assoziation: von leaks, lügen, (falschen) verschwörungen und virtuellem widerstand (1)

so, ohne viele weitere worte soll´s gleich mitten rein gehen in einen zumindest mich gerade sehr faszinierenden themenkomplex rund um wikileaks und die folgen - neben neuen bekanntgewordenen leaks gibt es dazu unsortiert kommentare, gedanken, hinweise... zu einigen aspekten, die sowohl hier in den vorherigen beiträgen als auch anderswo eine rolle spielen.

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geleaktes: das die - bisher bekannten - dokumente nicht die ganz großen "knaller" enthalten, hat bei etlichen leuten zu enttäuschungen und abwinkender skepsis geführt. diese beklagenswerte anspruchshaltung, die womöglich auch das uneingestandene bedürfnis nach sensationen und "hype" symbolisiert, übersieht dabei neben der eigentlich allgemein bekannten tatsache, dass hier kein "top-secret"-material vorliegt (wobei ich "geheim" und "vertraulich" nicht unterschätzen würde), vor allem die möglichen konsequenzen der tatsache, dass die bisherigen depeschen nicht nur viele bisher hauptsächlich auf verdacht beruhende annahmen über prozesse und funktionsweisen innerhalb dieses systems ziemlich stark untermauern und eine weitere leugnung sehr erschwert bis unmöglich gemacht wird. damit zusammenhängend sind die jetzt möglichen tiefen innenblicke in die vorgehensweisen der einzigen übriggebliebenen "weltmacht" plus ihrer sog. verbündeten bestens dazu geeignet, den kapitalistischen normalbetrieb als das permanent kriminelle, wenn auch keineswegs zufällig meistens nicht justiziable, handeln zu illustrieren, was es nun mal unter den bedingungen von defektem individuellen und kollektiven sozialverhalten und zwang zur profitakkumulation ist. vor diesem hintergrund ist die folgende geschichte rund um den
weltgrößten australischen bergbaukonzern "bhp billton" zu lesen - eine geschichte um imperialistisches konkurrenzgerangel und die innenpolitische macht von konzernen dieses kalibers.

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wl/assange: ich habe ja den verdacht, dass es bei der ablehnenden fraktion gegenüber wikileaks auch zu einem ganz großen teil um die person des julian assange geht. das ist teils nachvollziehbar, und zwar nicht nur wegen der vergewaltigungsvorwürfe, die später nochmal gesondert behandelt werden. der mann hat nach meinem eindruck nicht nur einen filmreifen lebenslauf, sondern auch einen ordentlichen schuß narzissmus mitbekommen. ich finde seine rolle bezgl. wikileaks zwiespältig: einerseits sorgt er wie ein popstar für allgemeine aufmerksamkeit und ist in sachen pr für wikileaks schlicht unbezahlbar (um mal auch in seiner wahrscheinlichen logik zu bleiben), andererseits führt diese allgemeine aufmerksamkeit zu einem verlust an spezieller aufmerksamkeit auf das eigentlich zentrale, nämlich die inhalte der geleakten dokumente. und er macht es vielen medien zu leicht, dieses letztere zu forcieren und zu unterstützen. letztlich ist wikileaks ja nur eine art vermittlungsstation, und ich frage mich, wie es aussehen würde, wenn sich wl auf diese nicht unbedingt spektakuläre rolle kommentarlos und weitgehend anonym beschränkt hätte.

wieder andererseits ist durch die enorme öffentlich polarisierung durch die person assange und die staatlichen und medialen reaktionen auf ihn möglicherweise erst einiges von den aktivitäten möglich geworden, die in den letzten tagen unter dem namen "cyberkrieg" für furore gesorgt haben. dazu ebenfalls gleich mehr mehr, aber u.a. auch aus diesem grund ist mein eindruck zwiegespalten.

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geleaktes: was da so weiter unten in einem kommentar als "allerplattestes pipifax-gossip" bezeichnet wurde, enthält dann u.a. folgende dokumente - unter der sog. reference-id
09KABUL1651 ist eine als "vertraulich" eingestufte depesche zu lesen, die sich kurz gesagt um etwas dreht, was in afghanistan als "baccha baazi" bezeichnet wird und insbesondere unter der herrschaft der mit den nato-truppen kooperierenden warlords zu alt-neuer blüte gefunden hat: eine sehr spezifische form der kinderprostitution, genauer gesagt der vergewaltigung von männlichen kindern und jugendlichen. das ist im letzten jahr deshalb in der us-botschaft zum thema geworden, weil diese praxis auch innerhalb eines zentrums zur ausbildung afghanischer polizisten "gepflegt" wurde, und zwar unter den augen, der offensichtlichen billigung und der mitwisserschaft von führungspersonal der us-amerikanischen söldnerfirma "dyncorp" aus texas. überflüssig zu erwähnen, dass die eng mit der us-army zusammenarbeitet, und demzufolge dreht sich die depesche v.a. um die sorge der diplomaten, wie man das alles am besten unter der decke hält, bevor die presse daraus ein großes thema macht.

warum und wozu genau ist "der westen" nochmal in afghanistan? war da nicht auch was mit "demokratie und menschenrechten" ? (übrigens fand das alles in der unmittelbaren nähe von kunduz im norden statt, also dem bereich, in dem auch die bundeswehr agiert.) aber klar, solche verbrechen sind nur "gossip". vor diesem hintergrund mit so einer wertung zu kommen, wirft ebenfalls die beliebte skeptikerfrage auf: cui bono?

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"anonymous":



- oder das "hacker-kollektiv", was keines ist. ich hatte mich vor ein paar monaten schon mal kurz mit dieser - hm, losen vereinigung beschäftigt, und zwar im zusammenhang mit "stuttgart 21". damals tauchten nach dem wasserwerferweinsatz in stuttgart videos auf, in denen anonymous in typischer machart - computerstimme, verweise auf den film
v wie vendetta - die sympathisanten zu protesten "gegen die regierung" in stuttgart und berlin aufrief. daraus ist dann nichts geworden, weil u.a. direkt in den kommentaren zu den videos eine auseinandersetzung unter diversen anonymoussen losging, in denen die eine seite von nötiger einmischung in freiheitsgefährdende regierungsmaßnahmen sprach und sich u.a. auf die bekannten aktionen gegen scientology berief, während die anderen das als eine art "verrat" von "neuen" gegenüber der "eigentlichen" idee von anonymous bezeichneten - was diese "eigentliche idee" ist, darüber gibt es durchaus verschiedene auffassungen, von denen eine mit vorsicht wiedergegeben sinngemäß so lautet: (virtuelle) sabotage um des spaßes wegen, mach böse dinge, um andere zu ärgern und dich zu amüsieren. das schrieb damals jemand bei indymedia, der sich offensichtlich genauer mit der historie von anonymous beschäftigt hatte.

inzwischen ist aber im zuge der wikileaks-geschichte eine erstaunliche entwicklung zu konstatieren, und zwar eine, die im weitesten sinne vielleicht als ungewollte und auch ungeplante art von politisierung vieler mit anonymous sympathisierender zu bezeichnen ist. war die "operation payback" - der vielzitierte erste "cyberwar" - mittels ddos-angriffen (die nichts mit hacken zu tun haben) gegen die bekannten verdächtigen firmen und konzerne noch als "typisches" aktionslevel von anonymous (miß-)zuverstehen (und auch ein beweis dafür, dass tausende zumindest virtuell die grenzen zwischen "legal" und "illegal" inzwischen realistisch betrachten), so besitzt die oben im video vorgestellte "operation leakspin" einen qualitativ anderen und hinsichtlich der unterstellten zumindest teilweisen "spaß"orientierung seitens anonymous´ sehr ungewöhnlichen charakter. ebenfalls sind etliche
veröffentlichungen von anonymous in diesen tagen von einem ungewöhnlichen ernst geprägt. ich kann persönlich nur darüber spekulieren, was das genau ist und wie tragfähig das ist. operation leakspin jedenfalls finde ich von der idee her faszinierend: die depeschen durchforschen nach bisher im mainstream nicht behandelten themen, und dann selbst eine zusammenfassung - text, video, comic, flugblatt etc. - zu produzieren, um diese dann zunächst im gesamten virtuellen raum, in foren, videoplattformen und überall sonst, aber auch im real life, direkt oder auch als "trojanisches pferd" mittels irreführender keywords u.ä. zu präsentieren. infoguerilla im wahrsten sinne des wortes, was arbeitsaufwand, ernsthaftigkeit und kreativität erfordert. wer bei you tube unter "operation leakspin" sucht, kann bereits eine reihe von unter diesen prämissen produzierten videos betrachten.

es wird interessant sein zu sehen, wie es am ende mit der kontinuität der aktivistInnen - im anonymous-sinne könnten das übrigens auch ich und Sie sein - aussieht, wenn in ein paar wochen oder auch monaten wikileaks nicht mehr mindestens jeden zweiten tag die schlagzeilen beherrscht. wobei das mit der bisherigen veröffentlichungspraxis sowie dem für januar angekündigten leak aus einer us-großbank vielleicht absehbar noch kein ende finden wird...

es gibt für "operation leakspin" als hilfreiches tool eine speziell für die depeschen entwickelte suchmaschine namens
LeakySearch, die auch dann gute dienste leisten kann, wenn sie nicht im kontext der aktion verwendet wird. im übrigen sei für an anonymous interessierte noch auf das weltweite forum der aktivistInnen hingewiesen. nicht nur die direkt verlinkte sektion zu wikileaks ist dabei interessant, sondern beim gesamtbild fand ich es bei meinen ersten besuchen schon beeindruckend, dass anonymous tatsächlich auf eine wie auch immer geartete weltweite präsenz und vernetzung zurückgreifen kann. ich persönlich hätte diese jungs und mädels nicht gerne als gegner...

der oben erwähnte film "v wie vendetta" könnte übrigens aus meiner sicht eine nicht unwesentliche motivation für viele "anons" darstellen - mehr zu wikileaks und science fiction-szenarien später.

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journalismus / medien: alleine die existenz von plattformen wie wikileaks (zu der sich demnächst auch das wiki-aussteiger-projekt "openleaks" gesellen soll), sollte eigentlich für jeden journalisten, der sich nocht nicht selbst völlig machtkompatibel zugerichtet hat und zumindest einen hauch berufsehre verspürt, ohrfeige und ansporn zugleich darstellen. und eine der konsequenzen des aktuellen leaks sehe ich eben auch darin, dass die unrühmliche rolle der sog. "vierten gewalt" so wie vieles andere auch nochmals überdeutlich kenntlich wird. und ähnlich wie bei anonymous stellt sich auch hier die frage, ob das langfristige und strukturelle konsequenzen für das handeln vieler medien haben wird. ob sich wirklich etwas entwickelt, was die "monitor"-moderatorin sonia mikich in einem aktuellen
blogeintrag am ende so formuliert:

(...) "Fakt ist: Internet-Aktivisten setzen zunehmend politische Themen auf die Agenda, und diese Entwicklung ist nicht umkehrbar. Das ist ein Weckruf für die klassischen Medien, über ihr Selbstverständnis nachzudenken. Die Verbandelung zwischen Politik und Medien wird unter Beobachtung stehen, zu viel kuscheln und talken wird unangenehm auffallen, wenn gleichzeitig die harten Fragen im Internet stattfinden."

kurzfristig war jedenfalls in den letzten tagen einiges an entsprechenden reaktionen sichtbar, was die themenauswahl in etlichen medien anbelangt: so veröffentlichten "zeit" und "tagesspiegel" in kooperation nicht nur einen durchaus erhellenden artikel über die zusammenhänge zwischen
deutscher bank, riester-rente und streubombenmunition, sondern legten auch noch kurze zeit später mit einem langen artikel zum einfluss von lobbyisten auf die hiesige politik nach - natürlich mit schlußfolgerungen ("stärkung der parlamentarier"), die sich ebenso wie ihre ansonsten eher contra-berichterstattung hinsichtlich wikileaks im systemtragenden rahmen halten. wer sich aber die kommentare zu beiden artikeln durchliest, wird merken, dass es für derartige schlußfolgerungen keineswegs großen beifall gibt.

übern großen teich machte die "new york times" analog mit einem bericht zu einem geheimen treffen von führenden gestalten der großen us-banken auf, bei dem es um
absprachen hinsichtlich des derivate-marktes ging - ich habe auf den entsprechenden hinweis der "huffington post" gelinkt, weil die dortigen tausenden kommentare für englischsprachige leserInnen ebenfalls durchaus interessant sein können und einiges über die stimmung in einem teil der us-bevölkerung deutlich machen.

jedenfalls enthalten die genannten beispiele genau solche themenbereiche, die ansonsten von wikileaks analog in die öffentlichkeit gebracht werden. das finde ich zumindest auffällig. den vogel bei den bisherigen medialen reaktionen schießt allerdings bisher die "westdeutsche allgemeine" ab, die sich offenbar hals über kopf in ein
eigenes upload-portal für whistleblower gestürzt hat und dafür von etlichen leserInnen zurecht viel häme kassiert - zu offensichtlich erscheint der versuch, u.a. an wikileaks verlorengegangenes terrain sowie ebenfalls verlorengegangene glaubwürdigkeit mit so einer aktion zurückgewinnen zu wollen.

*

so, und wie ich es mir schon gedacht habe, passt von der länge her höchstens die häfte von dem hier rein, was ich schreiben will. also kommt ein
zweiter teil.
sansculotte - 13. Dez, 18:07

ad 'geleaktes'

Als ich den Ausdruck "pipifax-gossip" verwandt, war von "09KABUL1651" medial noch nichts zu sehen. Zu diesem Zeitpunkt ging es hauptsächlich um die Bewertung europäischer und asiatischer Politiker durch den diplomatischen Corps der US. Eine Bewertung, die von den MSM offensichtlich als prioritär eingestuft wurde, und die direkt ins Zentrum der Kritik an den WikiLeaks-Veröffentlichungen führt, zu der Frage nämlich, ob die Vereinbarung mit den und die Vermittlung durch die Mainstreamorgane NYT, El Pais, Spiegel, The Guardian und Le Monde so, wie sie von Assange vollzogen wurde, hilfreich war oder nicht eher zur fast durchgängingen Instrumentalisierung und Kontrollierbarkeit von WL geführt hat. Letztlich haben fünf systemkonforme Medien darüber befunden, in welcher Reihenfolge und welchem Ausmaß die Verbreitung der kritischen Informationen stattfinden sollte.

Dieser Umstand und die Inszenierung um seine Person macht Assange nicht unbedingt zu einem vertrauenswürdigen Custos der Dokumente. Wie vollständig sind diese? Stimmt es, dass wesentliche Depeschen v.a. aus den Jahren 2006 und 2009 entfernt wurden? Wenn ja, warum, und wer hat diese Auswahl getroffen? Wie exakt lautete das Agreement, das Assange mit den Medien getroffen hat? Welche Zugeständnisse musste er machen? Wer wurde wie finanziert?

Und nicht zuletzt: cui bono?

;-)

monoma - 13. Dez, 20:44

aber ersteres ist eben einfach der punkt (den ich auch etlichen leuten in einigen tp-foren um die ohren hauen musste): warum nicht einfach erstmal abwarten, bevor vorschnell urteile gefällt werden?

dann: die tendenz hierzulande bei den msm war von anfang an ziemlich deutlich und tatsächlich richtung gossip. nur hat bspw. der "guardian" quasi vom ersten tag an eine berichterstattung geliefert, die gerade "spon" völlig dumm dastehen lässt. interessante sachen waren immer schnell und zuerst im guardian zu lesen.

klar ist die selektion ein kritikpunkt; wobei zumindest bekannt ist, dass seitens wikileaks personenbezogene daten gelöscht wurden (was ich mir unter bestimmten konstellationen als sinnvoll vorstellen kann, wenn es etwa um konkreten schutz von nichtmilitärischen informanten geht). dann hat wl bei einigen daten die us-regierung vorher angefragt - das lässt sich kritisieren, hat wl aber auch u.u. bisher davor beschützt, gleich frontal wg. spionage angegangen zu werden. und kassiert hat wl meines wissens nichts - ich könnte mir vorstellen, dass die beteiligten medien möglicherweise im hintergrund eine art unterstützungszahlung für infrastruktur etc. liefern.

und zum cui bono siehe teil zwei. :-P

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