als ergänzung zu diesem beitrag hier können heute ein paar artikel in der aktuellen taz gelesen werden, so z.b. dieser:
"Sofort nach seiner knappen Wahlniederlage forderte Silvio Berlusconi nicht nur eine Überprüfung von 43.000 umstrittenen Stimmzetteln in Italien, sondern gleich dazu die komplette Neuauszählung der von den Auslandsitalienern abgegebenen Stimmen; da nämlich habe es "gravierende Unregelmäßigkeiten" gegeben.
Die Forderung überrascht schon deshalb, weil die gesamte Abstimmungsprozedur in den Händen des Innenministeriums der Regierung Berlusconi lag. Sie überrascht aber auch vor einem ganz anderen Hintergrund: Nicht immer, nicht überall ist Berlusconis Blick auf mögliche "gravierende Unregelmäßigkeiten" so kritisch - zum Beispiel nicht in Sizilien. Die Insel bildet seit Berlusconis Einstieg in die Politik 1994 das wichtigste Stimmbecken für seine Partei Forza Italia und für seine Koalition. Viele der Abgeordneten und der Senatoren aus seinem Lager haben Ermittlungsverfahren oder Prozesse laufen - wegen Mafiaverstrickungen. Doch kein einziger musste sein Mandat niederlegen oder wenigstens bis zur Aufklärung der Vorwürfe ruhen lassen. Im Gegenteil: Alle wurden wieder als Kandidaten aufgestellt, meist dazu noch auf sicheren Listenplätzen, um ihnen die Wiederwahl zu garantieren.
Berlusconi selbst musste sich über die Jahre in Palermo fünf Ermittlungsverfahren gefallen lassen, wegen Unterstützung einer mafiösen Vereinigung und wegen Geldwäsche; allerdings wurden alle diese Verfahren eingestellt. Auch die Staatsanwaltschaften von Florenz und Caltanissetta ermittelten: Sie verdächtigten Berlusconi gar, einer der Hintermänner jener blutigen Anschläge der Mafia von 1992/93 in Palermo, Mailand und Florenz gewesen zu sein, die die Staatsanwälte Giovanni Falcone, Paolo Borsellino und zahlreiche andere das Leben kosteten. Auch diese Ermittlungen wurden schließlich eingestellt, weil innerhalb der vom Gesetz für ein Ermittlungsverfahren vorgesehenen Fristen keine hinreichenden Beweise für eine Anklageerhebung gefunden wurden."(...)
ich denke nicht, dass ich das noch groß kommentieren muss. eher sollten wir uns erstens deutlich machen, dass sehr viele informationen dafür sprechen, dass diese zustände keineswegs nur in italien so herrschen, und zweitens - noch wichtiger - die frage stellen: warum lassen wir derartige gestalten faktisch über unser leben bestimmen? es gibt zweifelsohne einen starken eigenanteil bei den beherrschten, wenn antisoziale/soziopathen immer wieder in zentrale macht- und führungspositionen gelangen können. mögliche gründe dafür sind in der vergangenheit hier schon mehrmals angerissen worden, v.a. im kontext der psychohistorie von deMause. aber es wird von tag zu tag dringlicher, nicht nur die gründe für die eigenen verstrickungen wahrzunehmen, sondern endlich auch praktikable konzepte zu schaffen, um die völlig unakzeptblen realitäten nachdrücklich zu verändern. das ist schlicht eine überlebensfrage.
und wenn´s nur das wäre...ab mitte der woche wird sich das glücklicherweise wieder ändern, und dann plane ich hier - aber dazu später mehr.
"zeitung", bzw. diverse online-versionen verschiedener blätter, sind aber das angemessene stichwort - natürlich gehen mir nicht nur viele interessante artikel und news und durch die lappen, weil ein einigermaßen repräsentativer überblick zu einem oder mehreren themenbereichen eigentlich nur in einem entsprechenden beruflichen kontext möglich ist ( so jedenfalls meine eigene erfahrung), sondern selbst dann, wenn ich im kontext dieses blog immer wieder mal gezielter recherchiere, ist es meistens rein vom umfang her unmöglich, alles anfallende so zu behandeln, wie ich es mir eigentlich wünschen würde. ein teil kann ich hier durchaus bearbeiten (einige beispiele dafür finden sich z.b. in den beiträgen der letzten zwei wochen), aber andere - und imo ebenso interessante und wichtige informationen - bleiben schlicht und einfach liegen. was mich ebenso schlicht und einfach stört und unzufrieden macht, aber es wird mir wohl vorläufig nichts anderes übrigbleiben, als dem sich darin manifestierenden hang zum perfektionismus mal wieder den kampf anzusagen.und am besten fange ich auf der stelle damit an, denn es stört mich auch, wenn artikel (aus meiner sicht) wichtige themen aufgreifen und zu (aus meiner sicht) falschen oder sogar verheerenden schlüssen kommen. und trotzdem bzw. gerade deswegen möchte ich Ihnen die folgenden fundstücke nicht vorenthalten, wobei ich sehr wahrscheinlich bei gelegenheit die dort angesprochenen themen nochmals aufgreifen werde.
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die pläne der französischen regierung zum sehr frühen screening von vermeintlichen oder tatsächlichen antisozialen persönlichkeiten wurden hier neulich schon mal vorgestellt. heute hat nun die faz dieses vorhaben mit einem seltsam ambivalenten grundtenor aufgegriffen: der artikel "Aggressive Embryos" wendet sich einerseits mehr oder weniger deutlich gegen die französischen pläne -
(...)"Ausdrücklich genannt wird dabei eine Studie des Institut national de la santé et de la recherche medicale (Inserm) aus dem letzten Herbst, bei deren Lektüre es einem kalt über den Rücken läuft. Ihr Titel lautet „Verhaltensstörung bei Kindern und Jugendlichen” und ist auf der Internetseite des Instituts abrufbar. Es geht darum, wie bereits im frühkindlichen Alter bis zu drei Jahren oder gar schon vorgeburtlich bei einem Embryo latente Gewaltbereitschaft diagnostiziert werden kann.
Risikofälle schon vom embryonalen Stadium an verfolgen
In eisigem Wissenschaftsjargon wird dort beschrieben, wie in diesem Frühstadium bei Mäusen und Ratten im Labor aggressive Veranlagungen festgestellt werden konnten. Der Bericht unterscheidet zwischen eigentlicher „Verhaltensstörung” (trouble des conduites) und „Störung aus Auflehnung” (trouble oppositionnel): Das sei zwar nicht ganz dasselbe, gehe aber oft zusammen, heißt es beim Inserm. Die Experten wollen sich aber nicht mit bloßen Forschungsergebnissen begnügen. Sie empfehlen in ihrer Studie, schon vom embryonalen Stadium an in besonderen Risikofällen - sehr junge Mütter, Eltern aus dem Drogenmilieu, kriminelle oder psychiatrische Vorbelastungen in der Familie - die Entwicklung eines Embryos oder eines Kleinkindes klinisch und psychologisch genau zu verfolgen.(...)"
um dann am ende mit dem evergreen vom (psychoanalytisch untermauerten) biest in uns allen aufzuwarten:
(...)"Diese Obsession für Normverhalten und Sicherheit, die nicht mehr mit Subjekten, sondern nur noch mit Bevölkerungssektoren rechne, sei jedoch sehr demokratisch, sagt der Psychoanalytiker Gerard Wajcman. In jedem von uns schlummere ein Biest, jeder sei potentiell gewalttätig, also gehe auch am besten jeder mit einem ständig aktualisierten klinischen Führungszeugnis durchs Leben.(...)"
das meint der analytiker womöglich kritisch - ohne sich jedoch offensichtlich darüber im klaren zu sein oder es zugeben zu wollen, dass gerade die orthodoxe pa dieses bild von der "bestie", dem "tier" im menschen (psychoanalytisch als es bezeichnet) ordentlich gefördert und in einem gewissen sinn in den heute vorliegenden bildern davon auch erst konstruiert hat.
ich hatte es ja schon im ersten beitrag zum thema anklingen lassen, dass ich aus gründen, die hier im blog inzwischen zur genüge nachzulesen sind, dem grundgedanken einer frühen erkennung und auch prävention von schwerwiegenden beziehungskrankheiten nicht total verschlossen gegenüberstehe. ich möchte jedoch jede assoziation in richtung eugenik bzw. dem, was einmal auch psychiatrisch unter "rassenhygiene" verstanden worden ist, zurückweisen - mir geht es um die hier zur genüge dokumentierten fatalen individuellen und kollektiven folgen dieser beziehungskrankheiten, deren ursprung sich für mich hauptsächlich in den heutigen sozialen und teils unerträglichen bedingungen unseres lebens verorten lässt. das heißt dann auch, dass die erwähnte prävention für mich auch sachlich nur sinn macht, wenn gleichzeitig diese bedingungen zur disposition gestellt werden. von daher sage ich zu den ideen aus frankreich: eine im grunde richtungsweisende idee wird von den falschen leuten mit falschen begründungen zur falschen zeit in einem falschen kontext und mit zielsetzungen vertreten, die einer befreienden gesamtgesellschaftlichen wirkung konträr entgegenstehen. hier geht es um soziale selektion in einer kapitalistischen gesellschaft. und das ist nichts, was irgendjemand mit einem minimum an sozialer empathie unterstützen kann.
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in der printausgabe der faz findet sich unter dem obigen artikel ein anderer, der - ohne das das weiter thematisiert wird - vielfältige inhaltliche berührungspunkte mit dem beitrag über frankreich aufweist. "Ungeborene Verbrecher" behandelt eine seit längerer zeit in den usa laufende diskussion darüber, ob es einen nachweislichen zusammenhang zwischen der legalisierung der abtreibung und dem rückgang der offiziellen kriminalitätsrate gibt:
(...)"Wesentliche Ursache für den Rückgang der Straftaten um rund dreißig Prozent und den Rückgang der Morde um sogar rund vierzig Prozent sei die Tatsache, daß der Oberste Gerichtshof 1973 ein Recht auf Abtreibung anerkannt habe. „Dies dürfte zur Verminderung der Gesamtkriminalität beigetragen haben”, legten die beiden Professoren in ihrem Aufsatz „The Impact of Legalized Abortion on Crime” dar, der im „Quarterly Journal of Economics” erschien. Rund 30 Milliarden Dollar im Jahr ließen sich dadurch einsparen.
Heikle ethnische Implikation
Wären unter den Menschen, die dank liberalem Abtreibungsrecht nicht geboren werden, überproportional viele geborene Verbrecher? Donohue und Levitt stützen sich auf Befunde, nach denen zum großen Teil Kinder abgetrieben werden, die sonst in instabilen und finanziell schlecht abgesicherten Familien aufwachsen würden - und damit in einem gesellschaftlichen Umfeld, das eng mit der Entwicklung kriminellen Verhaltens verbunden sei.
Heikel ist diese These unter anderem wegen ihrer ethnischen Implikationen: Denn sowohl der Anteil der verurteilten Straftäter als auch der Anteil von Frauen, die abtreiben lassen, ist unter Schwarzen besonders hoch. Wenn sich Levitts und Donohues Ansicht von der kriminalitätssenkenden Wirkung der Schwangerschaftsabbrüche durchsetze, würden sich noch mehr schwarze, sozial schwache Frauen für Abtreibungen entscheiden, mahnte damals zum Beispiel eine christliche Vereinigung.(...)"
diese auseinandersetzung möchte ich in zukunft auf jeden fall nochmals aufgreifen - stichwort pränatales geschehen. für den moment nur soviel: als ich davon das erstemal gehört habe, erschien mir das augenblicklich einleuchtend - es existieren aus mehreren europäischen staaten langzeitstudien zum schicksal sog. ungewollter kinder, wobei das wort "ungewollt" sehr oft auch als synonym für ungeliebt zu lesen ist. ist es so überraschend zu erfahren, dass die betreffenden studien mehr oder weniger alle die gleichen ergebnisse dokumentieren? das nämlich diese kinder teils bereits sehr früh nach den aktuellen gesellschaftlichen kriterien in verschiedenster hinsicht auffällig oder das werden, was justiziell als "kriminell" bezeichnet wird? ich würde schon sagen, dass etliche dieser eigentlich als zutiefst unglücklich zu begreifenden menschen diese empathische wahrnehmung durch ihr teils krasses antisoziales verhalten stark relativieren. das sollte aber nicht die frage nach der letztlichen verantwortlichkeit vom tisch wischen, deren möglichst korrekte beantwortung in meinen augen ungeheuer wichtig ist. purer sprengstoff, weil es hier letztlich um existenzielle fragen im kontext mütterbilder - vorstellungen von kindheit - mutter-kindverhältnisse und deren soziale einbindung geht. die abtreibungsfrage ist davon nur ein teil, allerdings bereits für sich auch schon so brisant, dass jede äusserung egal welcher richtung dazu sofort ordentlich polarisiert. ich glaube allerdings, dass ein sich verbreitendes wissen um die existenzielle wichtigkeit der pränatalen phase für das menschliche leben einiges davon aufheben kann. ein projekt für die nahe zukunft hier im blog.
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ebenso wie eine ausführliche beschäftigung mit dem begriff trauma, und spezieller mit der geschichte und den politisch-sozialen implikationen der diagnose posttraumatische belastungsstörung. dieses diagnostische modell wie auch der traumabegriff spielen hier im blog immer wieder eine starke und meist untergründige rolle, ohne dass sie bisher direkt angesprochen worden wären - wobei gerade die geschichte der ptbs-diagnose eine deutlich politische ist, und leider auch und gerade von der "linken" mehrheitlich völlig in ihren konsequenzen unterschätzt wird. auch das ein zukunftsprojekt hier, wobei ich für eine frühere diskussion an anderen orten etliches material sozusagen fertig vorrätig habe, bisher aber noch nicht zu einer nötigen überarbeitung gekommen bin. für den moment möchte ich nur auf einen teilberich des themas hinweisen, dessen dimensionen allerdings schon wieder beachtlich sind - kriegstraumata, migration und asylgesetzgebung - und ein beleg dafür, dass sich nicht alle heutigen angehörigen der psychiatrischen medizin der unheilvollen tradition ihrer disziplin zurechnen lassen - ein artikel im "deutschen ärzteblatt" thematisiert ein ekelhaftes gerichtsurteil - gegen einen psychiater (gefunden übrigens beim stöbern im blog von che):
"Ein Berliner Arzt wurde verurteilt, weil er Flüchtlingen ohne angemessene Untersuchung Kriegstraumata attestiert haben soll. Die Verteidigung sieht den Prozess politisch motiviert.
(...)
Zu einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilte der Richter den Arzt Dr. B., wenn auch zur Bewährung. Seine ebenfalls angeklagte Ehefrau, die auch Ärztin ist, sprach er frei.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Berliner Psychiater in den Neunzigerjahren bei etlichen Kriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien ohne ausreichende Untersuchungen posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) attestiert hat. Diese Zeugnisse dienten den Migranten zur Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Bei Frau B. konnte das Gericht nicht zweifelsfrei feststellen, ob sich die Allgemeinärztin ebenfalls eines Vergehens schuldig gemacht hat.(..)"
wer von Ihnen auch nur ein bisschen über traumata im kriegskontext, staatlichen rassismus sowie die gnadenlose asylpolitik des deutschen staates informiert ist, kann sich zu diesem urteil selbst einen reim machen. ich werde dieses spezielle thema im zukünftigen schwerpunkt "trauma/ptbs" nochmal genauer beleuchten.
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da ich hier wieder mal am ankündigen bin (ist manchmal ja auch schon schiefgegangen, aber an dieser stelle kann ich mich dann auch andlich mal bei meinen leserInnen für Ihre geduld bedanken): ich hoffe, bis zum ende der woche hier den basisbeitrag zum thema "als-ob"-persönlichkeiten online gestellt zu haben. und ich kann Ihnen ein thema versprechen, was Ihnen vermutlich genauso viel zu knabbern geben wird wie mir.
edit am 14.04: der mensch denkt...und alles mögliche kommt dazwischen, so z.b. gerade eine schwerere erkältung, die mir die lust am schreiben gründlich vermiest. ein großteil des beitrags ist bereits fertig, aber er schlägt sozusagen nach allen seiten hin aus, und ich habe immer wieder schwierigkeiten, ihn einzufangen. und nun schluß mit der metaphernreiterei. wenn alles klappt, sollte er am nächsten wochenende erscheinen.
da hatte ich im letzten beitrag einen prozeßbericht erwähnt, der von seinen inhalten durchaus nicht alleine dasteht - und bin nun über eine kurze meldung gestolpert, die auch einen prozeß thematisiert - und hier spielt eine diagnose eine rolle, der ich in einem solchen kontext allerdings noch nicht begegnet bin:
(...) "Der Angeklagte wurde gestern vor der Jugendkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt - wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Bleiben soll er jedoch in der Klinik. Denn der Gutachter attestierte eine tiefgreifende Persönlichkeitsstörung: das Asperger Syndrom, eine seltene Form des Autismus.
Das führte dazu, dass der junge Mann im Februar 2005 auf eine damals 19-Jährige mit einem 20 Zentimeter langen Küchenmesser einstach. Als Grund dafür nannte er später „Hass auf Menschen“, er habe einfach irgendjemanden umbringen wollen. Die Polizei sprach von einer „Zeitbombe für Neumarkt“. Die junge Frau überlebte den Angriff.
Richter Helmut von Ciriacy ging gestern von einer verminderten Schuldfähigkeit des 18-Jährigen aus. Die Therapie ist zeitlich unbegrenzt."
leider ist der informationsgehalt dieser meldung recht unbefriedigend - es wäre sehr interessant, näheres zum gutachten und zur begründung dieser diagnose zu erfahren. die oben stehende kausale ableitung von der "seltenen form des autismus" (eine imo durchaus unzutreffende behauptung) hin zur tat könnte sich auf aussagen im gutachten beziehen - aber das muss eben vorläufig eine spekulation bleiben. ebenso wie mein spontaner gedanke, dass andere gutachten möglicherweise eine borderlinestörung oder antisoziale ps attestiert hätten. ich verspüre ein ähnliches erstaunen wie bspw. bei der in den kommentaren hier dokumentierten geschichte vom (asperger-)autistischen frontmann einer band. das könnte womöglich daran liegen, dass auch meine spontanen assoziationen zum autismus immer noch vom typischen bild des (kanner-)autistischen kindes mit extremen verhaltensauffälligkeiten bestimmt sind. obwohl im basisbeitrag autismus ja schon deutlich anklingt, dass dieses bild eben nur für einen kleinen und wahrscheinlich nicht repräsentativen teil der betroffenen des autistischen spektrums zutrifft.
als weitere assoziation kam mir vor dem hintergrund der beschreibung der völlig willkürlichen opferauswahl und des - hm, motivs ebenso schnell das wort "amok" in den kopf. nun ist dieses wort inzwischen medial mit einer bedeutung aufgeladen, die sich vom ursprung des begriffs recht weit entfernt hat (die berüchtigten "schulmassaker" der letzten jahre wie zb. in erfurt erfüllen einige der gleich aufgeführten kriterien nicht; so war zb. in den meisten fällen durchaus eine gezielte planung/vorbereitung der täter zu verzeichnen) - ein "echter" amokzustand zeichnet sich meines wissens durch mehrere einmalige eigenschaften aus: er entsteht a) anscheinend aus dem "nichts" heraus, also sehr plötzlich; ist b) an ein begrenztes zeitfenster (das können auch nur ein paar minuten sein) gebunden; stellt c) einen extremen psychophysischen zustand mit teils deutlich verifizierbaren veränderungen zb. des muskeltonus im gesamten körper (unwillkürliche extreme anspannung) und stark herabgesetzter schmerzempfindlichkeit dar; und wird d) in der regel von einer nachfolgenden amnesie beim amoklaufenden begleitet - d.h., die erinnerung an die taten im amokzustand sind wie ausgelöscht und nicht bewusst zugänglich. all diese phänomene zusammengenommen haben dazu geführt, dass amokereignisse in teilen der psychiatrischen forschung inzwischen im weitesten sinne den dissoziativen zuständen zugerechnet werden (eine sehr ausführliche und empfehlenswerte darstellung des amoks aus psychiatrischer sicht findet sich hier .)
vor dem hintergrund von in diesem blog diskutierten möglichen strukturellen zusammenhängen etlicher psychiatrischer diagnosen gibt es also durchaus einige ebenso mögliche links, die zb. von dissoziativen zuständen hin zum autismus führen (vielleicht lesen Sie dazu auch nochmal die selbstbeschreibungen von temple grandin im autismusbeitrag). aber wie gesagt: die informationen sind schlicht zu spärlich, um zu der obigen tat etwas mehr sagen zu können. auch muss es vorläufig spekulation bleiben, ob sich hier womöglich eine art paradigmenwechsel in der "professionellen" wahrnehmung autistischer zustände abzeichnet. wir werden sehen, ob das ein einzelfall bleibt.
einige leserInnen werden vielleicht denken "was hat er eigentlich, passt doch gut in sein konzept?" nun, falls überhaupt von "konzept" die rede sein kann, so bin ich über derartige entwicklungen/ereignisse keinesfalls irgendwie glücklich - im gegenteil bestärken sie sehr ungute gefühle bei der betrachtung der aktuellen sozialen zustände.
ein letztes wort noch zum kommentar der mutter eines autistischen kindes unter der meldung: die argumentation, dass es auf den "charakter" ankäme und nicht auf einen eventuellen autistischen zustand, geht so ziemlich an allem vorbei, was wir heute über menschliche seinszustände wissen können - auch wenn die vermutlichen ängste der mutter vor stigmatisierungen in folge solcher berichte verständlich sind, so ist es doch imo absolut unzulässig, von vorneherein jede möglichkeit einer verbindung zwischen derartigem destruktiven verhalten und störungen des autistischen spektrums kategorisch auszuschliessen. autismus als paradigmatisches modell für eine generelle und allumfassende beziehungsunfähigkeit betrachtet, schliesst antisoziale aktionen solchen grades ganz sicher nicht aus - eher trifft das gegenteil zu. vor allem, wenn sich die "aspergervariante" mit einer grundsätzlich autistischen struktur mehr und mehr als sozial simulativ kompatibel innerhalb von gesellschaften mit großflächigen sozialen zerfallsprozessen erweisen sollte. schon wilhelm reich hat imo ganz treffend erkannt, dass das, was bis heute als "charakter" in unseren vorstellungen herumgeistert, prinzipiell nichts anderes darstellt als ein set von eigenschaften und verhaltensweisen, die ein mensch unter widrigen sozialen und gewalttätigen bedingungen herausbildet, und die als überlebenshiilfe dienen - anders: sog. charakterliche eigenschaften sind in ihrer mehrzahl als ausdruck von verzerrungen/störungen zu betrachten - und keinesfalls als manifestation eines authentischen / beziehungs- und liebesfähigen selbst.
eine geschichte, die in ihren grundmustern durchaus nicht nur in diesem land eine grausige alltäglichkeit aufweisen dürfte, findet sich in dieser prozeßreportage (und zu meiner einschätzung komme ich auch deswegen, weil ich selbst schon eine keinesfalls vollständige sammlung ähnlicher prozeßberichte aus den letzten jahren zusammengetragen habe, in denen v.a. die bl-diagnose, seltener auch die narzisstische ps eine rolle spielen).
"Weil sie auf Grund ihrer Krankheiten, vor allem des Borderline-Syndroms, nur vermindert schuldfähig ist, kam die 25-jährige Lore E. aus Oyten gestern mit einer Haftstrafe von fünf Jahren für den Giftmordversuch an íhrem Stiefvater Hans E. davon.(...)
Dass sie das schnell zum Tode führende Nervengift in der Absicht, sich selbst umzubringen, beschafft hatte, nahm ihr die Kammer unter Vorsitz der Richterin Britta Raßweiler wegen bereits vorausgegangener Suizidversuche zwar ab, nicht aber, dass sie diese Absicht noch hatte, als sie das Gift in das Essen mischte. Da sei die Entscheidung "ich oder er" schon gefallen gewesen.(...)"
so weit, so schlecht. juristisch ist die sache klar: "Damit sei der Tatbestand des heimtückischen Mordversuches erfüllt." dem gesetz wurde allem anschein nach genüge getan, auch mit folgendem:
"Dass die Strafe nicht so hoch ausfiel, lag vor allem an den psychologischen Gutachten, die der Angeklagten eine schwere Persönlichkeitsstörung bescheinigten. Die habe möglicherweise auch zur Tatzeit ihre Steuerungsfähigkeit stark eingeschränkt. Borderline-Patienten neigen zu spontanen Aggressionsausbrüchen, die in der Regel allerdings gegen sich selbst gerichtet sind."
und hier geht´s dann schon mit meinen irritationen los, die im verlaufe des berichtes immer stärker geworden sind - der letzte satz stimmt so pauschal schon mal überhaupt nicht, vor allem nicht für männer mit dieser diagnose. wie sich die borderlinetypischen aggressionen äußern, hat nicht zuletzt auch etwas mit den in dieser gesellschaft üblichen geschlechterstereotypen zu tun, die immer noch eine recht große macht besitzen - auch, wenn es im zuge der allmählichen auflösung davon mehr und mehr phänomene wie männer mit essstörungen und prügelnde mädchen zu registrieren gibt.
"Lore E. hatte sich denn in der Vergangenheit auch häufig selbst verletzt. Gelegentlich, so eines der Gutachten, richte sich diese Aggression aber auch gegen einen anderen."(...)
wie im basisbeitrag "borderline" schon erwähnt, ist mit dem wort "selbstverletzung" bzw. den damit assoziierten vorstellungen vorsichtig umzugehen. auch dann, wenn sich in einer biographie indizien für ein traumatisches geschehen finden lassen:
"Den hatte die Angeklagte beschuldigt, sie über Jahre körperlich und seelisch misshandelt und auch sexuell missbraucht zu haben. Richterin Britta Raßweiler erklärte, diese Vorwürfe seien zwar nicht widerlegbar, aber auch nicht beweisbar. Ein Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs der Stieftochter ist eingestellt worden."
erstens: es gibt dokumentierte fälle von nachweislich falschen beschuldigungen bezgl. sexualisierter gewalt, oft genug von frauen mit bl-diagnose. die motive dafür können vielfältig sein und sind imo keineswegs generell als indiz für eine durch und durch bösartige persönlichkeit zu werten. wobei: auch letzteres existiert.
zweitens: es gibt noch mehr dokumentierte fälle von zutreffenden anklagen in der selben sache, in denen traumatisierten frauen/kindern oft genug durch unglauben und ignoranz neues unrecht geschieht. auch hier sind häufig frauen mit bl-diagnosen vertreten.
drittens: was für eine aussage steckt im satz von den vorwürfen, die zwar "nicht widerlegbar, aber auch nicht beweisbar" seien? ein eingestelltes ermittlungsverfahren sagt zunächst mal überhaupt nichts aus - "beweise" im juristischen sinne sind nicht unbedingt mit dem gleichzusetzen, was den meisten von uns unter "beweisen" vorschwebt. und gerade sexualisierte gewalt innerhalb der sog. privatsphäre, innerhalb von familien, ist durch die eigenart der situation oft genug nicht juristisch verfolgbar - keine oder eingeschüchterte oder aus "loyalität" schweigende zeugInnen, dazu die traumaspezifischen prozesse von abspaltung und verdrängung. diese logik ist von der justiz bis heute immer noch nicht in ihren konsequenzen begriffen (ausnahmen bestätigen die regel).
im folgenden wird aber auch noch einiges mehr über das opfer des attentates bekannt:
"Dass das Verhältnis zwischen Stiefvater und Tochter kein gutes war, und Hans E. durch seine extreme Strenge und emotionale Kälte dazu erheblich beigetragen hatte, stellte die Vorsitzende Richterin deutlich fest.
(...)
Seine außergewöhnlichen Erziehungsmethoden waren auch in seiner Zeugenaussage deutlich geworden. Im Zorn drohe er mit jedem Gegenstand, den er gerade in die Hand bekomme, hatte er bestätigt."
das ganze szenario, von dem jetzt ein paar vermutlich recht kleine teile sichtbar geworden sind, ist wie üblich bei derlei "familiendramen" ein durch und durch trostloses - geprägt von einem fast tödlich eskalierenden kampf zwischen (stief-)tochter und (stief-)vater, die augenscheinlich beide ihre jeweiligen persönlichen schädigungen bzw. beziehungskrankheiten gegeneinander ausagiert haben. das die junge frau jetzt für fünf jahre im knast verschwindet - nachweislich ein milieu, in dem sich menschen unmöglich zum positiveren hin verändern können -, mag einem abstrakten "rechtsempfinden" befriedigung verschaffen. tatsächlich sehe ich in solchen urteilen eine bankrotterklärung einer gesellschaft, die sich mehr und mehr darauf beschränkt, das von ihr produzierte soziale elend nur noch zu verwalten und repressiv zu sanktionieren. ich möchte nicht mißverstanden werden: auch wenn ich mir durchaus situationen vorstellen bzw. entsprechende dynamiken verstehen kann, in denen für ein sich selbst unterlegen und als opfer begreifenden menschen die tötung des vermeintlichen oder tatsächlichen verursachers des eigenen leidens als einzig noch mögliche option erscheint, so halte ich doch eine akzeptanz solchen verhaltens in der regel für einen schweren fehler (ausnahmen, wie morde an historischen tyrannen/diktatoren, die massenhaft leid produzieren, bestätigen diese regel). es geht hier imo schlicht um elementare grenzen, existenziell wichtige stoppschilder.
ich sehe aber auch eine gesellschaft, die derlei stoppschilder aus berechtigten gründen aufstellt, in der pflicht, alles nur menschenmögliche zu tun, damit situationen wie die oben dargestellte sich erst gar nicht entwickeln können - und an diesem punkt versagen wir bisher alle mehr oder weniger kollektiv, und die justizielle "lösung" des problems stellt nur den deutlichsten ausdruck dieses versagens dar. vieles kommt zusammen: eine falsche anthropologie im sinne eines absurden welt- und menschenbildes, weitgehende unkenntnis über die menschliche struktur und die notwendigen bedingungen für ihre positiv-soziale entwicklung, die weitverbreitete und unbegriffene existenz und wirkung traumatisierender bzw. trauma-folge-strukturen in fast allen gesellschaftlichen bereichen, unwissenheit und ignoranz gegnüber dem phänomen der menschlichen simulationsfähigkeiten, daraus folgend mangelhafte psychiatrische/psychologische modelle von beziehungskrankheiten usw. usf.
vor diesem hintergrund ist das ergebnis (nicht nur) dieses prozesses logisch: eine schein-/als-ob-lösung, streng nach abstrakten und objektivistischen kriterien als platzhalter für ein vorgehen, welches nicht primär den straf- und schuldgedanken, sondern das individuelle und kollektive wohlergehen möglichst aller menschen in ihrem einzigen leben im blick haben müsste. das ausmaß der in dieser ganzen geschichte zutage tretenden wahrnehmungsverzerrungen bzw. -reduktionen ist schlicht deprimierend, passt aber natürlich in diese zeit.
und viel harte arbeit wird nötig sein, um diese trostlosen zustände endlich hinter uns zu lassen, das erscheint nur jenen - ja, idioten völlig utopisch, die sowieso von einer "angeborenen grundsätzlichen bösartigkeit" des menschlichen wesens an sich ausgehen. nichts könnte - und wer das wissen will, kann es wissen! - falscher sein als dieses womöglich bösartigste und destruktivste vorurteil aller zeiten. und bösartig v.a. auch deswegen, weil es sich hier aller wahrscheinlichkeit nach um eine selbsterfüllende prophezeiung handelt - will sagen: erst durch derlei vorstellungen kann es womöglich passieren, dass bereits pränatal beschädigte menschen tatsächlich "von geburt an" bösartig sind. aber auch das ist kein metaphysisches "schicksal", sondern ausdruck der allgemeinen missachtung elementarer psychophysischer gesetzmäßigkeiten, denen wir als menschen wie alles lebendige überhaupt unterworfen sind.
so ist ein artikel in der aktuellen printausgabe der zeitschrift konkret überschrieben, der online leider nicht verfügbar ist. inhaltlich werden die auch hier oft thematisierten fälle von kindsmord/infantizid in der letzten zeit genauer hinsichtlich ihrer entstehungsbedingungen beleuchtet. ich habe den artikel bisher nur überfliegen können, möchte ihn aber trotzdem schon einmal empfehlen. wednesday hat im nettblog einen auszug zur verfügung gestellt - danke!
dr. pannwitz, der mit dem eiskalten blick, wandelt augenscheinlich auch nach seiner zeit in auschwitz in vielerlei manifestationen munter durch die heutigen realitäten, die für die mehrheit aller menschen auf diesem planeten bereits mörderisch sind, und für die absolute minderheit der davon mehr oder weniger profitierenden der "zivilisierten regionen" immer bedrohlicher werden. aktuell hat sich der unheilvolle blick von pannwitz in der person des "unternehmers" in sachen babynahrung, claus hipp, festgesetzt:
"Mit Äußerungen zur medizinischen Versorgung Älterer hat der Unternehmer Claus Hipp für große Empörung gesorgt.
Hipp fürchtet, dass man im Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung darüber nachdenken müsse, ab welchem Alter die medizinische Versorgung nicht mehr zu leisten sei: „Wann man die Menschen lieber sterben lässt, weil sie die Wirtschaft belasten.“
nein, neu ist das nicht. neu ist jedoch die offenheit, mit der offen faschistische und sozialdarwinistische ideologien der totalen verdinglichung von menschen vorgetragen werden - alles im angeblichen interesse der "allgemeinheit" und gar der "generationengerechtigkeit". hier wird klipp und klar so von "nutzlosen existenzen" geschwafelt, dass der gröfaz seine irre freude dran hätte.
bemerkenswert und deprimierend auch einige der angeblich "kritischen" reaktionen auf die antisozialen ausfälle von hipp:
"Im Gegenteil müsse das Potenzial der älter werdenden Bürger ökonomisch effektiv genutzt werden, „anstatt uns ihrer zu entledigen, weil sie zu teuer werden“.
das ist nicht nur keine kritik, das ist vorgezogener gehorsam - die wirklich nur noch im klinischen sinne als wahnsinn zu begreifende logik der verdinglichung unter reinen nützlichkeitserwägungen wird hier nicht ganz selbstverständlich und grundsätzlich als wahnsinn abgelehnt, sondern im kern akzeptiert und lediglich darum gebettelt, doch etwas zurückhaltender und modifizierter zu selektieren - wohin die logik des "ökonomisch effektiv nutzen" unweigerlich(!) führt, ist auf dem meldebogen der nazi-psychiatrie zu sehen, der im oben unter "nutzlose existenz" verlinkten beitrag dokumentiert ist. und wohin ein derartig ausser rand und band geratenes soziopathisches/antisoziales fühlen und denken führen kann, ist aus der geschichte bekannt - zu gasschwaden und massengräbern.
in einer solch perversen welt können dann natürlich auch fernsehshows wie die hier dargestellte auf fette quoten hoffen:
»Ich habe 50 Jahre gearbeitet, war praktisch nie krank und möchte jetzt meinen Lebensabend genießen und meine Enkel aufwachsen sehen«, schildert der sympathische ältere Herr dem Saalpublikum. Im grellen Licht des Spotlights bewirbt er sich um eine Dialyse, denn seine Nieren wollen nicht mehr so recht. Doch er hat Konkurrenz: Ein zweiter Spot beleuchtet eine knapp 40jährige alleinerziehende Mutter, die ebenfalls eine Dialyse braucht.
Das Publikum der britischen »Life and Death Game Show«, der Spielshow »Leben und Tod«, braucht nur wenige Sekunden, um sich zu entscheiden. Der Spot über dem alten Herrn wird ausgeknipst; die Mehrheit hat sich gegen seine Behandlung und damit für seinen Tod entschieden. Doch auch die alleinerziehende Mutter kann sich nicht lange freuen. In der zweiten Spielrunde verliert sie gegen eine Kandidatin, die das Budget für sich und einige Dutzend andere beansprucht, um eine Hüftoperation zu erhalten, die sie von unerträglichen Schmerzen befreien und wieder arbeitsfähig machen würde.
Diese Inszenierung des britischen Fernsehens sollte die Öffentlichkeit vor einigen Jahren mit dem Gedanken vertraut machen, daß das Gesundheitssystem rationiert werden muß. Großbritannien stellt inzwischen in der Tat nicht mehr jede Therapie für alle zur Verfügung: Menschen über 60 erhalten keine Dialyse mehr - man läßt sie sterben, es sei denn, sie zahlen selbst."
es ist mafiazeit , es ist soziopathenzeit, es ist tittytainmentzeit, es ist mal wieder zeit für opfer, kriege und "endlösungen":
(...)"Sass möchte die gesetzliche Krankenversicherung umbauen zu einer Basisversicherung für gesundheitliche Grundrisiken, wobei ergänzende medizinische Leistungen entsprechend dem eigenen Risikoprofil über private Zusatzversicherungen abzudecken wären. Gleicher Zugang aller zu intensiven und kostspieligen Therapien sei nicht finanzierbar, und eine Entscheidung müsse sich notgedrungen über konventionelle moralische Argumente hinwegsetzen. Notfalls müsse man die Betroffenen einfach sterben lassen. Viefhues stellt am Beispiel schwerbehinderter Neugeborener die Frage, ob ein solches Kind »lebensunterstützende Therapien bis zum bitteren Ende verlangen und dabei personelle, instrumentelle und monetäre Ressourcen der Gesellschaft aufbrauchen« könne, die unter Umständen auch »anderweitig bitter benötigt werden«. Und der Dortmunder Gesundheitsökonom Walter Krämer rechnet vor, daß Aids ein »unverhältnismäßig hohes Maß an Ressourcen« beanspruche. Er kann sich durchaus vorstellen, das lebensverlängernde Medikament AZT aus dem Leistungskatalog der Kassen zu streichen.
Solche Äußerungen und die in Bonn verordneten Streichungen machen angst. Aber spätestens dann, wenn die Experten mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortung einfordern und behaupten, daß das jetzige System Menschen begünstige, die sich unverantwortlich verhielten, schlägt die Stimmung um. An diesem Punkt beginnt auf vielen Veranstaltungen, in denen über die Gesundheitskosten debattiert wird, eine Diskussion, in der sich Referenten und Zuhörerschaft mit Vorschlägen überbieten, wie man Menschen, die sich nicht »gesundheitskonform« betragen, möglichst effizient abstrafen kann. Warum noch eine neue Leber für einen Alkoholiker, eine Herzoperation für starke Raucher, langwierige Rehabilitation für den verunglückten Raser, lebenslange Pflege für das behinderte Kind, dessen Mutter sich nicht zur Abtreibung entschließen konnte?
Solche Fragen klingen verführerisch einfach. Aber wer sich auf solche Rationierung einläßt, wird sehr bald erleben, daß auch er selbst nicht ungeschoren davonkommt. Denn dann herrscht Krieg: Ein Krieg der Alten gegen die Jungen, der Raucher gegen die Trinker, der Dicken gegen die Dünnen - ein Krieg gegen anscheinend überbordende Interessen von Pflegebedürftigen und Behinderten, ein Krieg, in dem das Gesundheitswesen selektieren muß - ähnlich wie der Arzt auf dem Schlachtfeld oder während einer Katastrophe eine Selektion betreiben soll (»Triage«), um angesichts knapper Ressourcen zuerst die Patienten mit den besten Überlebenschancen zu versorgen. Wolf Wolfensberger, Professor an der New Yorker Syracuse-Universität und ein großer alter Vorkämpfer für die Rechte behinderter Menschen, spricht angesichts dieser Entsolidarisierungstendenzen bereits davon, daß sich manche Bevölkerungsgruppen - Behinderte, Alte und Benachteiligte - in Lebensgefahr befänden."(...)
oder anders: in einer notwehrsituation. der text stammt übrigens aus dem jahr 1996 und hat mit der prophezeiung des offenen krieges aller gegen aller nicht so falsch gelegen.
"Zu starke Worte? Die Kriterien sind brutal. Die britische Regierung etwa rationiert nach dem sogenannten »Humankapitalansatz«, wonach der Mensch nur noch soviel wert ist, wie er erwirtschaften kann. Kinder sind danach im Schnitt 2,5 Millionen Mark wert, Rentner überhaupt nichts, weil sie nichts mehr produzieren. Dann gibt es die sogenannte »RosserMatrix«, ein einfaches Schema, nach dem die Lebensqualität bewertet wird. Auch sie wird in Großbritannien verwertet, um den Sinn medizinischer Behandlungen einzuschätzen. Eine Operation, die auf Dauer ein schmerzfreies Leben ohne Behinderung ermöglicht, hat die besten Chancen, finanziert zu werden; wer bettlägerig bleiben oder gar auf Dauer starke Schmerzen haben wird, bleibt besser unversorgt.(...)"
und wohin das führt, habe ich oben schon beschrieben - die aktualisierte version in der sog. westlichen "zivilisation" sieht dann vorläufig u.a. so aus:
(...)" Im US-Bundesstaat Oregon wurde von den Behörden daher eine Liste vorbereitet, auf der die Krankheiten verzeichnet sind, deren Behandlung der Staat demnächst noch übernehmen will. Nicht behandelt wiirde der Liste zufolge etwa ein Aids-Patient mit einer Lebenserwartung unter einem halben Jahr, aber auch bestimmte Bandscheibenschäden. Höchste Priorität hat die Behandlung offener Wunden, dann folgen Säuglingsversorgung, Prävention und Empfängnisverhütung, schließlich Infektionskrankheiten, Karies und Migräne. Dialyse, Transplantationen, kostspielige Medikamente, aber auch die Wiederbelebung oder künstliche Ernährung von Alten sind nicht vorgesehen, weil sie nur für eine geringe Verbesserung der Lebensqualität sorgen.
Vielleicht ist es kein Zufall, daß gerade in Oregon die Tötung auf Verlangen erstmals legalisiert wurde. Paul Menzel, ein einflußreicher amerikanischer Gesundheitsökonom, zählt im Schlußkapitel seines Buches »Strong Medicine« (Starke Medizin) die Kosten auf, die für die Versorgung todgeweihter alter Patienten aufgewendet werden und gipfelt in der Schlußfolgerung: »Zu sterben, um öffentliche Mittel zu sparen, kann die moralische Pflicht eines Staatsbürgers sein«
beim letzten satz fällt mir nur noch eines zu ein: fein - dann sollten diverse politikerInnen, wirtschaftsbosse, militärs, medienleute, waffenhändler...mal mit gutem beispiel vorangehen. wieviele kosten sich wohl durch die unschädlichmachung des wahrhaft "parasitären" und antisozialen teils der bevölkerung, der sich selbst in völliger verkennung der realität als "unverzichtbare elite" begreift, einsparen ließen? vom durch sie verursachten und dann wegfallenden menschlichen leid zu reden, ist bei jenen ja eh aussichtslos - was nicht quantifiziert werden kann, existiert für leute mit gewissen wahrnehmungsdefekten faktisch nicht.
*
von ex-bundeskanzlern und ihrem reinen gewissen (schröder ist in nicht nur in diesem fall ein würdiger vertreter seiner zunft) sowie durchdrehenden schülerInnen und verzweifelnden lehrerInnen will ich erst gar nicht reden - wer die symptome für den rapiden zerfall unseres sozialen lebens sehen will, hat schon seit längerer zeit eher mühe, einen informationsoverkill zu vermeiden. aber eine aktuelle meldung zu einer resolution der lndesärztekammer in hessen möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, weil sie nahtlos an die obigen themen anschliesst:
"Ihre Sorge über die Zunahme psychischer Leiden hat die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen in einer Resolution „Gesundheit und soziale Lage“ ausgedrückt. „Zukunftsängste, Arbeitslosigkeit, Armut, wachsende Vereinzelung und das Auseinanderbrechen von Familien lösen immer häufiger Suchtprobleme und psychische Erkrankungen aus, die in vielen Fällen zu Berufs- und Erwerbsunfähigkeit führen“, erklärten die Delegierten am 25. März in Bad Nauheim."
na, bei den heutigen realitäten ist psychisches leiden im "klassischen" sinne vermutlich inzwischen fast die einzig angemessene reaktion - verdächtig sind eher die, die dümmlich-grinsend vor sich hinfunktionieren und alles so total megatoll finden - Sie erinnern sich, die zwei qualitativ unterschiedlichen psychotischen zustände...
aber auch hier die frage: warum sollen ausgerechnet "berufs- und erwerbsunfähigkeit" das größte problem darstellen? doch nur in den toten und kalten augen derjenigen, die sich als klone des dr. pannwitz definieren lassen.
einen gedanken für mitlesende mütter und väter zum schluß vielleicht noch: ich finde ja, dass die beachtung der marken beim kauf von babynahrung aus verschiedensten gründen sinn macht.
...bereits im kinderalter kommt anscheinend in (staatliche) mode - nachdem großbritannien bereits diesbezgl. pläne hegt (im verlinkten beitrag unten zu finden), möchte frankreich nun nach einem telepolis-bericht ein ähnliches projekt starten:
"Das Gesetzesprojekt stützt sich auf eine Expertise des ansonsten hoch angesehenen nationalen Gesundheitsforschungsinstitut INSERM, in der Pädagogen, Psychologen und Jugendrichter Orwellsche Anklänge orten. Unter dem Titel "Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen" empfiehlt diese Expertise "Ungehorsam und Gefühlskälte" bei den lieben Kleinen sobald als möglich dingfest zu machen, um einer eventuellen kriminellen Karriere zuvorkommen zu können. Mit der Schaffung eines "Betragensheftes" (carnet de comportement) ab der Geburt will der Innenminister nun sämtliche französische Kinder unter ständige professionelle Beobachtung stellen, um so frühzeitig "abartige, kindliche Verhaltensweisen" ausmachen zu können. Laut dem Innenminister entwickelten sich nämlich kindliche Störenfriede häufig zu jugendlichen Straftätern.
`Studien zeigen auf, dass eine Mehrheit von Erwachsenen, die eine antisoziale Persönlichkeit aufweisen, bereits frühzeitig verhaltenauffällig wurden. Umgekehrt betrachtet, entwickelt etwa die Hälfte der Jugendlichen, die Verhaltenstörungen erkennen lassen, eine antisoziale Persönlichkeit im Erwachsenenalter.´"
nun, in den ersten beiträgen hier neulich direkt zum themenbereich soziopathie/antisoziale persönlichkeit(sstörung) habe ich bereits versucht, einerseits auf die gefahr der instrumentalisierten benutzung dieser diagnostischen modelle im interesse von machtinteressen hinzuweisen (wohin das führen kann, zeigt die geschichte des wortes "asozial" in nazideutschland), um andererseits auch das problem der realen existenz von menschen zu thematisieren, denen mit allem recht antisoziale verhaltensweisen attestiert werden dürfen, selbst bei berücksichtigung der gesellschaftlichen bedingtheit der jeweiligen definitionen dessen, was als antisozial betrachtet wird. bei der betrachtung der französischen definition, die sich augenscheinlich an den kriterien der icd-10 für die dissoziale ps orientiert, konnte ich aber wieder einmal sofort auftretende assoziationen feststellen - als merkmale werden da genannt:
"Gefühlskälte, Tendenz zur Manipulation, Zynismus, Aggressivität, Ungehorsamkeit, mangelnde emotionale Selbstkontrolle, Impulsivität, Hyperaktivität und Indizien einer niedrigen Moral."
ist das nicht eher als anforderungsprofil innerhalb einer stellenausschreibung für sog. "führungspersönlichkeiten" zu begreifen, von denen eine weitere auch hier näher beschrieben wird? ich bin schon länger der meinung: ja.
der "ungehorsam" hingegen weist nicht nur bei betrachtung der aktuellen innenpolitischen französischen situation darauf hin, dass die verantwortlichen regierungskreise sich selbst natürlich keineswegs als untersuchungsbedürftig begreifen - wie denn auch, vertreten sie in ihrer wahrnehmung doch die normalität. und ungehorsame untertanen sind dann in dieser logik natürlich nicht normal. das alte elend also mit der begrifflichkeit "antisozial": die definitionsmacht ist entscheidend.
und die sollten wir den herren in den feinen anzügen in unserem ganz eigenen interesse keinesfalls kampflos überlassen. als mindestforderungen vielleicht das: a) erarbeitung von kriterien für die dissoziale ps, bei denen einerseits die gesellschaftliche bedingtheit berücksichtigt wird, andererseits auch das simulationstalent von soziopathischen persönlichkeiten; b)wenn schon screenings (die ich persönlich in bestimmten fällen für sinnvoll halte, allerdings nur unter veränderten bedingungen), dann unter einbeziehung aller angehörigen der politischen und wirtschaftlichen "eliten". bekanntlich dürften sich gerade dort überproportional viele leute mit schweren psychophysischen störungen befinden. ich bin auf eine diskussion dazu gespannt.
ein unrühmliches beispiel für die macht und mögliche instrumentalisierung psychiatrischer diagnosen ist gerade hier zu lesen:
"Eine alte Frau wird entmündigt. Ihre Betreuer verkaufen gegen ihren Willen das Haus. Jetzt versuchen die Behörden mit allen Mitteln zu verhindern, dass über den Fall berichtet wird."(...)
"Anna S. ist 67 Jahre und das, was man gemeinhin als "Messie" bezeichnet - ein Mensch, der nichts wegwirft, der alles behält, was ihm in die Hände gerät. Meist brauchen solche Menschen Hilfe, um den Alltag zu bewältigen."
nun, ältere menschen, die alleine leben - was ein ausdruck von sozialer isolation mit all ihren möglichen konsequenzen sein kann, nicht muss - und dazu auch noch vom "messie"-syndrom geprägt sind, können vermutlich tatsächlich hilfe gebrauchen. vielleicht auch psychotherapeutischer art. was aber hier passiert ist, scheint darauf hinauszulaufen, dass es sich ein paar staatlich bestellte betreuerInnen recht einfach machen wollten:
"Die Geschichte von Anna S. beginnt 2004. Weil die alte Dame ihr mehrere tausend Quadratmeter großes Grundstück offensichtlich verwahrlosen lässt, fühlen sich die Beamten des Amtes Pinneberg-Land auf den Plan gerufen. Sie schalten das Amtsgericht Pinneberg ein. Die Richter lassen zwei Gutachten von der etwas schrulligen Frau erstellen. Laut dem "Hamburger Abendblatt" bescheinigt das erste der Frau ein "gesundes Misstrauen", das zweite dagegen "paranoide Schizophrenie"."
zwischen den beiden in den gutachten genannten zuständen besteht imo eine fließende grenze, deren genauer verlauf eigentlich nur bei einer ausführlichen und längeren beschäftigung mit dem jeweiligen menschen festzustellen ist. von der problematik der diagnostischen konstruktion "schizophrenie" einmal ganz abgesehen. das jemand im alter nicht mehr unbedingt in der lage ist, ein großes grundstück zu verwalten, ist eigentlich nichts ungewöhnliches. und der begriff der "verwahrlosung" wird hier auch nicht genauer definiert - auch wilde gärten können schön sein, hingegen von kleinkarierten nachbarn als belästigung und "schmutzig" empfunden werden. das ist das eine.
das andere ist, dass natürlich im alter gehäuft vorkommende organische funktionsstörungen und degenerationsprozesse allgemeiner art sich auch im verhalten äußern können.und wir wissen nichts weiter von der biographie der frau, in der sich mit einiger wahrscheinlichkeit vermutlich muster und ereignisse finden lassen, die aktuelles verhalten verständlich machen könnten. wenn sie nun von der allgemeinen wahrnehmung als "müll" bezeichnete dinge im garten herumliegen lässt - gut, wenn das ein gewisses maß überschreitet, ist es imo schon gerechtfertigt, genauer hinzuschauen. was hier auch getan wurde - mit der folgenden konsequenz:
"Anna S. wird unter rechtliche Betreuung gestellt, das Gericht stellt ihr die beiden Betreuer zur Seite (...)
Einer völligen Entmündigung kommt eine solche Betreuung noch nicht gleich: Die Vormundschaft wird vom Gericht nur auf den Lebensbereich angewandt, in dem sich der jeweils Betreute nicht mehr selbst helfen kann, beispielsweise in Finanzangelegenheiten.
Für Anna S. bedeutete das: Ihre Betreuer kümmerten sich um ihre Schulden, die sich Zeitungsberichten zufolge auf 40.000 Euro belaufen haben sollen. Nach Angaben ihres Anwalts hatte Anna S. viel Geld auf der Bank, und sie besaß verschiedene Immobilien wie das Haus in Kummerfeld, das ihr besonders ans Herz gewachsen war. Doch Annika L. und Rolf S. entschieden, ausgerechnet dieses Haus zu verkaufen - gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Betreuten. Käufer war die Gemeinde Kummerfeld - und damit indirekt die Behörde, die die rechtliche Betreuung für Anna S. vorschlagen hatte. Die Kommune will das Grundstück nun komplett neu bebauen lassen."
ein schelm, wer böses dabei denkt? ist die obige konstellation schon gelinde gesagt problematisch, so wird die ganze geschichte durch die folgende entwicklung komplett zu einem - ja, skandal ist das wort, was sich im ersten moment aufdrängt:
"Die "Pinneberger Zeitung" und ihr Mutterblatt, das "Hamburger Abendblatt", begannen, einen Skandal zu wittern. Eine Reihe von Artikeln erschien, in denen das seltsame Grundstücksgeschäft in Frage gestellt wurde: "Bereichert sich ein Dorf auf ihre Kosten?" lautete eine der Überschriften. In dem Beitrag wurde der von Anna S. engagierte Rechtsanwalt mit den Worten zitiert, möglicherweise habe die Betreuung ja nur dazu gedient, leichter an das begehrte Grundstück heranzukommen.
Auch Kummerfelds Bürgermeister, Hanns-Jürgen Bohland, kam zu Wort: "Wir haben uns wirklich nicht um das Grundstück gerissen." Alles sei nach Recht und Gesetz gelaufen, versicherte er."
sicher doch. in diesem schönen land verläuft bekanntlich immer alles nach "recht und gesetz". so auch das folgende:
"Nach den ersten Zeitungsberichten im Januar beantragte Rolf S. laut "Hamburger Abendblatt" im Februar vom Amtsgericht, die Betreuung auszudehnen - und hatte Erfolg: "Der Aufgabenkreis der Betreuer wird um den Bereich der Vertretung gegenüber Presse, Fernsehen und gegenüber dem Behindertenbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein erweitert", verfügten die Pinneberger Richter. (...)
Mit anderen Worten: Künftig dürfen Medienvertreter nur noch direkt mit den beiden Betreuern sprechen. Was andernfalls passieren kann, erfuhr das "Hamburger Abendblatt" umgehend. Mit Hilfe eines Berliner Medien-Anwaltes setzten die Betreuer eine einstweilige Verfügung durch: Bei der Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 250.000 Euro wird der Zeitung unter anderem verboten "in die Antragsteller/Antragstellerin (also die Betreuer und die Betreute) identifizierbarer Weise über den Rechtsstreit zwischen - gelöscht - und der Gemeinde - gelöscht - oder die Betreuungsverhältnisse zu berichten..." - ein umfassender Maulkorb für die Presse also."
mit einer sehr interessanten begründung:
"Die plötzlich erweiterte Betreuung begründen die Richter damit, dass bei Anna S. eine paranoide Schizophrenie vorliegt, "in der sich die Betroffene von Personen und Institutionen beeinträchtigt fühlt".
na, überlegen Sie einmal, was sich damit alles so "regeln" ließe - aber wundern Sie sich nicht, wenn Sie sich dann selbst auf einmal paranoid fühlen.
die ganz geschichte macht sehr deutlich das grundsätzliche dilemma sichtbar, das ich weiter unten schon mal genauer umschrieben hatte: psychiatrische diagnosen können reale, für einen menschen bzw. das jeweilige umfeld tatsächlich gefährliche und bedrohliche krankhafte prozesse erfassen - aber in ihrem jetzigen status quo, der meist sehr interpretierbar ist, können sie genausogut zu allerlei schweinereien übelster art benutzt werden. und zwar ganz nach "recht und gesetz". die obige richterliche begründung jedenfalls folgt ziemlich genau dem muster, mit dem bspw. auch in totalitären systemen unliebsame kritikerInnen der verhältnisse kalt gestellt werden.
wie wäre es mit gleichem recht für alle? ein bißchen weiter unten findet sich heute bei "spon" diese schlagzeile:
"7000 Soldaten sollen WM schützen
Die Verteidigungsminister will zur Sicherung der Fußball-WM in Deutschland deutlich mehr Soldaten bereit stellen als bisher gedacht. Nun ist von bis zu 7000 Soldaten die Rede.(...)
Konkret stellt die Bundeswehr Sanitätskräfte, ABC-Abwehreinheiten, Pioniere, Feldjäger mit Sprengstoff-Spürhunden und Hubschrauber sowie Flugzeuge bereit."
nicht nur "die" verteidigungsminister, sondern auch der innenminister diese landes ist nicht nur begeistert von derlei maßnahmen, sondern gleichzeitig werden auch weiterhin alle möglichen öffentlichen orte mit kameraaugen bepflastert und der hype um die "innere sicherheit" (welches innen hier wohl gemeint ist?) nimmt seit jahr und tag kein ende.
wußten Sie schon, dass paranoide menschen selbst zu verfolgern werden können, die dann bei den verfolgten wiederum paranoia auslösen können? was dann den "anfangsverdacht" bzw. wahn des paranoiden verfolgers wiederum verstärkt, was dann natürlich...eine prächtige spirale ohne ausweg.
von welchen "personen und institutionen" fühlen sich eigentlich bestimmte politiker so "beeinträchtigt"? wenn´s die raf noch geben würde, ließe sich darin etwas reales erkennen. aber ein zugegeben recht großes sportliches event mit abc-schutz, luftaufklärung und sprengstoffspürhunden? sind hier nicht so langsam alle relationen verrutscht? ist ein herr schäuble eigentlich mal nach dem attentat auf ihn hinsichtlich in diesem speziellen fall sehr nachvollziehbarer paranoider symptome untersucht worden? gleiches recht für alle (als erste nötige maßnahme)?