Sonntag, 9. November 2008

"waltz with bashir" - animierte kriegstraumata

nein, das ich gerade heute am 9. november sowohl einen beitrag zu heinrich himmler als auch jetzt diese filmvorstellung über - tja, die täter-opfer-dialektik bei israelischen soldaten verfasse, war durchaus nicht beabsichtigt. aber nachdem mir erst vorhin das heutige datum eigentlich bewußt wurde, finde ich beides sehr passend. und wer sich schon mit dem thema der transgenerationalen traumata beschäftigt hat, wird auch die unsichtbaren verbindungslinien zwischen beiden themen sehen können - früher schon mal hier näher beleuchtet.

aber aktuell zu einem film über ein natürlich nicht nur israelisches thema:



ich bin noch nicht im kino gewesen, aber es sieht so aus, als wäre es hier mit eher ungewöhnlichen visuellen mitteln gelungen, eines der zentralen kennzeichen von (kriegs-)traumata sichtbar zu machen -
das vergangene krallt sich in die gegenwart:

(...)"Wirklichkeitsfetzen, Erinnerungsskizzen, Verdrängtes. Erfundene, halluzinierte Reminiszenz – all das schiebt sich ineinander, Traum und Albtraum verschmelzen. Am Ende sieht man reale Aufnahmen von weinenden, schreienden Frauen aus einem der Lager. Überlebende. Es ist nicht mal eine Minute. Die Minute, die Ari Folmans System nicht gespeichert hatte. Danach ist man froh, dass vorher alles Trickfilm war, halbwegs erträglich anzusehen.

Ari und seine Freunde, die blutjung in den Krieg zogen, ahnungslos, überfordert – sie leiden unter Opfer- wie unter Tätergefühlen. Sie sind unschuldig schuldig, ein vertrackter Komplex. Folman hat diesen Film gedreht, als Therapie. Er hat keine Palästinenser massakriert, er hat „nur“ wild um sich geschossen, um zu überleben – dabei wurden ganze Familien getötet. Er war nicht in den Flüchtlingslagern, aber die Israelis haben die Leuchtraketen abgeschossen, damit die Mörder Licht hatten zum Morden. Deshalb ist der Himmel so gelb.

Darin steckt das Teuflische jedes Krieges, in Israel, im Libanon, in Vietnam, in Irak. Soldaten töten, um im Meer ihrer Angst nicht zu ertrinken. Nicht jeder, der zurückkehrt, kann einen Film drehen, um sich seinem Trauma zu stellen."(...)


ebenso ungewöhnlich ist es, dass der regisseur hier
weiß , um welche realitäten es geht:

(...)"SZ: Sie verarbeiten dabei Ihre Therapie. Haben Sie tatsächlich diese Erinnerung in sich gefunden, die Sie belastet hat, an die Sie aber nicht herankamen?

Ari Folman: Das geht sehr langsam, man stellt Fragen, trifft sich mit Leuten, redet mit dem Therapeuten und denkt dann eine Woche über das Gespräch nach. Das hat nichts mit Amnesie zu tun, das funktioniert schon anders. Ich hatte lineare Erinnerungen mit schwarzen Löchern, die es zu füllen galt. Ich wollte zeigen, wie das funktioniert. Bei einem solchen Prozess im Inneren muss es ja nicht notwendigerweise um eine verdrängte Kriegserfahrung gehen. Ich denke, eine gescheiterte Liebesbeziehung, der Verlust von jemandem, der einem sehr nahestand, löst ganz ähnliche Mechanismen aus - jede Erfahrung, die das eigene Leben wirklich auf den Kopf stellt."


waltz with bashir ist aktuell in den kinos zu sehen.

assoziation: re-inszenierungen eines antisozialen* - ansätze zum erweiterten biographischen verständnis in der ns-forschung

gestern beim durchblättern der aktuellen taz blieb ich am ende bei einem interview hängen, in dem es um eine neue biographie über den ss-führer heinrich himmler geht - nicht unbedingt ein thema, welches die reste öffentlicher aufmerksamkeit noch groß auf sich zu ziehen vermag. die nazis sind angeblich und anscheinend bis in die letzte ecke be- und erforscht, analysiert und diskutiert worden. und doch war und ist (nicht nur mein) eindruck, seit dem ich mich persönlich für die ns-geschichte interessiere, recht schnell derart, dass hier möglicherweise ein fall von den-wald-vor-lauter-bäumen-nicht-sehen vorliegt - will sagen, dass vor allem das zusammenspiel zwischen persönlichkeitsmerkmalen und historischer wirkung sowohl bei den handelnden akteuren als auch bei der damaligen deutschen bevölkerung entweder zu wenig thematisiert oder aber bisher nicht recht begriffen worden ist.

eine ausnahme innerhalb der ns-forschung ist in der literaturliste rechts in der sidebar zusehen, über die ich früher auch schon einmal geschrieben hatte:
"einfach irre", oder was?!?

die neue himmler-biographie des historikers peter longerich lässt sich ebenfalls zumindest teilweise in der im weitesten sinne psychohistorischen tradition verorten, auch und gerade die lebensgeschichtlichen prägungen und einflüsse bei sog. historischen persönlichkeiten zum verständnis heranzuziehen. wie das aussehen kann und wie gleichzeitig die aktuelle dominierenden psychiatrischen / psychologischen ansätze die grenzen des möglichen wissens determinieren, lässt sich gut im interview nachvollziehen - auzüge:

(...)"Sie schreiben überraschenderweise, dass Himmler eigentlich kein Bürokrat gewesen ist, sich überall einmengte, alles entscheiden wollte. Wie konnte er dann die Terrorapparate des Nazireichs effektiv leiten?

In der Tat. Himmler war kein Bürokrat. Was Bürokratien auszeichnet, sind doch geregelte Verfahren und Normen, nach denen sich alle Funktionäre in einem Apparat einschließlich der Leitung richten müssen. Es geht um Berechenbarkeit. Sie aber war im Fall Himmlers gerade nicht gegeben. Er nahm sich das Recht, im Einzelfall nach seinem Gutdünken zu entscheiden. Sieht man genauer hin, wird man feststellen, dass die Gesamtstruktur der SS eigentlich ziemlich unübersichtlich war, ja von Himmler bewusst so angelegt wurde. Er hatte seinen umfangreichen persönlichen Stab und regierte hinein, wo er wollte.

In seinen Anfangsjahren als Parteifunktionär war Himmler zwar extrem pedantisch, aber schlecht organisiert. Er verpasste Termine, verschlampte Dokumente, musste ständig erinnert, oft ermahnt werden. Später hat er einen ganz spezifischen Führungsstil entwickelt.

Er kannte die Schwächen seiner Leute, "packte sie beim Schlafittchen". Er hat sie gelobt, bestraft, ihnen dann wieder verziehen. Er hat sie aufgebaut, sie heruntergedrückt. Vieles erinnert an den Erziehungsstil seines Vaters. Es gibt keine Trennung von Privatem und Dienstlichem. Deshalb wäre es ganz falsch, seinen Führungsstil mit dem innerhalb einer militärischen Organisation gleichzusetzen."(...)


die figur von himmler ist eine der unangenehmsten und abstossendsten innerhalb des regimes gewesen, und viele leute assoziieren ihn tatsächlich mit einer gut geölten und effizienten vernichtungsmaschinerie. teilweise ist dazu noch seine merkwürdige begeisterung magische und esoterische strömungen im bewusstsein, und damit hat sich´s dann bei vielen auch (wobei bereits der widerspruch der bilder zwischen effizientem bürokratischem technokrat und schwärmerischen germanenfetischist nicht wieter betrachtet wird).

bei longerich ist nun zunächst oben zu lesen, dass himmler offensichtlich eine gewisse kenntnis der damaligen dominanten persönlichkeitsstrukturen seiner umgebung zugesprochen werden muss, andererseits aber das bild des stumpfen bürokraten in uniform nicht zutreffend ist.

heinrich himmler mit sieben jahren (quelle: wikipedia)

(...)"Sie schreiben, dass Himmler seine persönlichen Lebenserfahrungen als Richtschnur seines Führungsstils genommen hätte. Was haben wir uns konkret darunter vorzustellen?

Nehmen Sie das Beispiel der Heiratsgenehmigungen für SS-Männer. Die Geschichte dieser Genehmigungsverfahren spiegelt auch Himmlers eigene Ehe und ihre Probleme wider. Als er schließlich begann, mit seiner Privatsekretärin eine Zweitehe zu führen, stellt er entsprechende Maximen für seine SS-Leute auf, ermunterte sie nachhaltig, Kinder außerhalb ihrer Ehen zu zeugen, was er selber auch tat.

Oder nehmen Sie seine oft skurrilen Strafmaßnahmen. Zum Beispiel arbeitete Himmler einen zweiseitigen Plan aus, wonach SS-Chargen, die sich nicht um die Verpflegung ihrer Leute kümmerten, für vier Wochen in ein "Haus der schlechten Verpflegung" eingewiesen wurden. Er fügte sogar Rezepte bei. Dann hatte er die Idee, für Leute, die sich nicht um die Insektenplage kümmerten, ein "Fliegenzimmer" einzurichten.

All diese Erziehungsmaßnahmen weisen auf die Erziehung durch seinen Vater zurück, gegen den er übrigens niemals aufbegehrt hat."


spätestens bei diesen aussagen hat´s bei mir geklingelt, und der effekt dürfte sich ähnlich bei leserInnen von alice miller oder lloyd deMause ähnlich einstellen - die "persönlichen lebenserfahrungen" gerade der kindheit als "richtschnur" des eigenen führungsstils bzw. handelns zu nehmen, ist nach meinem verständnis nicht anderes als eine etwas entschärfte umschreibung des psychophysischen funktionsgesetzes von der re-inszenierung eigener traumatisch-biographischer erfahrungen, die umso destruktiver ausfallen, desto mehr die traumatische matrix des eigenen handelns selbst nicht erkannt ist - abgespaltene neuronale netzwerke mit "eingefrorenen" erinnerungen liegen unverarbeitet in der person und können durch geringste trigger, die irgendetwas mit der ursprünglichen situation zu tun haben, aktiviert werden und "übernehmen" dann die aktuellen handlungsmotivationen. so grob skizziert lässt sich der prozeß der traumainduzierten dissoziation umschreiben; bei menschen allerdings, die innerlich in einem bestimmten sinne vernichtet und deshalb auch nicht mehr lebendig in einem gesunden gleichgewicht sind, übernimmt die traumatische matrix das gesamte (rest-)leben - solche leute sind zwar funktionsfähig im sinne des bloßen (biologischen) überlebens, benötigen aber dafür etwas, was sich als eine art inneres stützkorsett beschreiben ließe - die (auswechselbare) orientierung an beliebigen bruchstücken gesellschaftlich verbreiteter ideologien, vorurteilen und kollektiven halluzinationen, die nur eine bedingung erfüllen müssen: nämlich dass sich mit ihnen bzw. durch sie persönliche macht erlangen lässt, die bei derart beschädigten menschen regelmässig dazu dient, die eigenen traumainduizierten erfahrungskomplexe der ohnmacht, scham, angst und wut zu kompensieren in der form, dass das vorhandene terroristische erzeugte bild der eigenen "guten eltern" erhalten werden kann durch die re-inszenierung und das ausagieren der als unerträglich empfundenen und wie sprengstoff wirkenden abgespaltenen erfahrungen.

das dabei sowohl direkt als auch indirekt immer die ganz persönlich erlebten terroristischen angriffe zwanghaft wiederaufgeführt werden, nur diesesmal mit teils vertauschten rollen und anderem personal - das herausgearbeitet zu haben, ist eben u.a. das verdienst der oben genannten autorInnen. und mit einiger wahrscheinlichkeit lässt sich daraus schließen, dass himmler sowohl mit er erwähnten streichung von nahrungsmitteln als auch mit dem arrest in einem zimmer voller fliegen ureigene erfahrungen in klassischer form re-inszeniert hat. zumindest verkürzte essensrationen waren auf jeden fall ein damals noch verbreitetes angriffsmittel gegen das wohlergehen von kindern, während das "fliegenzimmer" eher auf die sadistische phantasie einzelner verweist. himmler wusste jedenfalls von beidem etwas (und wenn´s auch nur durch die miterlebten erfahrungen anderer kinder entstanden sein mag).

und das alles lässt sich inzwischen ganz gut verifizieren für postnatale traumata. ob das in dieser form aber auch für pränatale gilt? gerade bei jemandem wie himmler stellt sich diese frage:

Sie haben zur Persönlichkeit Himmlers Diskussionsrunden mit Psychotherapeuten und Psychoanalytikern durchgeführt. Was waren die Ergebnisse dieser nicht gerade alltäglichen Forschungsmethode?

Historiker machen ständig Anleihen bei anderen Disziplinen, denken Sie etwa an das Verfassungsrecht oder die Volkswirtschaft. Ich wollte in diesem Falle natürlich keine Ferndiagnose, sondern Aufklärung über die Persönlichkeit, soweit das Material sie hergab. Wir machten je eine Runde mit Familienanalytikern in Hamburg und eine in Köln mit Therapeuten, die normalerweise unter anderem Naziopfer mit psychischen Spätfolgen therapieren. Die Hamburger Analytiker legten den Befund Bindungsschwäche nahe, in der Kölner Runde war von Affekt- und Emotionsvermeidung als Strategie Himmlers die Rede. Mir waren es Hinweise, die ich dann, als ich mich in die betreffende Literatur vertiefte, bestätigt fand."(...)


das nenne ich mal erfreuliche gelebte wissenschaftliche interdisziplinität - eine art der forschung, die gerade bei historikern immer noch sehr wenig verbreitet ist. aber lassen sich die genannten befunde nicht auch anders interpretieren?

bindungsschwäche = beziehungsunfähigkeit
affekt- und emotionsvermeidung = grundsätzlicher defekt an affekt- und gefühlswahrnehmung bzw. den psychophysischen grundlagen dieser wahrnehmungsfähigkeit

das wären dann interpretationen, die über die klassischen psychotraumatologischen implikationen hinausweisen würden, und zwar in jene richtung von exterm destruktiven störungen, die hier im blog unter soziopathie bzw- als-ob-persönlichkeiten diskutiertweren und die nach heutigem stand eher dem pränatalen spektrum zugerechnet werden müssen. und auch weitere hinweise aus der forschungsarbeit von longerich liefern indizien in diese richtung:

(...)"Vor allem nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs nimmt die Drohung vor der "asiatischen Barbarei", vor den Horden aus dem Osten, einen immer größeren Raum in Himmlers Denken ein. Wie vereinbart sich dieser "Antiasiatismus" mit dem nazistischen Judenhass?

Der weltanschauliche Gehalt von Texten Himmlers entzieht sich einer anspruchsvollen Exegese. Seine Ideologie ist eher robust zu nennen. Seine Äußerungen sind oft situationsgebunden, haben eine taktische Funktion. Himmlers Grundmodell lautet: Die guten, germanischen kämpfen gegen die bösen, asiatischen Kräfte. Himmler entscheidet jeweils, wer wo steht. Die Juden sind natürlich asiatisch/vorderasiatisch. Aber auch Jesus Christus ist Vorderasiat, und damit gerät das gesamte Christentum in Verdacht. Aber als es an der Ostfront nicht mehr so gut lief, dachte Himmler sich - und sagte es auch vor SS-Führern: Vielleicht sind Lenin und Stalin im Grunde ja Germanen, Nachkömmlinge von übrig gebliebenen germanischen Splittern im asiatischen Erbbrei. Sie sehen: Der Germanenbegriff ist bei Himmler sehr auslegungsfähig.

Wie kommt es, dass Himmler nicht in Händel mit dem Chefideologen der Partei, Alfred Rosenberg, geriet?

Rosenberg hat sich mit seinem "Mythos des 20. Jahrhunderts" in schriftlicher Form festgelegt, ein Werk übrigens, mit dem Himmler sich nie gründlich auseinandergesetzt hat. Selbst Hitler hat ja bekannt, es nie gelesen zu haben. Himmler kam es vielmehr darauf an, durch Rituale, heilige Orte, durch einen streng überwachten Verhaltenskodex etwa Ideologie zu praktizieren.(...)

Himmler kann Niederlagen gegenüber Rivalen erstaunlich gut wegstecken. Nicht aufgeben, weiter an sich arbeiten, also das Resultat väterlicher Erziehungsarbeit.(...)

Mit der Zeit entwickelt er, der sich in der NSDAP zunächst reichlich tollpatschig verhielt, zudem ein beachtlich politisches Geschick, wusste, wie man verhandelt, wie und mit welchen Mitteln man Leute überredet. Nach außen gelang es ihm, die SS wie einen Block erscheinen zu lassen. Nach innen wirkte er stark integrierend, verhinderte, dass ihm irgendeine Entwicklung aus dem Ruder lief.

Also doch mehr als der bloße Vollstrecker?

Zunächst sind wir versucht, bei Himmler an die gängigen Klischees zu denken - der Bürokrat, der Hühnerzüchter, der lächerlich wirkende Schwächling, der wild gewordene deutsche Oberlehrertyp. Was dabei vor allem unterschätzt wird, war seine Fähigkeit, die gesamten repressiven Organisationen, über die er gebot, auf die sich verändernde Lage und auf die jeweils neuen Aufgaben einzurichten.

Mag sein, dass ihn Intellektuelle wie Best dabei unterstützten. Aber diese Fähigkeit, jeweils angepasste Organsationsmodelle zu entwerfen, innerhalb deren die einzelnen Funktionen aufeinander abgestimmt waren - das war seine Stärke. Dabei beachtete er stets den politischen Zusammenhang, entwickelte politische Stichworte und Parolen gemäß den jeweiligen Erfordernissen."


longerich entwickelt das bild eines krassen oppurtunisten, und das ist ein begriff, dessen eigentliche und mögliche bedeutung ich schon im beitrag zu den
als-ob-persönlichkeiten versucht hatte zu definieren: es ist keine "falschheit" im authentischen sinne gemeint, sondern die strategien und taktiken einer sich ständig im objektivistischen (überlebens-)modus befindlichen person beim versuch, macht und kontrolle zu behalten. und bei diesem vorhaben gibt es keine authentischen überzeugen, sondern nur das psychophysische diktat einer grundsätzlich gestörten inneren struktur, die deshalb qualitativ ganz anders organisiert ist bzw. sein muss.

auf den punkt bringt das longerich in dieser aussage:

"Natürlich stimmt es, dass er seinen privaten Spinnereien nachhing, aber er war umsichtig genug, das, was vielleicht der Führung nicht genehm war, aus seiner Arbeit in der Öffentlichkeit herauszuhalten. Mit einem Wort: Er war in erster Linie Politiker, er strebte nach Macht und achtete darauf, dass seine Ideologie und sein Machtverlangen nicht in Widerspruch gerieten."(...)

*also, ein antisozialer auf jeden fall - aber einer mit einer authentischen, traumatisch verzerrten und beschädigten biographie? oder doch einer mit grundsätzlich simulativer und deshalb soziopathischer "qualität"? die beantwortung dieser fragen ist beileibe kein rein intellektuelles spielchen, sondern impliziert grundsätzlich verschiedene handlungsgebote im umgang mit destruktiven menschen dieses kalibers. ich vermute übrigens, dass auch soziopathen dem gesetz der re-inszenierung unterworfen sind - aber mit anderen ausdrucksformen und einem anderen funktionsprinzip dahinter.

Donnerstag, 6. November 2008

assoziation: obama? sieben spontane anmerkungen [update]

1. don´t believe the hype - und das beste fazit, welches mir bisher unter die augen gekommen ist, hat heute die taz in ihrer "verboten"-kolumne auf seite 1:

"Guten Tag, meine Damen und Herren!

verboten war zu müde, um in der US-Wahlnacht noch das Ergebnis abzuwarten. Als verboten am Mittwochmorgen dann aber die Vorhänge zu einer neuen Welt beiseiteschob, da bot sich ein bezauberndes Bild: Die Sonne strahlte, die Luft duftete nach Rosenöl, wildfremde Menschen lagen sich lachend in den Armen, die Bullen halfen den Pennern über die Straße, Roland Koch war endgültig weg vom Fenster, Kampfhunde leckten schwanzwedelnd Kleinkindern die Gesichter ab, die Dealer verteilten Gratis-Joints, das Ozonloch hatte sich geschlossen, Busfahrer warteten lächelnd auf ihre Fahrgäste, alle Stinke-Autos hatten sich über Nacht in Öko-Kühlschränke verwandelt, die Bäume trieben frische Knospen aus.

Dann klingelte der Wecker."


2. auch nicht verkehrt ist es, sich immer wieder über den grundsätzlichen charakter der
simulation namens wahlen klar zu werden:

"Das `Sakrament´ der Mehrheitswahl ist Teil des demokratischen Mythos. Alle paar Jahre `pilgern´ die Wähler zur Wahlurne und wählen sich mit Stimmenmehrheit eine politische Führung. Der geheime Wahlvorgang ist das heiligste Ritual der Demokraten. Anarchisten waren schon immer der Ansicht, daß dies kein echtes Anzeichen für Freiheit ist. Die Wahl von Regierenden durch Stimmenmehrheit ist eher (...) ein Trick, durch den der einzelne Wähler glauben gemacht wird, er hätte die Situation unter Kontrolle. Tatsächlich kann sich der Wähler jedoch nur für die Kandidaten einer vorher schon selektierten Gruppe entscheiden, und es gibt niemals eine Wahl zwischen Vertretern wirklich gegensätzlicher Ideologien. Der Unterschied zwischen den großen Parteien, die eine Chance haben, Wahlsieger zu werden, ist in einem westlichen Land nicht größer als der Unterschied zwischen den rivalisierenden Fraktionen innerhalb der kommunistischen Partei der Sowjetunion oder der Volksrepublik China. Niemand kann ernsthaft behaupten, daß irgendein ideologisch-philosophischer oder anderer dauerhaft traditioneller Unterschied beispielsweise zwischen den großen Parteien in den Vereinigten Staaten oder in Kanada besteht. Außerdem sollten sich die Wähler daran erinnern, daß sie Personen wählen, die für sie eine Aufgabe übernehmen sollen, daß es aber keine Garantie dafür gibt, daß diese Delegierten ihr Anliegen auch tatsächlich vertreten. Die Aufgabe der Gewählten besteht vor allem darin, Gehorsam mit Gewalt zu erzwingen. Repräsentanten in öffentliche Ämter wählen zu können heißt, eine begrenzte Wahlmöglichkeit darüber zu haben, wer uns unterdrückt.(...)

Wir bekommen oft zu hören: Wenn du nicht wählst, hast du auch kein Recht, dich zu beschweren. Ein solches Argument geht von der falschen Annahme aus, daß eine Wahl wirkliche Alternativen bietet. Und es unterstellt diesem Vorgang fälschlicherweise auch eine Rechtmäßigkeit, die ihm nicht zukommt: ein Mensch wird aufgefordert, Autorität an eine willkürlich ausgewählte kleine Gruppe abzutreten, d.h. er wird aufgefordert, sich seine eigenen Aufseher zu wählen."

(harold barclay, "völker ohne regierung. eine anthropologie der anarchie". edition schwarze kirschen, libertad verlag, berlin 1985, s. 243 - 245; isbn 3-922226-10-8)


3. die realität, mit der sich obama in seiner position konfrontiert sieht, ist eine desaströse in der weise, dass sich in ihr erstens ein selten gesehener klassenkampf von oben bspw. in gestalt der finanz- und weltwirtschaftskrise manifestiert; zweitens die spezifischen us-probleme eigentlich nur eine art konkursverwaltung - und zwar zu lasten der breiten masse - zulassen, und drittens der spagat zwischen den erwartungen der diversen ethnischen communities, dem big business und den immer noch mächtigen verschiedenen fundamentalistischen religiösen strömungen einer ist, der früher oder später nur misslingen kann. gewählt wurde er meiner meinung nach übrigens genau deswegen, weil er bisher sehr gut damit ausgekommen ist, eine strategie der eigenen person als projektionsfläche zu fahren, in der seitens der verschiedenen fraktionen der us-gesellschaft von genügend menschen ihre eigenen wünsche wiedergespiegelt wurden - aus der perspektive ist die eigenartige inhaltliche schwammigkeit bis zur wahl sehr sinnvoll gewesen, die aber mit der ersten tatsächlichen entscheidung im amt zwangsweise aufgehoben sein wird. dazu kam noch die steilvorlage durch den abgehenden george w. bush, der einen so großen haufen ver- und überdruß erzeugte, das obama diesen treibstoff gar nicht nicht für sich nutzen konnte.

4. die versöhnende attitüde, die bei obama meist lobend konstatiert wird, berücksichtigt nicht die tiefen sozialen spaltungen und auch vielfältigen traumatisch induzierten hasspotenziale, die sich durch die innere struktur des us-systems nicht nur dort, sondern auch weltweit ständig neu bilden. will sagen: jemand, der wirklich etwas qualitativ verändern will, muss neben vielen anderen eigenschaften auch zumindest phasenweise deutlich parteiisch sein auf der seite all derjenigen, deren existenz durch die antisoziale dynamik der herrschenden strukturen tief bedroht ist. das heisst aber auch, dass zwangsläufig gegen mächtige instanzen in front gegangen werden muss - und die innere selektion der herrschenden institutionen sortiert früh genug alle aus, die tatsächlich derartiges im sinn haben mögen.

5. ich sehe allerdings tatsächlich zwei reale und eventuell weitreichende effekte dieser wahl, und die beziehen sich konkret auf die usa: die schwarze mittelklasse hat es in gestalt von obama geschafft, dem strukturell verlogenen "american dream" neues leben einzuhauchen und das gerade in einer ordentlichen krisenphase des kapitalismus, zu dessen mythen das märchen des aufstiegs vom tellerwäscher zum millionär untrennbar gehört, welches gerade in den usa für viele sichtbar de-konstruiert wurde bzw. wird. die delegierung der eigenen potenziellen macht an obama blockiert zu diesem zeitpunkt nötige radikalisierungsprozesse und verschafft speziell den us-amerikanischen "eliten" eine atempause.

6. der zweite effekt ist dann ein - möglicherweise notwendiger - formaler: nämlich die wirkung auf die immer noch auch entlang rassistischer kriterien gespaltene us-gesellschaft. hier liegt vielleicht der einzige positive aspekt der wahl, auch wenn diese wirkung hauptsächlich symbolisch ist. aber selbst das wird ausreichen, um die reaktion - und zwar weltweit - zu produzieren, die ein
user bei heise drastisch so ausmalte:

"Meine Meinung: Ob Obama oder McCain, der Unterschied wird nicht so gewaltig sein. Was ich aber an der Wahl von Obama gut finde: Die
ganzen Rassistenschweine, White Power, KuKluxClan etc., für die ist es der Albtraum schlechthin, ein Schwarzer im weißen Haus. Fast so schlimm, als wenn ihre Tochter einen Schwarzen geheiratet hätte. Die werden vor Wut schäumen, der Sabber wird ihnen aus den Mundwinkeln laufen."(...)


und möglicherweise werden in diesen fraktionen bereits die knarren geputzt - es dürfte kaum jemals zuvor so leicht gewesen sein wie in der kommenden zeit, mittels eines einzigen mordes eine bürgerkriegsartige situation in den usa zu provozieren.

andererseits wird das beispiel obama vielleicht in der schwarzen community, aber nicht nur dort, bei vielen menschen einen schub an selbstbewußtsein bringen, der sich an ganz unerwarteten stellen bahn verschaffen könnte und eine art modernisierungsschub der us-gesellschaft in gang bringt. interessant wird jedenfalls sein zu sehen, wie sich obama zu den überproportional hohen raten schwarzer gefangener in den us-knästen verhält; ebenso wie seine postionierung gegenüber der trostlosen entwicklung in den afro-amerikanischen ghettos der us-städte ausfallen wird. sich darauf zu verlassen, dass er als ehemaliger sozialarbeiter in chicago mögliches entsprechendes bewusstsein in handlungen umsetzen will - ob er´s denn könnte, ist eine andere frage - , oder sich tatsächlich primär seiner biographischen prägung in einer nach formaler gleichstellung strebenden schwarzen mittelklasse verhalten wird, und die verelendete schwarze unterklasse als nicht relevant betrachtet, ist zu diesem zeitpunkt nocht nicht abschließend zu beantworten.

7. für den immer pop-artigeren charakter der westlichen demokratiesimulationen bringt er allerdings tatsächlich eine wertvolle persönliche eigenschaft mit, die erstens in so einer form bei einem politiker noch nicht gesehen worden ist, und zweitens in der deutschen sprache nicht zufällig keine adäquate entsprechung besitzt:
groove.

was sich in diesem wort ausdrückt, ist schwer zu beschreiben - darum jetzt ein hörbeispiel eines weiteren heroen der schon erwähnten schwarzen mittelklasse, nämlich von marvin gaye:



die eingeblendeten filmschnipsel machen meiner meinung nach auch einiges über das milieu deutlich, in dem obama gearbeitet hat und von dem er geprägt sein dürfte - die schwarzen viertel von chicago, hier einblicke in das leben anfang der 1970er jahre, mit nicht zufälliger betonung auf gottvertrauen und religiösität. was aber nichts daran schmälert, dass marvin gaye ein ganz großer der black music gewesen ist, um keine mißverständnisse aufkommen zu lassen.

jedenfalls dürfte obamas groove eine wesentliche rolle auch für all die jungwählerInnen gespielt haben, die ihn mit ins weiße haus gehoben haben - aber groove ist andererseits auch etwas sehr fragiles und situationsbedingtes, nicht ständig zu haltendes. und das wird wichtig für zukünftige ent-täuschungen werden.

*

edit am 07.11.: wie auch immer man zur künftigen politik obamas steht - und meine skepsis wird beim anblick seiner bisher durchgesickerten personellen auswahl für die neue regierung keineswegs geringer -, die wahnhaften absonderungen rassistischer art hinsichtlich obama sind ohne wenn und aber als das zu begreifen, was sie sind: keinerlei art von kritik, sondern zeugnisse gestörter persönlichkeiten - ob es sich nun um einen
quasi-mafiosio handelt...

(...)"Sagt Silvio Berlusconi zu Dmitri Medwedjew: "Barack Obama ist schön, jung und braun gebrannt" und hat deswegen "alles, um sich mit dir zu verstehen". Was wie ein recht rassistischer Witz klingt, war genau das: ein recht rassistischer Witz, gerissen vom italienischen Ministerpräsidenten beim Besuch in Moskau. Als älterer und erfahrener Politiker würde Berlusconi den jungen und unerfahrenen Neger gern beraten. Seine Anspielung auf die Hautfarbe, ergänzte er, sei "eine absolute Nettigkeit, ein großes Kompliment".

Wer solche Scherze nicht ganz so angebracht fand, beispielsweise die Opposition zu Hause in Rom, den beschied der mehrfach geliftete Medien-Multimillionär: "Wenn die Idioten sich zu Wort melden, dann sind wir verloren. Gott möge uns vor ihnen behüten. Wie kann man ein großes Kompliment so negativ auslegen?", überlieferte der Corriere della Sera - und fügte hinzu: "Wer sich das Zeugnis einer dummen Sau abholen will, für den ist jede Gelegenheit recht. Ich habe es satt, und ich sage, was ich will."


...,der sich derart (nicht das erste mal) um kopf und kragen redet und nebenbei mit seinen worten auch noch einen ordentlichen größenwahn erkennen lässt; oder um einen
abgehalferten journalisten in österreich...

(...)"Aber trotzdem, das weiße Amerika, vielleicht ist das ein Rückzug. Vielleicht erleben wir jetzt einen Umbruch. Die alte Gesellschaftsordnung hat basiert auf weiße Gesellschaft mit Sklaven, also Leute hereinholen, wenn sie es haben wollen, auch aus Europa bis hin zur jüdischen Emigration im 2. Weltkrieg. Jetzt sind die Amerikaner vielleicht sich selbst überlassen. Ich möchte mich nicht von einem Schwarzen in der westlichen Welt dirigieren lassen. Wenn sie sagen, des ist eine rassistische Bemerkung: richtig, ist gar keine Frage."(...)

...der derlei zeug in der sendung eines öffentlich-rechtlichen senders ablassen darf, dessen institutionelle nicht-reaktion das ganze erste so richtig widerlich werden lässt (andererseits sind solche seiten österreichs auch wieder kein wunder); oder auch beliebige leute wie jener
zeit-leser, der mittels esoterisch verbrämter le(e)hre seine offensichtlichen minderwertigkeitskomplexe damit kompensiert, dass er obama quasi eingemeinden möchte:

"In meinem Buch "Neue Seelenlehre - Sinn des Lebens" habe ich dargestellt, wie Seelenwanderung funktioniert. Obama hat die Seele eines "weißen" Europäers, er stammt aus der Familie seiner "weißen" Mutter, ist also mit seiner Mutter seelisch verwandt."(...)

- es bereitet einfach innere qualen, derartige zurschaustellungen und selbstentblößungen entsetzlicher dummheit und wirrnis, ja eines desolaten inneren zustands wahrnehmen zu müssen. aber vielleicht ist es auch ganz gut, wenn obama jetzt wie wie ein katalysator wirkt, der die ganzen hassenden ressentiments des "weißen" westens ans licht bringt - schöngeredet wurde auch in dieser hinsicht viel zu lange.

und beim stichwort hass auch noch ein nachtrag zu den gestern bereits erwähnten
us-rassisten:

(...)"Rund 30.000 Menschen werden in einem Jahr erschossen, in 232 Jahren vier Präsidenten. Einrichtungen, die Anhänger extremistischer Gruppen beobachten, sehen in ihnen eine zunehmende Bedrohung für den künftigen Präsidenten. Allerdings sprechen sie eher von einer Gefahr durch Einzeltäter. Die Dialektik der rechtsextremen Gruppierungen hält sich da nicht zurück: "Freunde, Nachbarn, Brüder und alle Weißen, die Schlacht hat gerade begonnen", schreibt ein Nutzer des Portals stormfront.org, eines Treffpunkts vor allem für US-amerikanische Rassisten. Und Thomas Robb, Direktor der extremistischen "Knights", sprach in der Erwartung eines Sieges Obamas von einem "Krieg zwischen unseren und den anderen Menschen".(...)

bei solchen leuten wäre ich für strikte soziale isolation.

Freitag, 31. Oktober 2008

basis: wie das system auf einem soziopathischen menschenbild beruht (2)

(zum ersten teil)

*

der eine oder die andere mag sich ja über die thesen am ende des ersten teils gewundert haben, darum dazu ebenso noch ein nachtrag wie auch zu einer frage, die mich außerhalb des blogs zum text erreicht hat.

"privateigentum" ist eine halluzination, die sich nur mittels gewalt materialisieren lässt.

was angemerkt werden sollte: es handelt sich dabei um eine kollektive halluzination, die strukturell meiner meinung nach ähnlich funktioniert wie die beiden anderen großen virtuellen gebilde. die bis heute in der westlichen welt eine systemtragende rolle spielen. gemeint ist "gott" (als synonym für die hier verbreiteten monotheistischen religionen), und zum anderen die "nation". eine ausführlichere diskussion bezgl. der halluzinatorischen aspekte der letzteren ist
hier nachzulesen; ebenfalls sind in den arbeiten von klaus theweleit ein paar aufschlußreiche hinweise verstreut (wie zb. die anthropologische beobachtung, dass die mitglieder bestimmter stämme in tropischen regionen die verletzung ihrer (virtuellen) "territorialen" gebietsgrenzen umstandslos als verletzung ihrer realen körpergrenzen wahrnehmen und entsprechend reagieren. ich kann das gerade nicht weiter ausführen, ebensowenig wie eine genauere betrachtung der halluzination "gott". interessierte seien dazu bspw. auf die arbeiten von lloyd deMause verwiesen.

zum begriff der pathologischen ich-struktur kam dann eine frage, die sinngemäß die befürchtung enthielt, ob ich irgendwann einmal das "ich" generell pathologisieren würde.

generell auf absehbare zeit jedenfalls nicht ;-)

aber im ernst, die heute dominierenden ich-strukturen (nicht nur) in den westlichen gesellschaften haben sich aus meiner sicht in einem wechselseitigen prozeß von anpassung (nach innen) und beeinflussung (nach außen) mindestens zu einem großen teil per selektion entwickelt, und wenn dieser prozeß in einem strukturell destruktiven gesellschaftlichen umfeld stattfindet, dann ist die antwort auf die frage nicht schwer zu geben, wie diese ich-struktur(-en) dann aussehen werden. und für diese art der (anscheinend) stinknormalen, weil gewöhnten "ichs" bevorzuge ich schon das attribut pathologisch, weil ich sie als (zwangsläufiges) produkt pathologischer sozialstrukturen ansehe. andere historische epochen kannten auch zumindest teilweise ihre eigenen und qualitativ anderen ich-strukturen, womit noch nichts über die jeweils eigene pathologie derselben gesagt wäre.

und ja, zumindest fiktiv kann ich mir auch eine psychophysische menschliche struktur vorstellen, in der eine ich-struktur nach heutigem verständnis nur noch eine sehr begrenzte und nachrangige rolle spielen würde. aber das ist ein anderes thema.

*

weiter im freitagstext (den link dazu gibt´s im ersten teil):

(...)"Der Mensch ist für den Kapitalismus also wie geschaffen. All seine Bestrebungen sind "ökonomischer" Natur, wenn auch mit biologischem Endziel. So ließe sich letztlich alles, was der Mensch tut, irgendwie in die Sprache der Biologie oder der Wirtschaftswissenschaft übersetzen. Wie Menschen auch immer handeln: ob sie sich lieben, Gedichte schreiben oder ein Kind adoptieren; - immer verfolgen sie das Ziel einer eigensüchtigen Nutzensmaximierung. Eine Mutter "investiert" ihre Mutterliebe als "Anlagekapital" in einen Sohn, um dadurch eine "Dividende" in Form ihres Reproduktionserfolgs und vielleicht ihrer Altersversorgung einzufahren."(...)

ist es wirklich nötig zu erwähnen, dass die erste reaktion auf leute, die derartiges ernsthaft vertreten, nur darin bestehen kann, ihre wahrnehmungsfähigkeiten genau unter die lupe zu nehmen? denn da liegt die eigentliche quelle eines solchen menschenbildes, welches die in dieser reduzierten wahrnehmung befindlichen für bare münze nehmen müssen, weshalb auch eine argumentative wiederlegung faktisch unmöglich ist. denn hier geht es um eine art von wissen, die nur mit voll vorhandener subjektivität (incl. den entsprechenden wahrnehmungsfähigkeiten) als realität vorhanden sein kann. liebe ist - in der vollen subjektiven bedeutung - etwas zweckfreies, d.h. eben nicht objektivierbar. und genau diese zweckfreiheit ist etwas, für dessen wahrnehmung der objektivistische modus weder geeignet noch vorgesehen ist - er hat eine recht gut eingrenzbare sonderfunktion in der menschlichen struktur, ist dafür auch bestens ausgerüstet und hat deswegen den im ersten teil erwähnten werkzeugcharakter. aber in einer pathologisch bedingten monopolfunktion bezgl. der wahrnehmung eines menschen produziert er unabwendbar diverse arten von teils krass realitätswidrigen konstrukten und als-ob-zuständen, zu denen dann auch solche ansichten wie im obigen zitat zu rechnen sind - objektivistische logik. und da diese logik eben bis heute den wichtigsten baustein für die westlichen (natur-)wissenschaften darstellt, überrascht die bereitwillige unterstützung solcher konstrukte aus dieser ecke kein stück. die gleiche reduktion ist am werk. aber es gibt erfreulicherweise anzeichen, dass eben diese objektivistische logik sich selbst mittels ihrer eigenen, objektivistisch ermittelten ergebnisse zu widerlegen beginnt:

(...)"Neuerdings ist dieses Menschenbild jedoch ausgerechnet in die naturwissenschaftliche Kritik geraten. Alles schien so schön zusammenzupassen: die Evolutionsbiologie mit den Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften und diese wiederum mit den realen Anforderungen der neoliberal interpretierten Ökonomie. Neuere Erkenntnisse der Genetik und Neurobiologie weisen nun darauf hin, dass auch das Gegenteil der dort aufgestellten Behauptungen richtig sein könnte. Es handelt sich um die Rolle der so genannten "reward systems", der Motivations- oder Belohnungssysteme im menschlichen Gehirn.

Bei Menschen wie bei allen Säugetieren wird nämlich, wenn sie angenehme Erfahrungen machen, der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet, der ein Gefühl von Glück und Zufriedenheit erzeugt und den Organismus in einen Zustand von Konzentration und Handlungsbereitschaft versetzt."(...)


das sich hier durch die hintertür dann doch wieder per "belohnungssysteme" eine objektivistisch und ökonomisch verseuchte begrifflichkeit einschleicht, ist zwar ärgerlich, mag aber für den moment als symptom der vorhandenen wissenschaftlichen selbst- und fremdwahrnehmung stehenbleiben. eine tatsächlich subjektorientierte und -bezogene wissenschaft wird ihre eigenen begrifflichkeiten entwickeln, die inhaltlich meiner vermutung nach in vielen fällen sogar treffender sein wird.

"Wann aber erfolgt eine solche körpereigene Belohnung? Geschieht es, wenn wir im "struggle for life" unsere egoistischen Ziele gegen andere durchsetzen konnten?(...)

Das mag gelegentlich der Fall sein. Doch zu einer Aussage über die Natur des Menschen reicht es aufgrund dieser neueren Forschungsergebnisse nicht aus. Regelhaft und mit großer Sicherheit sind wir dagegen glücklich, wenn wir eine gute und befriedigende Beziehung zu anderen Menschen aufbauen konnten, wenn wir erfolgreich eine soziale Bindung eingegangen sind. Der Freiburger Mediziner und Genetiker Joachim Bauer sieht den Kern aller Motivation darauf gerichtet, "zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung und Zuneigung zu finden und zu geben. Wir sind - aus neurobiologischer Sicht - auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen."(...)


und mit dem letzten satz sollte man unsere straßen, häuser, schulen, unis, behörden u.a. vollplakatieren. ich finde es immer sehr bedauerlich, dass sich gerade die linke in all ihren variationen den in diesem satz komprimierten und geradezu revolutionären erkenntnissen der neuroforschung (und auch der genforschung, die erst kürzlich die interaktionen von genen mit den sozialen bedingungen entdeckt hat) bis heute komplett verweigert, obwohl sich darin nichts weniger als die tatsache ausdrückt, dass den herrschenden strukturen & ideologischen grundlagen des systems damit ihre bisherige wissenschaftliche bemäntelung entrissen wird. für marxisten bedeutet das zb., dass sich hier eine materiell-körperlich begründete und wissenschaftlich fundierte basis für einen freiheitlichen kommunismus entwickeln und begründen lässt. und für eher anarchistisch angehauchte (wie mich) wird damit das bisherige völlig pervertierte menschenbild hierarchischer gesellschaften vom kopf auf die füße gestellt, mit den gleichen optionen wie gerade geschrieben.

"Neben Dopamin und gewissen körpereigenen Opioiden ist dafür ein bedeutsamer "Wohlfühlbotenstoff" verantwortlich, das Oxytozin."(...)


mehr zum oxytocin auch
hier. es ist vor dem hintergrund der aktuellen forschung ebenfalls ganz beruhigend zu wissen, dass sich erste ansätze, solches wissen in irgendeiner form zur stabilisierung des kapitalismus einzusetzen, vorläufig zerschlagen haben:

(...)"Investoren mit einer Oxytocin-Zufuhr gaben ihren Partnern deutlich mehr Geld. Wie es scheint, steuert das Hormon, ob wir einem Menschen vertrauen oder nicht.

Die Eine-Million-Euro-Frage: Würde es nun die Wirtschaft ankurbeln, wenn alle Deutschen täglich Oxytocin schnüffelten? So weit wollen sich die Forscher noch nicht aus dem Fenster lehnen. »Wir wissen nicht mal, wie lange das Hormon wirkt. Ein paar Minuten? Eine halbe Stunde?«, bremst der Kalifornier Paul Zak. Unklar sei auch, wie stark das Hormon die Entscheidung des Gehirns beeinflusse. »Sprechen triftige Gründe dagegen, einem Menschen zu vertrauen, wird uns das Oxytocin jedenfalls kaum umstimmen«, vermutet Zak."(...)


was einem produkt wie
liquid trust hoffentlich auch weiterhin ein nischendasein bescheren wird.

weiter im artikel:

(...)"Damit geraten einige Grundannahmen des soziobiologischen und neoliberalen Menschenbildes ins Straucheln. "Definitiv falsch", so Bauer, sei die Annahme, dass Gene gegeneinander konkurrieren. Die bedeutende amerikanische Biologin Lynn Margulis ist der Meinung, Begriffe wie "Konkurrenz" und "Überlebenskampf" seien menschliche Konstruktionen, die aus dem Wirtschaftsleben von außen in die Biologie hineingetragen werden. Die Biologie kenne kein Erfolgsdenken wie es die Wirtschaft beherrscht. Und während die Soziobiologen den Altruismus als eine raffinierte Variante des Egoismus ansehen, behauptet dieser neuere Ansatz umgekehrt, der Egoismus sei, recht verstanden, eine Form des Altruismus, stehe jedenfalls nicht im Gegensatz dazu. Was zunächst egoistisch zu sein scheint, so auch Aggressivität, sei in der Regel darauf gerichtet, auf Umwegen zum eigentlichen Ziel unseres Strebens zu gelangen: die Ausschüttung der ersehnten Botenstoffe - eine Belohnung, die dann eintritt, wenn Beziehungen gelingen und Menschen kooperativ sind."(...)

ich teile die aussagen über den egoismus, wobei das wort inzwischen einen solch negativen klang hat, das ich eher "individualität" bevorzuge, in die ein gesunder egoismus eingebettet ist. davon zu trennen wäre deutlich der egozentrismus, den ich als bezeichnung besser für all das geeignet halte, was normalerweise unter egoismus an destruktivität gesammelt wird. ansonsten finde ich es erfreulich, dass auch der konstruktivistische charakter vieler ideologischer systemstützender aussagen offensichtlich zum thema wird.

*

und dem fazit des ganzen kann ich nur freudig zustimmen:

(...)"Von Hayeks Vorschlag, die Idee der sozialen Gerechtigkeit als Atavismus anzusehen, könnte unter Berücksichtigung der neueren biologischen Forschung sogar umgedreht werden: Sofern die "spontane Ordnung" einer neoliberal interpretierten Marktwirtschaft den Menschen Schwierigkeiten macht, liegt das nicht daran, dass die Menschen an überholten Vorstellungen festhalten. Umgekehrt ließe sich eine Wirtschaftsordnung als "atavistisch" deuten, die auf Prinzipien baut, die noch nie mit der menschlichen Natur harmonierten."(...)

yo!

*

ich habe mich jetzt kürzer gefasst, als ich ursprünglich vorhatte und kann mir vorstellen, dass es einigen leserInnen immer noch unklar sein wird, warum ich diese überschrift für die beiträge gewählt habe. betrachten Sie´s als eine art eigenständige einleitung für den text, an dem ich jetzt schon lange sitze - ein beitrag, der sich speziell mit dem wesen und der rolle der soziopathie in und für die heutige westliche gesellschaft befassen wird. spätestens dann wird die these der überschrift voll verständlich sein.

Donnerstag, 30. Oktober 2008

assoziation: 9,1%

"alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen"

wie zur bestätigung dieser treffenden weisheit tauchten gestern auszüge aus einem bericht auf, der eigentlich erst mitte nächsten monats - und vielleicht nicht ganz zufällig erst nach der us-präsidentenwahl - öffentlich gemacht werden sollte. worum es geht? der jahresbericht der "internationalen energieagentur" (IEA) steht an, und die iea hatte es gestern sehr eilig, kurz nach dem ersten durchsickern der wesentlichen aussagen eine stellungnahme herauszugeben, in der sinnngemäß etwa zu lesen ist, dass ja die zahlen noch vor dem offenen ausbruch der finanzkrise erhoben worden seien und der bericht bis zur offiziellen veröffentlichung darum nochmals "überarbeitet" werden würde. sei´s drum, der geist ist aus der flasche, und bringt etwas zum vorschein, was erstens wie eine bestätigung der von mir neulich zitierten prophezeiung eines jeremy rifkin wirkt, zweitens aber möglicherweise zum endgültigen
sargnagel der westlich-industriellen zivilisation in der art, wie wir sie (leider) kennen, werden wird:

(...)" Die Internationale Energieagentur (IEA) warnt in ihrem Jahresbericht, das Angebot an Öl könnte in den nächsten Jahren knapper werden als bislang gedacht. Derzeit gehe die Produktion auf den Ölfeldern stark zurück, es bestehe Gefahr, dass zu wenig investiert werde, um neue Vorkommen zu erschließen. (...)

Fallende Ölpreise verschärften das Problem, da sie Investitionen unattraktiver machten. Die IEA prognostiziert, dass die Nachfrage in China, Indien und anderen Entwicklungsländern bis 2030 jedes Jahr Investitionen von 360 Mrd. $ erfordern wird. Die Ölfelder der Welt, zum Beispiel in der Nordsee, in Russland oder in Alaska, schrumpfen schneller als bislang angenommen, heißt es in dem Bericht. Ohne Investitionen in die Erschließung neuer Ölquellen betrage der Rückgang 9,1 Prozent jährlich, mit Investitionen nur 6,4 Prozent. Der Rückgang werde aufgrund der nachlassenden Nachfrage vielleicht noch nicht in den nächsten Jahren spürbar werden, aber langfristig seien die Auswirkungen umso größer, wenn wie erwartet weniger investiert wird, sagen Branchenmanager."(...)


was auf den punkt gebracht nichts anderes bedeutet als:

das hochoffizielle eingeständnis der tatsache, dass wir
peak oil entweder schon erreicht haben oder gerade am peak angekommen sind.

lassen Sie sich dabei nicht von der focussierung auf "investitionen" in dem bericht täuschen: die können den fakt der erschöpfung der ressource nicht negieren, sondern die konsequenzen höchsten etwas hinauszögern, und werden dabei auch keinesfalls die ständige verteuerung des immer schwieriger zu fördernden öls aufhalten, ganz im gegenteil. das entscheidende ist in diesen sätzen enthalten:

"Die Ölfelder der Welt, zum Beispiel in der Nordsee, in Russland oder in Alaska, schrumpfen schneller als bislang angenommen, heißt es in dem Bericht. Ohne Investitionen in die Erschließung neuer Ölquellen betrage der Rückgang 9,1 Prozent jährlich, mit Investitionen nur 6,4 Prozent."

ich hatte ja in meinen bisherigen beiträgen zu peak oil immer wieder versucht deutlich zu machen, dass damit noch nicht die totale erschöpfung aller ölvorräte gemeint ist, sondern das allmähliche abflachen der förderung einhergehend mit immer höheren preisen. peak oil, das ende des billigen erdöls.

die zahlen des rückgangs aus dem iea-bericht übertreffen nun selbst die schlimmsten erwartungen derjenigen, die hinsichtlich peak oil eh schon
schwarzgesehen haben. und sie machen gleichfalls nachdrücklich deutlich, dass der aktuell fallende ölpreis tatsächlich nur ein indiz für die beginnende weltwirtschaftskrise darstellt, aber keinesfalls eine grundsätzliche veränderung der situation hinsichtlich des peaks bedeutet.

*

es wird mir ja selbst schon unangenehm, wieder als kassandra auftreten zu müssen - aber wie es aussieht, lässt die realität
keine wahl :

(...)aber zum thema: in späteren historischen rückblicken könnten die derzeitigen tage des mai 2008 vielleicht als wendepunkt erscheinen, an dem zum ersten mal für größere teile der bevölkerungen der westlichen gesellschaften das wetterleuchten am horizont sichtbar geworden ist, welches den finalen akt ihrer - bzw. unserer - bisherigen "lebens"weise ankündigt. aus der perspektive dieses blogs sind nun (...) fragen in der richtung interessant, was eigentlich passiert, wenn die konsequenzen von peak oil auf eine gesellschaft treffen, die erstens in ihren strukturen weitverbreitete psychophysische zustände ihrer mitglieder abbildet, und von der zweitens viele dieser strukturen und zustände mit einiger plausibilität als pathologisch auch in einem klinischen sinn betrachtet werden müssen. wie werden menschen reagieren, die aufgrund ihrer pathologien bspw. den eigenen konsum - oder auch maß- und wahllosen verbrauch von dingen - zum lebenssinn erhoben haben? was werden diejenigen tun, denen bspw. autos als eine art krücke für das beschädigte ego dienen? wie werden alle jene reagieren, die ein problem mit eigenen und fremden grenzen haben, wenn ihnen durch die endlichkeit einer ressource deutlich und unabwendbar eine existenzielle grenze aufgezeigt wird? nicht umsonst wird der umgang besonders mit erdöl auch als suchtartig begriffen, und nicht umsonst häufen sich gerade in vielen öffentlichen stellungnahmen zu peak oil die metaphern aus der drogentherapie .

und ganz zentral: wie kann eine situation, die eigentlich eine solidarische und kollektive zusammenarbeit in breitestem rahmen verlangt, bewältigt werden, wenn eine mehr oder weniger große zahl von menschen in gesellschaften wie dieser aufgrund vielfältigster (post-)traumatischer und maligner antisozialer einflüsse nicht (mehr) über die psychophysischen voraussetzungen verfügt, um solidarität und kollektivität in einer gesunden form leben zu können?(...)


wie Sie sehen, stellen sich genau die gleichen fragen, die ich die letzten tage auch schon hinsichtlich der globalen wirtschaftskrise formuliert habe - aber nachdem ich heute morgen die einleitenden informationen gelesen hatte, kam mir der gedanke, dass wir jetzt aufgrund der schlichten und kaum mehr zu begreifenden überkomplexität der sich beeinflussenden und eskalierenden krisen auch einfach einen zusammenbruch durch überforderung einbeziehen müssen. anders: das gestern in den letzten krisennews entwickelte bild vom auf den abgrund zurasenden bus wurde verdrängt durch das bild einer fieberhaft herumhuschenden ratte in einer lebendfalle ohne ausweg, die irgendwann letztlich erschöpfungsbedingt aufgibt und umfällt.

*

und vor dem hintergrund erhalten aktuelle schlagzeilen wie
Autobauer können auf Milliardenhilfe hoffen einen fast schon tragikomischen beigeschmack (im verlinkten beitrag ganz unten ist übrigens auch zu lesen, dass die autoindustrie die gunst der stunde nutzen will, um klimaschützende maßnahmen zu kippen - das ist aus deren sicht zwar verständlich, passt aber bestens zum bild der ratte.)

die hektischen aktivitäten der politriege machen jedenfalls für mich deutlich, dass von irgendwelchen globalen planungen (im sinne von verschwörungstheoretischen ansätzen einer "geplanten" (finanz-)krise) keine rede sein kann - selbst wenn sich irgendwelche elitären gruppen diesbezgl. verschworen hätten, so werden sie doch unabwendbar die kontrolle verlieren, da die prozesse, die jetzt laufen bzw. beginnen, viel zu überdimensioniert sind. es geht zusehends mehr nur noch um das aufschieben des zerfalls, um des eigenen machterhalts willens. die leute halbwegs (per lohnarbeit) von den straßen zu halten, das system des sedierenden konsums halbwegs aufrechtzuerhalten - das dürften mehr und mehr die alleinigen ziele der politischen "eliten" werden, um zumindest den eigenen arsch bis zu irgendwelchen wahlen zu retten und ins trockene zu hieven. zum schluß wird denen aus ihrer sicht nur noch die nackte gewalt anscheinend helfen. und genau diese systemimmanente wahrnehmungsreduktion ("kurzsichtigkeit") zusammen mit einflüssen wie der ebenfalls immanenten korruption und dem obligatorischen lobbyismus kann uns am ende allen das genick brechen.

ich weiß, dass personalisierte vergleiche wie der folgende als irgendwie unschicklich gelten, aber trotzdem: mich erinnert das verhalten der "eliten" immer mehr an eine soziopathische person, die es über lange zeit geschafft hat, mittels diversen als-ob-konstrukten, illusionen und erzeugen von virtuellen welten mehr oder weniger ihre gesamte umwelt zu manipulieren, zu kontrollieren und in die irre zu führen. und der jetzt aber aufgrund der unvermeidlichen grundlegenden wahrnehmungsdefekte und -einbußen die restlichen fragmentierenden bezüge zur realität flöten gehen und deren (fiktiv) grenzenloser und prassender lebensstil an die real vorhandenen grenzen aller art stößt, bei parallel zunehmender unfähigkeit, selbst objektivistisch ermittelte grenzen als solche zu erkennen. zwangsläufig beginnen die ganzen schönen konstrukte und virtuellen realitäten mehr und mehr zu kollabieren bei gleichzeitigem wilden bemühen, mittels mehr materiellem aufwand eben diese zusammenbrechenden pseudorealitäten noch irgendwie aufrechtzuerhalten.

das kann natürlich unmöglich funktionieren, wird aber zu einem in die länge gezogenen niedergang mit phasen schmerzhaftester agonie führen.

und das ist am heutigen morgen das szenario, welches ich am meisten fürchte. ich halte es (noch) nicht für unabwendbar, denke aber, dass es diesbezgl. eine art zeitfenster gibt, welches mit zunehmendem fortgang der aktuellen entwicklungen immer kleiner werden wird.

*

nachtrag: auch
wirtschaftsquerschuss hat das thema aufgegriffen.

Mittwoch, 29. Oktober 2008

notiz: krisennews und -gedanken (5)

schwer tue ich mich heute damit, den neuesten teil meiner keinesfalls eingeplanten reihe zu schreiben - je mehr ich mich mit den aktuellen ereignissen befasse, desto mehr steigt tag für tag meine fassungslosigkeit. es ist so, wie in einem vollbesetzten bus zu sitzen, dessen fahrer - halluzinierend im delirium vor sich hin brabbelnd ("es iiiissst alllles in ooordnung", so schallt´s von zeit zu zeit aus dem bordlautsprecher) - mit vollgas kurs auf einen abgrund genommen hat. und sich die meisten passagiere strikt weigern, auch nur einen hauch der realen situation wahrzunehmen und stattdessen ihre galgenfrist wahlweise damit verbringen, angeregt über ihre neuen klamotten, den jüngsten vip-skandal oder das wetter zu plaudern. andere liegen tief schlafend mit kopfhörern in ihren sesseln, während der große rest gebannt auf das bord-tv starrt, auf dem die daily-soap gerade einem neuerlichen höhepunkt entgegenstrebt. das bedenkliche schlingern des fahrzeugs durchaus ignorierend, stopfen sie sich dabei mit cola und chips voll.

"ich raff es nicht. sind die alle unter hypnose...?" stellte gestern ein user bei telepolis hinsichtlich der bisher fehlenden massenreaktionen bezgl. der krise eine frage, auf die ich am ende des beitrags noch einmal zurückkommen werde.

*

zunächst aber eine reihe von links, bei denen ich trotz ihrer durchweg unerfreulichen bis bedrohlichen inhalte zu intensiver lektüre rate.

der im letzten teil erwähnte "baltic dry index" bezieht sich nicht auf fertigprodukte und containertransporte, sondern auf rohstoffe in form von massengut - das können sowohl bspw. metalle, kohle, aber auch getreide sein. das zum beginn als klarstellung, weil ich mich neulich mißverständlich ausgedrückt hatte. meine folgerung jedoch betreff möglicher versorgungsengpässe innerhalb absehbarer zeit wird davon nicht tangiert, da die fraglichen rohstoffe eine wichtige basis der ökonomischen prozesse darstellen. und es ist weiter
keine entspannung der situation erkennbar:

(...)"Der Baltic Dry Index fiel heute zum ersten Mal seit 6 Jahren unter die 1000 Punkte Marke.(...)

Gewaltige 90% des Welthandels werden über dem Seeweg abgewickelt und auch hier funkt die Kreditkrise ordentlich dazwischen, denn Ursache für die wegbrechenden Frachtraten sind neben der wegbrechenden Nachfrage, die mangelnden Akkreditive, eine Art Zahlungsversprechen der Bank eines Importeurs, für die Ware eines Exporteur Zahlung zu leisten! Für die Zahlung muss der Importeur eine entsprechende Kreditlinie bei seiner Bank haben und diese werden gerade massiv gestrichen! In Folge stürzen nicht nur die Frachtpreise, sondern auch die Frachtraten, Teile des Welthandels kollabieren.(...)

Wenn sich die negativen Auswirkungen der Kreditkrise auf den internationalen Welthandel per Seeweg sich nicht zügig auflösen, wird es in ein paar Monaten zu Versorgungsengpässen kommen, denn die wegbrechende Nachfrage ist nur für einen Teil des Einbruchs beim BDI auf den tiefsten Stand seit 2002 verantwortlich!"


(nochmals dank für die erläuterung der situation an wirtschaftsquerschuss.)

real bedeutet das dann folgendes - ein
beispiel:

(...)"Geradezu erschreckend sind Berichte über Brasilien, wo das Eisenerz in den Häfen liegt, und nicht zu den Abnehmern in China verschifft werden kann, weil Kreditbürgschaften von Banken für die Reedereien nicht mehr verfügbar sind. Die Gewinne der Hafenbetreiber in Brasilien, aber auch in China und an anderen wichtigen Umschlagplätzen der Welt sind um 30 bis 40 Prozent gefallen."(...)

wobei die gewinne der hafenbetreiber das kleinste problem darstellen, wenn diese entwicklung in der form weitergeht. was auch an entsprechenden
nachrichten aus den usa deutlich wird:

(...)"Große Unterbrechungen sind im Verteilungssystem zu beobachten. Aktivkredite werden routinemäßig von jenen Exportnationen nicht mehr gewährt, die den US-Quellen misstrauen. Es wird von einem Einbruch des Lieferverkehrs zu westlichen US-Häfen von 10% - 20% berichtet. Schiffe liegen in asiatischen Häfen leer, einige sind sogar beladen, werden aber abgehalten von ihren Reisen zu US-amerikanischen und europäischen Häfen. Selbst einige Hersteller von Frachtcontainern sind schwer davon betroffen, da die Kredite auch ihre Produktionsprojekte unterbrechen. Indische Produzenten fordern oft 100% Vorkasse gegenüber den Einzelhändlern an der Ostküste - was wiederum zeigt, wie stark das Misstrauen ist. Fast die gesamte Aufmerksamkeit galt den Banken, Kreditmärkten und Aktienmärkten. Die US-Wirtschaft bewegt sich von einer Rezession hin zu etwas anderem, als es das Wort Depression beschreiben würde. Die aktuellen Unterbrechungen sollten in Wirklichkeit eher als Auflösungsprozesse betrachtet werden. Kurzfristige Kreditvergabe müsste schon bald die Verteilungskanäle Straße und Schiene im Innenland stark in Mitleidenschaft ziehen - sehr ähnlich dem Chaos, das dem Überseehandel durch die Aktivkredite entstanden ist."(...)

lesen Sie im übrigen ruhig den ganzen beitrag durch, um einen eindruck davon zu erhalten, in was für einem stadium des verfalls sich die us-amerikanische ökonomie und gesellschaft inzwischen befindet. es geht dort drüben definitv zu ende.

*

und zwar zu einem ende mit wahrscheinlich großem
schrecken:

(...)"Wie die „Washington Post“ in ihrer Montagsausgabe berichtet, hat die Nachfrage nach Schusswaffen in den USA seit dem Jahresbeginn um acht bis zehn Prozent zugenommen.

„Sehen Sie sich die politische und die Finanzlage an. Das ist der gesunde Menschenverstand. Die Menschen sind erschrocken“, sagte der Inhaber der Waffenhandlung Russell's Gun Emporium in Hagerstown (Maryland).

„Jetzt bereiten sich die Menschen auf eine Katastrophe vor. Das ist eine Art Versicherung. Wenn der Markt zusammenbricht, die Menschen ihre Arbeit verlieren und es dazu noch illegale Einwanderer gibt, ist die Wahrscheinlichkeit von Ausschreitungen sehr hoch“, so ein Kunde eines Waffenladens in Manassas (Virginia)."(...)


(mehr zum gleichen thema auch bei
tp.)

und wer gestern abend zufällig auf arte die dokumentation über den schusswaffengebrauch in großen us-amerikanischen städten gesehen hat, kann sich ungefähr ausmalen, welches szenario sich da anbahnt. da macht die bereithaltung aktiver armee-einheiten für den einsatz im inneren aus sicht der "eliten" schon sinn.

*

hinsichtlich der finanzmärkte (und auch vieler staatlicher währungen) bahnt sich eine weiterer crash in
osteuropa an:

(...)"Aber es ist insbesondere die Entwicklung in den Ländern des sogenannten Neuen Europa, welche die reale Gefahr eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs heraufbeschwört. Die droht, sich als zweite Welle mit noch verheerenderen Folgen auf den bereits stark angeschlagenen Finanzsektor der westeuropäischen Kernländer der EU auszuwirken. Denn die osteuropäischen Länder (ohne Rußland), die insgesamt die gigantische Summe von 1,6 Billionen Dollar geliehen haben, haben zunehmende Probleme, die Zinsen und die Tilgung zu bewältigen, zumal es wegen der eingefrorenen Kreditmärkte nicht länger möglich ist, die alten Kredite mit neuen zu bezahlen.

Da die neue Bourgeoisie in Osteuropa ihren westlichen Vorbildern in nichts nachstehen wollte, hatte sie sowohl ihre Investitionen als auch ihren aufwendigen Lebensstil weitgehend auf Pump errichtet, wobei das nötige Geld vorwiegend aus Westeuropa kam. Damit wurden glitzernde Prestigeprojekte und Shoppingcenter mit Luxusläden errichtet, in denen die neue Oberschicht ihren Reichtum ungeniert zur Schau stellte. Nun aber ist auch diese Blase geplatzt, und Finanzexperten befürchten, daß das Chaos an der EU-Peripherie schon bald zu einer Kettenreaktion innerhalb der Eurozone führen könnte."(...)


zur abwendung des staatsbankrotts musste sich ungarn bereits einen kredit vom internationalen währungsfond beschaffen; weitere staaten - und zwar nicht nur in osteuropa - werden folgen. wer sich ein wenig mit der geschichte des iwf und seinem durchweg unheilvollen wirken auskennt, wird über die
folgen der kreditaufnahme in ungarn nicht erstaunt sein:

(...)"Im Gegenzug für ein Hilfspaket des Internationalen Währungsfonds (IWF) muss die ungarische Regierung ihnen Sparkurs weiter verschärfen.Ein Teil der 13. Monatsrenten werden gekürzt, und das 13. Monatsgehalt wird für einen Großteil der öffentlich Bediensteten gestrichen."(...)

denn diese verschärfungen (im haushaltsplan) der hilfesuchenden staaten sind regelmässig die pferdefüße der iwf-kredite, bei denen es in der folge dann zu einer breiten und massenwirksamen allgemeinen verarmung der bevölkerung kommt - besonders krass zu besichtigen in der vergangenheit vieler südamerikanischer staaten. der iwf ist kein altruistischer club, sondern eine organisation, die ebenso wie die weltbank primär den imperialen interessen vornehmlich der westlichen "eliten" dient.

*

aber warum in die ferne schweifen, wenn im zuge der krise fast wöchentlich dinge sichtbar werden, die bei näherer betrachtung aufgrund ihrer immanenten frechheit sprachlos machen? wenn Sie gestern die grotesken entwicklungen rund um die vw-aktie verfolgt haben, wird Sie vielleicht ein beitrag bei weissgarnix interessieren: zur
skizzierung eines bösen verdachtes.

*

vor diesem hintergrund wünscht man sich glatt mehr aktionen wie vorgestern von attac - egal, wie man im einzelnen zu ihren durchaus nicht weit genug gehenden forderungen steht. für alle, die´s noch nicht gesehen haben:



*

zwei neue warnungen, die aus der finanz-/banken-/investoren-szene kommen:
warnung vor einer weltweiten krise sowie die warnung vor einem mega-domino-day des weltfinanzsystems.

ich kann nur nochmal meine meinung von neulich zum besten geben: wenn diese strukturen zusammenbrechen sollten, ist das eigentlich aufgrund ihrer immanenten destruktivität ein grund zur freude, die jedoch stark dadurch getrübt wird, dass es bisher keine sichtbaren zeichen einer alternativen und qualitativ sozialeren ordnung gibt, die kurzfristig und von vielen menschen getragen einspringen könnte. "revolutionäre situation ohne revolutionäre", so wurde das neulich in einer privaten mail auf den punkt gebracht. und das deutet auf verdammt unerfreuliche zustände hin.

*

zustände (zunächst noch primär ökonomische), die im nächsten link spezifisch für d-land ohne dramatisierung versucht werden zu beschreiben:
wie schlimm kann es kommen?

*

ein problem bei den sich primär auf die sich entfaltende weltwirtschaftskrise beziehenden ausblicken und analysen liegt meiner meinung allerdings darin, dass sie den möglichen symptomcharakter der krise nicht berücksichtigen - symptom in dem sinne, dass sich hier eine grundsätzliche und möglicherweise finale krise der gesamten industrialisierten und westlich verfassten / orientierten welt anbahnt - wir stoßen in jeder hinsicht auf unsere
grenzen:

(...)"Hat man gestern erst erfahren, dass der Credit Crunch laut Bank of England geschätzte Verluste im Wert von 2,8 Billionen Dollar mit sich bringt, so beziffert der aktuell veröffentlichte Living-Planet-Bericht die ökologischen Kosten, die durch die Ausbeutung der Erde entstehen, auf 4 bis 4,5 Billionen US-Dollar pro Jahr. Die Umrechnung basiert wiederum auf einem UN-Bericht, der die wirtschaftlichen Kosten berechnet, die durch den Ausfall bestimmter Teile des Ökosystems entstehen.

In Prozentzahlen sieht das Ergebnis des Berichts allerdings nicht weniger beindruckend aus: Um 30 Prozent übersteigt unser Ressourcenverbrauch die Menge dessen, was die Erde jährlich wieder regenerieren kann. Die Folgen der Ausbeutung kennt man in diesen Stichpunkten seit Jahrzehnten: Entwaldung, erschöpfte Böden, verschmutzte Luft, verschmutztes Wasser, Überfischung, Schwund der Arten."(...)


ich will mich jetzt nicht schon wieder über die grundsätzlich pervertierte wahrnehmungsweise auslassen, die da die gesamte natur nur noch in ökonomischen (was nichts anderes heisst als: objektivistischen bzw. objektivierbaren) kategorien erfassen kann. wenn allerdings auch innerhalb dieser kategorien alle lampen auf grellrot springen, so ist das als weiteres menetekel an der wand zu betrachten. es geht letztlich darum, das und
wie unser wirtschaftssystem die erde tötet.

der westen (als repräsentant des kapitalismus) hat im wahrsten sinne des wortes abgewirtschaftet.

*

und damit zurück zum beginn des beitrags - es ist vor dem eben umrissenen eigentlich kein wunder, dass bei der aussicht auf derart gewaltige um- und zusammenbrüche eine mehrheit der hiesigen bevölkerung nichts mitbekommen will - ja, will. denn auch wenn die materie gerade bezgl. der ökonomie komplex ist, so sind doch für alle interessierten die nötigen informationen (noch) vorhanden, um sich ein wie rudimentär auch immer ausfallendes bild der situation machen zu können. bezgl. dieses punktes gibt es keine entschuldigung. es muss also etwas mit der eigenen motivation, den verbreiteten inneren strukturen und auch mit der eigenen wahrnehmung zu tun haben, wenn hier bisher weiter "alltag" gespielt wird. ein wichtiger punkt ist dabei sicherlich die schon neulich aufgegriffene
soziale trance, zu der die propagierung von "privatheit" (in der form als synonym von vereinzelung) sicher viel beiträgt. will sagen: uns fällt jetzt die allgemeine schädigung der beziehungsfähigkeiten (und damit auch schädigung der fähigkeiten zum kollektiven handeln) voll auf die füße. und als eine folge davon werden wir im zuge der weiteren eskalation der krise mit zunehmend destruktiver werdenden ängsten und aggressionen rechnen müssen - hatte ich zwar neulich ebenfalls schon mal ausgeführt, aber ich halte es für sehr wichtig, sich über diese aspekte ganz klar zu werden. und speziell über diese punkte muss dringend mehr geredet werden.

notiz: zur professionellen fake-industrie namens "public relations"...

...hatte ich in der vergangenheit u.a. schon den beitrag mit dem titel fiktionale glaubwürdigkeit geschrieben und dort bereits die wichtigsten züge dieser mitproduzenten des als-ob-lebens skizziert. als nachtrag empfehle ich nun die lektüre dieses artikels, der nicht nur wegen der beschriebenen inneren auseinandersetzungen dieser branche bande von konstrukteuren virtueller und verkaufsfördernder (wahn-)welten interessant ist, sondern auch eine aufschlußreiche information zu ihrer entstehungsgeschichte (zumindest in d-land) enthält:

(...)"Mit meiner Arbeit diene ich der Öffentlichkeit", beginnt Regel eins der brancheninternen Selbstverpflichtungen. "Wahrhaftig" solle der junge PR-Berater sein - das steht ebenfalls im ersten Branchengebot. Doch schon beim Blick auf die eigenen Vorbilder kommen an der Wahrhaftigkeit der Zunft leichte Zweifel auf: Der Nachwuchspreis trägt den Namen Albert Oeckls. Oeckl hat den Beruf des Imagekonstrukteurs von der Pike auf gelernt - in der Münchner Landesstelle des NS-Propagandaministeriums. Später war er in einer Wehrmachtseinheit für psychologische Kriegsführung. Sicher, nach dem Krieg bekam Oeckl auch das Bundesverdienstkreuz - er habe geholfen, das negative Image von PR zu beseitigen und sie zu einer "unentbehrlichen Mittlerfunktion" gemacht, würdigte Helmut Kohl."(...)

und das ist offensichtlich nur die
spitze des eisbergs:

(...)"Einer größeren Öffentlichkeit dürfte es immer noch weitgehend unbekannt sein, daß PR bereits während des NS-Faschismus ein wichtiges Diskussionsthema unter deutschen Werbefachleuten war. Spätere bundesdeutsche "PR-Päpste", wie etwa Carl Hundhausen, arbeiteten bereits damals an der gesellschaftlichen Etablierung unternehmerischer Public Relations und interpretierten diese für die deutschen Verhältnisse."(...)

im gerade verlinkten text wird sehr deutlich herausgearbeitet, wer die interessenten bzw. profiteure an "pr" und was ihre interessen von beginn an waren. diese sog. berufsgruppe gehört (neben anderen) wegen erwiesener gemeingefährlichkeit schlicht und einfach auf den müllhaufen der geschichte (das wird mächtig voll werden dort.)

Freitag, 24. Oktober 2008

notiz: krisennews und -gedanken (4)

es lässt sich in diesen tagen noch weniger als sonst vermeiden, dass ich thematisch wild springe und von einem tag auf den anderen beiträge vorziehe bzw. vorläufig liegenlasse. das nur zur erklärung vorneweg für diejenigen unter den leserInnen, die auf bestimmte fortsetzungen warten.

*

aber ich hoffe, dass auch die gerade angesprochenen von einem text angeregt werden können, der unter dem pseudo "res publica" als kommentar unter einem beitrag auf indymedia mit
dem großen schweigen der linken hinsichtlich der aktuellen ereignisse befasst. da in dem kommentar einiges steht, was ich und vermutlich auch andere ebenfalls so formulieren könnten, werde ich ausführlich zitieren.

"Anspruch und Wirklichkeit der sogenannten "radikalen" Linken stehen (nicht nur) in Deutschland in einem geradezu grotesken Missverhältnis. Das zu sehen braucht man keine Brille.

Die sich zusammenbrauende heftige Weltwirtschaftskrise hat zu einer Krise der neoliberalen Ideologie geführt. Hektischen Reparaturversuchen des zusammenbrechenden Kasinokapitalismus steht die Beschwörung der guten alten "Sozialen Marktwirtschaft" gegenüber, bzw. der sozialdemokratischen Variante des Keynesianismus. Ein Heiner Geißler und ein Oskar Lafontaine erscheinen heute als Speerspitzen dieser beiden Fraktionen des "vorwärts - zurück in die Gute Alte Zeit". Nur blöd, dass es diese nicht mehr geben wird."


insgesamt zustimmung.

"Sicher ist nur, dass man uns bald Blut, Schweiß und Tränen ankündigen wird, wenn die Krise erst mal durchschlägt. Für einen großen Teil der Menschheit ist das ja sowieso Alltag, wie hier von "Ananda" richtig festgestellt wurde. Der Ruf nach dem "starken Staat" wird dann wieder Zulauf haben, Konjunktur für Demagogen und autoritäre Figuren."

auch hier deckt sich das mit meinen einschätzungen. warten wir nur einmal ab, was passieren wird, wenn uns demnächst jeden morgen
nachrichten wie diese in die augen springen:

"Der Wolfsburger Autobauer Volkswagen will angeblich die Beschäftigung von Leiharbeitern drastisch einschränken. Nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Freitag plant Europas größter Autohersteller, sich von einem Großteil der insgesamt 25.000 Leiharbeiter zu trennen."(...)

- so werden auf die dauer auch dementis von vorständen (die allgemeine legitimationskrise wird zunehmend sämtliche systemrepräsentanten als dauerlügner dastehen lassen) oder auch betriebsräten (was gerade bei vw nicht einer gewissen ironie entbehrt - wenn Sie verstehen, was ich meine) als ungefähr so werthaltig erachtet werden wie sagen wir mal ein lehmann-zertifikat. bitte nicht falsch verstehen: ich habe einiges gegen leiharbeit und halte ebenso das produkt "auto" für etwas, was insgesamt aus diversen gründen als auslaufmodell betrachtet werden muss. bloß: da der aktuelle gesellschaftliche konsens in diesen fragen frontal entgegengesetzt aussieht, werden alle betroffenen den eigentlich wünschenswerten und notwendigen verlust mangels praktitabler alternativen als katastrophe ansehen - und genau das ist dann der boden, auf dem dann auch faschistoide bis offen faschistische alpträume wuchern, die den leuten zumindest eine gewisse materielle grundsicherheit versprechen - egal zu welchem preis (das sie dazu wesentlich auch an die kollektiv verbreiteten psychophysischen deformierungen anknüpfen müssen, ist eine binsenweisheit).

"Linke Gegenmodelle? Wenn der "Prophet" schreibt: "Dezentralismus und Regionalwirtschaft mit transnationalen Freundschafts- und Handelsbeziehungen ohne Grenzen" so geht das in die richtige Richtung, zumindest was die territoriale Organisation angeht. Vielleicht wird dies aus nackter Not geboren werden müssen, wenn Welthandelsströme zusammenbrechen oder zumindest stark gestört werden."(...)

da sind sie schon wieder, die welthandelsströme, die ich in den letzten teilen meiner kleinen krisen-reihe hier regelmäßig erwähnt hatte. und ich muss heute sagen, dass ich mich in meinem vorsichtigen optimismus neulich getäuscht hatte - über das (übrigens sehr lesenswerte) blog wirtschaftsquerschuss bin ich gestern über den
chart des tages gestolpert:

(...)"Der Baltic Dry Index ist ein Index für Frachtpreise auf internationalen Standardrouten für das Verschiffen von Massenfrachtgut. Er setzt sich aus vier Sub-Indizes zusammen, die verschiedene Schiffsklassen für das weltweite Verschiffen der Hauptfrachtgüter, wie Kohle, Eisenerze und Getreide abbilden. Der BDI ist auch als weltweiter vorlaufender Konjunkturindikator geeignet."(...)

dieser chart bildet also denjenigen teil der welthandelsströme ab, der sich auf den meeren bewegt - und befand sich bis gestern unaufhaltsam auf crashfahrt. das problem der "letter of credit" scheint sich also bisher in keiner weise auch nur ansatzweise entspannt zu haben. und das heisst nichts anderes, als das es jetzt nur um die frage geht, wann mit ersten lieferschwierigkeitenauch in Ihrem discounter um die ecke zu rechnen ist. und spätestens dann ist der zeitpunkt gekommen, um die gedanken von "res publica" weiterzuspinnen.

(...)"Eine weltoffene, also transnational vernetzte Regionalwirtschaft ist sicher ressourcenschonender und krisensicherer als die Form der globalen "Arbeitsteilung" die wir jetzt haben. Wir werden dies wahrscheinlich erst lernen, wenn die Karre im Dreck steckt. Angesichts der heraufziehenden Krise sollte man jetzt beginnen, sich ernsthaft Gedanken zu machen, wie eine solidarische Form des Überlebens organisiert werden kann, die mit der Not auch die Lohnarbeit als Perversion menschlicher Produktivität und die Staatsform als Perversion des Gesellschaftlichen überwindet."

ja, wir sollten nicht unbescheiden sein und die floskel von der "krise als chance" tatsächlich ernstnehmen - es ist entgegen aller offiziellen und öffentlichen beruhigungspillen weit und breit kein anzeichen dafür zu erkennen, dass sich die kapitalismusinterne demontage irgendwie abschwächt - im gegenteil.

und ich kann für mich nur wiederholen, dass ich das eigentlich auch kein stückchen schade finde - unsere ökonomischen und gesellschaftlichen strukturen sind in weiten teilen destruktiv, pathologisch und letztlich suizidal. und je früher sie ihr zwangsläufiges ende finden, ohne zu große teile der existierenden menschlichen und natürlichen basis mitzureissen, umso besser. den riesigen haufen arbeit mit dem angesammelten giftmüll bekommen wir kollektiv, aber auch ganz individuell jeder und jede von uns, sowieso - da sehe ich keinen ausweg.

das große problem dabei ist allerdings wie neulich ebenfalls schon mal skizziert die große zahl derjenigen, die nicht mehr in der lage sind, sich ein qualitativ ganz anderes leben auch nur vorzustellen, geschweige denn zu wünschen. und diese werden beim fortschreitenden übergreifen der krisensymptome in ihren alltag eher mit massiven ängsten und damit einhergehenden negativen aggressionen reagieren - das ist meiner meinung nach das hauptproblem, für das gangbare lösungswege weiterhin ausstehen. es wird alles auf viel improvisation herauslaufen müssn.

"Die Weltrevolution auf einen Schlag und den Sprung ins vollkommunistische Paradies gibt es sowieso nicht. Irgendwo muss man anfangen. Im Zeichen dieser unvermeidlich heraufziehenden Krise gehen vielen Menschen die Augen auf; sicher nicht allen, und die meisten werden wohl erst aufwachen, wenn sie mit dem Kinn auf dem harten Pflaster der Realität aufschlagen. Aber die Vielen, die sich jetzt fragend umschauen und wissen wollen, in welchem Film sie sind, oder es vielleicht auch ahnen, brauchen jetzt eine Orientierung. Die bietet ihnen vordergründig - wenn es gut geht - "Die Linke". Aber die wachsenden Stimmanteile für diese Partei sind nicht mehr als ein Gradmesser für ein Unbehagen, das in der Gesellschaft vorhanden ist, und das z.Zt. zum Glück noch eher nach links drängt als nach rechts."

wenn ich mir die äußerst staats- und systemtragende rolle anschaue, die "die linke" (als partei) bisher in dieser krise spielt, so weiß ich nicht, wie ich das wirklich finden soll. das kleinste übel ist eigentlich in meinen augen nicht wirklich eine option. es fällt allerdings tatsächlich auf, dass die bisher wahrnehmbaren proteste "auf den strassen" wenn überhaupt aus der ecke kommen, die man als "sozialdemokratische linke" bezeichnen könnte - das ist nicht nur hier so, wo bspw. attac für den 30. oktober ("weltspartag") zu
bundesweiten protesten aufruft, sondern bspw. auch in der schweiz:

(...)"Mit einem Pfeifkonzert auf dem Zürcher Paradeplatz haben Demonstranten gegen den staatlichen Rettungsanker für die Grossbank UBS und die Millionen-Boni für die Banker protestiert. Für etwa eine Stunde blockierten sie mit einem Sitzstreik auch den Haupteingang der UBS-Filiale. Zu der Kundgebung im Herzen des Schweizer Bankensektors hatten die Gewerkschaft Unia und Linksparteien aufgerufen."(...)

bestenfalls sind das die ersten anzeichen dafür, dass sich die paralyse von oppositionellen kräften aller coleur sehr langsam zu lösen beginnt. auch wenn die forderungen keinesfalls weit genug gehen. aber genau das ist auch der faden, an dem der/die kommentatorIn bei indy spinnt, auch wenn zunächst das worst-case-szenario umrissen wird:

"Der Staat wird im Fall einer ernsthaften Krise zum Notstandsstaat werden, da muss man sich keine Illusionen machen. Die jetzt durchgepeitschten Maßnahmen zur Bankenrettung haben schon den Charakter von Notverordnungen mit parlamentarischer Absegnung. In den USA wurden sogar Kongressabgeordnete vor der zweiten Abstimmung über das Rettungspaket mit der Möglichkeit der Einführung des Kriegsrechts im Fall einer erneuten Ablehnung zur Zustimmung erpresst. Man muss das Ernst nehmen. Der Kapitalismus wird, wenn er in Gefahr gerät abzukacken, zu harten Mitteln greifen."(...)

keinerlei einwände, im gegenteil: ich finde, dass sich wirklich soviele menschen wie möglich über diese option des systems klar werden müssen - hier ist jede illusion hochgefährlich!

"Langer Rede kurzer Sinn: auch ich weiß nicht, wie wir hier raus kommen, und ob überhaupt. Eines aber noch: man muss mit den Leuten reden; in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, an Schule und Uni, egal wo. Reden: nicht belehren, nicht irgendwelche Flugblatttexte abspulen, fragen, fragen, antworten und wieder fragen. Man kann überraschende Erlebnisse haben, auch bei Menschen, die man erstmal gar nicht sympathisch findet. Es ist nicht der Mangel an Zorn, es ist der Mangel an Vertrauen in die eigene Kraft und noch mehr Mangel an Vertrauen in "die Anderen". Wie oft hört man: in diesem Land steht doch keiner auf... oder: uns geht es einfach noch viel zu gut. Eigentlich sollte man all diese Leute mal beim Genick nehmen und sagen: so jetzt gehen wir mal all die Leute treffen, die das Gleiche sagen wie du..."

ja, damit muss es losgehen - treffen im freundeskreis, mit nachbarn, bei denen ein gespräch möglich ist, auf der arbeit...dabei werden einem natürlich auch immer mehr oder weniger große stücke der jeweils vorhandenen eigenen und fremden psychophysischen systemspezifischen defekte auf die füße fallen, welche gerade häufig zu kommunikationsstörungen führen - aber auch die gilt es dann im falle des falles zu bearbeiten, soweit wie möglich. jedenfalls soweit, um überhaupt erstmal gespräche in gang zu bekommen, die diesen namen auch verdienen.

den abschließenden hauptgedanken von "res publica" finde ich persönlich sehr spannend:

"Und dann bilden wir RÄTE. Ja, Räte. Ratschläge. Wir wissen jeder für sich nicht viel. Aber alle zusammen halten wir das Ganze am Laufen. Was passiert, wenn das Blut in den Adern des Kapitalismus, das Geld, stockt? Dann haben wir es mit einem Leichnam zu tun, scheinbar. Aber die Fabriken sind noch da, die Verkehrsmittel sind noch da, die Lagerhallen, die Büros... und die Beschäftigten, ihr, wir alle - nur stehen wir vor den Toren, weil das Geld nicht mehr fließt. Wir können das Zeug in Betrieb setzen und das Lebensnotwendige erzeugen (natürlich wird es Engpässe geben), wir werden einen bescheidenen Wohlstand für alle hinkriegen... aber wir müssen uns einen Kopf machen, es ist Arbeit, Bestandsaufnahmen sind nötig, wer weiß was, wer hat welche Fähigkeiten... Dies, ich nenne es mal Vorbereitungen auf den Fall X, muss natürlich auch über das Internet geschehen (solang es noch möglich ist). Man müsste, nein man muss, jetzt damit anfangen."

falls dieser punkt erreicht wird, könnten wir tatsächlich sagen: geschichte wird gemacht. aber ebenfalls würde dieser punkt auch eine finale herausforderung des systems (stichwort: fetisch und halluzination "privateigentum") bedeuten - ende offen. aber ich muss sagen, dass es schon was sehr reizvolles hat, das obige szenario konkreter durchzuspielen. praktische erfahrungen gibt´s da übrigens u.a. aus argentinien.

"Also: bilden wir Räte. Fangen wir ganz klein an. Aber fangen wir an."

vielleicht überdenken Sie nochmal Ihre wochenendplanung?

Montag, 20. Oktober 2008

kontext 46: "die wurzeln der gewalt sind NICHT unbekannt" (thesen von alice miller) [update]



zwei anmerkungen dazu noch: leider fehlt hier der hinweis auf die möglichen und durchaus bekannten destruktiven entwicklungen der pränatalen phase. und zweitens wäre es dringend notwendig, dass wir uns alle auch emotional klarmachen, das das dargestellte einen wesentlichen kern des aktuellen herrschaftssystems ausmacht. auch, wenn ich damit eulen nach athen tragen sollte, kann das nicht oft genug erwähnt werden.

*

edit am 22.10.: erinnern Sie sich noch an die geschehnisse, die vor ein paar monaten unter dem ortsnamen
"amstetten" die schlagzeilen beherrschten und auch hier im blog thema waren? im damaligen beitrag hatte ich das schon aufgegriffen, was jetzt durch das fällige gutachten zur person des josef f. sowohl deutlicher wird als auch wie eine personifizierung der thesen im video oben daherkommt:

(...)"...habe der Inzest-Täter eine "Lebensbeichte" abgelegt, aus der hervorgeht, dass er als Kind massiv misshandelt und erniedrigt wurde. Wie die Psychologin in ihrem Bericht festhielt, fehle dem Täter jede Fähigkeit zu Mitgefühl. Dadurch habe er seine Tochter Elisabeth selbst zum Opfer seiner seelischen Verkrüppelung gemacht.(...)

Fritzl galt nach außen hin als unauffällig. Nach Ansicht der Gutachterin habe er sich bereits als Kind zwei Fähigkeiten bis zur Perfektion angeeignet: Unerträgliches zu verdrängen und sich selbst eine erträgliche Wahrheit zu erschaffen. So soll die Lebenssituation des Täters seinen seelischen Zustand widergespiegelt haben: Oben führte er das biedere Leben mit der Familie, unten im Keller lebte er seine Phantasien aus."(...)


wie ich damals schon sagte: ein existenzieller konstruktivist. offen muss allerdings die frage bleiben, ob diese simulation einer "heilen welt" nach außen ausdruck einer traumainduzierten dissoziation oder aber symptom einer echten soziopathie gewesen ist - im letzteren fall wäre die gutachterin glatt in die irre geführt worden. in jedem fall allerdings ist die schlußfolgerung der "vollen schuldfähigkeit" genau das symptom der blindheit und des ideologischen festklammerns an konstrukten wie "verantwortlichkeit" und "freiem willen" seitens psychiatrie & justiz, welches ich in vielen beiträgen schon kritisiert habe - die tatsachen der möglichen antisozialen entwicklung nach traumatisierung einerseits und der existenz von echten soziopathen andererseits sind etwas, was die beiden erwähnten konstrukte voll gegen die wand laufen lässt.

ich empfehle auch die kommentare im zugehörigen forum der sz, vor allem den des users "winterwoods" von 12.23 h, der hinsichtlich der besonderheiten der soziopathie einige schlüsse zieht, die ich weitgehend unterschreibe.

notiz: krisennews und -gedanken (3)

zunächst noch eine antwort @bibi:

wenn ich deine grundthese richtig verstanden habe, siehst du im großen und ganzen die derzeitige krise als strategisches manöver an, um die blöden schafe weiter unbeschwert, aber verschärft, ausnehmen zu können? ich kann dem nur teilweise zustimmen: sicher wird derzeit viel versucht, um erstens am bestehenden system nicht zu rütteln (dazu gehört auch die altbewährte sozialisierung von verlusten), und zweitens die handelnden (und immer noch mächtigen) protagonisten soweit aus der schußlinie zu nehmen wie gerade noch möglich (bevor die schafe am ende noch tatsächlich wach werden sollten). ebenfalls gibt es immer wieder ein paar profiteure der jeweiligen tagesaktuellen entwicklungen. jetzt kommt ein großes ABER:

wenn die eigentliche intention der hypothetischen krisenstrategen nicht von vorneherein darin bestanden haben sollte, eine global sehr instabile situation zu erzeugen - und eine solche these ließe sich derzeitig weder belegen noch widerlegen -, dann muss man attestieren, dass momentan sehr viel eher danach aussieht, dass große teile der "eliten" selbst keinen wirklichen plan (mehr) haben und lediglich versuchen, soviel zeit/aufschub wie möglich vor einem möglichen großen crash zu gewinnen - die "rettungspakete" allüberall sind dafür der deutlichste ausdruck. aussichten wie bank runs oder der in den letzten beiträgen auch erwähnte mögliche zusammenbruch der logistikketten im welthandel würden zu situationen führen, die für uns alle (zumindest im westen) völliges neuland darstellen würden, und für deren verlauf ich keinerlei prognosen aufstellen würde (allenfalls ein paar wahrscheinlichkeiten, die sich aus meiner einschätzung der kollektiv dominanten "psychischen dispositionen" der betroffenen bevölkerungen ergeben).

ein globaler (ökonomischer) crash würde im worst-case-fall derartige einschlagskrater produzieren, dass selbst die innere und äußere aufrüstung der "eliten" da nicht mehr viel helfen würde - sprich: sie müssten sich selbst massiv um ihre ä.... sorgen machen, und all das mediale trommelfeuer der letzten wochen gerade hinsichtlich möglicher bank runs ist mit einer ganz massiven beruhigungspille zu vergleichen, bei der die verordnenden kurpfuscher selbst (noch) mehr panik haben als die patienten. nein, ich glaube eher, dass eine "nach-uns-die-sintflut"-mentalität zusammen mit den üblichen zwängen der kapitalinternen profitakkumulation plus strategischer dummheit plus die "eliten"-spezifischen psychopyhsischen defekte alle hübsch zusammen in einem topf auf dem herd solange fröhlich geköchelt haben, dass es jetzt nicht nur angebrannt stinkt, sondern schon dicke rauchschwaden durch die wohnung ziehen - und möglicherweise bereits ein paar zentrale kabel vor sich her schmoren.

ich schätze naomi klein durchaus sehr, aber die von ihr gemeinten schocks sind bisher immer in einem in relation viel kontrollierteren (und kontrollierbareren) rahmen verabreicht worden. und genau das ist derzeitig nicht mehr der fall. klar, könnte auch sein, dass ich falsch liege, und tatsächlich ein monströser soziopathischer plot abläuft, der darauf zielt, die globalen machtverhältnisse völlig durcheinanderzuwürfeln, um dann am ende mit der "sechs" als "gewinner" über der asche der kollabierenden staaten und ihrer ökonomien dazustehen.

zum schluß noch: sicher hast du damit recht, dass krise & betrug in einem gewissen sinne dauerzustände darstellen. ich würde aber dennoch aufgrund des spezifischen milieus, in dem sich diese krise zumindest bisher hauptsächlich abspielt, sagen, dass ein derartiger finanzieller betrug in vielen staaten gleichzeitig, wie er sich in form der sog. bail-outs ausdrückt, so noch nicht dagewesen ist.

*

aller schlechten dinge sind
drei - jeremy rifkin goes apokalypse:

(...)"Die traurige Wahrheit ist, dass wir vor einem Zusammenbruch wie in den dreißiger Jahren stehen und dass alle Manöver der Regierungen ein bisschen zu spät gekommen sind - und zwar, weil die globale Kreditkrise sich über 18 Jahre hinweg aufgebaut hat und einer schnellen Fixierung nicht zugänglich ist. Die Sache wird noch dadurch komplizierter, dass diese Krise mit der globalen Energiekrise und dem globalen Klimawandel einhergeht, was sich zu Verheerungen auswachsen kann, wie wir sie noch nie erlebt haben. Die drei globalen Krisen sind miteinander verwoben und nähren sich gegenseitig."(...)

wie war das noch? "mögest du in interessanten zeiten leben".

*

das es jetzt wirklich interessante zeiten werden könnten, dämmert auch der gewerkschaft der
polizei:

"Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rechnet wegen der internationalen Finanzkrise mit einem Anstieg der gewaltsamen Ausschreitungen und der Zahl der Großdemonstrationen. Der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg warnte in der «Leipziger Volkszeitung» davor, dass die Behörden die Sicherheit wegen Überforderung nicht mehr gewährleisten könnten. Die Finanzmarktkrise werde nach seiner Einschätzung die bereits vorhandenen gesellschaftlichen Konflikte weiter verschärfen."(...)

na, mit dieser einschätzung riskiert man heute auch nicht mehr viel - interessant ist aber v.a. der schlußsatz:

(...)«Mit der Finanzmarktkrise kommt unübersehbar der scharfe Grundkonflikt um Gerechtigkeit hinzu. Zudem erwarte ich mit dem Thema Zukunft der Kernenergie zusätzliche Proteste. Das alles ergibt ein Einsatzszenario für die Polizei, das wir ganz sicher nicht mehr ordnungsgemäß bewältigen können», sagte der Gewerkschafter den Angaben zufolge weiter. «Außerdem sollte die Politik endlich aufhören, die gesellschaftspolitischen Probleme einfach der Polizei vor die Füße zu kippen. Wir brauchen politische, keine polizeilichen Lösungen der Konflikte.»

sein wort in der kollegen ohren (zumindest hoffen darf man ja noch).

*

in diesen tagen können wir auch lernen, was eigentlich ein
cityboy ist:

(...)"Als "Cityboy" bezeichnet er "jeden dreisten Idiot im Anzug, der sich an dir in der Bahn vorbeidrängelt; den egoistischen Witzbold, der laut angibt, wie viel Cash er auf dem Markt gemacht hat; den gierigen Wichser, der dazu beiträgt, dass diese Welt zu dem Misthaufen wird, zu dem sie sich immer rapider entwickelt. Eine Zeitlang war ich es ..."(...)

nämlich auch nur ein synonym für ganz gewöhnliche antisoziale.

*

immerhin schon aus dem februar dieses bemerkenswerten jahres stammt der folgende
"Report über ein Tabuthema":

"In vielen Filialen deutscher Banken herrschen Zustände wie in einer Drückerkolonne. Jetzt packen Bankberater aus: Wie sie Kunden belügen, weil sie dem Vertriebsdruck, den Drohungen und Demütigungen ihrer Vorgesetzten nicht mehr gewachsen sind. Sie sind Opfer und Täter zugleich."(...)

ich finde ja, dass "innenansichten aus der mafia" ebenso gut gepasst hätte. aber vielleicht ist es auch besser, einfach bei "der stinknormale kapitalistische betrieb" zu bleiben.

*


let´s make money, die neue dokumentation von erwin wagenhofer über das bisherige globale finanzsystem des grauens, hatte ich neulich schon per trailer vorgestellt - jetzt kommt die tagesschau mit einem interview:

(...)"tagesschau.de: Wie haben Sie die Menschen erlebt, die da im großen Stil mit unserem Geld hantieren?

Wagenhofer: Im Film sagt einer der ganz großen Investmentbanker in Asien: "The best time to buy is when there is blood on the street." Also: Jetzt klebt das Blut auf der Straße, jetzt können sie kaufen, jetzt können sie richtig Geschäfte machen.

tagesschau.de: Also skrupellose Geier?

Wagenhofer: Die Banker sind Getriebene von einem System, das unmenschlich ist. Und diese Leute sind nicht wirklich glücklich geworden. Unter den Bankern gibt es einen hohen Drogenkonsum, harte Drogen, viele leiden mit 30 Jahren schon unter einem Burn-Out-Syndrom. Wir haben während des Drehs für den Film viel mit Armut zu tun gehabt: Die beste Stimmung ist immer bei den Ärmsten. Da, wo wirklich das Geld sitzt, dort ist die schlechteste Stimmung."(...)


das letztere klingt mir etwas nach verklärung - aber mag sein, dass die armut hier im westen auch tatsächlich eine hässlichere stimmung mit sich bringt als in anderen kulturkreisen. sehr interessant allerdings und ansonsten seltsam unterbelichtet, der hinweis auf den einsatz aller möglichen drogen innerhalb der finanzmafia - das ist zwar "irgendwie" grundsätzlich schon bekannt, aber vermutlich in seinen folgen noch unterschätzt.

*

sehr ruhig ist es in den letzten tagen um die schon neulich angesprochenen "letter of credit" geworden, die für den weltweiten schiffshandel eine große bedeutung haben - ich konnte aber bisher keine entwarnung finden, und daher noch mal eine
zusammenfassung des problems von letzter woche:

(...)"Seit dem Wochenende sind Kenner der Szene in Panikstimmung. Wenn Lieferfirmen ihre Waren nicht mehr verschiffen können, sind sie häufig in kurzer Zeit selbst von der Pleite bedroht. Ohne Eingriffe könnte sich schnell ein logistisches Desaster anbahnen. Spiegelbild eines solchen Szenarios wären Warenengpässe in den betreffenden Importländern. Im schlimmsten Fall würde es dann in den Industrieländern an Nahrungsmitteln und Energie mangeln.

Es ist durchaus denkbar, dass die nächste Eskalation der Kreditkrise auf den Wasserweg über Anleger und Bürger herein bricht."(...)


weitere infos dazu würden vermutlich nicht nur mich sehr interessieren.

*

und zum schluß möchte ich dem vorsitzenden des "bundes für umwelt und naturschutz deutschland" noch das große "ÄCHZ" am montag verleihen, und zwar für den merkbefreiten einsatz der wie eine verheerende seuche wütenden kapitallogik (letztlich eine ausgeburt des entgleisten objektivistischen modus), die in diesem fall dem begriff des "humankapitals" auch noch das
"naturkapital" an die seite stellt - wann wird sich endlich die erkenntnis breit machen, dass die derzeitige(n) krise(n) eben nicht unwesentlich von einem dem alten system entsprungenen und angepassten wahrnehmungs-, denk- und sprachmodus mit hervorgebracht und verschärft werden?

kontext 45: "klapse" für säuglinge (thesen von alice miller)

Freitag, 17. Oktober 2008

basis: auf den punkt gebracht! wie das system auf einem soziopathischen menschenbild beruht (1)

nach all dem sedierenden medienschrott dieser tage endlich ein artikel, der ans eingemachte geht:

"Angesagt wäre eine Humanisierung, beginnend damit, dass der Mensch das negative Bild von sich selbst durch ein positives ersetzt."

die nächsten tage werde ich mehr zeit haben und mich dann ausführlich mit diesem wichtigen beitrag beschäftigen. auch mit der these, dass das selbstbild der handelnden und herrschenden völlig korrekt ist - und gleichzeitig dem rest der menschheit als projektion übergestülpt wird.

*

so, dann steigen wir doch gleich mal ein:

(...)"Bereits von seiner biologischen Anlage her ist der Mensch also ein Tier, das sich grundsätzlich nach dem ökonomischen Prinzip ausrichtet. Sein Gehirn kann als eine Art "Rechner" angesehen werden, der den eigennützigen Vorteil erkennt und die Wege zu dessen Durchsetzung ermittelt. Bekanntlich kann es dabei recht brutal zugehen. Denn das "schmutzige Geschäft der Evolution", so der amerikanische Evolutionspsychologe David Buss, habe dazu geführt, dass wir auch den Mord nicht scheuen, um einen Reproduktionsvorteil wahrzunehmen. "Wir alle sind die Nachkommen einer langen Linie von Mördern und Totschlägern. Mord steckt in uns."(...)

bereits diese zusammenfassenden aussagen, in denen komprimiert das menschenbild bestimmter soziobiologenund genetiker, aber auch von ökonomen (das da oben ist gleichfalls das auf den kern gebrachte konstrukt des "homo oeconomicus") und gewissen politischen strömungen auf den punkt gebracht wird, lassen bei auch nur rudimentärer kenntnis der bisher bekannten psychophysischen menschlichen funktionsgesetze erkennen, was der vermutliche hintergrund solcher wahrnehmung ist:

der vergleich mit dem tier ist zwar meiner meinung nach sachlich nicht komplett falsch (wir tragen evolutionsgeschichtlich ein tierisches erbe in uns), wird allerdings in dem obigen kontext zwangsweise zu einer assoziation mit einer bestimmten spezies unter den tieren führen: den raubtieren. bezeichnenderweise hat von denjenigen, die sich dieser metapher bedienen, i.d.r. niemand zb. irgendwelche sanften pflanzenfresser im sinn.

das eingeführte "ökonomische prinzip" ist im hinblick auf tiere nichts weiter als ein völlig arroganter anthropozentrismus, der sich quasi automatisch in einer erkenntnismässig bevorzugten position wähnt ("krone der schöpfung") und aus dieser position heraus glaubt, die eigenen (verzerrten) erkenntnisse als totales setzen zu können. die erwähnte verzerrung liegt dabei z.t. auch darin begründet, dass das wort ökonomisch in der fraglichen weltsicht letztlich nur als synonym für "eigennutz" verstanden wird.

das gehirn ist bei weitem nicht mit einem "rechner" zu vergleichen, sondern ist primär ein körperorgan, welches mit anderen körperorganen in ständiger interaktion steht und dabei zwar in gewissem sinne koordinierende funktionen erfüllt, aber deshalb nicht in einer wie auch immer geformten hierarchischen konstruktion gedacht werden darf - schon deshalb nicht, weil es keineswegs das einzige neuronale zentrum ist, welches existiert - stichwort
enterisches nervensystem.

das kopfhirn ist untrennbar mit den sinnlichen wahrnehmungen des gesamten körpers verbunden und zu seinem gesunden funktionieren - auch und gerade hinsichtlich der sog. rationalen vernunft - bspw. auf propriozeptive, kinästhetische und allgemein emotionale wahrnehmungen als basis des vernunftsprozesses angewiesen.

bei dem erwähnten "rechner" handelt es sich also keinesfalls um "das" gehirn "an sich", sondern um eine begrenzte funktion für speziell - und in diesem fall liegt das kritisierte modell vermutlich richtig - bedrohliche und potenziell traumatische situationen, und zwar prä-, peri- und postnatal. also tatsächlich ein überlebensmechanismus, der funktional selbstverständlich auf eigennutz gepolt ist (und es für die erfüllung seiner funktion auch sein muss). in diesem blog wird diese funktion auch als
objektivistischer modus bezeichnet - ein spezifischer wahrnehmungszustand, in dem zugunsten einer extrem beschleunigten und extrem reduzierten situativen wahrnehmung v.a. die sonst prägenden körperwahrnehmungen und damit assoziierte emotionen quasi "abgeschaltet" werden, bis das bedrohliche problem für das subjekt gelöst ist. ich habe im verlinkten beitrag in elf punkten die meiner meinung nach entscheidenden merkmale des objektivistischen modus zusammengefasst - bitte lesen Sie´s nochmal, weil es für das verständnis meiner weiteren ausführungen wichtig ist.

wenn der objektivistische modus aus was für gründen auch immer innerhalb eines menschen auf dauer "geschaltet" ist und sich in einer wahrnehmungsmässigen monopolposition befindet, so lässt sich das aus vielen guten gründen als pathologisch, d.h. in ernstem sinne krankheitswertig, begreifen. betroffen ist in diesem falle immer die körperbasierte subjektivität eines menschen; die entsprechenden symptome lassen sich allgemein unter der rubrik beziehungskrankheiten erfassen. extreme beispiele, bei denen dieser modus fast materiell greifbar wird, sind zb. die kleine gruppe der autistischen
savants (der erste teil des beitrags), aber ebenfalls - und gesellschaftlich relevanter - diejenigen, die sich als soziopathen begreifen lassen, und bei denen sich auch signifikante neurophysiologische veränderungen finden - fatale veränderungen, die u.a. eine fast völlig ausfallende angstwahrnehmung sowie empathieunfähigkeit mit sich bringen. beides übrigens zustände, die im falle des falles einen mord aus "überlebensgründen" tatsächlich leichter machen. wenn der objektivistische modus allerdings pathologisch das geschehen beherrscht, so werden ständig situationen als bedrohlich interpretiert, die real gar nicht bedrohlich sind - das ist der hintergrund für latent und manifest paranoide wahrnehmungszustände, wie sie in konstrukten des "ständigen konkurrenzkampfes", "aller gegen alle", und dem angeblichen "gesetz des dschungels" deutlich ausgedrückt werden - alles angeblich "natürliche" bedingungen, die letztlich auch der kapitalistischen ökonomie ideologisch zugrundeliegen. und auch der "evolutionären sicht", die da lautet: "Wir alle sind die Nachkommen einer langen Linie von Mördern und Totschlägern. Mord steckt in uns."

das ist historisch betrachtet leider noch nicht mal falsch - einerseits. andererseits unterschlägt eine derartige sichtweise die tatsache, dass die mörder und totschläger nicht vom himmel gefallen sind, sondern primär das resultat kollektiver und individueller pathologischer sozialstrukturen sind. das lässt sich u.a. durch die psychotraumatologie verifizieren. und damit wird die ganze geschichte veränderbar und bleibt keinesfalls als angeblich unverrückbare natürliche konstante in stein gemeisselt auf alle ewigkeit bestehen. denkfaulheit bzw. -unwilligkeit ist neben allem anderen ebenfalls etwas, was sich sozialdarwinisten und kapitalismusprediger als kritik gefallen lassen müssen.

(...)"Warum gibt es angesichts dieses negativen Menschenbildes aber dennoch so etwas wie Selbstlosigkeit, Liebe und zwischenmenschliche Solidarität? Weshalb helfen sich Menschen gegenseitig, weshalb opfern sie sich sogar in gewissen Situationen für einander auf? Die Antwort der Soziobiologie lautet: Sie tun es aus Eigennutz. Altruismus ist eine raffinierte Form von Egoismus, Selbstlosigkeit im eigentlichen Sinne gebe es nicht.

Dabei stellt sich freilich eine moralische Frage. Sollen wir uns aufgrund dieser genetischen Programmierung möglichst skrupellos und egoistisch benehmen und notfalls auch zum Mord schreiten, falls es uns auf Grund unserer Berechnungen nützlich zu sein scheint? Nein, so lautet die Antwort, Menschen hätten durchaus die Möglichkeit, sich moralisch zu verhalten und nicht unbedingt wie Chicago-Gangster - aber irgendwie natürlich sei es doch."(...)


wuah, wieder mal die moral - dazu
zitiere ich mal selbst:

"moral wird in gesellschaften immer dann gefordert, wenn die selbstregulationsfunktionen individuell und kollektiv bereits so geschädigt sind, dass ein konstruiertes soziales korsett - und nichts anderes stellt eine aufgepfropfte moral dar - als handlungsleitend eingesetzt werden soll."

dementsprechend wirkungslos stellen sich moralische postulate in der realität dar, weil sie schlicht keine verankerung in der psychophysischen struktur eines menschen - die das handeln bestimmt - besitzen. darum erzeugt der nachsatz des obigen absatzes aus dem "freitag" - "aber irgendwie natürlich sei es (sich zu verhalten wie ein verbrecher) doch" - auch sofort eine atmosphärische zwiespältigkeit derart, dass viele menschen dem mit einiger wahrscheinlichkeit klammheimlich zustimmen. was aber lediglich ein indiz unserer kollektiven verkorksheit darstellt.

ganz großes kino ist natürlich die behauptung, altruismus sei nichts weiter als getarnter egoismus - dementsprechend sind also menschen, die ihre kraft, zeit, materiellen ressourcen und vielleicht gar ihr leben für andere einsetzen, die größten egoisten. solche grotesken fehlwahrnehmungen und -schlüsse ergeben sich aus dem funktionsgemäßen diesbezgl. blinden flecken des objektivistischen modus, der die zutiefst subjektiven handlungsmotivationen aus liebe und empathie heraus schlicht nicht wahrnehmen kann, weil er dafür überhaupt nicht gedacht und "gebaut" ist. wer ernsthaft diese these des "getarnten egoismus" vertritt, befindet sich strukturell in der gleichen situation wie ein farbenblinder, der unbedingt ein gemälde von bspw. franz marc interpretieren möchte - es geht einfach nicht, weil entscheidende informationen fehlen bzw. verzerrt wahrgenommen werden.

eine einschränkung möchte ich dabei machen, weil ich mir eine situation vorstellen kann, in der diese these tatsächlich im weitesten sinne zutrifft - j. e. mertz hat das in folgenden worten ausgedrückt:

"Es sind hier, um es einmal ganz unmißverständlich auszudrücken, ausschließlich situative Zufälle, nämlich die günstigen Gelegenheiten oder externalen Kontrollmechanismen der jeweiligen historischen Situation, die aus ein und derselben Als-Ob-Person beispielsweise einen weithin respektierten Moraltheologen oder einen begnadeten Folterer machen. Bei entsprechender Intelligenz und persönlichem Geschick ist auch ein völlig reibungsloser Wechsel von einem zum anderen möglich."(...)

(das ganze zitat sowie die quelle befinden sich
hier im text)

anders: simulativ geschickte soziopathen (als-ob-persönlichkeiten) können vorgeben, aus liebe und empathie heraus zu handeln, wenn es ihrem situativ gültigen objektivistischen kosten-nutzen-kalkül als vorteilhaft erscheint. das ist der einzige fall, in dem die gleichung "egoismus" (wobei ich mich frage, ob sich das noch als egoismus bezeichnen lässt) = (simulierter) "altruismus" aufgeht - und nicht zufällig stammt dieser einzige fall aus der (zugespitzt) soziopathischen (über-)lebenswelt.

weiter im artikel:

"In den meisten Kulturen, nicht zuletzt in der christlich geprägten, sind Altruismus, Solidarität und soziale Gerechtigkeit seit Jahrtausenden tief verankerte Leitwerte. Ihnen wurde keineswegs immer entsprochen, aber man war der Auffassung, der Mensch sei zumindest seinem Wesen nach fähig, solchen Werten nachzueifern.(...)

Der verstorbene neoliberale Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek hat derartige Ideen, sofern sie auf Wirtschaft und Politik übertragen werden, - insbesondere die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit - als "Atavismen" kritisiert. Atavismen sind entwicklungsgeschichtliche Überbleibsel aus einer früheren Epoche der biologischen oder kulturellen Evolution. Vor Jahrtausenden haben die Menschen in kleinen Horden, Sippen und Familienverbänden gelebt. Damals sei der Gedanke eines bewusst betriebenen sozialen Ausgleichs, etwa die Verteilung der Jagdbeute unter Gleichheitsgesichtspunkten, für das Überleben noch sinnvoll gewesen. Unterdessen habe sich aber ganz ohne Lenkung und Planung der Menschen eine "spontane Ordnung" herausgebildet: die freie kapitalistische Marktwirtschaft. In ihr sei das Streben nach sozialer Gerechtigkeit schädlich, denn es verhindere den wirtschaftlichen Gesamterfolg, der nur durch eigennützige Individuen und rationale Nutzenkalkulierer vorangetrieben werden könne."(...)


die ideen von
hayek lassen sich komprimieren im folgenden...

"...Zitat aus einem Interview, das von Hayek in Chile gab, um seinen Freund Milton Friedman zu unterstützen, der vom Diktator Pinochet beauftragt worden war, den Neoliberalismus eins zu eins umzusetzen:

`Eine freie Gesellschaft benötigt moralische Bestimmungen, die sich letztendlich darauf zusammenfassen lassen, dass sie Leben erhalten: nicht die Erhaltung aller Leben, weil es notwendig sein kann, individuelles Leben zu opfern, um eine größere Zahl von anderen Leben zu erhalten. Deshalb sind die eigentlichen wirklichen moralischen Regeln diejenigen, die zum *Lebenskalkül* führen: das Privateigentum und der Vertrag."


das ist ein auszug aus einem interview in der chilenischen zeitung "el mercurio" vom 19. april 1981, zitiert nach dem buch
Solidarisch Mensch werden, s.35. die autoren merken dazu auf seite 36 an:

(...)"Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass diese Aussage im Blick auf die Wirklichkeit mit einer impliziten Lüge beginnt. Im ersten Satz ist nämlich die Aussage enthalten, dass es in dieser Welt nicht genug für alle zum Leben gibt und darum ein Lebenskalkül nötig ist, das entscheidet, wer leben darf und wer geopfert werden muss."(...)

und sie widersprechen dieser lüge mit dem hinweis auf viele empirische studien darüber, dass bspw. der welthunger nicht ein problem des realen mangels an, sondern der verteilung von nahrung ist. dazu ließe sich hinzufügen, dass beim (über-)fälligen verzicht der bevölkerungen der westlichen welt global gesehen nicht nur die nötige grundversorgung aller menschen hinsichtlich nahrung, gesundheit und wohnen absolut gewährleistet wäre, sondern auch ein - wenn auch insgesamt bescheidener ausfallend als heute, was aber ebenfalls wünschenswert ist - allgemeiner wohlstand möglich wäre.

jetzt aber zu ihrer hauptkritik:

"Dann aber folgt die Ungeheuerlichkeit: Nur diejenigen Menschen, die über Privateigentum und Vertragsfähigkeit verfügen - also auch die, die ihre Arbeitskraft verkaufen können - haben ein Recht auf Leben. Alle anderen können prinzipiell geopfert werden. Denn Privateigentum und Vertrag sind die Grundelemente des kapitalistischen Marktes, der total gilt und dem man sich religiös demütig unterwerfen muss, wie von Hayek an anderer Stelle sagt. Hier sagt er: Diese Totalität des Marktes, dem individuelles Leben geopfert werden muss, ist die einzige Moral. Es geht hier wohlgemerkt nicht um das persönliche Gebrauchseigentum, das jeder Mensch zur Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse braucht, sondern um das Eigentum, das zwecks Reichtumsvermehrung in den Markt eingebracht wird. Hier zeigt sich, dass (...) der fundamentalistische Neoliberalismus letztlich zynischen Charakter hat: Um der Reichtumsvermehrung der Eigentümer willen sollen andere Menschen - in Wirklichkeit die Mehrheit der Weltbevölkerung - geopfert werden."(...)

bemerkenswert ist hier nicht nur die durchschimmernde quasireligiöse stellung, die der totale markt und die totale privatisierung von allem und jedem in dieser gedanklichen geisterbahn des von hayek einnehmen; bemerkenswert ist aus meiner perspektive v.a. wieder der deutlich sichtbare objektivismus, wie er sich in der totalitären form des konstrukts "privateigentum" ausdrückt. erstens ist das bei betrachtung aller bisher existierenden kulturen auf dem planeten keinesfalls etwas "natürliches", schon gar nicht, wenn es sich um zb. um wasser, wälder und land handelt, dessen inbesitznahme als "privateigentum" vor allem bei vielen indigenen kulturen sinnbildlich zu verständnislosem kopfschütteln führen würde bzw. geführt hat. zweitens aber: wie ich in der vergangenheit hier schon umrissen habe, liegt meiner meinung nach die eigentliche basis der konstruktion von "privateigentum" in der pathologischen ich-struktur, die wir uns in der westlichen welt als "normal" zu betrachten angewöhnt haben - eine ego-struktur, die sich vor allem in der wahrnehmungsmässigenspaltung zwischen kopf & körper ausdrückt. genauer: ein virtuelles "ich", welches den kopf bewohnt, redet von "seinem" körper als besitz - und begreift nicht, dass es lediglich eine funktion dieses körpers darstellt, die ursprünglich einmal zum überleben unter traumatischen lebenumständen gedacht war (zum spezifischen wahnsinn der westlichen "zivilisation" mehr
hier.)

niemand kann real irgendetwas - und schon gar nicht irgendwen - "besitzen". wir "besitzen" real noch nicht mal "unseren" körper - oder haben Sie etwa untermietverträge zb. mit all den bakterien abgeschlossen, die uns - nein, eben nicht besiedeln, sondern aus denen wir auch bestehen, und ohne deren arbeit zb. bei der verdauung wir überhaupt nicht lebensfähig wären? besitzen Sie diese bakterien? wer "besitzt" einen baum, einen berg, einen see, einen ozean...? real niemand - oder aber: wir alle, aber auch wirklich alle - incl. tiere und pflanzen.

es wäre schon ein erheblicher fortschritt, wenn wir vom "besitz" zum begriff der "zeitweiligen in-pflege-nahme" kommen würden - das würde das anrecht des bauern bspw., der mittels seiner arbeit dazu beiträgt, nahrung zu erzeugen, auf eine auch materielle anerkennung dieser arbeit (die aber eben nur ein teil des gesamten prozesses der nahrungserzeugung darstellt) keinesfalls schmälern. aber es würde uns dabei helfen, von der objektivistischen konstruktion "privateigentum" wegzukommen.

nochmals zusammengefasst: die dem kapitalismus zugrundeliegende totalität der vorstellung des "privateigentums" ist primär ein ausdruck einer schweren psychophysischen störung, einer pathologischen inneren struktur mit fließenden grenzen zu dem, was hier schon öfter als realitätstüchtige psychose bezeichnet wurde. noch kürzer:

"privateigentum" ist eine halluzination, die sich nur mittels gewalt materialisieren lässt.

*

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