kontext 9: "einfach irre", oder was?!?
das folgende stellt gewissermaßen einige anmerkungen dar, und zwar zu den entsprechenden kommentaren hier. natürlich ist der ausdruck in der überschrift oben als phrase nicht unproblematisch und lädt zu verschiedenen mißverständnissen geradezu ein. eines davon könnte z.b. in einer simplifizierung doch recht komplexer (wenn auch deshalb nicht unverständlicher) sozialer verhältnisse liegen. meist in der form von personalisierung, wie es z.b. am deutlichsten sehr gerne mit der person adolf hitlers als quasi alleinschuldiger/-verantwortlicher hinsichtlich nazi-deutschlands betrieben wird:
"Die Hitlerforschung laboriert seit je an einem Dilemma: Entweder wird das Phänomen Hitler aus seiner psychischen Abnormität erklärt - was die Frage offenlässt, wie ein einzelner eine so große öffentliche Wirkung haben konnte. Oder man erklärt Hitlers Aufstieg aus den sozialhistorischen Umständen seiner Zeit - wobei man dann doch nicht um die Einsicht herumkommt, daß ohne seinen pathologischen Vernichtungswillen der Massenmord nicht möglich gewesen wäre."
so beschreiben die autoren von hitler - karriere eines wahns (siehe auch literaturliste) im vorwort die sich immer noch konträr gegenüberstehenden historischen forschungsansätze aus ihrer sicht. die kluft dazwischen versuchen sie mit ihrem ansatz zu überbrücken, indem hitler einerseits mit hilfe von vielfältig vorhandenen zeitzeugenberichten und biographieforschung einerseits sozusagen nachträglich eine gründliche psychiatrische anamnese und diagnose gestellt wird, andererseits aber auch nach den quasi ankoppelungspunkten seiner persönlichen pathologie beim damaligen begeisterten publikum gefragt wird - und letztlich also auch die pathologischen strukturen innerhalb dieses publikums untersucht werden. die dabei entstehenden ergebnisse lassen sich, wie es vielleicht schon zu erwarten gewesen ist, keinesfalls in der "klassischen" psychiatrischen diagnostik unterbringen, die dann auch von den autoren um ein eigenes modell erweitert wird - sie kommen letztlich zu dem schluß, dass es sich bei hitler um einen realitätstüchtigen psychotiker, genauer um eine sonderform von schizophrenie, gehandelt hätte. und arbeiten dabei kurioserweise zentral mit dem begriffspaar "privates" vs. "öffentliches selbst", wobei das letztere bei hitler ihrer meinung nach u.a. von zügen wie paranoia und einem grandiosen narzißmus geprägt gewesen sei und das "private selbst" im laufe der zeit regelrecht "erdrückt" hätte. auch die von anderen psychiatern gestellte diagnose einer narzißtischen borderlinepersönlichkeit wird von ihnen untersucht, und paradoxerweise ist ihre ablehnung dieser diagnose vielleicht gleichzeitig richtig und falsch - richtig deswegen, weil die von ihnen dargestellte argumentation der entsprechenden diagnostik sich tatsächlich im engen orthodox-psychoanalytischen korsett bewegt und schlicht nicht überzeugend ist bzw. extrem konstruiert wirkt. und falsch aber eventuell deswegen, weil sich eine borderline-diagnose auch anders begründen lässt - und wenn statt der begriffe privat und öffentlich das paar authentisch vs. simulativ benutzt wird, kommt dabei ziemlich genau das heraus, was ein gewisser herr mertz unter zuhilfenahme der gedanken von christa rohde-dachser so beschreibt:
"Dazu Rohde-Dachser (1991): `Die (borderline-)Patienten entwickeln auf der Basis oberflächlicher Identifizierungen nach außen hin eine Fassade angepaßter Verhaltensweisen, hinter der sich das wahre Selbst so vollkommen verbergen kann, daß es keinen Kontakt zur Realität mehr findet...Das von der Realität abgeschnittene wahre Selbst verflüchtigt sich immer mehr zu einer für den Patienten oft kaum mehr faßbaren megalomanischen Phantasie, während die ursprünglich als Schutz des wahren Selbst intendierte falsche Fassade immer mehr Raum gewinnt.´
An anderer Stelle übernimmt die Autorin das Statement eines Psychoanalytikerkollegen: Die borderlinespezifischen psychischen Spaltungsprozesse bewirkten unter anderem den `Schutz einer geheimen Zone des Nicht-Kontaktes, wo das Subjekt absolut allein...und sein wahres Selbst geschützt ist.´
kleine zwischenfrage: nichtkontakt und eine zone des absoluten alleineseins - welches wort kommt Ihnen dabei in den sinn?
mertz weiter:
"Wie sollten wir als Therapeuten dieses verschlossene Geheimnis in Erfahrung bringen? Muß das wahre Selbst etwa unbedingt vorhanden sein, gerade weil es subjektiv-erfahrungsmäßig und funktional so offensichtlich fehlt und auch von anderen nicht mehr wahrgenommen werden kann? Welch seltsame Logik: Es ist da, gerade weil es nicht da ist. Vielleicht sollten wir zunächst einmal die Hypothese zulassen, daß etwas offenischtlich Nichtvorhandenes ... tatsächlich nicht vorhanden ist. Sobald wir diesen außerordentlich kühnen Schritt getan haben, tritt wieder das verpönte Bild der totalsimulativen Persönlichkeit in unser Blickfeld und damit das spätmoderne Angstgespenst des Autismus."
(beide zitate oben aus: j. erik mertz, "borderline...", s. 66; siehe literaturliste)
mit ihrem dualistischen selbst-modell retten die autoren des hitler-buches also womöglich das eindimensionale psychosekonzept der orthodoxen psychiatrie und müssen fast zwangsläufig zur "schizophrenie"-diagnose gelangen, auch wenn sie dazu den eh schon sehr strapazierten begriff schizophrenie noch weiter inhaltlich ausdehnen müssen. tatsächlich aber wird bei dem von ihnen angehäuften material zu hitler, dessen umfang und qualität bereits alleine schon das buch lesenswert machen, eigentlich überdeutlich, dass es sich bei ihm um eine durch und durch beziehungslose persönlichkeit gehandelt hat, die allerdings selbst - in grenzen - an die authentizität der eigenen kontakte geglaubt hat. nach dem selbstmord seiner "geliebten" geli raubal im jahre 1931 soll er kommentiert haben:
"Bisher hatte ich noch Bindungen zur Welt, - offenbar hatte ich sie noch, ich wußte es gar nicht. Jetzt ist alles von mir genommen. Jetzt bin ich ganz frei, innerlich und äußerlich. Vielleicht hat es so sein sollen. Jetzt gehöre ich nur noch dem deutschen Volk und meiner Aufgabe."
(matussek, matussek, marbach "hitler - karriere eines wahns", s. 195; siehe literaturliste)
nach diesem zeitpunkt wurde von verschiedensten beobachtern eine extrem zunehmende (oder vielleicht sich völlig offenbarende?) "fremdheit und kälte gegenüber den anderen" sowie der "verlust der letzten reste zwischenmenschlicher empathie" konstatiert - eine anscheinend neue qualität der beziehungslosigkeit, die sich jedoch berechtigt anzweifeln lässt, wenn man sich das verhältnis von hitler zu geli rauball genauer betrachtet. einmal wurde sie von ihm wie eine gefangene "gehalten", wenn auch unter luxuriösen bedingungen. zum anderen aber existieren berichte von sado-masochistischen handlungen, zu denen er sie gezwungen haben soll. und auch, wenn letztere berichte mit vorsicht zu betrachten sind, so wird doch überdeutlich, dass hitler selbst hier, bei der "größten liebe seines lebens", eine mehr oder weniger völlige unfähigkeit zu einer nichthierarchischen und tatsächlich menschlichen beziehung gezeigt hat. seine anderen frauen"beziehungen", besonders die zu eva braun, zeigen das nur um so deutlicher und krasser auf, was bereits bei der angeblichen großen "liebe" deutlich wird:
"Unzweifelhaft jedoch ist die Tatsache, daß Geli von Hitler als sein Besitz angesehen wurde,..."
("hitler-....", s. 193)
ich frage mich immer, wann sich endlich herumsprechen wird, dass menschen andere menschen, die auch als menschen wahrgenommen werden, unmöglich besitzen können /wollen. diese besitzidee könnte ihre basis in einer konstellation "ich vs. mein körper" als selbstwahrnehmung haben - und hat bereits dann, wenn nämlich diese konstellation in der selbstwahrnehmung dominant ist, eine gewisse pathologische qualität (ja, ganz recht, unser westliches normalbewußtsein...). anders: "besitzen" lassen sich nur dinge - oder eben menschen, die durch eine defekte wahrnehmung in dinge verwandelt werden. was mich zu einer etwas überraschenden assoziation bezgl. sogenannter "eifersuchtsmorde" bringt, die angeblich immer durch "übergroße liebe" verursacht werden. vielleicht existieren auch hier zwei qualitativ grundsätzlich verschiedene zustände von eifersucht: einmal eine authentisch-menschliche form, die durch schmerz über zurückweisung und (getriggerte) verlustgefühle (trauer!) auch älterer herkunft gekennzeichnet ist. und zum anderen eine "als-ob-eifersucht", bei der das wort liebe völlig fehl am platze ist, und die sich eben durch die kränkung durch den verlust eines für einen selbst wertvollen objektes auszeichnet. liebe lässt los, wenn auch unter schmerzen - die immer wiederkehrenden morde jedoch lassen ganz und gar nicht los, vernichten das ding lieber, und erkennen damit auch nicht die existenz einer anderen persönlichkeit als eigene qualität an. und das ist von liebe welten entfernt, wie ich finde.
zurück zu hitler: neben der pseudobeziehung zu geli raubal, die sich mit guten gründen als pseudo bezeichnen lässt, wird von den autoren der erwähnten untersuchung primär seine mutterbeziehung als "echt" herausgestellt und das an seiner anscheinend extremen trauer bei ihrem tod festgemacht (eine mutter übrigens, die ihn "vergötterte" und ihm einen völlig unrealistischen status eines "supersohnes" gab - eine mögliche quelle einer fetten narzißtischen problematik, schon klar - allerdings stellt sich auch hier die frage, ob sich wirklich von einer beziehung im menschlichen sinne sprechen lässt. bei arno gruen ist zum verhältnis von hitler zu seiner mutter etwas ziemlich anderes zu lesen:
"Dr. Eduard Bloch, der Arzt, der 1907 Hitlers Mutter behandelt hatte, berichtete später, er habe `nie einen jungen Menschen gesehen, der vor Schmerz und Gram so namenlos unglücklich gewesen wäre wie der junge Adolf Hitler´ beim Begräbnis seiner Mutter (genau darauf beziehen sich matussek et al., anmerk. mo). Doch was steckt hinter einer solchen hysterischen Ergebenheit, die wir von vielen Konformisten kennen? (...) Rudolph Binions Analyse ist eher zuzustimmen (...). Er zog die Aufzeichnungen dieses Arztes heran, die im Hauptarchiv der NSDAP gefunden wurden, und konnte die gespaltene Natur von Hitlers `Mutterliebe´ zeigen. Hitler war zwar außerordentlich um seine sterbende Mutter besorgt, bestand jedoch auf der wirkungslosen, aber furchtbaren Jodoformbehandlung, die seine Mutter sehr quälte und ihren Tod beschleunigte."
(arno gruen, "der wahnsinn der normalität", s. 154; siehe literaturliste)
und damit werden ausnahmslos alle von hitler bekannten und durch verschiedenste zeitzeugen dokumentierten zwischenmenschlichen verhältnisse zu fiktionalen und simulativen nichtbeziehungen. eine wandelnde katastrophe, dieser mann - aber hervorgebracht und gefördert durch ebenso katastrophale soziale verhältnisse einer kultur, die sich einbildet, eine "hochzivilisation" zu sein.
*
und natürlich: die frage danach, wieweit seine anhängerschar selbst innerhalb dieser defekten realitätsform funktionierte, birgt klarerweise bis heute für uns als nachkommen der betroffenen generationen eine ziemliche brisanz, holt sie doch ein anscheinend historisches ereignis direkt auf die ebene ganz persönlicher und existenzieller fragen. und da wird´s dann eben sehr schnell ungemütlich bis bedrohlich. von daher ist aber die arbeit der autoren der betreffenden hitlerbiographie imo um so bedeutender einzuschätzen, auch wenn sie meines wissens bis heute ebensowenig größere resonanz gefunden hat wie bereits erwähnte gewisse andere arbeiten. wozu wieder mertz die klarsten worte findet, zumindest was das sichtbare versagen der sog. fachleute angeht:
"Der intelligente und simulativ geschickte Antisoziale, der zu Macht gekommen ist, wird kurzerhand per definitionem zu einem Ding der Unmöglichkeit deklariert, d.h. die Hitlers und Himmlers werden in einem sehr seltsamen Outplacingverfahren aus dem psychopathologischen Spektrum einfach ausgeschlossen und damit letztendlich in den gesunden Sektor verschoben. Als ob sich die innerhalb der wissenschaftlichen Psychopathologie operierenden Mitglieder der Funktionseliten, stellvertretend für alle anderen Mitglieder gegen jedwedes psychopathologisches Verdachtsmoment grundsätzlich verwahren wollten. Die Funktionselite wäscht sich quasi selbst rein, versucht es wenigstens, und die Wissenschaft ist dabei behilflich. Wer einigermaßen unauffällig und effizient funktioniert, insbesondere in herausgehobener Position, kann nicht wirklich, nicht ernsthaft krank sein, weil er nicht krank sein darf."
(mertz, "borderline...",s. 57)
nun werden sich vielleicht gerade bei hitler genügend stimmen finden lassen, die eine ernsthafte psychopathie noch in erwägung ziehen - der bursche war einfach in jeder hinsicht zu extrem. anders aber sieht´s dann schon mit den sog. demokratischen führern und erst recht mit bspw. angehörigen der wirtschaftlichen "eliten" aus, obwohl gerade in diesen bereichen eine echte notwendigkeit besteht, sich die handelnden protagonisten ganz genau anzuschauen.
das selbst bei einem explizit nichtpsychiatrischen blick sehr schnell einiges auffällige sichtbar wird, lässt sich z.b. bei einem bestseller der 1970er jahre, ihr da oben - wir da unten von bernt engelmann und günter wallraff, in hunderttausenfacher auflage verlegt, nachvollziehen. ging es den beiden dort ursprünglich um ein besitz- und persönlichkeitsprofil der damaligen westdeutschen gesellschaftlichen, v.a. wirtschaftlichen "eliten", so ziehen sie ziemlich am ende ihrer recherchen - bei der darstellung des damaligen skandals um den "gerling-konzern" und den bankrott der "herstatt-bank", folgendes fazit:
"Die FAZ verschweigt (in einem dokumentierten kommentar zum erwähnten skandal, anmrk. mo), daß Gerling nur ein - besonders offensichtlich gewordenes - Beispiel für die Möglichkeiten, ja Affinitäten von Machtmißbrauch und Unternehmerwillkür innerhalb der sogenannten `Freien Marktwirtschaft´ darstellt. Die vielen Hunderte und Tausende kleinen und großen Gerlings sollen weiterhin möglichst frei und hemmungslos ihrer Profitleidenschaft unkontrolliert nachgehen. Unterschlagen und verdrängt wird, daß Gerlings Verhalten geradezu symptomatisch ist für Alleinherrscher dieser Größenordnung. Alfried Krupp, der alte Flick, Quandt, Melitta-Bentz, Siemens-Clan, Oetker und wie sie alle heißen, zeigen politisch wie psychopathologisch oft ganz ähnliche Verhaltensmuster."
(engelmann/wallraff "ihr da oben - wir da unten"; rororo, reinbek 1976; s. 293; isbn 3 499 16990 8)
erstmalig 1973 erschienen, ist die damalige zeit der patriarchalischen alleinherrscher über solche bis heute - in form von aktiengesellschaften meist - existierenden markenunternehmen zwar vorbei, an der psychopath(olog)ischen grundstruktur jedoch scheint sich nicht viel geändert zu haben. das buch ist quasi von vorne bis hinten eine beschreibung schwerer psychiatrischer auffälligkeiten, bei denen die betroffenen einzig durch geld und machtposition vor jenen konsequenzen geschützt sind, die ein normalsterblicher in solchen fällen recht schnell vom sozialen umfeld zu erwarten hätte. gerling ist für derartige verhaltensweisen ein besonders eindrückliches beispiel, aber es finden sich ganze familien mit symptomatiken - beispiel der kruppclan:
vielleicht sollte noch hinzugefügt werden, dass es sich bei krupp um jene firma handelt, die im ersten weltkrieg durch den verkauf von waffen an beide kriegführenden seiten stinkreich geworden ist (und etlichen deutschen soldaten durch "qualität made in germany" ein invalidenschicksal, wenn nicht den tod, "bescherte" - soldaten , die genau die "ordnung" verteidigen sollten, die eine solche firma erst hervorbrachte); und sowohl am aufstieg hitlers als auch massenhaft von späterer zwangsarbeit und wiederum krieg nocheinmal profitierte, und sehr schnell nach dem zweiten wk wieder präsent war und macht und einfluß vergrößerte. eine "erfolgsgeschichte", die stellvertretend für viele andere derartige geschichten steht.
"houston, we have a very big fuckin´ problem...!"
"Die Hitlerforschung laboriert seit je an einem Dilemma: Entweder wird das Phänomen Hitler aus seiner psychischen Abnormität erklärt - was die Frage offenlässt, wie ein einzelner eine so große öffentliche Wirkung haben konnte. Oder man erklärt Hitlers Aufstieg aus den sozialhistorischen Umständen seiner Zeit - wobei man dann doch nicht um die Einsicht herumkommt, daß ohne seinen pathologischen Vernichtungswillen der Massenmord nicht möglich gewesen wäre."
so beschreiben die autoren von hitler - karriere eines wahns (siehe auch literaturliste) im vorwort die sich immer noch konträr gegenüberstehenden historischen forschungsansätze aus ihrer sicht. die kluft dazwischen versuchen sie mit ihrem ansatz zu überbrücken, indem hitler einerseits mit hilfe von vielfältig vorhandenen zeitzeugenberichten und biographieforschung einerseits sozusagen nachträglich eine gründliche psychiatrische anamnese und diagnose gestellt wird, andererseits aber auch nach den quasi ankoppelungspunkten seiner persönlichen pathologie beim damaligen begeisterten publikum gefragt wird - und letztlich also auch die pathologischen strukturen innerhalb dieses publikums untersucht werden. die dabei entstehenden ergebnisse lassen sich, wie es vielleicht schon zu erwarten gewesen ist, keinesfalls in der "klassischen" psychiatrischen diagnostik unterbringen, die dann auch von den autoren um ein eigenes modell erweitert wird - sie kommen letztlich zu dem schluß, dass es sich bei hitler um einen realitätstüchtigen psychotiker, genauer um eine sonderform von schizophrenie, gehandelt hätte. und arbeiten dabei kurioserweise zentral mit dem begriffspaar "privates" vs. "öffentliches selbst", wobei das letztere bei hitler ihrer meinung nach u.a. von zügen wie paranoia und einem grandiosen narzißmus geprägt gewesen sei und das "private selbst" im laufe der zeit regelrecht "erdrückt" hätte. auch die von anderen psychiatern gestellte diagnose einer narzißtischen borderlinepersönlichkeit wird von ihnen untersucht, und paradoxerweise ist ihre ablehnung dieser diagnose vielleicht gleichzeitig richtig und falsch - richtig deswegen, weil die von ihnen dargestellte argumentation der entsprechenden diagnostik sich tatsächlich im engen orthodox-psychoanalytischen korsett bewegt und schlicht nicht überzeugend ist bzw. extrem konstruiert wirkt. und falsch aber eventuell deswegen, weil sich eine borderline-diagnose auch anders begründen lässt - und wenn statt der begriffe privat und öffentlich das paar authentisch vs. simulativ benutzt wird, kommt dabei ziemlich genau das heraus, was ein gewisser herr mertz unter zuhilfenahme der gedanken von christa rohde-dachser so beschreibt:
"Dazu Rohde-Dachser (1991): `Die (borderline-)Patienten entwickeln auf der Basis oberflächlicher Identifizierungen nach außen hin eine Fassade angepaßter Verhaltensweisen, hinter der sich das wahre Selbst so vollkommen verbergen kann, daß es keinen Kontakt zur Realität mehr findet...Das von der Realität abgeschnittene wahre Selbst verflüchtigt sich immer mehr zu einer für den Patienten oft kaum mehr faßbaren megalomanischen Phantasie, während die ursprünglich als Schutz des wahren Selbst intendierte falsche Fassade immer mehr Raum gewinnt.´
An anderer Stelle übernimmt die Autorin das Statement eines Psychoanalytikerkollegen: Die borderlinespezifischen psychischen Spaltungsprozesse bewirkten unter anderem den `Schutz einer geheimen Zone des Nicht-Kontaktes, wo das Subjekt absolut allein...und sein wahres Selbst geschützt ist.´
kleine zwischenfrage: nichtkontakt und eine zone des absoluten alleineseins - welches wort kommt Ihnen dabei in den sinn?
mertz weiter:
"Wie sollten wir als Therapeuten dieses verschlossene Geheimnis in Erfahrung bringen? Muß das wahre Selbst etwa unbedingt vorhanden sein, gerade weil es subjektiv-erfahrungsmäßig und funktional so offensichtlich fehlt und auch von anderen nicht mehr wahrgenommen werden kann? Welch seltsame Logik: Es ist da, gerade weil es nicht da ist. Vielleicht sollten wir zunächst einmal die Hypothese zulassen, daß etwas offenischtlich Nichtvorhandenes ... tatsächlich nicht vorhanden ist. Sobald wir diesen außerordentlich kühnen Schritt getan haben, tritt wieder das verpönte Bild der totalsimulativen Persönlichkeit in unser Blickfeld und damit das spätmoderne Angstgespenst des Autismus."
(beide zitate oben aus: j. erik mertz, "borderline...", s. 66; siehe literaturliste)
mit ihrem dualistischen selbst-modell retten die autoren des hitler-buches also womöglich das eindimensionale psychosekonzept der orthodoxen psychiatrie und müssen fast zwangsläufig zur "schizophrenie"-diagnose gelangen, auch wenn sie dazu den eh schon sehr strapazierten begriff schizophrenie noch weiter inhaltlich ausdehnen müssen. tatsächlich aber wird bei dem von ihnen angehäuften material zu hitler, dessen umfang und qualität bereits alleine schon das buch lesenswert machen, eigentlich überdeutlich, dass es sich bei ihm um eine durch und durch beziehungslose persönlichkeit gehandelt hat, die allerdings selbst - in grenzen - an die authentizität der eigenen kontakte geglaubt hat. nach dem selbstmord seiner "geliebten" geli raubal im jahre 1931 soll er kommentiert haben:
"Bisher hatte ich noch Bindungen zur Welt, - offenbar hatte ich sie noch, ich wußte es gar nicht. Jetzt ist alles von mir genommen. Jetzt bin ich ganz frei, innerlich und äußerlich. Vielleicht hat es so sein sollen. Jetzt gehöre ich nur noch dem deutschen Volk und meiner Aufgabe."
(matussek, matussek, marbach "hitler - karriere eines wahns", s. 195; siehe literaturliste)
nach diesem zeitpunkt wurde von verschiedensten beobachtern eine extrem zunehmende (oder vielleicht sich völlig offenbarende?) "fremdheit und kälte gegenüber den anderen" sowie der "verlust der letzten reste zwischenmenschlicher empathie" konstatiert - eine anscheinend neue qualität der beziehungslosigkeit, die sich jedoch berechtigt anzweifeln lässt, wenn man sich das verhältnis von hitler zu geli rauball genauer betrachtet. einmal wurde sie von ihm wie eine gefangene "gehalten", wenn auch unter luxuriösen bedingungen. zum anderen aber existieren berichte von sado-masochistischen handlungen, zu denen er sie gezwungen haben soll. und auch, wenn letztere berichte mit vorsicht zu betrachten sind, so wird doch überdeutlich, dass hitler selbst hier, bei der "größten liebe seines lebens", eine mehr oder weniger völlige unfähigkeit zu einer nichthierarchischen und tatsächlich menschlichen beziehung gezeigt hat. seine anderen frauen"beziehungen", besonders die zu eva braun, zeigen das nur um so deutlicher und krasser auf, was bereits bei der angeblichen großen "liebe" deutlich wird:
"Unzweifelhaft jedoch ist die Tatsache, daß Geli von Hitler als sein Besitz angesehen wurde,..."
("hitler-....", s. 193)
ich frage mich immer, wann sich endlich herumsprechen wird, dass menschen andere menschen, die auch als menschen wahrgenommen werden, unmöglich besitzen können /wollen. diese besitzidee könnte ihre basis in einer konstellation "ich vs. mein körper" als selbstwahrnehmung haben - und hat bereits dann, wenn nämlich diese konstellation in der selbstwahrnehmung dominant ist, eine gewisse pathologische qualität (ja, ganz recht, unser westliches normalbewußtsein...). anders: "besitzen" lassen sich nur dinge - oder eben menschen, die durch eine defekte wahrnehmung in dinge verwandelt werden. was mich zu einer etwas überraschenden assoziation bezgl. sogenannter "eifersuchtsmorde" bringt, die angeblich immer durch "übergroße liebe" verursacht werden. vielleicht existieren auch hier zwei qualitativ grundsätzlich verschiedene zustände von eifersucht: einmal eine authentisch-menschliche form, die durch schmerz über zurückweisung und (getriggerte) verlustgefühle (trauer!) auch älterer herkunft gekennzeichnet ist. und zum anderen eine "als-ob-eifersucht", bei der das wort liebe völlig fehl am platze ist, und die sich eben durch die kränkung durch den verlust eines für einen selbst wertvollen objektes auszeichnet. liebe lässt los, wenn auch unter schmerzen - die immer wiederkehrenden morde jedoch lassen ganz und gar nicht los, vernichten das ding lieber, und erkennen damit auch nicht die existenz einer anderen persönlichkeit als eigene qualität an. und das ist von liebe welten entfernt, wie ich finde.
zurück zu hitler: neben der pseudobeziehung zu geli raubal, die sich mit guten gründen als pseudo bezeichnen lässt, wird von den autoren der erwähnten untersuchung primär seine mutterbeziehung als "echt" herausgestellt und das an seiner anscheinend extremen trauer bei ihrem tod festgemacht (eine mutter übrigens, die ihn "vergötterte" und ihm einen völlig unrealistischen status eines "supersohnes" gab - eine mögliche quelle einer fetten narzißtischen problematik, schon klar - allerdings stellt sich auch hier die frage, ob sich wirklich von einer beziehung im menschlichen sinne sprechen lässt. bei arno gruen ist zum verhältnis von hitler zu seiner mutter etwas ziemlich anderes zu lesen:
"Dr. Eduard Bloch, der Arzt, der 1907 Hitlers Mutter behandelt hatte, berichtete später, er habe `nie einen jungen Menschen gesehen, der vor Schmerz und Gram so namenlos unglücklich gewesen wäre wie der junge Adolf Hitler´ beim Begräbnis seiner Mutter (genau darauf beziehen sich matussek et al., anmerk. mo). Doch was steckt hinter einer solchen hysterischen Ergebenheit, die wir von vielen Konformisten kennen? (...) Rudolph Binions Analyse ist eher zuzustimmen (...). Er zog die Aufzeichnungen dieses Arztes heran, die im Hauptarchiv der NSDAP gefunden wurden, und konnte die gespaltene Natur von Hitlers `Mutterliebe´ zeigen. Hitler war zwar außerordentlich um seine sterbende Mutter besorgt, bestand jedoch auf der wirkungslosen, aber furchtbaren Jodoformbehandlung, die seine Mutter sehr quälte und ihren Tod beschleunigte."
(arno gruen, "der wahnsinn der normalität", s. 154; siehe literaturliste)
und damit werden ausnahmslos alle von hitler bekannten und durch verschiedenste zeitzeugen dokumentierten zwischenmenschlichen verhältnisse zu fiktionalen und simulativen nichtbeziehungen. eine wandelnde katastrophe, dieser mann - aber hervorgebracht und gefördert durch ebenso katastrophale soziale verhältnisse einer kultur, die sich einbildet, eine "hochzivilisation" zu sein.
*
und natürlich: die frage danach, wieweit seine anhängerschar selbst innerhalb dieser defekten realitätsform funktionierte, birgt klarerweise bis heute für uns als nachkommen der betroffenen generationen eine ziemliche brisanz, holt sie doch ein anscheinend historisches ereignis direkt auf die ebene ganz persönlicher und existenzieller fragen. und da wird´s dann eben sehr schnell ungemütlich bis bedrohlich. von daher ist aber die arbeit der autoren der betreffenden hitlerbiographie imo um so bedeutender einzuschätzen, auch wenn sie meines wissens bis heute ebensowenig größere resonanz gefunden hat wie bereits erwähnte gewisse andere arbeiten. wozu wieder mertz die klarsten worte findet, zumindest was das sichtbare versagen der sog. fachleute angeht:
"Der intelligente und simulativ geschickte Antisoziale, der zu Macht gekommen ist, wird kurzerhand per definitionem zu einem Ding der Unmöglichkeit deklariert, d.h. die Hitlers und Himmlers werden in einem sehr seltsamen Outplacingverfahren aus dem psychopathologischen Spektrum einfach ausgeschlossen und damit letztendlich in den gesunden Sektor verschoben. Als ob sich die innerhalb der wissenschaftlichen Psychopathologie operierenden Mitglieder der Funktionseliten, stellvertretend für alle anderen Mitglieder gegen jedwedes psychopathologisches Verdachtsmoment grundsätzlich verwahren wollten. Die Funktionselite wäscht sich quasi selbst rein, versucht es wenigstens, und die Wissenschaft ist dabei behilflich. Wer einigermaßen unauffällig und effizient funktioniert, insbesondere in herausgehobener Position, kann nicht wirklich, nicht ernsthaft krank sein, weil er nicht krank sein darf."
(mertz, "borderline...",s. 57)
nun werden sich vielleicht gerade bei hitler genügend stimmen finden lassen, die eine ernsthafte psychopathie noch in erwägung ziehen - der bursche war einfach in jeder hinsicht zu extrem. anders aber sieht´s dann schon mit den sog. demokratischen führern und erst recht mit bspw. angehörigen der wirtschaftlichen "eliten" aus, obwohl gerade in diesen bereichen eine echte notwendigkeit besteht, sich die handelnden protagonisten ganz genau anzuschauen.
das selbst bei einem explizit nichtpsychiatrischen blick sehr schnell einiges auffällige sichtbar wird, lässt sich z.b. bei einem bestseller der 1970er jahre, ihr da oben - wir da unten von bernt engelmann und günter wallraff, in hunderttausenfacher auflage verlegt, nachvollziehen. ging es den beiden dort ursprünglich um ein besitz- und persönlichkeitsprofil der damaligen westdeutschen gesellschaftlichen, v.a. wirtschaftlichen "eliten", so ziehen sie ziemlich am ende ihrer recherchen - bei der darstellung des damaligen skandals um den "gerling-konzern" und den bankrott der "herstatt-bank", folgendes fazit:
"Die FAZ verschweigt (in einem dokumentierten kommentar zum erwähnten skandal, anmrk. mo), daß Gerling nur ein - besonders offensichtlich gewordenes - Beispiel für die Möglichkeiten, ja Affinitäten von Machtmißbrauch und Unternehmerwillkür innerhalb der sogenannten `Freien Marktwirtschaft´ darstellt. Die vielen Hunderte und Tausende kleinen und großen Gerlings sollen weiterhin möglichst frei und hemmungslos ihrer Profitleidenschaft unkontrolliert nachgehen. Unterschlagen und verdrängt wird, daß Gerlings Verhalten geradezu symptomatisch ist für Alleinherrscher dieser Größenordnung. Alfried Krupp, der alte Flick, Quandt, Melitta-Bentz, Siemens-Clan, Oetker und wie sie alle heißen, zeigen politisch wie psychopathologisch oft ganz ähnliche Verhaltensmuster."
(engelmann/wallraff "ihr da oben - wir da unten"; rororo, reinbek 1976; s. 293; isbn 3 499 16990 8)
erstmalig 1973 erschienen, ist die damalige zeit der patriarchalischen alleinherrscher über solche bis heute - in form von aktiengesellschaften meist - existierenden markenunternehmen zwar vorbei, an der psychopath(olog)ischen grundstruktur jedoch scheint sich nicht viel geändert zu haben. das buch ist quasi von vorne bis hinten eine beschreibung schwerer psychiatrischer auffälligkeiten, bei denen die betroffenen einzig durch geld und machtposition vor jenen konsequenzen geschützt sind, die ein normalsterblicher in solchen fällen recht schnell vom sozialen umfeld zu erwarten hätte. gerling ist für derartige verhaltensweisen ein besonders eindrückliches beispiel, aber es finden sich ganze familien mit symptomatiken - beispiel der kruppclan:
- alfred krupp, der eigentliche firmengründer, "brachte das Werk wiederum (wie sein vater, anmerkg. mo) an den Rand des Bankrotts, und nur durch enorme Staatszuschüsse und -kredite konnte die <vaterländische Anstalt> gerettet werden, zum anderen starb auch er in völliger geistiger Umnachtung, nachdem er zuvor bereits (...) deutliche Symptome manisch-depressiven Irreseins gezeigt hatte."
- sein einziger sohn, fritz krupp kümmerte sich um das unternehmen überhaupt nicht, frönte stattdessen deutlich pädophilen neigungen und "endete 1902, nachdem seine <Ausschweifungen>, wie man es damals nannte, publik geworden waren, durch einen - selbstverständlich vertuschten - Selbstmord. Er starb ohne männlichen Erben; die inzwischen zum größten Stahl- und Waffenproduzenten Mitteleuropas gewachsene Firma Friedr. Krupp wurde Alleineigentum seiner Tochter Bertha, und diese heiratete 1906 den Legationsrat Gustav von Bohlen und Halbach, den Kaiser Wilhelm (...) Allerhöchstderoselbst zum Krupp beförderte (...)." gustav krupp von bohlen und halbach wurde von seinen nächsten angehörigen "taffy" genannt, und...
- ..."Taffy wurde indessen ein waschechter Krupp: Auch er zeigte früh Symptome von Geistesgestörtheit, insbesondere eine krankhafte Pedanterie, die selbst die Bewirtung von Gästen einem auf Sekunden genau eingeteilten Protokoll unterwarf. Auch lernte er Fahrpläne auswendig und machte eine Staatsaffäre daraus, wenn ein - von ihm gar nicht benutzter - D-Zug mit zwanzig Sekunden Verspätung seine Kontrollposten passierte. Später verfiel auch er in geistige Umnachtung."
vielleicht sollte noch hinzugefügt werden, dass es sich bei krupp um jene firma handelt, die im ersten weltkrieg durch den verkauf von waffen an beide kriegführenden seiten stinkreich geworden ist (und etlichen deutschen soldaten durch "qualität made in germany" ein invalidenschicksal, wenn nicht den tod, "bescherte" - soldaten , die genau die "ordnung" verteidigen sollten, die eine solche firma erst hervorbrachte); und sowohl am aufstieg hitlers als auch massenhaft von späterer zwangsarbeit und wiederum krieg nocheinmal profitierte, und sehr schnell nach dem zweiten wk wieder präsent war und macht und einfluß vergrößerte. eine "erfolgsgeschichte", die stellvertretend für viele andere derartige geschichten steht.
"houston, we have a very big fuckin´ problem...!"
monoma - 7. Okt, 15:34