aus verschiedenen gründen müssen die angekündigten beiträge zu möglichen ähnlichkeiten und unterschieden zwischen asperger-autismus und soziopathie sowie zum thema "das (menschliche) böse" noch einmal verschoben werden. tut mir in diesem fall besonders leid, weil es sich einmal um die frage einer leserin; zum anderen um einen weiteren diskussionsbeitrag für diesen thread bei citronengras handelt, und ich direkte fragen und diskussionen meistens besonders inspirierend finde. allerdings brauche ich dafür auch die nötige zeit und ruhe, und beides ist momentan nur sehr selten gegeben. ich hoffe, ich kann mir nächste woche entsprechenden platz freischaufeln.
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in der zwischenzeit haben sich wieder einmal etliche links zu blogrelevanten artikeln angesammelt, von denen ich im folgenden eine kleine auswahl vorstellen will.
mit dem wort hikikomori (ich bin mir gerade nicht sicher, ob mit zwei oder einem "k" geschrieben - im web finden sich beide schreibweisen) wurden regelmäßige leserInnen hier bereits im letzten jahr vertraut. nun scheinen sich mehr und mehr indizien dafür zu häufen, dass hikikomori auch im westen angekommen ist:
(...)"Nun ist eine Tendenz zu verstärkter "Nesthockerei" in der Gegenwartsgesellschaft nicht eben neu und auch schon vielfach beschrieben worden. Das von Elke Herms-Bohnhoff verfasste Buch Hotel Mama mit dem Untertitel Warum erwachsene Kinder heute nicht mehr ausziehen ist seit seinem Erscheinen im Jahr 1991 ein Bestseller, dessen Titel oft und gerne zitiert wird. Vom "Cocooning" hat die "Trendforscherin" Faith Popcorn (...) schon vor Jahren gesprochen, vom (wachsenden) Drang, sich in ein abgegrenztes eigenes "Gehäuse" einzuspinnen, vom "Cosy home" ist ebenfalls häufig die Rede. In Japan indessen hat man für ein Verhalten wie das des oben geschilderten Studenten P. W. einen eigenen Namen geprägt. Man spricht vom Hikkikomori-Syndrom.
Das japanische Wort Hikkikomori bedeutet wörtlich etwa so viel wie "sich einschließen" oder "eingegrenzt sein".(...)
in dem interessanten überblick eines professionellen, bei dem ich in diesem fall vermute, dass er weiß, wovon er redet, sind verschiedene punkte besonders interessant: einmal der hinweis darauf, dass der namensprägende japanische psychologe seinerzeit die zahl der betroffenen bewusst zu hoch angesetzt hat, um die mediale aufmerksamkeit zu erregen - was sowohl bezgl. wissenschaftlicher methodik als auch hinsichtlich der funktionsweise der massenmedien wieder mal tief blicken lässt. zum anderen aber dieser hinweis:
(...)"Zielenzinger selbst vermutet eine Nähe des Hikkikomori-Syndrom zur im Westen verbreiteten Postraumatischen Belastungsstörung (PTBS); allerdings sind derartige Hypothesen recht spekulativ und nicht durch harte Fakten abgesichert."(...)
nun bleibt in gesamten bereich der beziehungskrankheiten (und zu denen lässt sich hikikomori sicher zählen) bisher zwangsläufig vieles hypothetisch und spekulativ, was sich aus diversen gründen auch kurzfritig nicht ändern wird - aber wenn ich mir beide diagnostischen modelle so betrachte, fällt zumindest eine gemeinsamkeit sofort ins auge, die ich schon länger für fatal unbeachtet halte:
die abwendung von und das misstrauen in die existierenden menschlichen sozialen strukturen.
bei (post-)traumatischen störungen ist diese reaktion, besonders bei vorhergehender man-made-violence, eigentlich nachvollziehbar - aber wie sieht es bei den beschriebenen hikikomori-betroffenen aus, bei denen derartige erlebnisse zumindest nicht erwähnt werden? ist es vielleicht tatsächlich so, dass alleine die allgegenwärtige (mediale) präsenz zwischenmenschlicher gewalt fähig ist, zumindest teilweise die symptome einer ptbs zu erzeugen? der rückzug und der freiwillige verzicht auf den kern aller menschlichen sozialität stellen in der hinsicht gleichzeitig eine gesunde - wenn diese sozialität verbreitet als völlig unakzeptabel und bedrohlich empfunden wird - als auch eine pathologische - weil letztlich die ganz wesentliche basis für ein menschliches leben, welches diesem namen auch gerecht werden würde, sabotiert wird - reaktion dar, die sich einreiht in die vielzahl ähnlicher beunruhigender entwicklungen, die hier schon thema waren. auf ein kurzes fazit gebracht: auch "hikikomori" zeigt nur ein weiteres mal eine tatsache auf, deren ständige verdrängung für uns alle letztlich schmerzhaft tödlich sein wird:
nämlich das unsere derzeitigen gesellschaftlichen strukturen in ihrer überwältigenden mehrheit dem menschlichen leben letztlich destruktiv gegenüberstehen. und da gesellschaften nun mal meiner meinung nach die innersten strukturen ihrer mitglieder widerspiegeln, stellen sich unmittelbar fragen an jede/n einzelne/n von uns: schätzen wir unser leben? und vor allem: sind wir liebesfähig gegenüber dem lebendigen, welches uns in vielen formen begegnet? also auch uns gegenüber, was keinesfalls egoismus meint, sondern etwas sehr anderes.
das in allen möglichen diskursen, die sich "politisch" schimpfen, genau solche fragen praktisch ständig ausgespart werden, macht ihre erbärmliche reduziertheit und vor allem wirkungslosigkeit letztlich sowohl überdeutlich als auch verständlich.
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das verhalten der "hikikomoris" lässt sich allerdings ganz gut nachvollziehen beim anblick des folgenden ausschnitts aus der gegenwärtigen realität:
(...)"Jeder vierte Bürger in der Europäischen Union wird im Laufe seines Lebens depressiv, schizophren, zwanghaft, panisch oder sonst irgendwie psychisch krank. Allein in Deutschland sind die Fehlzeiten durch solche Erkrankungen in den vergangenen zehn Jahren um nahezu 70 Prozent gestiegen.(...)
Allerdings hat der Druck auf die Beschäftigten angesichts des globalen Wettbewerbs und der gestiegenen Gewinnerwartungen zugenommen. So müssen die Beschäftigten in kürzerer Zeit mehr leisten, in der Sprache der Unternehmensberater heißt dies Produktivitätsfortschritt durch Leistungsverdichtung. Dies halten Jüngere und Starke aus, immer mehr Menschen aber reagieren auf den Stress mit psychischen Erkrankungen. Schließlich haben viele Angst davor, ihren Job zu verlieren. So spüren immer mehr Arbeitnehmer den scharfen Wettbewerb, und selbst bei Banken und Versicherungen, die über Jahrzehnte hinweg von stabilen Arbeitsverhältnissen geprägt waren, geht die Angst um."(...)
und anstatt die änderung der pathologischen sozio-ökonomischen struktur zu thematisieren und durchzusetzen, werden die folgen dieser struktur
"individualisiert" und die betroffenen - bestenfalls - wieder fitgemacht für´s rattenrennen - wer da dann lieber im eigenen zimmer bleibt, ist in seinen motivationen zumindest nachzuvollziehen. interessant auch, wie "klassisch" im ersten beschriebenen beispiel die borderline-diagnose eingesetzt wird: sie erspart in dem fall die auseinandersetzung mit dem pathogenen sozialen umfeld und lässt aufgrund der eigenart des aktuellen bl-modells (welches u.a. von einer "genetisch bedingten vulnerabilität" ausgeht) noch nicht einmal das postulieren einer wechselbeziehung zwischen individuum und gesellschaft zu, sondern macht das problem zu einem "persönlichen schicksalsschlag". was auch deutlich macht, das aktuelle psychiatrische modelle eben nicht beliebig sind: ein burn-out-syndrom als diagnose bspw. macht zumindest ansatzweise deutlich, dass der bösartige wind der störung eben nicht nur aus dem "eigenen", verkorksten inneren weht. aber über die routinemässige dissoziierende wahrnehmung auch in der aktuellen psychiatrie & psychologie habe ich hier schon genug worte verloren.
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naomi kleins schock-strategie habe ich immer noch nicht gelesen, aber dafür ein interview mit ihr gefunden, was meine damals geäusserte spekulation hinsichtlich ihrer unausgesprochenen thematisierung von traumatisierung als mittel der machteliten doch unterstüzt - ein auszug:
(...)Der Plan war, die Iraker derart zu traumatisieren, dass sie problemlos alles hinnehmen würden. Richard Armitage, der ehemalige Vize-Außenminister der USA, sagte, offensichtlich haben wir die Iraker nicht genug schockiert.
Nicht genug?
Nicht genug. Er sagte: Anders als Deutschland und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg war der Irak nicht ausreichend traumatisiert. Meine Erklärung ist: 30 Jahre Saddam Hussein waren schockierend genug. Schock braucht das Überraschungsmoment. Aber Schock ist normal im Irak."(...)
darüber denke ich nun schon länger nach, und komme zu folgendem zwischenergebnis: aus einer bestimmten perspektive würde ich ihr zustimmen, denke aber, dass sie die autoritären, diktatorischen und traumatischen strukturen sowohl der deutschen als auch der japanischen gesellschaft vor dem zweiten weltkrieg vergisst - diese strukturen waren zumindest aus meiner sicht eindeutig vorhanden, wurden aber ganz offensichtlich nicht von relevanten teilen der damaligen bevölkerungen beider länder so empfunden, die sich mehr oder weniger bereitwillig den verbrecherischen "eliten" unterwarfen und zur verfügung stellten. als vorschlag für den moment vielleicht dieser ansatz: ohne traumatisierung - zb. gewohnheitsmässige "schocks" für deutsche und japanische kinder durch die repressiven erziehungsmethoden - hätten die späteren antisozialen herrscher nicht das erwähnte unterwerfungskonforme reservoir von verheizbaren menschen vorgefunden, ohne das es beide damaligen staatssysteme nicht gegeben hätte. sicherheit - in bezug auf den ganz banalen alltag als auch die vorhandenen gesellschaftlichen strukturen -, und wenn´s auch eine halluzinierte, mit einem hohen preis verbundene ist, ist als ungeheuer drängendes bedürfnis bei aktuell und chronisch traumatisierten menschen immer wieder festzustellen. und wird mit aller wahrscheinlichkeit eben von unseren skrupellosen "eliten" ebenso regelmäßig ausgenutzt und instrumentalisiert.
und in dieser hinsicht war das unglaublich hierarchisch durchstrukturierte "dritte reich" offensichtlich etwas, was für viele menschen diese art "sicherheit" geboten hat - und als die im bombenhagel und dem heulen der stalinorgeln in trümmer fiel, wurden diese chronisch traumatisierten - ich benutze hier ausdrücklich einen erweiterten trauma-begriff, der auch die täter-opfer-dialektik berücksichtigt - nun erneut, und diesmal im sinne einer klassischen ptbs, traumatisiert - und dieses modell richtet den focus nun mal auf die opferseite.
nun waren und sind meines wissens auch die praktiken des umgangs mit kindern im irak nicht viel besser als diejenigen im damaligen deutschland oder japan, aber mir ist nicht bekannt, das sich die diktatur von saddam hussein auf eine ähnlich starke innere zustimmung vieler untertanen stützen konnte wie die beiden anderen, sondern eher mit purer repression incl. terror durchgesetzt wurde (und der üblichen materiellen bestechung). was bedeuten würde, dass es einen qualitativen unterschied hinsichtlich des umgangs mit traumatischen strukturen in den betroffenen gesellschaften geben muss. und das finde ich interessant genug, um darüber weiter nachzudenken.
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das wort kriminell benutze ich hier hauptsächlich nicht in der juristischen bedeutung, sondern als synonym für ganz offenes antisoziales handeln, welches oft genug von der justiz weder bemerkt noch verfolgt wird - das ist alleine abhängig vom jeweils regierenden elitären machtsystem. und wenn Sie das wieder mal zu übertrieben finden, lesen Sie das hier:
(...)"Allein in Sizilien warten 5000 Mafiosi auf ihren Einsatz, allzeit bereite, junge aufstrebende Männer, die davon träumen, ehrfürchtige Blicke zu spüren –und das Gewicht einer Rolex Daytona am Arm. „Wir können hundert Jahre lang so weitermachen“, heißt es unter jenen sizilianischen Staatsanwälten, die es noch wagen, die Wahrheit auszusprechen: Dass jeder noch so erfolgreiche Schlag gegen die Mafia folgenlos bleiben wird –solange er rein polizeilicher Natur ist und die Verbindungen zwischen Mafia und Politik unangetastet lässt. Dieses Problem zu benennen, erfordert um so mehr Mut, als der Justizminister höchstpersönlich dafür sorgt, dass Staatsanwälte abberufen werden, sobald sie gegen italienische Politiker ermitteln."(...)
es mag ja sowohl in italien als auch anderswo integre beschäftigte der jeweiligen justiz geben, die sich tatsächlich einer - problematischen - abstrakten gerechtigkeit verpflichtet fühlen. karrierefördernd ist das allerdings in keinem fall, sondern unter dem aspekt ist eher das prinzip der drei affen empfehlenswert. und wie stark dieses prinzip weltweit verbreitet ist, lässt sich zb. hier nachlesen.
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was fällt mir zum abschluß von all den unerfreulichkeiten und zumutungen noch ein?
"Und doch wissen wir: Von solchen Leuten wird die Welt regiert.".
bleibt nur die frage: wann folgen aus diesem wissen auch die nötigen konsequenzen?
auch, wenn ich die fixierung auf die narzisstische ps (bzw. narzisstische störungen) nicht ganz überzeugend finde, denke ich doch, dass das ein spannender abend werden könnte:
(...)"Warum streben Menschen nach Macht? Was bewirkt Macht bei denen, die sie ausüben? Narzisstisch gestörte Menschen streben nach Macht, weil sie damit ihr mangelhaftes Selbstwertgefühl kompensieren wollen.
Umgekehrt nährt die Möglichkeit, Macht auszuüben, Größen- und Allmachtsphantasien. Auch die kollektive Identität großer Gruppen ist oft durch ein Gemisch aus Machtphantasien, Ohnmachtsvorstellungen, Grandiositätsideen und narzisstischen Kränkungen geprägt. An aktuellen politischen Beispielen wird gezeigt, wie kollektive Traumata und die damit verbundenen narzisstischen Kränkungen in kollektiven Demonstrationen der Macht ausagiert werden."(...)
das ganze findet am freitag um 20.00 im ärztehaus hamburg in der humboldtstr. 56 statt und kostet - leider - 10 € eintritt.
...und zwar schätzungsweise bis nächste woche, wenn ich wieder etwas zeit habe, ehe es hier weitergeht - dann u.a. mit der frage einer besucherin im gästebuch, wie ich den unterschied zwischen (asperger-)autismus und soziopathie begreifen würde. außerdem in planung: ein paar grundsätzliche gedanken zur menschlichen bösartigkeit.
...sagt Sauerwein über seinen Mandanten.
"Er kann Gefühle anderer nicht nachempfinden."(...)
so der - ehemalige - pflichtverteidiger des serientäters ronny rieken. nun ist so eine öffentliche aussage eines anwalts über einen ex-mandanten schon etwas außergewöhnliches; im folgenden soll es jedoch eher um das gehen, was anhand dieser geschichte wiedereinmal deutlich sichtbar wird - die hilflosigkeit und auch blindheit - als eine form von ignoranz begriffen - großer teile nicht nur dieser gesellschaft dem sog. bösen gegenüber.
(...)"Ronny hat ein Doppelleben geführt und uns alle getäuscht."(...)
und so wie die aussage eines familienmitgliedes klingt´s wohlbekannt auch in ähnlichen fällen -
beim damaligen beispiel hatte ich u.a. den schluß gezogen:
(...)"auffällig sind für mich u.a. die fast schon als klischeé anzusehenden aussagen über das "vertrauenswürdige" und "nette" auftreten des täters (gerne in diesem kontext auch "normal" und "unauffällig") - wie sie z.b. häufiger ebenfalls nach sog. amokläufen oder auch "banalen" mordgeschichten zu hören und zu lesen sind. möglicherweise ist dabei ein kern von wahrheit, der aber imo eher etwas über die wahrnehmungsfähigkeiten derjenigen aussagt, die solche bemerkungen wie zitiert von sich geben. eine vorläufige hypothese dazu könnte vielleicht so aussehen, dass die betreffenden regelmässig ihre informationen über andere menschen primär aus a) äusserlichkeiten und b) "normgerechten verhalten" (...) ziehen - was in der folge auch als konsequenz hätte (und vermutlich regelmässig hat), dass z.b. ein durch und durch soziopathischer mensch sein verhalten nur den jeweils gültigen konventionen angleichen muss, um überall in seinem tun zuverlässig ignoriert zu werden. wie finden Sie diese vorstellung?"(...)
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das stichwort ist gerade gefallen, und darum die frage: lässt sich rieken nicht nur als "gewöhnlicher" antisozialer, sondern als soziopath begreifen? das talent zum simulieren sowie der oben zitierte eindruck des anwalts geben dafür einige indizien, aber der verdacht erhärtet sich erst bei der folgenden aussage riekens:
(...)"Letztendlich ging es mir nur darum, das zu tun, was ich will, die Macht zu demonstrieren, dass ich tun und lassen kann, was ich will, ohne dass mich einer aufhalten kann", sagt er selbst. "Ich glaube nicht, dass ich eine Bestie bin, ich bin eigentlich in gewisser Weise ein ganz normaler Mensch, der nur nicht die Kontrolle über sich hat", sagt Rieken über sich selbst."(...)
die selbstwahrnehmung als "normaler mensch" lässt sich so interpretieren, dass er sich tatsächlich mindestens den größten teil seines lebens in dem bewußtseinszustand befunden haben muss, der im zitat durchschimmert: macht demonstrieren und "tun und lassen, was ich will". diese art "normalität" ist keinesfalls allein die seinige, und spätestens an diesem punkt wird´s für die restliche gesellschaft ungemütlich - in einem früheren kommentar zu einem prozeß gegen kindsmordende eltern hatte ich das bezgl. eines täters so ausgedrückt,...
(...)"...dass der angeklagte tatsächlich "nur" bestimmte (ideologische) grundsätze und (falsche) grundannahmen dieser gesellschaft konsequent "gelebt" bzw. angewendet hat: "der mensch ist prinzipiell egoistisch"; "man(n) muss seine ellenbogen einsetzen", "gut ist, was mir nützt" und dergleichen mehr. das ermordete kind wurde einfach als störendes und hinderliches ding auf dem weg zur jämmerlich reduzierten befriedigung wahrgenommen, und dementsprechend "behandelt" - was unterscheidet also das mörderische handeln dieser eltern eigentlich prinzipiell vom ebenso mörderischen handeln vieler staatlicher institutionen und großen unternehmen in dieser welt? in der rücksichtslosigkeit, kälte und vorgeschobenen behauptung "objektiver zwänge" sowie der völligen unterwerfung bzw. identitätskonstruktion unter und mittels herrschender ideologischer fragmente lassen sich für mich keine großen unterschiede feststellen."(...)
das ist der eine aspekt, der das "böse" wieder direkt an uns heranholt. der andere wird bei der weiteren lektüre des spon-artikels sichtbar:
(...)"In der Familie seiner Frau will niemand von Riekens grausamer Vergangenheit gewusst haben: Dass er seine zwei Jahre jüngere Schwester vergewaltigte, sie mit einem Gürtel mehrmals bis zur Bewusstlosigkeit würgte und dafür zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Wegen guter Führung wird er nach fast vier Jahren entlassen. Der Fall wird in den Akten unter "Familiensachen" abgeheftet, Rieken wird nicht als Sexualstraftäter registriert.
Auch weiß niemand, dass sein Vater im Gefängnis saß, weil er ein Mädchen vergewaltigte und sich an seinen eigenen Töchtern verging. Rechtsanwalt Sauerwein hat die Urteile im Strafverfahren gegen Riekens Vater studiert. Sein bestürzendes Fazit: "Ronny Rieken ging bei seinen Taten fast identisch wie sein Vater vor."(...)
ein völlig trostloser und extrem gewalttätiger familiärer hintergrund also, der einige rückschlüsse darauf zulässt, in welcher atmosphäre dieser mensch aufgewachsen ist (es wäre auch aufschlußreich, den umgang mit dem jungen rieken selbst zu kennen - was hat er da wie von seinem vater gelernt?) - eine atmosphäre, die bei alternativlosigkeit - und gekoppelt mit den unausgesprochenen ideologischen maximen dieser gesellschaft - durchaus als "normal" empfunden werden kann. dazu kommt die pseudobewältigung seitens der justiz, die einmal mehr die untauglichkeit ihrer mittel gegenüber solchen destruktiven antisozialen verhältnissen unter beweis stellt - eine wirksame isolierung ist bei solch kaputten menschen wie rieken durchaus angebracht, und zwar aus gesellschaftlichen selbstschutzinteressen heraus - aber eine "bestrafung" ist bei solchen persönlichkeiten und ihren taten regelmäßig mit dem eindruck von unangemessenheit und vor allem unwirksamkeit verbunden. eher ein placebo für die gesellschaft, das damit verabreicht wird. eine gesellschaft, die erstens ihre eigene produktion des "bösen" mittels destruktiver sozialer verhältnisse konsequent leugnet und zweitens auch mehrheitlich weiter kein bewußtsein dafür besitzt, wie verheerend menschen mit schwer geschädigter psychophysischer struktur tatsächlich agieren können.
und solange das so bleibt, wird es auch weiterhin die beliebte rede vom "schier unbegreiflichen" und quasi metaphysischen "bösen" geben - um sich selbst und die verhältnisse ja nicht ändern zu müssen.
(ps: zum unterschied zwischen verständnis und akzeptanz schreibe ich an dieser stelle nichts mehr).
in kürze einige leseempfehlungen: die überwachungsmanie in großbritannien treibt weitere schlechtriechende blüten. die routinemäßige implantierung von rfid-chips in den menschlichen körper ist dann tatsächlich einer der nächsten logischen schritte, wenn solche projekte geschluckt werden.
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bekanntlich gab und gibt es einigen staatlichen wirbel um die sog. "militante gruppe", der im juli zu einer verhaftungsaktion mit größerem öffentlich-medialen echo geführt hat. "anna", die freundin eines der angeblichen "terroristen", schreibt nun aus ihrer persönlichen perspektive ein blog, in dem die realität und die formen staatlicher paranoia sehr anschaulich nachvollziehbar gemacht werden. absolut wichtiges blog!
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eine ebenfalls wichtige und empfehlenswerte diskussion über zwischenmenschliche bösartigkeit und ihre herkunft läuft gerade bei citronengras. weitere einmischungen sind willkommen.
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und zum schluß in eigener sache nur noch der hinweis, dass der beitragsindex mal wieder aktualisiert ist - wer also heute langeweile verspürt, kann dort ruhig herumstöbern.
im september gab es in der "arge" in aachen eine gimpflich verlaufene situation, während der zwei dortige sachbearbeiterInnen von einer erwerbslosen frau mit einer luftdruckwaffe bedroht wurden - aus dem polizeibericht:
(...)"Nach ersten Ermittlungsergebnissen kam die Tatverdächtige zusammen mit einem 66-jährigen Begleiter in das Büro des Geschädigten und verlangte Geld oder Lebensmittelgutscheine. Als ihr dies verwehrt wurde, bedrohte die Täterin den ARGE-Mitarbeiter mit vorgehaltener Waffe."(...)
es ist nicht nur eine spekulation, dass sich derartige geschichten seit ein paar jahren - ohne große mediale beachtung, was sich in diesem fall auch mit dem staatlichen interesse decken dürfte - häufen - eine zahl alleine für die stadt hamburg:
(...)"Hinzu kamen allein im vorigen Jahr 1268 Übergriffe auf Mitarbeiter der Job-Center der Arbeitsgemeinschaft Arge, die Hartz-IV-Empfänger betreuen."(...)
und es scheint logisch zu sein, dass nicht alle betroffenen der repressiven staatlichen arbeitslosenverwaltung die überall vermittelte unausgesprochene botschaft "du / ihr seid überflüssig" bis zur letzen konsequenz des suizids in die tat umsetzen (was medial ebenfalls gerne beschwiegen wird), sondern sich jeweils auch so bedrängt / berechtigt / getrieben fühlen, in ihrem sinne zurückzuschlagen. das muss niemand im einzelfall akzeptabel finden, allerdings können vermutlich sehr viele betroffene der antisozialen politik ein solches handeln zumindest nachvollziehen. so weit, so bezeichnend für die derzeitigen verhältnisse.
was aber passieren kann, wenn erwerbslose (und andere betroffene) laut über aktionen wie die eingangs erwähnte nachdenken, und sich dabei eben auch u.u. in die täterin versetzen können, ist derzeit thema im erwerbslosen-forum - die aachener staatsanwaltschaft ermittelt gegen einzelne userInnen im forum wg. "volksverhetzung":
(...)"Am Dienstag wandte sich der Staatsschutz an das Erwerbslosen Forum Deutschland und begehrte die Daten von einigen Nutzern des Online-Forums, die sich dazu öffentlich geäußert hatten."(...)
im sinne der staatlichen paranoia ist das nur logisch - wenn sich vorfälle wie solche in aachen häufen und herumsprechen, könnte das eines tages mindestens zu hochsichherheitstrakten in den "jobcentern" führen, was auch die motivation der dort arbeitenden nicht unbeeinflusst lassen dürfte. was allerdings die verfolgung der bloßen äußerung von verständnis für derartige aktionen betrifft, dürfte das in der jetzt vorliegenden form ein neues kapitel in der unrühmlichen geschichte der durchsetzung antisozialer politik mit immer weiteren repressiven mitteln darstellen. ich schätze und hoffe, dass ich nicht der einzige sein werde, der diese geschichte weiter aufmerksam beobachtet. für die anstehende juristische auseinadersetzung gibt es übrigens seitens des forums einen spendenaufruf.
...und dann ist es soweit - an dieser stelle noch einmal die einladung für alle interessierten, die es ohne größere umstände nach bremen in die schwankhalle schaffen können:

leider wird frau mutant nicht lesen, aber auch so kann ich ein abwechslungsreiches - und auch informatives - programm versprechen. vermutlich wird´s nächste woche hier eine kleine rückblende geben.
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in kurzform: schön war´s! und meine aufregung hat sich auch im rahmen gehalten *g* dazu war´s mal eine interessante erfahrung, von einem grellen spot angestrahlt auf einer bühne zu stehen - und nichts und niemand mehr sehen zu können. ausführliche eindrücke gibt´s drüben beim spielverderber.
eine meldung von 2006:
(...)"Der 14 Jahre alte Martin Anderson kam am 5. Januar in das Bay County "Boot Camp" in der Nähe von Panama City im US-Bundesstaat Florida, nachdem er gegen seine Bewährung für das Entwenden des Autos seiner Großmutter verstoßen hatte. Schon an diesem ersten Tag brach er zusammen und starb, während er gezwungen wurde, Runden zu laufen. Der Leichenbeschauer von Bay County, Dr. Charles Siebert, attestierte später eine natürliche Todesursache, die er darauf zurückführte, daß der Junge "Überträger" der genetischen Erkrankung der Sichelzellenanämie - aber eben nicht selbst daran erkrankt - war.
Kürzlich gelangte nun aber eine Aufzeichnung einer Überwachungskamera innerhalb des "Boot Camps" an die Öffentlichkeit. Darin ist zu sehen, wie 7 der "Ausbilder" auf den schlaffen Körper des Jungen einschlagen. Daneben stand eine Krankenschwester und schaute mit den Händen in den Hüften tatenlos zu."(...)
eine präzisere beschreibung:
(...)"Eine Überwachungskamera nimmt die nun folgende Auseinandersetzung zwischen den Aufsehern und dem Jugendlichen auf. Sie dokumentiert die Agonie eines Teenagers, der hilflos der Willkür seiner Bewacher ausgesetzt ist. Sieben Männer umkreisen Martin Lee, treten und schlagen ihn. Die Aufseher zwingen ihn, Ammoniak aus Kapseln zu inhalieren, indem sie ihm den Mund zuhalten. Die Beine des Jungen geben nach, immer wieder wird er hochgerissen.
Eine dralle Krankenschwester steht direkt daneben und beobachtet, wie der Junge mehrfach kollabiert. Mit in die Hüften gestemmten Händen umkreist sie den Ort des Geschehens, scheint eher gelangweilt als alarmiert. Quälend lang wiederholt sich die Prozedur, bis plötzlich so etwas wie Unruhe in der Gruppe aufkommt. Die Krankenschwester bequemt sich, den am Boden Liegenden näher zu betrachten."(...)
nachdem die mutter des jungen einen prozeß erwirken konnte, hat nun ein gericht in panama city...
(...)"...die sieben Wachleute und die Krankenschwester heute vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen. Rund eineinhalb Stunden brauchte die Jury, die nur aus Weißen bestand, um zu ihrer Entscheidung zu kommen. Die Mutter des Jungen verließ nach dem Urteilsspruch der Geschworenen empört den Gerichtssaal. "Ich kann meinen Sohn nie mehr sehen. Das Urteil ist falsch", rief sie. Ihr Anwalt, Benjamin Crump, sagte anschließend zu Journalisten: "Wenn du einen Hund tötest, kommst du ins Gefängnis. Wenn du einen kleinen schwarzen Jungen tötest, passiert nichts."(...)
was nur ein weiteres bezeichnendes schlaglicht besonders auf den umgang mit schwarzen kindern in den usa wirft.
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es wäre nun als dringlichstes an der zeit, wenigstens die unsitte der "bootcamps" abzuschaffen, über die anläßlich des prozesses schon einmal gewußtes wieder bekannt wird:
(...)"Parallel zum Prozess hat der US-Kongress einen neuen Bericht vorgelegt, in dem noch einmal die ganze Grausamkeit der Erziehungsmethoden in Boot-Camps offengelegt wird: Demnach gab es allein im Jahr 2005 mehr als 1600 dokumentierte Fälle von Kindesmissbrauch. Zehn Kinder seien seit 1990 in Boot Camps oder vergleichbaren Institutionen ums Leben gekommen."(...)
(wobei mir die letztere zahl zu niedrig vorkommt, was aber bei offiziellen berichten auch nix neues wäre - im netz kursieren jedenfalls berichte, die von 30 toten seit 1980 ("new york times") bis zu über 50 ausgehen, incl. einer dunkelziffer).
und auch die praktiken sind bekannt:
(...)"Kinder werden gezwungen, ihr eigenes Erbrochenes zu essen, in Urin oder Kot zu liegen. Sie werden getreten, geschlagen und zu Boden geworfen", berichtet ein Ermittler des US-Kongresses, Gregory Kutz (...)".
aber die absicht, kinder bzw. jugendliche durch das brechen ihres noch in der entwicklung befindlichen selbst zu - aus sicht der quäler - "besseren", sprich fügsamen und innerhalb der herrschenden ordnung funktionierenden menschen zu machen, habe ich früher schon einmal so kommentiert:
(...)"einen sehr, sehr finsteren aspekt habe ich - unzulässigerweise, wie ich finde - auf das militär beschränkt. und zwar einfach die sehr reale variante, dass das brechen gerade, aber nicht nur, von kindlichen persönlichkeiten von denjenigen gewollt und propagiert wird, die selbst in unbeschreiblicher art davon wissen, dass sie auf diese weise erstens eine art sklaven zur persönlichen verfügung bekommen (die eher innerfamiliäre variante), und/oder von den heute herrschenden a-sozialen gesellschaftlichen machtverhältnissen profitieren und ebenfalls wissen, dass eingeschüchterte, verängstigte und zur freien kollektivität unfähige menschen keine bedrohung für den status quo darstellen (diejenigen, die auf die gewalt selbst mit gewalt reagieren, können ebenfalls instrumentalisiert werden - so funktioniert das militär - oder aber sind eine aufgabe für die repressionsapparate und geben dazu noch prächtige gesellschaftliche feind- und schreckbilder ab)."(...)
und da ich leider keinerlei gründe sehe, von dieser einschätzung abzugehen, wird uns diese institutionalisierte und auch für die jeweiligen betreiber profitable form der gewalt gegen kinder und jugendliche vorläufig vermutlich weiter begleiten - bis beim nächsten toten die gleichen schlagzeilen wie jetzt zu lesen sein werden.
in den kommentaren zu einem beitrag weiter unten wurde dankenswerterweise auch ein link auf einen artikel von steve wright, medikamente als waffen, gepostet. als ich den damals gelesen hatte, dämmerte mir die erinnerung an eine broschüre der deutschen gesellschaft für soziale psychiatrie aus dem jahr 1983 mit dem titel "panikpersonen sofort eliminieren! über die pläne der militärpsychiatrie, die ordnung des staates zu sichern (...)"
in dieser inzwischen vergriffenen und nur schwer aufzutreibenden broschüre (nur wildwuchs besitzt anscheinend auch noch ein exemplar, und gibt in ihrem artikel einen empfehlenswerten überblick zum inhalt) wird ganz gut deutlich, dass es sich bei den gedanken zum quasimilitärischen einsatz von psychopharmaka (und anderen medikamenten) erstens keinesfalls um überlegungen aus den letzten jahren handelt; und zweitens kann sie auch mit einigen mythen über "die gute alte zeit der alten brd" aufräumen - die entwicklungen, die wir heute wahrnehmen müssen, sind eben kein bruch und etwas qualitativ neues, sondern fußen allesamt auf der vergangenheit. darum finde ich diesen kurzen ausflug in die historie auch ganz angebracht. zumal zu bedenken ist: wer schon damals keinerlei skrupel hatte, eine verängstigte bevölkerung im falle des falles mit psychopharmaka zu traktieren, wird sich in der heutigen zeit erst recht nicht zurückhalten.

in der broschüre jedenfalls ist u.a. die nebenstehende anzeige aus der "Deutschen Apothekerzeitung" vom juli 1982 abgedruckt - mit folgenden anmerkungen:
"Für den, der die Präparate nicht kennt: Bei Diazepam handelt es sich um Valium, bei Droperidol und Haloperidol um starke Beruhigungsmittel, die bei massiven psychischen Störungen angewandt werden. Unseren Berechnungen nach können allein mit den Valium-Mengen die 230.000 Einwohner von Lübeck mindestens für einen Tag `flachgelegt´ werden.(...)
Auf die Frage nach dem Zweck von solchen Unmengen Beruhigungsmitteln erklärte das Bundesinnenministerium u.a.: `Haloperidol wird benötigt zur Behandlung akuter Erregungszustände bei Einzelpersonen, die ansonsten sich und andere gefährden würden.´ Im 1981 erschienenen Leitfaden für die ärztliche Versorgung im Katastrophenfall (Herausgeber: Bundesinnenministerium) kann man es genauer nachlesen: `...können auch laute Befehle und hartes Angreifen das Verhalten nicht beeinflussen, muß man den Erregten (...) festhalten, wenn möglich ihn außer Sicht bringen und ihm ein kräftiges, angstreduzierendes Beruhigungsmittel spritzen.´ An anderer Stelle heißt es: `Panikstifter müssen so schnell wie möglich isoliert und ruhiggestellt werden.´ Offensichtlich rechnen das Innenministerium und die verantwortlichen Stellen mit einer großen Anzahl erregter Menschen.(...)"
("panikpersonen sofort eliminieren!"; s.2)
wenn Sie sich nun einmal die in den links angegebenen (neben-)wirkungen der beiden neuroleptika anschauen, und dazu die medizinischen empfehlungen für den einsatz von haloperidol, wird zum mindesten eine art vabanque-spiel der damaligen verantwortlichen deutlich: im einsatzfall hätte die wahrscheinliche nichtberücksichtigung der obigen punkte bei den betroffenen zu schweren schäden führen können. dazu ziehen die autoren der broschüre damals den vermutlich zutreffenden schluß, dass eine derartige bevorratung mit hochpotenten psychopharmaka keinesfalls alleine hinsichtlich sog. ziviler katastrophen sinn macht, sondern speziell für den spannungs- bzw. kriegsfall gedacht ist/war. dazu präsentieren sie dann viele belege besonders aus der damaligen militärpsychiatrie, bei denen deutlich wird, dass mit dem begriff "panikpersonen" auch und bevorzugt politisch bzw. als solche verstandene oppositionelle gemeint waren - ein beispiel:
(...)"Als Panik nach vorn, so das Bundesministerium der Verteidigung 1962, `kann ferner jede gewalttätige Meuterei bezeichnet werden. Wie das Wort schon sagt, wird aus der Truppe dann eine Meute, die sich, statt auf den Feind, auf den Vorgesetzten stürzt´."(...)
(s.4)
(was daran nun so verwerflich sein soll, wissen nur die herrschenden "eliten"...) - aber im ernst: der panikbegriff, der dort sichtbar wird, ist ein hochgradig verzerrter mit schwerpunkt auf vermuteten und/oder tatsächlichen angriffen auf verschiedene aspekte der herrschenden gesellschaftsordnung.
neben dem sog. verteidigungsfall dürften auch die planspiele im hinblick auf mögliche atomare katastrophen einen ähnlichen schwerpunkt besitzen - ein indiz dafür könnte die folgende kleine meldung darstellen:
"Bonn: Zivilschutz testet Drogen gegen Angstreaktionen. Der Münchner Psychiatrieprofessor Hippius untersuchte im Rahmen eines von 1986 bis 1992 laufenden Forschungsvorhabens im Auftrag des Bundesamtes für Zivilschutz die Eignung von Psychopharmaka für die Angstbewältigung im Katastrophenfall. Das bestätigte das Bundesinnenministerium im August 1989."
1986 war bekanntlich für die atomindustrie ein spezielles jahr...sollen wir den zeitlichen zusammenhang nur als zufall betrachten?
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ich schrieb von "historie", und speziell für das oben dargestellte dürfte das in einem gewissen sinne auch gelten. wie einem artikel der zeitschrift des "bundesverbandes der apotheker im öffentlichen dienst" aus dem jahre 2002 zu entnehmen ist, ist die oben thematisierte bevorratung mitte der 1990er jahre vorläufig eingestellt worden:
(...)"Die Bevorratung mit Sanitätsmaterial für die medizinische Notfallvorsorge im Rahmen des Zivilschutzes ist seit der Mitte der 90er-Jahre durch die Bundesregierungen aus Kostengründen abgeschafft worden. Diese Massnahme wurde mit dem Wegfall der äusseren Bedrohung seit der Beendigung des Ost-West-Konfliktes begründet. Der ersatzlose Wegfall der Sanitätsmittelbevorratung des Bundes wird zur Zeit in keiner Weise flächendeckend durch adäquate Vorsorgemaßnahmen der Bundesländer für die friedenszeitliche Notfallvorsorge kompensiert. Die Bundesländer haben in der Vergangenheit keine wesentliche Bevorratung für den Katastrophenschutz betrieben, da sie sich in ihren Vorsorgeplanungen bis 1995 stets auf Zivilschutzvorräte stützen konnten."(...)
was nicht heißt, dass es im falle des falles nicht wieder sehr schnell gehen könnte:
(...)"Um die vermeintliche Entbehrlichkeit von medizinischen Notfallvorräten zu begründen wurde auch auf die Vorräte bei der Industrie, den Händlern und Apotheken verwiesen, die man im Bedarfsfall nur zusammenführen müsse."(...)
was der autor durchaus als nicht ausreichend empfindet. an dieser stelle werde ich aber das gefühl nicht los, dass die erwähnten defizite vielleicht die allgemeinmedizinische versorgung der bevölkerung im katastrophenfall betreffen könnten - das ganz oben erwähnte jedoch lässt sich in der logik des herrschenden als unter sicherheitsaspekten besonders relevant begreifen, und ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass hinsichtlich von echten oder vermeintlichen notwendigkeiten aus dieser perspektive keine prioritäten gesetzt werden.
und dann kommt der autor mit tönen, die inzwischen bis zum verdruß nur allzu bekannt sind:
(...)"Die Ereignisse der letzten Wochen zeigen uns, dass die alten Denkmuster von äusserer und innerer Bedrohung nicht mehr zeitgemäss und ganzheitliche Konzepte erforderlich sind. Sie machen inzwischen auch der Bevölkerung deutlich bewusst,
* dass wir nicht ungefährdet in einer friedvollen und heilen Welt leben,
* dass die Potenziale der Bedrohung der Bevölkerung durch Terrorismus viel grösser sind, als allgemein angenommen wurde,
* dass die allgemeine Sicherheitslage in den vergangenen 10 Jahren zu optimistisch eingeschätzt wurde,
* dass unsere Vorsorgemassnahmen zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung bei Katastrophenfällen in der Vergangenheit kontinuierlich reduziert wurden und nicht mehr ausreichend sind,
* und in welchem Ausmass sowohl die professionellen als auch die ehrenamtlichen Rettungskräfte bei ihrer Arbeit selbst gefährdet sind."(...)
kommt einem diese argumentation nicht verdammt bekannt vor? es wäre sehr aufschlußreich zu wissen, ob, was und wieviel inzwischen wieder an medikamenten "bevorratet" wird. und wie hoch dabei der anteil von psychopharmaka ist.
die schriftstellerin anna mitgutsch bespricht im standard das buch gefühle in zeiten des kapitalismus, und fällt dabei meiner meinung nach gemeinsam mit der autorin eva illouz dem schein zum opfer:
"Wie die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrem Buch (...) nachweist, bestimmt der psychotherapeutische Diskurs mit seiner Betonung auf Emotionen den öffentlichen Raum und die Arbeitswelt - und zwar nicht nur in Form einer wahren Flut an Ratgeberliteratur sondern auch als Stil im Management. Gleichzeitig stellt sie eine emotionale Verarmung des Privaten fest."(...)
wobei es sich dabei eher um einen scheinwiderspruch handelt: was diese angeblichen "emotionen" tatsächlich sind, lässt sich bspw. hier und hier nachlesen - inszenierungen des authentischen, die in form von ökonomisch nutz- und instrumentalisierbaren simulationen daherkommen und sich bei dominanz auch im sog. "privaten" als symptom einer grundsätzlich geschädigten psychophysischen menschlichen struktur begreifen lassen.
im folgenden greift mitgutsch dann einen punkt heraus, den ich als "negative psychologisierung" bezeichnen würde, und zu dem sie aus einer bestimmten perspektive einiges richtige anmerkt:
(...)"In einer Gesellschaft, deren größte Anliegen Wellness und Fitness des Einzelnen sind und die es zum moralischen Imperativ macht, unter allen Umständen nach dem eigenen Wohlbefinden zu trachten, wird alles, was dieses Wohlbefinden durch ein Abweichen von der angestrebten Normalität stören könnte, als Behelligung, ja geradezu als Vergehen empfunden."
"wohlbefinden" ist allerdings ein wischi-waschi-wort, denn es sagt überhaupt nichts über den kontext aus, in dem sich das wohlbefinden einstellt. will sagen: wenn es eine mehr oder weniger große zahl vom menschen gibt, die unter "wohlbefinden" ihr reibungsloses funktionieren innerhalb des vorgegebenen und -gefundenen systems verstehen, dann kann wohlbefindlichkeit kein ernsthaftes kriterium für gesundheit mehr sein. überspitzt gesagt, reden wir dann über das wohlbefinden einer monade, die vor allem authentisch-lebendigen ausdruck pure angst verspürt. erst aus dieser perspektive macht das folgende dann tatsächlich sinn:
(...)"Die Psychologisierung, die den Einzelnen und sein unmittelbares Umfeld als Fall betrachtet und größere gesellschaftliche Strukturen vernachlässigt, hat auch soziale Ungerechtigkeit ins Private verkehrt. Damit ist jeder, der zu den Verlierern zählt, jeder, der von den Normen abweicht, nicht nur krank und therapiebedürftig, sondern auch selber daran schuld und verdient daher weder Mitgefühl noch Hilfe, es sei denn in Form der Psychotherapie.
Wie Susan Sontag und Michel Foucault zeigten, münzt die Gesellschaft Krankheit leicht zum Verbrechen um. In einer Zeit, in der politische Korrektheit die Sprache zu so mancher Verrenkung zwingt, werden Abweichungen von der Norm unreflektiert polemisch als Krankheit definiert und als Instrumente verbaler Ausgrenzung verwendet.
So wird jeder, der sich dem Druck ständiger Verfügbarkeit entzieht, als "Autist" bezeichnet, jedes nicht eindeutige Verhalten als "schizophren", jede Marotte als "psychisch gestört" und Menschen, die auf ihrer Unangepasstheit verharren als "borderline". Die von einer Erkrankung des Nervensystems tatsächlich Betroffenen werden als Soziopathen diffamiert.
Die Gleichsetzungen von gesund mit leistungsfähig und daher wertvoll, und im Gegenzug dazu: unangepasst mit psychisch krank und nutzlos, sogar potenziell kriminell, gehörten allerdings bereits zu den Denkmustern des Nationalsozialismus."
ja. eine solche psychologisierung (oder auch psychiatrisierung) gibt es. aber wie oben schon gesagt, sitzt mitgutsch dabei dem erwähnten scheinwiderspruch auf und kann deshalb die wichtige andere seite der medaille nicht berücksichtigen - gerade in bezug auf die ns-psychiatrie hatte ich das in der vergangenheit so zusammengefasst:
(...)"nun ist eine bestimmte art von "funktionsfähigkeit" ja auch immer wieder thema hier im blog - die "funktionsfähigkeit", die sich in mehr oder weniger reibungsloser anpassung und kompatibilität gerade mit anonymen, mechanischen, bürokratischen und auch mörderischen institutionellen apparaten ausdrückt. was hier wiederum früher bereits als ein schwerwiegendes indiz auf die dominanz des objektivistischen modus bei einem menschen skizziert worden ist. und auch bezgl der sehr wahrscheinlichen psychopathologie hitlers drängt sich zu dieser ganzen geschichte eine frage besonders auf:
waren (und sind) diejenigen, die ihre definitionen von "leistungs- und arbeitsfähigkeit", "lebensunwert" etc. als trennlinie benutzten, um die von ihnen so definierten "asozialen", "psychopathen", "gemeinschaftsunfähigen" etc. auszuselektieren, tatsächlich die weitaus gefährlicheren ver-rückten? lässt sich die these aufstellen, dass bei ihnen zumindest z.t. auch schlichte projektion bei der auswahl der opfer beteiligt war? neben einer hemmungslosen bereitschaft zur unterwerfung unter angemaßte autoritäten, die sich als impliziter selbstverrat bzw. als unfähigkeit, sich selbst als eigene persönlichkeit überhaupt wahrzunehmen, darstellt? empathielosigkeit und extrem verdinglichende wahrnehmung jedenfalls sind eigenschaften, die wir den tätern mit berechtigung attestieren dürfen - und wenn ein technokrat wie der oben erwähnte k. (ich kenne einiges, auch nicht öffentlich zugängliches, biographische material zu und von ihm, welches ich hier leider nicht vorstellen kann) die todeskandidatin als autistisch beschreibt, so scheint mir das eine bitterböse ironie zu sein - k. lässt sich durchaus selbst als eine, allerdings wesentlich bösartigere, zumindest funktionell autistische person begreifen - und das lässt sich nicht nur bei ihm als starker verdacht formulieren.
in früheren beiträgen wurde hier ja schon auf das modell von zwei qualitativ unterschiedlichen formen psychotischer weltwahrnehmung verwiesen, welches mit teils unterschiedlichen begründungen und auch unterschiedlicher terminologie bspw. bei theweleit, mertz und arno gruen als these zu finden ist. wobei nur eine dieser formen - diejenige, die offensichtlich gegen die "objektiven realitätskriterien" z.b. mittels halluzinationen verstößt - von der etablierten psychiatrie und psychologie als psychose benannt wird. während sich die andere eben u.a. durch funktionsfähigkeit und simulierte emotionalität, in krasser form als völlig simulierte lebendigkeit, auszeichnet."
zusammengefasst: ich sehe absolut keinen grund dafür, warum funktionelle oder strukturelle antisoziale persönlichkeiten mit durchschnittlichen simulativen fähigkeiten nicht auch psychiatrische diagnosen in ihrem sinne - der sich meistens mit kontroll- und machtambitionen fassen lässt - instrumentalisieren sollten (so etwas vermute ich ja auch bei den diskussionen und maßnahmen seitens der regierungen von frankreich und großbritannien bezgl. "antisozialen verhaltens"). wieder überspitzt gesagt, ist zb. das szenario überhaupt nicht abwegig, dass eine blande (und antisoziale) borderlinepersönlichkeit (die reibungslos funktionieren kann) in einer beliebigen funktion innerhalb der orthodoxen psychiatrie andere menschen, die bspw. durch ein trauma auch symptome aus dem diagnostischen katalog der bl-störung zeigen, mit ihren mitteln (der diagnose und therapie) in eine gesellschaftlich ausgegrenzte position zwingen kann. und all das lässt eben keineswegs den schluß zu, den ich bei mitgutsch implizit durchschimmern sehe: dass es nämlich "eigentlich" gar keine probleme mit "psychischen erkrankungen" gäbe, weil sie letztlich alle nur konstruktionen zur ausgrenzung seien. davor kann ich zum wiederholten male nur warnen
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eine andere schriftstellerin, juli zeh nämlich, hatte ich vor längerer zeit in einem beitrag mal heftig gedisst. nun schreibt sie zur geplanten ärztlichen meldepflicht für "selbstverschuldete erkrankungen" ebenfalls etliches, was ich (wieder mit einschränkungen, dazu gleich mehr) unterschreiben kann - auszüge:
(...)"Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet an einer Gesetzesinitiative, die Ärzte verpflichten soll, unter Aufhebung der Schweigepflicht bestimmte Patienten bei den Krankenkassen zu melden. Und zwar solche Patienten, die an ihrem jeweiligen Leiden selbst schuld sind. Als Beispiele werden die Folgen von Tätowierungen, Piercings oder Schönheitsoperationen genannt. Die Begründung dieser absurden Idee liest sich wie ein Lehrbuchbeispiel für politische Scheinlogik unter Zugrundelegung verdrehter Prämissen. Eine Nasenoperation stelle einen Eingriff dar, der medizinisch nicht indiziert und vom Patienten frei gewählt sei. Wenn dabei etwas schief gehe, habe der Patient für Folgeschäden konsequenterweise selbst aufzukommen.(...)
Die Regierung hat nicht weniger vor, als das Privateste, Intimste, das uns zu eigen ist, zur Staatssache zu erheben: den menschlichen Körper. Dabei wird die Idee einer flächendeckenden (von Beitragszahlern finanzierten!) Krankenversicherung in ihr Gegenteil verkehrt. Nicht das Krankenkassensystem schuldet uns Beistand in der Not - sondern wir schulden dem System die unbedingte Aufrechterhaltung unserer Gesundheit! Diese neue, fiktive Bürgerspflicht gibt dem Staat ein Machtinstrument an die Hand, welches auf fatale Weise an Huxleys Brave New World erinnert. "Krankheit" wird potenziell mit "Schuld" identifiziert, und um innerhalb dieses Zusammenhangs die Spreu vom Weizen zu trennen, bedarf es einer perfiden Form von Selektion.
Tätowierte, Gepiercte und Schönheitsoperierte, lehrt uns der Gesetzesentwurf, gehören schon mal zu den schwarzen Schafen. Auch Patienten, die sich durch ein von ihnen begangenes Verbrechen oder Vergehen selbst geschädigt haben, sollen laut der neuen Initiative gemeldet werden. Wer also beim Kirschenklauen vom Baum fällt, sollte fürderhin besser keinen Arzt aufsuchen, da dieser den medizinischen Fall nicht vertraulich behandeln könnte und die entstandenen Kosten ohnehin nicht von den Kassen gedeckt würden. Und um die neue staatliche Zugriffsgewalt endgültig in ein weites Feld zu verwandeln, soll die Meldepflicht generell für Krankheiten gelten, die sich der Patient "vorsätzlich" zugezogen hat.
In der Sprache der Juristen bedeutet einfacher Vorsatz, eine bestimmte Folge "billigend in Kauf zu nehmen". Nimmt also der Raucher den eventuellen Lungenkrebs billigend in Kauf? Der Alkoholiker die Leberzirrhose? Der Schokoladenliebhaber sein Übergewicht? Der Homosexuelle die mögliche AIDS-Infektion? Der Skifahrer den Beinbruch, der Fußballspieler den Bänderriss, der Autofahrer das Schleudertrauma? Und wie haben wir uns das Antlitz eines Behördenapparats vorzustellen, der in all diesen Situationen das Urteil "schuldig "oder "unschuldig" fällt?"
(was mir nicht nur bei ihren analogien und beispielen auffällt, ist die tatsache, das niemand der bisherigen öffentlichen kritikerInnen dieses kontrollprojektes das eigentlich naheliegendste sieht: den arbeitsunfall. "wie, du möchtest dir über das existenziell notwendige heraus weitere dinge kaufen und machst dafür im rahmen der (zwangs)lohnarbeit womöglich überstunden mit der folge eines unfalls? das ist vorsätzliche selbstschädigung...!" - deutlicher lässt sich der grad von absurdität und willkür, den inzwischen viele staatliche projekte anscheinend mühelos erreichen, kaum deutlich machen).
"Auf jeden Fall hässlich. Es wäre ein Staat, der seinen Bürgern vorschreibt, auf welche Weise sie mit ihrem Ureigensten, ihrer höchstpersönlichen Physis zu verfahren haben - beim Sex, beim Sport, beim Essen, beim Glühbirnenwechsel im Badezimmer - letztlich bei jeder denkbaren Alltagsbewegung. Nicht ohne Grund verfügen wir über ein Rechtssystem, das es bei Strafe verbietet, andere Menschen zu verletzen oder auch nur zu gefährden, während Selbstgefährdungen bis hin zur Selbsttötung straflos bleiben. Die Kernidee der Demokratie wurzelt in jenem kleinen, intimen Bereich, in dem der Mensch frei ist, also die volle Hoheitsgewalt über sich selbst besitzt."(...)
um mißverständnisse zu vermeiden, als erstes mal folgendes: ebenso wie die weiter oben schon erwähnten staatlichen projekte gegen "antisoziales verhalten" in mehreren europäischen staaten, ist die angesprochene geplante hiesige meldepflicht aus meiner sicht abzulehnen. was mich aber bei zehs argumentation stört, ist etwas ähnliches wie bei dem text von anna mitgutsch oben:
- "demokratie" und rechtssystem werden als eigentlich "gut" und (bisher) "funktionierend" vorausgesetzt. das ist aus meiner sicht schlicht die verwechselung einer in den letzten jahrzehnten im sog. "freien westen" leidlich funktionierenden simulation von demokratie und rechtsstaat mit der tatsächlichen realität. "andere menschen zu verletzen oder auch nur zu gefährden" ist seit eh und je ein "recht", welches sich die "eliten" aller coleur als "naturgegebenes" ohne weiteres herausnehmen, wenn´s ihnen gerade in den kram passt (und damit natürlich auch für etliche ihrer untertanen ein schlechtes beispiel geben).
- die postulierte "hoheitsgewalt über sich selbst" halte ich ebenfalls für ein abstraktes konstrukt, welches sich bei näherer betrachtung durchaus im rahmen der herrschenden systemlogik bewegt - die angesprochenen "eliten" nehmen diese hoheitsgewalt ja weiter für sich selbst in anspruch; sie ist gleichfalls immanenter teil des (falschen) westlichen menschen- und selbstbildes, und sie ist zunehmend gekoppelt mit der ökonomischen leistungsfähigkeit eines individuums, was gleichzeitig auf ihre wahrscheinliche basis verweist: eine allgemeine und alltägliche praxis der dissoziation. anders: wenn die postulierte hoheitsgewalt über das "eigene" selbst bereits auf einer pathologisch entgleisten realität aufbaut, halte ich es für nicht empfehlenswert, totalitäre tendenzen mit elementen der gleichen pathologischen logik zu kritisieren, die eben auch dieses totalitäre hervorbringt. ist das verständlich?
- stichwort tattoos und piercings: wie im verlinkten beitrag zu sehen, halte ich das keinesfalls in allen fällen für eine harmlose mode. eher kann es sich dabei ohne weiteres auch um symptome für psychophysische störungen handeln, die bis zur realen antisozialität gehen können. mir fehlt bei zehs argumentation daher auch die aussage, dass es sich bei den betroffenen der staatlichen kontrolle eben nicht nur um opfer handeln könnte. warum ich allerdings die heutigen etablierten staatlichen und sonstigen institutionalisierten gesellschaftlichen apparate durch die bank für ungeeignet (und auch nicht befugt) halte, gegen reales antisoziales verhalten vorzugehen, habe ich an verschiedenen stellen schon öfter deutlich gemacht. und was aus meiner sicht die vielversprechendste alternative zu all dem mist sein könnte? freiwillige kollektive, gebildet aus psychophysisch tatsächlich gesunden - liebes- und beziehungsfähigen - menschen, die sich selbst nach den prinzipien der selbstregulation organisieren. mit weniger sollte sich niemand zufriedengeben.
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zum schluß noch etwas wirklich ärgerliches:
(...)"Der Ulmer Hirnforscher Manfred Spitzer und der Zürcher Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr glauben, dass Menschen tatsächlich nur dann brav sind, wenn ihnen auf die Finger geschaut wird. »Alle bekannten Gesellschaftsordnungen gründen darauf, dass die Verletzung sozialer Regeln bestraft wird«, schreiben sie diese Woche in der Fachzeitschrift Neuron. Nur wenn Strafe droht, kontrollieren wir die spontanen Regungen und verhalten uns regelkonform: Eigennutz ist der vorherrschende Impuls."(...)
dazu verweise ich nur hierauf...
(...)"der schlechte witz an dieser schon tausendmal gehörten falschen gleichung "der mensch (was nebenbei auch die unterschiedlichen rollen von männern und frauen bei diesem trostlosen spielchen unsichtbar macht) = grundsätzlich bestie = muss sich selbst mit verstand und rationalität quasi selbst zügel anlegen und züchtigen, was sich leider niemals hundertprozentig umsetzen lässt= das chaos sickert durch" besteht darin, dass es sich tatsächlich um eine selbsterfüllende prophezeiung handelt, welche der ach-so-aufgeklärte westen bis heute nicht begreifen kann und will."(...)
...sowie auf die dem beitrag folgende kleine diskussion.
das ganze forschungsprojekt scheint mir ein weiteres beispiel für die im wissenschaftsbereich allgemein anzutreffende dissoziierende wahrnehmung zu sein: ich bestreite nicht unbedingt die ergebnisse der forschung, aber ich bestreite die aus dem situativen moment heraus abgeleitete be-deutung - die neuronale konfiguration "eigennutz" entsteht weder aus dem nichts, noch ist sie eine naturnotwendigkeit.
die junge welt kommt heute mit einem schwerpunkt zum thema, der neben einem allgemeinen überblick zur situation in der bundeswehr besonders die hier schon öfter erwähnte täter-opfer-dialektik bei den folgen von man-made-violence in den focus rückt:
(...)"684 Bundeswehrsoldaten sind bislang wegen Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) behandelt worden. Das teilte die Bundesregierung im Februar dem Bundestagsabgeordneten Gert Winkelmeier mit. Das sind rund ein Prozent derjenigen, die zwischen 1996 und 2005 im Auslandseinsatz waren. Der Bundeswehrpsychiater Karl-Heinz Bisold geht aber von weit höheren Zahlen aus. Im Deutschen Ärzteblatt (Nr. 41/2006) schätzte er den Anteil behandlungsbedürftiger Soldaten nach Auslandseinsätzen »auf zwei bis fünf Prozent«. Das Problem sei, so Biesold, »daß die Soldaten sich nicht eingestehen wollen, daß sie krank sind«, aus Furcht, von den Kameraden verachtet zu werden.
Auch fünf Prozent dürften noch untertrieben sein. Eine US-Untersuchung mit GIs, die den Vietnamkrieg führten, aus dem Jahr 1992 ermittelte, daß rund 15 Prozent von PTBS betroffen waren, bei Soldaten mit »hoher Gefechtsintensität« sogar über 38 Prozent. Von den Irak-Rückkehrern leidet nach einer Studie des »Walter Reed Army Institute of Research« aus dem Jahr 2004 knapp jeder achte US-Soldat an der psychischen Störung."(...)
zur situation in den usa siehe auch hier - "benutzt und weggeworfen".
(...)"Und doch, die Bundeswehr sieht sich veranlaßt, das Problem auch selbst zu thematisieren. Im Vordergrund steht Abhärtung: den Soldaten werden Techniken zum Streßmanagement und »realitätsnahe« Einsatzvorbereitungen vermittelt, wie z.B. simulierte Geiselnahmen. Daß manche Ausbilder dabei über die Stränge schlagen, hat sich gezeigt, als Rekruten im Ausbildungslager Coesfeld im Jahr 2004 mehrfach mißhandelt wurden."(...)
mit potenziell traumatischen mitteln auf ein trauma angeblich vorbereiten: das ist wirklich eine irre logik. und eine logik, so wäre zu ergänzen, die einen wahren kreislauf des irrsinns produziert:
(...)"Der Luftwaffenpsychologe Bernd Willkomm schrieb in der Bundeswehrzeitschrift Y im Dezember 2006: »Je länger dann ein Auslandseinsatz dauert, umso mehr kann es bei den Soldaten … zur Absenkung von Hemmschwellen führen.« Damit erklärt der Psychologe auch, daß sich Soldaten in Afghanistan mit Skeletteilen in Pose gesetzt haben. Es habe sich dabei »mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine sogenannte passive Aggressivitätshandlung« gehandelt. »Aktive« Handlungen, wäre zu ergänzen, haben US-Soldaten im Folterknast Abu Ghraib im besetzten Irak vorgeführt. Deswegen geht das Thema auch Antimilitaristen an. Traumatisierte Soldaten sind latent aggressiv. Und sie traumatisieren Zivilisten, die ihrerseits ihre Aggressionen weitertragen und zu Tätern werden können."(...)
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die letztgenannte fatale dynamik wird auch in einem interview mit der ärztin veronika engl thematisiert:
(...)"Sind Posttraumatische Belastungsstörungen ein typisches Soldatenproblem?
Aus medizinischer Sicht gibt es keinen Unterschied zwischen Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) bei Soldaten und Zivilisten. Ausschlaggebend ist, daß jemand Gewalt erlebt, entweder gegen sich selbst oder gegen jemanden in der unmittelbaren Umgebung. Als Zivilist erleben Sie eher eng umgrenzte Ereignisse, etwa einen Autounfall. Soldaten dagegen sind in einer dauerhaft traumatisierenden Situation. Man spricht hier von einer multiplen bzw. seriellen Traumatisierung. Dadurchsteigt das Risiko, in der Folge an einerTraumafolgestörung zu erkranken, wenn die Erfahrungen nicht fachgerecht behandelt und verarbeitet werden können.
Wie hoch schätzen Sie den Anteil betroffener Soldaten?
Den muß man nicht schätzen. Es gibt umfangreiche Forschungen dazu, und man weiß, daß rund 20 Prozent der Soldaten, die in kriegerischen Einsätzen Gewalt erleben, später an PTBS leiden. Das Risiko steigt mit der Einsatzdauer und der Intensität der Gewalt.
Das Weißbuch der Bundeswehr sieht vor, daß ab 2010 bis zu 14000 Soldaten gleichzeitig im Auslandseinsatz stehen …
Man muß davon ausgehen, daß von diesen 14000 Soldaten, soweit sie direkte Bedrohung erfahren, rund 20 Prozent behandlungsbedürftig werden. Wenn die Behandlung unterbleibt, heißt das: Viele Soldaten werden unter irreversiblen Störungen leiden, nicht mehr arbeitsfähig sein, gegen sich selbst und andere gewalttätig – das wären unermeßliche soziale Kosten."(...)
in diese "sozialen kosten" muss dann auch eine art der allgemeinen gesellschaftlichen verrohung miteinbezogen werden, für die derart traumatisierte soldaten quasi als multiplikatoren wirken können - ein drastisches beispiel aus den usa.
(...)"Wie ist der Stand der PTBS-Forschung in Deutschland?
Deutschland war lange ein Nachzügler. Im Ersten Weltkrieg sprach man hierzulande noch von der »Zitterneurose« und begegnete den Soldaten mit ungeheurem Zwang. In der englischen Armee war PTBS schon damals als Krankheitsbild anerkannt. Erst in den letzten 20 bis 25 Jahren hat sich die deutsche Medizin intensiv des Themas angenommen. Den Anstoß gab vor allem die feministische Theorie und Psychotherapie. Die psychotherapeutische Behandlung nach häuslichen Gewalttraumata ist, wie schon gesagt, nicht grundverschieden von der Behandlung bei kriegsgenerierten Störungen.
Hat das eine überhaupt mit dem anderen zu tun?
Allerdings. Der Staat schickt Männer und Frauen in den Krieg, die traumatisiert werden und andere traumatisieren. Soldaten und Zivilisten, die hinterher unter Störungen leiden, richten Aggressionen gegen sich selbst oder, und das betrifft einen bedeutenden Teil der Kriegsopfer, gegen andere Menschen. Gerade Männer neigen viel eher dazu, die Aggressionen, die sie erleiden mußten, nach außen zu wenden.
Soldaten sind also Täter und Opfer zugleich?
Zumindest aus medizinischer Sicht. Der sogenannte »Krieg gegen Terror« ist nichts anderes als Terror durch Krieg. Wir Menschen sind nun mal nicht dafür geschaffen, anderen Gewalt anzutun und Gewalt zu erleben – es macht uns krank. Wer eine PTBS entwickelt, droht selbst zum Täter zu werden – sei es gegen sich selbst oder gegen andere, sei es in einer Terrorgruppe, einer Armee oder, was meistens der Fall ist, er droht zum Täter gegen Frauen oder Kinder zu werden. Dafür fehlt in der Politik leider jegliche Einsicht."
diesen aussagen bleibt wenig hinzuzufügen, mit einer ausnahme: es könnte durchaus sein, dass die "politik" (synonym für das treiben von am eigenen machterhalt interessierten "eliten") durchaus mehr (instrumentalisierende) einsicht in die beschriebene täter-opfer-dialektik besitzt, als es zunächst den anschein hat. traumatisierte menschen jedenfalls machen in den seltensten fällen revolutionen, eher im gegenteil: ihre traumainduzierten ängste und ihre misstrauen haben pathologische effekte auf alle authentische sozialität, machen sie prinzipiell lenk-. kontrollier- und ausrechenbar. und die kollateralschäden stören diese "eliten" wie üblich kein stück.
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in der traumareihe wird es zukünftig übrigens auch noch einen beitrag zur geschichte der kriegstraumata geben.