Sonntag, 16. Oktober 2011

notiz: ein sonniger occupy-nachmittag im oktober - zunächst lokal

jubel, trubel, heiterkeit: gestern hat in bremen der "freimarkt" begonnen, nichts anderes als das "oktoberfest" des nordens (und ähnlich groß und monströs). was bedeutete, dass einerseits die innenstadt eh voll von leuten war und andererseits zwei beliebte und sich eigentlich anbietende ziel- und treffpunkte für demos aller art gerade von einem ableger des eigentlichen marktes besetzt sind, nämlich marktplatz mit rathaus und der sich anschließende domshof, ein platz, der rundherum wirklich zugeknallt mit bankfilialen aller art ist. so ging´s also am bahnhof los, genauer gesagt auf einer grünfläche vor dem überseemuseum.

wer war da? mehr als ich dachte; ich hatte mir allerdings vorher auch aus gründen verkniffen, überhaupt mit irgendwelchen erwartungen hinsichtlich zahlen und motivationen der teilnehmerInnen dort hinzugehen. jedenfalls waren trotz einiger fluktuation und unübersichtlichkeit wg. verkehrsknotenpunkt hbf so zwischen 300 - 500 leute da - was für eine stadt wie bremen wenig erscheinen mag und im vergleich zu bspw. anti-akw-aktionen auch ist. bloß war das hier tatsächlich eine fast reine netz-mobilisierung, mit der erschwernis einer nichtöffentlichen facebook-seite. dafür war´s dann doch erstaunlich.

zu sehen waren viele "attac"-fahnen, eine gruppe von anonymous in anzügen und mit den obligatorischen masken (so in der häufung hat das durchaus was), eine fahne der "piraten", eine riesentransparent der "arbeiterkommunistischen partei iran"; zwei ältere leute, die mit einem selbstgebastelten pappschild neue "aufklärung zu 9/11" forderten; die landeschefin der hiesigen "linke" mitsamt einigen genossInnen, plus viele ältere semester ab 50+, die mir vom habitus her wie gewerkschafter rüberkamen. also die üblichen verdächtigen? nicht ganz: eine große gruppe sehr junger leute etwa von 15 bis 25 und etliche leute, die vom outfit und ebenfalls habitus her nicht groß vom umherströmenden feier- und shoppingvolk zu unterscheiden waren.

die leute, die das ganze aus dem boden gestampft haben - ich habe mit ihnen zwischendurch ein paar kurze gespräche geführt (und dabei auch meine klage bezgl. facebook vorgebracht) - hatten zwei kleine zelte aufgestellt sowie ein - leider völlig unzureichend, weil viel zu klein und leise - mikro mit verstärker organisiert. alles tatsächlich an jeder partei und sonstigen organisation vorbei. polizei war in beschränktem rahmen (drei wannen) im hintergrund präsent und hielt sich sehr zurück.

*

so, und dann wurde es ab 16.00 interessant - während die ersten minuten eine gruppe von wie neohippies daherkommenden jungen mit bongos und didgeridoo musik machten, wuchs die menge zunächst noch an und verharrte in unzähligen einzelgesprächen, bei denen es tatsächlich und hauptsächlich nach dem, was ich so mitbekam, um die aktuelle situation und die perspektiven darin ging. bei der gelegenheit traf ich auch
quirinus, der vielleicht noch einige fotos nachreichen wird.

dann begann eine der organisatorInnen zu sprechen und ging nach der begrüßung auf ihre eigenen motivationen und vorstellungen ein, wobei nicht nur sie wert drauf legte, dass die nächsten stunden von allen anwesenden selbst mit inhalten und aktionen gefüllt werden sollten. ebenfalls betonte sie, dass es nicht (nur) darum ginge, das bankensystem zu kritisieren, sondern "ganz grundsätzlich" in dieser gesellschaft etwas nicht stimmt. danach rief sie kurz dazu auf, mittels einer menschenkette noch weitere teilnehmerInnen von einem nahegelegenen platz abzuholen. was passierte, und anschließend gab es eine art kundgebung mit beiträgen eines spanischen studenten, der auf deutsch etwas zur M15-bewegung in spanien erzählte, was ich grundätzlich sehr spannend fand, leider aber aufgrund der miesen anlage weiter weg kaum zu verstehen war. er ging dabei u.a. auch auf den widerstand gegen zwangsräumungen ein und erhielt viel applaus. dann kamen ein vertreter des hiesigen
umsonstladens, der sehr berechtigt und unter viel applaus darauf hinwies, dass die unterscheidung zwischen finanz und "real"wirtschaft nicht haltbar und das ganze ökonomische system zu hinterfragen sei.

als nächstes gab es ein beitrag von "anonymous", der zuerst für heiterkeit - der redner musste seine maske für das mikro etwas hochziehen, konnte aber danach erst mal nix mehr von seinem text sehen - und dann für ordentlich stimmung sorgte. die rede war ein durchaus populistischer und radikal daherkommender rundumschlag gegen das ganze system, der aber aufgrund seiner klaren ansagen und der technik des "chantens" von parolen, die die gruppe benutzte, viel anklang fand. im anschluß kam noch ein vertreter der gerade aktuell hier laufenden bildungsproteste, die primär von schülerInnen getragen werden, zu wort und rief dazu auf, im sinne der heutigen aktion die angesetzten aktionen wie schulbesetzungen und streiks in den kommenden wochen zu unterstützen. dann gabe es wieder ein junge frau aus dem umkreis des orga-teams, die weiteres zu ihren eigenen intentionen erzählte und nach meinem verständnis sinngemäß etwa auf das hinarbeitete, was naomi klein in new york so bemerkenswert fand und was ich im letzten beitrag unten zitiert hatte - die art und weise des unmittelbaren umgangs unter- und miteinander zu ändern. so sollte eines der zelte etwa als massagezelt dienen, es wurde das von den camps in spanien und den usa entlehnte konsensprinzip erklärt und die dazugehörigen pantomimischen zeichen für zustimmung, ablehnung und veto, "weil verbale äusserungen den redefluss und die konzentration beim zuhören stören". irgendwann zwischen all dem hörte ich einen neben mir stehenden von "einer demonstration neuen typs" murmeln, und das traf es zu diesem zeitpunkt zumindest ein bißchen - die stimmung war recht entspannt und irgendwie erwartungsvoll, wobei ich mich auch frage, wie viele der anwesenden in diesen momenten gerade realisierten, dass es hier auch um ihre eigenen konsumgewohnheiten - die sind gerade bei "linken" demos vorhanden - ging.

*

tja, und dann kam es zu einem kleinen bruch: nach all den reden wurde eine pause angekündigt, die von einigen anwesenden jüngeren - ich schätze mal, aus der antifa-szene - zu einer spontanen kreuzungsbesetzung am strassenbahn- und busknotenpunkt unmittelbar vor dem hbf genutzt wurde. das rief in der folge dann die anwesende polizei auf den plan, die - allerdings ohne helme - nun deutlich mehr präsenz zeigte. aus dieser blockade entwickelte sich dann eine spontandemonstration durch die proppevolle innenstadt und sogar durch die fußgängerzonen, was die polizei ansonsten bei anderen gelegenheiten gewohnheitsmässig unterbindet. hier wäre aufgrund des ungestörten zusammentreffens von demonstration und shoppender bevölkerung einiges an informationsvermittlung und auch agitation möglich gewesen, was leider aufgrund nicht vorhandener flugblätter und auch fast keinerlei parolen nicht stattfand. ich musste mich irgendwann zu diesem zeitpunkt wg. meiner gerade vergangenen erkältung und frierens ausklinken und ging mit einem kopf voller gedanken meiner wege.

*

wie ich das alles fand? nun, es heisst dicke bretter bohren - in meinen gesprächen mit den aufrufenden leuten kam heraus, dass das alles tatsächlich sehr spontan entstanden ist, und auch "m15" sowie "ows" für sie das auslösende moment waren. weitere pläne hatten sie noch nicht, ausser der vorstellung, dass der tag ein start sein soll - für weitere vernetzung, um sich dann als nächstes konkret an den angesprochenen bildungsprotesten zu beteiligen. für mich selbst habe ich gemerkt, dass ich jenseits allen aktionismus tatsächlich im laufe des nachmittags klar hatte, dass ich selbst der phase des kennenlernens und der vernetzung momentan die höchste priorität einräume, und einige der vorgestellten "techniken" bezgl. selbstorganisierter veranstaltungen recht interessant finde. es ist schade, dass wir nun hier gerade vor dem kommenden winter stehen - die zeit für camps ist ungünstig,aber diese form bzw. noch zu suchende adäquate könnte tatsächlich jenseits bisheriger - schlechter und eingefahrener linker gewohnheiten - einiges neue bringen und v.a. neue alltagserfahrungen in einer neuen situation mit sich bringen. an diesem punkt schliesst sich der kreis mit einigen aussagen der organisatorInnen für mich - nicht nur das, was grundsätzlich "politisch"-ökonomisch schief läuft, sondern dazu gehörend auch das ganz praktische und alltägliche miteinander (statt des sozialdarwinistisch-kapitalistisch und letztlich soziopathischen gegeneinanders) als qualitativ neue erfahrungsmöglichkeit zu materialisieren. das scheint mir tatsächlich ein weg zu sein, der das ausprobieren lohnt, weil er ganz basal an der grundsätzlich isolierenden traumatischen matrix ansetzt, durch die un- und mittelbar die allermeisten menschen hier in ihrem verhalten festgelegt sind. das schliesst weder aus, sich gezielter ökonomische und politische strukturen vorzunehmen, noch behindert es das - eher im gegenteil könnte das eine möglichkeit sein, einen tatsächlich halbwegs stabilen punkt zu etablieren, von dem aus eine wirkliche, weil auch in den menschen selbst fundierte, umwälzung möglich erscheint. dazu kommt die nicht gering zu schätzende "prophylaxe" gegen strömungen von rechts, die in solchen prozessen enthalten ist, weil in so einem rahmen auch persönliche interventionen und konfrontationen bei und mit menschen möglich sind, die aufgrund ihrer inneren struktur eventuell für verdinglichende ideologische konstrukte offen sind. die rechten hardliner, egal ob nun neoliberale nach hayek oder aber offene nazis, werden so nicht erreicht, aber das ist auch nicht der punkt. es geht um die "schwankenden", und in der hinsicht ist die derzeitige reale und mediale präsenz von occupy unschätzbar - weil sie viele beobachterInnen ebenfalls dazu zwingt, für sich selbst stellungen zu beziehen, und damit kritisierbar macht.

so, und das obige kann auch gleich mal als teil meiner antwort auf die argumentation von demon driver weiter unten in den kommentaren verstanden werden - ich finde die teils so borniert und v.a. aus dem elfenbeinturm heraus, dass ich mir eine direkte erwiderung für den moment eigentlich ersparen möchte, weil das auf einen schweren streit hinauslaufen würde. aber einen punkt doch dazu: wenn man deiner argumentation, oder auch denen von "konkret"-gremlitza, dem "gegenstandpunkt" oder auch "exit" folgt, so gibt es den richtigen moment für eine fundamentale umwälzung - niemals. immer wird zuviel "falsches bewusstsein", zuwenig "aufklärung" oder gar reaktionäres im spiel sein, um die selbst aufgelegten meßlatten spielend zu unterlaufen. ich kriege mittlerweile bei solchen argumenten echt die krätze, weil sich das letztlich als völlig ignorant gegenüber den lebensrealitäten von milliarden herausstellt und am ende auf ein explizites "ihr seid blöd, wir sind schlau und geben uns lieber einem rotweingeschwängertem weltschmerz hin" hinausläuft, anstatt die ärmel hochzukrempeln und wenigstens zu sagen "okay, wir versuchen zumindest das, was uns möglich erscheint". kritik ohne konkrete und mindestens mittelbar umsetzbare alternativen zu äussern, mag in bestimmten historischen phasen zu rechtfertigen sein. in der phase jedoch, in der wir uns mittlerweile befinden, ist das nichts weiter als selbstzentriertes herumjammern. im übrigen halte ich deine inhaltliche ausrichtung auf die produktionsverhältnisse nicht für den eigentlichen knackpunkt , aber das ist eine andere diskussion.

*

zum globalen geschehen in den nächsten tagen mehr.

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