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Dienstag, 18. Oktober 2005

und noch ein buchtipp...

...wobei ich auch dieses buch nur grob querlesen konnte, und es ein paar vorbehalte gibt - trotzdem empfinde ich es als sehr anregend, und das dokumentierte material ist wieder einmal erschreckend. auszüge aus einer rezension von "Das emotionale Leben der Nationen" von lloyd deMause:

"Dazu analysiert er etwa genau die Ansprachen und Aussagen von Politikern und Staatenlenkern, um versteckte emotionale Botschaften aufzuspüren. Und er bezieht auch Fotos, Filme, Karikaturen und Titelblätter von Zeitungen und Zeitschriften in seine Analysen mit ein, da für ihn an Bildern kollektive Stimmungen besonders anschaulich werden. Kindheit entscheidet Wahlen
Politik und Geschichte sind für Lloyd deMause nichts anderes als eine Wiederholung und Neuinszenierung von Traumata, die in frühester Kindheit erlitten wurden. Für deMause kommt es dabei zu einem komplexen Wechselspiel zwischen den traumatischen Kindheitserfahrungen der politischen Führungsfiguren und den Gruppenfantasien der Bevölkerung, die ihren Ursprung wiederum in Kindheitstraumata haben und die auch die Wahl ihrer Anführer bestimmen."

"Lloyd deMauses Thesen sind nicht unumstritten, dennoch hat die zentrale These seines Werkes, dass Gewalt in den Familien zu Gewalt in der Gesellschaft führt, in den letzten Jahren durch neue Erkenntnisse im Bereich der Neurobiologie eine wissenschaftliche Fundierung erfahren: Tatsächlich wird das Gehirn von Babys und Kleinkindern durch traumatische Erfahrungen nachhaltig geprägt: So gerät etwa der Noradrenalin- und Serotoninspiegel aus dem Gleichgewicht und es entsteht im späteren Leben der Zwang, diese traumatischen Erfahrungen zu wiederholen.

Allerdings darf man sich das Buch von Lloyd de Mause nicht als sentimentales Plädoyer für eine anti-autoritäre Erziehung vorstellen. Es ist über weite Strecken eine schonungslose und schockierende Darstellung der Geschichte der Kindheit, die bis fast in unsere Gegenwart eine Geschichte des Schreckens ist. Das beginnt mit einer hohen Säuglingssterblichkeit, setzt sich fort mit dem Opfern und Aussetzen von Kindern und reicht bis zu Schlagen, Drill, sexuellem Missbrauch, mangelnder Pflege und emotionaler Vernachlässigung."


in einem gewissen sinne lässt sich das, was wir als persönlichkeiten jeweils aktuell sind, waren und sein werden, auch als neurobiologische konfiguration verstehen. und diese wird - bisher! - mehrheitlich geprägt durch methoden wie von deMause (und vielen anderen) dargestellt. wirklich wundern kann ich mich über den erbärmlichen zustand der menschlichen sozialen welten vor diesem hintergrund nicht mehr.

Samstag, 8. Oktober 2005

"fake for real" ?

als ich so vorhin mal nach längerer zeit wieder im lieblingsbuchladen vorbeischaute, um ein wenig zu gucken, blieb ich irgendwann wie angewurzelt und mit großen augen stehen: "weia, was ist DAS?"

fake for real

ja, was ist das?

"Zwei streitbare junge Autorinnen zeigen: Die Welt, so wie sie wirklich ist, existiert nicht mehr. Inszenierung, Image und Schein sind die Leitplanken für Politik, Ökonomie und das ganz normale private Leben. Wir machen »Als-ob-Karrieren«, führen »Als-ob-Beziehungen« und schauen den Politikern jeden Sonntagabend bei ihren »Als-ob-Debatten « zu. Im gleichen Moment wird die Fälschung aber zur neuen subversiven Protestform, um das System von innen zu attackieren. Ist die »harmlose Heiapopeia-Generation« längst im Widerstand? Aus der Innenperspektive beschreiben die Autorinnen, wie die neuen Protest- und Überlebensformen in Politik und Alltag aussehen."


womit natürlich auch die thematik dieses blogs aufs engste berührt ist. aufgrund extremen finanziellen mangels gerade konnte ich es nur im laden recht oberflächlich durchsehen, um mir zumindest einen ersten eindruck zu verschaffen. und der ist sehr gemischt, wie vielleicht ein blick ins inhaltsverzeichnis etwas unzureichend deutlich macht - soweit ich überblicke, ist den autorinnen die definition des "als-ob"-begriffes, wie sie aus der psychiatrie stammt, nicht bekannt. und so können sie also folglich auch nicht die schwerwiegenden verbindungen zwischen den von ihnen immerhin wahrgenommenen fatalen entwicklungen und den hier thematisierten psychiatrisch-neurologischen störungen thematisieren. letztlich möchte ich für den moment auf den allerersten beitrag hier verweisen, und da besonders auf das dritte zitat. aber zum gerade entdeckten buch werde ich auf jeden fall versuchen, hier eine ausführliche rezension nachzutragen. und vielleicht liest es ja der eine oder die andere leserIn hier auch, und mag die persönlichen eindrücke beschreiben?

*

edit am 09.10.: eine rezension findet sich hier; dazu nimmt dieser taz-artikel bezug auf das buch, und stellt zusätzlich fest:

"(...) Das Bedenkliche daran ist, dass in die Simulation politischen Handelns nur allzu gerne eingewilligt wird. Judith Mair und Silke Becker, altersmäßig der als apolitisch gescholtenen Generation Golf zugehörig, ziehen in ihrem Buch "Fake for real. Über die private und politische Taktik des So-tun-als-ob" erleichtert den Schluss, dass die Ära der "Objektivitätsapostel" mit ihren ideologischen Scheuklappen endgültig überwunden sei. Statt großen Posen in der politischen Arena empfehlen die beiden Autorinnen smartes Verhalten in der Warenwelt: "Als aktive Konsumenten sind wir zugleich immer auch konsumierende Aktivisten, die sich aus einem gut bestückten Freizeitparksortiment und Supermarkt das herauspicken, was ihrer ,politischen Gesinnung' nahe kommt."

Es ist bezeichnend für das Selbstverständnis vieler Menschen in den Dreißigern, die statt von Bebel von Baudrillard gelernt haben, politische Gesinnung nur noch in Anführungszeichen denken zu können. Der Austausch von widerstreitenden Positionen, die Geltungsansprüche von Welterklärungsmodellen wird mit Kusshand den "immergleichen selbsternannten Diskurshoheiten" (Mair/Becker) überlassen. Man selbst wähnt sich in der pfiffigeren Position und verfolgt amüsiert das Politainment der Titanic-Partei und die situationistischen Einflüsse bei Guido Westerwelle.

Die schonungslose Analyse hat man drauf, klar, doch um das Eingeständnis, über die jahrelangen Dekonstruktionsarbeiten irgendwie auch seinen Politikbegriff verloren zu haben, drückt man sich noch herum. (...)"


und die fragen danach, was dekonstruktion überhaupt bedeutet, was konstruktivismus für ein umgang mit der welt ist, warum und wie eine solche "geistige haltung" überhaupt entsteht, wer ein bedürfnis danach hat (bzw. haben muss) - und was das alles mit der menschlichen wahrnehmung, ihren möglichen zuständen und störungen, zu tun hat - solche fragen werden erst gar nicht gestellt.

aber die beiden obigen rezensionen verstärken meinen ersten eindruck vom buch, wobei ich es natürlich trotzdem lesen werde, sobald es möglich ist.

*

@somlu: danke für die idee/den vorschlag. vielleicht komme ich irgendwann drauf zurück.

Samstag, 6. August 2005

mimikry

ja, so schnell kann´s gehen - hatte ich gestern nachmittag noch gedacht, dass es vielleicht mal wieder zeit sein könnte, sich mehr mit dem horrorgenre zu beschäftigen, so kam es ungeplant und unvorhergesehenerweise bereits gestern abend während eines besuches bei einem freund zur umsetzung. ein film, mimic, von dem ich schon gehört hatte, aber der mich für´s kino nicht ausreichend gereizt hat. ganz ordentlich gemacht, auch wenn die motive - "genmanipuliertes-produkt-gerät-ausser-kontrolle-und-muss-unter-allerlei- komplikationen-wieder-unschädlich-gemacht-werden" sowie "insekten-sind-eklig-und-erst-recht-wenn-sie-menschengröße-besitzen" nicht gerade die neuesten sind. spannend war der aspekt der rudimentär vorhandenen fähigkeit zur mimikry der mutation, welche ihr ein oberflächlich unauffälliges bewegen unter menschen ermöglicht hat - bei gleichzeitig völlig un-menschlichem wesen mit intelligenz und absoluter feindseligkeit gekoppelt. aber es ist ganz sicherlich nur ein zufall, dass derlei motive immer und immer wieder in der sog. popkultur auftauchen. oder ?
eine figur aus dem film war bemerkenswert - ein kleiner junge, sohn eines osteuropäischen (?) schuhputzers, der zeuge eines der ersten morde war - und mittels irgendwelchen klöppeln perfekt die insektenhaft-klappernd-trommelnde kommunikation der mutanten zunächst nachahmen, dann erlernen konnte. der junge wurde unzweifelhaft als autist gezeichnet, der sprechen konnte, aber nicht wollte, mit einem blick auf vorübergehende passanten todsicher ihre schuhmodelle bestimmen konnte, und vom vater als "besonders" betrachtet wurde. was eben diesem vater später das leben kosten sollte, als der sohn nämlich in das nest der insekten abgehauen war, und sich dort - angstfrei (!) und mit seinen kommunikativen fähigkeiten - offensichtlich mit den mutanten "angefreundet" hatte. als daddy ihn dann suchte und fand, nutzten dem jungen seine fähigkeiten allerdings nichts mehr - mutiertes killerungeziefer nimmt auf verwandschaftsbeziehungen nunmal keinerlei rücksicht.

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