nachdrückliche leseempfehlungen zu spon finden sich ja (berechtigterweise) in blogland inzwischen ziemlich selten, aber natürlich gibt es auch hier ausnahmen von der regel - und dieseressayvon harald welzer enthält so viele anregende und wichtige gedanken, das er weite verbreitung verdient:
(...)"In dem Augenblick, in dem Geschichte stattfindet, erleben Menschen Gegenwart. Soziale Katastrophen passieren im Unterschied zu Hurrikans und Erdbeben nicht abrupt, sondern sind ein für die begleitende Wahrnehmung nahezu unsichtbarer Prozess, der erst durch Begriffe wie "Kollaps" oder "Zivilisationsbruch" nachträglich auf ein eruptives Ereignis verdichtet wird.(...)
Stabilitätserwartungen an Systeme sind nicht schon dadurch gerechtfertigt, dass es ein paar Jahrzehnte gutgegangen ist. Das 20. Jahrhundert hat eindringlich vorgeführt, dass wir jederzeit mit extrem beschleunigten gesellschaftlichen Wandlungsprozessen zu rechnen haben. Und dass diese nicht immer gut ausgehen."(...)
das wochenende bietet ja etwas mehr zeit als sonst - nutzen Sie sie auch für diesen essay.
das ist nicht nur der name einerbandder frühen 1980er jahre, sondern auch eine metapher, die mittels drei worten das ganze dilemma eines konfliktes auf den punkt bringt, der durch seinen charakter wie kaum ein anderer die destruktive wucht und dynamik ständiger und sich über generationen hochschaukelnder posttraumatischer re-inszenierungen sichtbar macht.
(eine verwundete palästinensische frau nach einem israelischen luftangriff, dezember 2008;foto: amir farshad ebrahimivia wikipedia)
ein auszug aus einem inzwischen leider kostenpflichtigen artikel der nzz aus dem jahr 2006, "ein irrenhaus namens gaza":
(...)"Psychiater Sarraj fürchtet, das Umfeld der Angst, Gewalt, Armut und Hoffnungslosigkeit werde die Generation der Bettnässer in eine von «Gorillas» verwandeln. Er spricht vom Konflikt als einer Psychopathologie, von Israel und Palästina als psychisch kranken Patienten. Der israelische Patient sehe sich immer noch als Opfer, das keine Versöhnung durchlebt habe und deshalb in all seinen Handlungen von Angst getrieben werde. Der palästinensische Patient bleibe gefangen in Gedanken von Widerstand und Vergeltung. Doch das Schicksal der Menschen liegt nicht in den Händen von Psychiatern, sondern von Politikern. Diese waren bisher unfähig, Heilung und Versöhnung zu bringen. Wer hat je das Leid des anderen anerkannt?"(...)
"Wie viele psychisch krank sind und wie ihre Krankheiten heissen, weiss niemand so genau. Statistiken verzeichnen eine Anhäufung von Borderline-Persönlichkeiten, emotional instabilen Personen, die ein zerrüttetes Selbstbild aufweisen und sich nicht mehr in die Gesellschaft integrieren können. Eine Studie des Gaza Community Mental Health Programme stellt fest, dass über 70 Prozent der Kinder an PTBS leiden und knapp 100 Prozent Symptome davon aufweisen: Albträume, Flashbacks, emotionale Stumpfheit, Gleichgültigkeit, Konzentrationsstörung, Schreckhaftigkeit, Angstzustände, Schlaflosigkeit, Depression, manchmal Panik- oder Aggressionsattacken und Bettnässen. Wer Geld hat, kauft Tabletten: Schlaftabletten, Beruhigungstabletten. Man klagt, aber man spricht nicht über psychische Krankheiten. Wenige suchen Hilfe bei einem Psychiater. Wäre das nicht ein Geständnis, dass einen der Besatzer in die Knie gezwungen hat? Ein Eingeständnis von Schwäche in einer Zeit, in der man stark sein muss, in einer Gesellschaft, in der man stigmatisiert würde? Und welche Behandlung ist gut genug, um Wunden zu heilen, die mit jeder Bombe, jedem Angriff erneut zu eitern beginnen?"(...)
und anläßlich der innerpalästinensischen kämpfe im jahre 2007 ergänzte ein anderer psychiater in eineminterview:
(...)SPIEGEL ONLINE: Was für Auswirkungen hat solch ein Bruderkrieg auf eine Gesellschaft?
Sarradsch: Solche Ereignisse sind extrem schmerzhaft, sie schaffen sehr viel Hass und Rachegelüste. Lang anhaltende Gewalt führt zu einem Phänomen, das wir Psychiater chronische soziale Vergiftung nennen. Die Menschen werden weniger sensibel und rational, dafür impulsiver und hemmungslos. Neue Gruppen außerhalb des Familiengefüges bilden sich, reißen Macht an sich und laufen aus dem Ruder. Sie werden zu unantastbaren Herren über Leben und Tod, das zieht viele an, die anderswo keine Chance haben.
: Das sind Prinzipien, die überall auf der Welt auf Gangs oder Mafia-Familien zutreffen. Funktionieren die islamistischen Gruppen im Gaza-Streifen genau so?
: Die islamistischen Gruppen im Gaza-Streifen sind einen Art Vater mit dem heiligen Buch in der Hand. Jeder kann Fatah-Mitglied werden, aber um der Hamas beizutreten, muss man ein neuer Mensch werden. Das ist ein Prozess, der Jahre dauert, mit Prüfungen und Initiationsriten, bis man einen neue Identität angenommen hat. Strikte Disziplin schafft endlose Loyalität. Das ist der erste Schritt dazu, ein Selbstmordattentäter zu werden.
: Anhaltendes Trauma schafft Gewaltbereitschaft. Lässt sich das auch auf Israel anwenden?
: Sicher. Israel gilt als das beste Beispiel dafür, dass sich ein Volk mit dem Aggressor identifiziert und dessen Machtposition einnehmen möchte. Der Effekt des Holocausts auf die jüdische Gesellschaft war unendlich dramatisch und wurde nie richtig aufgearbeitet. Daraus ist eine echte klinische Paranoia entstanden: "Töte deine Feinde bevor sie dich töten". Leider zahlen wir Palästinenser den Preis dafür.
: Die Bevölkerung im Gaza-Streifen ist schlimmes gewöhnt. Wird sie sich rasch von den jüngsten Kämpfen erholen?
: Ich fürchte Nein. Diese Zusammenstöße, die Brutalität, mit der sie sich gegenseitig abgeschlachtet haben, das hat ein länger anhaltendes Trauma geschaffen. Die Schäden an der geistigen Gesundheit der Menschen werden immer schlimmer, wir kommen nicht mehr dagegen an."(...)
und in diesem zusammenhang sollte auch der hinweis auf die psychophysischenquellen des islamistischen fundamentalismus, wie er zb. in gestalt der "hamas" auftritt, nicht fehlen.
*
beim ganzen thema geht es mir weiterhin so, wie ich es indiesemalten beitrag schon einmal schrieb:
"ich muß dabei ehrlich gestehen, dass es mich regelrecht überwindung kostet, mich an das knäuel von ineinander verschlungenen dynamiken zu wagen, die sowohl den israelisch-palästinensischen als auch den umfassenderen sog. westlich-islamistischen konflikt kennzeichnen. mein überdruß rührt dabei vor allem aus der hemmungslosen instrumentalisierung der realen - vergangenen und aktuellen - opfer her, die sich sowohl bei allen direkt beteiligten seiten als auch bei denen finden lässt, die sich - aus eigenen und durchaus fragwürdigen motiven, wie ich finde - in diesen konflikten gerade in d-land unbedingt positionieren wollen."
der gleiche beitrag enthält auch den versuch, die quellen des aktuellen israelischen handelns nachzuvollziehen - denn trotz aktueller motivationen der heutigen protagonisten ist die mobilisierung größerer kollektive zu kriegerischen aktionen immer auf die aktivierung von deren untergründigen reservoirs an wut, ängsten sowie paranoiden feindbildkonstruktionen angewiesen, die durch aktuell reale destruktivität nicht nur immer wieder getriggert, sondern noch erweitert und neu "gefüllt" werden.
(ein getöteter israelischer mann nach einem hamas-raketenangriff ende dezember 2008;foto: amir farshad ebrahimivia wikipedia)
abschließend kann ich im angesicht des ganzen trostlosen szenarios nur ein ebenfalls schon älteresvorläufiges fazitwiederholen, dessen unzulänglichkeiten mir allerdings heute noch deutlicher bewusst sind als damals:
"im nahen osten ist live und seit jahrzehnten eine spirale der gegenseitigen und generationenübergreifenden re-traumatisierung zu beobachten, die - realistisch betrachtet - nur durch eine massive intervention von außen, mit anschließender - vorläufiger - trennung und entwaffnung der kontrahenten sowie isolierung der am extremsten agierenden gruppen auf beiden seiten - betrifft zb. die klar islamistischen fraktionen genauso wie auch die religiös motivierten jüdischen siedler - gestoppt werden könnte. parallel zu diesen maßnahmen müsste dann in allen beteiligten gesellschaften besonderes gewicht auf die entwicklung ziviler strukturen / entmilitarisierung gelegt werden, zu denen neben einer gesicherten grundversorgung besonders bildung und auch ein breites angebot von traumaspezifischen therapeutischen strukturen gehören würde - letzteres ist meiner meinung nach unverzichtbar, um die wesentlichen quellen des konfliktes mittel- und langfristig aufzulösen.
wer die erwähnte massive intervention von außen allerdings durchführen sollte, ist das erste große problem - realistisch ist da eigentlich nur die uno zu nennen, und zwar ohne beteiligung der usa/nato einerseits (besonders d-land hat - als durch die geschichte mitverantwortliche konfliktursache - dort nichts zu suchen), aber auch ohne russland und china. und damit wird´s dann schon wieder unrealistisch. ich bleibe aber dabei, dass bis auf weiteres das oben grob skizzierte szenario dasjenige mit der größten wahrscheinlichkeit darstellt, den ewigen krieg tatsächlich zumindest wirkungsvoll behindern zu können."
es fehlt weiterhin an einer weltweit anerkannten, tatsächlich neutralen, aber mit allen opfern parteiischen instanz, die sowohl den willen als auch die mittel besitzt, in solchen konflikten wirkungsvoll zu intervenieren. und das stellt nicht nur in diesem fall eine schmerzhafte lücke dar.
na, alles überstanden? die diversen räusche, von denen offensichtlich auch die offiziellenneujahrsansprachennicht unbeeinträchtigt geblieben sind? was bleibt, ist wie üblich ein haufen müll und ein grandioser kater, der ganz im gegensatz zu früheren jahren jedoch zudauerkopfschmerzenzumindest bei all jenen führen wird, die sich auf die salbungsvollen worte aus den schaltzentralen der macht verlassen:
"In einem Gastkommentar schreibt Nouriel Roubini, dass das Jahr 2009 noch schlimmer als erwartet werden wird. Der Professor für Ökonomie an der Stern School of Business der New York University meint, nachdem die Finanzmärkte 2008 ihre schwerste Krise seit der Großen Depression der 30er-Jahre erlebt haben, würden die USA mit Sicherheit auch die "schwerste Rezession" erleben. Sie erwartet einen tiefen Abschwung, der etwa 24 Monate über das Jahresende 2009 hinaus anhalten werde. Die gesamte Weltwirtschaft werde entgegen der Prognosen von Weltbank und IWF schrumpfen, kündigt er an: "Die Schwellenmärkte drohen hart zu landen, da über Handels-, Finanz- und Währungsverbindungen Schocks in den Industrieländern an sie weitergegeben werden."(...)
und dasschrumpfenwird tatsächlich zu einer allgemeinen beschäftigung, die auch hierzulande zu besichtigen ist:
(...)"Der aktuelle Einkaufsmanagerindex zeigt, dass die komplette Industrie ihre Produktion massiv zurückfährt - und auch bei Unternehmen in anderen Staaten der Euro-Zone stehen die Zeichen auf Abschwung.(...)
Die Industriefirmen haben den Experten zufolge mit massiven Überkapazitäten zu kämpfen und bauten deswegen Arbeitsplätze ab. Jede vierte Firma habe angegeben, Stellen gestrichen zu haben, hieß es. Besonders bei den Herstellern von Investitions- und Vorleistungsgütern sei es wiederum zu Entlassungen gekommen."(...)
nein, man muss nicht wirklich zum apokalyptiker werden, um die offiziellen beruhigungspillen und notorischen schönrednereien inzwischen als realitätswidrige belästigungen und beleidigung der eigenen intelligenz und intuition zu empfinden - es reicht einfach, sich dierealen verhältnissezu betrachten:
"Ein Stückchen Hoffnung suggerierten die letzten Tage im alten Jahr an den Aktienmärkten. Die Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten sind jedoch enorm, wir haben erst einen Anfang beim Abbau von Spekulationsblasen und den destruktiven Kräften einer totalen Verschuldungskrise gesehen! In der Summe dürfte die Auslöschung von virtuellen Vermögen an den Finanzmärkten und deren Auswirkungen auf die Realwirtschaft bereits irreparabel sein!(...)
Liquiditätsprogramme, Nothilfen und Kreditgarantien werden zwar die drohende Insolvenz des Bankensystems vorerst abwenden, aber nachhaltig wirksam wären sie nur, wenn es gelänge die Geschäftsfelder und damit den Umsatz der Banken zu reaktivieren bzw. neue wenn möglich noch größere Spekulationsblasen zu erzeugen und daraus Gebühren und Provisionen zu generieren. Ein unwahrscheinliches Szenario. Übrig bleiben wird nur ein Zeitgewinn!"
"zeitgewinn" dürfte aus sicht der "eliten" tatsächlich diejenige art von gewinn sein, die derzeit am nötigsten ist - müssen sie sich doch auf szenarien wie die folgenden vorbereiten -griechenland lässt grüßen:
"In der Silvesternacht hat eine Gruppe von bis zu 1.000 Menschen die Polizeiwache im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg angegriffen. Zunächst hätten rund 500 Menschen in der Schönhauser Allee einen Streifenwagen mit Feuerwerkskörpern beworfen und Fenster einer Straßenbahn zerstört, wie Polizeisprecher Frank Millert heute in Berlin sagte.
Die Gruppe sei später auf bis zu 1.000 vor allem junge Menschen angewachsen, die auf das Polizeigebäude losgingen."(...)
das ist aus meiner sicht recht ungewöhnlich - die obligatorische, rituelle und alkoholgetränkte silvesterrandale an vielen orten ist das eine, aber ich kann mich tatsächlich nicht an einen angriff auf eine polizeiwache erinnern. um die zu erwartenden konsequenzen einer solchen aktion in kauf zu nehmen oder aber sie für den moment einfach als egal zu empfinden, müssen sich, selbst die wirkungen von alkohol berücksichtigend, sowohl etliches an zur aggressiven entladung drängenden gefühlen aufgestaut als auch diverse hemmende ängste bei den beteiligten reduziert haben. und ich glaube, dass diese konstellation bei größeren menschenmengen im verlaufe des jahres noch öfter zu beobachten sein wird - und zwar nicht nur in europa.
mit der gleichen skepsis - aber auch unter anderen bedingungen - wie die namenlose migrantische frau in kalifornien 1936, während der großen depression, blicke wahrscheinlich nicht nur ich ins nächste jahr. persönlich könnte es so prekär werden wie selten zuvor, und gesellschaftlich - dito.
ich wünsche darum allen leserInnen heute vor allem eines: gesundheit, und zwar in jeder nur denkbaren hinsicht. und ansonsten bleiben mir vor allem diebotschaftenaus der griechischen revolte präsent:
"Eine Loslösung von dem Warten auf andere Tage, zu einem Punkt, an dem so viele gleichzeitig dachten: „Das war es, kein Schritt weiter, alles muss sich ändern, und wir werden es verändern.“
in diesem sinne lesen wir uns im nächsten jahr - und sehen uns auf den straßen, in den läden, den betrieben...
(...)"Der Angestellte der Sicherheitsfirma, der am Eingang der Deutschen Bank am Marienplatz steht, überblickt nicht nur das Gewusel in der Filiale. Seine Firma macht Sicherheitslogistik für Filialen mehrerer Banken in München, und er sagt: „Es wird vermehrt abgehoben. Das ist in allen Filialen so.“ Und bekräftigt: „Die Leute heben große Mengen Geld ab.“(...)
diese info zitierte ich anfang oktober, genauer am 7.10. nun kommt eine artbestätigungdafür, die schlaglichtartig einiges deutlicher werden lässt:
(...)"Die Rede ist von Kernschmelze, Flächenbrand, Abgrund. Ist es wirklich so schlimm? Michael Best, Leiter der ARD-Börsenredaktion, erinnert sich: "Ende September, Anfang Oktober wurden die 500-Euro-Scheine knapp. In der Schweiz begannen sie 1000-Franken-Scheine nachzudrucken." Bis am 5. Oktober die Bundesregierung die improvisierte Erklärung abgibt und alle Spareinlagen der Bürger im Wert von 1500 Milliarden Euro garantiert. "Das half und zwar sofort", sagt Best.
In Windeseile schnürt die Bundesregierung ein Multimilliarden-Rettungspaket für die Banken, die Parlamentarier beraten die Nacht durch. Eile ist geboten, eine deutsche Großbank, die Hypo Real Estate, ist im freien Fall. "Wir standen am Abgrund, vor dem Kollaps der Geldwirtschaft. Ein paar Tage noch und man hätte keine Geldscheine mehr aus dem Automaten bekommen", sagt Best. "Nur der Staat konnte noch helfen und die Notenbanken."(...)
diese worte lassen all das gerede der notorischen optimisten und schönfärber erstens als die durchhalteparolen kenntlich werden, die sie sind.
zweitens, und das halte ich für bedeutsamer: es bleibt tatsächlich nur der schluß zu ziehen, dass ein - "rechtlich", also juristisch, völlig irrelevantes - versprechen seitens der regierung, dessen einlösung real den staat an seine finanziellen grenzen führen würde, als massensedierung gewirkt hat - letztlich eine art der fiktion, die auf reinem glauben beruht. das nun bestätigt aus meiner sicht etliches, was ich in den krisennews zum psychophysischen zustand eines großteils der hiesigen bevölkerung angesichts der krise geschrieben habe.
drittens aber: was unterscheidet die heutige ökonomische situation eigentlich qualitativ von der damaligen? der fortgang des allgemeinen geldverkehrs mag vorläufig gewährleistet sein, und wenn man sich klar macht, das ein (massiver) bank run als wahrscheinlichste folge einen sofortigen zusammenbruch des finanzsystems nach sich ziehen würde, ist die strategie der "eliten" vom oktober schon klar - das zumindest musste aus deren sicht auf alle fälle verhindert werden. ich sehe hingegen nicht, dass sich die ökonomischen fundamentaldaten grundsätzlich verändert haben, d.h., veränderung ist schon zu beobachten, aber fast durchgängignegativer art - zumindest aus systemstützenden perspektiven.
viertens: ganz offensichtlich haben damals die (mainstream-)medien bei der verschleierung der tatsächlichen lage mehrheitlich mitgeholfen. das mögen nun einige wieder als "politische verantwortung" oder ähnlichen phrasen sogar positiv bewerten. ich werte es hingegen als weiteres zeichen dafür, dass sich die sog. "vierte gewalt" im zweifelsfall immer an der seite der macht wiederfindet. was zwar auch keine neue erkenntnis darstellt, aber eine, die permanenter wiederholung bedarf.
mein vorläufiges fazit insgesamt: es besteht absolut kein grund mehr dazu, den (regierungs-)offiziellen politischen statements zur krise auch nur ansatzweise über den weg zu trauen. vor allem dann nicht, wenn sie die fiktion von "es-ist-alles-in-bester-ordnung" verbreiten.
*
nachtrag/edit am 31.01.09: zeitlich perfekt passt das indiesembeitrag erwähnte treffen von regierung und mainstreampresse ins szenario, welches am 08.10. stattgefunden haben soll - und die presse ist der "bitte" augenscheinlich nachgekommen, natürlich nur aus "staatsbürgerlicher verantwortung."
wenn man sich in diesen tagen quer durch den mainstream von print- und onlinemedien arbeitet, so ist die polarisierung im angesicht des kommenden jahres 2009 nicht zu übersehen - während auf der einen seite wahlweise bilder von scharfkantigen eisbergen, unermesslichen abgründen und verheerenden großbränden dominieren (die durch die krise generierten bilder werden hoffentlich in bälde einmal von psychohistorikern näher betrachtet werden), lässt sich die verfassung der anderen seite auf einen begriff bringen: "crisis? what crisis?" und allerhöchstens wird eine - inzwischen immerhin von "klitzeklein" auf "etwas größer" mutierte - rezession zugestanden, nach der aber "alles wieder so sein wird wie vorher".
letzteres lässt sich mit halbwegs funktionierenden wahrnehmungsfähigkeiten nur als drohung begreifen. weiter mit dem zwang zum exponentiellen wachstum, weiter mit der umverteilung von unten nach oben, mehr konsum, mehr straßen, mehr autos, mehr müll. und vor allem mehr psychophysisches elend bei der ungebremsten expansion der dingwelt. das ist nicht nur der wunsch der "eliten", sondern auch derjenige ihrer medial sedierten und konsum als sinnstiftend empfindenden braven untertanen, für deren idealtypische form das wort "ich-ag" die am treffendsten auf den punkt bringende metapher darstellt. unfähig, sich alternativen auch nur vorzustellen, werden ihnen entweder grenzen gesetzt werden müssen - oder sie werden die real vorhandenen grenzen ihrer irregeleiteten form des versuchs zu überleben an mehr und mehr stellen erreichen und sich blutige köpfe holen.
hinsichtlich der weltwirtschaftskrise sieht diese mischung aus wahrnehmungsunfähigkeiten und fiktionalen wünschen aus offiziellem munde dann zb.soaus:
(...)"Bundesfinanzminister Peer Steinbrück zeigt sich optimistisch: Der SPD-Politiker sieht positive Anzeichen, dass Deutschland ohne großen Schaden aus der Finanzkrise hervorgeht. "Es gibt zum Glück auch positive Entwicklungen", sagte er der "Neuen Presse". "Die Benzinpreise gehen zurück, der Wechselkurs hilft der Exportindustrie. Die Inflation ist gesunken. Die real verfügbaren Einkommen steigen. Die Rentenerhöhung zum Juli 2009 wird um 2,5 Prozent höher als in den Vorjahren ausfallen. Es gibt keine Immobilienblase in unserem Land. Deutschland hat die Kraft, die Krise zu bewältigen. Auch wenn das ein schweres Stück Arbeit für uns alle wird", zeigte sich der Finanzminister optimistisch."(...)
ja, es ist eine beleidigung für pippi langstrumpf, wenn Ihnen an dieser stelle der zugehörige titelsong in den kopf kommen sollte. immerhin hatte pippi einen gesunden kontakt zur realität, die sie in ihrem sinne auf den kopf stellte. steinbrück jedoch scheint sich - stellvertretend für viele andere seiner klasse - in einer art parallelwelt zu befinden:
"Die Benzinpreise gehen zurück,..." - was sich selbst mit nur einem fitzelchen verständnis für ökonomische zusammenhänge primär als zeichen für die wucht der krise begreifen lässt (besonders auch bei betrachtung der nichtvorhandenen auswirkungen der förderreduzierung der opec). und ebenfalls bleibt der fakt, dass eine hypothetische reanimation der westlichen art des kapitalismus sofort vor dem hintergrund von peak oil den ölpreis explodieren lassen würde.
"...der Wechselkurs hilft der Exportindustrie." selbst billige maschinen und anlagen werden woanders nicht mehr gekauft werden, wenn ganze industrien den geist aufgeben. und das es gegenwärtig so gut wie keine kredite für investitionen gibt - ein durchaus globales phänomen - ist ihm auch nicht aufgefallen.
"Die Inflation ist gesunken." was sich eben derzeitig genausogut als indiz für eine deflationäre entwicklung begreifen lässt.
"Die real verfügbaren Einkommen steigen." na steinbrück, gehen Sie doch mal in eines der städtischen ballungsgebiete mit vielen erwerbslosen und tröten diesen spruch dort in der gegend herum. auch die vielen teilzeitjobber und zeitarbeiterInnen freuen sich bestimmt über solch frohe botschaft.
"Die Rentenerhöhung zum Juli 2009 wird um 2,5 Prozent höher als in den Vorjahren ausfallen." was sich bei dem für nächstes jahr zu erwartendem wandel der deflationären tendenzen zu einer inflation, die sich gewaschen haben wird, konkret wie auswirken wird?
"Es gibt keine Immobilienblase in unserem Land." was sich bezgl. büroräumen erst noch zeigen wird, wie ich glaube. ansonsten gibt´s hier zustimmung: wir haben hier primär zunächst eine blase von offiziellen simulationen und fiktionen. und wenn diese blase erstmal platzt...
"Deutschland hat die Kraft, die Krise zu bewältigen." wer oder was ist dieses "deutschland"?
"Auch wenn das ein schweres Stück Arbeit für uns alle wird." eine verklausulierte version von blut, schweiß und tränen. und fraglich ist auch, ob es wirklich uns alle treffen wird. aber vielleicht hat der minister ja auch die verteidigung der elitären pfründe im sinn, wenn er von "arbeit" redet - und das dürfte in diesem fall tatsächlich einmal zutreffend sein.
*
angesichts solch hochoffiziellem pfeifen im stockfinsteren walde bekommt nun auch der mediale mainstreambeklemmungen:
(...)"Wer sollte auch antworten? Regierung und Opposition sind ineinander verschlungen, und man weiß nicht, ob sie miteinander ringen oder sich gegenseitig trösten. Die Bundespolitik erweist sich derzeit als geschlossenes und selbstgenügsames System, von dem wenig zu erwarten ist. Aber auch alle anderen gesellschaftlichen Kräfte wirken auf sich selbst zurückgezogen. Es gibt wirklich ein deutsches Problem. Wir machen es uns gerade so richtig gemütlich miteinander. Die Stille im Lande ist nicht bloß ein Ausdruck der Jahreszeit, sie ist ein Symptom: Auf zu vielen Feldern ist das betretene Schweigen das einzig verbliebene Kommunikationsmittel.(...)
Aufklärung ist kein Wert an sich mehr und investigative Kritik ein aussterbendes Handwerk, dem nur noch das Freiluftmuseum fehlt. Nie erfolgt auf einen Skandal oder eine Krise eine Reaktion von einiger Anmut oder gar Originalität. Nie wird mehr zugestanden, als bekannt ist, nie wird das eigene Handeln in eine Geschichte gekleidet und der Öffentlichkeit dargestellt.
Sich bedeckt zu halten, sichert offensichtlich mehr Vorteile als die offene Auseinandersetzung oder gar das umfassende Geständnis. Es ist, als hätten sich die Eliten unserer einst so zivilen Republik die Maxime französischer Kardinäle aus den Zeiten vor der bürgerlichen Öffentlichkeit zu eigen gemacht: Man verlässt die Ambiguität nur zum eigenen Nachteil.
Ist auch bequemer. So bleibt auch das ganze Land schön still."(...)
auch wenn ich das als eine seltsam diffuse symptombeschreibung betrachte: die diagnosen des schweigens und der stille im angesicht des heranziehenden sturmes sind als eine aktuelle spezifisch hiesige art des wegduckens tatsächlich weit verbreitet, unterbrochen nur von den offiziellen durchhalteparolen alá steinbrück. das heisst, manchmal verirren sich auch realistischewetterberichtein die mediale öffentlichkeit:
(...)"SAP-Mitbegründer Hasso Plattner blickt für seinen Konzern pessimistisch in das neue Jahr 2009. "Schlimmer als schlechte Aussichten sind gar keine. Es herrscht totaler Nebel. Wir haben keine Ahnung mehr, wie es weitergeht"(...)
keine ahnung haben, aber dann trotzdem - oder gerade - noch die unverzichtbare prävention:
(...)"Dennoch übte Plattner auch Kritik am neuerdings kapitalismusfeindlichen Klima - speziell in Deutschland: "Es gibt so eine Stimmung im Land, dass wir Kapitalismus eigentlich gar nicht mehr wollen, sondern was anderes, Netteres. Es existiert aber nichts Besseres, trotz vieler Schwächen und Schattenseiten des Systems", sagte Plattner."
die "eliten" schießen gerade häufiger wirklich schöne eigentore: kapitalismus = nicht nett. ja, so lässt sich das flapsig auch sagen. und weil dieses unnette system gerade für immer mehr hautnah spürbar wird, muss das TINA*-prinzip zur anwendung kommen. aber auch prinzipien können abnutzungserscheinungen aufweisen.
(*"there is no alternative", margaret thatcher)
*
wie sich die krise hierzulande vorwärts frisst: drei beispiele, die immerhin auch einige lektionen über die heutigen globalen ökonomischen zusammenhänge bereithalten. oder wissen Sie, wo Ihraltpapierso landet?
(...)"Doch so jäh, wie die Bankenkrise über viele hereinbrach, so plötzlich fiel auch das Geschäft mit dem Recyclingmüll in sich zusammen. Von Oktober auf November sank der Preis um 40 Prozent, inzwischen bekommen Papierhändler nicht mehr als zehn Euro für eine Tonne. "Wir bekommen die Krise mit voller Wucht zu spüren", sagt Jörg Lacher vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung. Vor allem die plötzlich nachlassende Nachfrage aus China und Indien lasse die Preise dramatisch purzeln."(...)
sieh an, die vorzeigeländer kapitalistischer entwicklung in asien - was sogar stimmt, wenn man die aussage eingrenzt: entwicklung für ganz wenige.
nun mag altpapier für viele nicht gerade ein existenzielles gut sein, ganz im gegensatz zugetreide:
(...)"Viele Bauern in Deutschland sind in diesem Herbst wegen der Finanzkrise auf großen Teilen ihrer Getreideernte sitzen geblieben. Die Landhandelshäuser hätten den Landwirten nicht wie sonst die Ernte im großen Stil aufgekauft, weil die Kredite dafür fehlten, sagte Bauernpräsident Gerd Sonnleitner der Deutschen Presse-Agentur. "Das ist alles auf Kredit finanziert." Dabei sind die Lager weltweit so leer wie seit Jahrzehnten nicht: Dort lagern laut Sonnleitner nur Getreidereserven für etwa zwei Monate.
Erstmals hatte es heuer überhaupt wieder eine der Nachfrage entsprechende Ernte gegeben, nachdem in den Vorjahren immer wieder von den Vorräten gezehrt werden musste. "Die Versorgungslage ist weltweit knapp", warnte Sonnleitner.
Die Situation am Getreidemarkt werde sich im kommenden Jahr weiter zuspitzen. Denn wegen der - wie auch bei anderen Rohstoffen - gesunkenen Preise fehle es den Bauern an Geld für Düngemittel. „Es wird weltweit dermaßen an Düngung gespart und der Anbau von Getreide eingeschränkt, dass wir 2009 eine enorme Minderernte haben werden.“ Die diesjährige Ernte liege inzwischen vielfach immer noch auf den Höfen."(...)
was dann wiederum die stadtbevölkerung zunächst(!) nicht so interessieren mag - wer bspw. induisburglebt, sieht vor einem eventuellen brotmangel erstmal anderen sorgen entgegen:
(...)"Der Regierungspräsident hat die Regie über den städtischen Haushalt übernommen. Gestern erläuterte Regierungspräsident Jürgen Büssow den Kommunalpolitikern sein weiteres Vorgehen. Ohne seine Zustimmung darf die Stadt (mit Ausnahme der Pflichtaufgaben, die allerdings auf ihre Verpflichtung überprüft werden) kein Geld mehr ausgeben. Nach seinen Berechnungen wird die Stadt bereits 2009 ihre letzten Rücklagen aufgebraucht und bis 2012 einen Schuldenberg von fast 350 Millionen Euro aufgehäuft haben. Alle laufenden Sparbemühungen der Stadt reichen nach seinen Einschätzung nicht aus, so dass bis 2013 zusätzlich 100 Millionen Euro eingespart werden müssen – pro Jahr."(...)
mit anderen worten: duisburg hat jetzt eine art insolvenzverwalter vorgesetzt bekommen, und dessen bestrebungen lassen nichts gutes erahnen:
(...)"Gleichzeitig fordert die Bezirksregierung „kostendeckende Gebühren“ und die Anhebung kommunaler Steuern – eine Maßnahme, die bei Oberbürgermeister Adolf Sauerland auf energischen Widerstand stieß. „Gerade Unternehmen, die sich hier ansiedeln wollen und viele Arbeitsplätze schaffen, schrecken wir so wieder ab.“ So habe man auch Multi Development aus Düsseldorf nach Duisburg holen können, obwohl die Gewerbesteuer hier höher liege.
Auch die Forderung nach weiterem Personalabbau bei der Stadt stieß bei Sauerland auf wenig Gegenliebe. „Ich möchte nicht die Verantwortung für ein totes Kind übernehmen wie in Bremen, nur weil bei den Mitarbeitern für den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) gespart wird“, so der OB."(...)
und dann noch eine floskel, die uns in den nächsten jahren zu den ohren herauskommen wird:
"In Duisburg müsse man in den nächsten vier Jahren „den Gürtel noch enger schnallen und den Haushalt konsolidieren.“
vielleicht erinnern Sie sich noch an die information aus den news nr. 12, wo es hieß, dass sich 18 städte aus nrw mit einer art hilfsappell bezgl. ihrer finanziellen situation an die öffentlichkeit gewandt haben? da im obigen artikel faktisch nichts zu den gründen für den duisburger quasi-bankrott gesagt wird, drängt sich der verdacht auf, dass es sich dabei auch um die folgen des sog.cross-border-leasingshandeln könnte. in diesem fall könnte in den kommenden monaten eine neue parole ihren weg gehen: duisburg ist überall.
*
aber ach, ich höre schon einige leserInnen schimpfen - "unbegründeter pessimismus! schwarzmalerei!" okay, speziell für Sie habe ich da die mutmachendeneujahrsanspracheunserer aller kanzlerin. ähm, da muss etwas durcheinander gekommen sein - das ist authentisch und war so nicht vorgesehen. fiktionen braucht das land, aber keine fiktionale authentizität.
*
überhaupt, all dieseansprachen, die jetzt dazu auffordern, zur besinnung zu kommen:
(...)"Nicolas Sarkozy spricht davon, dass die Krise den Franzosen auch vor Augen führen könne, was wirklich wichtig sei im Leben. Der britische Premier Gordon Brown appelliert in einer Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede an die moralische "Charakterstärke und innere Festigkeit", die den Briten in Zeiten der Krise immer schon zugewachsen sei. Die deutschen Bischöfe rufen in ihren Weihnachtsbotschaften angesichts der Finanzkrise zu einer "Rückbesinnung auf nicht materielle Werte" auf. Papst Benedikt XVI. sieht in der Krise die Chance, die Werte neu zu erfahren, für die Weihnachten stehe - "Wärme, Einfachheit, Freundschaft und Verbundenheit". In Dubai übrigens predigten die Imame in der vergangenen Woche ebenfalls von einer Rückkehr zu den alten Werten, in diesem Falle freilich denen des Islams, die "Verrohung der Sitten" in Zeiten des Booms müsse einer Rückbesinnung auf das gottgefällige Leben, auf die traditionellen Werte des Islams weichen."
sollten all diese triefenden appelle tatsächlich einen realen kern enthalten?
"Der Freiraum, der hier beschworen wird, verdankt sich einer ganz substantiellen, nicht zu denunzierenden Sehnsucht. Einer Sehnsucht danach, dass der Markt sich nicht mehr als "ständiges ökonomisches Tribunal aufspreizt" (wie es Foucault schon in den siebziger Jahren formulierte), ein Tribunal, vor dem sich gefälligst all unser Handeln zu verantworten habe. Eine Sehnsucht danach, dass es ein Ende haben möge mit der ideologischen Überprägung des Kapitalismus, dem heilsbringerischen Gerede, man habe sich selbst nur endlich als Ich-AG mit enggeschnalltem Gürtel und die Gesellschaft als totales Profitcenter zu organisieren, dann werde alles gut. Eine Sehnsucht danach, so schlicht und verschwommen das klingen mag, aufrecht, weniger gehetzt durchs Leben zu gehen, frei von der Zwangsherrschaft der Arbeit.(...)
Aber wahrscheinlich steckt hinter solchen Sehnsüchten auch eine Ahnung um die zermürbenden Nebenwirkungen unserer Leistungsethik. Der Soziologe Alain Ehrenberg hat in seinem Buch "Das erschöpfte Selbst" herausgearbeitet, wie sich das freiheitliche Versprechen der Selbstverwirklichung hinter dem Rücken der so wunderbar Selbstverwirklichten schleichend in einen dämonischen Zwang verwandelte: Indem das authentische Selbst umfunktioniert wurde zum produktiven Motor all unseren Handelns, ist die Erschöpfung vorprogrammiert. "Seien Sie besonders, oder Sie werden ausgesondert!"(...)
dann wäre tatsächlich ein grundsätzlicher optimismus angesagt - falls sich zusammenhänge wie oben skizziert nicht nur in diffusen, sondern in nachhaltigen zuständen emotionaler vernunft bei vielen menschen manifestieren würden. aber das ist zur zeit nur ein wunsch. dazu kommt noch, dass es schwer zu erkennen ist, dass es sich bei den erwähnten anforderungen eher um simulationen des authentischen handelt - ein authentisches selbst zu leben, bedeutet in und für dieses system heute den größten anzunehmenden störfaktor.
*
der eine weiter oben zitierte konzernboss hat keine ahnung mehr, wie es weitergeht - aber auch waschechte bankster stochern imnebel:
„Ich verstehe selbst nicht, warum wir Banker uns immer noch kein Geld leihen.“
mysterien überall, ihr eigenes system ist ihnen vollends zum rätsel geworden. und banker wären momentan also lieber kantinenpersonal. aber wer möchte sich schon von zwielichtigen gestalten bedienen lassen?
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soweit eine eher zufällige sammlung von stimmen, stimmungen und zuständen aus diesem land, die Sie hoffentlich für ebenso aufschlußreich halten wie ich. und wie schon öfter in der reihe hier ausgeführt: wenn sich diese krise tatsächlich als grundsätzlicher und von strukturellerer art als bisherige zyklische krisen herausstellen sollte, wonach es nach meinem eindruck eben auch aussieht, bietet das ganz ernsthaft wirklich chancen und kann neue räume öffnen. auch, wenn unsere kollektiven und individuellen psychophysischen voraussetzungen dafür, diese räume positiv nutzen zu können, bei realistischer betrachtung eben nicht besonders gut erscheinen. aber ich finde die these von möglichen evolutionären spüngen in diesem zusammenhang recht tröstlich.
und vor diesem ambivalenten hintergrund abschließend ein paar blicke ins sog. ausland. zunächst die vorstellung einer wissenschaftlichen feldforschung aus den usa, die einige hinweise darauf gibt, wie eineposttraumatische ökonomiefunktionieren kann:
"Unter dem Schutz des Gangsterbosses J.T. studierte der Soziologe Sudhir Venkatesh jahrelang die Ökonomie des Chicagoer Untergrundes. Er hospitierte bei den örtlichen Drogendealern - und stellte fest: Sie sind so gut organisiert wie Mittelständler.(...)
Mit Sozialromantik hat das wenig zu tun. Vielmehr beschreibt Venkatesh ein System von Regeln, Standards und rationalen Verhaltensweisen, mit deren Hilfe sich die Außenseiter der Gesellschaft über Wasser halten. Im Chicagoer Ghetto sind das in erster Linie Afroamerikaner. In der Welt der Weißen haben sie kaum eine Chance, aber ihre Untergrund-Ökonomie ist ein wohlorganisierter, vielfältiger Mikrokosmos.
Strafbare Handlungen wie Drogenhandel, Prostitution und Diebstahl gehören ebenso dazu wie Arbeiten, die legal sind, aber eben "außerhalb der Bücher" stattfinden, wie Babysitten, Haareschneiden und Taxidienste. Das Angebot stellt sich hochflexibel auf wechselnde Bedarfe ein: "Im Handumdrehen werden Prediger Friseure, Sänger Nachhilfelehrer, Barmänner Hilfsmechaniker", beobachtete Venkatesh.
Die Mängel des Systems liegen auf der Hand, aber es funktioniert: Über 90 Prozent der Bewohner in den Hochhausburgen waren arbeitslos. Gleichwohl ging im Chicagoer Süden jeder seinen Geschäften nach. Selbst die Obdachlosen suchten sich ihre Schlafstellen mit System aus - indem sie vor Geschäften und in leerstehenden Häusern campierten, fungierten sie als Nachtwächter und bekamen dafür ein paar Dollar.
Da in den Vierteln der Armen Geld ein chronisch knappes Gut ist, spielt Tauschwirtschaft eine bedeutende Rolle. Die Putzfrau, die nebenbei einen kleinen illegalen Catering-Service betreibt, entlohnt den ebenfalls schwarzarbeitenden Elektriker mit kostenlosen Mittagessen. Der Automechaniker nimmt gebrauchte Handys in Zahlung. Ein Obdachloser, der bei seiner Cousine einzieht, stellt statt Mietbeteiligung sein Auto zur Verfügung. Eine Prostituierte vertreibt gelegentlich Drogen für die Gang, damit sie bei Problemen mit Freiern um Schutz nachsuchen kann.
Öffentliche Güter wie Sicherheit und die Garantie von Eigentumsrechten sind knapp; Korruption, Gewalt und Ausbeutung gehören zum Alltag. Schließlich ist ein großer Teil der Geschäfte illegal, und die Polizei kümmert sich kaum um die Probleme der Slumbewohner. Die Ordnungsfunktion übernehmen andere, vor allem Pastoren, die dafür eine Spende erwarten."(...)
ich möchte nicht unken, aber ich kann mir gut vorstellen, dass es hier und in europa generell in den nächsten jahren gleichfalls gebiete geben wird, in denen etliches von den beschriebenen zuständen realität ist - und damit meine ich nicht die schon existierenden elendszonen vor allem in osteuropa. in einer rezension des gleichen buches in der "taz" fand sich übrigens auch ein vergleich der ghetto-ökonomie bzw. der rolle der ghetto-elite mit dem handeln transnationaler konzerne. ich muss wohl nicht ausführen, was damit gemeint ist.
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und was gibt´s noch so? in italien wird öffentlich und offiziell die wahrscheinlichkeit für einenstaatsbankrottverhandelt; in großbritannien geht´s jetzt dem einzelhandel und etlichen kettenan den kragen:
(...)"Die Menschen standen Schlange, um die besten Schnäppchen zu erhalten und die Preise auszuhandeln. Woolworth muss trotzdem ein Viertel seiner Häuser schließen, andere Ketten folgen oder sind bereits gefolgt, die Preise sollen weiter fallen, die Verluste steigen. Ende des nächsten Monats dürfte jedes zehnte Geschäft in den Einkaufsstraßen der Städte leer stehen, wird gewarnt. Die Schulden der Geschäfte und Ketten steigen, die Gewinne sinken."(...)
während die situation in griechenland wieder völlig aus den schlagzeilen verschwunden ist, kommen gerade von dort wirklich nachrichten, diemut machen:
(...)"Gemeindegebäude und Rathäuser wurden in ganz Athen besetzt und überall in Athen und Thessaloniki gibt es mittlerweile offene Plena von Bürger_innen, „Popular Assemblies“. Einer der positivsten Aspekte der Revolte wird nun deutlich: Die Leute nehmen sich ihr Leben zurück, Straße für Straße, Platz für Platz, Viertel für Viertel. Es geht jetzt nicht um den Sturz der Regierung, um „offene Rechnungen“, um diffuse Forderungen, irgendwelche Rechtfertigungen. Die Leute auf der Straße fordern nichts; sie besetzen, sie organisieren sich,, sie wissen, dass es keinen Weg zurück zur Normalität gibt, das diese Normalität zu bekämpfen eine Frage von Leben oder Tod ist."(...)
und es geht auch um ganz konkretenwiderstandgegen das ganz normale kapitalistische alltagsgeschäft:
(...)"Gegen 13 Uhr besetzten rund 100 AnarchistInnen und andere linke und linksradikale Personen die Zentrale der Athener Verkehrsgesellschaft (ISAP), (vergleichbar der BVG in BERLIN) um gegen den Säure-Angriff auf die Gewerkschafterin Constandina Couneva vom 23.12.08, die miesen Arbeitsbedingungen des Subunternehmens IKOMET, die Couneva beschaeftigt und der ISAP, die Subunternehmen wie IKOMET mit der Reinigung ihrer U-Bahnhoefe beauftragt, zu protestieren."(...)
da gibt´s für alle hoffenden hier eine ganze menge zu lernen.
(...)"Selbst über die Feiertage müssen rund 18000 Menschen in Deutschland auf der Straße, in Parks oder in Ruinen übernachten. Die Zahl der Obdachlosen werde sich aufgrund der schärferen Hartz-Regeln und steigender Mietpreise in nächster Zeit weiter erhöhen, warnen Experten.
»Da baut sich gerade eine Welle auf«,sagt Rolf Keichel, Vorstandsmitglied des Fachverbands Evangelische Obdachlosenhilfe. »Wir können uns gar nicht vorstellen, was es heißt, bei Minustemperaturen draußen zu leben.«Eine Nacht in klirrender Kälte bedeutet immer Lebensgefahr. Erst vor wenigen Tagen erfror ein Obdachloser in Wismar, im November ein Mann in Soest, im September ein Dresdner in seinem Nachtlager im Park."(...)
auch diese toten sind in gewisser weise eine antwort (und die hier mehrheitlich immer noch bevorzugte) auf die fragemarkt oder leben?, wobei dingwelt und markt mit fließenden grenzen und wie bösartige siamesische zwillinge daherkommen:
(...)"Kaufen, Tauschen, Handeln, Bewerten, das ist nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern ökonomisches Diktat. Markt und Mensch sind also keine eherne Zusammengehörigkeit, sondern vielmehr ein Widerspruch. Dort, wo der Markt herrscht, ist der Mensch durchgestrichen und dort, wohin der Mensch sich als solcher rettet, dort ist kein Markt. Es geht unfreundlicher Weise darum, das Geschäft (und alles was dazu gehört) als lebensfeindliche Form menschlicher Kommunikation zu dechiffrieren. Es ist pathologisch, schwer pathologisch. Geschäfte fressen Zeit und Raum auf. Lebenszeit. Lebensraum. Leben.
Käufer sein ist jedenfalls keine in der Natur angelegte Eigenschaft, sondern eine kulturelle Normierung, die zu einem Anspruch an alle geworden ist. Da ist nichts Ewiges an ihr. Praktische Befreiung beginnt, wo die Menschen mit dem Kaufen und Verkaufen bewusst aufhören. Wenn sie sich geben und sich nehmen, was sie brauchen. Wenn sie die Kostenrechung verwerfen und durch profane Zuneigung und Zueignung ersetzen. Wenn Angebot und Nachfrage durch Eingabe und Entnahme ersetzt werden. Wenn der konkurrenzistische Geschäftstrieb von einer kompetenten Kooperation abgelöst wird. Wenn die Trennung von Motiv und Bedingung bei der Transaktion von Gütern überwunden wird.
Wie sagt doch der Erste Gott im Brechtschen Stück „Der gute Mensch von Sezuan“: „Ich gebe zu, ich verstehe nichts von Geschäften, vielleicht muss man sich da erkundigen, was das Übliche ist. Aber überhaupt Geschäfte! Machten die sieben guten Könige Geschäfte? Verkaufte der gerechte Kung Fische? Was haben Geschäfte mit einem rechtschaffenen und würdigen Leben zu tun?“ – Nichts! Absolut Nichts!"
in diesem sinne wünsche ich ein paar ruhige tage für alle leserInnen.
eines der ärgerlichsten, aber auch bezeichnendsten merkmale vieler statements zur weltwirtschaftskrise besteht - selbst beim zugeständnis der tatsache, es hier nicht mit einer der üblichen zyklischen krisen zu tun zu haben - in der unfähigkeit, jenseits der primär ökonomischen symptome auch die anderen monströsen anzeichen dafür wahrzunehmen, dass sich das ganze bisherige politische & ökonomische system der westlichen welt plus seiner überall vorhandenen globalen ableger auf dem weg in den abgrund befindet. und letzteres hat zentral etwas mit dem kapitalismusimmanenten zwang zum ständigen exponentiellen wachstum (wie krebszellen) zu tun, der neben der gleichfalls immanenten und eher personengebundenen bestrebung nach immer mehr quantifizierbarem materiellem "reichtum" incl. ständiger reichtumskonzentration und -umverteilung nach oben der einfluß ist, welcher die aktuelle krisenkaskade bis zum jetzigen moment täglich befeuert.
so haben wir eben nicht nur eine weltwirtschaftskrise, die - und dafür muss ich mich nicht mehr allzuweit aus dem fenster lehnen - in vielen regionen der welt eine dynamik erreichen wird, die historisch ohne beispiel ist. sondern wir hatten bereits sozusagen im vorlauf eine globalehungerkrise, die weiterhin vorhanden ist und sich absehbar verschärfen wird; wir haben - trotz der aussichtlosen versuche der leugnung von diversen seiten - eine ökologische krise, deren schärfste globale variante der anthropogene klimawandel darstellt; ferner haben wir es mit ressourcenkrisen wiepeak oilzu tun. und ob man unter letztere rubrik auch die aufziehende globalewasserkriseführen sollte, ist dann eher definitionssache. jedenfalls wird das wasser in nächster zukunft für noch mehr instabilitäten sorgen als heute das öl - auch damit lehne ich mich nicht weit aus dem fenster:
(...)"Wie steht es im 21. Jahrhundert um die globale Verteilung der Ressource Wasser? Filmemacherin Irena Salina hat drei Jahre lang Wissenschaftler und Umweltbeauftragte in aller Welt zu diesem Thema befragt. Ihre Untersuchung führt sie in südafrikanische Townships, in denen die Trinkwasserversorgung privatisiert ist und die Ärmsten der Armen verschmutztes Flusswasser trinken müssen. Im indischen Bundesstaat Rajasthan schließen sich Dörfer zu Genossenschaften zusammen und fangen Regenwasser auf, um den Wasserhändlern zu trotzen. In Südamerika beobachtet Irena Salina, dass Wasserreserven wiederholt chemisch verseucht werden, und in Kanada, dass große Lebensmittelkonzerne ganze Flüsse austrocknen lassen.
Überall bietet sich ihr das gleiche Bild eines ökologischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und menschlichen Skandals. Aber es zeigt sich auch, dass es an den Orten Hoffnung gibt, an denen sich die Bevölkerung organisiert und um ihr Recht auf Wasser kämpft."(...)
sehen Sie sich die doku an, die nächsten tage bieten dafür genügend zeit:
hiergeht´s direkt weiter zu den anderen teilen des videos.
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was ich oben gerade mit "personengebunden" meinte, macht der folgendeartikeletwas deutlicher:
(...)"Gowers schildert den Lehman-Boss als einen "Mann mit einer fast unerträglich starken Persönlichkeit", der den Gewinn der Bank von 1994 bis 2007 von 113 Millionen auf 4,2 Milliarden Dollar steigerte. Damit schuf Fuld sich einen nahezu unangreifbaren Ruf: "Zu sagen, dass Dick Fuld von einem Persönlichkeitskult umgeben war, wäre eine Untertreibung. Er war ein Paradebeispiel für einen allmächtigen Unternehmenschef", schreibt Gowers. "Für viele Mitarbeiter und für die Außenwelt personifizierte er Lehman, sein Charakter war untrennbar verbunden mit dem der Firma."
Fuld soll selbst seinen engsten Mitarbeitern große Loyalität, aber auch Furcht eingeflößt haben, so dass sie ihm hörig waren "wie einem mittelalterlichen Monarchen" und alles von ihm fern hielten, was er nicht hören wollte. "Seine Bösartigkeit konnte einschüchternd sein. Regelmäßig wies er Kollegen zurecht, die auch nur geringfügig von der Kleiderordnung abwichen."
Fuld sah Lehman laut Gowers wie im "Krieg", die Mitarbeiter waren seine Truppen. Investoren, die auf fallende Lehman-Kurse setzten, drohte er auf einer Konferenz: Wenn er einen von ihnen finde, "will ich ihm das Herz herausreißen und es vor seinen Augen essen, während er noch lebt"(...)
die these, dass sich das system selbst die passenden persönlichkeitstypen bzw. -defekte sozusagen per innerer selektion heranzüchtet, ist hier im blog nicht neu. ebenfalls nicht die erkenntnis, das von einer "fast unerträglich starken persönlichkeit" nur innerhalb der systemlogik die rede sein kann. wer so auftritt wie beschrieben, hat eher elementare probleme - jedenfalls in der authentischen sozialen menschlichen welt. das diese probleme in form wie empathieunfähigkeit, dominanz einer streng objektivistischen instrumentellen intelligenz und ausrichtung an quantitäten und zahlen innerhalb unserer grundlos glorifizierten gesellschaftlich herrschenden strukturen als positiv gewertet werden - das ist genau das symptom, welches das lebensgefährliche wesen dieser strukturen überdeutlich macht. funktionelle und/oder strukturelle soziopathen an der macht - ihre bevorzugte überlebensform.
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was das treiben dieser leute dann alles so für folgen hat, war in den letzten news auch bezgl. der usa immer wieder thema. die in den news nr. 11 zum schluß kurz erwähnten probleme mit der unterstützung von erwerbslosen in vielen us-bundesstaaten lassen sich inzwischen konkretisieren -kollaps mit ansage:
(...)"In 30 der 50 Bundesstaaten steuern die Fonds, die Arbeitslosenhilfen auszahlen, auf die Insolvenz zu. "Das Problem war noch nie so verbreitet, nie waren so viele Staaten gleichzeitig in Geldnot", sagt Heidi Shierholz vom gewerkschaftsnahen Economic Policy Institute. Die Gouverneure haben es versäumt, in den Jahren des Aufschwungs ein Polster aufzubauen, das jetzt den konjunkturellen Sturzflug abfedern könnte. Michigan und Indiana, wo sich die amerikanische Schwerindustrie schon seit Jahren in der Krise befindet, sind bereits pleite. Sie mussten sich Geld in Washington pumpen. Auch South Carolina hat kürzlich einen Kredit beantragt, und in Kalifornien, New York, Ohio und Rhode Island sind die Ersparnisse spätestens Anfang des Jahres aufgebraucht.
Seit Dezember vergangenen Jahres sind in den USA zwei Millionen Jobs verloren gegangen, und Schätzungen zufolge werden im kommenden Jahr weitere vier Millionen verschwinden. Allein im November beantragten 573 000 Amerikaner Arbeitslosenhilfe. So viele waren es seit 1982 nicht mehr. In vielen Bundesstaaten beträgt die Arbeitslosenquote mehr als neun Prozent. Damit hat das Problem eine kritische Masse erreicht, unter der die staatliche Versicherung zusammenbrechen könnte."(...)
wie in den letzten news schon umschrieben: die bereitstellung von aktiven armee-einheiten hat aus sicht der "eliten" schon ihren sinn. erst prügel, dann kugeln statt nahrung. leider gibt es ernsthafte chancen dafür, dass wir - und vor allem die us-bevölkerung - solche szenen 2009 erleben müssen.
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wieder mal ein blick nach asien - einmal wäre da eine möglichkeit, sich jeweils recht aktuell einen brauchbaren überblick zu verschaffen, die ich Ihnen nicht vorenthalten will - die seite umwälzung.de bietet asienbezogenenews, mittels derer die zunehmenden sozialen konflikte und kämpfe in vielen dortigen staaten zumindest ansatzweise nachzuvollziehen sind. zum anderen hat sich mittlerweile unter den news nr.11 ein längerer kommentarstrang entwickelt, in dem u.a. die chinesischen wanderarbeiterInnen eine rolle spielen - ebenso wie in eineminterview, welches sich vor allem mit der chinesischen it-industrie beschäftigt (und ja, die wahrscheinlichkeit dafür, dass sowohl mein als auch Ihr computer bauteile aus china aufweisen, ist verdammt hoch):
(...)"Welchen Eindruck haben Sie von den Arbeitsbedingungen in der Computerindustrie Chinas gewonnen?
Einen äußerst schlechten. Wir haben die Situation in den Fabriken des Pearl River Delta untersucht, der Region im Süden Chinas, die das bedeutendste und modernste Wirtschafts- und Produktionszentrum des Landes darstellt.
Es sind vor allem zwei Punkte, die wir mit unserer Studie hervorheben wollen. Viele Leute glauben, es sei gefährlicher, in einer Schuh- oder Textilfabrik zu arbeiten, als elektronische Teile zusammenzubauen. Doch das ist ein Irrglaube. Vor allem in den Fabriken, in denen Leiterplatten für Computer hergestellt werden, sehen wir landesweit die größten Probleme, was die Gesundheit und den Schutz von Arbeitern betrifft. Diese müssen dort ohne adäquate Schutzvorkehrungen in geschlossenen Räumen ohne Belüftung mit gefährlichen und giftigen Chemikalien hantieren, viele von ihnen haben deswegen Hautallergien und ständige Kopfschmerzen.
Der zweite Aspekt, den wir besonders skandalös finden, ist die unterbezahlte Arbeit und die unbezahlten Überstunden, die in den Fabriken der IT-Branche üblich zu sein scheinen. Teilweise erhalten die Arbeiter nicht einmal den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn, geschweige denn die ebenfalls gesetzlich geregelten Sonderzulagen für die Arbeit an Wochenenden und Feiertagen, teilweise müssen die Arbeiter wochenlang ohne einen freien Tag arbeiten.
Die großen multinationalen Konzerne wie HP, Dell oder Fujitsu-Siemens machen mit der Ausbeutung der Arbeiter größte Profite, doch die Arbeiter werden daran nicht beteiligt.(...)
In China wird von immer mehr Arbeiterstreiks und -demonstrationen berichtet. Wehren sich auch die Arbeiter der IT-Industrie gegen die Arbeitsbedingungen?
Landesweit nimmt der Protest von Arbeitern seit Mitte der neunziger Jahre zu. Inoffiziellen Zahlen zufolge findet im Pearl River Delta jeden Tag mindestens ein Streik statt, an dem mehr als 1 000 Arbeiter beteiligt sind. Mittlerweile wird in den Werkshallen der IT-Fabriken derart oft zu spontanen Streiks und Demonstrationen aufgerufen, dass einige Leute von täglichem Widerstand und wilden Streiks in der Region sprechen. Da ist also durchaus eine Kraft vorhanden, die um die Rechte der Arbeiter kämpft und den Druck auf die Regierung erhöht, weitere und bessere Arbeitsgesetze zu erlassen. So ist beispielsweise seit dem 1. Januar ein Gesetz über Arbeitsverträge in Kraft, auch das kann als ein Ergebnis des Drucks gewertet werden, der von den massiven Arbeiterprotesten in den vergangenen Jahren ausging.
Es sind aber nicht nur die Arbeiter im Süden, sondern auch die Arbeiter der staatlichen Betriebe im Norden, Taxifahrer, Hausangestellte oder Transportarbeiter, die auf die Straße gehen. 87 000 Arbeiterproteste wurden allein im Jahr 2005 gezählt.(...)
Die Wanderarbeiter stellen den größten Teil der Arbeiter in den IT-Fabriken im Süden. Sie sind gleichzeitig diejenigen, für die es am schwierigsten ist, ihre Rechte zu verteidigen. Denn ihnen fehlt das Geld, um Monate oder gar Jahre auf eine Entscheidung des Gerichts zu warten, wenn sie ihren Job verlieren. Sie müssen die Stadt verlassen, um sich woanders einen neuen Job zu suchen."(...)
(@mr. lemmy c.: nun, wie sieht´s also aus mit der "freiwilligkeit" und dem "besseren leben"? ich glaube eher, hier liegt ein klassisches beispiel für "vom regen in die traufe" vor.)
bei betrachtung der aktuellen ökonomischen lage in china muss ebenfalls von einer erhöhten wahrscheinlichkeit dafür ausgegangen werden, dass es dort im nächsten jahr umfassend kracht - denn lokal ist das schon permanente realität, und zwar schon seit den sog. "wachstumszeiten".
ich begrüße - und zwar bei allen dreien schon längst überfällig - dasgblog(ebenfalls mit einer vorliebe für lange texte),konsumpfals höchst informatives blog über eben denselbigen, sowiewirtschaftquerschuss, das blog, welches unverzichtbar geworden ist für die primär ökonomischen aspekte der systemkrise. allen hiesigen leserInnen seien die drei wärmstens empfohlen!
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es wird wieder mal höchste zeit für eine aktualisierung des index, das wird vermutlich in den nächsten tagen der fall sein.