Freitag, 10. Juli 2009

grundsätzliches (nicht nur zur "postmoderne") (2)

(zum ersten teil)

*

5. die "postmoderne" enthält unübersehbar den katastrophalen und folgenschweren grundfehler der allermeisten westlichen philosophischen ansätze, sie beruht nicht nur auf ihm, sondern setzt ihn konsequenterweise fort.

und zu diesem punkt kann ich mich zunächst
wiederholen...

(...)"das der begriff der wahrheit tatsächlich zur rechtfertigung von und für destruktive fiktionen benutzt wird und wurde, macht ihn deswegen absolut nicht überflüssig. wie üblich in den bekannten westlichen philosophischen strömungen, wird schlicht ihre eigene - und wichtigste - voraussetzung vergessen: sie stammen alle aus einer kultur mit verbreiteten traumatischen sozialstrukturen, die sie unreflektiert wiederspiegeln. die real nicht begründbare dominanz, die sie allesamt dem "geistigen" (aka objektivistischen) teil des menschen zusprechen, ist bereits teil einer traumainduzierten strukturellen fragmentierung auch und gerade bei denjenigen, die solche konstrukte entwickeln. sie tun das aus ihrer eigenen - bereits geschädigten - wahrnehmung heraus und setzen die ergebnisse dann als generelles und absolutes.

damit verbunden ist regelmäßig und zwangsläufig die verleugnung des körpers (wobei diese nicht platt wie bspw. im christentum [fiktion religiösen typs], sondern subtiler stattfindet - körperliche vorgänge gerade in sozialen beziehungen werden hier grundsätzlich als manipulierbar verstanden, eine konstellation, die nur bei einer bereits vorhandenen opposition [virtuelles] "geistiges ich" vs. körper überhaupt möglich ist) und der in ihm basierten möglichkeiten der authentischen wahrnehmung, auf der jede authentische - d.h. vollständige und auch gesunde - menschliche identität beruht. die durch die traditionellen erziehungspraktiken verhinderte bzw. gestörte entwicklung dieses identitätsgefühls führt zwangsläufig zu kompensationsversuchen in form von fiktionen und konstruktionen - zu als-ob-realitäten bzw. virtuellen simulationen."(...)


...um dann mit einem längeren zitat von klaus theweleit zu einer auffälligen eigen- oder besser: unart - der westlichen philosophen den bogen weiter zu spannen. er greift dazu eine aussage von peter sloterdijk aus dem jahr 1993 auf, in der dieser das "älteste Aktionsmuster der Menschheit" beschreibt, welches für ihn "der historische Moment (ist), in dem ein flüchtendes (Affen-) Wesen in seinem Lauf einhält, sich umdreht, sich zum Gegenangreifer transformiert und einen Gegenstand, Ast oder Stein, auf seinen Verfolger wirft. Sloterdijk:`Man könnte geradezu von der Geburt des Menschen aus dem Geist des Gegenangriffs sprechen. Am Anfang war die Gegengewalt - das heißt die Gewaltflucht, die durch Würfe Grenzen in den Raum zieht.´"

theweleit weiter:

"Wirklich? Er hätte doch auch sagen können, der Kreis der Werfer schützt das Paar, das, in seiner Mitte, abgeschirmt, für den Nachwuchs sorgt... und daraus dann die Menschwerdung, die Hominisation, mit der sie es dauernd haben, die Philosophen: Wo entsprang `der Mensch´, eine ihrer Haupt- und Lieblingsfragen, mit der sie nie zu Ende kommen, weil sie die zutreffende Antwort partout nicht geben wollen: aus einer Mutter.(...)

Selbst ein feministisch nicht ungewitzter Mensch wie Sloterdijk liefert uns ein Modell von der `Geburt des Menschen´, ein Weltgeburtsmodell, das ganz ohne Frauen auskommt. Er begnügt sich damit, die Philosophen von Hegel bis Heidegger zu übermuttern,die `den Menschen´ als Sich-Selbst-Entwerfenden sehen (...)"


was hat das zu bedeuten?

"Es ist nicht ganz leicht zu sehen, was da vor sich geht: Ich habe lange gebraucht zu begreifen, daß dieser Ausschluß der Frauen aus der Weltgeburtsarbeit auch in der Philosophie tatsächlich eine ihrer entscheidenden Grundvoraussetzungen ist, ihr Basisopfer sozusagen... und noch länger gebraucht, daß Philosophen oder Menschen, die sich für solche halten, in der Regel nicht in der Lage sind, diesen Grundmangel überhaupt als Mangel zu erkennen... sie denken tatsächlich, sie denken (wo sie doch bloß die Frauen weglassen)... sie machen das nicht mit Absicht... es ist ein echter blinder Fleck. Spricht man einen der Denk- oder Wissenschaftsherren auf diesen Mangel an, stellt man fest: Sie verstehen einen meist überhaupt nicht, sie wissen gar nicht, was gemeint ist, und wenn sie es doch zu verstehen meinen, halten sie es für einen Witz... ja gut, die Frauen, die Mütter... richtig... aber keine philosophische Kategorie... keine Kategorie der Erkenntnis... die gehören doch nicht hierher.

Und bleibt man etwa dabei, daß sie doch hierher gehören und zwar gerade hierher, wird man in ihren Augen zu einem denkunfähigen Wesen... man kann geradezu sehen, wie man sich in ihrem Gesichtsausdruck, einer institutionellen Maske, zu einem Flachkopf verwandelt... zu einer Art Frau, die keine Ahnung hat von den Geheimnissen des männlich/philosophischen Diskurses... sie denken tatsächlich, da ist ein Geheimnis, hinter das sie kommen müssen mit ihren Gedanken. Die meisten philosophischen (wie auch religiösen) Gedanken dieser Art bestehen aber ganz schlicht aus der Tatsache, die Mutter gestrichen zu haben aus der Geburt."(...)

(klaus theweleit, "das land, das ausland heißt"; dtv, münchen 1995; isbn 3-423-30449-9; s. 45 - 46)


patriarchale philosophen also? jein, weil auch definiert werden müsste, was hier eigentlich gesellschaftlich so als "männlich" gilt - j. erik mertz dazu:

"Der patriarchalische Mann der spätmodernen Gesellschaft ist gar kein authentischer Mann, sondern ein Beziehungswesen männlichen Geschlechts, das sich als solches weitgehend negiert: Seine vermeintliche `Männlichkeit´ verdankt sich einem geschlechtsneutralen, anonymen und mechanistisch-toten Objektiv. (...)

Eine Emanzipation, die sich des (...) autistischen Objektivs bedient, ist keine Emanzipation, sondern Anti-Emanzipation. Das lässt sich an jenen Menschen demonstrieren, die sich schon emanzipiert haben. Der simulationsfähige Autist ist vollkommen emanzipiert. Diese vollkommene Emanzipation ist aber zugleich auch immer eine Emanzipation von der authentischen Welt, eine Befreiung von der menschlichen Substanz, die eine (authentisch) beziehungskulturelle ist. Niemand kann sich wirklich von dieser Beziehungskultur emanzipieren, ohne wahnsinnig zu werden, und alle, weibliche und männliche Beziehungswesen, gehen durch die (v.a. pränatale) Schule der Mütter. Darüber kann man nicht diskutieren, das ist so, ob es einem nun passt oder nicht.

Die einzig reale Negation dieser stark weiblich betonten Beziehungskultur wird nicht von der männlichen Position repräsentiert (die ist ein leicht unterprivilegierter, dennoch integraler Bestandteil dieser Kultur, sondern von der ungeschlechtlichen (...), beziehungs-exzentrischen (autistischen) und mechanistisch-toten Position der Objektivität, die absolut nichts Männliches an sich hat."(...)

(j.e. mertz, "borderline..."; siehe literaturliste, s. 256/257)


ich versuche mal, diese zugegeben für viele vermutlich nicht leicht nachvollziehbaren weiten sprünge zusammenzufassen:

- die geschichte der menschlichen gesellschaften ist selbst global gesehen nicht nur von naturkatastrophen, krankheiten und allerlei anderen unbilden des lebens geprägt, sondern v.a. von sozialer gewalt, nicht nur, aber vor allem
gegen kinder

- als eine bis heute weit verbreitete folge dieser gewalt entstehen u.a. zunächst individuelle, in folge dann auch kollektive, traumatische strukturen, die sich v.a. in formen von dissoziation und - als kompensationsversuch zwecks überlebens - in einer dominanz dessen ausdrücken, was ich in anlehnung an das modell von mertz als
objektivistischen modus bezeichne

- die art der "objektivität", die durch diesen modus (für den nebenbei gesagt durch ein modell des neurowissenschaftlers antonio damasio erste hinweise auf entsprechende strukturen im gehirn vorliegen - damasio spricht in seinem buch "descartes´ irrtum" tatsächlich von als-ob-schleifen, mit denen er spezielle bewusstseinsinterne simulationen assoziiert) produziert wird, ist genau die gleiche, die landläufig tatsächlich als "männlich" codiert ist. es spricht aus meiner perspektive aber ebenfalls einiges für den standpunkt von mertz, der diese objektivität als produkt eines apersonalen faktors versteht. unterstützt werden könnte diese betrachtungsweise durch einige forschungen -
autismus als extremvariante von männlichkeit? oder "männlichkeit" als autismusvariante?

- wer sich der bedeutung der mutter-kind-beziehung (und zwar auch schon
pränatal) für das gesamte spätere individuelle und auch kollektive leben bewusst ist, wird die kritik theweleits durchaus nachvollziehen und sogar präzisieren können: der wunsch nach dem ausradieren der mutter (der wiederum auf dem destruktivenverhalten traumatisch geschädigter mütter beruhen dürfte), drückt sich bei den philosophen in der beschriebenen form aus - im alltag nimmt er normalerweise handfest-mörderische formen an, die sich auch im allgemeinen frauenhass bei bestimmten männern manifestieren

- und wenn man dazu die gesellschaftlichen codierungen von "weiblichkeit" betrachtet, sollte das gemeinte endgültig verständlich werden - natur, körperlichkeit, sinnlichkeit etc. gelten in der "männlichen" - besser: objektiven - perspektive weiterhin als assoziiert mit frau; bei rassistischen fiktionen auch umstandslos mit "schwarzen" aus dem "süden", für den antisemiten (mit leichten spezifikationen) als "jüdisch" usw.

kurz: die von mir eingangs geschilderte auffällige bevorzugung des "geistigen" nicht nur in der westlichen philosophie lässt sich vor dem skizzierten hintergrund deutlich als fluchtbewegung, und zwar vor der eigenen beschädigten körperlichkeit, entschlüsseln - und die teils als "brillant" verstandenen philosophischen konstruktionen lassen sich in funktionaler und struktureller hinsicht (in inhaltlicher hinsicht dagegen natürlich schon, das halte ich aber für nebensächlich) nicht von ihren pendants namens "nation", "gott" oder gar den offen rassistischen und sonstigen rechtsextremen konstrukten unterscheiden. das dürfte jetzt zwar für einige leserInnen hier ein nahezu unverdaulicher brocken sein, den ich Ihnen nichtsdestotrotz weder ersparen will noch kann.

wie es eingangs im ersten teil schon angeklungen ist: wenn Sie begreifen wollen, was in Ihnen und um Sie herum passiert, ist der einzige sinnvolle weg, von Ihrem körper - der Sie sind - und demzufolge Ihren daraus resultierenden (un-)möglichkeiten auszugehen. die scheinbar grenzenlosen kopfwelten der philosophie und anderer disziplinen sind nicht mehr als (manchmal) amüsante, teils auch anregende fiktionen - letzteres aber nur dann, wenn sie wenigstens einen teil der authentischen realität enthalten und widerspiegeln, wobei das meist in arg verzerrten formen passiert. all das gilt verschärft für die "postmoderne".

zu den bemerkungen von mertz hinsichtlich emanzipation mehr im nächsten punkt

6. der vielgerühmte "pluralismus" der "postmoderne" hat in letzter konsequenz weder mit freiheit noch emanzipation zu tun, sondern fördert direkt antisoziale gesellschaftliche tendenzen bis hin zur soziopathischen anomie

wenn Sie sich aus zeit- oder sonstigen gründen nicht durch die originalwerke der postmodernen philosophen durcharbeiten wollen, ist für einen - wenn auch arg verkürzten - überblick der entsprechende
artikel bei wikipedia ganz brauchbar; vor allem die folgende komprimierung:

"Elemente postmodernen Denkens und Urteilens sind:

* Absage an das seit der Aufklärung betonte Primat der Vernunft (ratio) und an die Zweckrationalität (die bereits in der Moderne erschüttert
wurden)
* Verlust des autonomen Subjekts als rational agierende Einheit
* Neue Hinwendung zu Aspekten der menschlichen Affektivität und Emotionalität
* Ablehnung oder kritische Betrachtung eines universalen Wahrheitsanspruchs im Bereich philosophischer und religiöser Auffassungen und
Systeme (sog. Metaerzählungen oder Mythen wie Moral (wodurch Postmoderne zum Amoralismus wird), Geschichte, Gott, Ideologie, Utopie oder
Religion, aber auch, insofern sie einen Wahrheits- oder Universalitätsanspruch trägt, Wissenschaft)
* Verlust traditioneller Bindungen, von Solidarität und eines allgemeinen Gemeinschaftsgefühls
* Sektoralisierung des gesellschaftlichen Lebens in eine Vielzahl von Gruppen und Individuen mit einander widersprechenden Denk- und
Verhaltensweisen
* Toleranz, Freiheit und radikale Pluralität in Gesellschaft, Kunst und Kultur
* Dekonstruktion, Sampling, Mixing von Codes als (neue) Kulturtechniken
* Zunehmende Zeichenhaftigkeit der Welt (siehe auch Semiotisches Dreieck und Baudrillard)
* Feminismus und Multikulturalismus

In der postmodernen Kultur- und Geisteswissenschaft sind die vorherrschenden Methoden die Diskursanalyse, der Poststrukturalismus und der Dekonstruktivismus."


gehen wir die punkte mal kurz durch, so wird eine grundsätzliche tendenz, oder besser ein grundsätzlicher denkfehler deutlich: es werden allesamt konstruktionen älterer machart (wie nationen, götter, geschlechtsstereotype und auch die sog. vernunft; kurz die ganzen starr betonierten und teils extrem hierarchischen rollen der gesellschaftlichen historie) tatsächlich de-konstruiert - jedoch ohne ihre ursprünge, die in psychophysischen prozessen liegen, zu begreifen. was die "postmodernen" eben auch deshalb nicht begreifen können, weil sie sich ganz in der u.a. oben skizzierten form der philosophischen kopfgeburten bewegen. und es ist das gleiche phänomen wie die in dem oben eingangs verlinkten beitrag geschilderte vorgehensweise von paul watzlawick, der sich darin mit einem pionier des konstruktivistischen ideologie, heinz von foerster, die hand reicht:

"die von von foerster angeführten beispiele wie die kreuzzüge stellen letztlich materielle umsetzungen von als-ob-realitäten wie "göttern" (und auch "nationen") dar - und die werden nicht grundsätzlich mittels anderer simulationen aus der welt geschafft (was der konstruktivismus vorschlägt, und besonders watzlawick mit seiner "als-ob-therapie", die zb. bei traumatisierten, deren authentische gewalterfahrungen ganz real in neuronalen sub-netzwerken des gehirns und auch im körpergedächtnis gespeichert sind, dazu führt, dass die betroffenen diese erfahrungen verleugnen, als fiktion betrachten sollen)"

diesen entwurf der "als-ob-therapie" finde ich nach wie vor haarsträubend und unmenschlich, aber er passt in die zeit - gleichfalls wie das sog.
"neurolinguistische programmieren" als adäquate "therapie" für den letztlich sich selbst leugnenden postmodernen zeitgenossen erscheint (und die tatsache, dass sich das nlp wie im link geschildert einiger beliebtheit bei den gesellschaftlichen "eliten" erfreut, passt in dem zusammenhang wie die faust aufs auge - eine tatsache übrigens, deren bedeutung meiner meinung nach ziemlich unterschätzt wird.)

die erwähnte "hinwendung zu aspekten der menschlichen affektivität" führt ebenfalls in die irre, zumal es hier um aspekte derjenigen art geht, wie sie tag für tag in den nachmittagstalkshows der privatsender zu besichtigen sind - zur allgemeinen ausbeutung (und auch die belustigung fällt darunter) freigebene emotionalität, bei der sich dazu die frage stellt, wieweit das dargestellte nicht schon pseudo, mithin also blanke inszenierung ist.

die "radikale pluralität" gipfelt nicht selten in autoaufklebern alá "eure armut kotzt mich an", was kein wunder ist, wenn man in einer grundsätzlich in ihren sozialen bezügen geschädigten gesellschaft mit dekonstruktivistischen instrumenten herumfuhrwerkt, und sich dann hinterher darüber wundert, was dabei herauskommt - "individualität" wird dann gleichgesetzt mit der freiheit zum hemmungslosen und egozentrischen konsum, welcher ebenfalls als eine mögliche kompensationsstrategie vorhandener psychophysischer schäden fungiert (vielleicht beschäftigen Sie sich mal mit messies, oder auch mit zwanghaftem klauen - sind interessante und aufschlussreiche, wenn auch durchweg traurige geschichten, die dahinterstehen).

ich hab´s schon in ersten beitrag zu den als-ob-persönlichkeiten geschrieben, dass ich auch trotz grundsätzlicher einwände gegen das ganze konzept von "moral" bei der postmodernen zerstörungsorgie nicht nur diesbezgl. etliche bedenken habe:

(...)"für simulative persönlichkeiten ist eine formale moral womöglich eine möglichkeit, offene antisozialität zu vermeiden. aber auch das deutet darauf hin, dass sich moral eher als indiz für grundsätzlich vorhandene pathologische sozialstrukturen ansehen lässt."

cui bono? wem nützt all das letztlich tatsächlich? über diese frage will ich jetzt endlich zum aspekt der scheinbaren "freiheit" oder auch "emanzipation" kommen:

(...)"der jeweilige zeitgeist spielt zwangsläufig eine große rolle für die identitätskonstruktionen von simulativen persönlichkeiten. und das hat beim weiterdenken ernste konsequenzen bei der betrachtung der heutigen gesellschaftlichen angebote auf dem identitätsmarkt. da die eher starreren masken und rollen der letzten beiden jahrhunderte hier im westen seit ein paar jahrzehnten breit ins rutschen gekommen sind, ist es in gewisser hinsicht für simulative persönlichkeiten sowohl leichter als auch gleichzeitig schwieriger geworden, sich akzeptierte soziale identitäten zu konstruieren. leichter in der hinsicht, das die auswahl größer geworden ist und auch identitäten mit offen pathologischen aspekten toleriert werden - solange sie gemäß den gesellschaftlichen konventionen "erfolgreich" sind und gewisse formale regeln beachten. dazu spielt eine allgemein größerer verbreitung simulativer bzw. virtueller realitäten eine rolle, die das "unterschlüpfen" für entsprechend strukturierte persönlichkeiten leichter macht. schwieriger ist es aber gleichzeitig womöglich deswegen, weil die jeweils angesagten identitätsmodelle immer schneller unter modediktaten zu wechseln scheinen und bisher nur sehr "trainierte" simulative persönlichkeiten in der lage scheinen, derart schnelle wechsel ohne ernsthaftere komplikationen (die sich womöglich als symptome manifestieren) hinzubekommen."(...)

für "momorulez" spielt ja - wenn ich das richtig verstanden habe, hauptsächlich hinsichtlich seines schwulseins - die erwähnte größere auswahl von (als-ob)identitäten bei seinem loblied auf die "postmoderne" die hauptrolle. das ist ein stück weit nachvollziehbar, denn wenn sich der gerühmte pluralismus aufgrund der eigenarten psychophysischer schädigungen hier bei den weitaus meisten menschen in der form eines "ist mir doch egal" zeigt, erzeugt das für gesellschaftlich bisher stigmatisierte minderheiten durchaus als solche empfundene freiheitsräume. aber was ist das für eine freiheit?

es ist nichts weiter als die "freiheit", innerhalb der vorhandenen systemstrukturen einen bisher verschwiegenen oder zwangsweise unterdrückten teil der eigenen (sexuellen) identität jetzt "ausleben" zu können - incl. hofierens als neuer konsumentengruppe mit speziellen vorlieben sowie der möglichkeit, like wowereit und westerwelle endlich im system karriere machen zu können - in der hinsicht unterscheidet sich das nicht vom schicksal der "gleichgestellten" afroamericans in den usa (ja, jetzt kann sogar einer wie obama präsident werden, schau mal an!) und ebenfalls nicht von den "emanzipierten" frauen, die aber so gründlich vom system assimiliert wurden, dass sie jetzt sowohl als polizistin prügel verteilen als auch als kanzlerin einen realen kriegseinsatz leiten können - welch ein fortschritt!

diese totale sackgasse und bankrotterklärung einer "emanzipativen politik", die sich primär an objektivistischen kriterien orientiert hat und die sich mit etlicher wahrscheinlichkeit weder die feministinnen der 1970er, die black panthers oder auch die aktivistInnen von der christopher street so hätten vorstellen können und wollen, ist das zwangsläufige ergebnis, wenn man sich mit den methoden des "autistischen objektivs" (also der tradition westlicher philosophie wie oben dargelegt) innerhalb der grundsätzlich beziehungsfeindlichen - und das ist im weitesten sinne gemeint - strukturen unserer sozial nur noch als hochgradig verrottet zu bezeichnenden gesellschaft bewegen und vor allem anerkannt werden will - unter verdrängung der erkenntnis, dass die basis der gesellschaft insgesamt auf den prüfstand gehört, weil sie auf gewalt gebaut ist, mittels gewalt durchgesetzt wird und gewalt produziert und deshalb absehbar - und das war hier ebenfalls thema vieler beiträge - frontal gegen die wand rasen wird.

wer´s deutlicher haben will, bitte: es gibt hier nichts mehr zu "reformieren" oder zu "verbessern" - schon gar nicht mit "spielerischer ironie" und albernen verkleidungsspielchen, wie es die von "postmoderner" idiotie infizierten strömungen der verbliebenen linken so gerne hätten. genau in dem sinne waren übrigens meine abschließenden worte im allerersten beitrag zu "momorulez" gemeint. ich habe für leute tatsächlich wenig mitleid übrig, die es eigentlich - meiner meinung nach - besser wissen könnten.

sollen wir es denn wirklich nur als bloßen zufall betrachten, dass genau jene menschen, die sich tatsächlich konsequent nach der maxime des "sich selbst neu erfindens" richten, innerhalb der diagnostischen kataloge als soziopathen auftauchen, und zwar sehr berechtigt? betrachten Sie sich die (fiktionale) figur des tom ripley im beitrag zu als-ob-persönlichkeiten, oder die sehr reale
figur des herrn wolf, der neulich für einige zeit schlagzeilen machte - praktizierende radikale konstruktivisten, für die "wahrheit tasächlich die erfindung eines lügners ist" - weil sie sie nicht (mehr) wahrnehmen können aufgrund psychophysischer schädigungen, induziert durch soziale gewalt. george orwell hat dieses szenario davon prophetisch heraufziehen sehen (das zitat stammt aus dem oben verlinkten beitrag zum nlp):

"Sie sind hier, weil es Ihnen an Demut, an Selbstdisziplin mangelt. Sie wollten den Akt der Unterwerfung nicht vollziehen, der der Preis für geistige Gesundheit ist. Sie zogen es vor, ein Wahnsinniger, eine Einpersonenminderheit zu sein. Nur der disziplinierte Geist erkennt die Realität, Winston. Sie halten die Realität für etwas Objektives, Äußeres, das seinen eigenen Bestand hat. Sie glauben auch, das Wesen der Realität sei an sich selbstverständlich. Wenn Sie sich der Illusion hingeben, etwas zu sehen, nehmen Sie an, daß alle anderen das gleiche sehen wie Sie. Aber ich sage Ihnen, Winston, daß Realität nichts Äußeres ist. Die Realität existiert im menschlichen Geist und sonst nirgends. Nicht im Geist des Einzelnen, der irren kann und ohnehin bald untergeht; nur im Geist der Partei, die kollektiv und unsterblich ist. Was immer die Partei für Wahrheit erachtet, i s t Wahrheit. Die Realität lässt sich auschließlich durch die Augen der Partei erkennnen. Diese Tatsache müssen Sie wieder neu lernen, Winston. Es erfordert einen Akt der Selbstvernichtung (sic! mo), eine Willensanstrengung. Sie müssen sich erst demütigen, ehe Sie geistig gesund werden können." (...)

"Aber wie könnt ihr denn die Materie kontrollieren" stieß er hervor. "Ihr kontrolliert ja nicht einmal das Wetter oder die Schwerkraft. Und es gibt Krankheit, Schmerz und Tod --"
O´Brien brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. "Wir kontrollieren die Materie, weil wir den Geist kontrollieren. Realität findet im Schädel statt. Sie werden es schrittweise lernen. Es gibt nichts, was wir nicht könnten. Unsichtbarkeit, Levitation - alles. Wenn ich wollte, könnte ich wie eine Seifenblase über dem Boden schweben. Ich will es nicht, weil die Partei es nicht will. (...) Die Naturgesetze machen wir."

(aus den lektionen während der folterung von winston smith, zitiert nach: george orwell, "1984"; ausgabe der "ozeanischen bibliothek 84"; ullstein; frankfurt/main 1984)


auch das ist radikaler konstruktivismus, heute läuft das teils unter "positivem denken" - ganz postmodern.

*

es wimmelt in unserem leben inzwischen derart von fakes, simulationen, doppelt- und dreifachplots, lügen und "ironischer gebrochenheit", dass eine unabwendbare folge davon in zunehmendem misstrauen - die vorstufe zum reich der
paranoia - besteht, daraus aber ebenfalls eine bereits sichtbare folge - in form des revivals fundamentalistischer religionen und diverser faschistischer strömungen - als logische konsequenz zu erwarten ist. wer bereits in ihrer authentischen subjektivität geschädigte durch die mühlen der dekonstruktion drehen will, mit der offenen androhung, das ganze subjekt als falsch zu zerstören, wirkt nicht etwa emanzipativ, sondern wird nur umso mehr die reste authentischer subjektivität ersticken (die die einzige basis fpr emanzipation darstellen), den objektivistischen modus im überlebenskampf aktivieren und derart den "großen alten" und äusserst destruktiven fiktionen von "nation" , "gott" und "volk" neue opfer und täter zutreiben. die postmodernen/konstruktivistischen philosophen haben entweder ein völlig realitätwidriges menschenbild vor augen gehabt, als sie ihre unheilvollen visionen formulierten - oder aber sie haben es im vollen bewusstsein der katastrophalen folgen getan, die heute an jeder ecke sichtbar werden. und damit sind sie, möglicherweise entgegen ihrer intentionen - eine freundliche unterstellung zum ende - unwiderruflich zum teil dieses angriffs geworden:

(...)"der angriff auf unsere ganz spezifisch menschlichen beziehungsfähigkeiten ist dabei inzwischen unübersehbar, und der "erfolg" dieses angriffs ist u.a. in den steigenden zahlen der sog. psychischen krankheiten abzulesen. und dieser angriff zielt ebenfalls ganz unübersehbar auf den eigentlichen kern dessen, was uns überhaupt erst zu menschen macht: die fähigkeiten zur solidarität, empathie/mitgefühl, altruismus - die menschliche liebesfähigkeit in all ihren ausprägungen.

und wenn dieser angriff durchkommt, wird er der tödlichste überhaupt aller denkbaren angriffe sein. er zielt auf die absolute basis aller sozialität."(...)


wie sich das anfühlt?
so richtig scheiße:

"Ich fühle mich in dieser Gesellschaft in wirtschaftlicher und staatlicher Sicht zunehmend von einem menschlichen Wesen zu einem Objekt denunziert. Das ist falsch, das ist unmenschlich, pervers und schafft Zukunftsängste, zumindest gehts mir so."

und wer gleichzeitig loblieder auf die "postmoderne" anstimmt und sich daneben über das "hartz-IV"-regime oder polizeieinsätze aufregt, zeigt zumindest ein ganz eigenes talent zur abspaltung - weiteres verkneife ich mir an dieser stelle.

*

soweit fragmentarisch und notwendigerweise unvollständig mein zumindest letzter beitrag zur fraglichen diskussion. nicht, dass die "postmoderne", der konstruktivismus und all ihre konsequenzen nicht immer wieder thema sein werden - aber nicht anläßlich einer debatte, die urspünglich anhand des todes von michael jackson meinerseits nur auf allzu offensichtliche verbindungen hinweisen wollte.

grundsätzliches (nicht nur zur "postmoderne) (1)

wie gestern angekündigt, nun doch noch ein paar grundsätzliche anmerkungen zu einer inzwischen leicht unübersichtlichen diskussion, deren beginn in diesem beitrag zum tod des michael jackson zu finden ist, sowie den folgenden bisherigen reaktionen: eins, zwei, drei, vier, fünf und sechs.

ich schreibe dabei nicht primär für "momorulez", dessen auftreten ich nach wie vor, bzw. inzwischen ob seiner selbststilisierung als "verfolgtem, unverstandenem opfer"...

"Fühle mich gerade wie auf dem Schulhof einst, wo ich mich fragte, ob ich mich jetzt lieber auch auf dem Clo verstecken sollte …"

...inzwischen noch verschärft für unverschämt halte - erst großzügig faschismusvorwürfe verteilen (die mit dem attribut "mental" nicht relativiert werden), dann sowohl mich als auch die kommentierenden leserInnen hier beschimpfen, um mit der unterstellung, sein(e) kommentar(e) hier würden nicht zum lesen freigegeben, den erbärmlichen gipfel mittels der konstruktion eines zusammenhangs zur aktuellen staatlichen überwachungspolitik zu erreichen - nochmal: hier wird weder moderiert noch gelöscht, letzteres wie schon neulich geschrieben nur in seltenen ausnahmenfällen, und von "momorulez" habe ich hier keinen kommentar gesehen, was dann entweder nur einer technischen störung (für es allerdings in den letzten tagen hier keine hinweise gibt) geschuldet sein kann, oder aber schlicht daran liegt, dass dieser kommentar nie existierte - , um dann so zu tun, als ob er ja nur ein paar "kritische anmerkungen" loswerden wollte und dafür unberechtigt "von allen seiten" plötzlich prügel kassiert. das alles dann noch garniert von einer aus meiner perspektive deutlich sichtbaren unfähigkeit oder auch unwilligkeit(?), sich mit den grundlagen meiner argumentationen, und zwar nicht nur hinsichtlich michael jacksons, zu beschäftigen. alles zusammen reicht locker aus, die grenzen meiner persönlichen toleranz zu überschreiten und den "ignore"-modus zu aktivieren.

nein, ich schreibe das folgende vor allem für all jene, die sich rund um die strittigen themen gerne selbst ihre meinung bilden wollen - und deshalb im folgenden die für mich zentralen essentials, welche nicht nur in dieser diskussion eine rolle spielen. ich vermute dabei, dass es für den einen oder die andere leserIn durchaus überraschende einsichten geben könnte - und ich wähle dabei ganz bewusst die form der von der "postmoderne" so verabscheuten "großen erzählung", d.h. ich gehe von wahrheiten aus, sogar von evidenten wahrheiten, die sich beim heutigen wissensstand über unser leben geradezu aufdrängen.

*

1. der menschliche körper, seine möglichen zustände, grenzen und (funktions-)störungen sind das agens aller gesellschaftlichen bewegungen - sozial, politisch, ökonomisch, kulturell, technisch...

das mag zwar auf den ersten blick irgendwie platt / banal erscheinen, ist aber meiner erfahrung durchaus innerhalb dieser "zivilsation" hier kein konsens, bzw. teil jener hartnäckig ignorierten realitäten, die ich zb. unter dem titel
von "vernünftigen" motivationen in einer ver-rückten kultur in der vergangenheit näher skizziert hatte. allgemeiner: es exsitiert buchstäblich kein einziger aspekt unseres lebens, der sich nicht unmittelbar oder auch mittelbar auf entsprechende bedürfnisse unserer körperlichkeit zurückführen lässt - und da sind auch ausdrücklich all jene als "psychisch" bezeichneten ebenen eingeschlossen, die aus meiner sicht eben psychophysisch sind, also untrennbarer teil des körpers in form von gehirn und nervensystem(-en) und damit gleichfalls den uns bestimmenden funktionsgesetzen - biologisch, physikalisch, chemisch... - unterworfen.

Sie können sich Ihren heutigen oder auch jeden beliebigen anderen tagesablauf und Ihre aktivitäten betrachten - ich garantiere Ihnen, dass Sie nicht eine einzige minute finden werden, in der Sie nicht dem "diktat" Ihres körpers im obigen sinne unterliegen - die beschaffung von nahrung ([lohn-]arbeit, "geldverdienen") sowie das wohnen (eine sichere behausung haben) stellen dabei nur die absoluten (offen) materiellen notwendigkeiten dar, wobei die allermeisten von uns in mehr oder weniger großem maße zwecks erledigung des ersteren auf allerlei heute existierende technische entwicklungen zurückgreifen, die allesamt erweiterungen unserer grundausstattung an körperlichen fähigkeiten und / oder erleichterungen hinsichtlich aller möglichen bedürfnisbefriedigungen darstellen. letztere spielen beim erreichten materiellen entwicklungsstand v.a. in den westlichen gesellschaften inzwischen in der (selbst-)wahrnehmung vieler menschen eine größere rolles bei all jenen bedürfnissen, die nur vordergründig nicht den unmittelbaren leiblichen notwendigkeiten entspringen - bedürfnisse nach kontakt & zugehörigkeit (incl. sexualität), nach austausch und allgemein zwischenmenschlicher kommunikation stellen für die weitaus meisten menschen (es gibt einige ausnahmen) eine ebenso elementare lebensbedingung dar wie nahrung und wohnung und sind auch für die psychophysische gesundheit von gleicher bedeutung wie die erfüllung der materiellen grundbedürfnisse.

dazu entfaltet sich dann ein ganzes spektrum anscheinend unendlicher - wenn auch real begrenzter - sub-, neben-, pseudo- und sonstiger bedürfnisse, mit denen sich eine vielzahl heutiger menschen die zeit vertreibt: seien es die sphären von ruhm, macht, bewunderung; all die produzierten konsumwünsche, deren bewerbung aufs engste mit meist als "authentisch" empfundenen diversen sehnsüchten als scheinbaren ausdrücken diverser bedürfnisse gekoppelt ist und nur dadurch überhaupt funktioniert; seien es auch zustände wie neid, rachegelüste und schlimmeres, seien es - stellen Sie sich vor, was Sie wollen. auch die sphären der künste, von ästhetik und schönheit, gehören dazu.

alle bisher und zukünftig existierenden menschlichen gesellschaften spiegeln zwangsläufig bis in ihre bizarrsten oder aber auch tödlichsten erscheinungsformen die gesamte mögliche - aber real begrenzte - vielfalt der körperlich basierten und dort ihre einzige quelle besitzenden bedürfnisse.

2. die körperlich basierten wahrnehmungsfähigkeiten stellen unsere einzige reale verbindung bzw. möglichkeit der erfahrung zur welt dar - und damit sind nicht nur augen, ohrn und nase gemeint...

...sondern ebenfalls alle anderen sinne, zu deren zentralen auch solche weithin unbekannten wie zb. die
propriozeption gehört. all die vorhandenen wahrnehmungsfähigkeiten gehören durch ihre einzigartige position in sachen welterfahrung natürlich auch zur unverzichtbaren grundausstattung hinsichtlich unserer bedürfnisse, da sie sowohl ihre wahrnehmung (wozu ich auch die weitere verarbeitung des sensorischen inputs im gehirn zähle) als auch die diversen aktivitäten zu ihrer befriedigung erst möglich machen.

3. es existieren ganz reale und wirkungsmächtige ein- und beschränkungen, im weitesten sinne funktionsstörungen, die sich in der materiellen körperlichkeit manifestieren können und im allgemeinen als krankheit wahrgenommen werden

klingt ebenfalls zunächst banal - wer war nicht schon einmal krank, hatte nicht schonmal schmerzen etc. - , allerdings ist trotz täglicher thematisierung die gesellschaftliche relevanz des überaus interessanten phänomens krankheit meiner meinung nach immer noch chronisch unterbelichtet. zwar mögen viele durchaus den gedankengang verfolgen können, dass bspw. eine "klassische" - also durch exogene erreger verursachte - seuche ganze gesellschaften in ihrem entwicklungsweg entscheidend beeinflussen konnte (siehe zb. die mittelalterliche pest mit all ihren spätwirkungen im sozialen leben), aber bei den sog. "psychischen" (= psychophysischen) störungen / krankheiten sieht das dann eher so aus, wie ich es
früher einmal so umrissen hatte:

(...)"ebenfalls haben die meisten menschen nach entsprechender aufklärung keine großen schwierigkeiten damit, im allgemeinmedizinischen bereich krankheitskonzepte zu verstehen, die bspw. davon ausgehen, dass ein durch eine bestimmte organische funktionsstörung nicht mehr (ausreichend) produziertes enzym für weitreichende probleme im stoffwechselgeschehen sorgen kann. die genese einer solchen störung - Sie können auch eine bakterielle oder virale infektion nehmen - erscheint irgendwie logisch, ebenso wie die dadurch ausgelösten symptome und/oder behinderungen.

viele menschen haben aber sehr deutlich mühe mit der vorstellung, dass die in den obigen beispielen zutage tretenden prinzipien zwar nicht eins zu eins übersetzbar (das wäre imo sachlich nicht gerechtfertigt), aber doch prinzipiell eben auch im bereich von beziehungskrankheiten bzw. schweren störungen der sozialen fähigkeiten gültig sein könnten. wer fragt (sich) schon danach, wenn er oder sie z.b. verliebt ist, was eigentlich genau im psychophysischen geschehen notwendigerweise passieren muss, um in einen solchen zustand zu geraten (und was bei denen anders ist, die sich nicht verlieben können)? wer fragt danach, was für psychophysische voraussetzungen nötig sind, um bspw. ein tiefes, emotional befriedigendes gespräch mit einem anderen führen zu können (wozu die körperliche präsenz unabdingbar ist, und ebenso die fähigkeit, das ganze und zu einem großen teil unbewußt ablaufende körperlich basierte kommunikationsgeschehen wahrnehmen zu können)? richtig: es wird genausowenig gefragt wie nach einem guten essen zu den an der verdauung beteiligten und notwendigen prozessen. solange diese funktionieren, ist das ja auch keine unbedingte notwendigkeit."(...)


"solange diese funktionieren" - die beobachtung, dass davon hinsichtlich der zustände im menschlichen sozialen leben größtenteils keine rede sein kann, stellt einen der hauptgründe für die existenz dieses blogs dar.

was aber besonders hervorgehoben gehört: natürlich können auch unsere wahrnehmungsfähigkeiten von krankhaften prozessen betroffen werden - das liegt einfach in der natur der (körperlichen) sache. wenn Sie sich dazu verdeutlichen, dass wir eben über diese wahrnehmung eigentlich erst so richtig "zur welt kommen", sollte deutlich sein, dass funktionsstörungen oder -einschränkungen in disem bereich besonders fatale konsequenzen - und zwar nicht nur für die betroffenen - haben.

4. es existiert eine dialektische beziehung zwischen eigener körpererfahrung/wahrnehmung (incl. "ich"-bewusstsein) und gesellschaftlicher / sozialer umwelt. gleiches gilt für die definitionen dessen, was in einer gesellschaft als krankheit gesehen wird.

noch eine scheinbare banalität, die allerdings im "postmodernen" zeitalter gerade bei denjenigen, die sich als kritisch gegenüber heutigen entwicklungen betrachten, schon dazu tendiert, totalitäre züge anzunehmen. gerade bei den psychophysischen störungen gibt es nicht erst seit foucault die tendenz, hier von einer umfassenden gesellschaftlichen konstruktion auszugehen, mittels derer viele störungen überhaupt erst geschaffen werden. da ist auch aus meiner perspektive durchaus etwas dran, allerdings in leicht anderer hinsicht, als von foucault und anderen formuliert.

grundsätzliches zur orthodoxen westlichen
psychiatrie:

(...)"wer sich die geschichte der westlichen institutionalisierten psychiatrie genauer anschaut, besonders ihre traurigen und negativen "höhepunkte" bspw. in gestalt der militärpsychiatrie , der nationalsozialistischen "euthanasie"-aktion "T4" sowie der willigen (selbst-)instrumentalisierung zur durchsetzung genormter begriffe von gesundheit und krankheit und der stigmatisierung alles davon abweichenden (von therapeutischen methoden wie schockbehandlungen und psychopharmaka gar nicht erst zu reden), wird nicht umhin kommen, gegenüber diesem ganzen bereich eine gesunde skepsis zu entwickeln. ließe sich nun klipp und klar sagen, dass die diagnostischen konstruktionen und modelle dieser institution gänzlich an den haaren herbeigezogen wären, so würde das etliches sicherlich einfacher machen. jedoch: trotz der kenntnis all der zweifelhaften bis völlig abzulehnenden seiten der orthodoxen psychiatrie ist es imo nachweislich so, dass es viele der in den diagnostischen katalogen erfassten phänomene tatsächlich gibt. und bis auf weiteres sehe ich kein anderes instrumentarium - auch keine andere sprache - zur verfügung stehen als eben das, welches der psychiatrie entstammt.

skepsis ist also sozusagen als grundhaltung angebracht. diagnostische konzepte zb. sind imo grundsätzlich als komplexitätsreduzierende modelle anzusehen, von denen es üblicherweise keinerlei modellgetreue 1:1-umsetzungen in der realität gibt. ebenso ist stets ein bestimmter gehalt an - meist gesellschaftstragender - ideologie miteinzubeziehen, genauso wie die regelmässig unterschlagenen subjektiven motivationen und einschätzungen, die in derlei modelle einfließen.

aber wie schon gesagt: ich halte trotz allem immer weniger davon, das, was als "wahnsinn" in dieser kultur bezeichnet wird, zu verharmlosen oder zu glorifizieren. eine besonders aus den linkeren teilen des politischen spektrums stammende sichtweise, die sich teils auch in der sog. antipsychiatrie manifestiert hat (und theoretisch stark von leuten wie michel foucault beeinflusst wurde), hat sicher in bestimmten bereichen der psychiatriekritik notwendiges geleistet. aber mit der konstruktion eines bildes vom wahnsinnigen menschen als quasi heroischem outdrop, der mit seiner verrückten art ein mörderisches system ins leere laufen lässt, an die stelle berechtigt demontierter mythen letztlich nur neue gesetzt. und das könnte ein gewaltiges eigentor in der hinsicht gewesen sein, dass sich eine progressiv gemeinte linke psychiatriekritik damit unfreiwillig an der vernebelung äußerst bedrohlicher gesellschaftlicher entwicklungen beteiligt."(...)


und diese position ist u.a. ein resultat meiner ganz eigenen erfahrungen mit psychiatrie und auch verschiedenen psychologisch-psychotherapeutischen "schulen" (u.a. gestalttherapie, gesprächstherapie nach rogers, auf wilhelm reich bezogene körpertherapie), welche für ein paar jahre meiner biographie unter dem "offiziell" verliehenen label/der diagnose
borderline kulminierten (ich empfehle übrigens, diesen link wie alle anderen auch zu lesen, weil sich damit eher nachvollziehen lässt, warum ich hier wie argumentiere).

nun ist gerade das diagnostische modell der borderline-persönlichkeitsstörung (als symbol für das ganze spektrum der persönlichkeitsstörungen überhaupt) selbst in den reihen von psychiatrie und psychologie bis heute umstritten, und tatsächlich lässt sich an ihr die ganze zwiespältigkeit der heutigen psychiatrie, will sagen ihre systemstützende funktion bei gleichzeitiger - zwangsweiser und durchaus unfreiwilliger - thematisierung von fragmenten echter und auch vernichtender systemkritik sehr gut nachvollziehen (der letztere aspekt wird noch deutlicher formuliert beim modell der
komplexen posttraumatischen belastungsstörung sichtbar). betrachten Sie sich nur einmal die gültigen kriterien nach dem dsm-IV - hier zu sehen im vergleich mit dem vorläufermodell -, und Sie erhalten sofort einen eindruck von dem, was die klassische psychiatriekritik zb. unter dem begriff der durchsetzung gesellschaftlicher normen versteht.

andererseits sind im modell durchaus reale phänomene enthalten, und zwar phänomene von inzwischen so einer gesellschaftlichen verbreitung, dass in den letzten jahren nicht wenige aufmerksame beobachterInnen begriffe wie den von der borderline-gesellschaft - hier die zwar etwas populistisch anmutenden, aber schon teils sehr treffenden aussagen eines als borderline diagnostizierten dazu:


Poly Borderliner @ www.polylog.tv/videothek

- oder auch den von der borderline-politik formulierten (in der mitte des beitrags):

(...)"Wer eine Gesellschaft umbauen will, muss die Menschen neu formatieren. Das klingt nach Science-fiction oder Totalitarismustheorie - und doch ist genau das der Punkt, der mich beunruhigt: dass ein politischer Wille, der ja nichts anderes ist, als der Wille einer bestimmten und überschaubaren Klasse, eine Gesellschaft so effizient durchdringen kann wie Karies meine Zähne. Der süße Geschmack tötet das Bewusstsein dafür ab, dass sich etwas ablagert und bis zur Wurzel durchfrisst. Am Schluss wird der zerstörte Zahn gezogen, an seiner Stelle wird ein neuer, künstlicher, kariesresistenter implantiert. Mit schönen Prothesen dürfen wir dann die Welt außerhalb unser selbst verachten. Erfolg ist, strahlend dort angelangt zu sein, wo wir nie hinwollten.(...)

Wer keine oder zu wenig Beachtung findet, weil die Welt zu groß ist und die Interessen zu vielfältig sind, der beachtet sich eben selbst. Aber nicht im Sinne von Selbsterkenntnis, sondern von Selbststimulation. Das ist neu: Ich brauche nicht mehr die Außenwelt, die Anderen, die Teile meines Selbst spiegeln, Teile, die ich dann zu dem zusammensetze, was man Ich nennt. Ich brauche nur mehr mich selbst und die Außenwelt als Publikum, dem ich eine Vorstellung von mir gebe. Ich definiere also mich selbst, schreibe mir selbst eine Rolle zu und bringe die Außenwelt dazu, mir zu glauben. Das nennt sich dann Erfolg und um nichts sonst geht es als um Erfolg.

Was dabei aufgelöst wird, ist das, was die Psychoanalyse als das kritische Selbst bezeichnet. Üblicherweise werden die Grenzen des Selbst vom Ich realistisch erfasst. Dazu braucht es Selbsterkenntnis - und die tut immer weh, weil damit die Erfahrung der eigenen Begrenztheit einhergeht. Wer diese Erfahrung in den Wind schlägt und sich stattdessen selber auf die Schulter klopft, manövriert sich in eine narzisstische Störung. Wenn diese Störung aber die Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung sein soll, wenn der neu formatierte Mensch sich dadurch auszeichnet, sich seine eigene Wirklichkeit zurechtzulegen und dadurch zur Borderline-Existenz zu verkommen, dann ist das das Ergebnis einer Besorgnis erregenden Borderline-Politik."(...)


und in diesen absätzen ist schon verdammt viel von dem enthalten, was sich die "postmoderne" aus meiner sicht an antisozialen wirkungen zurechnen lassen muss. und das soll auch die überleitung
zum zweiten teil darstellen.

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