Donnerstag, 27. September 2007

notiz: neues fahrrad nötig? (update)

dann gibt es hier heute - völlig ungewohnt und unüblich - einmal eine kaufempfehlung: das strike-bike. und das hat folgenden hintergrund:

(...)"Es begann mit einem unglaublichen Streik. Seit gut zwei Monaten besetzen 135 ArbeiterInnen einer Fahrradfabrik im thüringischen
Nordhausen ihr Werksgelände, halten eine ständige Betriebsversammlung ab, Tag und Nacht und wehren sich so gegen die Werksschließung, die von Investoren aus Deutschland und den USA angeordnet wurde. Der Mut der Belegschaft spricht sich rum - bis ins Altonaer Café Libertad. Hier verkauft eine selbst verwaltete, anarcho-syndikalistische Firma Bio-Kaffee von zapatistischen Bauern aus Mexiko, und hier ist die Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union tätig. Den streikenden Kollegen wird Kaffee zugeschickt, man besucht sie - und tauscht ungeheuerliche Ideen aus: Was, wenn wir ein Management gar nicht bräuchten? Wenn wir die Maschinen wieder anschmeißen und in Eigenregie weiterproduzieren?

Das Ungeheuerliche soll jetzt in die Tat umgesetzt werden - wenn bis zum 2. Oktober mindestens 1.800 Strike-Bikes bestellt werden. Erst diese Anzahl könnte die Produktionskosten decken und der Belegschaft eine neue, selbst verwaltete Perspektive eröffnen. Aus ganz Europa liegen Bestellungen vor."(...)


ganz spontan sag ich mal: schöne aktion!

*

edit am 01.10: das strike-bike wird produziert:

(...)"Basis-Solidarität, Bestellungen und Aktionen verschiedenster Art gab es z.B. aus Israel, Südafrika, den USA, Kanada, Australien, Ägypten sowie nahezu allen europäischen Ländern. Meist handelt es sich um Sammelbestellungen von sozialen Kollektiven oder Gruppen.(...)

Die Kolleginnen und Kollegen vom Fahrradwerk sind von der Welle der Solidarität sichtlich beeindruckt. Sie sind zurecht stolz auf die öffentlichen Reaktionen und auf die gemeinsame Aktion – die Produktion des „Strike-Bike“ in eigener Regie. Ständig bekommen sie Anrufe und Briefe in denen ihnen gesagt wird, dass ihre Aktion Mut macht und was für einen Vorbildcharakter die Aktion zukünftig für Leute in ähnlichen Situationen haben wird. All dies sorgt dafür, dass alle Beteiligten trotz der anstrengenden Kampagne mit großem Spaß und gutem Gefühl dabei sind. Für alle ist es wunderbar, so viel praktische Solidarität auszuüben und zu erhalten.

Inzwischen ist es sicher, dass die 1800 Räder ohne weiteres verkauft werden. Schon mehr als 1400 Bestellungen aus aller Welt liegen vor, täglich kommen hunderte dazu."(...)

Freitag, 21. September 2007

notiz: wo bitte geht´s zum ausnahmezustand?

eigentlich habe ich weder lust noch zeit, hier die täglichen produktionen der regierenden antisozialen darzustellen bzw. zu kommentieren. vorgestern jedoch gab es ein paar nachrichten, die das schlicht und einfach notwendig machen:

„Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) prescht vor: Schäuble habe bereits Formulierungsvorschläge für eine umfassende Änderung des Grundgesetzes vorbereitet, berichtet die "Passauer Neuen Presse" unter Berufung auf einen dem Blatt vorliegenden Katalog. Demnach soll durch eine Ergänzung des Artikels zu den Aufgaben der Streitkräfte der Bundeswehreinsatz "in ganz außerordentlichen Extremsituationen" ermöglicht werden.(...)

Außerdem solle eine "Eilkompetenz" für Bundesinnen- und Bundesverteidigungsminister geschaffen werden, um Einsätze der Streitkräfte mit militärischen Mitteln im Notfall allein anordnen zu können, schreibt die Zeitung.(...)“


und in einem der selten gewordenen lesbaren sponkommentare wird weitgehend richtig gefolgert...

(...)“Die Argumentation wird unter Grundgesetz-Experten zunehmend akzeptiert. Ein Kreis konservativer Verfassungsjuristen, auf die sich Schäuble ausdrücklich beruft, entwickelt dazu Theorien, die sehr stark an die Lehren vom "Ausnahmezustand" des Nazi-Kronjuristen Carl Schmitt erinnern. Der Kölner Staatsrechtler Otto Depenheuer etwa sieht im Krieg gegen den Terror die Bürger in einer ähnlichen Pflicht wie die Soldaten: Ein "Bürgeropfer" müsse gebracht werden, eine im Grundgesetz verankerte Pflicht, im Kampf gegen die Soldaten Allahs notfalls sein Leben zu geben - und sei es als Passagier in der Economy-Class eines Ferienfliegers. Depenheuers neues Buch, die "Selbstbehauptung des Rechtsstaates", sagt Schäuble, gefalle ihm sehr.“

...das all das buhei von schäuble und konsorten aller wahrscheinlichkeit eben nicht der frage nach dem umgang mit zu bomben umfunktionierten passagierflugzeugen gilt (ein szenario übrigens, welches vermutlich seltener auftreten wird als bspw. schwere zwischenfälle in irgendeinem akw, die bekanntlich mehr oder weniger in kauf genommen werden), sondern eine ganz andere und grundsätzlichere richtung verfolgt:

„Setzt der Innenminister seine Grundgesetzänderung durch, so wäre die Erlaubnis zum Abschießen von Flugzeugen das Einfallstor für eine umfassende Militarisierung der Innenpolitik. Wenn mitten im Frieden Krieg ist, hat das Verfassungsgericht seine Kraft verloren. Wenn es möglich ist, die Menschenwürde im Kampf gegen den Terrorismus zu überspielen, warum dann nicht gleichfalls im Krieg gegen das organisierte Verbrechen, gegen Staatsfeinde jeder Art, warum eigentlich soll dann das Foltern noch verboten sein?“(...)

leider hat der kommentator vergessen zu erwähnen, dass sich regierungen in ihrem handeln – und zwar ganz pauschal gemeint – in allzu vielen fällen überhaupt nicht vom organisierten verbrechen unterscheiden lassen. das heißt, einen wichtigen unterschied gibt es: diese – mehr oder weniger gewählten - leute drehen ihre dinger meistens im ganz großen stil.

Montag, 10. September 2007

assoziation: psychiatrie, privatisierung und die folgen

wie Sie sich bei betrachtung des letzten beitrags unten vorstellen können, hatte ich in den letzten wochen weder große lust noch zeit für die üblichen regelmäßigen recherchen nach neuigkeiten hinsichtlich der blogthemen hier - nichtsdestotrotz bin ich bei meinen seltenen besuchen in der virtuellen sphäre immer wieder über einiges gestolpert, was ich mir für eine spätere kommentierung vorgemerkt habe. so fand sich zb. vor einigen wochen ein artikel in der taz, der sich mit konkreten zuständen in der offiziellen psychiatrie in d-land beschäftigte - zustände, die das in der überschrift gemeinte anschaulich deutlich machen. und die sich auch als eine art illustration zu einigen hier aufgeführten unerfreulichen eigenschaften der offiziellen psychiatrie lesen lassen. die thematisierte geschichte scheint mir dabei ein klassisches beispiel dafür zu sein, was passieren kann, wenn selbst psychophysisch beeinträchtige menschen unter den bedingungen einer totalen institution macht über andere erlangen - und dabei strukturell zu erfüllungsgehilfen ökonomischer interessen der betreiber mutieren bzw. diese interessen in ihrem tun quasi unfreiwillig auf den verdinglichenden punkt bringen:

"Halts Maul", pflaumt der Stationsleiter den Patienten an. Als der psychisch kranke Mann nicht reagiert, sprüht er ihm Pflegeschaum - eigentlich zur Reinigung des Genitalbereichs gedacht - in den Mund. Was wie Szenen aus einer Neuverfilmung von "Einer flog übers Kuckucksnest" anmutet, spielte sich bis vor kurzem in einer der größten psychiatrischen Privatkliniken in Europa, dem Klinikum Wahrendorff bei Hannover ab.

Bekannt wurden die Praktiken auf der Station AST 2, einer geschlossenen Akutstation für Menschen ab 55, als Mitarbeiter anderer Bereiche dorthin versetzt wurden - und vor Entsetzen über die Zustände schleunigst wieder weg wollten. Nach ihren Berichten flößte Klaus W.*, seit 2004 Stationsleiter, schlafenden Patienten Flüssigkeit ein. Gesundheitliche Probleme, die bei einer Patientin daraufhin auftraten, kommentierte er lapidar, sie habe sich "verschluckt" und gehe deshalb "kaputt".

Andere zwang er unter Polizeigriff zur Einnahme von Medikamenten. Und auch die Körperpflege war für "lästige" Patienten kein Vergnügen: Sie wurden von Kopf bis Fuß mit Pflegeschaum eingesprüht, der jedoch nicht abgewaschen, sondern nur mit einem trockenen Tuch abgewischt wurde. Untergebene, die sein Verhalten kritisierten, soll er mit Druck und Drohungen zum Schweigen gebracht haben.

Die Leidenszeit auf der AST 2 hat nun ein Ende: Der Stationsleiter wurde vor die Tür gesetzt. Bis dato gibt es keinerlei Hinweise auf strafrechtliche Konsequenzen der Übergriffe.

Doch für negative Publicity sorgen nicht allein die Misshandlungsfälle. Die Klinik ist für stetig schlechter werdende Arbeitsbedingungen und kontinuierliche Attacken gegen gewerkschaftliche Strukturen bekannt. Kritiker sehen die aktuellen Misshandlungen als direkte Folge der Unternehmenspolitik: "Hier werden Vorgesetzte nicht nach Qualifikation ausgesucht, sondern danach, dass sie die Linie der Klinikleitung umsetzen", kommentiert ein Angestellter, der lieber anonym bleibt.

Auch Klaus W. sei für den Posten nicht geeignet gewesen - im Gegenteil: Er habe ein Alkoholproblem, von dem die Klinikleitung bereits vor der Beförderung wusste. "Die suchen sich Leute aus, die Probleme haben und deshalb erpressbar sind", so die Einschätzung weiterer Mitarbeiter, die aus Angst geschwiegen haben. "Bei 24 statt 19 vorgesehenen Patienten, von denen einige fixiert sind, und das bei dauernder Unterbesetzung - man bräuchte eigentlich Rollschuhe, um von einem Patienten zum nächsten zu hetzen", beschreibt Nandor Pouget, von der GGB (Gewerkschaft Gesundheitsberufe) seine Erfahrungen in Wahrendorff.

Auch ihn überraschen die Vorfälle nicht wirklich, da immer mehr Zivis und studentische Aushilfen die Arbeit von Pflegekräften übernehmen. "Da muss dann auch schon mal eine Hauswirtschafterin Sitzwache bei einem hoch psychotischen Patienten halten", sagt Pouget. Dass das ins Auge gehen kann, zeigt nicht nur der Skandal um Klaus W. Erst vor kurzem wurden drei Mitarbeiter von einem aggressiven Patienten angegriffen und verletzt. 2004 wurde eine Angestellte Opfer eines sexuellen Übergriffs - wegen Unterbesetzung musste sie sich allein um einen Patienten auf der geschlossenen Station kümmern."(...)


ich empfehle sowohl die weiteren teile des artikels zur lektüre als auch einmal eine recherche mit den keywords "privatisierung psychiatrie", die eine unmenge an statements, berichten und infos zum thema liefert, von denen die meisten deutlich machen, dass das risiko für solche geschichten wie oben in privatisierten kliniken eher noch stärker ist als in den (ehemals) staatlich betriebenen anstalten - betonung auf das "noch", weil die letzteren natürlich durch weite teile ihrer geschichte hindurch ebenfalls genügend grauenhafte verhältnisse produziert haben. allerdings mit teils anderen motivationen als private betreiber, denen es primär um ihren profit geht: so hat sich die in der sog. "öffentlichen hand" befindliche psychiatrie in extrembeispielen wie dem nationalsozialismus oder auch im sog. "realen sozialismus" als williger handlanger zur durchsetzung großflächiger antisozialer projekte der gesellschaftlichen normierung und bekämpfung alles "abweichenden" entpuppt (ja, auch hier waren bzw. sind im hintergrund ökonomische verhältnisse beteiligt, aber eben nicht einzig verantwortlich). die privatisierung hingegen bringt innerhalb der institutionellen psychiatrie teils neue probleme, teils aber auch alte probleme in aktualisierter form hervor. ganz gut zusammengefasst ist das in einem Offenen Brief der deutschen gesellschaft für soziale psychiatrie:

(...)"Privatisierung vs. Gemeinwohlorientierung

Die psychiatrische Versorgungslandschaft ist in den letzten 15 Jahren einer beständigen Veränderung unterworfen. Hintergrund hierfür sind die im Zuge der ökonomischen Krise stattfinden Sozialreformen einerseits (s.o) und eine zunehmende Privatisierung auf der Ebene der Organsiations- bzw. Rechtsform der Leistungsanbieter andererseits. Die letztgenannte Entwicklung führt in vielen Fällen zu einer Abkehr von der Gemeinwohlorientierung sozialer und Gesundheitsdienstleistungen hin zu einer profitorientierten privatwirtschaftlichen Unternehmensstrategie. Bürgerschaftliches Engagement das sich z.B. in der Übernahme von Verantwortung in gemeinnützigen Vereinsstrukturen (NPO) zeigt (z.B. ehrenamtlicher Vereinsvorstand) und damit eine Einbindung ins Gemeinwesen bedeutet, wird somit tendenziell in Frage gestellt. Eine weitere Gefahr von Privatisierung sehen wir in der Aussonderung besonders schwieriger Menschen, die durch ihren relativ hohen Hilfebedarf und den damit verbundenen Kostenaufwand nicht in die Strategie der Profitoptimierung passen.
Die angestrebte Entwicklung von Gemeindepsychiatrischen Verbünden (GPV) der Leistungsanbieter hat u.a. das Ziel qualitativ hochwertige Dienstleistungen in abgestimmter und koordinierter Form Hilfeempfängern in einer bestimmten Versorgungsregion anbieten zu können. Der damit verbundene Prozess ist personal- und arbeitsintensiv, und daher kostenrelevant. Ob privatwirtschaftlich orientierte Leistungsanbieter sich diesen aufwendigen Prozess, in dem sich auch die Verantwortung für alle psychisch erkrankten Menschen in einer Versorgungsregion ausdrückt, im Sinne einer optimalen Kapitalverwertung zumuten werden, bleibt abzuwarten.

Forschung

Forschung im Bereich der Psychiatrie hat in den letzten Jahren eine deutliche Konzentration auf eine biologisch orientierte Ausrichtung erlebt. Dies führt in diesem Bereich zu Fortschritten, die sich z.B. in der Entwicklung der atypischen Psychopharmaka zeigt. Forschung im sozialpsychiatrischen und damit in einem sehr viel umfassenderen Sinne findet nahezu nicht mehr statt. Es besteht derzeit nur noch ein Lehrstuhl für Sozialpsychiatrie bundesweit.
Der Forschungsbereich Sozialpsychiatrie ist aus ökonomischer Sicht uninteressant, da Forschungsergebnisse sich nicht auf der klassischen und verwertbaren Produktebene niederschlagen."(...)


am (wiedereinmal) schlechten beispiel der usa lassen sich die folgen einer ungehemmten privatisierung psychiatrischer institutionen studieren - so ist in einem artikel der schweizer zeitung "der bund" aus dem jahr 2002 u.a. zu lesen:

(...)"Einen Skandal hat Anfang Mai die «New York Times» mit einer detailliert recherchierten Artikelserie aufgedeckt. Der Bundesstaat hatte vor gut 30 Jahren die großen Psychiatriekliniken geschlossen und versucht, die Patienten dezentral zu betreuen. Doch viele landeten auf der Straße, gut 15 000 verschwanden - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt - in privat geführten, profitorientierten Heimen. Dort lebten sie, wie die «Times» aufdeckte, ohne professionelle Betreuung oft unter menschenunwürdigen Bedingungen, während sich die Heimleiter bereicherten.

Am schlimmsten sind die Zustände in den Heimen der Stadt New York. So wurden schwer depressive Patienten in Brooklyn wochenlang ohne genügend Verpflegung in ihren Zimmern eingesperrt, bis sie an physischen Mangelerscheinungen zu leiden begannen. Patientinnen prostituierten sich mit Wissen der Heimleitung, die regelmässig Akten und Belege fälschte, um die Zustände zu vertuschen. Von 1995 bis 2001 starben allein in den Heimen von New York City 946 Patienten, viele nahmen sich das Leben.Nur in drei Fällen wurde eine Untersuchung eingeleitet.(...)


auch bei berücksichtigung der vorhandenen unterschiede zwischen den gesundheitssystemen lassen sich bereits bei einem oberflächlichen vergleich der geschichte in wahrendorff mit den zuständen in new york viel zuviele beunruhigende parallelen entdecken. die nach wie vor vorhandene stigmatisierung von insassen psychiatrischer institutionen plus eine gesellschaftliche entwicklung der ungehemmten ökonomisierung und verdinglichung aller lebensbereiche plus die (auch im blog schon thematisierten) trends zur sozialdarwinistisch motivierten selektion plus das konkrete profitinteresse privater betreiber können im zusammenspiel eigentlich nur zustände ergeben, die letztendlich alle positiven entwicklungen innerhalb der psychiatrie seit den 1970er jahren im kern gefährden. wenn es wahr ist, dass sich eine gesellschaft in ihren totalen institutionen am deutlichsten kenntlich macht, so werden uns die zustände sowohl in der psychiatrie als auch in den (privatisierten) gefängnissen ein spiegelbild unserer inneren verfassung liefern, was zum schreiend davonlaufen - nicht nur sein wird, sondern bereits in teilen ist.

wie angedeutet, sollte die kritik an den privatisierungstendenzen in diesem bereich keinesfalls als falsche sehnsucht nach staalicher einmischung verstanden werden. es ist imo dringend notwendig, zwischen tatsächlich öffentlichen (im sinne von sozialen fortschritten) und staatlichen interessen zu unterscheiden - gerade dann, wenn staaten nicht nur unter die räuber gefallen sind, sondern in zeiten des extremistischen kapitalismus selbst zunehmend räuberisch nach außen und innen werden.

*

St.Jürgen_Asyl_Broschüre

wer sich für die psychiatriegeschichte mit all ihren positiven und leider überwiegenden negativen aspekten interessiert, sei zum schluß noch auf eine buchreihe hingewiesen, die in dieser form im deutschen sprachraum meines wissens nach einzigartig ist: die historikerin gerda engelbracht hat über jahre die inwischen über hundertjährige geschichte der psychiatrie in bremen in vielen facetten beforscht, aufgearbeitet und die ergebnisse jüngst abschließend in dritten buch einer reihe publiziert.

psychiatrie_im_ns

und diese ergebnisse können durchaus als repräsentativ für grundsätzliche entwicklungsphasen der offiziellen psychiatrie in diesem land angesehen werden. wer sich also durch den unstreitig vorhandenen regionalen bezug nicht abschrecken lässt, wird eine fülle von material und informationen kennenlernen, die sich von den "reformanstalten" der jahrhundertwende über verschiedene therapieformen (incl. schockverfahren), die ns-psychiatrie und ihre (nicht stattgefundene) aufarbeitung bis hin zu den reformen seit ende der 1960er jahre ziehen - dargestellt jeweils an persönlichen biografien, psychiatrieinternen debatten bis hin zum wandel der architektur.

von_der_nervenklinik_zum_zkh

die genauen daten zu den büchern lassen sich über diese seite finden.

und wer sich zufällig mal in bremen befindet, kann sich direkt auf dem klinikgelände im ebenfalls in d-land einzigartigen krankenhausmuseum ganz anschaulich mit den themen der bücher befassen. mit dem dort bzw. in den büchern zusammengetragenen material lässt sich letztlich auch die privatisierung in der psychiatrie besser und fundierter einschätzen.

Donnerstag, 6. September 2007

...

ich wünschte, ich hätte diesen - auf seine weise sehr schönen - ort unter anderen umständen kennenlernen können.

Bremen Friedhof Riensberg
<br />
Quelle: Wikipedia

***

wenn der tod ganz unmittelbar das eigene leben berührt, gibt es außer der zeit fast nichts, was seine macht - nein, nicht brechen, aber wieder in die schranken weisen kann. ein bißchen kann musik dabei helfen, die richtige zur richtigen zeit. deshalb jetzt, zum vorläufigen und gleichzeitig nicht endenden abschluß einer phase - und trotzdem als symbol für den beginn von etwas neuem - 4hero featuring ursula rucker. nichts kann gerade persönliches und gesellschaftliches für mich besser auf den punkt bringen.



***

in den nächsten tagen wird es hier weitergehen mit den menschen und ereignissen der dingwelt.

Samstag, 11. August 2007

zwischendurch...

...möchte ich nur mal sagen, dass ich auch in den nächsten wochen nur sehr sporadisch zeit habe, mich um das blog zu kümmern - das persönliche leben präsentiert gerade genug belastendes und auch trauriges, welches mich noch länger beschäftigen wird. aber irgendwann wird sich das auch wieder ändern.

*

eine vorankündigung möchte ich allerdings schon mal los werden: am freitag, den 19. oktober 2007, wird es in bremen im jungen theater / schwankhalle eine bloglesung geben. hella vom paperbackfighter organisiert die ganze geschichte dankenswerterweise; und neben ihr und mir werden weiter der wahre dicki, frau mutant sowie herr twiggs einige antworten auf solche fragen wie die versuchen, wer warum und wie in bremen bloggt. ich bin sehr gespannt, wie´s wird - lampenfieber inbegriffen. weitere infos folgen beizeiten.

*

und wer sich in der zwischenzeit weiter speziell mit dem garstig´ lied namens "politik" beschäftigen möchte: drei blogs, die ich auch schon lange als permanente links anbieten wollte, geben für dieses vorhaben ordentlich futter. einmal wäre da der spiegelfechter; zum anderen die berüchtigte ZAF. und ebenso wie bei den gerade genannten trage ich vermutlich auch beim alarmschrei für viele leserInnen hier eulen nach athen - aber ich finde, gute blogs können nicht oft genug erwähnt werden. speziell zum letzteren möchte ich auch gleich noch einen besonderen lesetipp loswerden: dehumanisierung ist ein beitrag, der vieles von den fragen aufgreift, die auch hier immer wieder eine hauptrolle spielen.

*

und dann war da noch philip k. dick, neben john brunner der für mich relevanteste autor in bereich der social fiction, der in seinem roman "simulacra" eine schauspielerin im amte der us-präsidentin einen satz denken lässt, den ich Ihnen zum abschluß in die nächste zeit mitgeben möchte:

"Um im Amt bleiben zu können, würde sie eine Nation von Wahnsinnigen regieren müssen."

auch ohne den genauen hintergrund bzw. die geschichte des romans zu kennen, ist das ein satz, über den sich langes nachdenken lohnt. und mit dem ich mich für heute verabschiede.

Mittwoch, 18. Juli 2007

notiz: die jährliche leistungsschau der pharmaindustrie auf zwei rädern...

...macht gerade wieder schlagzeilen - aber darüber sollten einige andere verhältnisse im sog. profisport nicht übersehen werden.

Sonntag, 15. Juli 2007

assoziation: das "wärme-geschäft" des richard nixon

aus dem nachlaß des ehemaligen us-präsidenten richard nixon - eine dokumentation von als-ob-strategien :

(...)"Offenbar wollte Nixon, von einer politischen Gegnerin mit dem Beinamen Tricky Dick versehen, vom Wahlvolk geliebt werden wie der ermordete John F. Kennedy. Doch im Vergleich zu dem ehemaligen Rivalen, der ihn im Präsidentschaftswahlkampf 1960 geschlagen hatte, wirkte Nixon unelegant, uneloquent und ungelenk. Seine Regierung vermittelte den Eindruck einer "effizienten, kalten Maschine". Dem wollte er das Bild des warmen, sorgenden Staatsoberhaupts entgegenstellen.(...)

Nixon betrachtete es als einen "ganz schwerwiegenden Fehlschlag der Öffentlichkeitsarbeit", dass die warme, fürsorgliche Seite seiner Persönlichkeit in den ersten beiden Jahren seiner Präsidentschaft nicht an die Wähler hatte vermittelt werden können. "Was dieses ganze Wärme-Geschäft angeht", bestand Nixon allerdings darauf, die Medien "nicht mit der Nase darauf zu stoßen. Wir erlauben ihnen, solche Dinge zu entdecken."(...)


heute nennt sich das human touch, bleibt aber genau so krank.

(...)"Ohne sein Wissen hatte Ann Whitman, die Sekretärin Eisenhowers, dessen Vizepräsident Nixon gewesen war, schon Jahre zuvor die perfekte Lösung für Nixons Image-Problem gefunden. Nixon verbringe zu viel Zeit damit, wie ein angenehmer Mensch erscheinen zu wollen, meinte Whitman, anstatt einfach einer zu sein."

und damit ist das dilemma der vermutlich meisten mitglieder der macht-"eliten" bzw. speziell der "politischen klasse" bestens auf den punkt gebracht: wären sie "angenehme menschen" (frei übersetzt: fähig zum authentischen sein) - würden sie nicht den kompensatorischen wahn nach macht verspüren, der sie erst dorthin bringt, wo sie sind - und wo sie sich dann als authentisch verkaufen müssen.

notiz: schadenersatzklage aus der "zweiten generation" nach dem holocaust gegen die brd

womöglich steht uns demnächst endlich eine breite diskussion über die realität und die konsequenzen tradierter traumata ins haus - wenn das folgende nicht gleich in einem schwall von (antisemitischen) ressentiments untergehen sollte. eine annahme, für die es in diesem land bekanntlich viele gründe gibt:

"In einer Sammelklage wollen Kinder von Holocaust-Überlebenden vor dem Tel Aviver Bezirksgericht Entschädigungen von der Bundesregierung einklagen: für seelische Schäden, die sie durch ihre Kindheit im Schatten des Holocaust erlitten haben und deren psychiatrische Behandlung bis heute Kosten verursacht. Rechtsanwalt Gideon Fisher, selbst Sohn von Überlebenden, will die Klage im Namen von "10 000 bis 14 000 Angehörigen der zweiten Generation" einbringen. Die Zeitung "Yedioth" sprach von 40 000 Klägern."(...)

medial wird das bis jetzt relativ kleingehalten, vielleicht ist aber auch vielen der mit dieser meldung konfrontierten nicht klar, was für ein potenzieller sprengstoff sich in vielerlei hinsicht - wissenschaftlich, sozial, politisch, historisch - dahinter verbirgt. und zwar keinesfalls nur hinsichtlich der enkel der kz-überlebenden.

Freitag, 13. Juli 2007

notiz: vom täglichen krieg in der "besten aller welten[TM]"

in den simulierten fiktionen, die v.a. medial in vielfältigster weise immer wieder zur unterstützung der tragenden ideologien dieser gesellschaft verbraten und verbreitet werden, spielen der fetisch arbeit (und die arbeitswelt) sowie die besinnung auf familiäre werte eine herausragende rolle. der wahre kern in diesen fiktionen - und der mag auch ihre ungebrochene anziehungskraft zumindet zu einem großen teil erklären - besteht nun darin, dass eine sinnvolle und erfüllende, d.h. nicht fremdbestimmte, nicht als zwang zur bloßen existenzsicherung konzipierte und nicht zur bloßen profitmaximierung egal mit welchen destruktiven folgen verbundene arbeit genauso wie eine großzügige und liebevolle familiensituation, die sich nicht auf biologistische und patriarchale mythen beruft und v.a. nicht als "schule der nation" bzw. "keimzelle des staates" gebrauchen lässt, ganz wesentliche elemente einer gesunden menschlichen entwicklung darstellen.

eine mehr oder weniger zufällige auswahl aktueller nachrichten macht deutlich, wieweit die herrschenden gesellschaftlichen strukturen diese fundamentalen menschlichen sehnsüchte inzwischen täglich pervertieren. arbeit und familie werden zum schlachtfeld, und nicht nur diese bereiche.

der verdacht, dass an den verschiedensten "zivilen" kriegsfronten nicht zufällig das mittel der traumatisierung als waffe eingesetzt wird, drängt sich nicht zum erstenmal regelrecht auf - im folgenden bericht zu den nicht anders als menschenverachtend zu nennenden praktiken eines rechtsanwalts wird das in den letzten sätzen auf den punkt gebracht:

(...)"Wenn Naujoks Methoden Schule machten, "wirft uns das zurück in die Zeiten des Manchester-Kapitalismus. Das ist einfach reaktionär", sagt der Berliner Arbeitsrechtler Volker Ratzmann. "Es geht ihm weit über die rechtliche Auseinandersetzung hinaus darum, Konfrontationen aufzubauen und den Gegner persönlich zu treffen."

Roland Renger ist darüber krank geworden. Wer ihn wie seine Kollegin Regenfelder gut kennt, erinnert sich an ein "absolutes Alpha-Männchen, ein herausragender Stratege, den nichts so schnell umwarf und der flammende Reden gehalten hat".

Jetzt raubt ihm die Erinnerung an seine Zeit als Betriebsratschef bei Kabel BW nachts den Schlaf, der Schweiß bricht ihm aus, wenn er darauf angesprochen wird. Seit Monaten ist er krank; die Ärzte attestieren, Renger leide an "posttraumatischen Belastungsstörungen". Das kennt man von Soldaten, die im Krieg Schlimmes erlebt haben."


im folgenden zitat können Sie übrigens beliebige namen von irgendwelchen metropolen einsetzen - es ist grundsätzlich gültig, zumal bei den heute global herrschenden ökonomischen strukturen:

(...)"Wirtschaft ist Krieg", heißt es von Managern in den Straßenschluchten Seouls. "Und für den Krieg muss man immer gewappnet sein!"(...)

*

da die eindimensionale - und im schlimmsten sinne dumme - wahrnehmung aller aspekte des menschlichen lebens alleine unter ökonomischen - also grundsätzlich verdinglichenden - perspektiven im totalitären kapitalismus als "normalität" durchgesetzt werden soll (stichwort "familienmanagement"; und gar nicht zufällig taucht hier das altbekannte nlp mal wieder auf), breitet sich folgerichtig die grundsätzliche kriegssituation bis in die anscheinend "privatesten" refugien aus:

(...)Ein 14 Jahre altes Mädchen muss wegen Totschlags an ihrer Mutter für vier Jahre und zehn Monate ins Gefängnis. Es hatte im Dezember vergangenen Jahres ihre 34 Jahre alte Mutter mit 24 Messerstichen getötet.

Die Tat sei maßgeblich auf eine jahrelange mütterliche Tyrannei zurückzuführen, berichtete der Sprecher des Gerichts. Das Kind sei emotional vernachlässigt, misshandelt und gedemütigt worden.(...)


nicht nur wird hier zum wiederholten male das sichtbar, was als täter-opfer-dialektik bezeichnet werden kann - auch die völlig unangmessene justizielle reaktion spricht wieder einmal bände - wer glaubt wirklich, dass diesem kind im sog. strafvollzug eine perspektive geboten werden kann? die justiz agiert hier hier zum wiederholten mal als gnadenloser exekutiver apparat im interesse von diffusen rachebedürfnissen und vor allem im interesse der gesellschaftlichen verdrängung - wenn wir uns ernsthaft als gesellschaftlich beteiligte wahrnehmen und begreifen würden, könnten wir bei derartigen gewaltereignissen schlicht und einfach nicht mit unserem alltäglichen kram fortfahren.

*

dieser ach so wichtige alltagskram zu vieler menschen - "kriege/behalte ich die stelle?" "sehe ich gut genug beim date aus?" " wer wird der nächste superstar?" "wie komme ich an das coole auto?" etc.) wird ebenfalls durch meldungen wie diese in den relationen zurechtgerückt (und vielleicht auch gleichzeitig als integraler bestandteil des kriegsszenarios kenntlich) :

(...)"Im sauerländischen Iserlohn ist ein drei Monate alter Junge durch Verwahrlosung ums Leben gekommen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die 26-jährige Mutter und deren 25-jährigen Lebensgefährten wegen eines Tötungsdeliktes.

"Außerdem ermittelt die Behörde wegen fahrlässiger Tötung gegen Mitarbeiter des Iserlohner Jugendamtes“, sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Rahmer.

Wie jetzt öffentlich bekannt wurde, starb der Junge vor drei Wochen an den Folgen von Unterernährung. Dem Jugendamt seien die Verhältnisse in der Dachgeschoss-Wohnung in der Nähe der Iserlohner Innenstadt bekannt gewesen, erklärte der Staatsanwalt."(...)


das letztere erinnert frappierend an den "fall" kevin - und bei der mutter dürfte eine hohe wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass sie in zukünftigen forensisch-psychiatrischen gutachten als borderline klassifiziert werden wird - schauen Sie ruhig nochmal in den index dieses blogs, um nachzuvollziehen, warum das mitnichten als bloße spekulation anzusehen ist.

*

borderline ist dann auch das stichwort für eine grausige geschichte rund um einen doppelmord bzw. den prozeß darüber - auszug aus einem disput zwischen dem anwalt des angeklagten und dem staatsanwalt:

(...) Was er als mögliche Borderline-Erkrankung, als den angesichts hoher Schulden nicht mehr zu verhindernden Zusammenbruch einer Scheinwelt mit eruptivem Kontrollverlust einstuft, ist aus Sicht von Staatsanwalt Justus Koch allenfalls die nicht krankhafte Wahnvorstellung eines Hochstaplers.(...)

das konstrukt der "nicht krankhaften wahnvorstellung" ist hier besonders interessant - jenseits der obligatorischen juristischen spitzfindigkeiten wird hier mal wieder der katastrophale und letztlich unhaltbare begriff von realität und wahnsinn der aktuellen justiz deutlich - mehr und ausführlicher gibt´s dazu hier und hier zu lesen. zum begriff der scheinwelt würden mir diverse beispiele aus der welt der sog. "eliten" einfallen, aber justiziell verfolgt wg. konstruktion von scheinwelten werden bis heute nur die simulierenden "kleinen fische" - lesen Sie den zweiten teil des beitrags.

***

das oben gesammelte hat mich heute irgendwann so frustriert, dass ich mich zum schreiben regelrecht genötigt sah - aber ich hatte auch mal etwas freiraum und zeit, um dem nachzugeben. ansonsten bin ich gerade so vielfältig beschäftigt, dass hier auch weiterhin nur sporadisch etwas passieren wird. wenn Sie zufällig das erste mal auf dieser seite sein sollten und die themen Sie interessieren, empfehle ich zum stöbern den index. und allen stammleserInnen hier wünsche ich inzwischen eine gute zeit.

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