen ist, ist vom Shammar-Stamm. Die schwarze Fahne ist witzigerweise die Fahne des Rashidun-Kalifats, d.h. die ersten vier Kalife. Ich nehme an, das ist ein Angriff auf die religiöse Legitimation des saudischen Königreichs und natürlich grundsätzlich Kalifat vs. Malikat (Königreich).
6. die salafistische und wahabitische Opposition: In den 20er Jahren mussten die Saudis schon einmal die extremsten Teile der Wahabiten, die Ikhwan (nicht verwandt mit den ägyptischen Ikhwan), umbringen, weil diese gegen den Mangel an Religiösität der Saudis revoltierten. Dieses Problem blieb den Saudis erhalten, allerdings ergriffen sie die Chance und setzten diese Gruppen im hegemonialen Kampf gegen den Nasserismus und die arabischen Entwicklungsdiktaturen ein. Insb. die Kämpfe im Jemenkrieg und Ägypten sind zu nennen. In den 80er Jahren wurden sie in Scharen nach Afghanistan gekarrt und in den 90ern waren sie arbeitslos.
7. der hegemoniale Streit um die Führerschaft in der arabischen Welt und am Golf hat auch Auswirkungen auf die Situation im Land selbst. Insb. die nasseristische Führungsrolle in den 50er und 60er Jahren (Antikolonialismus, Entwicklung, Wohlstand) verbreitete sich rasch. Die Saudis setzten dagegen auf religiösen Machtanspruch.

Der Vorwurf, dass ausländische Kräfte hinter den Protesten stehen, ist uralt und gerne verwendet. Das gleiche Szenario findet sich bei allen Protesten im Nahen Osten wieder: Die iranischen Konservativen nennen die Proteste vom aus dem Ausland gesteuert (CIA, die deutschen Grünen, etc.), auch bei Assad (Westen), Gaddafi (Westen), Netanjahu (Antizionisten), Mubarak (Iran, Zionisten), Hamad al Chalifa (Iran) oder Saleh (Iran) finden. Damit sollen die Protestler als Verräter an der nationalen Sache und ihr Anliegen als mit der nationalen Leitlinie unvereinbar diskrediert werden.

monoma - 27. Nov, 15:52

danke für die ergänzungen und infos!

ich weiß nur fragmentarisch über die saudische geschichte, besonders die der stämme dort, bescheid. insofern inspiriert die antwort zu weiteren recherchen.
Daeva (Gast) - 5. Dez, 23:17

Artikel Al Akhbar

Hier ist noch ein Artikel aus einer saudischen Zeitung. Keine Angst, er ist auf Englisch.

http://english.al-akhbar.com/content/saudi-arabia-renewing-repression-under-mantra-security
fk (Gast) - 27. Nov, 14:52

zum finalen abgrund

geschätzter monoma,

ich lese diesen blog schon eine weile und verfolge ihn mit großen interesse. ich finde es hochinteressant wie du hier immer wieder bemerkenswerte entwicklungen sammelst und kontextualisierst.
eine kritik möchte ich allerdings äußern: ich halte das denken in richtung des 'finalen abgrunds' der auch hier immer wieder gerne angebracht wird, für verfehlt. der einzige finale abgrund der derzeit denkbar wäre, ist der weltweite einsatz der nuklearwaffen, der dann aber wirklich ein bagrund wäre.
aber auch mit blick auf peak oil, rohstoffknappheit, u.ä. in der tat ernst zu nehmenden problemen, halte ich diese apokalyptische denkfigur des totalen zusammenbruchs jedoch für verfehlt. es wird immer weiter gehen, insbesondere in bezug auf die ökonomie, den abrund gibt es nicht.
bzw. wenn dann haben wir diesen bereits erreicht und stehen mitten drin in der hölle - mag sie noch so schön sein.

das problem um dass es mir geht ist in etwa: der abgrund, das ist für einen europäisch sozialisierten menschen der bombenkrieg und die rampe in ausschwitz. wenn wir diese figur des abgrunds gelten lassen, sind aber ganz einfach zu viele dinge legitimierbar nicht legitierbar sein sollen.
deswegen möchte ich mich gegen die idee des abgrunds als endpunkt einer entwicklungsgeschichte stellen.

anonsten, danke für die arbeit und bitte weiter so.

hgfk

monoma - 27. Nov, 15:50

der finale abgrund...

hallo fk,

erstmal danke für die blumen.

zum begriff: ich gebe zu, dass der missverständlich ist, darum hier eine definition meinerseits:

1. ich meine damit nicht den "weltuntergang" im eigentlichen sinne (und widerspreche auch allen, die diesen begriff nutzen). der wird absehbar in ein paar milliarden jahren kommen, wenn die sonne fertig hat. das ist aber auch scjhon alles, was dazu zu sagen wäre.

2. etwas anderes ist der untergang einer menschlichen zivilisation, bzw. eines ganzen global durchgesetzten zivilisationsmodells. zum ersteren können uns die maya, inka und azteken, aber auch die römer und etrusker einiges erzählen. das letztere hingegen ist historisch eine premiere, deren zeugen wir gerade werden.

3. "der einzige finale abgrund der derzeit denkbar wäre, ist der weltweite einsatz der nuklearwaffen, der dann aber wirklich ein abgrund wäre."

jein. für das mit dem erwähnten erwähnten zivilisationsmodell (das "westliche") untrennbar verwobene (ökonomische) funktionssystem sehe ich tatsächlich die möglichkeit eines zusammenbruchs, der dann für viele - nicht alle! - menschen global den jeweils persönlichen abgrund bedeuten würde, und für viele auch den finalen.

wobei das eher ein prozeß ist, der schon lange abläuft - die hungertoten weltweit gehören u.a. zu diesen opfern, aber ich sehe auch "selbstmorde" durch erwerbslosigkeit u.ä. in dieser kette.

aber ich muss - leider - den meisten thesen aus dem früher verlinkten feasta-papier plausibilität zubilligen, und das beinhaltet für mich eben auch den finalen abgrund für viele - ganz ohne krieg, gar nuklearkrieg. unser system ist derart komplex und anfällig, dass wir ein historisch so niemals vorhandenes level von instabilität auf allen ebenen verzeichnen müssen, und das wird dem ganzen absehbar auch das genick brechen.

4. "das problem um dass es mir geht ist in etwa: der abgrund, das ist für einen europäisch sozialisierten menschen der bombenkrieg und die rampe in ausschwitz. wenn wir diese figur des abgrunds gelten lassen, sind aber ganz einfach zu viele dinge legitimierbar nicht legitierbar sein sollen."

hm, ich halte mich ja auch für "europäisch sozialisiert", und bezweifle erstens, dass für eine mehrheit der bevölkerung "auschwitz" tatsächlich in der gemeinten form für den abgrund steht, wie das für uns vielleicht der fall ist.

ich würde aber auch sagen, dass bereits ein ordentlicher atomarer GAU in west- oder mitteleuropa - z.b. in frankreich - das kriterium "abgrund" in europa durchaus erfüllen würde, und zwar für millionen menschen und jahrhunderte. aber jenseits dessen reicht auch schon ein komplettzusammenbruch von ökonomie und finanzsystem aus, um uns in eine völlig neue realität zu schleudern. jenseits dessen befindet sich eine terra incognita, und die könnte durchaus extrem viele unerfreuliche bis tödliche seiten haben.

es sollte jetzt etwas klarer sein, wie ich den begriff verstehe. warum ich dem ganzen teilweise (speziell und nur einem ökonomischen crash) auf eine verschlungene art und weise auch positives abgewinnen kann, ist ein anderes thema.

gruß!
fk (Gast) - 27. Nov, 22:20

figur des abgrunds

hallo monoma,

danke für die ausführliche antwort. im großen und ganzen sind wir auch beieinander. und dennoch, ich halte die figur des abgrunds für kontraproduktiv - gleichwohl ich durchaus verstehen kann warum du, und sicherlich auch viele andere der idee des ökonomischen zusammenbruchs etwas abgewinnen können.
ich lese bzw vernehme die damit verbundene hoffnung auf besserung ja nicht nur bei dir, und nehme die ja auch bei mir war (ich schreibe jetzt natürlich von deiner idee des crashs und nicht vom abgrund aussschwitz).

dennoch würde ich mittlerweile dazu tendieren, zu behaupten, der abgrund ist längst da, wir stehen mitten drin, lediglich die durch hollywood, ntv und hitler-dokus erzeugten bilder der endkatastrophe versperren die sicht. nicht zu letzt dürfen wir nicht vergessen: der permanente wandel am abgrund, der seit einigen jahren allen ortens bemüht wird, setzt ängste und damit ungeahnte politische lenkungsmöglichkeiten frei.

hgfk

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