"wenn es wahr ist, dass sich eine gesellschaft in ihren totalen institutionen am deutlichsten kenntlich macht, so werden uns die zustände sowohl in der psychiatrie als auch in den (privatisierten) gefängnissen ein spiegelbild unserer inneren verfassung liefern, was zum schreiend davonlaufen - nicht nur sein wird, sondern bereits in teilen ist."
*
mit den obigen worten ist ein teil meines fazits ausgedrückt, welches ich vor längerer zeit in einem beitrag zum themapsychiatrie & privatisierunggezogen hatte, und dabei bin ich u.a. auch auf die zustände der psychiatrischen versorgung in new york eingegangen, die besonders seit der umstrukturierung der dortigen psychiatrie vor ein paar jahrzehnten mit dem wort "erbärmlich" nur unzureichend beschrieben sind, und umstandslos sowohl privatisierte als auch die öffentlichen betreiber von kliniken und heimen betreffen. eine institution der letzteren art ist nun vor einiger zeit mit einem - wieder mal - regelrecht sprachlos machenden vorfall in den focus der internationalen medienöffentlichkeit geraten:
"Sie war todkrank, sie war verwirrt, litt an Angstzuständen und benötigte dringend medizinische Hilfe. Die bekam sie nicht - und starb einen einsamen, elenden Tod. Die 49-jährige Esmin Green, eine gebürtige Jamaikanerin, war am Morgen des 18. Juni in die psychiatrische Notaufnahme des New Yorker Kings County Hospitals eingewiesen worden.(...)
Was sich dann ereignete, spricht jeder Mitmenschlichkeit ebenso Hohn wie dem Hippokratischen Eid.
Esmin Green sitzt volle 24 Stunden auf ihrem Plastikstuhl, ohne dass sich jemand für sie interessiert. Schließlich gleitet sie halb bewusstlos zu Boden, versucht sich noch eine Weile auf allen vieren zu halten und fällt dann auf den Bauch. Sie rutscht unter die Stuhlreihe und strampelt im Todeskampf verzweifelt mit den Beinen. Minutenlang windet sie sich auf dem Boden - unter den gleichgültigen Blicken von drei Mitpatienten. Schließlich stirbt Esmin Green."
"Krankenhaus- und Sicherheitspersonal inspiziert wiederholt das Wartezimmer, sieht die Leiche der Frau dort mit gespreizten Beinen liegen - und wendet sich gleichgültig ab. Einer der Angestellten rollt gemütlich auf einem Bürostuhl heran, guckt zu Esmin Green hinüber - und rollt gemütlich weiter. Ein weiterer Angestellter kommt, endlich alarmiert von einer Patientin, schiebt einen Stuhl hin und her und stößt die Tote dann mal an. Erst jetzt wird eine Ärztin alarmiert, die aber nur noch den Tod der Frau feststellen kann - der bereits vor 58 Minuten eingetreten war.
Als Nächstes fälscht das Klinikpersonal offenbar den Krankenbericht, um den Skandal zu vertuschen. Die Videoüberwachung zeigt, dass Green um 6.08 Uhr aufhörte, sich zu bewegen. Der Bericht wähnt sie um diese Zeit aber noch "auf und munter zum Waschraum gehend". Um 6.20 Uhr saß Esmin Green laut Bericht "ruhig im Warteraum" - zu diesem Zeitpunkt war die Patientin schon längst tot."(...)
in den einschlägigen foren, egal ob onlinepresse oder auch bei you tube, wo es inzwischen etliche filme gibt, die sich mit dieser geschichte beschäftigen, werden fragen gestellt und antworten gesucht, die von der hautfarbe der toten über die grundsätzlichen defizite des us-amerikanischen gesundheitssystems bis hin zur grundsätzlichen frage nach dem wert des menschlichen lebens innerhalb des kapitalismus variieren. all diese punkte lassen sich mit mehr oder weniger berechtigung zur erklärung des unsäglichen heranziehen; aber die für mich interessanteste frage lautet wieder einmal:
in welchen wahrnehmungszuständen befanden sich all diejenigen beteiligten, die in dieser geschichte als gleichgültige beobachterInnen - so gleichgültig wie die alles registrierende kamera - eines todeskampfes auffällig wurden?
(...)""Hier geht es um Mängel im menschlichen Charakter", sagte der Bioethiker Michael Shapiro. Es komme immer wieder vor, dass Menschen das Sterben anderer ungerührt mitansähen."(...)
"mängel im menschlichen charakter" - eine aussage, die letztlich alles und nichts meinen kann.
"Entmenschlichung?
Was wir Menschen uns gegenseitig antun, ist Gegenstand von Überlieferungen seit Anbeginn der Zeichensetzung. Was wir Menschen uns gegenseitig nicht mehr antun, beschäftigt zunehmend Soziologen, Politiker und alle, die sich generell für das Miteinander interessieren.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei deren Abwesenheit. Ob Leute in der U-Bahn verprügelt werden, Unfallopfer in der Öffentlichkeit unversorgt bleiben oder eine Frau vor den Augen mehrerer Zeugen vergewaltigt wird: Die Bereitschaft, persönlich einzugreifen und zu helfen, scheint dramatisch abzunehmen. Vielleicht - so fragt der Skeptiker genereller Befindlichkeitsanlaysen in mir - wird diese attestierte Teilnahmslosigkeit durch den Ausbau der Überwachungs- und Schnüffelsysteme aber auch nur etwas sichtbarer.
Angst ist dabei wahrscheinlich noch immer der häufigste Grund des bewussten Wegschauens."(...)
der letzte satz mit der angst als begründung lässt sich dabei höchstens mit situationen in verbindung bringen, in denen es um akut ausagierte formen von gewalt geht, und die aktive intervention auch ein mehr oder weniger großes persönliches risiko beinhaltet. wobei in zeiten der allseits vorhandenen handys eigentlich auch die zeit verkürzt sein müsste, in der wirkungsvolle erste hilfe von entsprechenden institutionen angefordert werden kann.
die situation in der notaufnahme eines krankenhauses jedoch sollte eine derartige erklärungsvariante von vorneherein ausschließen. wenn man sich das video so betrachtet, entsteht weniger ein eindruck von angst als eher einer von verbreiteter apathie - auf seiten der beobachterInnen - und agonie bei der späteren toten. egal ob bei den anderen, vermutlich als patientInnen, wartenden oder beim beteiligten klinikpersonal: die in der ecke liegende frau hatte in all den qualvollen stunden offensichtlich nicht mehr wahrnehmungsmässige bedeutung als ein sonstiges beliebiges ding in dem wartezimmer.
nun lässt sich eine derartige gleichgültigkeit beim klientel, welches in einer psychiatrischen notaufnahme auf selbige wartet, nun nochmals in mehr variationen erklären - zumindest als möglichkeit - als beim personal: der einfluß von psychoaktiven ("legalen" und "illegalen") stoffen bspw. kann ebenso eine rolle spielen wie durch psychophysische extremzustände induzierte wahrnehmungstunnel, die durchaus einbußen zb. in der eigenen empathiefähigkeit mit sich bringen können.
genau diese fähigkeit aber ist bis zur ununterscheidbarkeit beim eigentlich zuständigen klinikpersonal gleichfalls nicht zu erkennen - was dann auch nebenbei die frage aufwirft, wo eigentlich die unterschiede zwischen beiden gruppen liegen, aber das ist zugegebenermaßen schon polemik.
was bis hierher auf dem tisch liegt, ist aber der starke verdacht, dass all diejenigen, die in den verschiedenen momenten in all den stunden diese frau nicht als leidendes mitgeschöpf wahrgenommen haben, sich in diesen momenten bezgl. ihrer wahrnehmungsfähigkeiten dem status der rein beobachtenden kamera angeglichen haben: ungerührt, gleichgültig, mitleidlos und im negativsten sinne mechanisch (darin übrigens auch ähnlich denjenigen jugendlichen, die beim"happy slapping" sowohl zuschlagen als auch darum bemüht sind, möglichst "gute" filmsequenzen in ihren kameras festzuhalten).
und das sich die beteiligten seitens des personals dann hinterher noch bemüht haben, die beweise für ihr nicht-tun zu entsorgen und zu vertuschen, macht deutlich, dass sie irgendwo gewußt haben, dass ihr verhalten in jenen stunden durchaus von vielen anderen als antisoziale aktion übelsten grades begriffen werden kann - wobei eine aktion durch unterlassen ebenso eine aktion bleibt.
die den medien zu entnehmenden maßnahmen der vorläufigen suspendierung und vollen kündigung der involvierten mitarbeiterInnen jedenfalls mögen zwar mal wieder spontane gefühle nach gerechtigkeit und sühne befriedigen, gesellschaftlich sinnvoller wäre meiner meinung nach allerdings, alle beteiligten genauestens nach den zuständen zu befragen, in denen sie sich zu dieser zeit befunden haben. das könnte nun wahrlich mal zur abwechslung erhellendes und auch der prävention dienendes zu tage befördern.
nachtrag: ich habe inzwischen ein anderes video, aber mit dem gleichen thema, ausgewählt, welches mehr von den vorgängen im warteraum zeigt.
so, da ich heute unvorhergesehernermaßen etwas zeit habe, will ich die neulich unterbrochene diskussion in einem neuen beitrag fortsetzen. und das werde ich in der form tun, dass ich die bisherigen argumente von guru in zusammenfassender weise beantworten werde, weil ich erstens weder zeit noch lust habe, jeden einzelnen kommentar separat zu beantworten, und weil ich zweitens noch erneuter lektüre der bisherigen kommentare finde, dass sich einiges wiederholt. im folgenden werde ich werde ich gurus argumente zu den strittigsten punkten kursiv zusammenfassend wiedergeben; wer sich das nochmals ausführlich ansehen möchte, sei auf die im ersten beitrag vorhandenen links zu seinen kommentaren verwiesen.
*
1. gleich zur klarstellung @guru (und diejenigen, die sich seine argumentationen zu eigen machen):
nachdem ich mir Ihre beiträge nochmals gesammelt durchgelesen habe, muss ich Ihnen erstmal dafür danken, dass Sie selbst mittels Ihrer argumente bzw. den implikationen, die diese enthalten, gute gründe dafür liefern, warum der begriff autismus durchaus sehr geeignet zur beschreibung des inneren wesens gesamtgesellschaftlicher pathologien ist. und wie Sie vielleicht gleichfalls merken werden, sehe ich mich durch die teils extrem unterstellende und ebenfalls typisch dissoziierte art & weise Ihrer argumentation veranlasst, schärfer zu formulieren, als ich das ursprünglich vorgehabt hatte.
unterstellungen folgender art bspw.:
da reden Sie zum einen von einer "unlogischen Welt voller irrational agierender Menschen", die Sie bzw. das spektrum, dem Sie sich offensichtlich zurechnen, als "nt´s" bezeichnen, die voller böser absichten daherkommen: "Ihr lacht über uns. Grenzt uns aus. Bezeichnet uns als antisozial. Greift uns sogar tätlich an. Wann stempelt Ihr uns ein "A" in den Ausweis?" gleichfalls vertreten Sie ganz ernsthaft die abstruse these "Letzten Endes wurden immer Kriege geführt und technische Erungenschaften gemacht, weil der Platz knapp wurde. Die Überbevölkerung, an der wir Autisten ganz gewiss nicht schuld sind, ist die Wurzel allen Übels." und weisen damit ganz explizit den "nt´s" die schuld an "allem (gesellschaftlichen) übel" zu. was in anderen worten auch nochmals betont wird: "Destruktive Phänomene habt Ihr Euch selbst zuzuschreiben mit Eurer Konsumwut, Eurer Machtgier, Eurem Alphatiergehabe."
da frage ich mich dann doch ernsthaft, wer hier eigentlich wen diskriminiert?
erstens ist die wertung "unlogisch" ein ausdruck Ihrer eigenen wahrnehmung und enthält implizit die folgerung, dass dann auch nur das als "logisch" zu betrachten sei, was sich wiederum selbst in Ihrer wahrnehmung so abbildet. ebenfalls scheint Ihnen dabei nicht klar zu sein, dass eigentlich für alles als "unlogisch" betrachtete verhalten zutrifft, dass es jeweils durchaus seinen eigenen - und im jeweiligen kontext durchaus sinnvollen - logiken folgt (das gilt selbst für menschen, die sich zb. in schweren psychotischen zuständen befinden und situationen produzieren, die auf ihre gesamte soziale mitwelt bizarr und sinn-los wirken mögen).
zweitens verschweigen Sie schlicht den elementaren unterschied zwischen negativer (destruktiver) und positiver menschlicher irrationalität, sowie die jeweiligen (sozialen und auch historischen) entwicklungsbedingungen, die für beide notwendig sind. "irrationalität" ist bereits ein begriff, der hier im westlichen kulturraum eine negative wertung mit sich führt und auch dementsprechend als eine art abwertende keule benutzt wird. für mich ist es eher eine spezifisch menschliche fähigkeit, die etwas mit spontaneität und zweckfreiem (im sinne von nicht für etwas verwertbar sein) verhalten zu tun hat. destruktiv wird diese fähigkeit dann u.a. durch umstände, zu denen an anderen stellen hier genügend zu lesen ist.
der angeblich "neurologisch typische" mensch ist hingegen ein konstrukt erster güte, und wenn ich mir dann die gerade erwähnten eigenschaften betrachte, die Sie diesem konstrukt (wie aus Ihren worten zu entnehmen ist, quasi der ganze rest der nicht als im autistischen spektrum diagnostizierten menschheit) zuschreiben und dann auf der anderen seite Ihre versionen der autistischen existenz betrachte, wie sie hier geschildert werden, kommen mir spontan assoziationen zu dem, was im borderline-bereich als klassische schwarz-weiß-wahrnehmung bezeichnet wird. und ich kann mir auch vorstellen, dass dieser eindruck gerade nicht auf einem zufall beruht - aber dazu später.
es existieren jedenfalls keine "neurologisch typischen" menschen - kein einziges menschliches gehirn gleicht dem anderen, und es lässt sich höchstens von - fließenden - übergängen zwischen mehr oder wenigen vollständigen und mehr oder weniger unvollständigen subjektivitäten bzw. den wahrnehmungsfähigkeiten, auf denen diese subjektivität beruht, reden. die synonyme "gesund" und "krank bzw. gestört" erfassen diese (un-)vollständigkeiten meiner meinung nach zwar keinesfalls in ihren gesamten dimensionen, sind jedoch für eine annäherung speziell an die realitäten, die sich aus dem agieren von in ihrer vollen subjektivität geschädigten menschen ergeben, durchaus brauchbar.
wie Ihnen weiterhin bekannt sein dürfte, lassen sich inzwischen für die meisten psychophysischen störungen ("psychische krankheiten") durchaus neurophysiologische, neurobiologische und neurochemische besonderheiten nachweisen, die - egal ob von kürzerer oder längerer, funktioneller bis struktureller irreversibler ausprägung - es ebenfalls als nicht gerechtfertigt ansehen lassen, in irgendeiner weise von einem quasi "neurologischen standard" auszugehen. dies umso mehr, als dass sich die änderungen im erleben und verhalten, die mit den erwähnten besonderheiten einhergehen, potenziell im "repertoire" von (fast) jedem menschen befinden - und unter bestimmten umständen entweder schwächer (dann meistens als "charakterzug/persönlichkeitsmerkmal" auch von außen wahrgenommen) oder stärker (dann mit u.u. störenden wirkungen für umwelt und betroffenene als pathologisch begriffen) aktiviert werden. will sagen: das, was als gesundheit begriffen wird, ist real ein ständiger prozeß, der kein statischer sein kann (was in dem nt-konstrukt implizit als behauptung enthalten ist), sondern eher ein ständiges zu- und wegbewegen auf und von einem real niemals zu erreichenden hypothetischen absoluten psychophysischem gleichgewichtszustand.
dann zu dem, was Sie "den nt´s" alles so unterstellen: die anrede "Ihr" bedeutet im fraglichen kontext durchaus, dass Sie auch sowohl mir als auch den anderen leserInnen hier direkt alles aufgezählte faktisch mitunterjubeln möchten. und das weise ich nicht nur für mich, sondern auch für die mir bekannten leserInnen entschieden zurück!
und kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass Sie ja nur sozusagen den spieß umgedreht hätten: was Sie die ganze zeit entweder nicht verstanden haben , verstehen können oder möchten, ist der umstand, dass Sie keinesfalls das alleinige "recht" auf den begriff autismus besitzen, sondern das sich autismus im üblichen sprachgebrauch, aber auch medizinisch (auch dazu später mehr) im kern um ganz spezifische wahrnehmungsphänomene hinsichtlich der selbstwahrnehmung und im sozialen bereich dreht, die potenziell in sehr verschiedenen formen und ausprägungen ebenfalls eine option für alle menschen darstellen - und wenn Sie das wort autismus aus dem klinischen bereich heraushaben möchten, wäre die verbreitung eines entsprechenden bewußtseins und der daraus möglich werdenden nötigen differenzierung zwischen den verschiedenen möglichkeiten autistischer zustände aus meiner perspektive wesentlich sinnvoller als die selbststilisierung zum diskriminierten opfer böswilliger ignoranten, auf die Ihre beiträge hinauslaufen.
und wo wir gerade dabei sind: wenn ich mir die verschiedenen medialen & öffentlichen versuche anschaue, die besonderheiten (klinischer) autistischer zustände zu vermitteln bzw. bekannt zu machen, so würde ich sagen, das ich gerade diesbezgl. keinesfalls eine grundsätzliche diskriminierung erkennen kann - höchstens eine, die sich als "positive" form bezeichnen ließe. die bekanntesten bücher oder filme zum thema zeichnen durchgehend ein bild, welches nicht zufällig (durch rückkoppelungseffekte) dem nahekommt, was ich zu hören bekomme, wenn ich in meiner näheren oder weiteren umgebung auf dieses blog und speziell den begriff autismus angesprochen werde:
das sind i.d.r. die ersten assoziationen; weitere wie "behindert" folgen erst dahinter. jedenfalls kann ich selbst regelmässig keinerlei "ausgrenzungsbedürfnisse" wie die von Ihnen in völlig überzogener weise unterstellten feststellen, sondern eher ein grundsätzliches und auch wohlwollendes interesse an etwas dem eigenen leben - offenbar - sehr fremdes. gleichfalls ist das tatsächliche vorhandene wissen zum thema sehr beschränkt, bis dahin, dass mit dem begriff autismus überhaupt nichts angefangen werden kann. und letzteres ist auch der grund für mich zu sagen, dass ich mir nur in sehr, sehr seltenen ausnahmefällen überhaupt vorstellen kann, dass als autistisch diagnostizierte genau aus diesem grund diskriminiert, gemobbt oder sonstwie angegriffen werden. ich streite keinesfalls ab, dass menschen mit den "klassischen" (asperger-)autistischen zügen in verschiedensten sozialen situationen u.u. größere und auch bedrohliche probleme bekommen können - ich sehe bloß nicht, dass sie diese probleme "wegen autismus" bekommen, sondern eher wird aus den gleichen gründen gemobbt und bedroht, aus denen bspw. auch rassistische und sexistische angriffe entstehen: ein beliebiges "anderes" bzw. fremdes wird aus rudimentären wahrnehmungsfragmenten bezgl. hautfarbe, persönlichkeitszügen oder auch geschlecht konstruiert, um sich - meistens - in form einer halluzinierten gruppenidentität größer bzw. machtvoller zu fühlen.
was ich bezgl. solcher täterInnen denke, ist ebenfalls an vielen stellen im blog schon thema gewesen. u.a. auch meine schlußfolgerungen, ganz spezifische autistische zustände als wesentlich prägender wahrnehmungsmodus bei solchen leuten zu vermuten. eben vor dem hintergrund meines weiter oben geäusserten satzes von diesen zuständen als einer allgemein menschlichen option. und das bedeutet eben nicht automatisch, dass ich diese spezifischen (!) zustände auch generell und umstandslos allen leuten mit einer diagnose aus dem "offiziellen" autistischen
spektrum unterstellen würde, sondern es geht einfach darum, die möglichen folgerungen und implikationen, die heute aus der forschung bezgl. autistischer zutände ableitbar sind (und das bezieht allerdings durchaus auch forschungen ein, die Ihnen vielleicht nicht so ganz passen mögen), mit jenen gesellschaftlichen realitäten abzugleichen, die heute jeden empfindenen menschen belasten müssen - weil es einige indizien dafür gibt, hier ganz elementare zusammenhänge zu vermuten. und das ist nicht nur ein im sinne der von Ihnen neulich beschworenen meinungsfreiheit zulässiges unterfangen, sondern sogar ein aus meiner sicht ganz dringend notwendiges von einiger gesellschaftlicher relevanz. Sie müssen die daran interessierten übrigens für ziemlich beschränkt in ihren emotionalen und intellektuellen fähigkeiten halten, wenn Sie einen derartigen versuch wie hier mit dem ruf "diskriminierung!" als unzulässig darstellen wollen - wenn es "da draußen" bei einigen zeitgenossen an der nötigen differenzierungsfähigkeit fehlen mag und die tatsächlich etwas in den falschen hals bekommen sollten, dann ist das primär das problem von denen - und nicht das von mir oder anderen, die sich mit den gesellschaftlichen implikationen von autistischer wahrnehmung beschäftigen.
dann zur diskriminierung noch dieses: wenn Sie sich einmal die berichterstattung bezgl. autismus und - ich wähle das beispiel bewußt, da ich selbst einige jahre mit der diagnose herumgerannt bin - der borderline-ps anschauen, müsste Ihnen eigentlich so einiges auffallen - insbesondere der fakt, dass - und auch derartige berichte habe ich im blog zur genüge dokumentiert - bspw. grausame fälle von kindermord bzw. gewalt gegen kinder in monotoner regelmäßigkeit zu forensischen gutachten führen, in denen bezgl der täterInnen das wort "borderline" fällt. ebenfalls wäre in Ihrer logik die feststellung diskriminierend, dass ein hoher prozentsatz aller männlichen knastinsassen nicht nur in diesem land mit hoher wahrscheinlichkeit diese diagnose unsichtbar vor sich herträgt. ein unterschied zwischen uns ist nun, dass ich keinesfalls mit dem ruf "diskriminierung" ein faktisches denkverbot davor errichten möchte, sich möglichst genau mit den gründen und umständen des gehäuften vorkommens dieser diagnose bei wahrlich destruktiven bzw.antisozialen aktionen zu beschäftigen und auch aus ganz eigenem interesse mehr darüber zu wissen zu wollen. ein weiterer unterschied liegt darin begründet, dass Sie jede auch nur denkbare negative richtung der inhaltlichen definition des begriffes autismus abwehren, während ich die negativen implikationen der diagnose borderline zu einem großen teil durchaus begründet finde, und zwar auch aus meinem ganz eigenem erleben heraus. und diese implikationen haben - für mich - auch sehr wohl etwas mit den angesprochenen autistischen optionen im menschen zu tun. wie Sie sich aus dieser situation heraus dann eine wie auch immer beschaffene diskriminierung basteln, bleibt umso mehr ein geheimnis, je länger ich darüber nachdenke.
und zum schluß dieses teils noch etwas zur "überbevölkerung": der entsprechende diskurs ist regelmäßig ein rechter, und vernebelt die tatsache, dass auf einem bescheidenen, aber ausreichenden materiellem niveau der planet durchaus ein leben, welches diesen namen auch verdient, für die heutige anzahl von menschen ermöglichen würde - das würde allerdings den verlust primär des westlichen wohlstandsniveaus nach sich ziehen, und ist aus diesem grunde unpopulär. stattdessen werden eher mit rassistischen klischees vermixte schreckbilder von sich unkontrolliert vermehrenden andersfarbigen menschenmassen "da im süden" bemüht, um sich derart beruhigt in pseudoerklärungen zu flüchten, die die eigenen privilegien nicht anzutasten drohen. das Sie dann noch gar "die überbevölkerung" als alleinige ursache "allen übels" bezeichnen, ist eine von allen real gegebenen gesellschaftlichen realitäten so unbefleckte weltsicht, dass Sie sich in einer diskussion, bei denen Sie nichts weiter als derart reaktionäres zeug abgegeben hätten, als ernsthafter gesprächspartner disqualifiziert hätten. da wir uns aber hier in einem etwas anderen thematischen kontext befinden, nur noch das: wenn ein autist, der augenscheinlich faktisch die gesamte nichtautistische (bzw. nicht so diagnostizierte) menschheit derart negativ wahrnimmt, wie anfangs thematisiert, dann als quelle dieser negativität ("allen übels") offenbar die existenz zu vieler dieser ("nichtautistischen", denn Ihre mitgenossInnen sprechen Sie ja ausdrücklich in dieser hinsicht frei) menschen ansieht - dann, ja dann könnte das bei aufmerksamen mitleserInnen erst wirklich eine assoziation bzw. frage danach aufwerfen, wie es mit der von Ihnen immer wieder implizit beschworenen "besseren menschlichkeit" im offiziellen autistischen spektrum eigentlich real aussieht. oder, um es bewußt überspitzt(!) und polemisch auszudrücken: hatte womöglich der protagonistdiesergeschichte hier ein ähnliches weltbild wie Sie? (das Sie übrigens an anderer stelle in Ihren kommentaren explizit eine mögliche höhere beteiligung von (asperger-)autistischen betroffenen an sog. amok-taten einräumen und gleich auch sehr verständnisvoll als eine art notwehr-reaktion erklären, macht die sache keinesfalls besser).
*
da das ganze jetzt wieder mehr geworden ist als eigentlich vorgesehen, werde ich den zweiten punkt - die dissoziative art und weise Ihrer argumentation, die übrigens besonders deutlich in Ihren definitionen von ursachen und wesen "des" autismus deutlich wird - wieder verschieben müssen. ich hoffe, zum wochenende die nötige ruhe dafür zu finden. und bis dahin werde ich auch - aus der erfahrung beim letzten male heraus - die kommentarmöglichkeit hier direkt zum beitrag sperren. die fortsetzung wird durchaus direkte bezüge zum obigen besitzen; und vieles im kommenden teil erst recht verständlich - und umgekehrt - bei der ganzen betrachtung meiner position.
achja, bevor ich das vergesse: zum kommentar von "wizud" beim vorherigen beitrag, der in anderer form auch im gästebuch (nicht veröffentlicht) geschrieben wurde, nur das:
auch autisten blamieren sich offenbar, so gut sie können.
in den letzten tagen hat ein leser namens guru, selbst (asperger-)autist, wie ich den kommentaren entnehme, hier an verschiedenen stellen harsche kritik an dem im blog vertretenen autismus-begriff und seinen möglichen implikationen geübt. um diese diskussion übersichtlicher zu gestalten, mache ich einen eigenen beitrag dafür auf, auch weil es bei den aufgegriffenen themen inhaltlich zur sache geht. deshalb @guru und potenzielle andere: ich bitte darum, dass Sie zukünftige kommentare innerhalb dieses beitrags hinterlassen, schon weil das zusammensuchen an verschiedenen stellen einen größeren aufwand bedeutet. die von Ihnen gesuchte beitragsübersicht lässt sich übrigens in der menueleiste rechts unter dem punktindexfinden.
*
um das ganze für interessierte leserInnen, die womöglich erst jetzt einsteigen, nachvollziehbarer zu machen, liste ich die bisherigen kommentare von guru jetzt in ihrer chronologischen folge auf:eins,zwei,drei,vier,fünf,sechs,sieben,achtundneun.
eineerste antwortmeinerseits hatte ich auf kommentar fünf gegeben, gurus replik wiederum werde ich im folgenden zitierend beantworten.
*
bevor ich aber gleich damit beginne, scheint es mir angebracht, nochmals teilediesesalten beitrages hier einleitend zu zitieren:
(...)1. was bedeutet eigentlich "autismuskritik"?
dieses wort ist eine spontane augenblickskreation und scheint mir bis auf weiteres als prägnante zusammenfassung das hauptthema dieses blogs am ehesten wiederzugeben - den versuch einer analyse und kritik diverser gesellschaftlicher phänomene, die mir in den letzten jahren zunehmend bedrohlich erscheinen - die folgen von direkter und struktureller gewalt auf die menschlichen fähigkeiten zum sozialen leben als basis jeder gesellschaft und kultur. der autismus, egal wie er definiert wird - als krankheit, als behinderung, und/oder als seinsweise - weist dabei strukturell am deutlichsten in seinen erscheinungsformen auf defekte hin, die sich meiner meinung nach auch in gesellschaftlichen bereichen wiederfinden lassen, die wir als "normal" zu betrachten uns angewöhnt haben.
2. ist es nicht unzulässig und auch diskriminierend für direkt betroffene, das attribut "autistisch" in zusammenhang bspw. mit kindsmorden, kriegen und allgemein soziopathischem verhalten zu benutzen?
eine berechtigte frage - zeit für eine klarstellung: mir ist schon klar, das autistische menschen heute i.d.r. selbst betroffen von vielfältiger stigmatisierung/ausgrenzung sind (das gilt z.t. übrigens auch für diejenigen, die die diagnose einer der hier öfter erwähnten persönlichkeitsstörungen mit sich herumschleppen, gerade borderline ). und gleichfalls sind als solche diagnostizierte autistische menschen in aller regel nicht an der mehrzahl der hier dokumentierten, teils extrem destruktiven verhaltensweisen, beteiligt. trotzdem scheint mir aus gründen, die in punkt 1 schon näher benannt wurden, das wort "autismus" als nicht nur als metapher begründet zu sein - vor allem dann, wenn man ( wie ich) von der these ausgeht, dass sich autistische züge und strukturen bei weitaus mehr menschen finden lassen als bei den immer noch relativ wenigen, die eine diagnose aus diesem spektrum "offiziell" tragen. dabei geht es vor allem um die grundsätzlichen möglichkeiten und defekte der menschlichen wahrnehmungsfähigkeiten, die als eine der wichtigsten voraussetzungen für das menschliche leben auch für jede gesellschaft und kultur eine entscheidende (und meistens völlig unterschätzte) rolle spielen. die krankheiten des autistischen spektrums weisen dabei am deutlichsten darauf hin, was wahrnehmungsstörungen und defekte für konsequenzen haben können. bei anderen diagnosen, v.a. aus dem bereich der persönlichkeitsstörungen, existieren hingegen recht weit verbreitete und gut dokumentierte materialien, die einen zusammenhang zwischen kulturellen und gesellschaftlichen entwicklungen, extrem destruktiven praktiken und bestimmten persönlichkeitsstörungen mehr als nur nahelegen.(...)
das nochmals zur erinnerung. und nun zur direkten debatte. die von guru zitierten teile meiner vorherigen antwort setze ich dabei zwecks unterscheidbarkeit in eckige klammern.
*
Dass Sie Erfahrungen mit psychiatrischen Diagnosen haben, tut mir sehr leid. Es scheint Ihrem Verstand ja nicht geschadet zu haben,
der sog. verstand oder die instrumentelle intelligenz ist in aller regel bei psychophyischen störungen nicht nur nicht geschädigt im konventionellen sinne, sondern diese fähigkeiten springen mit einiger wahrscheinlichkeit sogar kompensatorisch, wenn auch in unorthodoxer form, für die jeweils ausgefallenen fähigkeiten ein - das dürfte selbst für die "klassischen" psychosen gelten.
Konstruktivismus ist eine interessante Theorie, radikaler auch, besonders aus wahrnehmungstheoretischer Sicht. Die Realität wird konstruiert und es werden Zusammenhänge hergestellt, wo manchmal gar keine sind. Und ich finde, das passiert hier.
da die virtuelle "natur" des netzes grundsätzlich eine konstruktivistische ist, lässt sich dieser eindruck - und zwar egal, bei welchem thema - nicht vermeiden.
Verdinglichung ist auch ein spannendes Thema. Einem Menschen Gefühle abzusprechen heißt, ihm Menschsein abzusprechen, Tiersein, Teil der Natur sein. Es heißt, ihn zu einem Objekt zu machen. Das ist Verdinglichung oder habe ich was falsch verstanden?
ja, haben Sie. wenn auch haarscharf: verdinglichung ist das produkt von bestimmten wahrnehmungsmodi, die aus bestimmten gründen in bereichen auftreten - zwischenmenschlich/sozial und auch gegenüber tieren - , in denen sie hochgradig dysfunktional und destruktiv wirken müssen. diese wahrnehmungsmodi, die ich hier im blog unter das label objektivistisch gepackt habe, gehören zur menschlichen grundausstattung, und sind zur bewältigung des lebens bzw. der auseinandersetzung mit den nichtlebendigen teilen unserer umwelt unverzichtbar und nicht per se pathologisch. letzteres werden sie jedoch in diversen formen und ausprägungen immer dann, wenn das gestörte psychophysische gleichgewicht innerhalb eines menschen den objektivistischen modus in eine wahrnehmungsmäßige monopolposition gebracht hat. das hat erstens zur folge, dass sich der betroffene in einem gewissen sinne selbst, v.a. "seinen" körper, als objekt wahrnimmt, und zweitens diese art der wahrnehmung im gesamten sozialen bereich praktiziert. anders ließe sich das als weitgehender verlust der eigenen vollständigen subjektivität beschreiben, und das ist die vorbedingung dafür, auch bei anderen deren subjektivität nicht mehr wahrnehmen zu können. im schlimmsten fall wird dieser status dann noch mittels objektivistisch produzierter simulationen überspielt, um sich an die jeweiligen sozialen normen und verhaltenskodexe anzupassen - in einer art "reinform" bei den klassischen soziopathen zu beobachten.
und subjektive fähigkeiten/eigenarten wie gefühle werden eher nicht "abgesprochen", sondern können vom objektivistischen modus nicht wahrgenommen werden, bzw. werden als konstruiertes interpretiert, was aber eher einer projektion des eigenen funktionsmodus entspricht. und auch, wenn sich dieser ganze prozeß als eine art überlebens- und anpassungsstrategie (innerhalb antisozialer umweltbedingungen) verstehen lässt, bleibt das ganze grundsätzlich destruktiv - zumindest für andere, nicht unbedingt für den betroffenen selbst. wie letzteres dann konkret aussehen kann, zeigt einfallbeispiel.
Grundlegende soziale Fähigkeiten – was versteht man darunter? Ich möchte wohl behaupten, dass ich über grundlegende soziale Fähigkeiten verfüge. Mitunter bin ich etwas zu direkt und man sollte mich nicht nach meiner Meinung fragen, wenn man sie nicht hören will, aber grundsätzlich bin ich ein sozial sehr engagierter und feinfühliger Mensch und selbst wenn ich dies nicht wäre, bliebe ich ein Mensch wie jeder andere. Oder anders, wenn ich das nicht wäre, wäre ich wie die meisten anderen.
grundlegende soziale fähigkeiten sind zb.empathieals umfassende subjektive fähigkeit, einen anderen menschen verstehen zu können. ebenso fällt dieintuitiondarunter als fähigkeit, beliebige situationen spontan ganzheitlich korrekt und in einer tiefe wahrnehmen zu können, die "der verstand" aufgrund seiner funktionalen beschränkungen niemals erreichen kann - seine aufgabe ist eher die im besten falle realistische interpretation und synthese der wahrgenommenen informationen.
ohne die beiden genannten ist letztlich kein soziales leben denkbar, welches auf vertrauen, liebes- und kollektivfähigkeit basieren sollte. das es das bis heute nur in absoluten ausnahmen tut, hat auch damit zu tun, dass diese sozialen fähigkeiten bzw. ihre materiell-körperlichen voraussetzungen - die in den verlinkten beiträgen teils schon erwähnt sind;spiegelneuroneund propriozeptiongehören u.a. dazu - in einem klassisch klinischen sinne geschädigt bzw. u.u. auch zerstört werden können. und wenn man nun so ein phänomen wie die verdinglichung umfassend begreifen will, ist es mehr als nur plausibel, die grundlagen eines solchen sozusagen entgleisten wahrnehmungsmodus´ eben in unserer absoluten biologischen basis zu suchen: dem körper (incl. hirn & nervensysteme), der wir sind.
da Sie sich ja vermutlich aus höchst eigenem interesse mit den diversen forschungen rund um den autismus beschäftigen, sind Ihnen vielleicht auch forschungen wiediesebekannt, wo es um den zusammenhang zwischen gestörten spiegelneuronsystemen und autismus geht? was automatisch die frage nach derempathiefähigkeitbei autismus nach sich zieht. ebenso gibt es starke hinweise richtungstörungen(im letzten teil des beitrags) der oben erwähnten propriozeptiven wahrnehmung bei autistischen menschen.
das läßt aus meiner sicht hinsichtlich Ihrer obigen behauptung bzw. selbstbeschreibung, die ich bezgl. Ihrer selbstwahrnehmung gar nicht in abrede stellen will bzw. kann, eigentlich nur zwei schlüsse zu - und jetzt werde ich sehr direkt und nicht um den heißen brei herumreden:
entweder ist Ihre (vermutliche) diagnose unzutreffend, oder aber Ihre selbstwahrnehmung beruht auf einem zugegebenermaßen extrem schwer zu erkennenden prozeß der verwechslung von authentischen sozialen fähigkeiten mit durch eine art lernprozeß herausgebildeten simulativen fähigkeiten, die sich bei Ihnen zwecks anpassung / überleben / funktionieren in einer sozialen umwelt geprägt haben. das wäre noch nichteinmal als manko zu betrachten, sondern lässt sich auch in einem bestimmten sinne als kreative lösung eines existenziellen problems ansehen. nur: qualitativ wäre Ihre art der wahrnehmung trotzdem etwas sehr anderes als das, was ich oben unter den sozialen fähigkeiten beschrieben habe. und ich muss Ihnen auch sagen, dass ich "soziales engagement" nicht als - hm, "beleg" für das vorhandensein bzw. nichtvorhandensein authentischer sozialität ansehen kann. sozial engagieren kann ich mich auch aus eiskaltem kalkül heraus, um bestimmte wirkungen zu erzielen, die mit altruistischen motivationen aber auch gar nix zu tun haben müssen - die marketing- und pr-abteilungen großer konzerne verbringen inzwischen einen großen teil ihrer zeit mit derlei als-ob-engagement. ebenso kann authentisch wirkendes soziales engagement ein teil des konstrukts einer beliebigen eigenen identität sein, welche ganz und gar simulativ daherkommen kann, aber eben als solche nicht bewusst sein muss.
wie gesagt, ich will Ihnen mit dem obigen nichts unterstellen, weise aber darauf hin, dass Sie durchaus die möglichkeit in betracht ziehen müssen, dass Ihnen Ihre selbstwahrnehmung hier einen streich spielt - was bei einer lebenslangen praxis desselben weder verwunderlich noch unverständlich wäre. denn genau durch (qualitative) veränderungen dieser sozialen fähigkeiten (und den konsequenzen) zeichnet sich der klassische autismus, jedenfalls nach allem, was ich bisher weiß, ja aus.
*
an dieser stelle möchte ich aus zeitlichen gründen unterbrechen. der rest der antwort kommt in einem update demnächst. ich würde es begrüßen, wenn bis zu diesem zweiten teil von kommentaren zum obigen abgesehen wird.
wiedermal einprozeßbericht, der allzuoft gelesenes enthält:
(...)"Der vierte Prozesstag um den zu Weihnachten in Kirchberg verhungerten Robin brachte erschütternde Details ans Licht. Der Rechtsmediziner Karl-Heinz Thiele, der Robins Leiche am 27. Dezember obduzierte, berichtete am Freitag, dass der einst bis zu 14 Kilo schwere Junge zuletzt noch 8711 Gramm wog. Er hätte Anzeichen eines extremen Nahrungs- und Flüssigkeitsmangels aufgewiesen, "der letztlich zum Tod führte". Seine Beschreibung des Zweijährigen war so erschütternd, dass eine Zuhörerin unter Tränen aus dem Verhandlungssaal stürzte. Auch bei der angeklagten Mutter liefen Tränen.(...)
Der psychiatrische Sachverständige Günter Petermann bescheinigte der 24-Jährigen, dass bei ihr "eine bedeutsam ausgeprägte Borderline-Persönlichkeitsstörung" vorliege. Er hält sie deshalb für vermindert schuldfähig. 1,8 Prozent der Bevölkerung litten unter dieser Krankheit. Sie beeinträchtige die Gefühle, das Denken und Handeln, was sich durch negatives und teilweise paradox wirkendes Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen sowie im gestörten Verhältnis zu sich selbst äußere.
Der Borderline-Gestörte hätte ein chronisches Gefühl der Leere, er leide unter Ängsten und Hilflosigkeit. "Robins Zustand wurde von ihr nicht so dramatisch erlebt. Für einen Außenstehenden ist das nicht nachvollziehbar", sagte der Mediziner. "Sie hielt die Reise zum neuen Freund für vertretbar. Denn sie konnte die Situation nicht korrekt einschätzen. Die Wahrnehmung der Realität war bei ihr gestört. Hätte sie Robins Zustand als lebensbedrohlich gesehen, wäre sie wahrscheinlich nicht gefahren."(...)
der satz "Die Wahrnehmung der Realität war bei ihr gestört" stellt dabei - im gegensatz zu manch anderen hier im blog zitierten psychiatrischen stellungnahmen - durchaus eine realistische realitätsbeschreibung dar und gibt dazu eigentlich allen anlaß dafür, fragen zu stellen wie zb. die, wie genau diese gestörte wahrnehmung funktioniert und was sie hervorbringt. diesen fragestellungen und den möglichen antworten aber verweigern sich psychiatrie und justiz - stellvertzretend für die gesamtgesellschaft - bis heute größtenteils konsequent, und derartige entsetzliche geschehnisse sind dann u.a. das resultat.
die beschreibung des wahrnehmungsmodus´ der mutter ähnelt übrigens frappierend denhierthematisierten zuständen, die sich zusammenfassend so begreifen lassen:
(...)"Kurzum, es gibt einen Unterschied zwischen lebendigen und mechanistisch toten Ereignissen. Wer diesen Unterschied nicht kennt, ist de facto sehr krank, und zwar in einem sehr strengen, objektiv-wissenschaftlichen Sinne: Die entsprechende Symptomatik findet sich beispielsweise im autistischen und psychotischen Kontext und wird im Bereich extremer Antisozialität zu einem gesellschaftlichen Problem. In all diesen Fällen ist unter anderem auch diese Unterscheidung für die Betroffenen sehr unsicher oder unmöglich geworden. Diese mangelhafte Unterscheidungsfähigkeit entwickelt spätestens dann tragische Dimensionen, wenn eine lebendiger Mensch von einem anderen Menschen wie eine Sache, wie ein totes Ding behandelt wird, ohne daß sich der Akteur selbst an dieser kategorialen Todsünde, die in der Praxis nicht selten einen tödlichen Ausgang nimmt, irgendwie stören müßte."(...)
(mertz, "borderline..." [siehe literaturliste]; s. 160)
und welches diagnostische etikett dann in solchen fällen vergeben wird, ist letztlich zwar nicht sekundär, verweist aber i.d.r. bis heute eher auf wahrnehmungsdefizite von psychiatrie & psychologie als auf die tatsächlich existierende realität.
(...)"Nur wenige Stunden dauerte der Öl-Krisengipfel im saudi-arabischen Dschidda - die Rezitation von Suren des Korans eingeschlossen. Dass innerhalb dieser kurzen Zeit eines der drängendsten Probleme der Weltwirtschaft gelöst werden könnte, war von vornherein eine Illusion.
Am Ende einigten sich die Vertreter der Ölproduzenten und -verbraucher auf eine wohlklingende, aber substanzlose Erklärung. Auch die Ankündigung Saudi-Arabiens und Kuwaits, die Tagesproduktion um ein paar hunderttausend Fass zu erhöhen, wird den Anstieg des Ölpreises nicht nachhaltig stoppen.(...)
Stattdessen stimmten die Erdölminister in Dschidda die Litanei vom angeblich unheilvollen Wirken der Spekulanten an. Die Opec verbreitet diese These wider besseres Wissen: Im Gegensatz zu Gold und Silber ist die massenhafte Lagerung von Öl viel zu teuer. Ein sehr kostspieliges Unterfangen wäre es beispielsweise auch, Öl wochenlang auf Tankschiffen über die Weltmeere zu kutschieren, nur um es aus spekulativen Interessen vom Markt fernzuhalten.
Bezeichnenderweise ist die hektische Suche der Opec nach einem Sündenbock für den rasanten Preisanstieg ebenso von Angst getrieben wie die nervöse Politik der Abnehmerstaaten. Ihnen sitzt die Furcht im Nacken, dass die Ölvorkommen rascher zur Neige gehen könnten als erwartet.
Ölförderer und Konsumenten pflegen ein Verhältnis wie ein Dealer zu seinem Kunden: Der Rauschgiftverkäufer unternimmt alles, damit der Abnehmer seiner Ware weiterhin an der Nadel hängt. Droht die Versorgung an einer Stelle zu unterbrechen, erfasst die Beteiligten Panik."(...)
(...)"Am heutigen Montag kletterte der Preis für ein Barrel WTI-Öl auf über 136 Dollar. Die Hoffnung auf niedrigere Energiepreise nach dem Krisen-Gipfel in Dschidda ist damit zerstreut. Zwar hatten sich die Golf-Staaten auf dem Öl-Gipfel am Wochenende bereit erklärt, mehr Öl zu fördern. Konkrete Schritte zur unmittelbaren Senkung wurden aber nicht vereinbart.(...)
Die deutsche Wirtschaft ist trotz der hohen Energiepreise noch zuversichtlich: BDI-Präsident Jürgen Thumann rechnet in diesem Jahr nach wie vor mit einem stetigen Konjunkturwachstum, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI) am heutigen Montag."(...)
(...)"Die meisten Politiker glauben, dass wir Probleme haben, die wir lösen können, und dabei gleichzeitig den Lebensstil der westlichen Welt aufrechterhalten. Das ist reines Wunschdenken."(...)
ich weiß nicht, wie es Ihnen geht - aber ich bekomme beim wort wachstum mittlerweile spontane reaktionen von ver- und überdruß - "wachstum, wachstum über alles", rief die krebszelle triumphierend, bevor der organismus endgültig kollabierte. in genau der gleichen und leider auch zu erwartenden, logik bewegen sich die dem bekannten pfeifen-im-walde immer ähnlicher werdenden verlautbarungen der politischen & ökonomischen "eliten", wenn es um das thema öl geht. der ausgang des öffentlich zumindest z.t. als eine art "wendepunkt" dargestellten "öl-gipfels" in saudi-arabien - übrigens nebenbei gesagt eines der übelsten religiös-fundamentalistischen regimes des planeten, was den gesamten "demokratischen westen" nicht daran hindert, devote freundlichkeit zu simulieren - stellt ein wahres und kaum verstandenes menetekel dar.
wie im einleitenden ersten kommentar schon gesagt: ergebnisse gab es erwartungsgemäß keine, stattdessen ein erbärmliches allseitiges herumgedruckse um die schlichte tatsache, dass sich die zeit des billigen öls unwiederuflich ihrem ende zuneigt. die als "entlastung" beschworene erhöhung der saudischen förderung war bereits seit längerer zeit sowieso beschlossen, und verpuffte entsprechend in ihrer gedachten wirkung völlig. ansonsten trifft bezgl. der ölfördenden länder und ihrer abnehmer tatsächlich der abschließende vergleich im genannten kommentar am besten zu: dealer und user in gestalt der jeweiligen "eliten" haben weder das interesse noch die fähigkeiten, sich selbst von einem zustand zu verabschieden, der ihnen beiden momentan (noch) den erhalt von macht & profit garantiert.
und wer sich sich bei den ersten beiträgen zum thema schon gefragt hatte, warum ich das in einem blog, welches sich primär mit verschiedenen psychophysischen störungen und ihren gesellschaftlichen auswirkungen beschäftigt, überhaupt aufgreife: im letzten satz oben liegt der grund.
in kürze und sehr grob: davon ausgehend, das die sog. westliche zivilisation (nicht nur sie, aber sie dominiert den planeten) in ihrer basis auf eine jahrtausende alte praxis (zwischen-)menschlicher gewaltausübung mit all den inzwischen bekannten folgen gründet, und sich ebenfalls durch eine alltägliche praxis der bereitstellung von materiellen dingen zur kompensation der benannten folgen vergangener und aktueller gewalt bei ihren untertanen eine historisch bisher unerreichte legitimation erkaufte (eine konsumgesellschaft unseres bisherigen kalibers braucht für ihre existenz primär außen- oder besser dinggeleitete menschen, die in ihrem sein so angegriffen sind, dass die orientierung nicht auf dem eigenen inneren und äußeren authentischen sein liegt, sondern auf ständiger betäubung, ablenkung und identitätskonstruktion durch objektivistische kriterien wie besitz (mehr haben) und hierarchien (macht geliehen bekommen, um sich selbst größer - und sicherer - zu fühlen). wie diese prozesse speziell bezgl. des konsums funktionieren, und was sie für konsequenzen tätigen, hateduardo galeanoin sehr poetischer form vor einiger zeit beschrieben. die durchsetzung des kapitalismus als globale ökonomische form des wirtschaftens ist ohne die aus der bisherigen menschlichen historie folgenden bevorzugt verbreiteten psychophysischen strukturen bei den diese ökonomische form tragenden, tolerierenden und teils bejahenden menschen nicht zu begreifen -übrigens meiner meinung nach das größte manko bei jeder kapitalismuskritik, die sich auf den - zwangsweise - für diesen umstand recht blinden marx bezieht, so zutreffend sie in der funktionsanalyse des abstrakten systems kapitalismus auch sonst sein mag. die vernachlässigung der funktionsgesetze, denen wir als spezies bzw. "unsere" körper kollektiv & individuell unterliegen, und in derem rahmen bspw. auch das spektrum der möglichen reaktionen auf erlebte gewalt bestimmt wird (ohne deren kenntnisse die wesentlichen gesellschaftlichen prozesse bis heute nicht zu verstehen sind), dürfte mit der allererste grund dafür sein, dass bislang keinerlei realistische vision einer anderen und besseren welt von links vorliegt - und experimente wie der "reale sozialismus" übel gescheitert sind.
zurück zum eigentlichen thema: den status der endlichen ressource öl halte ich vor dem obigen hintergrund deswegen für so relevant, weil ohne öl faktisch die industrielle "zivilisation", wie wir sie heute kennen, nicht möglich ist. und wenn dieser schmierstoff der globalen maschinerie zunehmend knapper und teurer wird, muss es zu extremen verwerfungen in allen gesellschaften kommen, die sich dem westlichen "modell" der verdinglichten und konsumorientierten existenz unterworfen haben. die bisherigen öffentlichen reaktionen lassen leider ein düsteres bild bezgl. des umgangs mit den erwähnten verwerfungen entstehen - wie ich es in einem der früheren beiträge schon skizziert hatte, sind bisher hauptsächlich verdrängungsreaktionen verschiedenen ausmaßes zu beobachten:
- einmal die platte variante, deren vertreter sich völlig faktenresistent darauf zurückziehen, dass das öl "noch für jahrhunderte" reichen werde. neben der unzutreffenden behauptung an sich ist vor allem die bereitschaft und der wille bemerkenswert, das öl- bzw. industrielle zeitalter mit all seinen destruktiven implikationen so lange zu verlängern wie möglich - ohne rücksicht auf ökologische & soziale folgen aktuell und in kommenden zeiten. diese - hm, mentalität lässt sich mit guten gründen inzwischen als suizidal bezeichnen.
- öffentlich findet sich aber immer öfter auch das zugeständnis, dass es da vielleicht ein grundsätzliches problem mit der verfügbarkeit des öls geben könnte, aber das sich die folgen - und zwar ohne merkbare konsequenzen für die westliche art des lebens, das ist wichtig! - mittels "technischer innovationen" schnell in den griff bekommen lassen "der fortschritt wird´s schon richten". strukturell ist das zwar eine kompliziertere form der verdrängung, nichtsdestotrotz bleibt sie letzteres. der wille & wunsch zum "einfach so wie bisher weitermachen" wird ergänzt durch den quasireligiösen glauben an die allmächtige macht der technologie, die den fortbestand der kompensationsmaschine sichern soll. irgendwelche grenzen werden auch in dieser variante weder wahrgenommen, geschweige denn akzeptiert.
und unter diesen umständen werden die pessimistischen befürchtungen von dennis meadows als diejenigen erkennbar, denen bis dato der größte realismus zugesprochen werden muss.
*
ich habe die letzte zeit darauf verzichtet, hier regelmässige updates zu peak oil zu bringen - die fülle an nachrichten und stellungsnahmen macht das zu einem nicht zu leistenden unterfangen. dazu wäre auch der aspekt zu bedenken, dass sich die diversen aktuellen krisen - öl, lebensmittel, finanz - nur als verzahnte begreifen lassen und sich gegenseitig vielfältig beeinflussen und hochschaukeln. die dynamik dieser prozesse ist inzwischen eine solche, dass es auch bei einer grundsätzlich größeren bewußtheit und bereitschaft zum qualitativen wandel unserer lebensweise schwer vorstellbar erscheint, wie dieser wandel ohne größere destruktive konsequenzen ablaufen könnte. in der jetzigen situation jedoch, mit einer solchen "elite" und mehrheitlich solchen untertanen, die in großem maße dazu unfähig und -willig erscheinen, sich auf andere lebensentwürfe einzulassen - was wie gesagt aus den vorherrschenden psychophysischen dispositionen erklärbar ist - , kann peak oil nur als real werdende dystopie vorstellbar sein.
und das bringt mich dazu, zu sagen: ich habe angst.
eine ganz neue erfahrung mussten dieser tage viele europäische medien verarbeiten: nachdem die neue "rückführungsrichtlinie" im eu-parlament zur effizienteren abschiebung von flüchtlingen und migranten aus europa angenommen worden war, kamen aus venezuelatöne, die den seit jahrhunderten dominanten europäischen "eliten" und ihren medien einen spiegel vorhielten, was ihre eigene - als "normal" und üblich - betrachtete praxis der beliebigen, notfalls auch militärischen, einmischung und direktivenvergabe in allen planetaren regionen betrifft:
(...)""Wir können uns dies nicht mit verschränkten Armen ansehen. Die Annahme der sogenannten Rückführungsrichtlinie ist empörend und deshalb lehnen wir sie ab", erklärte Chavéz bei einem Treffen mit dem neuen Präsidenten Paraguays, Fernando Lugo.(...)
Er äußerte die Hoffnung, dass sich "alle unsere Länder gegen diesen Entschluss aussprechen, für die Würde unserer Völker". Chávez kritisierte, dass in Europa inzwischen die Rechte und die Ultrarechte den Ton angeben. Die Länder, welche diese Richtlinie umsetzen, solle das Öl aus Venezuela nicht mehr erreichen, weitete er seine Drohungen aus, die er bisher gegen den US-Konzern Exxon ausgesprochen hatte. "Mit der Anwendung der Rückführungsrichtlinie wird gegen die Menschenrechte verstoßen", fügte er an. Zudem warnte er davor, dass es auch zu einer "Rückkehr der europäischen Investitionen" in die Länder kommen könne, welche die Maßnahmen umsetzten."(...)
die bisherigen reaktionenauf diese "unbotmäßige einmischung" in die repressive eu-politik "ausgerechnet" aus der sog. "dritten welt" sprechen bände - und verdecken leider auch einerseits, dass chavez mit seiner - sehr berechtigten - meinung über den charakter der eu-"flüchtlingspolitik" nicht alleine da steht, machen andererseits aber auch deutlich, dass die drohung mit dem entzug des schmierstoffes öl durchaus die hiesigen "eliten" zu beeindrucken vermag - gerade vor dem hintergrund der jüngsten entwicklungen rund ums öl.
eine sehr lesenwerte kritik an der eu-abschiebepolitik hat im vorfeld der parlamentarischen verabschiedung jedoch auch der bolivianische präsident evo morales ayma als offenen brief veröffentlicht, der im folgenden auszugsweisedokumentiertwird:
(...)"Heute ist die Europäische Union das Hauptziel der Migranten der Welt. Der Grund ist der gute Ruf der Europäischen Union als Region von Prosperität und öffentlichen Freiheiten. Die Migranten kommen mehrheitlich in die EU, um zu dieser Prosperität beizutragen, nicht um sich ihrer zu bedienen. Sie wirken bei öffentlichen Arbeiten mit, in der Baubranche, im Bereich der Dienstleistungen und in Krankenhäusern. Sie übernehmen meist Tätigkeiten, die Europäer nicht ausüben können oder wollen. Sie tragen zur demographischen Dynamik des europäischen Kontinents bei, zur Aufrechterhaltung des notwendigen Verhältnisses zwischen aktiven und passiven Arbeitskräften, das seine großzügigen sozialen Systeme möglich macht. Sie geben dem Binnenmarkt neue Impulse und stützen den sozialen Zusammenhalt. Die Migranten bieten eine Lösung für die demographischen und finanziellen Probleme der EU.
Uns wiederum bieten die Migranten eine Hilfe zur Entwicklung, die uns die Europäer verweigern – da nur wenige Länder tatsächlich das Minimalziel von 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe aufwenden. Lateinamerika erhielt im Jahr 2006 indes 68 Milliarden US-Dollar Geldüberweisungen von Migranten. Das ist mehr das Doppelte der ausländischen Investitionen in unseren Ländern.
Weltweit erreichen diese Überweisungen von Migranten an ihre Familien 300 Milliarden US-Dollar. Dieser Betrag übersteigt die 104 Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe bei weitem. In meinem eigenen Land, Bolivien, entsprechen die Überweisungen mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes, rund 1,1 Milliarden US-Dollar und dem Wert eines Drittels unserer jährlichen Gasexporte.
Die Wirtschaftskraft der Migranten ist trotzdem vor allem für die Europäer von Vorteil und nur marginal für uns in der Dritten Welt. Wir verlieren Millionen unserer qualifizierten Arbeitskräfte, in die unsere Staaten, obwohl sie arm sind, unzählige Ressourcen investiert haben.
Leider verschlimmert die Abschieberichtlinie der EU diese Situation in erschreckender Weise. Auch wenn wir davon ausgehen, daß jeder Staat oder jede Staatengruppe die eigene Migrationspolitik in voller Souveränität definieren kann, können wir nicht akzeptieren, daß unseren Mitbürgern und lateinamerikanischen Brüdern die Grundrechte verweigert werden. Denn die EU-Abschieberichtlinie sieht die Möglichkeit der Einkerkerung der Migranten ohne Papiere bis zu 18 Monate vor. Danach folgt die Ausweisung oder ihre »Entfernung«, wie der exakte Terminus der Direktive lautet. 18 Monate! Ohne Urteil und Gerechtigkeit! Der vorliegende Entwurf der Richtlinie verletzt damit eindeutig die Artikel 2, 3, 5, 6, 7, 8 und 9 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Darin heißt es unter anderem: »Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen«. Und weiter: »Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.«
Und was das Schlimmste ist: Es wird die Möglichkeit geschaffen, Mütter und Minderjährige, ohne ihre familiäre oder schulische Situation zu berücksichtigen, in Internierungszentren einzusperren. Die Folge sind Depressionen, Hungerstreiks und Selbstmorde. Wie können wir tatenlos akzeptieren, daß Mitbürger und lateinamerikanische Brüder ohne Papiere in Lagern eingepfercht werden? Und das, obwohl sie mehrheitlich seit Jahren dort gearbeitet haben und integriert sind. Auf welcher Seite besteht heute die Pflicht zu humanitärer Einmischung? Was ist mit der »Bewegungsfreiheit«, mit dem Schutz gegen willkürliche Haft?"(...)
den ganzen brief finde ich auch mit seinen historischen bezügen sehr treffend, gelungen und absolut verbreitungswürdig - eine aufgabe, die in diesem falle wiedermal primär das netz übernehmen muss, denn auf den ersten seiten unserer medien sind diese worte. obwohl sie da eigentlich hingehören würden, natürlich nicht zu finden.
ich hätte mir ja denken können, dass der eher spontan entstandene letzte beitragtrauma und musikbei mir selbst einiges in erinnerung gerufen hat rufen wird. ich höre musik sehr stimmungsabhängig, und meine vorlieben für funk, jazz, und die meisten sparten elektronischer musik haben sowohl etwas mit rhytmus zu tun als auch mit den jeweils assoziierten inneren bildern, besonders bei den beiden letzteren stilen. und um solche inneren bilder durchaus unheilvoller art soll es jetzt gehen.
*
die bemerkungen im letzten beitrag zu gewissen musikalischen entwicklungen nach den letzten beiden weltkriegen wurden für mich zwischenzeitlich vor dem gedanken als hintergrund immer plausibler, dass sich auch aktuelle musik durchaus selbst als wiederspiegelung aktueller gesellschaftlicher entwicklungen begreifen kann bzw. sogar unter umständen ohne bezug auf diese nicht vollständig begreifen lässt. das mag sich als platitüde lesen, es macht jedoch wie ich finde einen gewaltigen unterschied, ob sich die jeweiligen protagonistInnen über diesen zusammenhang selbst klar sind oder nicht. dann steigen nämlich die chancen dafür - wie bei allen künstlerischen aktivitäten überhaupt -, dass sich auch beim jeweiligen publikum wahrnehmungsprozesse ereignen können, die das potenzial haben, die allgegenwärtigesoziale trancezumindest partiell bewußt zu machen oder gar zeitweise außer kraft zu setzen. und drei musikalische beispiele, die für mich dieses potenzial besitzen, möchte ich im folgenden genauer vorstellen. das es sich dabei allesamt um spielarten elektronisch erzeugter musik handelt, ist für mich absolut kein zufall, ist diese doch bis dato als einzigste in der lage, die komplexe rund um maschinen & virtualität, die schon länger die aktuellen gesellschaftlichen (alp-)träume prägen und beflügeln, akustisch angemessen zu bebildern. was für mich persönlich auch den grund dafür darstellt, dass ich mit gitarrenlastiger musik wie punk - der ja im allgemeinsten sinne als ausdruck von wut & gewalttätigkeit zumindest in der vergangenheit angesehen wurde - nicht viel anfangen kann. solche musik kann schlicht die heutigen entwicklungen der hi-tek-kriege, genmanipulation und mensch-maschinen-phantasien nicht adäquat genug beschreiben.
*
als erstes wäre da der dj & produzentcarl craig, der als einer der begründer des detroit-techno gelten kann - eine musik, die typischerweise gleichzeitig i.d.r. basslastig und melancholisch daherkommt und vielen als "klassischer" techno gilt. ebenso begreifen viele diese musik als nicht unabhängig vom ursprungsort verständlich - detroit, einst die us-amerikanische autostadt, ist vom niedergang dieser industrie genauso tiefgreifend gezeichnet zu einem symbol des zusammenbruches alter industrieller strukturen geworden, wie sie einst in ihren blütezeiten (durchaus zweifelhafte) entwicklungen wie das fließband hervorbrachte.
und diese aspekte spielen für leute wie craig bei ihrem schaffen durchaus nicht nur eine nebenrolle, wie er jüngst in eineminterviewnochmal deutlich machte:
(...)"Zum einen vermittelt sich seine Persönlichkeit nicht durch Mysterium, Militanz oder afro-futuristische Erlösungsutopien. Er präsentiert sich mit einer vernünftigen Portion Selbstbewusstsein als Techno-Star und Allround-Musiker.
Zum anderen hält er sich angesichts der Geschichte und des Stadtbilds Detroits nicht lange mit Glorifizierungen auf, sondern geht lieber auf soziale und ökonomische Bedingungen ein, die diesen Ort genau so haben werden lassen.(...)
Die Ruinen der Stadt sind für Craig Mahnmale, etwa eine verlassene Fabrik in der Nähe seines Büros, bei der keine Fensterscheibe mehr heil ist.
"Ich sehe dieses Gebäude jeden Tag. Es stellt für mich die Geschichte von Detroit dar, die Geschichte eines Ortes, der eine blühende Industriestadt war und jetzt eben nicht mehr ist. Solche Ruinen sind Monolithen, aber sie sagen mir in geschichtlicher Hinsicht das Gleiche wie die Trümmer in Rom oder Griechenland: Es geht um das Erinnern einer gewesenen Kultur. Diese Fabrik erzählt von einstiger Größe - und sie ist das Gerippe, das davon übrig blieb."(...)
"Es gibt keine andere Stadt auf der Welt, die wie Detroit ist. Henry Ford hat hier das Fließband erfunden, und dieses Konzept hat Berry Gordy darin beeinflusst, wie er Motown führte. Gordy wollte ohne Unterlass Musik produzieren und sie konstant veröffentlichen, einfach, um immer genug Angebot für die Nachfrage zu haben. Als die Autoproduktion aber zunehmend auf Roboter umstieg, hat das Juan Atkins beeinflusst. Beide waren also im Grunde inspiriert von diesem Ford'schen System. Ich glaube, an einem anderen Ort als Detroit hätte so etwas gar nicht entstehen können: diese Idee, etwas, das im Grunde so kalt ist, durch Musik mit Seele aufzuladen."(...)
ich empfehle, sich dazu unbedingt auch die zugehörigefotostreckezu betrachten.
und der letzte satz von craig oben enthält für mich etwas zentrales: "...diese Idee, etwas, das im Grunde so kalt ist, durch Musik mit Seele aufzuladen." - die idee, industrielle produktionsweisen, die auf die ihnen ausgelieferten menschen (de-)formierend und normierend wirken, in ihrem akustischen ausdruck - das repetitiv-maschinenhafte, was viele beim techno (begründet) so monoton und langweilig, eben wie fließbandarbeit, empfinden -, zu packen, diesen ausdruck zu bearbeiten und gefüllt mit die menschliche emotionalität & körperlichkeit ansprechenden und triggernden tönen zu etwas qualitativ neuem, produktiven zu machen. produktiv in der hinsicht, dass die vormalige mit den zugrundliegenden tönen assoziierte kalte destruktivität zu einem tanzbaren und teils hoch emotionalen geladenen positiven seinszustand verwandelt wird. hören Sie nur einmal einen klassiker von carl craig, "at les":
ich kann mir nicht helfen - ich höre da trauer, unbeeindruckt laufende maschinen, und eine zunehmend unheilvoller und ausweglos werdende atmosphäre - und ich habe das lange vor dem zeitpunkt genauso gehört, an dem ich das erste mal mehr von den hintergründen des detroit-technos erfahren habe. gleichzeitig merke ich den impuls, mich bewegen zu wollen - die transformation des maschinenhaften in menschliche aktion. für mich ein beispiel dafür, wie künstlerische produktionen mit destruktiven gesellschaftlichen realitäten umgehen können.
*
wenn Sie ansonsten keinerlei erfahrungen mit elektronischen musiken besitzen und das gerade gehörte vielleicht noch relativ soft empfunden haben, muss ich Sie vorwarnen - die nächsten beiden besprochenen projekte (das trifft es besser als "bands") sind ein etwas anderes kaliber und entziehen sich bis heute eigentlich jeder musikalischen zuordnung, auch wenn sie beide unter dem begriff "industrial" geführt werden, der aber die intentionen der akteure nur sehr ungenau trifft.
als erstes wären da die mir zuerst anfang der 1980er aufgefallenenthrobbing gristle, die unter einem ganz eigenen ansatz arbeiteten:
"Wir sind interessiert an Information, wir sind nicht interessiert an Musik als solcher. Und wir glauben, dass das zentrale Feld der Auseinandersetzung, wenn es ein solches unter Menschen gibt, die Information ist."
um die von ihnen als wichtig erachteten informationen unter die leute zu bringen, war nicht nur ein anderes verständnis von musik, sondern auch neue technische entwicklungen vonnöten:
(...)"Throbbing Gristle nutzten (...) Techniken der musikalischen Avantgarde wie Bandschleifen und extreme Verzerrung; arbeiteten mit elektronischen Geräten (u.a. selbst konstruierten Synthesizern) und erfanden neue Effektgeräte hinzu, die quasi als Vorläufer des Sampling funktionierten.
Sie arbeiteten mit Texten, die beispielsweise den Mord an Sharon Tate und die Grausamkeiten rhodesischer Guerilleros vor einem ruhigen elektronischen Hintergrund detailliert ineinanderwebten („Slug Bait - ICA“); eingespielte Sprachfetzen; die Geschichte eines Mörderpaares (Ian Brady und Myra Hindley), begleitet von monotonen Bassläufen; drastische Publikumsbeleidigungen („Maggot Death - Brighton“) und Soundtracks zu einem Film über eine Vasektomie („After Cease to Exist“). Gerne kokettierten Throbbing Gristle auch mit nationalisozialistischen Elementen, welche sie auch in Videotapes stilisierten. Sie bildeten Fotografien von Konzentrationslagern auf ihren Publikationen ab oder zeigten gebrauchte Zyklon-B-Dosen. Die Gruppe selbst trat später bevorzugt in Militäruniformen auf."(...)
das wort "kokettieren" in diesem zusammenhang finde ich unglücklich, zumal mir aus (print-)interviews mit tg noch in erinnerung ist, dass die erwähnten symboliken eine genau definierte funktion im gesamtkonzept des projektes besaßen. und ein track wie - das online leider anscheinend nicht vorhandene - "zyklon-b zombie", welches auf der vinylsingleversion in einer endlosrille endete, bei der die lagerglocke von auschwitz nicht mehr aufhören will zu klingen, kann nur bei psychophysisch gestörten leuten zu einer positiven empfindung im naziaffinen sinne führen. ich habe selten musik gehört, die derart bedrückend ist (mit einer ausnahme, die gleich folgt).
als repräsentativ darf durchaus das oben erwähnte "slug bait" gelten:
hier gibt es keinerlei positive auflösung mehr, hier werden eher unerträgliche und durchaus als traumatisch zu begreifende realitäten akustisch auf den punkt gebracht. was die zuhörerInnen dazu zwingt, sich entweder zu entziehen - was ein moment sein könnte, der aufklärendes nachdenken über die motivationen des eigenen nicht-ertragen-könnens/wollens befördern kann -, oder aber in der konfrontation mit den tönen das eigene unbehagen konkreter zu erfassen und seine gründen nachzugehen. in beiden fällen wäre die informationsvermittlung im sinne tg´s durchaus als geglückt anzusehen. btw: mir ist schon klar, dass über alles hier vorgestellte noch eine menge mehr und anderes gesagt werden kann bzw. schon ist - aber mir geht es hier primär um den aspekt in der überschrift des beitrages.
*
und im sinne der überschrift kommt für mich bis heute das australische projektSPK, mir bekannt aus der gleichen zeit wie tg, dem hörbar gewordenen trauma am nächsten. was vielleicht auch ein gutes stück mit dem biographischen background der frühen mitglieder zu tun hat:
(...)"Die Band wurde 1978 in Sydney von Graeme Revell, der als Pfleger in einer psychiatrischen Klinik arbeitete, Neil Hill, einem Patienten dieser Anstalt, und Sinan, der späteren Frau Graeme Revells, gegründet."(...)
auf der frühen lp "leichenschrei" ist das folgende stück enthalten, welches mir vermutlich viele worte sparen hilft - habe ich oben bei tg von bedrückend geschrieben, so ist "agony of plasma" im geeigneten moment imstande, regelrechte panikgefühle zu erzeugen - und derart einen eindruck zu geben von dem spektrum des menschlichen empfindens, von dem zu viele lieber nichts wissen wollen - ohne zu ahnen, das dieses anliegen mit seiner impliziten ignoranz menschlichen leidens gegenüber sie selbst dem unerwünschten immer näher bringt. hören Sie´s besser nicht, wenn Sie gerade in einem labilen zustand sein sollten:
nachdem ich spk vor jahren das letzte mal gehört habe, muss ich jetzt sagen: das ist vielleicht der angemessenste musikalische kommentar zu unseren heutigen zeiten, der denkbar ist.
zwei artikel, die sich mit ein paar mich etwas überraschenden fragen rund um den komplex der überschrift beschäftigen, fand ich auf den seiten desdachau-institutes, dessen veröffentlichungen ich sowieso allen leserInnen hier nahelegen möchte. zum einen wäre da einearbeit, die sich mit dem möglichen zusammenhang von kriegstraumata & avantgardistischer musik beschäftigt:
(...)"Ausgangspunkt ist die Beobachtung, daß sich die Beschreibung der Symptome schwer traumatisierter Menschen ( besonders Kriegs- und Kampftraumata ) der von avantgardistischer Musik nach 1950 auffällig ähnelt: emotionale Erstarrung, Dissoziation des Ichs und Verlust des Zeithorizonts.
Bereits nach dem Ersten Weltkrieg zeigt die Musik eine Distanziertheit, oft auch Emotionslosigkeit ( Strawinsky und der Neoklassizismus ) und ein Bedürfnis nach Ordnung ( Schönbergs Zwölftontechnik, bei gleichzeitigem Verlust des tonalen Bezuges ), Phänomene, die mit den Traumata der Krieges zusammenhängen könnten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg treten diese Phänomene in der "Seriellen Musik" mit ihrer gesteigerten Konstruktivität noch intensiver auf. Nach dem Ersten Weltkrieg die Zwölftontechnik, nach dem Zweiten der Serialismus - bemerkenswert, daß ein naheliegender Zusammenhang nie thematisiert wurde, auch nicht von Adorno. Statt dessen macht der Begriff des "musikalischen Materials" unkenntlich, in welcher Weise diese Techniken Ausdruck einer traumatisierten Gesellschaft sind."(...)
ich finde das einen sehr interessanten gedanken, weiß jedoch über die angesprochene musik schlicht zu wenig, um das beurteilen zu können. vielleicht mag sich jemand dazu äußern, der/die mehr musikalische kenntnisse besitzt?
zum anderen wäre da einberichteiner betroffenen über die re-aktivierung erlebter kriegstraumata durch basslastige musik - und wenn Sie sich bisher die möglichen folgen von traumata nicht oder nur unvollständig vorstellen konnten, lesen Sie´s. und lernen einiges über trigger:
(...)"Ich war im August 1942 unweit meiner jetzigen Wohnung geboren worden. Mit dem Beginn der Luftschlacht um Berlin im August 1943 trafen Bomben mein ehemaliges Wohnhaus am Bahnhof, dem eigentlichen Ziel, - und damit mich. Diese und folgende Katastrophen kündigten sich durch die nahenden Fliegerverbände und ihre Luftvibrationen an. Der Luftschlacht – Amerikaner flogen tagsüber, Briten nachts - war ich als Säugling zwei Jahre lang hilflos ausgeliefert. Dröhnen, Jaulen, Vibrationen, Beben, Detonationen, Erschütterungen, Luftturbulenzen, Schreien traumatisierten meinen Organismus umso mehr, als mein Bewusstsein noch keine neuronale „Abwehr“, keine „Filter“, kein „Verstehen“ entwickelt hatte. Meine Neuronen haltbare „Panik-Verbindungen“.
Im Laufe von dreißig Jahren befriedete (linderte) ich unbewusst den Kriegsschaden, indem ich alles mied, was meinen Organismus in Aufruhr versetzen könnte. Kein Rock’n Roll, keine Großveranstaltungen, keinen Stress, keine Lautstärken. Wenn es mir irgendwo zu laut wurde, betäubte ich meine Sinne mit Alkohol: Dröhnung gegen Dröhnen. 1973, während des Oktoberkrieges auf dem Sinai, setzte ich mich sogar dem Geräusch der Tiefflieger aus. Als angenehm empfand ich das Geräusch nicht, aber ich hielt es aus. Vierzig Jahre lang lebte ich gesellig, gut und gern. Ich war musikalisch, rhythmusbegabt und hatte ein absolutes Gehör. Ich tanzte viel, um die alten, unbewussten Fluchtreflexe abzureagieren. Heute ist mir durch die exzessive Verstärkung der Musikbässe das Tanzen als lebenswichtiges Ventil verwehrt. Heute soll der Sound mehr gefühlt als gehört werden.
Während der lebensbedrohenden Krebserkrankung brach durch jene zusätzliche Bedrohung, das unerträgliche Dröhnen verstärkter Musikbässe, dem ich in meiner Wohnung Tag und Nacht hilflos ausgeliefert war, jeglicher Schutzwall zusammen. Mein Organismus unterschied nicht zwischen gestern und heute. Er erinnerte sich unwillkürlich. Er erkannte in den Schallwellen Vibrationen, Beben, Luftturbulenzen wieder, die ihm im Krieg den „Weltuntergang“ angekündigt hatten. Als diese Erscheinungen in einem modernen Kostüm auftraten, reagierte mein Organismus so unmittelbar wie damals der des Säuglings."(...)
klingt zumindest für mich spontan einleuchtend, und erinnert mich auch an einen text von klaus theweleit über jimi hendrix, bei dem es u.a. um die fähigkeit von schallwellen ging, verschiedenste körperzustände zu triggern und zu verändern - im positiven sinne allerdings.
*
in eigener sache noch: derindexist mal wieder aktualisiert.