ich hätte mir ja denken können, dass der eher spontan entstandene letzte beitragtrauma und musikbei mir selbst einiges in erinnerung gerufen hat rufen wird. ich höre musik sehr stimmungsabhängig, und meine vorlieben für funk, jazz, und die meisten sparten elektronischer musik haben sowohl etwas mit rhytmus zu tun als auch mit den jeweils assoziierten inneren bildern, besonders bei den beiden letzteren stilen. und um solche inneren bilder durchaus unheilvoller art soll es jetzt gehen.
*
die bemerkungen im letzten beitrag zu gewissen musikalischen entwicklungen nach den letzten beiden weltkriegen wurden für mich zwischenzeitlich vor dem gedanken als hintergrund immer plausibler, dass sich auch aktuelle musik durchaus selbst als wiederspiegelung aktueller gesellschaftlicher entwicklungen begreifen kann bzw. sogar unter umständen ohne bezug auf diese nicht vollständig begreifen lässt. das mag sich als platitüde lesen, es macht jedoch wie ich finde einen gewaltigen unterschied, ob sich die jeweiligen protagonistInnen über diesen zusammenhang selbst klar sind oder nicht. dann steigen nämlich die chancen dafür - wie bei allen künstlerischen aktivitäten überhaupt -, dass sich auch beim jeweiligen publikum wahrnehmungsprozesse ereignen können, die das potenzial haben, die allgegenwärtigesoziale trancezumindest partiell bewußt zu machen oder gar zeitweise außer kraft zu setzen. und drei musikalische beispiele, die für mich dieses potenzial besitzen, möchte ich im folgenden genauer vorstellen. das es sich dabei allesamt um spielarten elektronisch erzeugter musik handelt, ist für mich absolut kein zufall, ist diese doch bis dato als einzigste in der lage, die komplexe rund um maschinen & virtualität, die schon länger die aktuellen gesellschaftlichen (alp-)träume prägen und beflügeln, akustisch angemessen zu bebildern. was für mich persönlich auch den grund dafür darstellt, dass ich mit gitarrenlastiger musik wie punk - der ja im allgemeinsten sinne als ausdruck von wut & gewalttätigkeit zumindest in der vergangenheit angesehen wurde - nicht viel anfangen kann. solche musik kann schlicht die heutigen entwicklungen der hi-tek-kriege, genmanipulation und mensch-maschinen-phantasien nicht adäquat genug beschreiben.
*
als erstes wäre da der dj & produzentcarl craig, der als einer der begründer des detroit-techno gelten kann - eine musik, die typischerweise gleichzeitig i.d.r. basslastig und melancholisch daherkommt und vielen als "klassischer" techno gilt. ebenso begreifen viele diese musik als nicht unabhängig vom ursprungsort verständlich - detroit, einst die us-amerikanische autostadt, ist vom niedergang dieser industrie genauso tiefgreifend gezeichnet zu einem symbol des zusammenbruches alter industrieller strukturen geworden, wie sie einst in ihren blütezeiten (durchaus zweifelhafte) entwicklungen wie das fließband hervorbrachte.
und diese aspekte spielen für leute wie craig bei ihrem schaffen durchaus nicht nur eine nebenrolle, wie er jüngst in eineminterviewnochmal deutlich machte:
(...)"Zum einen vermittelt sich seine Persönlichkeit nicht durch Mysterium, Militanz oder afro-futuristische Erlösungsutopien. Er präsentiert sich mit einer vernünftigen Portion Selbstbewusstsein als Techno-Star und Allround-Musiker.
Zum anderen hält er sich angesichts der Geschichte und des Stadtbilds Detroits nicht lange mit Glorifizierungen auf, sondern geht lieber auf soziale und ökonomische Bedingungen ein, die diesen Ort genau so haben werden lassen.(...)
Die Ruinen der Stadt sind für Craig Mahnmale, etwa eine verlassene Fabrik in der Nähe seines Büros, bei der keine Fensterscheibe mehr heil ist.
"Ich sehe dieses Gebäude jeden Tag. Es stellt für mich die Geschichte von Detroit dar, die Geschichte eines Ortes, der eine blühende Industriestadt war und jetzt eben nicht mehr ist. Solche Ruinen sind Monolithen, aber sie sagen mir in geschichtlicher Hinsicht das Gleiche wie die Trümmer in Rom oder Griechenland: Es geht um das Erinnern einer gewesenen Kultur. Diese Fabrik erzählt von einstiger Größe - und sie ist das Gerippe, das davon übrig blieb."(...)
"Es gibt keine andere Stadt auf der Welt, die wie Detroit ist. Henry Ford hat hier das Fließband erfunden, und dieses Konzept hat Berry Gordy darin beeinflusst, wie er Motown führte. Gordy wollte ohne Unterlass Musik produzieren und sie konstant veröffentlichen, einfach, um immer genug Angebot für die Nachfrage zu haben. Als die Autoproduktion aber zunehmend auf Roboter umstieg, hat das Juan Atkins beeinflusst. Beide waren also im Grunde inspiriert von diesem Ford'schen System. Ich glaube, an einem anderen Ort als Detroit hätte so etwas gar nicht entstehen können: diese Idee, etwas, das im Grunde so kalt ist, durch Musik mit Seele aufzuladen."(...)
ich empfehle, sich dazu unbedingt auch die zugehörigefotostreckezu betrachten.
und der letzte satz von craig oben enthält für mich etwas zentrales: "...diese Idee, etwas, das im Grunde so kalt ist, durch Musik mit Seele aufzuladen." - die idee, industrielle produktionsweisen, die auf die ihnen ausgelieferten menschen (de-)formierend und normierend wirken, in ihrem akustischen ausdruck - das repetitiv-maschinenhafte, was viele beim techno (begründet) so monoton und langweilig, eben wie fließbandarbeit, empfinden -, zu packen, diesen ausdruck zu bearbeiten und gefüllt mit die menschliche emotionalität & körperlichkeit ansprechenden und triggernden tönen zu etwas qualitativ neuem, produktiven zu machen. produktiv in der hinsicht, dass die vormalige mit den zugrundliegenden tönen assoziierte kalte destruktivität zu einem tanzbaren und teils hoch emotionalen geladenen positiven seinszustand verwandelt wird. hören Sie nur einmal einen klassiker von carl craig, "at les":
ich kann mir nicht helfen - ich höre da trauer, unbeeindruckt laufende maschinen, und eine zunehmend unheilvoller und ausweglos werdende atmosphäre - und ich habe das lange vor dem zeitpunkt genauso gehört, an dem ich das erste mal mehr von den hintergründen des detroit-technos erfahren habe. gleichzeitig merke ich den impuls, mich bewegen zu wollen - die transformation des maschinenhaften in menschliche aktion. für mich ein beispiel dafür, wie künstlerische produktionen mit destruktiven gesellschaftlichen realitäten umgehen können.
*
wenn Sie ansonsten keinerlei erfahrungen mit elektronischen musiken besitzen und das gerade gehörte vielleicht noch relativ soft empfunden haben, muss ich Sie vorwarnen - die nächsten beiden besprochenen projekte (das trifft es besser als "bands") sind ein etwas anderes kaliber und entziehen sich bis heute eigentlich jeder musikalischen zuordnung, auch wenn sie beide unter dem begriff "industrial" geführt werden, der aber die intentionen der akteure nur sehr ungenau trifft.
als erstes wären da die mir zuerst anfang der 1980er aufgefallenenthrobbing gristle, die unter einem ganz eigenen ansatz arbeiteten:
"Wir sind interessiert an Information, wir sind nicht interessiert an Musik als solcher. Und wir glauben, dass das zentrale Feld der Auseinandersetzung, wenn es ein solches unter Menschen gibt, die Information ist."
um die von ihnen als wichtig erachteten informationen unter die leute zu bringen, war nicht nur ein anderes verständnis von musik, sondern auch neue technische entwicklungen vonnöten:
(...)"Throbbing Gristle nutzten (...) Techniken der musikalischen Avantgarde wie Bandschleifen und extreme Verzerrung; arbeiteten mit elektronischen Geräten (u.a. selbst konstruierten Synthesizern) und erfanden neue Effektgeräte hinzu, die quasi als Vorläufer des Sampling funktionierten.
Sie arbeiteten mit Texten, die beispielsweise den Mord an Sharon Tate und die Grausamkeiten rhodesischer Guerilleros vor einem ruhigen elektronischen Hintergrund detailliert ineinanderwebten („Slug Bait - ICA“); eingespielte Sprachfetzen; die Geschichte eines Mörderpaares (Ian Brady und Myra Hindley), begleitet von monotonen Bassläufen; drastische Publikumsbeleidigungen („Maggot Death - Brighton“) und Soundtracks zu einem Film über eine Vasektomie („After Cease to Exist“). Gerne kokettierten Throbbing Gristle auch mit nationalisozialistischen Elementen, welche sie auch in Videotapes stilisierten. Sie bildeten Fotografien von Konzentrationslagern auf ihren Publikationen ab oder zeigten gebrauchte Zyklon-B-Dosen. Die Gruppe selbst trat später bevorzugt in Militäruniformen auf."(...)
das wort "kokettieren" in diesem zusammenhang finde ich unglücklich, zumal mir aus (print-)interviews mit tg noch in erinnerung ist, dass die erwähnten symboliken eine genau definierte funktion im gesamtkonzept des projektes besaßen. und ein track wie - das online leider anscheinend nicht vorhandene - "zyklon-b zombie", welches auf der vinylsingleversion in einer endlosrille endete, bei der die lagerglocke von auschwitz nicht mehr aufhören will zu klingen, kann nur bei psychophysisch gestörten leuten zu einer positiven empfindung im naziaffinen sinne führen. ich habe selten musik gehört, die derart bedrückend ist (mit einer ausnahme, die gleich folgt).
als repräsentativ darf durchaus das oben erwähnte "slug bait" gelten:
hier gibt es keinerlei positive auflösung mehr, hier werden eher unerträgliche und durchaus als traumatisch zu begreifende realitäten akustisch auf den punkt gebracht. was die zuhörerInnen dazu zwingt, sich entweder zu entziehen - was ein moment sein könnte, der aufklärendes nachdenken über die motivationen des eigenen nicht-ertragen-könnens/wollens befördern kann -, oder aber in der konfrontation mit den tönen das eigene unbehagen konkreter zu erfassen und seine gründen nachzugehen. in beiden fällen wäre die informationsvermittlung im sinne tg´s durchaus als geglückt anzusehen. btw: mir ist schon klar, dass über alles hier vorgestellte noch eine menge mehr und anderes gesagt werden kann bzw. schon ist - aber mir geht es hier primär um den aspekt in der überschrift des beitrages.
*
und im sinne der überschrift kommt für mich bis heute das australische projektSPK, mir bekannt aus der gleichen zeit wie tg, dem hörbar gewordenen trauma am nächsten. was vielleicht auch ein gutes stück mit dem biographischen background der frühen mitglieder zu tun hat:
(...)"Die Band wurde 1978 in Sydney von Graeme Revell, der als Pfleger in einer psychiatrischen Klinik arbeitete, Neil Hill, einem Patienten dieser Anstalt, und Sinan, der späteren Frau Graeme Revells, gegründet."(...)
auf der frühen lp "leichenschrei" ist das folgende stück enthalten, welches mir vermutlich viele worte sparen hilft - habe ich oben bei tg von bedrückend geschrieben, so ist "agony of plasma" im geeigneten moment imstande, regelrechte panikgefühle zu erzeugen - und derart einen eindruck zu geben von dem spektrum des menschlichen empfindens, von dem zu viele lieber nichts wissen wollen - ohne zu ahnen, das dieses anliegen mit seiner impliziten ignoranz menschlichen leidens gegenüber sie selbst dem unerwünschten immer näher bringt. hören Sie´s besser nicht, wenn Sie gerade in einem labilen zustand sein sollten:
nachdem ich spk vor jahren das letzte mal gehört habe, muss ich jetzt sagen: das ist vielleicht der angemessenste musikalische kommentar zu unseren heutigen zeiten, der denkbar ist.
zwei artikel, die sich mit ein paar mich etwas überraschenden fragen rund um den komplex der überschrift beschäftigen, fand ich auf den seiten desdachau-institutes, dessen veröffentlichungen ich sowieso allen leserInnen hier nahelegen möchte. zum einen wäre da einearbeit, die sich mit dem möglichen zusammenhang von kriegstraumata & avantgardistischer musik beschäftigt:
(...)"Ausgangspunkt ist die Beobachtung, daß sich die Beschreibung der Symptome schwer traumatisierter Menschen ( besonders Kriegs- und Kampftraumata ) der von avantgardistischer Musik nach 1950 auffällig ähnelt: emotionale Erstarrung, Dissoziation des Ichs und Verlust des Zeithorizonts.
Bereits nach dem Ersten Weltkrieg zeigt die Musik eine Distanziertheit, oft auch Emotionslosigkeit ( Strawinsky und der Neoklassizismus ) und ein Bedürfnis nach Ordnung ( Schönbergs Zwölftontechnik, bei gleichzeitigem Verlust des tonalen Bezuges ), Phänomene, die mit den Traumata der Krieges zusammenhängen könnten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg treten diese Phänomene in der "Seriellen Musik" mit ihrer gesteigerten Konstruktivität noch intensiver auf. Nach dem Ersten Weltkrieg die Zwölftontechnik, nach dem Zweiten der Serialismus - bemerkenswert, daß ein naheliegender Zusammenhang nie thematisiert wurde, auch nicht von Adorno. Statt dessen macht der Begriff des "musikalischen Materials" unkenntlich, in welcher Weise diese Techniken Ausdruck einer traumatisierten Gesellschaft sind."(...)
ich finde das einen sehr interessanten gedanken, weiß jedoch über die angesprochene musik schlicht zu wenig, um das beurteilen zu können. vielleicht mag sich jemand dazu äußern, der/die mehr musikalische kenntnisse besitzt?
zum anderen wäre da einberichteiner betroffenen über die re-aktivierung erlebter kriegstraumata durch basslastige musik - und wenn Sie sich bisher die möglichen folgen von traumata nicht oder nur unvollständig vorstellen konnten, lesen Sie´s. und lernen einiges über trigger:
(...)"Ich war im August 1942 unweit meiner jetzigen Wohnung geboren worden. Mit dem Beginn der Luftschlacht um Berlin im August 1943 trafen Bomben mein ehemaliges Wohnhaus am Bahnhof, dem eigentlichen Ziel, - und damit mich. Diese und folgende Katastrophen kündigten sich durch die nahenden Fliegerverbände und ihre Luftvibrationen an. Der Luftschlacht – Amerikaner flogen tagsüber, Briten nachts - war ich als Säugling zwei Jahre lang hilflos ausgeliefert. Dröhnen, Jaulen, Vibrationen, Beben, Detonationen, Erschütterungen, Luftturbulenzen, Schreien traumatisierten meinen Organismus umso mehr, als mein Bewusstsein noch keine neuronale „Abwehr“, keine „Filter“, kein „Verstehen“ entwickelt hatte. Meine Neuronen haltbare „Panik-Verbindungen“.
Im Laufe von dreißig Jahren befriedete (linderte) ich unbewusst den Kriegsschaden, indem ich alles mied, was meinen Organismus in Aufruhr versetzen könnte. Kein Rock’n Roll, keine Großveranstaltungen, keinen Stress, keine Lautstärken. Wenn es mir irgendwo zu laut wurde, betäubte ich meine Sinne mit Alkohol: Dröhnung gegen Dröhnen. 1973, während des Oktoberkrieges auf dem Sinai, setzte ich mich sogar dem Geräusch der Tiefflieger aus. Als angenehm empfand ich das Geräusch nicht, aber ich hielt es aus. Vierzig Jahre lang lebte ich gesellig, gut und gern. Ich war musikalisch, rhythmusbegabt und hatte ein absolutes Gehör. Ich tanzte viel, um die alten, unbewussten Fluchtreflexe abzureagieren. Heute ist mir durch die exzessive Verstärkung der Musikbässe das Tanzen als lebenswichtiges Ventil verwehrt. Heute soll der Sound mehr gefühlt als gehört werden.
Während der lebensbedrohenden Krebserkrankung brach durch jene zusätzliche Bedrohung, das unerträgliche Dröhnen verstärkter Musikbässe, dem ich in meiner Wohnung Tag und Nacht hilflos ausgeliefert war, jeglicher Schutzwall zusammen. Mein Organismus unterschied nicht zwischen gestern und heute. Er erinnerte sich unwillkürlich. Er erkannte in den Schallwellen Vibrationen, Beben, Luftturbulenzen wieder, die ihm im Krieg den „Weltuntergang“ angekündigt hatten. Als diese Erscheinungen in einem modernen Kostüm auftraten, reagierte mein Organismus so unmittelbar wie damals der des Säuglings."(...)
klingt zumindest für mich spontan einleuchtend, und erinnert mich auch an einen text von klaus theweleit über jimi hendrix, bei dem es u.a. um die fähigkeit von schallwellen ging, verschiedenste körperzustände zu triggern und zu verändern - im positiven sinne allerdings.
*
in eigener sache noch: derindexist mal wieder aktualisiert.
so, da die paranoia in vielen der letzten beiträge hier und den alltäglichen schnüffelnews aus staat und wirtschaft ständig präsent ist, nehme ich das zum anlaß, diesen lange in der warteschleife hängenden beitrag jetzt einfach fertigzustellen. und dabei werde ich versuchen, den neulichhiergeäusserten vorsatz auch entsprechend umzusetzen:
"...wo u.a. auch deutlich werden soll, dass die paranoia zwangsweise eine getreue begleiterin all derjenigen ist, die ihr als-ob-leben ganz oder teilweise im objektivistischen modus fristen (müssen)."
also, treten wir ein in die (virtuellen) welten der angst und des misstrauens.
siegel beschreibt darin wirklich drastische fälle aus seiner gutachterlichen praxis, die sich hauptsächlich, aber nicht nur, um kokaininduzierte paranoide zustände drehen. was dabei so besonders ist: er versucht als gutachter in einer recht unorthodoxen art & weise, sich in die erlebniswelten seiner "klienten" so weit wie möglich hineinzuversetzen, d.h. er konstruiert sich so weitgehend realitätsgetreu wie möglich simulationen derjenigen umstände und situationen, von denen die betroffenen als bedeutungsvoll berichten und in denen sie in ihre offen paranoiden phasen eingetreten sind. seine teils sarkastische sprache und seine dialoge mit einem befreundeten - und sehr orthodox ausgerichteten - psychoanalytiker über verschiedene fälle machen das buch sehr lesenswert, ebenso die blinden flecke, die in seiner wahrnehmung und auch der des freundes deutlich werden - vom womöglich neuen blick auf das "hippe" kokain und seine folgen bei chronischem gebrauch nicht zu reden.
zunächst aber die erwähnte einführung:
(...)"Im Lexikon werden Sie Paranoia nicht finden. Das Wort ist wohl da, nicht aber das Gefühl. Der Ausdruck stammt aus dem Griechischen und bezeichnete ursprünglich einen gequälten Geist. Aber gequält wovon? Die Definition sagt: von der Einbildung, daß man von jemandem verfolgt wird. Doch wenn du unter Paranoia leidest (also paranoid oder ein Paranoiker bist), dann weißt du, daß all das keineswegs nur Einbildung ist. Die Leute verfolgen und quälen dich wirklich. Wer sind diese Leute? Warum verfolgen sie dich? Was wollen sie von dir? Das Lexikon bietet hier nur wenige Hinweise.
Du bist das Ziel einer weitverzweigten Verschwörung geworden, die wie ein unsichtbares Netz den ganzen Erdball umspannt. Sie steckt in Telefondrähten und Zeitungen, womöglich auch in Lexika. Sie quillt aus Radios und Fernsehgeräten. Sie schleicht sich ein in die Herzen und Köpfe deiner Verwandten und Freunde. Sie greift nach dir. Es kann viele Gründe geben, weshalb man gerade dich ausgewählt hat. Die Leute beneiden dich. Schließlich bist du klüger und besser als die anderen. Sie sind hinter deinem Wissen her, hinter deinem Job, vielleicht auch hinter deinem Ehegatten. Das Lexikon sagt, viele Paranoiker empfänden sich als grandios und allmächtig, aber das Lexikon hat keine Ahnung. Du besitzt tatsächlich außergewöhnliche Fähigkeiten als Wissenschaftler, Erfinder, Liebhaber oder Prophet.
Deshalb bist du ja so anziehend, so anregend, so beneidenswert. Es gibt nichts im Leben, das du nicht erreichen könntest. Du ziehst die Aufmerksamkeit der Präsidentengattin auf dich. Sie verliebt sich in dich. Natürlich kann sie dir unmöglich eine offene Liebeserklärung machen, aber sie zeigt dir heimlich ihre Liebe indirekt auf vielerlei Weise. Ihr Mann erfährt von ihren heimlichen Gefühlen und geht zum Angriff über. Er schickt dir das FBI, den Geheimdienst und schließlich die Mafia auf den Hals. Du wehrst dich mit Strafanzeigen gegen die Regierung und die Telefongesellschaft.
Dein Chef beschwert sich, du seist in deiner Arbeit nicht mehr bei der Sache. Du kündigst und verklagst ihn. Er hat dich nie anständig behandelt, jetzt soll er dafür bezahlen. Fragt dich deine Frau, ob etwas nicht in Ordnung ist, reichst du die Scheidung ein. Der Hund und die Katze sehen dich immer merkwürdiger an. Du kannst ihnen nicht mehr vertrauen. Zu Hause bist du nicht mehr sicher, also ziehst du aus. Du übernachtest in Motels, jede Nacht in einem anderen, damit deine Feinde die Spur verlieren. Du verkriechst dich unter einer Decke, die du mit Stanniolpapier überziehst, um dich vor den sterilisierenden Strahlen zu schützen, mit denen sie dir auf den Leib rücken. Und du wartest. Du hast Zeit, über das ganze Geschehen der Vergangenheit nachzudenken und nach geheimen Bedeutungen zu suchen, die dicht unter der Oberfläche verborgen liegen.
Plötzlich ist alles klar. Du siehst förmlich, wie das Netz sich langsam um dich zuzieht. Und du hörst die Stimmen, die sich gegen dich verschwören. Deine Haut reagiert mit Ausschlägen, dort, wo die Strahlen sie getroffen haben. Schwächere Naturen wären längst vor Angst gestorben. Aber du bist stark. Du weißt, wer deine Feinde sind und wo sie wohnen. Es ist Zeit, zu handeln.
Paranoide Episoden wie die oben geschilderte zeigen gewöhnlich eine schrittweise Entwicklung vom leisen Verdacht und Mißtrauen bis hin zu
massiven Wahnvorstellungen und voll ausgebildeten Halluzrnationen. Am Anfang mag nur das vage Gefühl stehen, daß die normale Welt ein wenig
von ihrer Normalität verloren hat. Langsam und kaum merklich schleicht sich ein Verdacht ein. Halluzinierte Bilder und Geräusche bestätigen diesen Verdacht. Gewöhnlich entwickelt sich dieser Zustand über Monate oder Jahre hinweg. Unter dem Einfluß bestimmter Drogen wie Kokain oder Metamphetamin kann sich der Verlauf auf wenige Stunden verkürzen. Doch ob mit oder ohne Drogen, die Paranoia ist dieselbe.
Wirklich erschreckend ist der Gedanke, daß wir alle die Wurzeln der Paranoia in uns tragen; und dieser Gedanke ist in der Tat geeignet, uns alle in einen vollentwickelten paranoiden Zustand zu versetzen. Der »paranoide Zug«, von dem der Philosoph Arthur Koestler spricht, ist untilgbarer Teil der menschlichen Natur Es wird wohl schon ein jeder einmal das beängstigende Gefühl gehabt haben, da draußen sei etwas, das auf ihn warte und es auf ihn abgesehen habe. Dunkelheit und Einsamkeit begünstigen das Aufkommen dieses Gefühls. Viele haben solche Erlebnisse, wenn sie nachts allein im Haus sind oder im Dunkeln eine unbekannte Straße entlanggehen. Andere mögen gelegentlich das unbestimmte Gefühl haben, ihr Lebensweg werde von Neidern bedroht, die sie beim Namen nennen können oder aber gar nicht kennen. Das Wesen, das wir alle fürchten, der Dämon Paranoia, ist nicht »da draußen«; er lauert im Dunkel unseres eigenen Gehirns.
Tief im Innern des Gehirns, unterhalb des »denkenden« Teils der Großhirnrinde, befinden sich eine Neuronengruppe und hormonproduzierende Strukturen, die wir das limbische System nennen: das neurophysiologische Versteck des Dämon Paranoia. Seit mehr als zweihundert Millionen Jahren begleitet es unsere Evolution. Dieses hufeisenförmige Areal wird gelegentlich auch das »Säugetiergehirn« genannt, weil es bei den Säugern am höchsten entwickelt ist. Ein Glück für uns, denn das limbische System ist maßgeblich an der Aufrechterhaltung wichtiger homöostatischer Prozesse wie der Regulierung der Körpertemperatur beteiligt. Ohne das limbische System glichen wir den Kaltblütern, etwa den Reptilien, die einen Großteil ihrer Zeit darauf verwenden, zwischen Sonne und Schatten zu wechseln, um ihre Temperatur zu regulieren. Außerdem steuert das limbische System Reaktionen, die von großer Bedeutung für unser Uberleben sind, zum Beispiel die Schutzmechanismen des Kampfes oder der Flucht.
Ein wenig verkürzt könnte man das limbische System durch vier wichtige Überlebensfunktionen definieren: Fressen, Kampf, Flucht und Fortpflanzung. Die Schaltkreise im tiefer gelegenen Teil des limbischen Systems sind ständig damit beschäftigt, unser Überleben zu sichern. Die höher
gelegenen Teile haben etwas mit unseren Emotionen zu tun. Elektrische Erregung in den unteren Bereichen kann in den oberen Regionen Gefühle
auslösen. Spontan geschieht dies bei einem bestimmten Typus psychomotorisch-epileptischer Anfälle, die den Patienten ein unangenehmes Angstgefühl bereiten - ein rohes, primitives Gefühl, das tief aus dem Körper kommt. Vielleicht wird das limbische System deshalb gelegentlich auch das viszerale Gehirn genannt. Es fühlt. Wir können diese Gefühle nicht abschütteln. Dann übernehmen die »denkenden« Areale das Feld. Es kommt zu einer intellektuellen Fixierung auf die Angstanwandlungen im tiefer gelegenen System. Die Angst erzeugt eine Vorahnung und warnt vor drohenden Gefahren. Bedrängt von dieser tiefsitzenden Angst sucht der Verstand nach Erklärungen. Er gelangt zu dem Schluß, daß irgend etwas dich
verfolgt. Das Gehirn ist in die Fänge der Paranoia geraten.
Wenn der Dämon Paranoia Epileptiker befällt, verzerren sich ihre Züge vor Furcht und sie bewegen hastig und ausweichend Kopf und Augen.
Neurophysiologen haben Elektroden ins Gehirn solcher Patienten eingepflanzt und dabei festgestellt, daß in solchen Augenblicken starke elektrische Ströme das gesamte limbische System durchfluten. Dennoch gibt es keinen Beleg für die Annahme, neuropathologische Abnormitäten wie Epilepsie wären die Voraussetzung für paranoides Erleben. Tatsächlich können Neurologen mit elektrischer oder chemischer Stimulation solche Reaktionen auch bei normalen Personen auslösen. Die Forschung sagt uns etwas über die Hirnareale und die neurologischen Mechanismen der Paranoia. Und sie zeigt, daß wir alle dieselbe Grundausstattung geerbt haben. Der Dämon des limbischen Systems war schon unserer Begleiter, lange bevor wir zivilisierte Primaten wurden. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb das Gefühl Paranoia so uralt zu sein scheint. Es besaß enorme Bedeutung für unser Überleben. Als die ersten Menschen aus ihren Höhlen hervorkamen, lauerten allenthalben Gefahren auf sie. Unfälle, Krankheit und Gewalt führten bei den allermeisten zu einem frühen Tod. Die Paranoia wurde zu einem wichtigen Anpassungsmechanismus, der das Überleben sicherte. Und so wurde sie ein Teil von uns.
Hippokrates und andere griechische Ärzte hielten die Paranoia für eine Krankheit von derselben Art wie die Epilepsie. Als Paranoiker bezeichneten sie Menschen, die buchstäblich »daneben« oder nicht mehr bei Verstand waren. Noch heute halten die meisten Psychiater die Paranoia für eine Geisteskrankheit, auch wenn sie lieber von »Störungen« sprechen. Doch solche Charakterisierungen sind irreführend. Paranoid zu sein oder einen paranoiden Zug zu haben bedeutet nicht notwendigerweise, daß man krank ist und einer Behandlung bedarf. Ohne Zweifel gibt es hier ein Kontinuum, das von milden paranoiden Anwandlungen bis hin zu einem heftigen, psychotischen Bruch mit der Realität reicht. Es mag berechtigt sein, paranoide Psychotiker wie Hitler oder Stalin krank oder gestört zu nennen, doch für die vielen nichtpsychotischen Fälle, in denen der alltägliche Streß zu leichteren Formen paranoider Anwandlungen führt - also für die meisten von uns - wäre diese Kennzeichnung ungerecht. Immerhin gibt es wenigstens einen namhaften Vertreter der heutigen Psychiatrie, der mit Vorliebe sagt, Paranoia sei gelegentlich der beste Weg, mit dem Leben fertigzuwerden.
Das Wesen der Paranoia in all ihren Formen ist eine spezielle Denkweise. Und das wichtigste Merkmal paranoiden Denkens ist das Mißtrauen. Tatsächlich benutzen die meisten Menschen den Ausdruck paranoid zur Kennzeichnung eines übertrieben mißtrauischen Menschen. Doch das mißtrauische Denken eines Paranoikers ist mehr als normale Vorsicht oder bloßer Argwohn, wie das Wort paranoid sie impliziert. Die Dinge sind ihm buchstäblich suspekt, das heißt, sie nötigen ihn, hinter die Dinge zu schauen, unter der Oberfläche nachzusehen, alles einer genauen Prüfung zu unterziehen und nach Hinweisen zu suchen, die sein Mißtrauen und seinen Verdacht bestätigen. Das erfordert größte Aufmerksamkeit, ein Höchstmaß an Wachsamkeit und eine Hypersensibilität für jedes noch so kleine Detail. Der Paranoiker verbeißt sich in diese Details, bläht ihre Bedeutung auf und baut sie dann in ein logisch-systematisches Muster ein. Während er seine Umwelt absucht, revidiert er das Muster unablässig, um dessen Glaubwürdigkeit abzusichern. Der Paranoiker wird rigide und unflexibel. Er ist auf jede erdenkliche Bedrohung gefaßt. Mehr als alles andere fürchtet er, die Kontrolle oder seine persönliche Autonomie zu verlieren. Er muß ständig auf der Hut vor äußeren Mächten oder Autoritäten sein.
Ein weiteres Merkmal paranoiden Denkens ist die Feindseligkeit. Der Paranoiker ist davon überzeugt, daß Teile seiner Umwelt finstere Absichten gegen ihn hegen. Und so entwickelt er ein defensives, auf ständige Abwehr programmiertes Verhältnis zur Welt. Sein Verhalten ist vielfach von Unwillen, Ärger und Feindseligkeit geprägt; dadurch provoziert er bei anderen jene Feindseligkeit, die nun ihrerseits seine ursprünglichen Befürchtungen bestätigt. In diesem Sinne ist der arme Paranoiker tatsächlich ein Verfolgter Aber es bleibt dabei, der wirkliche Feind ist der Dämon in ihm selbst. Mißtrauen und Feindseligkeit bereiten den Weg für eingebildete Wahrnehmungen. An diesem Punkt kann ein weiteres charakteristisches Merkmal paranoiden Denkens - die Projektion - ins Spiel kommen und dem Paranoiker Dinge vorgaukeln, die eines erstklassigen Zauberkünstlers würdig wären. Die Projektion ist ein unbewußter Abwehrmechanismus, durch den emotional unannehmbare Strebungen oder Spannungen abgewiesen und anderen zugeordnet (oder auf sie projiziert) werden. In der starren Ökonomie der reinen Überlebenstechniken ist dieses Vorgehen durchaus sinnvoll, denn vor einem bedrohlichen äußeren Feind kann man leichter fliehen als vor einem inneren. Die Projektion ist keineswegs immer anomal. Kinder greifen nach diesem Mittel, wenn sie sich in magische Phantasien flüchten, um mit der Welt fertigzuwerden. Und auch uns Erwachsenen ist sie nicht fremd, wenn wir andere für unsere Gefühle oder unser eigenes Versagen verantwortlich machen. Doch der Paranoiker geht einen Schritt weiter; er leugnet seine eigenen Gefühle und projiziert sie auf andere. So kann ein Paranoiker sagen: »Nicht ich hasse sie, vielmehr hassen sie mich und wollen mich zerstören.«(...)
(aus: siegel, ronald k. "der schatten in meinem kopf"; s.11 - 16; eichborn; frankfurt a.m. 1996; isbn 3-8218-1402-0)
soweit mir bekannt ist, wird die "reine" form der paranoia - also "für sich" stehend als paranoide persönlichkeitsstörung - als diagnose heute kaum vergeben; meist tritt sie als zusätzliches attribut, etwa bei der paranoiden schizophrenie, in erscheinung. wenn man sich aber mit den verschiedenen heutigen psychiatrischen diagnosen beschäftigt, wird deutlich, dass ihre wesentlichen zutaten - ängste, misstrauen, und vor allem die konstruktion entsprechend aussehender quasivirtueller welten - bei sehr vielen diagnostischen modellen implizit vorhanden sind. dann ist ebenfalls die erwähnte funktion des limbischen systems hinsichtlich flucht- und/oder kampfsituationen von bedeutung, gerade bezüglich (post-)traumatischer zustände. und am wichtigsten ist vielleicht die feststellung, dass es fließende übergänge zwischen real begründeten ängsten und paranoiden wahngebilden gibt - das ist eine situation, die für alle, die sich heute mit destruktiven gesellschaftlichen entwicklungen beschäftigen, sehr relevant ist - als beispiel sei hier nur der breite und bunte bereich diverser verschwörungstheorien genannt, bei dem sich mehr oder weniger große teile paranoiden denkens und fühlens ohne größere probleme finden lassen. gleichzeitig aber lässt sich ebenfalls hier auch der beleg für die oben erwähnte aussage finden, paranoia "sei bisweilen der beste weg, um mit dem leben fertig zu werden".der "gladio"-komplexbspw. enthält so ziemlich alle zutaten für eine wüste verschwörungstheorie unter beteiligung diverser geheimdienste, faschisten, geheimlogen etc. sowie verschwundenen zeugen, dokumenten, vertuschungsaktionen und intrigen - aber das alles war bzw. ist in einem gewissen sinne immer noch realität.
andererseits ließe sich auch sagen, dass derartige projekte ausdruck hochgradiger paranoia bei ihren protagonisten darstellen - die paranoia steckt hier nicht nur im detail, sondern ist geradezu systembedingt und womöglich in einem gewissen ausmaß auch systemkonstituierend.
mich interessieren nun besonders funktion, auftreten und ausmaß der paranoia hinsichtlich dreier themenkomplexe, die hier im blog immer wieder von bedeutung sind - zunächst zumtraumain all seinen möglichen erscheinungsformen.
das man-made-violence-traumatisierte menschen i.d.r. einen höheren grad von misstrauen und auch ängstlichkeit gegenüber anderen menschen aufweisen all jene, die das glück hatten, bisher von traumatischen erlebnissen verschont zu bleiben, ist ein banaler gedanke. weitergedacht bedeutet das aber auch, dass hier eine größere anfälligkeit für paranoides empfinden zu vermuten ist - die erfahrungen von feindseligkeit seitens der mitmenschlichen umwelt, die in dem oder den traumatischen erlebnissen eingefroren sind, sorgen sowohl für eine übersteigerte wachsamkeit gegenüber dieser umwelt generell, als auch für schnelles triggern der erwähnten flucht- oder kampffunktion, die als überlebensfunktion in uns "eingebaut" ist. wie das dann individuell aussieht, kann sehr verschieden sein - jedoch ist die relative soziale isolation, in der sich traumatierte menschen oftmals wiederfinden, auch ein ergebnis der aus dem oben skizzierten resultierenden verhaltensweisen sowie der reaktionen der umwelt auf die selbigen.
es ist eine der schwächen bei siegels beschreibungen, dass er für diesen aspekt der paranoia - die begleitung bzw. genese aus traumaindizierten störungen - praktisch blind ist, obwohl er an mehreren stellen faktisch genau diese tatsache beschreibt - so zb. dann, wenn er migranten als eine paranoiaanfällige gruppe skizziert, die aufgrund von feindseligkeit der umwelt - genauer wäre es, hier rassistische affekte und aktionen zu benennen - in diesen wahrnehmungsmodus gedrängt wird. ebenfalls führt er mehrere biographische beispiele seiner klienten auf, bei denen eine gewalttätige kindheit im hintergrund deutlich wird - mit diesem wissen werden die späteren paranoiden episoden anders und besser verständlich, als die (zu) sehr auf das gehirn starrende wahrnehmung siegels sowie die schon teils grotesk anmutenden psychoanalytischen konstrukte seines freundes sie erklären können. das buch ist auch ein schönes beispiel für neurologische bzw. psychoanalytische betriebsblindheit, besonders bezgl. der sozialen umstände, in denen die paranoia gedeihen kann.
aber zurück: wenn wir uns jetzt die indizien dafür in erinnerung rufen, die dafür sprechen, kollektive traumata in vielen gesellschaften als eine wichtige und "die normalität" strukturierende matrix im hintergrund als real zu begreifen, wird auch die mehr oder weniger stillschweigende beliebtheit des leninschen satzes "vertrauen ist gut, kontrolle ist besser" verständlich - das ist eigentlich ein satz, der zum verständnis der meisten psychophysischen störungen dienen könnte, bei denen die authentischen beziehungsfähigkeiten so geschädigt sind, dass sich die wahrnehmung hin zu den kompensatorischen und objektivistischen surrogaten bewegt.
das stichwort gerade führt zum zweiten thema, demobjektivistischen modusder menschlichen wahrnehmung. siegels sätze oben
"Es kommt zu einer intellektuellen Fixierung auf die Angstanwandlungen im tiefer gelegenen System. Die Angst erzeugt eine Vorahnung und warnt vor drohenden Gefahren. Bedrängt von dieser tiefsitzenden Angst sucht der Verstand nach Erklärungen. Er gelangt zu dem Schluß, daß irgend etwas dich verfolgt."
sowie
"Das erfordert größte Aufmerksamkeit, ein Höchstmaß an Wachsamkeit und eine Hypersensibilität für jedes noch so kleine Detail. Der Paranoiker verbeißt sich in diese Details, bläht ihre Bedeutung auf und baut sie dann in ein logisch-systematisches Muster ein. Während er seine Umwelt absucht, revidiert er das Muster unablässig, um dessen Glaubwürdigkeit abzusichern. Der Paranoiker wird rigide und unflexibel. Er ist auf jede erdenkliche Bedrohung gefaßt. Mehr als alles andere fürchtet er, die Kontrolle oder seine persönliche Autonomie zu verlieren. Er muß ständig auf der Hut vor äußeren Mächten oder Autoritäten sein."
enthalten aus meiner perspektive bereits viel von den im verlinkten beitrag beschriebenen funktionsprinzipien des objektivistischen modus. in kürze:
sinneswahrnehmungen werden von einem - aus welchen gründen auch immer - materiell geschädigten wahrnehmungssystem erfasst und (fehl-)interpretiert, wobei für die fehlinterpretationen dann bereits die kompensatorisch einspringenden objektivierenden-abstrahierenden und vor allem konstruktivistisch tätigen funktionen in uns verantwortlich sind. da wir bei der paranoia von übersteigerten ängsten und misstrauen reden, ergibt sich das beschriebene aller wahrscheinlichkeit immer dann, wenn unklarheiten und ungewißheiten bezgl. bedrohlicher lebensumstände von menschen wahrgenommen werden, die das nötige weltvertrauen bzw. die nötigen positiven beziehungserfahrungen nicht oder nur unvollständig vermittelt bekommen und erfahren haben. das leben bietet bekanntlich ständig mehr oder weniger undurchschaubare momente, die aber mit korrekt funktionierenden wahrnehmungsoptionen und dem nötigen grundvertrauen durchaus toleriert werden können - wenn aber beides nicht oder nur rudimentär vorhanden ist, steigt die wahrscheinlichkeit für paranoide zustände rapide an, bedingt durch unsere neurophysiologische ausstattung und deren funktionsgesetze (soweit sie bisher erkennbar sind).
vor dem hintergrund der these von vergangenen und aktuellen kollektiven traumata verwundert dann auch die beliebtheit von verschwörungstheorien oder gar blanken wahnkonstrukten wie dem antisemitismus der nazis nicht mehr: korrekt funktionierende und ganzheitliche wahrnehmungsfähigkeiten dürften ebenso wie das benannte grundvertrauen immer noch nur bei einer minderheit aller bisher lebenden menschen realität (gewesen) sein - und die suche nach schuldigen und ursachen für die eigenen ängste und begründungen für das eigene misstrauen sind dann am befriedigsten, wenn personalisierte antworten gegeben werden können - konkrete übeltäter, bei denen dann auch noch die erwähnte projektion ins spiel kommt.
und genau aus diesen gründen gehe ich von dem aus, was ich anfangs zitiert hatte: für all jene, die sich dominant und funktionell und strukturell in einem objektivistischen wahrnehmungsmodus befinden, ist eine latente oder auch manifeste paranoia eine treue begleiterin. dieser umstand lässt sich auch als eine weitere motivation dafür begreifen, machtpositionen anzustreben: sie bieten sowohl (scheinbare) sicherheiten als auch die möglichkeiten, weitgehende kontrolle auszuüben, und derart das scheinbar bedrohliche außen in den griff zu bekommen. wie so etwas dann konkret auf den kontrollaspekt bezogen aussehen kann, lässt sich momentan tag für tag in den nachrichten betrachten.
mit authentischer sozialität hat das alles natürlich mal wieder nix zu tun, sondern eher mit einem weiteren aspekt, anhand dessen sich die diagnose einer tiefgreifenden gesellschaftlich-sozialen pathologie stellen lässt.
ein besonders gefährliches problem ergibt sich bei der paranoia aus der figur des verfolgenden verfolgten (als mertz-leserIn werden Sie sich vielleicht an sein modell der kontrolle-gegenkontrolle erinnern). siegel beschreibt diese konstellation in seinen ersten absätzen sehr detailliert, aber in etwas abgewandelter form könnte bspw. auch ein schäuble in dieser kategorie begriffen werden - die paranoid verzerrten ängste werden durch gegenmaßnahmen scheinbar gelindert, die leider nur den effekt haben, in aller regel nun bei anderen massive ängste und auch misstrauen auszulösen, was dann beim paranoiden die eigenen befürchtungen wieder verstärkt und weitere gegenkontrolle provoziert - im extrem ergibt sich ein immer enger werdender loop, der sich dann womöglich erst in extrem gewalttätigen aktionen selbst zeitweise lahmlegt.
zum dritten punkt: wie sieht es mit den - neurophysiologisch bedingten - angstfreiensoziopathenaus? sie agieren ja ebenfalls konstruktivistisch (und zwar als dauerzustand bzw. grundsätzliche seinsweise). aber lässt sich bei denen eine paranoia konstatieren? ich würde eher von einer als-ob-paranoia sprechen - der kontrollmodus ist zwar ständig aktiviert, und ebenso sind die fehlenden empathiefähigkeiten und die dadurch faktisch nicht vorhandene fähigkeit zum vertrauen eine vorbedingung zur paranoiden misstrauen - aber als im herkömmlichen sinne paranoid lassen sie sich vermutlich eher nicht begreifen, und zwar eben aus dem grund der nicht wahrgenommenen angst. vielleicht könnte man es so ausdrücken: sie sind eher ein beleg dafür, dass sich der objektivistische modus tatsächlich in jedem von uns findet, und uns im falle einer paranoiden wahrnehmung unter umständen auch in einen quasi soziopathischen menschen verwandeln könnte. die vielen parallelen zwischen dem paranoiden modus und dem objektivistischen modus lassen sich am einfachsten so interpretieren, das funktionsmäßig beides eng zusammengehört, bzw. die paranoia in ihrem wesen zu großen teilen vom objektivistischen modus geprägt wird. dazu kommt bei den soziopathen ebenfalls die unheilvolle fähigkeit, bei anderen massive ängste und misstrauen auslösen zu können, aber im gegensatz zum "normalen" paranoiker" ohne entsprechende eigene erfahrungen.
und wenn ich mir das so betrachte, komme ich zu dem schluß, dass vermutlich nicht alles, was wie paranoia aussieht, auch im klassischen (psychiatrisch-neurologischen) sinne paranoia ist.
*
und an diesem punkt möchte ich Sie in Ihrer möglichen verwirrung erstmal alleine lassen. ich schreibe wieder mal an einem öffentlichen ort, was den unbestreitbaren nachteil hat, dass sich die eigenen gedanken eher komprimiert aufdrängen, und vermutlich werde ich noch die eine oder andere anmerkung bzw. korrektur nachzureichen haben, wenn ich den text noch mehrmals gelesen habe. aber für den moment finde ich, das das obige vorläufig genügend stoff zum nachdenken bietet.
*
edit am 16.06.: schon geändert habe ich oben den - jetzt korrekten - begriff des "verfolgenden verfolgten", wo vorher "verfolgenden verfolgers" stand, was nicht nur doppelt gemoppelt war, sondern auch inhaltlich richtiger quatsch.
dann: das problem, das die gruppe der "echten" soziopathen zwar viele eigenschaften des paranoiden modus´ aufweist, jedoch die - laut definition - eigentlich wichtigste, nämlich die gesteigerte angst, nicht wahrnehmen kann, beschäftigt mich gerade immer wieder. und bisher komme ich zu dem ergebnis, dass es sich hier womöglich um ein weiteres beispiel dafür handelt, was passiert, wenn psychiatrische diagnosenmodelle umstandslos und ohne rücksicht auf qualitative neurophysiologische unterschiede als global gültig gesetzt werden. ähnlich wie bei den früher beschriebenen möglichkeiten für pränatale traumata, die es "offiziell" nicht gibt und die mit einiger wahrscheinlichkeit die persönlichkeitsstruktur qualitativ ganz anders prägen als postnatale traumata, kann es hier gut sein, dass sehr unterschiedliche psychophysische störungen ähnliche symptome hervorbringen, die dann unzulässigerweise unter einen hut gepackt werden. ich finde es aber für mich momentan gerade bei diesem thema hier immer noch schwierig zu begreifen, wie etwas, das so aussieht als ob, doch etwas sehr anderes ist. von daher muss ich meine eingangs erwähnte these, das der objektivistische modus immer auch mit der paranoia einhergeht, relativieren - für die strukturellen soziopathen müsste das eher so lauten, das sie auch immer einige symptome der paranoia aufweisen, v.a. diejenigen, die mit starken kontrollambitionen daherkommen.
und zum vorläufigen schluß noch ein wort zum nur nebensächlich erwähnten drogenthema: ich halte - bis auf sehr seltene ausnahmen - drogen nicht ursächlich verantwortlich für irgendwelche psychophysischen störungen. allerdings haben kokain und auch die amphetamine durchaus das zeug dazu, paranoide zustände zu triggern und extrem zu verstärken. und das ist hinsichtlich der beliebtheit dieser stoffe gerade auch in kreisen, die sich selbst als elitäre verstehen, ein durchaus relevanter aspekt.
bei der ansicht der folgenden meldungen musste ich schnell an einen alten comic von gerhard seyfried denken, in dem ein 70s-like gekleideter passant hinter sich eine ganze horde von männern mit hüten, langen mänteln und verdächtigen knöpfen im ohr hinter sich herzieht - schön mit den unterschriften der jeweilgen organe - bka, bfv, bnd, mad, staatsschutz etc. - versehen. ganz am ende kam jemand mit dem vermerk "v.i.b.s." - von irgendwem bezahlter spitzel.
das sich nun die neulichhiererwähnte paranoide verfassung besonders von "führungskräften" in der wirtschaft nicht nur auf verdächtige untergebene und lästige journalisten beschränkt, ist keine besonders fernliegende überlegung. zumal so langsam auch das wirken der "konzernsicherheit" in bereichen bekannt wird, die bisher eine domäne der staatlichen schnüffelei darstellten. wirlesen:
(...)"Der Nestlé-Konzern soll eine als Aktivistin getarnte Agentin beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac eingeschleust haben. Grund: Ein Buch, das sich mit dem "Imperium Nestlé" befasst.(...)
Nestlé teilte mit, angesichts der von globalisierungskritischen Gruppen angekündigten Proteste gegen bestimmte Unternehmen während des G-8-Gipfels in Evian im Jahr 2003 habe der Konzern "in enger Zusammenarbeit mit Securitas" die "geeigneten, strikt legalen Maßnahmen" ergriffen."
auch dazu fällt mir spontan ein alter spruch der 70er ein, "legal - illegal - scheißegal", der eigentlich mal als aufruf zur überwindung der hiesigen untertanenmentalität gedacht war, aber vermutlich schon damals von relevanten teilen der "eliten" als integraler teil ihres selbstverständnisses ausagiert wurde. und in diesem selbstverständnis dürfte auch die etwas ältere geschichtehierals "strikt legal" gelten, zumal die objekte der überwachung eh nicht mit größerer gesellschaftlicher sympathie rechnen können, was auch eine erklärung dafür sein mag, das sich diese nachricht nicht groß verbreitet hat:
(...)"Der Siemens-Konzern hat nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel im Jahr 2003 die Münchner Parteizentrale der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) observieren lassen. Außerdem hätten die Privatfahnder für die Siemens Business Services in Paderborn ein von der DKP Südbayern organisiertes Sommerseminar am Ammersee überwacht, hieß es in dem Vorabbericht.
Bezahlt wurden laut Spiegel Detektivrechnungen über 11.600 und 23.200 Euro über eine schwarze Kasse der Telekommunikationssparte.
Die Beobachtungen hätten vor dem Hintergrund eines schwelenden Arbeitskampfes auf die Person des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden der Festnetzsparte, Leo Mayer, der DKP-Funktionär ist, gezielt. Gleichzeitig sollten die Detektive den Angaben zufolge feststellen, ob auch noch andere Siemens-Mitarbeiter der DKP zuzurechnen sein könnten."(...)
wie soll sowas genannt werden? privatisierter "staatsschutz"? nicht ganz abwegig bei der beobachtung, dass sich die transnationalen konzerne entweder schon selbst als quasistaatliche mächte verstehen, und/oder aber die existierenden staaten als real für ihr interesse zur verfügung stehende institutionen begreifen - beides stellt letztlich eine neue art feudalistischer diktatur dar. die verquickung staatlicher organe mit den "global playern" ist jedenfalls mehr als einenblickwert:
(...)"Doch hinter vorgehaltener Hand sprechen in Sicherheitskreisen viele über die verschwiegenen Abteilungen der Konzerne. Über ihre republikweiten Kontakte untereinander. Über ihre enge Verbindungen zum Staat. Und über ihre personelle Verflechtung mit Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Bundeswehr.
Seit dem Telekom-Skandal hat das Wort Konzernsicherheit in der Öffentlichkeit einen bösen Klang, steht für Paranoia, Bespitzelung und Datenmissbrauch. War es wirklich nur das "Fehlverhalten Einzelner", wie der Konzern beschwichtigt, oder waren die Telekom-Späher mit anderen Firmen und sogar Behörden vernetzt? Wer dieser Frage nachgeht, entdeckt ein enges Geflecht aus privatwirtschaftlichen und staatlichen Sicherheitsinteressen.
Seit dem Jahr 2005 gibt es diese exklusive Runde, über die in der Branche niemand offen spricht. Von den Treffen profitiert auch das BKA. Es nutzt die weltweit operierenden Konzerne als "Wissensträger" - und verlängerte Arme ins Ausland."(...)
so schreiten sie seit´an seit´. und machen noch mal explizit deutlich, warum in diesem land bis vor kurzem immer nur "die linke" das copyright auf den begriff "terrorismus" zugesprochen bekam - denn terror ist immer nur dann, wenn sich die "elite" entweder persönlich verfolgt fühlt oder aber eigene interessen durchsetzen will mittels der üblichen "politik" der angst:
(...)"Entstanden ist diese spezielle Kooperation von Staat und Wirtschaft als Reaktion auf den Terror der Roten Armee Fraktion Ende der Siebziger Jahre. Wer heute bei Daimler nach der Konzernsicherheit fragt, hört sofort die Namen Schleyer und Herrhausen und dass die Abteilung ihre Arbeit "gut erledigt, wenn wir nicht darüber sprechen." Wie bei vielen Großunternehmen arbeiten bei Daimler in der Sicherheitsabteilung Mitarbeiter "mit entsprechendem Hintergrund". Viele kommen von der Polizei und dem Bundeskriminalamt. Der Abteilungs-Chef, Thomas Menk, war früher beim Verfassungsschutz tätig und spricht manchmal vom "Wirtschaftskrieg", in dem sich sein Unternehmen befinde.
Ob bei Daimler, Siemens, der Bahn oder der Telekom - in Scharen zog es in den vergangenen Jahrzehnten Staatsbeamte aus den einschlägigen Bereichen in die Konzernsicherung der freien Wirtschaft. Für die Beamten ging es um Karrierechancen und ein besseres Gehalt. In der Wirtschaft waren sie gefragt, denn sie galten als loyal, zuverlässig und politisch ungefährlich. Ausbildungsgänge zum Sicherheitsexperten existierten noch nicht. "Sie waren die einzigen, die auf dem Markt waren", heißt es aus Kreisen. Deshalb wimmelt es in den Abteilungen von ehemaligen Polizisten, Militärs und Geheimdienstlern."(...)
eine saubere gesellschaft, die - wenn man die mittel bedenkt, die solche konzerne zur verfügung haben - vielleicht sogar technisch und finanziell wesentlich besser ausgestattet sein könnte als die staatlichen büttel. und auch noch weniger unter kontrolle steht als die letztgenannten. wieder mal feine aussichten also - für paranoiker mit realitätsbezug.
mitlächelsimulationenund ihren möglichen folgen hatte sich eine frühere notiz schon mal beschäftigt. jetzt gibt´s einennachschlag, der die damals kurz dokumentierten folgen nicht nur bestätigt...
(...)" Kürzlich berichtete die "Apotheken Umschau", dass verordnetes Lächeln bei der Arbeit Depressionen, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Krankheiten hervorrufen kann.
Melanie Holz: Das ist richtig, mittlerweile wissen wir das aus vielen Studien. Wenn Freundlichkeit erzwungen, statt empfunden wird, kann das zu Burnout, Depressionen und psychosomatische Krankheiten führen. Das zeigt sich auch im Arbeitsverhalten: Wer von der Emotionsarbeit überfordert ist, leistet weniger."(...)
...sondern auch noch etwas über den elementaren unterschied zwischen authentizität und simulation deutlich macht:
(...)"Sie können wenigstens Strategien lernen, wie man bestimmte Situationen deeskaliert, und wie man die eigenen Grenzen bewusst zieht. Je kürzer die Interaktion, desto einfacher ist es, nur zu schauspielern. Wir unterscheiden bei der Emotionsarbeit grundsätzlich zwischen oberflächlicher und tiefer Darstellung von Gefühlen. Beim surface acting lächelt man, aber es nicht wirklich echt und authentisch, sondern eben aufgesetzt. Aber gerade das ist gesundheitsschädlicher als deep acting! Wenn Sie tatsächlich empfinden, was Sie zeigen sollen und müssen, befinden Sie sich nicht in einem widersprüchlichen Zustand. Es ist viel unbequemer, den ganzen Tag eine Maske zu tragen. Insofern ist das deep acting auch ein Selbstschutz. Deshalb entwickeln Mitarbeiter Strategien, um in die gewünschte Stimmung zu kommen.
Wie geht denn das?
Es gibt im Umgang mit Kunden oder auch Patienten sozusagen Rückkopplungen. Die Menschen merken, ob Freundlichkeit authentisch ist oder nicht, und sie reagieren entsprechend. Studien haben gezeigt, dass man sogar am Telefon den Unterschied hört, ob die Person am anderen Ende der Leitung lächelt oder nicht. Eine andere Studie von Thorsten Henning-Thurau wiederum belegt, dass es weniger auf die Häufigkeit des Lächelns ankommt, als auf die empfundene "Echtheit". Echte Gefühle machen Kunden zufrieden."(...)
ohne die mehr als ärgerliche betonung auf herabgesetzte "leistungsfähigkeit" sowie die bessere verkäuflichkeit authentischer emotionen geht´s anscheinend bei der forschung nicht nur in diesem themenkreis nicht mehr. und dann wäre noch anzumerken, dass die fähigkeiten zur wahrnehmung authentischer kommunikation bekanntlich nicht gerade gesellschaftlich gefördert werden.
*
kurz der hinweis auf eine mehr als fatale psychophysische anpassungsstrategie:
die da sehr kurz umrissenen ergebnisse einer studie sind nicht nur ein weiterer beleg dafür, dass das gerede von den angeblich "natürlichen" hierarchien, die menschen angeblich benötigen würden, in die rubrik selbsterfüllender prophezeiungen gehört (ähnlich der "natürlichen" bösartigkeit "des menschen"). sie stellen auch ein paar tiefgreifende fragen an jede emanzipatorische bewegung, wie ich finde.
*
kürzlichhatte ich im verlaufe eines beitrags einen kommentar aus der süddeutschen bezgl. des wortes wahnwelten aufgegriffen. nun legt der gleiche autor nochmalnach:
(...)"In manchen Vorstandsetagen wird heutzutage ein regelrechter Personenkult gepflegt. Wer Hauptversammlungen besucht, sieht den Chef überlebensgroß auf der Leinwand - hat so einer zu Hause auch einen Spiegel mit Vergrößerung? Dabei fehlt es den Konzernlenkern unserer Tage nicht selten an der natürlichen Autorität, die früher einen Berthold Beitz oder Alfred Herrhausen auszeichnete. Viele von ihnen wirken geklont, haben ähnlich glatte Biografien und sind von Schranzen und Höflingen umgeben, die sich ebenfalls verblüffend ähneln.
Man hat es nach oben geschafft und muss die persönliche Macht unter allen Umständen absichern. Sonst putscht irgendjemand. Gefahren sind allgegenwärtig. Schneller als früher kann einer von ganz oben nach ganz unten abstürzen. Permanent werden Schlachten geschlagen, wird Krieg geführt und die Metaphern sind entsprechend: "Bis zum letzten Blutstropfen" wollte der frühere Post-Chef und Telekom-Kontrolleur Klaus Zumwinkel um Briefe kämpfen.
Der Herrscher definiert, wer jeweils als Verräter zu betrachten ist. In dieser Logik gibt es keine Unschuldigen, nur solche, die des Verrats noch nicht überführt sind. Verrat, Ketzerei und Kritik sind für die Herrscher irgendwie gleich.
Dass Kontrolleure vor Aufsichtsratstreffen in Konzernen ihre Handys abgeben müssen, damit sie nicht heimlich die Dialoge mitschneiden können, zeigt eine Struktur, die aus der Psychiatrie bekannt ist, die Struktur der Paranoia. Überall wittert sie Verschwörungen, Gefahren. Andererseits wird der kontrollierte Kontrolleur sichtbar zum Geheimnisträger, was seine Bedeutung aufwertet.
Das Einzige, was wirklich stört, ist die Öffentlichkeit. Folglich wird sie zum Feind erklärt. Ein Feind, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss. In einer Wahnwelt wird das für Logik gehalten - nicht nur bei der Telekom."
nochmals die treffende beobachtung von der grundsätzlichen paranoia, von der die in verschiedenen formen und intensitäten des objektivistischen wahns befallenen "elitären" akteure zwangsweise und grundsätzlich ebenfalls betroffen sind. gleichzeitig aber werden mit dem satz "Dabei fehlt es den Konzernlenkern unserer Tage nicht selten an der natürlichen Autorität, die früher einen Berthold Beitz oder Alfred Herrhausen auszeichnete" sowohl geschichtsklitterung betrieben als auch falsche spuren gelegt.
die heutige generation von managern, technokraten, "leistungsträgern" etc. ist keinesfalls auf einmal vom himmel gefallen, sondern voll und ganz das produkt ihrer historischen vorgänger - und wie diese "natürlichen autoritäten" mehrheitlich so drauf waren, hätte der autor mit ein bißchen recherche selbst verifizieren können - ich verweise nur einmal aufdiesenälteren beitrag:
(...)"das selbst bei einem explizit nichtpsychiatrischen blick sehr schnell einiges auffällige sichtbar wird, lässt sich z.b. bei einem bestseller der 1970er jahre, "ihr da oben - wir da unten" von bernt engelmann und günter wallraff, in hunderttausenfacher auflage verlegt, nachvollziehen. ging es den beiden dort ursprünglich um ein besitz- und persönlichkeitsprofil der damaligen westdeutschen gesellschaftlichen, v.a. wirtschaftlichen "eliten", so ziehen sie ziemlich am ende ihrer recherchen - bei der darstellung des damaligen skandals um den "gerling-konzern" und den bankrott der "herstatt-bank", folgendes fazit:
"Die FAZ verschweigt (in einem dokumentierten kommentar zum erwähnten skandal, anmrk. mo), daß Gerling nur ein - besonders offensichtlich gewordenes - Beispiel für die Möglichkeiten, ja Affinitäten von Machtmißbrauch und Unternehmerwillkür innerhalb der sogenannten `Freien Marktwirtschaft´ darstellt. Die vielen Hunderte und Tausende kleinen und großen Gerlings sollen weiterhin möglichst frei und hemmungslos ihrer Profitleidenschaft unkontrolliert nachgehen. Unterschlagen und verdrängt wird, daß Gerlings Verhalten geradezu symptomatisch ist für Alleinherrscher dieser Größenordnung. Alfried Krupp, der alte Flick, Quandt, Melitta-Bentz, Siemens-Clan, Oetker und wie sie alle heißen, zeigen politisch wie psychopathologisch oft ganz ähnliche Verhaltensmuster."
(engelmann/wallraff "ihr da oben - wir da unten"; rororo, reinbek 1976; s. 293; isbn 3 499 16990 8)
erstmalig 1973 erschienen, ist die damalige zeit der patriarchalischen alleinherrscher über solche bis heute - in form von aktiengesellschaften meist - existierenden markenunternehmen zwar vorbei, an der psychopath(olog)ischen grundstruktur jedoch scheint sich nicht viel geändert zu haben. das buch ist quasi von vorne bis hinten eine beschreibung schwerer psychiatrischer auffälligkeiten, bei denen die betroffenen einzig durch geld und machtposition vor jenen konsequenzen geschützt sind, die ein normalsterblicher in solchen fällen recht schnell vom sozialen umfeld zu erwarten hätte."(...)
was sich geändert haben dürfte, sind einerseits die symptome - auch aufgrund der technischen entwicklung, die zb. für paranoide persönlichkeiten ganz andere möglichkeiten zum ausagieren einräumt - ,andererseits die öffentliche wahrnehmung. das gleiche gilt übrigens auch für die sog. "politiker". ich kenne die sog. "charaktere" wie wehner, strauß oder auch den notorischen helmut schmidt noch aus eigener anschauung - und würde sagen, dass deren treiben letztlich kein grad besser war als das heutige. bzw. die grundlage für das heutige gewesen ist. und ob die rhetorik unterhaltsamer gewesen ist, kann nicht ernsthaft ein kriterium darstellen.
aber vermutlich scheut der sz-autor auch vor den konsequenzen zurück, die die obige perspektive impliziert - auch für ihn selbst und seine rolle.
*
ähnlich treiben es schließlich gerade auch viele kommentatoren auf wirtschaftsseiten, die partout nicht verstehen können, warum der ölpreis von rekord zu rekord eilt. einbeispiel:
(...)"Was ist es dann? Es bleiben nur Vermutungen. Die etwaige Hoffnung auf eine anspringende Konjunktur in den USA scheidet auf jeden Fall aus. Schließlich ist die US-Arbeitslosenrate gerade so stark nach oben geschossen wie zuletzt vor mehr als 22 Jahren. Die Hausse auf die üblichen Verdächtigen zurückzuführen, also Spekulanten und Hedgefonds, scheint etwas dünn. Natürlich waren sie in der vergangenen Woche aktiv – aber das sind sie immer.
Weitere Möglichkeiten sind: eine sich gerade zusammenbrauende Krise, die für das Gros der Marktteilnehmer noch gar nicht erkennbar ist, aber entscheidende Akteure in den vermeintlich sicheren Ölmarkt treibt, oder die Schieflage eines großen Hedgefonds, die einige Börsianer schon ahnen. Doch auch Letzteres ist unwahrscheinlich, denn in einem solchen Fall hätten die Kurse in die genau entgegengesetzte Richtung streben müssen."(...)
ein schönes beispiel dafür, wie ökonomen fest in ihren tunnelrealitäten stecken. vielleicht sollte er mal einen blickhierherriskieren:
(...)"Wie Familie Robinson: Müssen wir am Ende der Ölkrise alle Selbstversorger werden? Überlegungen über eine Welt ohne Öl - zwischen Utopie und Apokalypse.(...)
Die Ölproduktion stagniert seit 2005 bei etwa 85 Millionen Barrels pro Tag, dafür steigt aber der Preis. Am letzten Freitag machte er seinen bisher größten Sprung nach oben - um 11 Dollar auf 138 Dollar pro Barrel. Bis auf 200 Dollar oder mehr, schätzen Analysten von Goldman Sachs, könnte der Preis für ein Barrel Rohöl klettern. 40 Prozent des Öls, heißt es im Petroleum Review, "kommt aus Regionen, in denen die Produktion ganz eindeutig abnimmt."
Peak-Oil-Theoretiker sehen darin ein Zeichen für den Beginn des Niedergangs. Und zunehmend nicht nur sie. Vor wenigen Jahren glaubten noch viele, Peak Oil werde erst zwischen 2015 und 2030 eintreten. Immer mehr Analysten schwenken nun um. 2010 ist das nun am häufigsten genannte Datum. Manche sagen, Peak Oil sei jetzt.
Die Tatsache, dass dieser Scheitelpunkt irgendwann eintreffen wird, stellt kaum einer mehr in Frage, auch wenn Politiker und Medien den Ausdruck lieber vermeiden und Vertreter der Theorie gern als irre Apokalyptiker abtun. So wie ihren Begründer, den Shell-Geologen Marion King Hubbert. Der hatte in den fünfziger Jahren vorausgesagt, dass die amerikanische Ölproduktion um 1970 herum ihren Scheitelpunkt erreichen würde, um dann unaufhaltsam zu fallen. Das allgemeine Gelächter einer vom Rohöl besoffenen Welt verstummte, als der Scheitelpunkt in den USA 1970 tatsächlich erreicht wurde.
Doch es sind ja nicht nur die Apokalyptiker, die vor den Folgen warnen. Als Dick Cheney noch Vorsitzender des Energiekonzerns Halliburton war, hielt er im Herbst 1999 eine Rede vor dem Institute of Petroleum. Die "Grundlage der Weltwirtschaft", warnte er, werde bald extrem knapp werden. Die amerikanische Energiebehörde EIA veröffentlichte 2007 einen Report, in dem sie davon ausgeht, dass die Produktion 2006 ihren Höhepunkt erreicht habe. Das Aspen Institute warnte vor dem Ende des "easy oil". Und gerade erklärte der amerikanische Finanzminister Henry M. Paulson, dass es "keine schnellen Lösungen" für die hohen Ölpreise gebe, denn es sei ein Problem von Angebot und Nachfrage. "Die Produktionskapazitäten haben keine neuen Entwicklungen gemacht."
"Die Frage ist jetzt: Wie steil ist der Abhang auf der anderen Seite", sagt der Energiefachmann Matt Simmons, einst Berater von George W. Bush und Autor von "Twilight in the Desert". Und wie wird sie aussehen, eine Welt, in der Öl nicht mehr im Überfluss vorhanden ist?"(...)
darüber machen sich ökonomen, die dem albernen und größenwahnsinnigem glauben vom "ewigen wachstum" anhängen, natürlich keine gedanken. und offensichtlich auch über die folgenden realitäten nicht:
(...)"In diesen Tagen nun demonstrieren Inder, weil die Regierung die Benzinsubventionen gesenkt hat. Hersteller von Waschmitteln bis Computerbildschirmen warnen vor höheren Preisen. In Europa gehen Fischer auf die Straße, weil der Rohölpreis das Ausfahren inzwischen unrentabel macht. Der Preis für eine Tonne Düngemittel hat sich in den letzten Jahren vervielfacht; Fachzeitschriften für Landwirte informieren ihre Leser darüber, wie sie ihre Betriebe umbauen können - aus der Not geboren, nicht, weil man unbedingt ökologisch arbeiten will. In den USA ziehen die Bürger in die Städte, und die ersten Suburbias verelenden schon zu Slums."(...)
es wird in dieser ach-so-aufgeklärten und ach-so-fortschrittlichen westlichen "zivilisation" selbst dann noch vermutlich genügend leute geben, die an ihren dinglichen fetischen und objektivistischen wahngebilden festhalten, wenn um sie herum und vor ihnen der systemzerfall unübersehbare formen angenommen hat. aber mein mitleid mit denen hält sich absolut in grenzen.
übrigens ist nicht nur peak oil ein begriff, den Sie langsam in Ihren wortschatz aufnehmen sollten - es gibt einige anzeichen dafür, dass im gefolge auchPeak Food, Peak Waterauf dem programm stehen.
und mein gefühl zu dem allen ist wirklich richtig mies, weil u.a. diese gesellschaft nicht nur ihre mitverantwortlichkeit aufgrund unseres "lebens"stils leugnet, sondern es natürlich auch vorzuziehen scheint, in jeder nur möglichen hinsicht mit voller kraft gegen die wand zu rasen. und dieses gefühl wird mehr und mehr belastend.
u.a. auch darum zum schluß noch etwas hörenswertes elitebashing.
...von "frieden", "freiheit", "demokratie" und was dergleichen phrasen mehr sind, ist insgesamt eine unerträgliche. das wurde für mich einmal mehr deutlich beim anblick einesfundstücksauf Dauerfeuer Verarsche - ein kleinerprozessbericht, der sich nicht umsonst in der rubrik "welt" - anderswo heißt es "panorama" oder "vermischtes" - findet. das sammelsurium scheinbar unpolitischer, mit "human touch" gekennnzeichneter themen ist eine gute möglichkeit, themen aus ihren kontexten zu lösen und derart bei der leserInnenschaft nicht das nachfühlen und -denken, sondern den schnellen pseudoinfo-konsum zu fördern. hauptsache, die quote stimmt und die verhältnisse werden nicht mit dem schatten eines zweifels befleckt.
was ist da nun zu lesen?
(...)"Die nach eigenen Angaben unter Depressionen leidende Angeklagte versuchte ihre Tat damit zu erklären, dass ihr die finanziellen und persönlichen Probleme über den Kopf gewachsen seien. Nach der Tötung ihrer Tochter habe sie sich selbst töten wollen. "Die Lisa war das Beste, was ich im Leben zustande gebracht habe", sagte sie unter Tränen. "Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und wollte einfach nur, dass es vorbei ist", sagte die aus Rottendorf bei Würzburg stammende Frau, die geschieden ist und zuletzt von "Hartz IV" lebte."(...)
eine mutter, "hartz IV"-empfängerin und "nach eigenen angaben" depressiv, ermordete also in einer dem anschein nach vorhandenen affektsituation ihre tochter.
(...)"Die Angeklagte hatte laut ihrer Aussage schon im Juli an Selbstmord gedacht. Seit Ende Juli begab sie sich deshalb freiwillig in stationäre psychiatrische Behandlung. "Ich hatte Angst, dass irgendetwas passiert, das ich nicht mehr steuern kann", gab sie als Begründung an.
Bereits 2006 hatte sie sich ein Messer in den Bauch gestoßen, war damals aber von ihrem Mann gerettet worden."(...)
und versuchte sich danach - und offensichtlich nicht das erste mal - selbst das leben zu nehmen. dazu erfahren wir von einer freiwilligen psychiatrischen episode aus tieferliegenden möglichen gründen, die am ende durch den verteidigenden anwalt genannt werden:
(...)"Die Angeklagte habe eine schwere Kindheit gehabt, sei sexuell missbraucht worden und habe als einzige Bezugsperson ihre Mutter gehabt, sagte er. Nach deren Tod 2004 hätten dann die psychischen Probleme begonnen."
das ist also eine jener meldungen, die sich - nicht immer, aber oft genug - unter den oben benannten "unpolitischen" rubriken in den zeitungen dieses landes finden lassen. nicht im "politik"-teil, natürlich auch nicht im wirtschaftsteil. und erst recht schaffen sie es nicht bis zum aufmacher auf seite 1, obwohl journalistinnen, die ihren job ernst nehmen würden, anhand dieser geschichte ohne große probleme blitzlichtartig ganz verschiedene brennpunkte gegenwärtiger antisozialer tendenzen aufzeigen könnten, ja eigentlich müssten.
*
der erste punkt, der aus den öffentlich gemachten informationen deutlich wird, lässt sich wiedereinmal als manifest gewordene täter-opfer-dialektik begreifen - ein traumatisierter mensch wird selbst zum täter, agiert und re-inszeniert also die erlebte gewalt, in der er bzw. hier sie, zum objekt verdinglicht wurde, selbst auf destruktive weise aus. im blog sind schon diverse geschichten von tatsächlich gefühllosen bzw. -unfähigen müttern versammelt, aber ich denke, dass in diesem fall tatsächlich um eine affekttat geht. der freiwillige besuch einer psychiatrischen station aufgrund der benannten angst ist kein entschluß, der einem tatsächlich empathiegestörten menschen am nächsten liegen würde.
ein affekt lässt sich allerdings funktional und bezgl. des vorherrschenden wahrnehmungsmodus meiner meinung nach wie eine als-ob-verdinglichende wahrnehmung begreifen - ein emotionaler zustand ist so stark, dass eine art tunnelrealität entsteht, in der alle anderen wahrnehmungen stark bis total überlagert werden, was real auf ihr quasi nichtvorhandensein hinausläuft. und in einem solchen modus werden dann auch die schlimmsten und undenkbarsten taten möglich, die die betroffenen dann nicht selten selbst nicht nachvollziehen können bzw. als krassen bruch ihrer eigenen biographie und innerhalb ihres selbstbildes erleben.
als nächst frage drängt sich also auf, welche bedingungen solche zustände hervorbringen können und möglicherweise sogar noch fördern.
und das leitet zum zweiten punkt über, nämlich der sozioökonomischen situation der frau. und da reicht zum stichwort "hartz IV" einfach noch mal die erinnerung an diese unvollständigedokumentation, bei der ich zum schluß folgendes zitiert hatte - auszug:
(...)"Die Arbeitslosigkeit als individuelle Traumatisierung führt zu desaströsen psychischen Belastungen und Schädigungen, die von Auflehnung und ohnmächtiger Wut zu depressiver Verzweiflung, Erschöpfung und zum Gefühl der Wertlosigkeit führen. Die verinnerlichten negativen Erfahrungen der psychischen Frühphase, in der das werdende Selbst sich noch nicht abgrenzen und wehren kann, werden im hilflosen Erleben der Ausgrenzung aus der Gemeinschaft der Erwerbstätigen reaktiviert. Nicht umsonst ist eines der am schwersten zu ertragenden Gefühle der Arbeitslosen das, überflüssig zu sein, nicht mehr gebraucht zu werden und daran selber schuld zu sein."(...)
das entscheidende wort in diesem absatz ist "reaktiviert". ist die derzeitige armutsverwaltung in diesem land schon für relativ gesunde menschen eine teils schwer erträgliche belastung und zumutung, so kann sie für traumatisierte menschen zu einem echten alptraum werden. und das muss ich auch deshalb so drastisch sagen, weil ich in meinem engsten umfeld genau mit so einer kombination - zeitlich weitgehende erwerbsunfähigkeit aufgrund posttraumatischer belastungsstörung und "hartz IV" - zu tun habe, und einen nicht geringen teil meiner eigenen kraft auch dafür brauche, die sich aus den maßnahmen der armutsverwaltung sowie aus den öffentlichen diskursen über erwerbslose ergebenden gefühle der eigenen "überflüssigkeit" und "minderwertigkeit" sowie die damit assoziierten ängste beim betreffenden menschen immer wieder aufzufangen.
und ja, aus diesen erfahrungen steht für mich fest: die "politik" und auch die öffentlichen diskurse gegen erwerbslose können auf traumatisierte wie ein trigger wirken, der die ganze traumaindizierte ohnmacht und verzweiflung nicht nur reaktivieren, sondern womöglich auch den letzten impuls auslösen kann, der sich dann in selbst- oder fremddestruktive aktionen umsetzt. es ist dabei auch erstmal die feststellung egal, dass sich derartig be- und getroffene menschen die herrschenden wahnvorstellungen bezgl. arbeit und leistung als hauptsächlich sinnstiftend irgendwann einmal zu eigen gemacht haben müssen - unser ganzes schul- und erziehungssystem beruht darauf, und auch in genügend familien dürfte dieser lebensverneinende mist immer noch als "wert" vermittelt werden. und gerade bei innerfamiliär entstandenen traumata stellen diese "werte" später echte und gefährliche plagegeister für die betroffenen dar, da die eigenen authentische erfahrung meist völlig fehlt, für sich selbst und das eigene sein geschätzt und geliebt zu werden.
das gilt übrigens erst recht für traumatische sexualisierte gewalt gegen frauen, wobei wir in diesem fall zuwenig wissen: wer war täter/täterin?, wie war die mutter-kind-beziehung, wie der umgang mit der sexualiserten gewalt seitens dieser mutter etc. ? ich kann mir ein paar teils sehr gegensätzliche konstellationen vorstellen, aber das kann nur spekulation bleiben.
was aber keine spekulation bleibt, ist die perfidität von strukturen, mittels der eine gesellschaft wie unsere, die sich "zivilisiert" nennt, es hinbekommt, die eigenen produzierten gewaltverhältnisse mehrheitlich nicht nur nicht zur kenntnis zu nehmen, sondern die davon betroffenen in einer schwer zu schätzenden zahl nicht nur passiv bei ihren heilungsversuchen behindert (nicht nur durch die extreme beschneidung materieller ressourcen bei "hartz IV"; auch die restriktiver werdenden entwicklungen im gesundheitssystem wirken sich destruktiv aus), sondern mittels der sichtbaren antisozialen ausrichtung der sog. "sozialpolitik" immer wieder sogar in die situation der faktisch aktiven bekämpfung von schwer geschädigten menschen gerät.
(oder gar geraten will? aus einer anderen perspektive ließe sich nämlich auch formulieren, dass hier zeugInnen für viele gesellschaftlich induzierte verbrechen auf die eine oder andere weise zum schweigen gebracht werden, und zwar teils sehr subtil. das muss nicht
unbedingt ein bewußter plan sein, aber den effekt haben konstellationen wie gerade beschrieben schon sehr deutlich.)
was auch keine spekulation bleibt, ist die vorhersage, dass eine wahrscheinliche knaststrafe wirklich niemandem in diesem fall real helfen kann - ich sehe selbst das einzige nachvollziehbare argument, eine gefährdung der restlichen gesellschaft zu minimieren, hier weit und breit nicht gegeben. eine mögliche gefängnisstrafe hier wäre einmal mehr nichts weiter als eine wie üblich ge- und verleugnete racheaktion.
*
wer immer mehr menschen in isolation/vereinsamung und gesellschaftlichen ausschluß zwingt, dazu ihre ökonomische verarmung propagiert und betreibt und gleichzeitig von "überflüssigen" oder gar "parasiten" redet, ist kriminell - erst recht, wenn die handelnde kraft in einem solchen szenario eine relativ kleine selbsterklärte "elite" bildet, die zur sicherung der eigenen machtbasis bereit ist, im wahrsten sinne des wortes über leichen zu gehen. und dabei ist es zweitrangig, ob die davon betroffenen bereits vorher schon traumatisiert waren. nicht zweitrangig ist es jedoch, dass das antisoziale treiben bei traumatisierten und/oder sonstwie geschädigten menschen noch destruktiver wirken kann als sowieso schon.
*
draußen fahren gerade immer mehr autos mit flatternden nationallappen vorbei. ignorante idioten, die wahrlich in der tradition der wahrnehmungsstörungen und -unfähigkeiten ihrer vorfahren stehen.
themaoxytocin: wenn Ihnen demnächst jemand"liquid trust"anpreisen sollte - es handelt sich dabei tatsächlich um ein produkt, dessen existenz bei mir zu spontaner übelkeit geführt hat. besonders nach ansicht der kundenrezensionen.
*
betreffalexithymie: der vollständigkeit halber ein kurzer hinweis auf nicht so überraschende spekulationen aufgrund einer neuenstudie:
(...)"Wenn Menschen nicht in der Lage sind, Gefühle wahrzunehmen und auszuleben, könnte das an einem gestörten Informationsaustausch im Gehirn liegen."(...)
ich kann mir ein "ach? wer wäre darauf gekommen?" nicht verkneifen. aber vielleicht bekommen alexithyme menschen ja demnächst auch "liquid trust" auf rezept.
*
viele nachträge bzw. eine völlig unvollständige auswahl zupeak oil, was nur deutlicher macht, dass es jetzt tatsächlich ernst wird:
und weil´s thematisch in richtung der fragen aus dem blogbeiträgen hier geht, sei das hervorgehoben - auch, wenn´s "nur" um ziemlich - hm, pragmatische ratschläge für den institutionellen umgang mit dieser seltsamen struktur geht:
(...)"ZEIT online: Aber warum steigen die Leute nicht im großen Stil auf Fahrgemeinschaften um?
Schlag: Das Auto ist eine Art verlängertes Zuhause, sozusagen ein verlängertes Ich. An das lässt man den anderen nicht so gerne heran. Das hat nicht primär materielle Gründe, sondern spielt sich in den Köpfen ab. Man könnte von einer Überwertigkeit des Kraftfahrzeugs in Bezug auf die eigene Identität sprechen, die mit dem Auto zu stark verbunden ist."(...)
über das mögliche wesen solcher identitäten, die derartige krücken nötig haben, wird ebenfalls irgendwann in nicht allzuferner zeit öffentlich zu diskutieren sein - wenn diese gesellschaft halbwegs(!) unbeschadet aus der fatalen ölfalle herauskommen will.
*
der wahrscheinlich meistgelesenste bisher beitrag hier im blog beschäftigte sich mit diversensuiziden und todesfällenals folge der antisozialen "sozial"gesetze, besonders "hartz IV". und genausowenig, wie darüber bis heute eine breitere berichterstattung in gang gekommen ist , werden vorfälle wie der folgende - von denen es mit absoluter wahrscheinlichkeit mehr gibt, als wir ahnen - einer breiteren öffentlichkeit medial präsentiert. es sind, wie auch bei den suiziden zur genüge nachvollziehbar, meistensregionalnachrichten:
"Ein Arbeitsloser hat am Donnerstag auf vier Angestellte der Arbeitsagentur in Linz am Rhein eingeschlagen und dabei eine Frau schwer verletzt.
Der 44-Jährige sei ausgerastet, weil die Agentur ihm die erhofften Leistungen nicht gewährt habe, teilte die Polizei in Linz im Kreis Neuwied mit."(...)
wer sich ein bißchen damit beschäftigt, was für ein klima inzwischen in vielen "jobcentern" und "agenturen" herrscht, wird sich darüber nicht groß wundern. ebensowenig wie über die privaten security-trupps, die inzwischen in vielen städten auf den fluren dieser institutionen herumlungern.
es ist heiß. es ist schon seit dem frühen morgen heiß. sehr heiß. das denken ist träge, und wird noch träger, wenn ich mir den gesammelten haufen material anschaue, den ich mir für´s blog in den letzten tagen angelegt habe. unlustgefühle bei der wahrnehmung all des kranken krams, der nach strukturierung ruft. unlustgefühle, die noch größer werden, wenn ich mich an die letzte nacht erinnere, die ich nach langer zeit mal wieder draußen verbracht habe, beim leisen knacken eines herunterbrennenden feuers (keine angst, das war sicher) und mit dem blick in die sprichwörtliche unendlichkeit:
na klar war mein ausblick nicht ganz so prachtvoll, allerdings für ein stadtgebiet schon sehr okay. und bevor ich irgendwann dem leisen gesumme durstiger mücken zum trotze weggedämmert bin, habe ich mich nochmals zu meinem entschluß beglückwünscht, teil- und nicht vollzeit lohnarbeiten zu gehen. erst recht, wenn ich mich morgen wieder an einem arbeitsplatz befinden werde, an dem viel und zwangsweise mit heißdampf herumgemacht wird. mit dem derzeitigen klima draußen würde vermutlich selbst die tropische flora und fauna dort etwas unbehagen verspüren. aber davon mal abgesehen, ist die arbeit weitgehend akzeptabel, sind die bedingungen einem relativ kleinen betrieb angemessen, und auch die bezahlung ist für diesen job - im vergleich - überdurchschnittlich (das stellt allerdings auch schon eine aussage über die entwicklung der arbeitslöhne in diesen land dar), was die teilzeit noch erfreulicher macht (neben dem überaus angenehmen umstand, dass ich montags meistens meine zeit selbst bestimmen kann, was mir dann auch erst ermöglicht, in einem netcafé sitzend und schwitzend davon zu berichten).
ich kenne von diversen jobs auch die bedingungen bzw. das klima in größeren betrieben bzw. konzernablegern, und mir fällt dazu seit langem nur noch ein: ohne mich!, und ich würde es verdammt begrüßen, wenn daraus irgendwann ein allgemeines "ohne uns!" werden würde. die zustände in solchen unternehmen stellen meistens eine mehr oder weniger starken wiederspiegelung der zustände in den höheren hierarchien dar, und diese hierarchien sind der mehr oder weniger starke ausdruck der neuronalen konfigurationen derjenigen, die sich dort wie fische im wasser tummeln - perfekt angepasste lebensräume.
(...)"In der globalisierten Welt sind aber offenbar viele Maßstäbe durcheinandergeraten: Krieger in Nadelstreifen treten auf. Fortwährend werden Schlachten geschlagen: "Die gegen uns!", "Nur einer kann gewinnen!" Fast alle Mittel werden für erlaubt gehalten, man dürfe sich bloß nicht erwischen lassen. Die Welt, in der nur die eigenen Regeln gelten sollen, ist aber eine Wahn-Welt."(...)
mittlerweile kann man mitunter fast den eindruck bekommen, dass sich der wahn als metapher für das treiben der "eliten" wachsender beliebtheit erfreut. wie Sie sich sicherlich denken können, finde ich das durchaus treffend und realitätsangemessen, bestehe aber darauf, dass die nötige präzisierung und differenzierung nicht zu kurz kommt - ebenso wie der wichtigeaspekt, dass wir alle es letztlich sind, die dem wahn den nötigen entwicklungsraum bereitstellen:
(...)"Wenn es aber zu oft so ist, dass Werthaltungen wenig zählen, dass der schnelle eigene Erfolg die politischen Inhalte oder unternehmerischen Strategien vorgibt und dies zur "Verkurzfristigung" allen Handelns führt - dann sitzen auf den Spitzenposten nicht die besten und verantwortungsvollsten Leute, sondern diejenigen, die sich als besonders anpassungsfähig und rücksichtslos erwiesen haben.
Das ist eigentlich kein Eliteversagen - diejenigen, die dort sitzen, hatten ja Erfolg mit ihrem Verhalten. Versagt hat hier die Gesellschaft, die diese Leute - ihrer Stellung, ihres Geldes und ihrer Wirkungsmöglichkeiten wegen - als Elite anerkannt hat."(...)
schön auch, das endlich einmal die innere selektion dieser kreise in ihrer doch recht einfachen logik benannt wird. weniger schön, dass hier wieder einmal "werthaltungen" bzw. die ethik als schwammiger begriff bzw. als konstrukt dafür herhalten muss, etwas zu erklären, was darüber nicht erklärbar ist - betrachten wir einmal das aktuelle gegenseitige beschnüffeln in und seitens von staat & wirtschaft alssymptom, so lässt sich das folgende kontextunabhängig als allgemeingültig begreifen:
"Das Symptom wird auf der Bühne der Geschichte und mit geschichtlichen Mitteln aufgeführt. Es stimmt einfach nicht, dass der Wahnsinn immer nur am wahnsinnigen Menschen haften bleibt und ausschließlich in den dafür zuständigen Institutionen verwaltet und unter Verschluß gehalten werden könnte. Das ist allenfalls eine beruhigende Mystifikation. Die große und weltmächtige Seite des Wahnsinns wird weitgehend ignoriert, man tut so, als gäbe es diese Seite nicht, man will nichts davon wissen und nichts damit zu tun haben. Man hält dem Wahnsinn sozusagen die gesellschaftliche Bühne frei, bis zum nächsten Auftritt."
(j. e. mertz, "borderline..." literaturliste, s.201/202)
immer noch worte, bei denen ich innerlich erleichtert darüber bin, dass hier endlich einmal etwas ganz offensichtliches klipp und klar benannt wurde. der antisoziale wahnsinn bösartiger und zeitgemäßer art lässt sich zum einen in den unzähligen "skandalen" ablesen, zum anderen in den tödlichen geschichten von mord, gewalt und verzweiflung, die durch die "eliten" und ihre machenschaften in allen möglichen sozialen bezügen getriggert (was nicht unbedingt heißt: selbst ausgeführt) werden.
bei der suche nach möglichen ursachen bleibt mainstreammedia erwartungsgemäß und unabwendbar in deroberflächestecken:
"Spionage bei der Telekom, Schmiergeld bei Siemens, Rotlichtaffäre bei VW. Das Saubermann-Image deutscher Unternehmen ist passé. Die Liste der in zweifelhafte Machenschaften verwickelten Firmen wird länger. Das Fatale: Der Sittenverfall ist kein Zufall - sondern systembedingt."(...)
nach dem fulminanten beginn werden dann doch wieder die "sachzwänge" der globalisierung angeführt, welche offenbar die akteure unausweichlich paranoidwerden lässt:
(...)"Es herrschte ein Klima, das von Misstrauen und Paranoia geprägt ist, wie in einer Soap Opera.
mm.de: Offenbar wollten die Beteiligten die Sache verschleiern, was gründlich misslungen ist.
Sollmann: Das ist schon eine kindliche Illusion, zu hoffen, dass das Ganze geheim bleibt. Es war ja offenbar kein Einzelfall, sondern ein lange funktionierendes System. Da erinnern mich die beteiligten Manager an kleine Jungs, die sich unter der Decke verstecken und denken, niemand sieht sie mehr."(...)
das erinnert mich an den immer noch nicht geschriebenen basisartikel zur paranoia, wo u.a. auch deutlich werden soll, dass die paranoia zwangsweise eine getreue begleiterin all derjenigen ist, die ihr als-ob-leben ganz oder teilweise im objektivistischen modus fristen (müssen). und ich mache mir sicherlich keine sorgen über "vertrauensverluste" von "politikerInnen" und managern, finde es aber interessant, wie sich stückchen für stückchen fragmente der die täglichen zerfallserscheinungen hervorbringenden neuronalen realitäten der "eliten" ihren weg in die öffentliche wahrnehmung bahnen:
(...)mm.de: Welches sind die größten Todsünden, die Vertrauen vernichten?
Sollmann: Doppelmoral wie im Fall Zumwinkel gehört sicher zu den größten Vertrauenskillern. Ähnlich verhält es sich mit einem Maskenspiel, dass manche Topmanager treiben. Wer wie Klaus Kleinfeld nicht zu seiner Rolex-Uhr steht und sie aus Pressefotos herausretuschieren lässt, macht sich völlig unglaubwürdig und angreifbar."(...)
diese mir bis dato unbekannte geschichte mit der rolex ist ein schönes beispiel für das, was die fake-industrie der pr-branche alsfiktionale glaubwürdigkeitbenennt - und schon der paranoide stalin als obsession pflegte, wobei der gleich ganze personen aus den bildern tilgte. ebenfalls werden die folgen solcher rezepte darin deutlich, wie sie in einem hier früher kommentierten faz-artikel für sogenannte "d-ler",dominante typen, ausgesprochen wurden - ein kurzes zitat nochmals:
"Die Macht - für den einen bloß ein Wort, für den anderen ein Magnet mit einer ungeheuren Anziehungskraft. „Entscheidend für den Willen zur Macht ist der Dominanzfaktor, den der einzelne mitbringt“, sagt Christian Zielke, Führungskräfte-Coach und Professor für Personalmanagement an der Fachhochschule Gießen-Friedberg. Außerdem müsse derjenige, der nach Macht strebe, gewisse Spielregeln befolgen und dabei auch in Kauf nehmen, ethische und moralische Hürden zu überschreiten. Nach dem Motto: „Schein-Sein-Schwein".(...)
es mag übrigens auch ein indiz für die neulich thematisierten spaltungen bei den schreibenden vieler aktuell existierenden medienreadaktionen sein, dass sie unkommentiert und gar als explizit empfehlenswert genau solche rezepte aus dem katalog für angehende soziopathen veröffentlichen, deren folgen sie dann in kommentaren und leitartikeln wortreich beklagen. das ist echt irre, und zum irrewerden.
*
darüber musste ich letzte nacht im garten ebenso ausgiebig nachdenken wie über marienkäfer. kennen Sie eigentlich deren larven?
das sind diese länglichen und nicht ganz so niedlich wie die ausgewachsenen käfer daherkommenden tiere mit dem orange auf ihren schwarzen und sehr huckeligen rücken. momentan lassen sie sich gerade in ihren verschiedenen verpuppungsphasen gut beobachten, und ich freue mich immer wieder aufs neue, dass ich trotz der erbärmlichen realität das staunen noch nicht verlernt habe - stundenlang könnte ich ihnen bei ihrer metamorphose zusehen. und ebenso wie der anblick des uralten lichtes unfassbar weit entfernter sterne & galaxien lösen die kleinen käfer ein gefühl aus, für das ich bisher kein besseres wort finde als eben:
demut.
auch so eine wahrnehmung, die sich aus anderen wahrnehmungen nährt: das rätsel der eigenen existenz, das rätsel der zeit, die großen und kleinen kreisläufe, in denen wir wie alles andere lebendige auch untrennbar eingebettet sind. ich glaube übrigens, dass für solche wahrnehmungen eine entsprechende psychophysische ausstattung nötig ist, die bei strukturellen bzw. funktionellen antisozialen/soziopathen nur rudimentär oder gar nicht vorhanden ist. nicht, das sie nicht - wenn sie kalkulieren, dass das eindruck machzen könnte - so tun könnten, als ob. auch der wahrnehmungsmodus, der mit dem als demut bekannten emotionalen zustand assoziiert ist, lässt sich sehr wahrscheinlich simulieren. aber wie bei allen simulationen fehlt eben das entscheidende, die innere beteiligung, die erst die jeweilige realität voll erschliesst und verständlich macht.
und demütig in diesem sinne sind die diesen wunderschönen planeten an die wand fahrenden "eliten" und ihr schafshaftes fußvolk keinesfalls, sonst wären sie weder da, wo sie sind, noch würden sie tun, was sie treiben. und das ist natürlich nicht nur in d-land gültig.
"träumen roboter von elektrischen schafen?" war eine schöne frage vom geschätzten (und übrigens auch recht paranoiden) philip k. dick. "schauen ein bush, ein saddam, ein monsanto-manager, (...) in die unendlichkeit des rätsels über ihren köpfen und um sie herum?" ist eine frage, die bezgl. einer bestimmten und sehr wichtigen wahrnehmungsfähigkeit auskunft verlangt. nicht sehr überraschend:
ich glaube, die antwort ist nein.
denn demut drückt die eigene endlichkeit und die eigene begrenztheit, und zwar teils schmerzhaft - aber dafür wirkungsvoll - deutlich aus. und ist darum tatsächlich eines der besten gegenmittel gegen diejenigen neuronalen zustände, die sich im außen in grenzenloser destruktivität manifestieren. nein, wahrscheinlich nicht für diejenigen, die nichts anderes (mehr) als die angesagten simulationen von leben kennen. aber für all diejenigen, deren wahrnehmungsfähigkeiten noch nicht so geschädigt sind, dass das als-ob als existenzweise zwangsweise verlockender als das leben in der authentischen realität wäre.
ein einfach anzuwendendes rezept: beharren Sie auf Ihrer eigenen zeit, und schauen Sie sich sterne, käfer oder auch solch faszinierende gebilde wie unten immer wieder an. und lassen sie einfach in ihrem so-sein wirken.
und wer jetzt etwas von "quasireligiösem kleinmachendem mist" murmelt: ich glaube, dass demut auch ein untrennbarer teil der basis für authentisches selbstbewußtsein im besten sinne des wortes ist. und damit auch voraussetzung, für sich - und alle, die jeweils von uns geliebt werden - zu kämpfen.
ich bin sicherlich keinesfalls der einzige, bei dem diese schlußpassage eines spon-artikelszu einigen zuständen in italien finstere assoziationen auslöst:
(...)"Der Müll und die Roma stehen auf der Tagesordnung. Es wird wieder Sonderdekrete geben und ein Sicherheitspaket. Und alle werden von den modernen Verbrennungsanlagen jenseits der Alpen reden und wie man dort mit Problemen fertig wird.
Deutschland hat seine Hilfe angeboten. Die nächsten zehn Wochen werden jeden Tag Güterzüge nach Norden rollen."
das lässt sich sowohl als eindrucksvolles beispiel dafür betrachten, wie das ausschwitzen (nebenbei: achten Sie mal drauf, wie oft diese schreibvariante des ortsnamens in deutschsprachigen veröffentlichungen auftaucht) der vergangenheit dieses landes immer noch spektakulär und unabwendbar mißlingt; aber auch als ein mögliches beispiel für den im letzten beitrag erwähnten abwehrmechanismus der spaltung, wofür gerade der zusatz unter dem artikel ein indiz liefert:
"Anmerkung: In der aktuellen Printausgabe des SPIEGEL endet dieser Text mit dem Satz: "In das Land, wo die besten Öfen stehen." Der Autor wollte damit das Erschreckende einer "Weg mit..."-Haltung betonen, die gegenüber lästigem Müll und lästigen Menschen nur ans Werfen von Brandflaschen denkt. Zu seinem Bedauern kann dieser Satz als bloßes Wortspiel mit der Erinnerung an die Nazi-Zeit missverstanden werden und wurde deshalb in der Online-Version gestrichen."
das er in den restlichen sätzen keinesfalls irgendetwas problematisches erkennt, spricht hingegen dafür, dass er entweder ihre bedeutung tatsächlich nicht kapiert (was in der umgangssprache real oft genug ein synonym für verdrängung bzw. spaltung darstellt) hat - oder sie sind kalkül in dem sinne, dass hier "den italienern" eine absicht untergeschoben wird, deren verwirklichung bisher nur hierzulande stattgefunden hat. schwer zu entscheiden, welche der beiden möglichkeiten ich gruseliger finde.