Dienstag, 23. Mai 2006

vom welthunger und "psychischer und sozialer destruktion im neoliberalismus"

einen film, der imo am besten im zusammenhang mit "the corporation" geschaut werden sollte, möchte ich hiermit nach eigener anschauung empfehlen: "we feed the world" setzt zwar meiner meinung nach (leider) einiges wissen bereits voraus und hat auch ein etwas zu abruptes ende, kann aber aufgrund der ausgewählten beispiele durchaus einen tieferen eindruck in die dimensionen des ökonomischen und sozialen wahns präsentieren, der sich letztlich in der verdinglichung alles lebendigen in seiner ganzen zerstörerischen wucht selbst demaskiert. diese verdinglichung kommt im film am beispiel des "lebens" von industriell erzeugten hühnern (auf dieser seite ist die "lebendware" auf den fließbändern zu sehen) am eindrucksvollsten heraus. und der im interview am ende gezeigte chef eines großen lebensmittelkonzerns (namen sind in diesem fall austauschbar) hat mich in seiner starren maskenhaftigkeit und formal "korrekten" art spontan an die beschreibung zu beginn dieses beitrags erinnert...

"WE FEED THE WORLD - ESSEN GLOBAL ist ein Film über Ernährung und Globalisierung, Fischer und Bauern, Fernfahrer und Konzernlenker, Warenströme und Geldflüsse - ein Film über den Mangel im Überfluss. Er gibt in eindrucksvollen Bildern Einblick in die Produktion unserer Lebensmittel sowie erste Antworten auf die Frage, was der Hunger auf der Welt mit uns zu tun hat."

sehen Sie´s sich an.

*

beim stöbern im lieblingsbuchladen kam mir vor einiger zeit ein titel unter die augen, der bei mir spontan für große neugier gesorgt hat:

Solidarisch Mensch werden
besonders interessant fand ich dabei diese (Sie müssen leider bis zum titel "Solidarisch Mensch werden" scrollen) herangehensweise:

"Interdisziplinär werden aus ökonomischer, politologischer, psychologischer und theologischer Perspektive Traumatisierungserfahrungen der Verlierer, der pathologische Narzissmus der Gewinner und die Situation der Mittelklassen untersucht."

und an diesem punkt möchte ich auch lob und kritik gleichzeitig äußern: lob dafür, dass endlich einmal ein neuer ansatz existiert, eine analyse der heutigen sozioökonomischen verhältnisse zu versuchen und dabei nicht zu trennen von - hm, psychologischen und auch medizinischen aspekten - so wird immer wieder berechtigt, z.b. hinsichtlich erfahrungen von mobbing und erwerbslosigkeit, aber auch hinsichtlich der folgen von kriegen und staatlicher repression, auf aktuelle forschungen der psychotraumatologie bezug genommen. ebenso werden - imo absolut überfällig und bislang viel zu wenig betrieben - sowohl die gesellschaftlichen auswirkungen massenhafter dissoziation als auch die psychopathologischen strukturen der globalen "eliten" ins zentrum der aufmerksamkeit gerückt. dafür nutzt das autorenkollektiv eine bestimmte richtung der psychoanalyse, der relationalen pa. wie in der besprechung eines werkes eines der maßgeblichen vordenker dieser richtung zu sehen ist, besteht die besonderheit dieser strömung darin, dass sie die unauflösbare interpersonale bzw. intersubjektive beziehungsrealität des menschlichen lebens ins zentrum rückt - was ich hinsichtlich der "klassischen" pa für einen echten fortschritt halte:

"Überzeugend führt der Autor vor Augen, in welch hohem Maß der Einzelne in Beziehungen eingebunden ist, sodass der Einfluss ihrer Funktionsweisen und ihrer inneren Konturen kaum jemals in ihrer vollen Bedeutung erfasst werden.

Ein interessanter Ansatz von Mitchells relationaler Psychologie ist seine implizite Kulturkritik, die den Umstand fokussiert, dass die psychologischen Lehren der westlichen Kulturen dazu neigen, die eigene Seele als exklusiven individuellen Besitz darzustellen, „der unter unserer omnipotenten Kontrolle steht, während der intersubjektive Austausch mit anderen eine Frage der Intention ist“.


der letzte satz stellt imo eigentlich eine umschreibung der dominanz des objektivistischen modus in der westlichen kultur dar - und trotz der impliziten kritik an eben dieser dominanz bleibt auch dieser eigentlich begrüßenswerte ansatz immer noch von den unsichtbaren grenzen des mainstreams der westlichen psychologie/psychiatrie umschlossen, was sich u.a. in der betonung des "pathologischen narzissmus" als quasi hauptsächliche pathologie der "eliten" ausdrückt - das ich diese einschätzung für einen möglicherweise folgenschweren irrtum halte, habe ich hier im blog an vielen stellen deutlich gemacht, gerade in den beiträgen zum autismus und zur als-ob-persönlichkeit (und dabei geht es durchaus nicht um einen intellektuellen wettstreit, welcher ansatz denn nun letztlich zutreffend ist - es ergeben sich aus der widerlegung bzw. bestätigung der verschiedenen betrachtungsweisen letztenendes ganz verschiedene konsequenzen und handlungsnotwendigkeiten).

die autoren des buches, um das es hier eigentlich geht, arbeiten jedenfalls u.a. auch mit dem begriffspaar "falsches selbst vs. authentisches selbst" - und gerade diese möglicherweise "falsche" alternative wird bspw. mittels des modells der als-ob-persönlichkeit deutlich. letzte gewissheiten, falls solche hier überhaupt möglich sind, werden vermutlich erst weitere fortschritte der neurowissenschaften bringen können. aber solange können weder die spezies noch der planet warten, d.h., dass ich dafür plädiere, vom worst-case-scenario auszugehen - und das wäre die erkenntnis, dass ein mehr oder weniger großer teil der globalen "eliten" als soziopathisch bzw. mindestens schwer antisozial im klinischen sinne angesehen werden muss, mit allen daraus folgenden konsequenzen. das wort "narzisstisch" stellt imo im bestimmten maße eine verharmlosung dar.

trotz aller einwände möchte ich das buch wg. seiner materialfülle und dem durchaus weiten blick auf viele unterschiedliche phänomene empfehlen, auch, wenn ich persönlich mit den durch die befreiungstheologie motivierten theologischen perspektiven und "alternativen" bibelauslegungen nicht so sehr viel anfangen kann.

zwischenruf

rechts in der menueleiste werden ab sofort unter der rubrik "lesen-sehen-hören"" hinweise auf bücher, filme und sonstige medien (keine presseartikel) zu finden sein, die ich hinsichtlich der themen dieses blogs interessant finde. ich habe auch ein paar ältere beiträge umsortiert und hoffe, damit zumindest ein kleines stück mehr struktur erzeugt zu haben. wichtig ist vielleicht noch zu wissen, dass die titel der literaturliste rechts i.d.r. nicht separat vorgestellt werden (eine ausnahme habe ich bisher bei deMause gemacht), sondern für mich so grundlegend sind, dass sie als arbeitsgrundlage für viele beiträge hier immer wieder sowieso auftauchen (neu in der liste ist ab sofort "descartes´ irrtum" vom neurowissenschaftler antonio r. damasio vorhanden, welches ich als einstieg in die hirnforschung allen interessierten empfehlen möchte.)

*

hallo übrigens erstmal - ich habe ja jetzt längere zeit (für meine verhältnisse) hier nichts weiter von mir hören lassen, was einer ganzen palette von gründen geschuldet ist, die ich bis auf einen aber hier nicht weiter erwähnen möchte.

dieser eine grund aber hat sehr viel mit all dem zu tun, was hier thema ist: ich bin z.zt. oft genug nur schwer deprimiert über die gesellschaftlichen entwicklungen in diesem land. und die fülle von sehr schlechten nachrichten der letzten zeit, bei denen ich es eigentlich für nötig gehalten hätte, mehr nachzubohren, hat ein nicht mehr (zumindest alleine) zu bewältigendes ausmaß angenommen. wenn Sie hier regelmäßig lesen, werden Sie vermutlich selbst einiges dazu im kopf haben. ich möchte das mal unter den begriff "atemberaubendes tempo der umwandlung der brd zum bzw. des kenntlichwerdens eines autoritären staat(es) mit deutlich totalitären tendenzen unter maßgeblicher regie mafiöser ökonomischer strukturen mit starker eigenbeteiligung der in sozialer trance befindlichen bevölkerung" fassen - hübsches wortungetüm, nicht wahr? nur leider scheint mir die mittels diesem satz abgebildete realität tatsächlich aktuell die relevante zu sein. und die destruktiven wirkungen der entwicklung, welche längst deutlich sichtbar ist, sind psychophysisch betrachtet eine harte nuß mit hochtraumatischem potenzial für alle, die davon betroffen sind - und bis auf eine sehr kleine elitäre minderheit sind das faktisch alle menschen, nicht nur in diesem land. auch keinen wirklichen trost bietet dabei die tatsache, dass in den usa und europa jetzt einige entwicklungen quasi nachholend vollzogen werden, die in den südlichen teilen des planeten bereits seit langem die bittere lebensrealität für milliarden darstellen - prekäre und teils offen tödlich bedrohte existenzen und eine sehr offen stattfindende zerstörung der grundlagen des sozialen lebens. mit einigem bitteren zynismus ließe sich das noch als eine ironische variante von gerechtigkeit bezeichnen - die mehrheit der bevölkerungen in der sog. westlichen welt hat jahrzehnte einwilligenderweise zu den menschenverachtenden zuständen in den meisten regionen des planeten geschwiegen und mehr oder weniger mit profitiert. damit kommt man(n) auf dauer natürlich nicht durch, ohne schwere konsequenzen auch für das eigene leben heraufzubeschwören. täter-opfer-dialektik.

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ich habe mir in den letzten tagen oft darüber gedanken gemacht, ob ich die überwiegend doch eher abstrahierende darstellungsweise hier im blog so weiter betreiben kann und v.a. überhaupt will - und bin zu dem eigentlich logischen schluß gekommen, dass virtuelle wutanfälle ebenso wie der entsprechende ausdruck von diversen ängsten eben nur das sein können: simulationen von zuständen, die im realen leben einfach ihren einzig angemessenen ort haben (das mir hier vereinzelt dann doch hin und wieder auch der virtuelle kragen platzt - sei´s drum).

folglich werde ich mich hier also zukünftig primär mehr darauf konzentrieren, weiter beim oberthema beziehungskrankheiten zu bleiben und dabei speziell ihre entstehungsbedingungen, ihre eigenarten, ihre verbreitung und die folgen für unser leben erfassen zu versuchen. das dabei das, was als sog. "politik" begriffen wird, auch immer wieder zwangsläufig in den focus rutschen wird, sollte bis auf weiteres eher ergänzend begriffen werden.

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ich habe mich übrigens etwas über das tiefe schweigen zu den beiträgen über die als-ob-persönlichkeit bzw. das entsprechende modell gewundert - hat´s Ihnen derart die sprache verschlagen? ich finde das durchaus schade, sehe ich mich doch weiterhin in einer position als interessierter (und von vielem hier thematisierten betroffenen) laien, auch wenn ich durch verschiedene therapeutische und berufliche erfahrungen vielleicht bei einigen dingen einen informationsvorsprung besitze. aber von feedback, kommentaren und kritik kann ich persönlich erstens eigentlich nur lernen und zweitens - unterschätzen Sie das nicht - gibt mir das neue motivation, mich weiter mit den unerfreulichen dingen herumzuschlagen, um die es hier geht. auch, wenn ich über den counter sehe, dass diese seite hier schon so etwas wie einen festen leserInnenstamm besitzt, so ist es doch für mich als autor (und für andere leserInnen) am hilfreichsten, wenn Sie sich direkt äußern - und lassen Sie sich weder von stil noch von den inhalten einschüchtern - dazu besteht aus meiner sicht eigentlich kein anlaß.

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apropos stil: kleinschreibung zu lesen ist eine gewöhnungssache - und macht mir die arbeit hier um einiges leichter.

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