...der infantizidalen kulturellen bedingungen, unter denen bis heute weltweit diverse existenzielle probleme unserer spezies entstehen, werden die folgenden informationen ein weiteres puzzlestückchen darstellen - und dazu machen sie wieder einmal explizit die unrühmliche rolle religiöser institutionen deutlich:
Sie wurden geschlagen, erniedrigt und eingesperrt. Unter oft unvorstellbaren Bedingungen wuchsen in den fünfziger und sechziger Jahre Hunderttausende Kinder und Jugendliche in kirchlichen Heimen auf. "Wir waren Zwangsarbeiter", sagen sie heute. Ein dunkles Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. (...)
Rund 80 Prozent der Heime waren in konfessioneller Hand. Insbesondere die katholischen Frauen- und Männerorden führten jahrzehntelang zahlreiche Erziehungsanstalten. (...) Die alte Mönchsregel "Bete und arbeite" erlebte eine perverse Renaissance in diesen konfessionellen Erziehungsheimen der jungen Bundesrepublik.
In der Diakonie Freistatt bei Diepholz, einer Zweigstelle der von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, wurde sie brutal umgesetzt. Freistatt mit seiner Presstorfproduktion, mit seinen Schlossereien und Schmieden war als reiner Wirtschaftsbetrieb konzipiert, der die billigen Arbeitskräften ausnutzte. Wenn nicht gerade Choräle gesungen wurden, mussten die 14- bis 21-Jährigen im Sommer wie im Winter im Moor Torf stechen und pressen. (...)
Diese mussten nach ihrer Ergreifung den Torf in schweren "Kettenhosen" stechen, die nur Trippelschritte erlaubten. Selbst zum Kirchgang mussten die Jugendlichen die Beinschellen tragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die inzwischen auf sechs Häuser angewachsene Diakonie Freistatt ständig überfüllt. In den fünfziger Jahren waren in Freistatt etwa 500 junge Männer eingesperrt. Damals war es noch üblich, dass Neuankömmlinge, die etwa aus anderen Heimen entwichen waren, aus Schikane anfangs auf dem Boden schlafen mussten.
Trotz des Verbots staatlicher Stellen, zu züchtigen oder als Strafmaßnahme die Haare abzuschneiden, prügelten die Erzieher in Freistatt, meist evangelische Diakone, munter weiter. 1960 beanstandete das Landesjugendamt Hannover "die Verwendung von Forkenstielen, Torflatten, Pantoffeln und Besenstielen als Züchtigungsmittel".(...)
und in der zeit zum gleichen thema:
"Ja, räumt der Mönch schließlich ein, man habe schon mal Störenfriede in einen »Besinnungsraum« gesteckt. »Aber nur kurz.« Besinnungsraum? Oder Bunker? Gerald Hartford erinnert sein Gegenüber daran, dass er viele Wochen in dieser Zelle, auf einer Holzpritsche ohne Matratze, in der Ecke ein Eimer für die Notdurft, zubringen musste. Der Jugendliche hatte vergeblich versucht, dem Arbeitszwang, den ständigen Schlägen und Demütigungen der Salvatorianerbrüder durch Flucht zu entkommen."
und dazu werden interessante details zu den lebensbedingungen nach dem zweiten weltkrieg in deutschland deutlich:
"In den Jahren nach 1945 zogen mehr als 100000 Kinder und Jugendliche bindungs-, heimat-, berufs- und arbeitslos durch Deutschland. Viele Familien waren zerrissen, weil die Väter erst nach Jahren aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrten. Soziologische Studien kommen zu dem Urteil, dass nur zehn Prozent der Familien Ende der vierziger Jahre »heil« waren. Die Wohnungen waren häufig eng, eigene Zimmer hatten die wenigsten Kinder. Das Durchschnittseinkommen einer Familie betrug 1955 nur 280 Mark im Monat. Ein Kind ins Heim zu geben war eine vergleichsweise bequeme und billige Lösung."
wobei der krieg die traumatischen bedingungen in vielen fällen nicht primär ausgelöst, aber deutlich verschärft haben dürfte. unabhängig davon: das dokumentierte elend sollte gegen jede tendenz immun machen, den sog. "christlichen westen" irgendwie als "fortschrittlicher" zu halluzinieren als andere regionen des planeten - auch und gerade vor dem hintergrund des von fundamentalistInnen diverser coleur konstruierten "kulturkampfes". das "der westen" in bestimmten bereichen real ein mehr an freiheit zulässt - wenn auch unter ständigen rücknahmedrohungen - ist gerade nicht das verdienst derjenigen, die jetzt bestimmte soziale fortschritte, die bevorzugt von rechter und reaktionärer seite bis heute immer bekämpft worden sind, für ihre eigenen interessen instrumentalisieren und als waffe gegen den fundamentalistischen islamismus benutzen möchten. ganz im gegenteil: die weitaus meisten dieser fortschritte mussten (und müssen) gerade gegen diese fraktionen immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden.
und dazu: besonders institutionalisierte religionen sind weniger "opium", als vielmehr und historisch nachweisbar in massenhafter dimension lebensverneinend, machthörig und tödlich.
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edit am 20.02.: bei spon findet morgen ein chat mit zwei ehemaligen heimkindern statt - im artikel dazu findet sich ganz am ende ein zitat, welches geradezu paradigmatisch für eine mögliche und weit verbreitete folge von psychotraumatisierungen stehen kann:
"Mit dem Verstand sagt er sich dann: "Mensch, ich hab doch was erreicht." Aber es nützt nichts. "Es bleibt immer das Gefühl, als Mensch nichts wert zu sein. Dieses Gefühl sagt mir immer: Versteck dich, verkriech dich in eine Ecke, wo dich niemand sieht."
es ist keinesfalls übertrieben, folgendes als these aufzustellen: bei diesem gefühl handelt es sich um eine tragende säule innerhalb von machthierarchien - menschen in einem solchen zustand (eine folge der verdinglichung letztlich, die die thematisierte gewalt im kern ausmacht) sind erstens leicht manipulierbar; zweitens weitgehend unfähig dazu, eigene interessen zu erkennen/zu vertreten; drittens innerhalb von kollektiven strukturen (keine schein- oder zwangskollektive) weitgehend "funktionsunfähig", da diese eine voll entwickelte subjektivität voraussetzen; viertens aber - unter ganz bestimmten bedingungen - auch fähig zu extrem destruktiven bzw. antisozialen verhaltensweisen, was letztlich kein wunder ist - stichworte sind hier einmal re-inszenierungen, aber auch eine art von rache, die nicht mit den verbreiteten klischees über rache verwechselt werden darf.
alle gerade genannten eigenschaften sind geradezu prädestiniert dafür, im interesse von machtstrukturen instrumentalisiert zu werden.
so eine feststellung in einem interview mit dem ex-model heidi klum:
SPIEGEL: Was ist mit dem Vorwurf, dass Ihre Show zur Magersucht verführt?
Klum: In diesem Job wird eine Scheinschönheit verkauft, die es so gar nicht gibt. Das ist wie ein Kunstwerk, wie Schauspiel. Ich weine vor der Kamera, obwohl ich nicht traurig bin. Ich komme gerade vom Job, bin geschminkt und verschönert durch tolle Roben, durch tolles Haar, Make-up, die Nägel sind gemacht.
SPIEGEL: Es gibt Sie eigentlich gar nicht.
fake-"schönheit" im vollen als-ob-modus. interessant dabei die tatsache, dass frau klum diese treffende beschreibung ihres business als antwort auf die frage gibt, ob "Ihre Show zur Magersucht verführt" - stellt die als-ob-qualität in den ihren augen eine art rechtfertigung dar?
jedenfalls widerspricht sie nicht nur nicht der feststellung ihrer nichtexistenz, nein, sie findet das, was sie tut, auch noch gut:
SPIEGEL: Haben Sie mehr Freude oder mehr Ärger mit der Show?
Klum: Freude. Ich bin stolz auf die Show. Sie zeigt, wie es ist, und sie ist Entertainment. Die Foto-Shoots, die gemacht werden, kommen auch so in Wirklichkeit vor, das ist alles schon sehr professionell.
nun besitze ich aus diversen gründen kein tv und würde auch aller wahrscheinlichkeit nicht auf die idee kommen, mir ein derartiges produkt anzuschauen. trotzdem wage ich die behauptung, mir eine gewisse vorstellung davon machen zu können - und vor diesem hintergrund fallen mir zwei dinge auf:
erstens: die heuchelei der kritik von medien und einer öffentlichkeit, die eine totalitäre verbreitung unerreichbarer virtueller "schönheitsideale" ansonsten duldet, toleriert und kein problem dabei sieht. das inzwischen auch zunehmend männer in dieses aufgrund produzierter psychophysischer bedingungen funktionierende diktat gezwungen werden (ein grund dafür, warum seit ca. zehn jahren auch männer mit den klassischen, bisher frauen "vorbehaltenen" essstörungen wie anorexia, bulimie etc. zu tun haben), ist historisch imo ein neues phänomen und keinesfalls irgendwie als indiz für emanzipation zu werten.
zweitens aber: sowohl die interviewende seite und erst recht frau klum scheinen weder ein bewußtsein dafür zu besitzen noch ein problem mit dem zu haben, was sie da eigentlich treibt: die produktion von reinen scheinwelten. mit wahrscheinlich fatalen konsequenzen.
klum freut sich offensichtlich noch darüber, nur als kunstprodukt zu existieren.
und das mit derlei ein millionenpublikum erreicht werden kann - ebenso wie mit anderen fakes und fiktionen - ist ein weiteres nachdrückliches indiz für den befund der als-ob-gesellschaft.
nur das von dieser gesellschaft produzierte elend, das morden und sterben bleibt handfest und körperlich real. es ist imo keine allzu gewagte spekulation, die rasante verbreitung von als-ob-zuständen vor dem hintergrund dieser realitäten als eine wahrscheinliche reaktion darauf zu sehen.
edit: hinweise von anderer seite nach diesem beitrag und auch eigene gedanken machen eine ergänzung dringend notwendig:
wie schon in früheren beiträgen - v.a. solchen, die sich mit dem scheinantagonismus subjektivität - objektivität befassen - betont, sind die simulativen menschlichen fähigkeiten, die der objektivistische modus produzieren kann, nicht per se "böse" oder destruktiv - ohne sie wäre bspw. das, was wir als kunst (incl. literatur und auch musik) bezeichnen, nicht denkbar. es sind bestimmte - und primär gesellschaftlich erzeugte - bedingungen, unter denen dieser modus bösartig wird. und wenn simulationen und fakes zunehmend im sozialen bereich auftauchen, und gar in zwischenmenschlichen beziehungen - dann kann sich dieser modus aufgrund seiner funktionsart nicht anders als destruktiv auswirken. die fluchtfunktion bspw. - wie sie in der formel von "brot und spielen" (neuer auch als tittytainment) populär ist - bezeichnet funktional das ausweichen in simulative, fiktionale und virtuelle als-ob-realitäten - vor welchen realitäten da ausgewichen wird, lässt sich tag für tag den nachrichten entnehmen.
wir haben dieses ausweichen "in den kopf" innerhalb von infantizidalen und teils lebensbedrohlichen zuständen alle mehr oder weniger bereits als kinder gelernt - in unterschiedlicher individueller ausprägung, sicher. aber die grenzen zu den offen pathologischen formen des objektivistischen modus sind in dieser welt und unter diesen sozialen bedingungen offensichtlich mehr denn je fließend.
eine dokumentarische ergänzung sozusagen, zu einem thema, dessen weitergehende bearbeitung bekanntlich hier noch aussteht - einige aspekte sind bspw. in diesen beiträgen eins, zwei, drei, vier und fünf zu finden.
der neueste beitrag zum thema fand sich vor ein paar tagen im handelsblatt unter dem titel Ist Ihr Chef ein Psychopath?:
"Warum aber glaubt man, dass Psychopathen überproportional und oft sehr erfolgreich in höchsten Managerpositionen zu finden sind? Mehr noch: Warum ermutigen nicht wenige Unternehmen skrupulöses Managerverhalten? Nun, Psychopathen wollen siegen. Um jeden Preis."
abgesehen davon, dass im absatz oben eher das wort skrupellos berechtigt wäre - das sich derartige meldungen seit einiger zeit öfter zu finden scheinen, mag im besten fall auf wesentliche verschiebungen der wahrnehmung in den unterströmungen einiger gesellschaftlicher teile hindeuten - und trotzdem ist bei diesem begriff etliche vorsicht geboten, wie ein blick auf seine historische entwicklung zeigt. eine genauere abgrenzung zu anderen diagnostischen begriffen und ein bewußtsein darüber, dass "psychopathie" aller wahrscheinlichkeit nicht gleichzusetzen ist mit dem begriff der "antisozialen persönlichkeit(-sstörung)", sondern eher eine untergruppe darstellen dürfte, ist aus diversen gründen dringend nötig. also: nach dem nlp-thema wird der basisbeitrag zur psychopathie fällig (so klären sich manchmal die dinge von selbst).
so ein fazit aus einem artikel der zeit zum thema neuroimplantate:
"Anders als bei Parkinson, wo die Hirnschrittmacher eine klar krankhafte physiologische Störung umgehen, zielt dasselbe Verfahren bei Depression oder Zwangsneurosen auf die direkte Steuerung von Hirnfunktionen, die dem Seelenleben des Menschen zugrunde liegen.
Das erzeugt bei den Experten einiges Unbehagen. Denn angesichts der rasanten Entwicklung in der Neuroforschung ließen sich auf diese Weise - und in nicht allzu ferner Zukunft - auch Stimmungen, Antriebe und Motivationen von Gesunden dirigieren. Unabsichtlich haben die Neurochirurgen solche Effekte bereits bei Parkinsonkranken erzeugt, berichtete Tatagiba in Berlin vor dem Ethikrat: Unter dem Einfluß der elektronischen Hirnsonden verbesserte sich nicht nur die Bewegungsfähigkeit der Kranken gewaltig. Die Elektroden hob auch ihre Stimmung bis zu euphorischen Zuständen, zugleich steigerte sich ihre Sexualität beträchtlich."
nun mag es auf den ersten blick so erscheinen, als wäre hier kein großer unterschiede zu der gewohnten praxis zu sehen, wahlweise - und je nach perspektive - illegalisierte psychoaktive substanzen namens drogen oder aber die legalen varianten namens psychopharmaka zur manipulation der eigenen selbstzustände zu benutzen. und trotzdem scheint hier so etwas wie ein qualitativer sprung vor sich zu gehen - mit der weiter fortschreitenden kenntnis der jeweiligen bereiche und zentren im gehirn, die für bestimmte zustände verantwortlich erscheinen, wird es möglich werden, immer gezielter und selektiver zu manipulieren - und die einführung elektronischer komponenten bei dieser manipulation lässt es als ein primär technisches problem erscheinen, wann die möglichkeit zur manipulation von ganz anderer seite als von patient oder arzt gegeben sein wird. klingt mal wieder paranoid? ich wüßte keinerlei grund dafür anzugeben, warum leute, die mit einiger wahrscheinlichkeit etliche der im blog thematisierten störungen aufweisen, ausgerechnet auf derlei phantastische kontrollmöglichkeiten verzichten würden. das die techniken dabei für einige - wie zb. die genannten parkinson-betroffenen - als reale verbesserung ihrer lebensbedingungen erlebt werden, wird niemand bestreiten können. bloß: wer wird eine garantie dafür geben können, dass sich die anwendung darauf beschränkt?
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etliches bleibt gerade liegen - die fortsetzung zum thema nlp ist weiter in arbeit, und eine darstellung der aktuellen entwicklungen sowohl im sog. "kulturkampf" zwischen der aufgeklärten demokratischen und der mittelalterlichen welt (borderline-wahrnehmung lässt wieder einmal grüßen), die z.zt. als "islamisch" gekennzeichnet ist, als auch im damit zusammenhängenden wahrscheinlichen krieg gegen den iran aus sicht der psychohistorie wäre überfällig. tatsächlich gibt es in der islamischen welt "handfeste" gründe für das verhalten, welches mit einiger berechtigung als fundamentalismus beschrieben wird. bloß: über die wahrscheinlichen gründe dafür wird weder im "westen" und erst recht in den islamischen ländern selten bis gar nicht ein wort verloren.
aber da das hier nicht primär ein psychohistorisches blog ist - auch wenn diese richtung ein wichtige rolle spielt -, und gleichzeitig die themen auch zu umfassendes material bieten, muß ich mir hier beschränken - wer wesentliche teile der dynamiken der benannten konflikte aus anderer perspektive verstehen will, sollte sich einerseits der bereits oft erwähnten arbeit Das emotionale Leben der Nationen von deMause widmen, und in ergänzung dazu sich vielleicht gedanken machen über die befund, die der historiker morris berman in seinem buch Finstere Zeiten für Amerika erhebt - beides zusammen macht eine situation deutlich, die "gefährlich" zu nennen eine gelinde untertreibung darstellt.
...wie sie hier schon (zu) oft unter dem stichwort infantizid dokumentiert werden musste, ist selbstverständlich nicht auf d-land beschränkt:
"Sieben Tage lang hörte die Großmutter des an einem qualvollen Foltertod gestorbenen kleinen Nicolas im Straßburger Gerichtssaal ungerührt zu, während Gutachter die Leiden des Kindes beschrieben. Und auch als das Gericht gestern Abend die Höchststrafe "lebenslänglich" verkündete, zeigte die untersetzte Frau keine Regung. Auch die Eltern und ein Onkel des Kindes blieben bei der Urteilsverkündung regungslos. Die 34 Jahre alte Mutter, die dem bereits delirierenden Kind die vermutlich tödlichen Schläge auf den Kopf versetzt hatte (...)"
eine ganze gestörte familie also - alle haben sich beteiligt:
"Die Verurteilten hatten den neun Jahre alten Jungen im Sommer 2003 mehrere Wochen lang geradezu sadistisch zu Tode gequält. Nicolas wurde täglich geohrfeigt, mit Kochlöffeln blau geprügelt, gefesselt und bekam trotz der Sommerhitze kaum zu trinken. Nachts musste er oft geknebelt und an den Füßen gefesselt auf dem Boden knien. Wenn er vor Müdigkeit umkippte, bekam er Ohrfeigen.
Tagsüber musste das Kind stundenlang Strafarbeiten schreiben. In seine Hefte schrieb es beispielsweise 2772 Mal den Satz: "Nachts stehe ich nicht auf, um heimlich zu trinken." Gestorben ist der kleine Junge am 9. August 2003 an einer Hirnblutung, die von Schlägen auf den Kopf herrührte. Sein Körper war von rund 70 Wunden und Blutergüssen bedeckt und wegen des Wasserentzugs stark ausgetrocknet. "Das Kind hat eine lange, qualvolle Agonie durchlebt", sagte ein Gutachter."
und die beschreibung der täterInnen enthält wieder einmal die bekannten attribute: "ungerührt", "regungslos" und
"Die 55-Jährige, die von Gutachtern als herrschsüchtig und gefühlsarm beschrieben wurde, sei die treibende Kraft bei den Misshandlungen gewesen (...)"
nicht umsonst drängt sich der vergleich mit der kälte, die ebenfalls bei den beteiligten im letzten beitrag zum "happy slapping" konstatiert wurde, geradezu auf. und auch das folgende ist bekannt:
"Die Verteidiger machten geltend, dass die Peiniger des kleinen Nicolas alle selbst als Kinder von Angehörigen geprügelt worden waren."
ergänzend wäre zu sagen: gewalt muss nicht immer in form von prügel daherkommen. auch subtilere arten führen zu ähnlichen ergebnissen.
da hatte ich gerade im letzten beitrag das begriffspaar "fatale entwicklungen" benutzt - und muss nun wieder einmal etwas lesen , was haargenau darunter fällt - stichwort "happy slapping":
(...)"Teilnahmslos hatten die Angeklagten das Urteil aufgenommen. Mit derselben Gleichgültigkeit, mit der die Jugendlichen diejenigen attackierten, die an jenem Oktoberabend ihren Weg kreuzten.(...)
Die Neuauflage aus dem wahren Leben hat aber noch eine andere Qualität: "Happy Slapping" heißt das in Großbritannien grassierende Phänomen in der Sprache der Beteiligten beschönigend, "fröhliches Schlagen". In der Praxis bedeutet es, dass Schlägerbanden unschuldige Opfer verprügeln, diese Attacken filmen und die Filme später ihren Freunden zeigen oder sie im Internet verbreiten.
Auch Chelsea hat die Überfälle ihrer Clique mit dem Videohandy gefilmt. Sie habe die Gang angeführt, zitiert die Zeitung "The Independent" einen der beteiligten Jugendlichen: "Sie wollte filmen, wie Menschen zusammengeschlagen werden." Die 14-Jährige soll den Barkeeper aufgefordert haben, für die Kamera zu posieren – mit den zynischen Worten: "Wir planen einen Dokumentarfilm über 'Happy Slapping'".(...)
sehen Sie sich die zum artikel gehörende fotostrecke an, mit dem filmenden mädchen am rande - es verschlägt einem die sprache. und dann gibt es wieder einmal biographische informationen der art, wie sie hier schon öfter zu lesen waren:
"Auch der schwierige familiäre Hintergrund der Angeklagten könne die Tat nicht mildern, sagte der Richter. Nach Angaben des "Guardian" war Chelseas Mutter heroinabhängig, der Vater Alkoholiker. Sie lebte bei Pflegeeltern. Der 19-jährige Darren sei hyperaktiv und habe eine elende Kindheit gehabt. Er soll später mit der Tat angegeben und detailliert erzählt haben, wie er auf Morleys Kopf gesprungen sei, schreibt "The Independent".
es war oben von gleichgültigkeit die rede. ziehen Sie Ihre eigenen schlüsse. denken Sie an prä-, peri- und postnatale traumatisierungen, an derealisierungen und dissoziation, an soziale trancezustände. denken Sie an die infantizidalen realitäten, wie sie hier gleichfalls oft genug thematisiert worden sind. denken Sie an die brutalität und mafiöse rücksichtslosigkeit, mit der die sog. eliten auf allen kontinenten agieren. und sich dabei noch als "vorbilder" anpreisen.
entsprechend verhalten sich die kinder dieser milieus. wollen wir wirklich irgendwann in einer autistischen gesellschaft aufwachen?
wie es der titel schon sagt: bücher, über die ich beim stöbern virtuell und im buchladen gestolpert bin, die hinsichtlich der hier behandelten themenbereiche von interesse sein könnten und die ich entweder noch nicht selbst gelesen habe oder aber noch nicht erschienen sind.
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eine noch recht frische veröffentlichung ist vor allem im hinblick auf den sich abzeichnenden krieg gegen den iran zu empfehlen: "Zur Logik des modernen Krieges. Politische Strukturen und verborgene Motive" enthält diverse beiträge u.a. von autoren wie klaus theweleit, noam chomsky, lloyd deMause und hans-jürgen wirth.
"Warum werden Kriege geführt? Hinter den offiziellen Rechtfertigungen verbergen sich fast immer psychologische Mechanismen, die zum Verständnis der Dynamiken kriegerischer Auseinadersetzungen ebenso wichtig sind wie die politischen und geostrategischen Fakten. Gewalt ist dabei das Mittel, Erfahrung mit sich selbst im Spiegel des Anderen zu vereiteln, teils, indem die Anderen nach Maßgabe des eigenen Selbstbildes zugerichtet werden, teils, indem sie aus der Sphäre der eigenen kollektiven »Wahrnehmung« ferngehalten werden. Insofern authentische Erfahrung immer Erfahrung mit Fremdheit ist, kann man daher den Krieg als Erfahrungsverhinderung verstehen. Von diesen Gedanken gehen die Beiträge des vorliegenden Bandes aus und untersuchen psychologische, gesellschaftliche und ökonomische Aspekte moderner Kriege vom Zweiten Weltkrieg bis zum aktuellen Konflikt im Irak.(...)"
daten: reihe "Psyche und Gesellschaft" im psychosozial-verlag /178 seiten / isbn: 3-89806-475-1 / Preis: 19,90 € / erschienen: januar 2006
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im gleichen verlag werden im laufe des jahres zwei titel erscheinen, auf die ich bereits jetzt sehr gespannt bin. einmal wäre da "Borderline-Mütter und ihre Kinder. Wege zur Bewältigung einer schwierigen Beziehung" von christine ann lawson:
"Christine Ann Lawson beschreibt einfühlsam und verständlich, wie Kinder von Borderline-Müttern unter den Stimmungsschwankungen und psychotischen Anfällen leiden und verzweifelt nach Strategien der Bewältigung dieser Erlebnisse suchen. Kinder von Borderline-Betroffenen laufen zudem Gefahr, selbst diese komplexe und destruktive Persönlichkeitsstörung herauszubilden."
reihe "edition psychosozial" / 250 seiten / isbn: 3-89806-256-2 / 24,90 € / erscheint im juni 2006
neben dem in der linkliste aufgeführten online-material zu borderline-kindern und den ausführlichen (und unerfreulichen) gedanken im buch zum mertz zur rolle der mütter bei der borderlineentwicklung könnte dieses buch endlich mehr klarheit in einen (gleichzeitig verständlicher- und unverständlicherweise) bisher völlig unterbelichteten bereich bringen - ich bin sehr gespannt.
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der andere titel beschäftigt sich, so könnte man sagen, mit dem gleichen thema, jedoch in einem viel breiteren zusammenhang. "Nabelschnur der Seele. Psychoanalytisch orientierte Förderung der vorgeburtlichen Bindung zwischen Mutter und Baby" von györgy hidas und jenö raffai scheint sowohl neuere erkenntnisse der pränatalforschung als auch gleich präventive maßnahmen zu präsentieren:
"György Hidas und Jenö Raffai zeigen neue Zusammenhänge zwischen Störungen der Mutter-Fötus-Bindung und Störungen der Persönlichkeitsentwicklung nach der Geburt auf. Ihre unvergleichliche Methode zur Analyse der Bindung zwischen Mutter und Fötus eröffnet neue Therapiemöglichkeiten für Fachleute der prä- und perinatalen Psychologie und weist werdenden Eltern Wege zur vorgeburtlichen fördernden Kontaktaufnahme mit ihrem Baby.(...)"
reihe "edition psychosozial" / 260 seiten / isbn: 3-89806-458-1 / 24,90 € / erscheint im februar 2006
lloyd deMause hat in "Das emotionale Leben der Nationen" bereits eine zusammenfassung der bisherigen und wichtigsten erkenntnisse der pränatalen forschung über die interaktionen und möglichen störungen zwischen mutter und embryo geliefert, die zum eindrucksvollsten gehört, was ich bisher zu diesem bereich kenne. ich möchte bei gelegenheit hier daraus einige auszüge vorstellen, da wesentliche und sehr konsequenzenreiche aspekte der pränatalforschung bis heute in der öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind, gerade, was den bereich der prä- und perinatalen traumata anbelangt. und das hat fatale folgen - für uns alle.es ist zu hoffen, das das obige buch weitere erkenntnisse bringen kann.
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von noch nicht erschienenen titeln zu einem buch, welches bereits in den 1990er jahren erschienen ist, mir bisher unbekannt war (und inhaltlich immer noch ist), und alleine schon vom titel her in den bereich dieses blogs fällt:

"Die autistische Gesellschaft. Geht die Verantwortlichkeit für andere verloren?" von einem autor namens reinhart g.e. lempp, der mir bisher ebenso unbekannt wie sein buch gewesen ist. interessant fand ich die information, dass es sich bei lempp um einen (emeritierten) professor für kinder- und jugendpsychiatrie handelt, mithin also ebenso um einen "professionellen" wie den bereits hier oft zitierten mertz. an rezensionen konnte ich bisher nichts wirklich brauchbares finden, allerdings bietet das deutsche ärtzteblatt in seinem online-archiv eine leseprobe , bei der ich allerdings hin- und hergerissen bin - die auführungen zur medien- und familienpolitik sind sehr allgemein gehalten, wobei mich zuerst interessieren würde, wie lempp zu seiner "diagnose" kommt - gerade seine arbeit im kinder- und jugendpsychiatrischen bereich könnte dabei eine rolle spielen. jedenfalls wird das für mich sozusagen ein "pflichtitel" sein, und sobald es möglich ist, werde ich es lesen und hier näher vorstellen. die augenscheinlich vorhandenen verbindungen zu den hier vorgestellten entwicklungen und thesen jedenfalls verstärken ein sehr schlechtes gefühl bei mir - einerseits. andererseits: es kann wirklich nur hilfreich sein, wenn mehr und mehr veröffentlichungen zu den fatalen entwicklungen auch wirklich öffentlich werden.
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zum schluß: ein vorsichtiger und kleiner optimismus keimt bei mir bei solchen aussagen:
"Kriege sind aus psychohistorischer Sicht in wesentlicher Hinsicht Inszenierungen pränataler, perinataler und frühkindlicher Traumatisierungen. Darum müssen hier insbesondere Pränatale Psychologie und Psychohistorie zusammenarbeiten, um der Komplexität der Problematik gerecht werden zu können. Deshalb wird diese Tagung von beiden Gesellschaften, der DGPF und der ISPPM, organisiert."
das scheint mir eine interdisziplinäre zusammenarbeit zu sein, die wirklich nötig, nützlich und vielversprechend erscheint. beide institutionen finden sich in der linkliste.
ein artikel im berliner tagesspiegel versucht, die möglichen zusammenhänge zur popkultur zu thematisieren, und produziert dabei einen seltsamen mix:
Andreas Heinz, Chefarzt der Psychiatrie der Berliner Charité, glaubt, dass sich jeder Kranke „Symptome sucht, die kulturell anerkannt sind“. So spiegelt sich in der Persönlichkeitsstörung auch der gesellschaftliche Wertewandel: „Die Borderline-Patienten folgen instabilen Beziehungsmustern, sie müssen kurzfristig auf was Neues gehen. Diese Impulsivität war früher negativ stigmatisiert. Dagegen fordert unsere heutige Kultur, impulsiv zu sein und zu tun, was einem Spaß macht.“
wie in diesem beitrag schon einmal früher skizziert, ist der begriff "instabile beziehungsmuster" mit vorsicht zu betrachten und spiegelt womöglich nur eine ideologie bzw. ein wunschdenken der orthodoxen psychiatrie wider. hingegen werden unfreiwillig die psychiatrischen diagnostischen grenzen aufgelöst:
"Obwohl Borderline nach Ansicht des Psychoanalytikers Otto F. Kernberg eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist, die auf Vernachlässigung oder Missbrauch durch die Eltern zurückgeht, werden Betroffene nicht als Außenseiter wahrgenommen."
na, das dürfte den herrn kernberg nicht besonders freuen - gerade der psychoanalytische mainstream legt wert auf abgrenzungen der konstruktionen (mal ganz davon abgesehen, dass sich viele betroffene, gerade mit traumatischen biographien, durchaus als außenseiter fühlen, aber bestenfalls ihre umwelt mittels simulationen von normalität vor dem unangenehmen thema gewalt "bewahren"):
"Ein Jahrzehnt nach ihrem Tod begannen amerikanische Psychiater eine neue Krankheit mehr zu konstruieren als zu entdecken: das Borderline-Syndrom, Sammelbegriff für so unterschiedliche Symptome wie Promiskuität, finanzieller Exzess, übermäßiger Drogenkonsum, Kleptomanie, rücksichtsloses Autofahren, Fressanfälle, Stimmungsschwankungen, Wutausbrüche, Selbstmordversuche und Selbstverletzungen sowie Identitätsstörungen. Janis Joplin könnte der erste Prototyp dieses Krankheitsbildes gewesen sein."
also: mal davon abgesehen, das marilyn monroe eher als erstes "symbol" für borderline angesehen werden kann, ist der artikel imo zwar informativ, aber auf eine vertrackte art - die kernberg zugeschriebene sicht ist zwar "offiziell" nicht korrekt, hat jedoch bei betrachtung der möglichen tatsachen einiges für sich. wobei das label "narzissmus" auch nicht ganz zutreffen dürfte. es sieht zwar so aus, als ob - aber ob wirklich, ist die frage, die nicht nur hier im blog immer wieder auftauchen wird. passen die konventionellen psychiatrischen vorstellungen bzw. modelle (auch "konstruktionen" passt) wirklich auf bestimmte menschen, die als produkte geprägt von einer gewalttätigen gesellschaft angesehen werden müssen?
über die bereits zu vielen spekulationen anlaß gebenden verhaltensweisen der stars und sternchen der sog. popkultur im zusammenhang mit borderline und der narzisstischen ps ein anderes mal mehr. das ist ein eigenes thema, welches zeit erfordert, die ich momentan nicht so recht habe. wer sich dafür näher interessiert, sollte einfach mal das keyword "selbstverletzung" mit den namen berühmter schauspielerInnen und musikerInnen kombinieren.
aber wie gesagt, lohnt das lesen - auch wegen solcher sätze:
"So kristallisiert sich in dieser Form des pathologischen Narzissmus, Philosoph Slavoj Zizek zufolge, ein zentraler psychischer Defekt unserer Zeit. Hinter dem Typus des krankhaften Narzissten verberge sich „ein Konformist, der sich als Outlaw begreift“. Und erstrahlt sie nicht in der Tat allabendlich auf der Mattscheibe, die selbstberauschte Allmacht der Medienelite, vom brachialen Wirtschaftsführer, höheren Kulturträger bis zur Politprominenz? Sie jongliert mit Selbstbildern, die vom Augenblickserlebnis und der drohenden Entwertung immer wieder neu befeuert werden."
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ob der autor des artikels im tagesspiegel heute beim lesen in seinem blatt nachdenklich geworden ist?
"Zugleich bescheinigte der Gutachter der Mutter Angelika B. eine Persönlichkeitsstörung. Bei der 44-Jährigen könne man Symptome des so genannten Borderline-Syndroms diagnostizieren: Unfähigkeit zu sozialen Kontakten, Ängstlichkeit, Impulsivität, Aggressivität, zeitweilige Depressionen. Zu Dennis habe Angelika B. keine richtige Mutter-Kind-Bindung aufgebaut, sagte der Gutachter."
(...)
"In der Folge habe Angelika B. Dennis im Gegensatz zu ihren anderen Kindern als schwierig und quengelig beschrieben. Als der Junge nicht essen wollte, habe er eben nichts bekommen. Als er nachts nicht schlief, wurde er am Bett festgebunden. Der Gutachter bescheinigte Angelika B. weiterhin eine „begrenzte Fähigkeit, auf andere Menschen einzugehen“. Eine gewisse Ich-Bezogenheit, verbunden mit sehr viel Selbstmitleid, sei ihr nicht abzusprechen. So habe sie während des mehrstündigen Gesprächs über ihr Leben nur ein einziges Mal geweint – nicht etwa, als sie das Leiden und den Tod von Dennis beschrieb, sondern als sie schilderte, wie sie sich beim Fenstersturz die Beine brach."
die betreffende geschichte war hier bereits einmal thema. die leserInnen werden sich vielleicht auch daran erinnern, dass diese diagnose im falle einer kindstötenden mutter auch nicht das erste mal auftaucht. als "popkultur" lässt sich das allerdings nur bei einer sehr, sehr zynischen auslegung des begriffs "populär" bezeichnen.
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ohne weiteren kommentar: eine it-seite weist unter dem titel "Autismus ist unter IT-Profis weit verbreitet" auf einen online-test hin, den "beunruhigte IT-Profis nutzen können".
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das erinnert mich mal wieder an die fülle noch nicht fertiger beiträge, die hier ausstehen - die fortsetzungen zum autismus, der basisartikel zur psychopathie...ich kann nur versprechen, dass sie erscheinen werden, kann aber keinerlei zeitliche angaben machen. momentan hat die fortsetzung des themas "nlp" priorität, nicht nur wegen der bisherigen resonanz, die darauf schließen lässt, dass hier tatsächlich ein - übelriechender - hund begraben liegt.
und ansonsten bietet unser leben in einer verrückten kultur (stichwort isaac newton) leider täglich derart viel material, dass es einfach schwierig ist, hinterherzukommen - unkommentiert müssen zb. bis auf weiteres die pläne der britischen regierung bleiben, "antisoziales verhalten" bei kindern und ihren eltern zu "ächten" - imo wieder mal ein fall von "den bock zum gärtner machen". wenn real antisozial handelnde beginnen, bei anderen ihre eigenen destruktiven tendenzen zu verfolgen, ist höchste wachsamkeit angesagt. auch, wenn einige der als zielgruppe auserkorenen dieses label zu recht tragen werden.
im forum zum verlinkten artikel bei tp steht übrigens ein beitrag, der einen absatz enthält, der vieles von dem, was ich hier versuche zu beschreiben, kurz und knapp auf den punkt bringt:
"Alle Repressionssysteme folgen den gleichen Mustern: sie verstümmeln und verletzen die Menschen in ihren sozialen Bedürfnissen, provozieren damit verstümmeltes Sozialverhalten und nutzen diese entstellten Motive und Bedürfnisse für ihre eigenen Zwecke. Dort, wo es zur Überlebensmaxime wird, ein "braves Kind" zu geben (zumindest so zu tun, als ob), wo die Motivation der Menschen also danach ausgerichtet wird, von Autoritäten belohnt zu werden, werden die Menschen jeder nur denkbaren Gemeinheit und Niedertracht gegen ihresgleichen fähig werden, um dieser Konditionierung zu gehorchen.
Dass der "Lohn" von seiten der Autorität niemals in der erhofften Erlösung besteht und bestehen kann, verstärkt den Regelkreis nur: als ob der Esel durch das Fixieren der Karotte immer scharfsichtiger würde, muss man die Karotte immer weiter weg hängen."
als antisozial im schlimmsten sinne lassen sich bspw. berechtigt leute bezeichnen, die ernsthaft - und zwar egal, aus welchen "gründen" und mit welcher "rechtfertigung" - mit drohungen über atomwaffeneinsätze in der welt herumtönen. dieser wahnsinn der sog. "politik" wird in einem kommentar im wiener standard vom 21. januar angesprochen, allerdings nur die eine hälfte:
"Im Iran wird derzeit der "Irrsinn zur Staatsdoktrin" erhoben, wie der deutsche Historiker und Holocaustforscher Götz Aly in Spiegel online sagt. Eine große Holocaust-Leugnungskonferenz in Teheran ist in Vorbereitung. Das muss man ernst nehmen – und man muss immer mitdenken, dass die schlimmsten islamischen Radikalen nur einen Staatsstreich vom Zugriff auf die Atomwaffen in Pakistan entfernt sind.
Unter dieser Voraussetzung ist ein "Appeasement", eine Beschwichtigungspolitik, gegenüber dem Iran fragwürdig. Sie fördert nur die Fehleinschätzung und Verachtung gegenüber dem "dekadenten Westen", die auch Hitler motivierte. Aber selbst wenn man der Meinung ist, dass Chirac eine zeitgerechte Warnung an die Verrückten ausgesprochen hat, bleibt doch die Notwendigkeit, die anderen mit einer Summe von Maßnahmen zu unterstützen." (DER STANDARD, Printausgabe 21./22.1.2006)
"der westen" - und damit sind hier all diejenigen honorigen leute gemeint, die ganz rational und leidenschaftslos den gleichen fundamentalismus (der imo berechtigt als wahn anzusehen ist) über jahrzehnte gepäppelt und gehätschelt haben - diese leute also gebärden sich jetzt, da ihnen - wieder einmal - ein bösartiger zögling ausser kontrolle geraten ist, als die "weltretter vor dem bösen". ein atomares desaster einkalkuliert. dabei sind sie sicher ganz objektiv . und gerade deshalb kein stück weniger verrückt als ihr - scheinbarer - gegenpart, der eine ganz eigene version des objektivistischen modus auslebt. es ist und bleibt vorläufig kalt und trostlos. solange, wie wir es uns gefallen lassen. und zu brauchen scheinen.
einmal weit zurück - ein paar jahrhunderte gleich - in der geschichte der westlichen kultur zu gehen und sich näher mit einem mann zu beschäftigen, dessen name wie kaum ein zweiter mit dem begriff der "wissenschaftlichen aufklärung" assoziiert wird, scheint auf den ersten blick langweilig zu sein.
aber vielleicht haben Sie trotzdem zeit übrig. ich hatte es ja hier schon mal angekündigt, dass mich insbesondere die spekulationen zu einem möglichen aspergersyndrom bei newton interessieren:
"Newton habe kaum gesprochen, Vorträge in leeren Sälen gehalten, wenn keine Studenten auftauchten, und seine wenigen Freunde äußerst ruppig behandelt. Beide hätten sich oft völlig in ihre Forschungsarbeit vertieft und dann nichts anderes mehr gekannt - ein typischer autistischer Zug, wie Baron-Cohen meint."
und dieses interesse hat einen besonderen hintergrund, auf den ich gleich zu sprechen komme.
vorher aber noch ein paar hinweise auf allgemeine informationen zu newton: ich nehme einfach mal an, dass die meisten leserInnen spätestens im physikunterricht der schulzeit mit diesem namen bekannt gemacht worden sind - newton, dem unter dem baum ein apfel auf den kopf fiel (ein mythos im übrigen) - und der daraufhin die schwerkraft ent-deckte. nun sind seine wissenschaftlichen arbeiten und seine wirkungen auf die gesamte westliche kultur - bis heute - allerdings wesentlich breit gestreuter, als es die geschichte mit dem apfel impliziert. einen überblick über diese arbeiten kann ich mir hier sparen, weil es im netz bereits genügend seiten gibt, die das besser zusammenfassen: hier und hier bspw.
sein vielleicht zentralstes arbeitsergebnis wird so beschrieben:
"Doch er war der erste, der eine umfassende physikalische Theorie ausarbeitete. Ein System aus grundlegenden Annahmen, aus denen er mit den Mitteln der Mathematik Naturgesetze formulierte, die immer und überall gültig sein sollten."
ein grundlegendes und umfassendes system also, welches bis heute einflüsse auf uns alle hat, die erstens kaum jemals benannt werden, weil sie zweitens nicht einfach zu verstehen sind - das newtonsche weltbild (oft auch ergänzt durch kartesianisch, nach dem philosophen rené descartes, von dem der ausspruch "ich denke, also bin ich" stammt, der bis heute zu den essentials der rationalistischen weltanschaung gehört - letztlich findet sich hier auch die wahrscheinliche grundlage für jene ideologie, die in einer der letzten beiträge als objektivismus vorgestellt wurde) - das newtonsche weltbild also ist etwas, was die weltwahrnehmung innerhalb der westlichen kultur seit ein paar jahrhunderten bis heute ganz grundlegend strukturiert, und damit nicht nur irgendwelche abstrakten wissenschaftlichen bereiche prägt, sondern auch unseren alltag und unsere sozialen beziehungen. wie das?
um diese unvermeidliche - und verständliche frage einigermaßen zu beantworten, möchte ich auf ein z.b. hier noch erhältliches buch des us-amerikanischen historikers morris berman hinweisen, "wiederverzauberung der welt", dessen untertitel ganz und gar nicht zufällig "am ende des newtonschen zeitalters" lautet. das buch erschien in d-land mitte der 1980er jahre und wurde - imo unberechtigt - ob seiner fundamentalen kulturkritik in die damals boomende "new age" - schiene gepackt. (berman schreibt im übrigen heute bevorzugt zum - aus seiner sicht zerfallenden - us-amerikanischen imperium. hier ein interview mit ihm.)
die "wiederverzauberung der welt" jedenfalls ist eine wahre fundgrube für alle, die an der entwicklung der westlichen kultur in den letzten jahrhunderten interessiert sind - berman "betreibt ungewöhnliche Geschichtsforschung. Er beschreibt, wie die Wissenschaft seit dem 16. Jahrhundert zwischen Mensch und Natur eine völlige Trennung praktiziert hat. Die Folgen waren katastrophal: die Entfremdung des Menschen von seiner Welt, eine technokratische Gesellschaft, die das Leben der Menschheit und des Planeten immer stärker bedroht." (aus dem klappentext).
im weitesten sinne geht es inhaltlich um das spannungsverhältnis zwischen magischen weltbildern bzw. wahrnehmungen (berman nennt das "partizipierendes bewußtsein"), der von newton entscheidend mitbegründeten wissenschaftlichen aufklärung (das objektiv-rationalistische denken) und dem, was als wahnsinn bezeichnet wird. wobei gerade beim letzteren eine kritik anzubringen ist: berman bezieht sich bei seiner definition primär auf das, was die westliche psychiatrie schizophrenie nennt, führt dabei etliche argumente für eine grundsätzlich als struktur vorhandene, real aber fehlschlagene befreiende funktion dieser art von psychotischer wahrnehmung an - und das ist leider imo ein zu verengter blick, wie wir heute annehmen können. wie hier schon öfter skizziert wurde, haben wir es aller wahrscheinlichkeit nach mit zwei elementaren und qualitativ unterschiedlich organisierten phänomenen zu tun, wenn von psychose die rede ist (von denen nur die eine, nämlich "schizophrene", form tatsächlich ein element von befreiung, oder vielleicht besser protest, enthält - die andere form jedoch ist eine völlige unterwerfung mit implizitem selbstverrat, wobei der meist erzwungen ist.) und berman gelangt sogar, wie noch zu sehen sein wird, unausgesprochen zum gleichen schluß. aber in den 1980er jahren fehlten mit sicherheit etliche informationen bzw. einfach ein entsprechender blick, um diesen unterschied in all seinen vermutlichen konsequenzen zu berücksichtigen. ebenfalls berücksichtigt er den bereich der massenhaft traumaerzeugenden kindererziehung in den untersuchten mittelalterlichen bis früh neuzeitlichen zeiträumen zu wenig - ich vermute, vor dem heutigen wissenstand wäre seine bewertung der magischen praktiken etwas anders ausgefallen und beziehe mich dabei u.a. auf deMause, dessen herleitung vieler sog. religiöser (im weitesten sinne) praktiken und der dahinter stehenden wahrnehmung als produktion von dissoziierenden menschen mir sehr plausibel erscheint. aber trotz allem finde ich das buch nach wie vor anregend, und die jetzt anstehenden gedanken zu newton darin sind sehr aufschlußreich.
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eigentlich wäre es hier notwenig, die implikationen des newtonschen weltbildes ausführlich darzulegen, gerade deshalb, weil den meisten von uns die bedeutung von weltbildern und die quasimaterielle eindringlichkeit, die sie bis in unsere anscheinend persönlichsten gedanken und gefühle hinein annehmen können, nicht unmittelbar einsehbar ist - in einem gewissen sinne stellen sie das wasser dar, in dem wir fische uns bewegen - und wie eine schöne metapher lautet, war es unter garantie kein fisch, der das wasser zuerst entdeckte. mit anderen worten: es ist ein enorm schwieriges unterfangen, die sozial produzierte bühne wahrzunehmen, auf der das eigene lebenstheater spielt.
und für ein physikalisch-abstraktes weltbild als teil dieser bühne gilt das erst recht.
in einem vergleich zwischen den weltbildern des mittelalters und des 17. jahrhunderts (welches bereits von gallilei und am ende auch von newton beeinflusst gewesen ist) kommt berman u.a. zu folgenden unterschieden:
"Wenden wir uns dem Weltbild des 17. Jahrhunderts zu, dann werden wir wahrscheinlich zuallererst ds Fehlen jeder immanenten Bedeutung bemerken. E.A. Burtt hat beschrieben, wie das 17. Jahrhundert, das mit der Suche nach Gott begann, damit endete, das er vollständig aus ihm verdrängt wurde. Die Dinge besitzen keinen Zweck, was eine anthropozentrische Auffassung ist, sondern lediglich Verhaltensweisen, die auf atomistische, mechanische und quantitative Weise beschrieben werden können (und müssen). Das Ergebnis davon ist, daß sich unsere Beziehung zur Natur vollständig geändert hat. Im Unterschied zum mittelalterlichen Menschen, dessen Beziehung zur Natur auf Gegenseitigkeit beruhte, sieht sich der moderne Mensch (der existenzialistische Mensch) im Besitz der Fähigkeit, die Natur zu kontrollieren und zu beherrschen, sie für seine eigenen Zwecke zu benutzen. Dem mittelalterlichen Mensch war eine sinnvolle Stellung im Universum gegeben, es bedurfte keines Willensaktes von seiner Seite. Dem modernen Menschen ist es andererseit auferlegt, seine Ziele selbst zu finden. Aber was diese Ziele sind oder sein sollten, kann zum erstenmal in der Geschichte nicht mehr logisch abgeleitet werden. Kurzum: die moderne Wissenschaft basiert auf der scharfen Trennung zwischen Ding und Wert, sie kann uns lediglich sagen, wie etwas zu tun ist, nicht, was zu tun ist und ob wir es tun sollten."
(berman, "wiederverzauberung der welt"; s. 50/51)
anmerkungen von mir: die oben durchschimmernde positive darstellung der mittelalterlichen welt mit ihren strikten hierarchien (gott - kirche - adel - volk) ist mir etws zu optimistisch gefärbt - sicher, "existenzialistische" ungewißheiten und sinnfragen der heutigen zeit sind in einer solchen ordnung nicht unbedingt zu erwarten, die kehrseite jedoch ist eine relative starrheit und die zementierung der damals aktuellen herrschaftsformen. großflächige verwüstungen okönomischer bzw. ökologischer art jedoch sind durch die implizite begrenzung einer solchen ordnung weitgehend ausgeschlossen. ebenso wie technologisch sinnvolle verbesserungen. der mittelalterliche mensch in seinem seiner zeit entsprechend geprägten dissoziierten dasein scheint sich eine primär sicherheit gebende ordnung gegeben zu haben.
beim "neuen" weltbild jedoch ist in den kernaussagen etliches enthalten, was uns aus ganz anderen ecken heraus bekannt vorkommt:
"Verhaltensweisen, die auf atomistische, mechanische und quantitative Weise beschrieben werden können"; "Fähigkeit, die Natur zu kontrollieren und zu beherrschen"; "scharfe Trennung zwischen Ding und Wert" - stichworte: objektivismus, und auch autismus - gerade die trennung zwischen ding und wert weist deutlich auf eine spezifische wahrnehmung hin, in der der objektivistische modus zwar noch bzw. nur dinge wahrnehmen kann, aber eben keinerlei innere qualitäten mehr, für die bestimmte psychophysische wahrnehmungsfunktionen intakt sein müssen (im mittelalter scheinen diese qualitäten allerdings größtenteils halluziniert gewesen zu sein...eine assoziation von mir, die erstmal befremdlich klingt: haben wir hier etwa eine historischen wendepunkt vor uns, bei dem neben den "üblichen" dissoziierten menschen zum erstenmal wahrnehmbar auch eine autistische minderheit auf der bühne erscheint? erinnern Sie sich bitte an die beiträge zum thema infantizid und zu traumafolgen - ist das, was wir geschichte nennen, in ihrem tiefsten inneren am ende eine geschiche der psychopathologien? bei der die jeweils - hm, kränkesten vertreterInnen der jeweiligen pathologie deshalb zu ruhm und ehren kommen, weil sie die passenden tendenzen der jeweiligen zeit in ihren verschiedenen bereichen einfach am prägnantesten darstellen und bündeln können?
"Schließlich ist für das 17. Jahrhundert nur das `wirklich´ wirklich, was abstrakt ist. Atome sind real, aber unsichtbar; die Schwerkraft ist real, kann aber ebenso wie Impuls und träge Masse lediglich gemessen werden. Allgemein gesprochen dient die abstrakte Quantifizierung als Erklärung. Es war dieser Verlust des Greifbaren und Sinnhaften, der die sensibleren Geister der Epoche - Blaise Pascal und John Donne zum Beispiel - an den Rand der Verzweiflung trieben. Die `neue Philosophie stellt alles in Zweifel´, schrieb letzterer im Jahre 1611, `alles ist in Stücken, jeglicher Zusammenhang verschwunden´. Oder in Pascals Worten: `die Stille des unendlichen Raumes flößt mir Entsetzen ein.´"
(berman, "wiederverzauberung..."; s. 51)
wahrnehmungsweisen...abstraktes statt sinnliches - und eine qualitativ neue art der fragmentierung. natürlich auch eine notwendige basis für die ökonomischen verhältnisse, die wir heute kapitalismus nennen. aber lag darin wirklich der zweck dieser neuen wahrnehmungsweisen, wie es marxistische theorie nahelegt? (ich weiß schon, dass das wort "zweck" hier einigen unpassend erscheinen wird, aber ich hoffe, dass trotzdem klar ist, was ich meine.) oder hat sich auf der psychophysischen basis nicht doch vielleicht einfach die dieser basis angemessene ökonomische form entwickelt, vergleichbar den jeweiligen entwicklungen in anderen lebensbereichen? henne oder ei...
"Die Natur (einschließlich menschlicher Wesen) wird somit zum Material, das man sich aneignen und formen kann. Nichts kann in sich zweckhaft sein, und Werte - wie Machiavelli als einer der ersten ausführte - sind ja lediglich Gefühlsregungen (sic! mo). Die Vernunft ist nun völlig (zumindest theoretisch) instrumental, zweckrational. Man kann nicht länger fragen: `Ist das gut?´, sonder lediglich: `Funktioniert es?´ Eine Frage, die die Einstellung der Handelsrevolution und die wachsende Betonung der Produktion, Vorhersagbarkeit und Kontrolle wiedergibt."
(berman, "wiederverzauberung...."; s. 53)
letzteres begründet bis heute die dominanz der westlichen kultur auf diesem planeten. wie aber sah nun die biographie eines mannes aus, der diese dominanz theoretisch zu einem großen teil mitvorzubereiten half?
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"Isaac Newton steht als Symbol für die westliche Wissenschaft und seine *Principia* kann wohl zu Recht als Dreh- und Angelpunkt des wissenschaftlichen Denkens der Neuzeit bezeichnet werden. (Er)...definierte die Wissenschaftsmethode an sich, die Begriffe von Hypothese und Experiment sowie die Vorgehensweisen, an Hand deren die rationale Beherrschung der Welt zu einem lebensfähigen intellektuellen Programm erhoben werden konnten. (,,,) Und obwohl die Physik des 20. Jahrhunderts Details der Newtonschen Synthese beträchtlich modifizierte, bleibt das gesamte wissenschaftliche Denken, wenn nicht sogar der Charakter des zeitgenössischen empirisch-rationalen Denkens im allgemeinen, seinem Wesen nach durch und durch newtonisch.
Mit einigem Erstaunen reagierte deshalb der britische Ökonom John Maynard Keynes, als er beim Durcharbeiten der unzähligen Manuskripte Newtons, die von seinen Nachfahren 1936 (...) zur Versteigerung freigegeben worden waren, entdeckte, daß Newton sich intensivst mit okkulten Wissenschaften und hier speziell mit der Alchemie befaßt hatte, ja beinahe besessen davon gewesen ist. (...)
Keynes erkannte, daß das 18. Jahrhundert Newton eigentlich für die Öffentlichkeit `zurechtgemacht´ hatte. (...) Aber die in jüngster Zeit von Frank Manuel erstellte Biographie Newtons hat, ebenso wie die von David Kubrin erstellte brilliante Studie über Newton und seinen kulturellen Hintergrund, gezeigt, daß Newton selbst in großem Umfang `gesäubert´hat.
(...)...sowohl aus psychologischen als auch aus politischen Gründen sah es Newton als notwendig an, diesen Teil seiner Persönlichkeit (den "mystischen") und seiner Philosophie zu unterdrücken und die nüchterne Fassade eines Positivisten zur Schau zu tragen. Die Evolution von Newtons eigenenem Bewußtsein spiegelt nicht nur auf signifikante Art und Weise das Schicksal der alchemistischen Tradition zur Zeit der Restauration Englands wider, sondern auch die Evolution des westlichen Bewußtseins im allgemeinen. Und so behauptet Manuel,daß Newtons Persönlichkeit ebenso wie seine Sichtweise nichts weiter als ein extremer Ausdruck seiner Zeit waren."
(berman, "wiederverzauberung..."; s. 124/125)
eine zeit, in der die methoden der kindererziehung sowie der umgang mit kindern allgemein, wie es bei deMause zu lesen ist, mehr oder weniger katastrophal waren - von heute aus betrachtet. das ist bei folgendem zu beachten:
"Newtons Kindheit war geprägt von einem sehr hohen Maß an Verlustangst. (...) Newtons Vater starb drei Monate vor Geburt seines Sohnes, und seine Mutter heiratete wieder, als er ungefähr drei Jahre alt war. Sie verließ daraufhin ihren Sohn, um ungefähr eineinhalb Meilen von ihm entfernt mit ihrem neuen Ehemann (namens smith, anmerk. mo) zusammenzuleben; Isaac blieb in dieser Zeit bei seiner Großmutter in seinem Geburtsort (...) Seine Mutter kehrte erst nach dem Tod ihres zweiten Mannes (...) zurück, als Newton bereits elf Jahre alt war. Somit war Newton während entscheidender Phasen seiner Entwicklung verlassen und im Stich gelassen worden, und dies, nachdem seine Mutter sowieso schon als alleiniger Elternteil seine einzige Bezugsperson gewesen war. Als Ergebnis, schreibt Manuel,
war seine Fixierung auf sie absolut und vollkommen. Das Trauma, ursprünglich von ihr verlassen worden zu sein, erzeugten großen Schmerz, Aggressivität und Angst in ihm. (...)
der biograph manuel wertet das als ein "traumatisches Ereignis in Newtons Leben, von dem er sich nie erholte." wobei: vielleicht haben wir hier auch eine jener typischen fehlurteile, die sich, von unseren heutigen normen geprägt, mutter-kind-verhältnisse immer nur als grundsätzlich liebevoll vorstellen können - die realität des infantizids sagt etwas anderes, ebenso wie newtons reaktionen nicht unbedingt etwas liebevolles deutlich machen:
"Newton schrieb als Jugendlicher in einem seiner Notizbücher unter das Wort `Sünde´: `gegen meinen Vater und meine Mutter Smith die Drohung ausstoßen, sie möchten samt ihrem Haus verbrennen´, und `ganz bestimmten Personen den Tod wünschen´.
dazu kam ein sonderbares bewußtsein der eigenen "auserwähltheit":
"Er war am Weihnachtstag des Jahres 1642 früh zur Welt gekommen, und man nahm nicht an, daß er überleben würde. Tatsächlich war in der Gemeinde, in der er zur Welt kam, die Kindersterblichkeitsrate auffallend hoch, und Newton war später davon überzeugt, daß die Tatsache, daß er am Leben geblieben war (ebenso wie der Umstand, daß er als junger Mann nicht der Pest zum Opfer gefallen war), ein Zeichen göttlicher Einmischung war. Wie Manuel weiterhin aufzeigt, kursierte in derselben Gemeinde außerdem die weitverbreitete Ansicht, daß ein Junge, der nach dem Tode seines Vaters geborn wird, mit außergewöhnlichen Kräften ausgestattet sei. (...) Er war überzeugt, `daß Gott sich in jeder Generation nur einem einzigen Propheten enthüllt, was parallele Entdeckungen unmöglich macht.´ In den unteren Rand seines Alchemie-Notizbuches ritzte Newton als Anagramm seines lateinischen Namens Isaacus Neuutonus: Jeova sanctus unus - Jehova, der Heilige.
Zusätzlich zu diesen geschilderten Eigenschaften wies Newton typisch puritanische Züge auf: Strenge, Disziplin und vor allem Schuld und Scham. `Er hatte einen eingebauten Zensor in sich´, meint Manuel, `und lebte beständig unter dem strengen Blick eines Aufsehers...´ Zu solchen Schlüssen gelangt Manuel nach der Durchsicht von Übungsheften des jugendlichen Newton, die unter anderem Sätze enthalten, die Newton in freier Assoziation gewählt hatte, um sie ins Lateinische zu übersetzen. Diese Sätze enthalten im Überfluß Themen wie Angst, Selbstherabsetzung und Einsamkeit:
Ein junger Bursche,
er ist blaß.
Für mich gibt es keinen Platz, wo ich
sitzen kann.
Zu welcher Beschäftigung taugt er?
Er ist gebrochen.
Das Schiff sinkt.
Es gibt da etwas, was mir Kummer bereitet.
Er hätte bestraft werden sollen.
Niemand versteht mich.
Was wird aus mir werden.
Ich werde Schluß machen.
Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.
(berman, "wiederverzauberung...", alle obigen zitate s. 125 - 127)
klingen newtons sätze nicht ganz verblüffend aktuell? ähnliches lässt sich heute auch in diversen netzforen lesen, zu depressionen, borderline... ich war ähnlich erstaunt wie berman:
"Für einen Jugendlichen sind dies zweifelsohne sehr ungewöhnliche Sätze, um ins Lateinische übersetzt zu werden; die Auswahl ist beinah nicht zu glauben. `Bei all diesen Notizen des Jungen´, schreibt Manuel,
`erstaunt vor allem, daß kein einziges Mal die Äußerung eines positiven Gefühls auftaucht. Das Wort Liebe fehlt völlig, und Äußerungen von Freude, Wusch und Verlangen sind selten...Fast alle Aussagen enthalten Negationen, Ermahnungen, Verbote. Das Leben erweist sich als feindlich und auf Strafe bedacht.´"
ich weiß nicht, wie oft ich den letzten satz schon gelesen habe - und immer wieder ist es ein gefühl, welches mir mit wucht kommt: das ist so verdammt bekannt, große und entscheidende teile des heutigen sozialen lebens sind auf diesem prinzip, besser dieser wahrnehmung, aufgebaut.
"Wäre darüber hinaus nichts weiter von Isaac Newton an die Geschichte überliefert worden, dann hätten diese Notizbucheintragungen den Status eines psychiatrischen Kuriosums erhalten. Anstattdessen haben wir es bei Isaac Newon mit dem Erschaffer der Wissenschaftsauffassung der Neuzeit zu tun, und diese Auffassung, die besagt, daß alles hundertprozentig vorhersagbar ist ("Töte alles, was in Bewegung ist" wie Philip Slater es ausdrückt), kann keinesfalls getrennt von ihrer pathologischen Grundlage gesehen werden. `Eine der wichigsten Quellen für Newtons Drang nach Wissen´, schreibt Manuel, `war seine Furcht und Angst vor dem Unbekannten. Wissen, das in mathematische Formeln gebracht werden konnte, vermochte seiner quälenden Unsicherheit und Ungewißheit ein Ende zu bereiten...(Die Tatsache), daß die Welt mathematischen Gesetzen gehorcht, bedeutete seine eigene Sicherheit.
Alles auf Himmel und Erden in einen einzigen starren, engen Rahmen zu zwingen, dem nicht einmal per Zufall das kleinste Detail entkommen konnte, um frei umherzuscheifen, war für diesen von Angst und Furcht verfolgten Mann eine innere Notwendigkeit. (...) Das System war sowohl in seinen physikalischen als auch historischen Dimensionen vollständig. (...) Es war Newtons Glück, daß die Gesellschaft Europas einen großen Teil seines gesamten Systems als ein perfektes Abbild der Wirklichkeit akzeptierte, so daß sich sein Name aufs engste mit seinem Zeitalter verband.´
Trotz seines gelegentlichen Nervenzusammenbruchs war Newton kein Psychotiker, es steht jedoch außer Zweifel, daß er sich an der Grenze zu irgendeiner Form des Wahnsinns bewegte, den er durch eine völig auf den Tod ausgerichtete Natursicht zu beschwichtigen suchte. Bemerkenswert daran ist jedoch weniger diese Natursicht selbst als vielmehr die Zustimmung und der Beifall, den sie auf breiter Ebene fand. (...) Anstatt irgendein einsamer, eigenartiger Kauz zu bleiben, gelang es ihm, ganz Europa dazu zu bringen, `sich diesem großen, zwanghaften Modell anzuschließen´, Präsident der Royal Society zu werden und 1727 mit Glanz und Glorie in der Westminster Abtei in einem Akt internationaler Bedeutung begraben zu werden.
Man könnte sagen, daß Europa, nachdem es die Newtonsche Sicht der Welt übernommen hatte, geschlossen den Verstand verlor."
(berman, "wiederverzauberung...", s. 128/129)
über den letzten satz empfiehlt sich eine besinnliche meditation...und ob newton als psychotiker bezeichnet werden soll, ist eine definitionsfrage - wie gesagt, bezieht sich berman nur auf die eine form - newton hat dagegen seinen wahnsinn erfolgreich in die gesellschaft transferiert, und befindet sich damit in berühmter gesellschaft. erfolg kann eben auch ein kriterium für wahnsinn sein, zumal sie er auch eine stützende funktion besitzt, die dem erfolgreichen sowohl das blanke ausagieren als auch die nichtauseinandersetzung mit sich selbst ermöglicht.
*
zum schluß noch ein recht berühmtes bild newtons (der mit hilfe eines zirkels die welt zerlegt) von william blake, und ein passendes gedicht von eben diesem blake. das soll kommentar genug sein.

Now I a fourfold vision see,
And a fourfold vision is given to me;
´t is fourfold in my supreme delight,
And threefold in soft Beulah´s night
And twofold always. May God us keep
From single vision and Newton´s sleep!
Jetzt sehe ich eine vierfältige Erscheinung
und eine vierfältige Sicht ist mir geschenkt.
Vierfältig ist sie in meinem äußersten Entzücken,
Dreifältig in Beulah´s sanfter Nacht
und zweifältig zu allen Zeiten.
Möge Gott uns vor einfältiger Sicht
und Newtons Schlaf bewahren.
(1802)
da dieses blog in aller regel bedrückende bis schwer bedrohliche themen behandelt, möchte ich Ihnen einen beitrag nicht vorenthalten, der mir ein breites grinsen auf´s gesicht gezaubert hat. und trotzdem bleibt mir der wunsch "viel vergnügen!" irgendwie halb im halse stecken...
Und es übersteigt mein Vorstellungsvermögen, auf welche Weise aus diesem Teufelskreis des konditionierten Handelns und verlogenen Alibituns einmal ein wahrhaftiges Sein entstehen kann.”, rief er.