Sonntag, 12. April 2009

assoziation: noch mehr simulierte welten

erst neulich hatte ich ein paar neuere überlegungen zu den real existierenden simulierten welten aus ganz verschiedenen perspektiven zusammengetragen; heute gibt´s eine art fortsetzung, die ich mit einem zitat aus einem streitgespräch zwischen einem pädagogen und einem psychiater über die "richtige" art des umgangs mit kindern beginne (für den hinweis auf dieses gespräch dank an wednesday):

(...)Bergmann: In der Tat werden immer mehr Kinder schwierig und auffällig. Das sogenannte Zappelphilipp-Syndrom greift um sich wie eine Epidemie. Wir haben es mit sozialen und damit auch seelischen Verfallserscheinungen in der modernen Kindheit zu tun. Dazu gehört, dass Körperselbstbildstörungen zunehmen, also Essstörungen und Selbstverletzungen bei Mädchen sowie Computersucht bei Jungen.(...)

Winterhoff: Die Frage ist, was hinter den Auffälligkeiten steht. Die Kinder, die ich bis vor zwölf Jahren gesehen habe, wussten, dass es ein Gegenüber und Regeln gibt. Die Kinder, denen ich heute begegne, zeigen eine Respektlosigkeit und stellen sich nicht mehr auf das Gegenüber ein. Stattdessen zwingen sie den Erwachsenen, sich auf sie einzustellen.

Bergmann: Stimmt - aber natürlich nur für einen Teil der Kinder, der näher umrissen werden müsste. Da zeichnet sich eine tiefgreifende Veränderung ab, die von vielen, auch mir, seit längerer Zeit beschrieben wird, aber keineswegs bis ins Letzte verstanden worden ist: Manche Kinder sind freundlich, sympathisch, aber sie flutschen rechts und links an allen Regeln und Vorgaben, an allen Verbindlichkeiten vorbei. In meiner Praxis sind sie ausgesprochen höflich und sagen: Das war ganz toll bei Ihnen, Herr Bergmann. Ich sitze trotzdem bedröppelt hinter meinem Schreibtisch und habe das Gefühl, dass ich das Kind nicht erreicht, nicht berührt habe. Als gäbe es gar keinen Kern des Selbst, mit dem bewusst und unbewusst Kontakt aufgenommen werden könnte. Dies ist ein sehr auffälliger Teil einer gefährlichen Entwicklung. Die Kinder laufen uns aus dem Ruder. Es ist eine fast unheimliche Tendenz."(...)


"Als gäbe es gar keinen Kern des Selbst..." - offensichtlich tut sich der pädagoge an dieser stelle schwer, das, was nicht sein darf, weiter auszuführen bzw. überhaupt weiter zu denken - denn dann würde er auf modelle zurückgreifen müssen, die den stammleserInnen hier vertraut sein dürften, den weitaus meisten tätigen sowohl im pädagogischen als auch im psychiatrischen/psychologischen bereich jedoch nicht. gleichfalls würden ihm solche modelle auch den zusammenhang zwischen seiner hypothese und den vorher erwähnten körperselbstbildstörungen deutlicher machen können, aber das wäre dann wohl too much (zu sehr deutlichen und offenen störungen des körperschemas siehe auch
hier, und zwar im unteren teil).

"Manche Kinder sind freundlich, sympathisch, aber sie flutschen rechts und links an allen Regeln und Vorgaben, an allen Verbindlichkeiten vorbei. In meiner Praxis sind sie ausgesprochen höflich und sagen: Das war ganz toll bei Ihnen, Herr Bergmann."

simulationsfähigkeiten in aktion. und es lässt sich mit berechtigung die these aufstellen, dass das eine direkte und sehr unmittelbare folge der konstatierten kernlosigkeit darstellt - wir sehen womöglich den
objektivistischen modus, und zwar die entgleiste variante, in betrieb.

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und das gleiche ist jetzt in einem neuen film unter dem sinnigen titel
so glücklich war ich noch nie zu betrachten, bei dem es in der insgesamt recht interessanten rezension bei telepolis am ende einen ganz zentralen absatz gibt:

(...)"Seine Hauptfigur Knöpfel ist ein Mensch, der sich selbst nur da findet, wo er in erfundene Rollen schlüpft, und das heißt zugleich, dass er sich längst verloren hat. Denn der Betrug an anderen geht mit dem Selbstbetrug Hand in Hand - und gerade weil es vielleicht ja zutrifft, dass die Welt gern betrogen werden will, wird das Spiel für die, die das gekonnt tun, mitunter derart verführerisch, dass sie Junkies ähneln, Spielsüchtigen - nur dass sie nicht um ihr eigenes Geld spielen, sondern mit dem Geld der Anderen gleich um ihr eigenes Leben."



wobei ich finde, dass die assoziation mit "spielsucht" etwas in die irre führt, weil sie nicht die existenzielle wucht der als-ob-struktur erfasst. nichtsdestotrotz tangiert das nicht meine empfehlung, sich den film anzuschauen; nicht zuletzt auch deshalb, weil vom regisseur alexander adolph ebenfalls die thematisch gleiche dokumentation
die hochstapler stammt, in der es um - wenn man so will - authentische fallbeispiele von soziopathie bzw. als-ob-persönlichkeiten geht.

der hochstapler knöpfel im spielfilm jedenfalls scheint spontan ungefähr so sympathisch wie die figur des tom ripley von patricia highsmith zu sein, den ich in der vergangenheit als idealtypische (fiktive)
als-ob-persönlichkeit begriffen hatte. und diese benannte sympathie ist nicht nur etwas, was die wirkung von vielen (nicht allen) erfolgreichen soziopathen auf die menschliche mitwelt so unheimlich erscheinen lässt, sondern auch ein merkmal, welches von regisseurInnen und autorInnen vor allem deshalb immer wieder treffend beobachtet und skizziert werden kann, weil es real vorhanden ist.

*

was sich in beliebigen kriminalistischen
fallbeispielen nachvollziehen lässt - als wäre ein tom ripley aus seinem buchumschlag in die reale welt entsprungen:

(...)"Wolf wird sich vielleicht als Holländer oder Brite ausgeben. Niederländisch und Englisch spricht er ohne Akzent, Letzteres sogar mit mehreren Dialekten. Wolf wird ein unscheinbares gebrauchtes Auto vor der Wohnung stehen haben, das er im Internet oder über eine Kleinanzeige gekauft hat.

So vermutet es zumindest die „Soko Wolf“; sie ist hinter dem Entführer her, für dessen Ergreifung es 100.000 Euro Belohnung gibt. Wolf könne eigentlich überall sein, sagen die Polizisten. Und dort, wo er ist, wird er lockere soziale Kontakte knüpfen, gerne mal mit den Nachbarn trinken, „bis er hauchzart lallt, aber nie bis zum Kontrollverlust“. Er wird die Menschen in seiner Umgebung freundlich grüßen, sich anpassen. „In honorigen Kreisen wird er dementsprechend auftreten. Er kann aber auch im Schlabberlook am nächsten Kiosk stehen.“ 56 Jahre ist Wolf alt, 1,85 Meter groß, trägt Brille, hat graue Haare und Geheimratsecken, ist muskulös vom ständigen Hanteltraining - „völlig unauffällig, komplett normal“, sagen Zielfahnder.(...)

Acht Jahre hat der gebürtige Düsseldorfer Wolf als Niederländer David van Dijk scheinbar „komplett normal“ im Frankfurter Westend gelebt. Ab und zu hat er sich den weißen Mercedes 200 E seiner Lebensgefährtin geliehen. Die Frau, so die Polizei, habe keine Ahnung gehabt, mit wem sie zusammenlebte."(...)


wäre interessant zu erfahren, was diese frau nach achtjähriger ehe überhaupt zu "ihrem" mann sagen kann - noch interessanter wäre aber vermutlich eine gründliche beschäftigung mit ihren selbst- und fremdwahrnehmungsfähigkeiten. bei den verschiedenen geschichten von soziopathen solchen kalibers, die mir bisher bei der beschäftigung mit dem thema so bekannt geworden sind, fällt diese fatale unfähigkeit der jeweiligen sozialen umfelder, menschen anders als im grad ihrer kompatibilität mit den herrschenden gesellschaftlichen normen für "normalität" wahrzunehmen, immer wieder sehr unangenehm auf - stecke den schlimmsten kriminellen und komplett empathielosen massenmörder in schlips und kragen, lasse ihn die rudimentärsten gesellschaftlichen umgangsformen beherrschen und eine einigermaßen höfliche sprache, so wird oma schulze von gegenüber unter garantie vom "höflichen netten nachbarn" schwärmen, der immer so zuvorkommend und ordentlich aufgetreten ist. was spätestens dann grund genug sein sollte, sich einmal ausführlicher mit all den oma schulzes und den welten zu beschäftigen, welche von ihnen so bewohnt werden.

(...)"Wolf hat nie einen Beruf gehabt, nie etwas gelernt. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich mit Verbrechen. Seit Thomas Wolf 15 Jahre alt ist, beschäftigt er die Polizei. Als Fahrrad- und Ladendieb beginnt er. Wolf kommt in ein Landesjugendheim, haut ab, wird zum Räuber. Auch die erste Gefängnisstrafe bleibt ohne Folgen. Er klaut weiter, fälscht sich einen Führerschein, betrügt, begeht Körperverletzungen.

Sein Leben besteht aus Straftaten, Aufenthalten in Gefängnissen und Ausbrüchen aus Gefängnissen.(...)

„Seine Taten laufen ruhig und gesittet ab“, sagen Ermittler. Schließlich lässt Wolf sein Leben als van Dijk und die Frau, mit der er acht Jahre zusammenlebte, wie einen Koffer zurück und geht ein für ihn hohes Risiko ein.(...)

Polizeipsychologen bezeichnen Wolf als narzisstisch veranlagt. Er sei ein Soziopath. „Er weiß nicht, was eine menschliche Bindung ist. Er hat keine Empfindungen.“ Aber Wolf weiß, wie er sich verhalten muss. Als unauffälliger älterer Herr irgendwo in Westeuropa."


das wörtchen narzisstisch halte ich im obigen zusammenhang übrigens für irreführend, auch wenn soziopathen (mit hoher wahrscheinlichkeit in diesem fall zutreffend) oberflächlich betrachtet wie narzissten wirken können. aber die innere dynamik ist eine grundsätzlich andere, weil eine narzisstische ps in der regel von einem mehr oder weniger schwer gestörten, aber eben auch vorhandenen, authentischen selbst kündet.

wolf hätte vielleicht in seiner kindheit auch beim eingangs erwähnten pädagogen im büro sitzen und diesen zu den gleichen aussagen wie oben veranlassen können - eine kindheit, zu der sich selbst ohne weitere kenntnisse der biographie sagen lässt, dass sie schlicht verheerend gewesen sein muss. denn wenn es keine deutlich abgrenzbaren ereignisse wie bspw. ein unfall mit hirnschädigung gegeben haben sollte, so ist ein mensch mit einer störung solchen kalibers immer ein produkt (in diesem falle trifft das wortwörtlich zu) der eltern und mittelbar der gesellschaft, die solche existenzen produziert.

*

wolf lässt sich dabei noch in der rubrik der gesellschaftlich durchschnittlich "erfolgreichen" soziopathen unterbringen, und zwar deshalb, weil sein existenzielles spiel immer wieder trotz kontakt mit dem repressionsapparat "funktioniert", und zwar über recht lange zeiträume - er kann innerhalb der existierenden gesellschaftlichen strukturen funktionieren (= überleben), und in nichts anderem liegt der "erfolg". ein beispiel für jemanden, der bei vermutlich strukturell ähnlicher ausgangslage nicht mal annähernd diese ebene erreicht und bei seiner geschichte gleichzeitig die fiktionale bis offen halluzinierte qualität der als-ob-welten deutlich macht, lässt sich im folgenden
prozeßbericht betrachten - "In einer Scheinwelt Chef gespielt":

(...)"Software für Finanzbuchhaltung, ein Computer und ein Notebook, Tintenpatronen, ein Regal – die Bestellungen, die der Angeklagte deutschlandweit tätigte, wollen nicht recht passen zu einem von Arbeitslosengeld II lebenden 35-Jährigen, der die Sonderschule nach der achten Klasse verlassen hat.

„Er hat sich eine Scheinwelt aufgebaut, in der er als Chef fungiert“, erklärte die Verteidigerin, „er spielt Chef.“ In seiner „leitenden Funktion“ habe er Bestellungen für Produkte wie Steuerberaterprogramme getätigt, „um seine Tätigkeit ausüben zu können“. Ihr Mandant lebe sehr isoliert und habe im Rahmen seiner fiktiven Geschäftstätigkeit unter anderem Formulare bei BMW bestellt, um als Vertragshändler für den Autohersteller tätig werden zu können.

Bei den Bestellungen, die zum Teil eine Höhe von über 3500 Euro erreichten, firmierte der umfassend geständige Mann mit erfundenen Briefköpfen als Unternehmer in Sachen Systemtechnik oder Computersystemen."(...)


das mutet im vergleich mit der - hm, "weltläufigkeit" bei t.wolf wirklich gleich alles ein "paar klassen tiefer" an; ebenfalls wie die anfallenden finanziellen schäden. vermutlich hat der protagonist dieser geschichte aber einfach mehr pech und ungünstige umstände bei der umsetzung seiner fiktionen gehabt:

(...)"Bewährungschancen und Therapieangebote, aber auch mehrjährige Haftstrafen hatte der Mann in seiner Vergangenheit schon mehrfach erhalten. Seine ältesten Einträge im Strafregister reichen bis ins Jahr 1989 zurück. Überwiegend sind es Betrugsdelikte, mit denen der Angeklagte schon im Alter von 16 Jahren begann.(...)

Die von seiner Verteidigerin und auch seinem Bewährungshelfer vertretene Meinung, dass der Mann sich lediglich so verhalte, weil er nicht anders könne, teilte der im Prozess gutachtende Psychiater nicht. Der Angeklagte wirke keineswegs wie ein Sonderschüler, er könne sich gewählt ausdrücken. Während der Begutachtung „war er charmant, weltoffen und sympathisch“, so der Psychiater. Der Mann habe durchaus die Fähigkeit, sich auf Menschen und ihre Gefühle einzustellen und sie zu manipulieren."(...)


und das ist wieder mal so ein psychiatrisches gutachten, bei dem ich ob der schlussfolgerungen kopfschüttelnd davor sitze - wann wird sich bei der etablierten psychiatrie endlich mal die existenz von totalsimulativen persönlichkeiten herumsprechen, die natürlich die fähigkeiten besitzen, "sich auf menschen und ihre gefühle einzustellen", weil sie nicht anders können - nicht anders überleben können? ein schimmer dieser nicht verstandenen einsicht blitzt paradoxerweise im folgenden auf:

(...)"Im Raum stand für das Gericht die Frage einer eventuellen Schuldunfähigkeit aufgrund einer psychischen Störung. Doch diese Möglichkeit verneinte der psychiatrische Gutachter entschieden. Zwar sei bei dem 35-Jährigen eine sogenannte „dissoziale Entwicklung“ von Kindheit an festzustellen sowie eine Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typus, aber beides sei nicht so schwerwiegend, dass sein Leben davon durchgehend eingeschränkt werde."(...)

was der psychiater für eine vorstellung von "so schwerwiegend" hat, dass er bereit wäre, eine durchgehende einschränkung eines lebens daraus abzuleiten, bleibt sein geheimnis. ich will damit keinesfalls die psychophysische struktur bei solchen menschen wie den geschilderten verharmlosen, auch wenn ich die ebene des primär finanziellen betrugs aus meiner persönlichen sicht für nicht so relevant halte wie bspw. die bereitschaft zum mord ohne reue und innere hemmnisse, die bei einer solchen struktur jederzeit in die realität "einbrechen" kann. aber der umgang damit mittels der bisherigen und konventionellen mitteln besonders der justiz ist in solchen fällen durch die bank hoffnungslos unzulänglich und sogar kontraproduktiv, wenn man dazu die reale funktion von gefängnissen als "schulen des verbrechens" und zuchtanstalten für dissoziale persönlichkeiten berücksichtigt. aber gleichfalls gilt natürlich: um diesen umgang qualitativ zu ändern, müsste sich zunächst die orthodoxe psychiatrie von einigen elementaren hartnäckigen illusionen und fiktionen lösen, und das wiederum kann nicht geschehen ohne entsprechende änderungen von gesellschaftlichen welt- und menschenbildern. wozu ganz basal auch die änderung unseres verhältnisses zu kindern sowie zur bedeutung der
pränatalen phase der menschlichen entwicklung gehört.

*

solange das aber nicht passiert, werden wir uns von der unter uns vorhandenen soziopathischen minderheit weiter offenbar mit einiger bereitwilligkeit - mindestens - betrügen lassen (meistens noch schlimmeres); mit einiger wahrscheinlichkeit sogar im globalen maßstab:
"Könnte ich die Psychopathen nicht im Gefängnis studieren - an der Wall Street würde ich genug von ihnen finden". wobei die notwendige anmerkung zum schluß noch lautet: nicht nur die soziopathen schaffen sich offensichtlich immer wieder im großen und kleinen maßstab das ihnen passende system, sondern der vorgang läuft gleichfalls permanent in der anderen richtung ab - der kapitalismus favorisiert die ihm am meisten kompatiblen persönlichkeitstypen.

Donnerstag, 9. April 2009

kontext 53: total kranker scheissdreck aus wahrhaft *rechtsfreien* räumen [update]

(ich sehe mich zur drastischen ausdrucksweise der überschrift mangels alternativen schlicht gezwungen. verhältnisse von solch drastischer erbärmlichkeit wie gleich zu sehen machen eine entsprechend deutliche sprache nötig. ebenfalls wie die nötige triggerwarnung: dieser beitrag enthält dokumentarische szenen von schlägen und folterartigen ausschreitungen).

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es gehört keine große prophezeiungsfähigkeit dazu, davon auszugehen, dass die derzeitige krise szenen wie die folgenden, die auch in relativ "normalen" zeiten schon oft genug zu verzeichnen waren, in gehäufter form hervorbringen wird - wenn die wahrhaft großen antisozialen kriminellen in den schicken anzügen nicht erreichbar sind bzw. das auch seitens der "eliten" nicht gewünscht wird, bleibt als erwünschtes ventil die hinwendung von öffentlichkeit & repressionsapparaten zu eh schon stigmatisierten gruppen übrig, die sich in verschiedenen ländern teils nur noch mittels kleinkriminalität über wasser halten können. bei einigen besonderen minderheiten wie den roma in osteuropa reicht dabei offenbar bereits die bloße identifizierung als eben solche, um in den augen von einigen staatsdienern der
elementarsten menschenrechte verlustig zu gehen:

(...)"Zwei bellende Hunde an der Kette, ein brüllender Uniformierter, sechs Kinder, vier stehen an der Wand, zwei sitzen auf dem Boden. Dann ein Knall. Das Bild zeigt einen jungen Rom, der einen anderen, etwas kleineren, mit voller Wucht ins Gesicht schlägt. Eine Stimme im Off gibt Anweisungen. Beide blicken fragend in Richtung Kamera. Ein kurzes Zögern. Wieder die Stimme. Dann ein weiterer Schlag, diesmal ist es der schmächtigere Bursche. Neue Kinder kommen ins Spiel. Es sind Ohrfeigen. Ab und zu lachen Männerstimmen. Dann ein Schnitt. Die Kamera zeigt sechs Kinder von oben in einem Raum. Wieder gibt es Anweisungen. Sie ziehen sich aus. Nackt."(...)

eine gekürzte zusammenfassung liefert das folgende video, und ich zeige das wie auch das spätere aus seattle deshalb, weil ich es als nötig empfinde, dass sich möglichst viele menschen einen nachhaltigen eindruck von dem machen können, was in rechtsfreien räumen wie polizeiwachen und -arrestzellen innerhalb eines kollabierenden systems möglich ist:



das video...

"... zeigt laut dem Bericht Misshandlungen und Demütigungen von Roma-Kindern in der ostslowakischen Stadt Kosice. Die Burschen wurden demnach auf der Polizeistation vorgeführt, weil sie verdächtigt wurden, eine ältere Frau überfallen zu haben.

Polizeipräsident Ján Packa erklärte bei einer Pressekonferenz in Bratislava, die beteiligten Polizisten seien vom Dienst suspendiert worden, es würden Ermittlungen eingeleitet, ihre Vorgesetzten würden abgesetzt. Der Vorfall fand in einem Vorort Kosices, in der Roma-Siedlung Lunik IX statt, wo mehr als 7000 Menschen leben und die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist. Der Bürgermeister der Siedlung, Ladislav Saòa, sagte dem Standard, die Kinder stammten aus einer armen Familie. Sie hatten den Vorfall aus Angst zunächst nicht melden wollen."(...)


so nötig die entfernung der betreffenden täter im öffentlichen dienst auch ist - an der basis der strukturellen gewalt, die latent immer in die offene gewalt eines solchen kalibers umschlagen kann, ändert das schlicht - nichts. bin ich eigentlich der einzige, den das ganze an methoden der "schwarzen pädagogik" erinnert?

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etwas länger zurück liegt der folgende vorfall aus seattle / usa, den ich mir damals bereits vermerkt hatte:



hier ist ein von der polizei wg. fahrens ohne führerschein (meines wissens im wagen ihrer eltern) festgenommenes 15jähriges mädchen zu sehen, die bei ihrem eintritt in die zelle innerhalb eines wortgefechtes einen ihrer schuhe nach den polizisten schleudert. die dokumentierte reaktion lässt sich jedoch selbst bei den größten geistigen verrenkungen nicht mehr im raster von "irgendwie gerade noch angemessen" unterbringen, sondern ähnelt deutlich - zwei starke männer im schutz der relativen anonymität einer arrestzelle überwältigen auf brutale art ein mädchen - einer art vergewaltigungssituation.

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vielleicht der wirklich einzige nutzbringende vorteil der inzwischen überall präsenten kameras für den großteil der bevölkerung, dass solche angriffe in den staatlichen zonen der realen rechtlosigkeit von fall zu fall durch die selbst geschaffene maschinerie dokumentiert werden. für eine allgemeine befürwortung des überwachungsapparates reicht das jedoch keinesfalls aus.

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edit am 11.04.: bezüglich der situation der roma empfehle ich diese ergänzung
"Die schwere Misshandlung von acht Roma-Kindern in der Ostslowakei ist kein Einzelfall, sagen Experten. Der Rassismus in der Gesellschaft habe die Übergriffe möglich gemacht." aus dem wiener standard.

Montag, 6. April 2009

notiz: krisennews und -gedanken (32)

und den heutigen lesetipp gibt´s gleich zur einleitung, weil der text dabei helfen kann, die versteckten dimensionen der weiter unten folgenden meldungen deutlich zu machen:

(...)"Das derzeitige Wirtschafts- und Finanzsystem wird demnach bei Erreichen der Systemgrenze kollabieren, wie es dies ja folgerichtig auch schon seit einem halben Jahr tut. Ein funktionierendes Bankwesen ist in unserem derzeitigen Wirtschaftssystem eine zwingende Voraussetzung für das Funktionieren der herstellenden Industrie und der industriellen Landwirtschaft, die auf die Kredite angewiesen sind. Da es in der Politik keinen Plan B zu exponentiellem Wirtschaftswachstum gibt (und dies in Deutschland sogar gesetzlich im Wachstums- und Stabilitätsgesetz verordnet ist), ist es aus Regierungssicht von allergrößter Wichtigkeit, dieses Bankensystem zu retten, wohlwissend, dass dies garnicht möglich ist. Das ist der Grund, weshalb sofort Milliardensummen bereitstehen, um den Banken unter die Arme zu greifen, wohingegen große Vorbehalte bestehen, wenn es darum geht, beispielsweise Autohersteller zu retten. Da der Volkskuchen bei Erreichen des Erdölfördermaximums nicht mehr größer werden kann, bedeutet die Gelddruckerei sämtlicher Regierungen zur Rettung des Bankensystems eine Umverteilung des Reichtums weg von normal arbeitenden Bürgern hin zu den Banken. Die Staatsregierungen als einzige, die Geld drucken dürfen, zwingen somit um des Systemerhalts willen alle Unternehmer und alle Bürger, ihre exponentiell steigenden Schulden bei den Banken zu bezahlen.

Nachdem wir aber verstanden haben, was die Exponentialfunktion darstellt und dass unsere Lebensweise, unsere gesamte Weltanschauung auf unmöglichen Grundlagen beruht, ist es unerheblich, ob das Bankensystem noch gerettet wird oder nicht, ob Renten und Lebensversicherungen mehr oder weniger offensichtlich entwertet werden. Diese Zukunftsinvestitionen waren nie etwas wert, sie gelten lediglich solange exponentiell mehr Energie bereitgestellt werden kann. Der Zeitpunkt, an dem dies nicht mehr möglich ist, liegt hinter uns und wir werden uns andere Maßnahmen überlegen müssen, unser Leben und Überleben im Alter zu sichern."(...)


ich stimme durchaus nicht mit der im weiteren verlauf des beitrags geäusserten meinung überein, dass das problem des systemimmanenten zwangs zum ständigen exponentiellen wachstum schlicht für alle der inzwischen aufgehäuften probleme des kapitalismus verantwortlich ist - hingegen macht der text nachdrücklich klar, dass wir als spezies insgesamt gerade an vielfältige physikalische grenzen stoßen. auch das führt zwangsläufig in die globale systemkrise, die sich u.a. in symptomen ungleich verteilter zunehmender sozialer unruhe ausdrückt - der schwerpunkt der heutigen news:

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  • großbritannien I: widersprüchlichkeiten im todesfall während der "g20"-proteste
  • großbritannien II: erste betriebsbesetzungen haben begonnen
  • italien: massendemonstrationen gegen regierung und ihre krisenpolitik
  • griechenland: rückblick auf generalstreik am donnerstag / weitere anschläge gegen banken und staatliche institutionen
  • frankreich: betriebsbesetzungen und festsetzungen von managern häufen sich
  • russland: weltbank warnt vor sozialen unruhen und verlangt stärkere soziale hilfen von der regierung / stahlarbeiter im hungerstreik, bergarbeiter drohen mit massenprotesten
  • usa: millionen auf lebensmittelmarken angewiesen / zeltstädte breiten sich weiter aus / landesweite massenproteste für mitte april geplant
  • spanien: bericht zur sozioökonomischen situation
  • deutschland & global: rückblick auf den internationalen aktionstag am 28. märz
  • in aller kürze: der erste märz seit beginn der statistik vor 80 jahren, in dem die erwerbslosenzahlen in d-land steigen / die häfen geraten immer schärfer in krisengewässer / innenansichten zur "hsh-nordbank" / joseph stiglitz zum iwf und der weltbank (aus dem jahr 2001)
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die woche der gipfel liegt nun hinter uns, und die "ergebnisse" sind genau die, die zu
erwarten waren - die "g20" versuchen alles, um ihren laden namens globaler kapitalismus, der inzwischen lichterloh in flammen steht, etwas aufzuhübschen - im schaufenster wird die dekoration ausgetauscht - , und derart zeit zu gewinnen. die anachronistische und nachweislich staatsterroristische (remember "gladio") vereinigung zur verteidigung von freedomanddemocracy namens "nato" feiert sich selbst im passenden geburtstagsambiente von zehntausenden polizisten, tränengasschwaden, dem knallen von schockgranaten, absurden demonstrationsverboten und -auflagen sowie dem qualm brennender häuser (zu den letzteren siehe zb. diesen bericht.)

in london war nach dem tod eines 47-jährigen mannes relativ abrupt schluss mit den meisten aktionen, und nach meinem eindruck hatte das primär etwas mit eben jenem tod zu tun, der bei vielen der dortigen aktivistInnen starke betroffenheit auslöste, und nach den offensichtlichen polizeilichen falschmeldungen der ersten stunden ("von demonstranten mit flaschen beworfen, und auch die helfenden einsatzkräfte gleich mit") die notwendigkeit in den vordergrund rückte, die ereignisse soweit wie möglich realistisch zu rekonstruieren. inzwischen sind immer mehr augenzeugenberichte verfügbar, und es zeichnet sich etwas ab, was bei polizeieinsätzen wie zb. im folgenden video dargestellt...



...eben nicht sehr überraschend sein sollte - todesfälle auch schon alleine aufgrund von schock & aufregung sind bei solchem vorgehen
nicht unwahrscheinlich:

"The man who died during last week's G20 protests was "assaulted" by riot police shortly before he suffered a heart attack, according to witness statements received by the Independent Police Complaints Commission.

Investigators are examining a series of corroborative accounts that allege Ian Tomlinson, 47, was a victim of police violence in the moments before he collapsed near the Bank of England in the City of London last Wednesday evening. Three witnesses have told the Observer that Mr Tomlinson was attacked violently as he made his way home from work at a nearby newsagents. One claims he was struck on the head with a baton."(...)


wenn dazu noch schläge mit einem polizeiknüppel kommen, wie sie mehrere zeugen inzwischen für den zeitpunkt kurz vor dem tod von ian tomlinson bestätigen, wird die phrase vom "tragischen unglücksfall" endgültig zur farce. es ist vorhersagbar, dass diese geschichte noch kreise ziehen wird - in london gab es bereits erste demonstrationen vor polizeirevieren mit der forderung einer öffentlichen untersuchung.

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und nicht nur diese entwicklung ist so gut wie kein thema im hiesigen medialen mainstream, sondern auch eine ganze reihe von betriebsbesetzungen findet nach deren lesart quasi gar nicht statt - exemplarisch sei hier auf die besetzung des autozulieferers
visteon in nord-london verwiesen, die seit dem 1. april läuft, zeitgleich mit ähnlichen besetzungen bei gleichen betrieben u.a. in belfast.

betriebsbesetzung in gb

nicht ganz überraschend werden also zunächst die betriebe der autoindustrie zu den ersten kampffeldern, und die besonderen probleme hierbei hatte ich in vergangenen news bezgl. dieser sparte schon thematisiert. positiv jedoch finde ich den aspekt der selbstorganisation einerseits sowie die demonstrierte bereitschaft andererseits, die bisher vorgegebenen regeln nicht länger als absolut bindend hinzunehmen, wenn die eigene ökonomische existenz bedroht wird. beides dürfte für viele beteiligte menschen enorme entwicklungssprünge bedeuten, die mittelfristig auch in ganz neue räume führen können. die erfahrung sowohl von erfolgen wie auch problemen derartigen kollektiven handelns kann letztlich enorme wichtigkeit gewinnen, wenn sich die verhältnisse weiter verschärfen.

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in italien fand am samstag zum wiederholten male eine von den gewerkschaften organisierte
massendemonstration in rom statt, die - wenn ich mir so verschiedene berichte betrachte - auch erfreulich regierungsfeindliche töne aufwies:

"Mehrere Hunderttausende Menschen haben am Samstag in Rom gegen die Mitte-Rechts-Regierung demonstriert. Laut den Organisatoren beteiligten sich sogar 2,7 Millionen Personen an der Kundgebung gegen mangelhafte Maßnahmen der Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi gegen die Finanzkrise, zu der der Gewerkschaftsverband CGIL aufgerufen hatte. Arbeiter, Pensionisten, Einwanderer und Studenten aus dem ganzen Land waren mit 40 Zügen und fast 5000 Bussen nach Rom gekommen.

Fünf Demonstrationszüge zogen durch die Innenstadt und strömten zu einer Kundgebung im Circus Maximus. "Es handelt sich um eine der größten Demonstrationen aller Zeiten in Italien", erklärte Gewerkschaftschef Guglielmo Epifani. In seiner Rede vor den Demonstranten, die rote Fahnen schwenkten, forderte Epifani einen runden Tisch im Kampf gegen die Wirtschaftskrise. "Wir dürfen in dieser Krise niemanden zurück lassen. Wir müssen gegen die Resignation und für die Rechte der Arbeitnehmer kämpfen", sagte der Gewerkschaftführer.(...)


noch gelingt den etablierten gewerkschaften nicht nur in italien eine art moderation der in etlichen ländern immer angespannteren stimmung. noch. vom betreffenden spagat der gewerkschaften hatte ich ebenfalls in einer früheren news schon geschrieben. von den vielen videos zur demo habe ich eines ausgesucht, dass sich speziell aus der sicht einer firmenbelegschaft mit der situation beschäftigt, und hier wäre ich wieder mal über eine übersetzung sehr dankbar.



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auch in griechenland sehen sich die gewerkschaften gezwungen, der öffentlichen stimmung ausdruck zu verleihen - like frankreich war das am vergangenen donnerstag mit abstand von einigen monaten der zweite
generalstreik...

"Ein Generalstreik hat am Donnerstag Griechenland weitgehend lahmgelegt. Zu dem Ausstand hatten die beiden größten Gewerkschaften aus Protest gegen die Politik der konservativen Regierung aufgerufen. Diese hatte vor kurzem ein Einfrieren der Gehälter für Teile des öffentlichen Dienstes angekündigt. Die Gewerkschaften lehnen dies ab und fordern, gut verdienende Unternehmen stärker zur Kasse zu bitten. Außerdem widersetzen sie sich der Lockerung von Arbeitsschutzgesetzen, die die Regierung angeschlagenen Firmen erlaubt hat. Behörden und Schulen blieben am Donnerstag in Griechenland geschlossen, Krankenhäuser arbeiteten nur mit Notdiensten, die Schiffe blieben in den Häfen und auf den Flughäfen des Landes wurde der Flugverkehr für vier Stunden unterbrochen. Das Datum war bewußt gewählt, ging es doch in Athen wie bei den Protesten gegen den G-20-Gipfel in London um die gleiche Forderung: Nicht die Arbeitenden, sondern das Kapital, Verursacher der Krise, verantwortlich für Krieg, Hunger und Ausbeutung, soll die Krise bezahlen."(...)



...und gleichfalls wie beim zweiten landesweiten streik in frankreich gab es auch das folgende zu beobachten:

"Mehr als 90 Prozent der in Großbetrieben und im öffentlichen Dienst Beschäftigten verweigerten die Arbeit. Besonders erfreulich dabei sei die hohe Teilnahme aus Betrieben, die bisher noch nie gestreikt hätten, erklärte der Chefredakteur der kommunistischen Tageszeitung Rizospastis, Dimitris Koutsoumbas, gegenüber junge Welt."

währendessen gehen die
anschläge gegen allerhand systeminstitutionen weiter, die folgende meldung ein paar tage vor dem streik mag dafür als beispiel stehen:

"Innerhalb von 15 Minuten verübten Unbekannte in dieser Nacht Anschläge mit Gaskartuschen und anderen leicht brennbaren Materialien in mindesten zehn verschiedenen Gegenden von Attika. Betroffen waren Bankfilialen, ein Autosalon, eine Postfiliale, Kraftfahrzeuge der Elektrizitätsgesellschaft DEI, sowie Pkw's, darunter auch Fahrzeuge von Diplomaten."(...)

was nicht nur in griechenland bei einer weiteren eskalation der krise passieren wird, lässt sich mit einer gewissen wahrscheinlichkeit ausmalen.

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und das lässt sich ebenfalls für
frankreich konstatieren:

(...)„Die Radikalisierung der sozialen Konflikte banalisiert sich“ (= normalisiert sich, breitet sich aus) lautet die Überschrift des dazugehörigen Artikels. Die Botschaft, die der Titel verkündet, banalisierte sich ihrerseits in den letzten Tagen: „Unter der Wirkung der Krise radikalisieren sich die sozialen Konflikte“, so übertitelte die christliche Tageszeitung ‚La Croix’ ihre Titelstory vom Donnerstag, die ihre Seiten 1, 2 und 3 füllt. Und die Gratistageszeitung ‚Métro’ machte am selben Tag ihre Eins mit der Schlagzeile auf: „Die sozialen Konflikte legen eine Eskalationsstufe zu.“

Dabei geht es nicht nur um Manager und (örtliche) Direktoren, die eine Weile als unfreiwillige Gäste „ihrer“ Beschäftigten verbringen. Klar, auch die Festsetzaktionen breiteten sich in jüngster Zeit aus. Nachdem etwa der Generaldirektor von Sony-France, Serge Foucher, in der Nacht vom 12. auf den 13. März in seinem Büro eingesperrt war, haben sich solche Aktionen inzwischen vervielfacht. Zuletzt wurden am Dienstag und Mittwoch dieser Woche vier Manager und leitende Angestellte des US-Baumaschinenherstellers Catarpillar im ostfranzösischen Grenoble für 24 Stunden festgehalten.(...)

Aber auch Betriebsbesetzungen kommen, neben Festsetzaktionen, wieder auf. So waren seit dem gestrigen Donnerstag die Lohnabhängigen des weltweit führenden Herstellers von Baukränen, Manitonow Crane (früher Potain), dazu aufgerufen, „ihre“ Werke zu besetzen, ohne allerdings die Produktion zu verhindern.

Zuvor hatten bereits seit vergangener Woche die 400 Beschäftigten der Chipkartenfabrik FCI in Mantes-la-Jolie (eine entlegene Trabantenstadt circa 35 Kilometer westlich von Paris) „ihr“ Werk besetzt. Damals, Ende März, begannen sie bereits ihre fünfte Streikwoche. Obwohl die Aktivität „ihres“ Arbeitgebers sich – trotz Krise – in einer Boomphase befindet, hat die Direktion entschieden, den Standort der Produktion nach Singapur zu verlagern. Die Werksleitung hat unterdessen den Standort schlicht und einfach aufgegeben und sich vollständig zurückgezogen, sie „verschanzt sich am zentralen Firmensitz in Versailles“...(...)


für jede solcher aktionen dürfte das gelten, was ich anfangs schon bezgl. der akteure bei den britischen besetzungen geschrieben hatte. und für nicht zu unterschätzen halte ich auch die mögliche vorbildfunktion auf andere länder und belegschaften.

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wir machen beim kleinen rundblick weiter in
russland:

(...)"Russische Bergarbeiter warnten Präsident Dmitri Medwedew laut verschiedenen Zeitungsberichten in einem Brief vor Massenunruhen, wenn die Politik ihrer Branche nicht unter die Arme greifen sollte.

Sie warfen unter anderem dem Finanzministerium vor, die Steuern für die russische Kohleindustrie nicht wie versprochen gesenkt zu haben.

Im März war es bereits zu Protesten gegen höhere Importsteuern auf Gebrauchtwagen in Wladiwostok gekommen. Zudem traten Stahlarbeiter in der Industriestadt Slatoust im Ural in Hungerstreik, um gegen niedrigere Löhne zu demonstrieren.(...)

In Umfragen des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada erklärten 26 Prozent der Teilnehmer, sie seien bereit, an Demonstrationen gegen die Verschlechterung ihres Lebensstandards teilzunehmen, deutlich mehr als noch vor einem Jahr. 54 Prozent der Befragten unterstützten die Motive der Demonstranten."(...)


und diese situation wird offenbar von der weltbank als so brisant eingeschätzt, dass aus dieser ecke ungewohnte töne zu vernehmen sind:

"Die soziale Lage hat sich so schnell und so unerwartet verschlechtert, dass es nun wichtig ist, den Fokus der Antikrisenpolitik auf die Bevölkerung zu lenken", sagte Zeljko Bogetic, Chefökonom der Weltbank in Moskau.

Das Institut regt etwa an, soziale Transferzahlungen vorübergehend deutlich zu erhöhen. So könnten für den Verlauf eines Jahres das Arbeitslosengeld um 70 Prozent, die niedrigsten Renten um 20 Prozent und das Kindergeld sogar um 220 Prozent angehoben werden."


land für land ist inzwischen zu beobachten, wie die zutaten für das, was im vorletzten bulletin des "leap" mit dem "beginnenden zusammenbruch der öffentlichen ordnung ab herbst 2009" beschrieben worden ist, mal langsamer, mal schneller zu köcheln anfangen. der countdown läuft definitiv.

*

und das gilt auch und besonders für einen brennpunkt des ganzen desasters, nämlich die usa - die
querschüsse liefern einmal mehr die bedrückenden fakten - im vergleich zu den januarzahlen dürfte das ganze allerdings inzwischen noch schlimmer aussehen:

(...)"Nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums (United States Department of Agriculture - USDA) erreicht die Anzahl der US-Bürger, welche Lebensmittelmarken beziehen im Januar 2009 ein Allzeithoch! Gewaltige 32,204 Millionen Amerikaner bezogen per Kreditkarte, für je 112,80 Dollar pro Person, im Januar Lebensmittel auf Basis von SNAP. Dies ist ein gewaltiger Anstieg von +420'400 Leistungsbeziehern bzw. von +1,3% zum Vormonat und von +16% bzw. +4,453 Millionen zum Vorjahresmonat mit damals 27,761 Millionen Bedürftigen.(...)

Selbst die 32,204 Millionen Bedürftigen sind nur ein Teil der bitteren Realität, denn um in den "Genuss" der Kreditkarten für Lebensmittelausgaben zu kommen, müssen arbeitsfähige Erwachsene zwischen 16 und 60 Jahren den Nachweis erbringen, dass sie Arbeit suchen und bereit sind bestimmte Arbeiten zu akzeptieren, z. B. an Beschäftigungs- und Ausbildungsprogrammen teilnehmen. Die entmutigten Arbeitnehmer welche aufgegeben haben einen Job zu suchen, fallen wie in der Arbeitslosenstatistik auch bei SNAP durchs Netz. Erwachsene ohne Kinder können generell nur maximal 3 Monate SNAP beziehen. Ebenfalls durch das SNAP-Netz fallen auch die legalen Immigranten, sie sind seit der Sozialhilfereform 1996 ebenso, wie grundsätzlich die Illegalen vom Supplemental Nutrition Assistance Program ausgenommen.
Nahezu 80% der Lebensmittelmarken gehen an Familien mit Kindern, davon 85% an Kinder mit nur einem Elternteil. Ein klarer Beleg für das Armutsrisiko durch Kinder vor allem für Alleinerziehende!"(...)


und ein großer teil der betroffenen dürfte zusätzlich mit der echten bedrohung der obdachlosigkeit zu kämpfen haben - berichte bzw. videos über die wachsenden zeltstädte besonders an den rändern der metropolen waren in früheren news schon zu sehen, hier nun ein relativ neuer bericht über eine zeltstadt nahe los angeles:



und in einem
überblick zur gesamten krisensituation in den usa schreibt tomasz konicz zum thema:

"Derzeit schießen überall in den USA Zeltstädte aus dem Boden, Notunterkünfte, in denen Opfer der aktuellen Weltwirtschaftskrise hausen. »Hoovervilles« werden sie gelegentlich genannt, ein längst vergessen geglaubter Begriff. Als Hoovers-Dörfer wurden in den 30er Jahren all die Elendsquartiere bezeichnet, die sich während der großen Depression im Land ausbreiteten.(...)

Die sozialen Konsequenzen des zusammengebrochenen Immobilienmarktes in den USA sind bereits jetzt verheerend. Allein im vergangenen Jahr wurden 3,2 Millionen Zwangsvollstreckungen eingeleitet. Da bezahlbare Mietwohnungen Mangelware sind, sah sich ein großer Teil der betroffenen Menschen genötigt, in ihren Autos zu leben oder bei Verwandten unterzukommen. Wer das nicht konnte, rutschte sofort in die Obdachlosigkeit und strandete in den Zeltstädten. Die Bewohner dieser provisorischen Lager sind jedoch nur ein kleiner Teil des rasch wachsenden Obdachlosenheeres in den Vereinigten Staaten. Laut Hilfsorganisation Nationale Allianz zur Beendigung der Obdachlosigkeit (National Alliance to End Homelessness) werden in diesem Jahr an die 3,5 Millionen Bürger der USA obdachlos sein – gegenüber 2007 ein Anstieg um 35 Prozent. Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche. 39 Prozent der US-Amerikaner ohne ein Dach über dem Kopf sind jünger als 18 Jahre.

Und die Zeltstädte können sich auf weiteres Wachstum einstellen. Neuesten Studien zufolge droht in den kommenden drei Jahren bis zu sechs Millionen Familien die Zwangsvollstreckung ihrer Häuser, sollten keine substantiellen Maßnahmen ergriffen werden."(...)


welche kriterien gelten eigentlich für die definition eines sozialen superGAUs? vielleicht sind mögliche antworten schon in ein paar tagen aus den usa zu vernehmen:

"Diese rasant voranschreitende Verelendung – potenziert durch die billionenschweren Hilfsmaßnahmen für in Schieflage geratene Banken und Versicherungen – läßt die Wut in der Bevölkerung an vielen Stellen bereits überkochen. Unklar ist allerdings, welche Richtung diese zunehmende Radikalisierung nehmen wird. Dabei stehen die Chancen für die Linke nicht schlecht. In den zurückliegenden Jahren ist ein umfassendes Netz alternativer Medien in den USA entstanden, das inzwischen Millionen Menschen erreicht. Während vormals kreuzbrave linksliberale Organe wie die einflußreiche Zeitschrift The Nation inzwischen prominente linke Intellektuelle wie Mike Davies oder Immanuell Wallerstein sozialistische Alternativen zum bestehenden System diskutieren lassen, mobilisiert für den 11. April ein breites Bündnis zur Massendemonstrationen im gesamten Land, um gegen weitere Milliardengeschenke an die US-amerikanische Finanzoligarchie zu protestieren."(...)

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wenn man sich so mit den sozioökonomischen daten und verhältnissen beschäftigt, die ständig aus allen möglichen ländern eintrudeln, so fällt die zunehmende monotonie oder auch der gleichklang der entwicklungen auf - vermutlich gab es einen derartigen verfallsprozeß, der tatsächlich - in einigen fällen noch mit verzögerung - kein einziges land der erde unberührt lassen wird, historisch noch nie zu betrachten. wie bekannt, schätze ich in so einer situation die länderberichte von wildcat sehr, weil sie trends und entwicklunglinien nicht nur von "unten", sondern auch aus anderer perspektive strukturell zu begreifen suchen - in einem weiteren dieser berichte geht´s unter dem irgendwie launigen motto
Backsteine, Blasen und Bankrott nach spanien:

"Ein Albtraum tritt nun an die Stelle jener heiteren Jahre, in denen alle wussten, dass das irgendwie verrückt ist und nicht ewig so gehen kann: Das ganze Land eine gigantische Wachstumsmaschine, wenn auch mit einigen Besorgnis erregenden Nebeneffekten, wie dem, dass ganze Landstriche mit schäbigen Wohnschachteln verschandelt wurden – für die Zweitwohnung am Meer, für die wachsende Bevölkerung, für die anlagesuchenden Ersparnisse aus aller Welt oder für das Waschen von Schwarzgeld. »Damals«, als in Spanien soviel Zement verbraucht wurde, wie in den vier größten europäischen Volkswirtschaften zusammen, als hier ein Drittel aller 500-Euro-Scheine zirkulierte, um die korrupten Seilschaften aus Politikern, Beamten und Bauunternehmen zu schmieren, als die kommunalen Einnahmen aus der Verwandlung von Äckern in Bauland nur so sprudelten."(...)

bleibt für den moment - bis sich auch in spanien erwähnenswertes zu rühren beginnt - nur zu sagen: buenas noches!

*

und das ist durchaus nicht hämisch gemeint, wenn ich mir die freundlich geschätzten 50.000 anschaue, die am 28.3. in berlin und frankfurt zusammen am start waren - wo doch in anbetracht der situation eher 500.000, besser gleich fünf millionen, angemessen gewesen wären. aber im wirrwarr aus abwrackprämie, täglichen märchenstunden aus regierung und wirtschaft sowie der weiterhin funktionierenden sedierung mittels
tittytainment , welches in d-land besonders verheerende ausmaße angenommen hat, leben die meisten der mitbürgerInnen immer noch in einer ziemlich virtuellen welt ihre alpträume still für sich aus. bis die realität anfängt, ohrfeigen und schienbeintritte zu verteilen. (btw, um etwaige nachfragen gleich zu benatworten: nein, ich war am 28.3. aus mehreren gründen, primär dabei ein gesundheitlicher, ärgerlicherweise nicht in der lage, auch in berlin aufzutauchen. aber im laufe des jahres wird es noch ausreichend gelegenheit geben, selbst aktiv zu werden.)

zur situation hier ist weiterhin ein krisenspecial geplant, und bevor ich lange worte verliere: bei attac gibt´s einen brauchbaren
überblick zu den aktionen vom 28. märz. dabei fällt auf, dass eigentlich nirgendwo die vorherigen zahlen der beteiligung an demonstrationen getoppt werden konnten. das ist gerade bei einem internationalen aktionstag nicht nur ärgerlich, sondern auch in der hinsicht bedenklich, das darin auch eine aussage über das derzeit verbreitete bewußtsein vieler bevölkerungen stecken könnte - stichwort tellerrand.

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in aller kürze - das krisentelegramm +
ein historischer monat, eine historische zahl - wie gesagt, das erstemal überhaupt seit 80 jahren + norddeutsche krisenspezialitäten - "Der Boom in der Hafenwirtschaft ist vorerst vorbei - in den bremischen Häfen verlieren demnächst wohl bis zu 1.400 ArbeiterInnen ihren Job. Auch in Hamburg, Rostock und Lübeck ist die Lage kritisch. Noch behilft man sich mit Kurzarbeit." noch. + "Das ist ein Wahnsystem" - hier "nur" in bezug auf den quasibankrott der hsh.nordbank und die landesbanken allgemein gemünzt. aber auch darüber hinaus eine treffende aussage + zuletzt etwas erhellendes aus dem jahr 2001 - joseph stiglitz rechnet mit seinen früheren kollegen bei iwf & weltbank ab: Was ihn letztendlich dazu trieb, seinen Job an den Nagel zu hängen, war das Unvermögen der Banken und des US-Schatzamtes, ihren Kurs zu ändern, nachdem sie mit den Krisen konfrontiert wurden - Pleiten und Leiden, verursacht durch ihren monetaristischen Tanz im Vier-Viertel-Takt. Wann immer diese Lösungen auf Basis freier Märkte versagten, verlangte der IWF einfach noch mehr freie Marktwirtschaft.

"Das ist fast wie im Mittelalter," erzählt der Insider. "Wenn der Patient starb, sagten sie: ‚Er beendete eben den Aderlass zu früh, es war immer noch etwas Blut in ihm.'"
in den vergangenen acht jahren hat sich also in diesen institutionen nichts grundlegend geändert +

gift, gene und mafiöse strukturen

auch, wenn ich damit vermutlich eulen nach athen trage und der film hoffentlich schon von vielen wahrgenommen worden ist - ich habe ihn erst gestern zum ersten male gesehen:



und diese dokumentation gehört gerade in zeiten wie diesen sozusagen zum pflichtprogramm für alle, die sich mit den inhalten und funktionsweisen des kapitalismus auch und gerade in seinen "normalen" phasen näher beschäftigen wollen oder müssen. aus einer
rezension:

(...)"Der beeindruckend direkte Film steigt ein mit einem Produkt, dass Monsanto 1974 auf den Markt brachte, dem Unkrautvernichtungsmittel "Roundup". Jahre später produzierte der Konzern dann die "Roundup-Ready-Sojabohne", die genetisch so verändert wurde, dass sie resistent gegen das Totalherbizid ist. Entgegen der Werbung von Monsanto gilt "Roundup" allerdings nicht als "biologisch abbaubar", sondern als hochgiftig und krebsfördernd. Um das Herbizid und die Genpflanzen auf dem Markt zu halten, unterdrückte Monsanto Gutachten, erpresste unabhängige Wissenschaftler, erwirkte ihre Entlassung (zum Beispiel aus der US-Food-and-Drug-Administration und aus Forschungsinstituten weltweit) und hievte umgekehrt Monsanto-Mitarbeiter in die Kontrollbehörden.(...)

Im Film folgt sodann das dioxinhaltige Unkrautvernichtungsmittel "2,4,5-T", das ein Hauptbestandteil von Agent Orange war. Die Amerikaner hatten 80 Millionen Liter davon über Vietnam versprüht, um den Dschungel, in dem der Vietkong hockte, zu entlauben und den Bauern die Reisfelder zu vernichten. Sie mussten daraufhin in die Städte abwandern, was US-Soziologen als "nachgeholte Urbanisierung" begrüßten. Noch 1985 hatte der US-Wissenschaftler Alwin Young auf einem Kongress in Bayreuth erklärt: "Der Dioxin-Einsatz hat niemandem geschadet!" Aber seitdem verklagen neben den Vietnamesen, die verkrüppelte Kinder zur Welt brachten, auch viele krank gewordene US-Vietnam-Veteranen Monsanto.

Um nicht zahlen zu müssen, ließ der Konzern die Untersuchungsberichte manipulieren. Auch den US-Sojaanbauern spielte der Konzern übel mit: Wie einer im Film es ausdrückte, "verbreitet Monsanto Angst und Schrecken unter den Farmern". Da es sich bei den Genpflanzen um patentiertes Saatgut - eine Art Kopierschutz - handelt, dürfen die Bauern nichts von der Ernte zurückbehalten, um es im nächsten Jahr auszusäen. Rüde werden sie von Monsanto deswegen mit Prozessen überzogen. Um ihre Felder zu kontrollieren, hat Monsanto sogar eigens eine "Gen-Polizei" geschaffen.

"Sie wollen alles Saatgut kontrollieren und machen alle Lebensmittel zu ihrem Eigentum", sagt ein Bauer im Film.(...)


und letzteres ist etwas, was es - wie so vieles anderes auch - unbedingt zu verhindern gilt. "monsanto" ist ein klassisches beispiel für die nur noch als schwerkriminell zu bezeichnenden verwüstungsfeldzüge der transnationalen konzerne unter protektion entsprechend korrupter regierungen. mehr zu den machenschaften des konzerns und dem fälligen widerstand
hier und hier.

Sonntag, 29. März 2009

notiz: krisennews und -gedanken (31)

heute aus zeitbedingten gründen nur in einer kurzversion. mehr mit einem schwerpunkt auf die laufenden weltweiten proteste in der nächsten woche.

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bis dahin empfehle ich erstens einen
artikel von nils minkmar...

(...)„Die Leute sind sauer, aber noch lange nicht sauer genug“, schreibt Matt Taibbi, der politische Kolumnist des amerikanischen Rolling Stone: „Es ist vorbei. Kein Imperium übersteht es, dauerhaft lächerlich gemacht zu werden.“ Und er rechnet vor: Der Versicherungskonzern AIG hat in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres 27 Millionen Dollar pro Stunde verloren, 465 000 Dollar in der Minute. Und braucht noch mehr Geld. Und wollte noch vorletzte Woche seinen so empfindlichen Genies weitere Boni zahlen, und Privatflugzeuge und die Maniküre. In Deutschland haben wir bei der Dresdner Bank und der Hypo Real Estate Vergleichbares. Ein Staat, der hier weiter Geld rausrückt, setzt seine Legitimität aufs Spiel. Nichts untergräbt Regierungssysteme so schnell und wirksam wie die Lächerlichkeit.

Darum ist die Krise nun eine Krise der symbolischen Repräsentation und damit eine Machtfrage geworden."(...)


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...zweitens einen
beitrag von tomasz konicz, der aus einer ganz anderen perspektive zu einem ähnlichen fazit gelangt und spezielle schlüsse hinsichtlich des agierens der linken zieht...

(...)"Wollte man das Wesen dieser nun alle Weltregionen erfassenden Krise auf einen kurzen, prägnanten Nenner bringen, so wäre es wohl dieser: Die Produktivkräfte sprengen gerade die Fesseln der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Es ist dies die klassische revolutionäre Situation, wie sie Marx im Vorwort „Zur Kritik der politischen Ökonomie“ vor 150 Jahren dargelegt hat: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen. (…) Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolutionen ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um.“ (MEW 13, S. 9)

Die Tragik unserer Epoche besteht nur darin, dass weit und breit keine revolutionäre Klasse, kein revolutionäres Subjekt auszumachen ist. Der ideologische Sieg des Kapitalismus scheint gerade in seiner Niederlage absolut zu sein, für breiteste Bevölkerungsschichten sind Alternativen zur kapitalistischen Vergesellschaftung schlicht undenkbar. Sollte keine breite, progressive, antikapitalistische Bewegung innerhalb des einsetzenden Krisenprozesses entstehen, droht uns der zivilisatorische Zusammenbruch. Die Aufgabe der revolutionären, antikapitalistischen Linken besteht zuvorderst darin, das öffentliche Bewusstsein über diese höchst gefährliche Situation – die jederzeit in Barbarei umschlagen kann – zu verbreitern und postkapitalistische, jenseits der uferlosen, fetischisierten Kapitalreproduktion angesiedelte gesellschaftliche Alternativen zu diesem autodestruktiven, spätkapitalistischen System zu diskutieren und aufzuzeigen.

Wir müssen – in den konkreten Kämpfen vor Ort – zuerst revolutionäres Bewusstsein schaffen; also das Bewusstsein darüber, dass wir uns in einer revolutionären Situation befinden, dass das kapitalistische System an seine Entwicklungsgrenzen gestoßen ist. Die konkrete Aktion, der Abwehrkampf vor Ort, der Streik, die Betriebsbesetzung, die Straßenblockade, die Demonstration – diese vor uns liegenden Kämpfe müssen bereits als Teil des Ringens um eine postkapitalistische Gesellschaft aufgefasst und propagiert werden. Wir müssten ja an konkreten Kämpfen ansetzen − mit den Menschen streiten, die in dieser Krise unterzugehen drohen, diese konkreten Kämpfe zusammenführen zu ihrem gemeinsamen, objektiven, um des Überlebens der menschlichen Zivilisation willen absolut notwendigen, scheinbar so „abstrakten“ Ziel: der Überwindung dieses über uns zusammenbrechenden kapitalistischen Systems."(...)


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...drittens eine
meldung , die einerseits beispielhaft illustriert, was für situationen konicz im letzten zietierten absatz oben u.a. meint, und andererseits eben auch in der zwiespältigkeit sowohl der ziele als auch der aktionsform "hungerstreik" überhaupt die ganze schwierigkeit dessen deutlich macht, was mit "schaffung eines revolutionären bewusstseins" umschrieben wird (in letzter konsequenz ist das letztlich nichts anderes als eine qualitative änderung der eigenen neuronalen konfiguration - ein anderes fühlen und denken, teils bereits in räumen jenseits des bisher gewohnten und "normalen" angesiedelt):

(...)"Sie sind entschlossen, für ihre Jobs zu kämpfen, sie wollen arbeiten. Dafür treten sie jetzt sogar in den Hungerstreik: Drei Leiharbeiter von VW Nutzfahrzeuge in Hannover haben ein Zelt auf dem Parkplatz vor dem Werkstor 3 des Unternehmens aufgebaut. Ihre Verträge laufen zum 31. März aus und wurden nicht verlängert. "Wir bleiben hier, bis man auf unsere Forderungen eingeht", sagt Oguzhan Batur. Seine beiden Kollegen Tufan Cicek und Isa Güner nicken zustimmend. Die drei Männer drängen sich um einen kleinen Gas-Heizstrahler, doch der eisige Wind, der über den Platz fegt, dringt durch die Ritzen der Planen.

Seit rund zwei Jahren arbeiten die Männer in der Montage des Unternehmens. "Wir haben unsere Kraft investiert, auch am Samstag gearbeitet, Krankheitstage hat sich keiner erlaubt", schildert Batur. Immer mit der Hoffnung, übernommen zu werden. Doch die Verträge von rund 900 Leiharbeitern bei VW Nutzfahrzeuge sollen nicht verlängert werden, hatte Vorstandschef Stephan Schaller am Mittwoch mitgeteilt. Ziel sei es, die Beschäftigung der Stammbelegschaft mit etwa 18.000 Jobs zu sichern. Das Unternehmen erwartet einen drastischen Umsatzrückgang. Weltweit will der Konzern in diesem Jahr alle noch verbliebenen 16.500 Leiharbeiter-Stellen streichen."(...)


"krankheitstage hat sich keiner erlaubt", und die sich u.a. in eben solcher selbstgefährdung ausdrückende bereitwilligkeit, sich selbst von den kapitalisten vernutzen zu lassen, "zahlt sich nun noch nicht mal aus" - so dürfte spekulativ einer der gedankengänge bei den hungerstreikenden sinngemäß lauten. was wäre hier revolutionäres bewusstsein? vielleicht erkenntnisse darüber, dass die leiharbeit nur das i-tüpfelchen auf dem täglichen skandal der kapitalistischen zwangslohnarbeit darstellt, dazu noch die autoindustrie gesamtgesellschaftlich ein auslaufmodell darstellt und noch so bereitwillige verwandlung in arbeitswillige nichts an den benannten fakten und auch nichts daran ändern wird, dass die "arbeitgeber" die leiharbeiter eben nur als kalkulierbare und am leichtesten handhabbare größe in ihren kalkulationen betrachten, die in einer situation wie jetzt eben auch so behandelt werden? vielleicht aber auch ganz praktikable alternativen zur frage, wie diese männer sich selbst und ihre familien zukünftig ernähren können - ohne strukturen, die dazu führen, dass sie selbst, aber auch andere menschen in ganz anderen regionen unter ihrer arbeit bzw. den arbeitsbedingungen und den von ihnen hergestellten produkten zu leiden haben?

der hungerstreik als aktionsform scheint mir jedenfalls mehr als alles andere ein sehr passender ausdruck des eben nicht vorhandenen revolutionären bewusstseins bei den leiharbeitern zu sein - und das zu ändern, dürfte für eine sich als umwälzend begreifende linke tatsächlich in der kommenden zeit - in der mit mehr solcher aktionen zu rechnen ist - eine hauptaufgabe darstellen.

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und viertens müssen geschichten wie die folgende, welche die inzwischen in den heulenden wahnsinn driftenden systeminternen
widersprüche deutlich machen, breit bekannt gemacht und entsprechend kommentiert werden:

(...)"F. ist arbeitslos und Hartz-IV-Empfänger. 351 Euro vom Staat und der Zuschuss zur Miete reichen kaum zum Leben. F. setzt sich in der Fußgängerzone auf den Boden, stellt Blechdose und Pappschild auf und hofft, dass Passanten ein paar Münzen übrig haben. Er bettelt.

Im Behördendeutsch handelt es sich bei den Almosen allerdings um "zusätzliche Einkünfte von Leistungsempfängern". Der Mann hatte Pech: Ein Sachbearbeiter vom Sozialamt passierte in der Mittagspause die Stelle, an der Klaus F. bettelte, erkannte den Mann und schaute dann - nicht nur einmal - ganz genau hin.

In einem Brief vom Fachbereich Soziales der Stadt Göttingen konnte F. später lesen: "In den letzten Tagen habe ich Sie mehrfach gesehen, wie Sie vor dem Rewe-Supermarkt (...) gebettelt haben. Zuletzt lagen am 3.1. 2009 in der Mittagszeit circa sechs Euro und heute gegen 13 Uhr etwa 1,40 Euro in einer Blechdose."

Der pflichtgetreue Staatsdiener rechnete die Beträge hoch und kündigte an: "Ich beabsichtige daher, (...) einen Betrag von 120 Euro als Einkommen durch Betteln anzurechnen." Künftig werde Herr K. nur noch 231 Euro Unterstützung aus Hartz IV monatlich erhalten.

Noch nie hat das Sozialthermometer in Deutschland eisigere Temperaturen angezeigt. "Uns ist bundesweit kein ähnlicher Fall bekannt", sagt Martin Grönig vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, "so weit unten waren wir noch nie".(...)

Die Göttinger Vorgehensweise, sagt Manfred Grönig vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, verdeutliche aber einen Trend: "In der Sozialpolitik wird an allen Hebeln gedreht." Dass ein Sachbearbeiter sich überhaupt legitimiert fühle, in solch einer Sache aktiv zu werden und nicht einfach weitergehe zeige, "dass die Koordinaten verrutscht sind".

Die Stadt Göttingen hat Klaus F. inzwischen zu seinen Einkünften befragt und den "vorläufigen Bescheid wegen der vorgesehenen Kürzung der Leistungen korrigiert"; zurückgenommen hat sie ihn nicht."


in ihrer exemplarischen weise zeigt diese geschichte in zeiten gleichzeitiger milliardengeschenke an bankster und manager auf, was all das gerede von "sozialer marktwirtschaft" und dem "bestmöglichen system" tatsächlich für einen platz verdient - nur noch den in der mülltonne.

Sonntag, 22. März 2009

assoziation: von simulierten welten

"Wir blicken auf die Megamaschine der Moderne mit ihren explodierenden, implodierenden und zunehmend konvergierenden Mechanismen (`Globalisierung´), also auf dieses ganz und gar Gemachte, Artefaktische, wie auf ein `Natur´-Ereignis, das mit der unberechenbaren Eigendynamik einer Urgewalt über uns hereinbricht und nur noch durch bedingungslose Unterwerfung einigermaßen `beherrscht´ werden kann. Gleichzeitig verwandelt sich die ganze Welt der authentischen Person und ihrer Beziehungen in ein bewußt Gestaltbares, Machbares, Herstellbares: Wir kompensieren unsere sklavische Unterwerfung unter das Diktat der mechanistisch-toten Anonymität durch heroische Selbstgestaltungen, die in dieser Form gar nicht realisierbar sind. Auch wenn uns unsere Welt zunehmend entgleitet, und zwar in entwürdigender Weise, so versuchen wir doch alles, um wenigstens noch eine `gute Figur zu machen´.

Der spätmoderne Mensch präsentiert sich, auf allen Ebenen der Intellektualität, Weltmächtigkeit und auch im Privaten, als ziemlich lächerliche und realitätsflüchtige Figur. Die mentale Selbstversklavung des spätmodernen Typs in Gestalt der erniedrigenden und hoffnungsfrohen Unterwerfung unter den Terror der anonymen Mechanismen und des autistischen Objektivs kann durch nichts in der Welt kompensiert werden."

(j. erik mertz, borderline - weder tot noch lebendig; s. 311; siehe literaturliste)


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als einstieg in diesen beitrag, den ich durch einige leseerlebnisse anderswo angeregt schreibe, finde ich das obige zitat - mit dem ich damals auch dieses blog begonnen hatte - sehr passend. das "warum" sollte sich in den folgenden absätzen erschliessen.
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und die beginne ich mit
dieser meldung aus österreich:

"Unerwiderte Liebe hat zu dem Mord mit anschließendem Selbstmord am späten Freitagabend in der Wiener Innenstadt geführt. Bei der Bluttat erschoss in den Räumlichkeiten der Österreichischen Autistenhilfe (ÖAH) in der Eßlinggasse 17 ein 29-jähriges Mitglied einer Autisten-Selbsthilfegruppe eine 24-jährige Studentin und danach sich selbst. Offenbar hatte sie seine Liebe zu ihr nicht erwidert, wie ÖAH-Vizepräsidentin Ruth Renee Kurz am Samstagvormittag schilderte.(...)

Er schoss mit dem Gewehr mehrfach auf die 24-Jährige, die in einem Wiener Studentenheim lebte. Die anderen Gruppenmitglieder brachten sich schwer geschockt in Sicherheit. Dann tötete er sich selbst in einem Nebenraum. Seper: "Es deutet alles darauf hin, dass es sich um eine Beziehungstat gehandelt hat."(...)

Fraglich ist, was den 29-Jährigen zu der Tat getrieben hat. Gerade bei Autisten seien solche Handlungen sehr ungewöhnlich, so Kurz: "Normalerweise ist es so, dass Autisten, wenn sie überhaupt zu Aggressionen neigen, diese eher gegen sich selbst richten. Gerade diese Kinder brauchen besonders viel Liebe, weil sie so übersensibel sind, viel sensibler als wir alle." Der ÖAH-Vizepräsidentin zufolge hat der Täter vor kurzem eine Bezugsperson durch Todesfall verloren, was seine Situation zusätzlich schwierig gemacht haben könnte."(...)


innerliches aufstöhnen war meine erste reaktion bei ansicht dieses artikels, und das bezieht sich vor allem auf den völlig unreflektierten gebrauch einiger worte - da wäre einmal das behauptete tatmotiv in gestalt der "unerwiderten liebe" - dazu hatte ich bezgl. verdinglichender wahrnehmungsmodi in der vergangenheit etwas geschrieben, was ich jetzt nochmal
zitiere:

"ich frage mich immer, wann sich endlich herumsprechen wird, dass menschen andere menschen, die auch als menschen wahrgenommen werden, unmöglich besitzen können /wollen. diese besitzidee könnte ihre basis in einer konstellation "ich vs. mein körper" als selbstwahrnehmung haben - und hat bereits dann, wenn nämlich diese konstellation in der selbstwahrnehmung dominant ist, eine gewisse pathologische qualität (ja, ganz recht, unser westliches normalbewußtsein...). anders: "besitzen" lassen sich nur dinge - oder eben menschen, die durch eine defekte wahrnehmung in dinge verwandelt werden. was mich zu einer etwas überraschenden assoziation bezgl. sogenannter "eifersuchtsmorde" bringt, die angeblich immer durch "übergroße liebe" verursacht werden. vielleicht existieren auch hier zwei qualitativ grundsätzlich verschiedene zustände von eifersucht: einmal eine authentisch-menschliche form, die durch schmerz über zurückweisung und (getriggerte) verlustgefühle (trauer!) auch älterer herkunft gekennzeichnet ist. und zum anderen eine "als-ob-eifersucht", bei der das wort liebe völlig fehl am platze ist, und die sich eben durch die kränkung durch den verlust eines für einen selbst wertvollen objektes auszeichnet. liebe lässt los, wenn auch unter schmerzen - die immer wiederkehrenden morde jedoch lassen ganz und gar nicht los, vernichten das ding lieber, und erkennen damit auch nicht die existenz einer anderen persönlichkeit als eigene qualität an. und das ist von liebe welten entfernt, wie ich finde."

ich sehe keine gründe, das obige grundsätzlich zu revidieren - wer bezgl. solcher eifersuchtsmorde ernsthaft von tatmotiven aus "liebe" redet, muss sich meiner meinung nach dringend mit seinem liebesbegriff auseinandersetzen. und natürlcih beschreibt das letzte zitat eine strukturell autistische position, die sich - versteckt - ebenso als psychophysische ausstattung bei vielen "normalen" und nicht als explizit autistisch diagnostizierten wiederfindet.

der täter im aktuellen fall hat gleich mehrfach auf die angebliche "geliebte" geschossen - mal ehrlich, wer soll diesen sprachgebrauch bei so einem deutlich an den tag tretenden vernichtungsdrang noch ernstnehmen? das gleiche gilt für den ausdruck "beziehungstat", der hier primär der verschleierung der sich aus den genannten fakten ergebenen offenkundigen tatsache dienen soll, dass eben keine (authentische) beziehung vorhanden gewesen sein dürfte.

das bei menschen mit diagnosen aus dem "klassisch" autistischen spektrum mordaktionen eines solchen kalibers "sehr ungewöhnlich" sein sollen, mag bei betrachtung der relationen zu den taten der "nt`s" (autistischer "slang" für die angeblich "neurologisch typischen") der fall sein - mir sind keine diesbezgl. statistiken bekannt, aber es existieren genügend hinweise dafür, dass auch diagnostizierte autisten durchaus in der lage sind, ihre aggressionen in extrem destruktiver manier nach außen zu richten - beispiele
hier und hier.

das es dazu tatbegünstigende umstände wie den benannten todesfall im umfeld des täters geben kann, halte ich für möglich. hingegen ist die behauptete sensibilität wieder etwas, was meiner meinung nach nicht mit pauschal mit der authentischen sensibilität gleichgesetzt werden darf - in den bisherigen blogbeiträgen zum thema autismus sollte deutlich geworden sein, dass es sich um eine schwere psychophysische störung besonders der sozialen (beziehungs-)fähigkeiten handelt, die u.u. kompensatorisch durch allerlei objektivistische simulationen "ersetzt" werden, was speziell für den versteckten strukturellen autismus gilt. das gilt es durchaus zu unterscheiden von der situation, in der sich bspw. schwer autistische kinder befinden, bei denen bezgl. spezieller wahrnehmungen durchaus so etwas wie eine übersensibilität zu verzeichnen ist. ich möchte nur in frage stellen, dass sich diese ausgerechnet auf die wahrnehmung sozialer beziehungen entwickelt. davon abgesehen: ich würde einen 29jährigen nicht mehr unbedingt als "kind" betrachten, selbst wenn diese bezeichnung seitens der zitierten leiterin der öah metaphorisch für den inneren entwicklungsstand des täters gemeint gewesen sein sollte.

als vorläufiges fazit möchte ich festhalten, dass anhand einer solchen tat für mich speziell am punkt der selbst- und fremdwahrnehmung bei sog. "beziehungs"tätern deutlich wird, dass die " klassischen" autisten bzw. ihre existenzweise sehr viel mehr mit den wahrnehmungsmodi scheinbar ganz "normaler" menschen zu tun haben, als uns allen lieb sein kann. und das gilt genauer gesagt nicht nur für solche taten, sondern
auch andere.

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von anscheinend "privaten" welten, in denen simulierte und konstruktivistische "liebe" solche mörderischen folgen nach sich ziehen kann, springen wir in die öffentlichen - bei kritik und kunst ist mir ein aktueller beitrag mit dem titel
Die simulierte Welt: Von den Lügen der Mächtigen besonders ins auge gefallen - der text beschäftigt sich anlässlich der krise besonders mit der einerseits zu beobachtenden realitätsflucht bzw. -verdrängung seitens der sog. "eliten", die andererseits mit einem von aussen als schon starrsinnig zu betrachtenden festhalten an den systemtragenden simulationen, fakes und als-ob-konstrukten untrennbar zusammenhängt. hartmut finkeldey macht das u.a. an den notorisch verzerrenden statistiken zur erwerbslosigkeit fest:

(...)"Das kommt bei der infamsten wirtschaftspolitischen Lüge, dem infamsten "image", das der Neoliberalsimus in den letzten Jahren kreierte, sinnfällig zum Ausdruck. Ich meine die Lüge vom "Wirtschaftswunder 2.0", die Lüge des "die Reformen wirken, die Arbeitslosigkeit geht zurück, die Kaufkraft steigt" etc. Alle öffentlich zugänglichen Zahlen belegten damals, 2006 und 2007, problemlos, dass weder die Erwerblosigkeit real zurückging, noch die Kaufkraft der Bevölkerung stieg. Dennoch erlebten wir damals monatlich das gleiche Ritual: Es wurden real gar nicht existente "Erfolge am Arbeitsmarkt" verkündet, die GfK konstatierte einen "Anstieg der Konsumlaune" - und dass der Konsum real gar nicht stieg (und nicht steigen konnte, da ja die Kaufkraft fehlte), fand sich dann irgendwann auf Seite 15 unten in einer kleinen Meldung, wenn überhaupt.

Und dieser Vorrang des Virtuellen, diese Schein-Problemlösung (das Arbeitslosenproblem wird per Fake "gelöst") in einer Schein-Welt (die Reformpolitik bewirkt, das es "allen besser geht"), diese gespenstische Simulation ist alles andere als lediglich harmlose Real-Satire. Denn in einer Welt,in der Vollbeschäftigung simuliert wird, es real aber sehr wohl Erwerblose gibt, fallen die realen Erwerblosen eben als Überflüssige aus der Welt. Sie werden gleichsam weggekürzt. Wie schon gesagt: Aus naheliegenden Gründen - denn wenn die Wirklichkeit mit meiner Ideologie nicht übereinstimmt, desto schlimmer für die Wirklichkeit! - verbindet sich mit einer solch gespenstisch herbeisimulierten Welt die Neigung, die wirkliche Welt der Simulation anzupassen, und sei es durch Gewalt. Denn reale Erwerblose in einer fast schon der Vollbeschäftigung zustrebenden Welt darf es ja gar nicht "geben", sie müssen ja selbst schuld sein - und dürfen somit erbamungslos der Scheinwelt angepasst werden. Durch Sanktionen, Schikanen, verweigertes Geld. So stellt sich dann per Gewalt im Idealfall wirklich ("wirklich"!) die Arbeitslosenquote Null her..."(...)


das ist meiner meinung nach ein gut beschriebenes beispiel für den ständigen versuch der ersetzung der realität durch simulierte pseudo- bzw. als-ob-realitäten. ich möchte das nur noch dahingehend ergänzen, dass ich das problem tiefer sehe: wie der verlinkte beitrag schon selbst beschreibt, handelt es sich bei simulationen einer solchen dimension keinesfalls um "gewöhnliche" lügen; und das nicht primär deswegen, weil hier eine große zahl von personen an der systematischen konstruktion solcher als-ob-realitäten beteiligt ist, sondern eher deswegen, weil die virtuellen welten mutmaßlich für eine größere zahl der in "politik" & wirtschaft handelnden protagonisten die ihnen
einzig mögliche existenzweise darstellt - und warum die inneren strukturellen merkmale pathologischer art bei einzelnen menschen durchaus gesamtgesellschaftlich fatale folgen nach sich ziehen können bzw. gleichfalls ausdruck gesellschaftlicher verhältnisse darstellen, habe ich in anderen beiträgen schon öfter versucht, aufzuzeigen.

eine weitere assoziation zum empfehlenswerten k-u-k-beitrag noch:

(...)"Im Bereich des Politischen sind wir, spätestens, seit mithilfe von Massenmedien Legitimation hergestellt werden muss, mit einem Phänomen konfrontiert, das Arendt als "image-making" problematisiert hat. Dieses Image-making, diese Manipulation der Wirklichkeit im Bereich der Politik ist eben gerade kein punktuelles Lügen. Politik findet dann unter offenkundig falschen, erlogenen Voraussetzungen statt. Es handelt sich hier keineswegs um ein Oberflächenphänomen. Denn die Manipulierer sind gezwungen, wie Arendt richtig sah, die Wirklichkeit ihren Manipulationen anzupassen. Und es handelt sich dabei mitnichten nur um gefahrlose Flunkerei (etwa, wenn irgendwo Jubelperser hinbestellt werden, was ja manchmal, jüngst bei Sarkozy, auch eine heitere Note hat).

"Die Täuscher wie die Getäuschten müssen, schon um ihr "Weltbild" intakt zu halten, sich vor allem darum kümmern, daß ihr Propaganda-"Image" von keiner Realität gefährdet wird."(Arendt, Hannah, aaO, p. 359)


das, was da im zitat von hannah arendt beschrieben wird, ist aus meiner sicht nichts anderes als angewandter konstruktivismus, wie er auch als grundlage und technik in dem nicht zufällig in elitären kreisen beliebten sog.
neurolinguistischen programmieren benutzt wird, welches primär zum ziel hat, die eigenen fiktionen (die grenze zu klinisch relevanten wahngebilden ist hier mehr als fließend) als "realität" wahrzunehmen. es wäre eine durchaus interessante sache, mal bei gelegenheit nachzuforschen, wieviele der jetzt von der authentischen realität so in die bredouille gebrachten bankster, manager und die sie hofierenden politiker mittels nlp-methoden "gecoacht" worden sind, die tatsächlich darauf hinauslaufen, "die ganze Welt der authentischen Person und ihrer Beziehungen in ein bewußt Gestaltbares, Machbares, Herstellbares" zu verwandeln, wie mertz es ausdrückt. einige bekannte beispiele sind im verlinkten beitrag zu nlp anfangs schon genannt.

*

in einem ganz anderen zusammenhang beschäftigt sich gleichfalls robert kurz in einem
interview - ebenfalls anläßlich der aktuellen krise - mit der virtualisierung sozialer zusammenhänge, speziell innerhalb linker theorie & praxis - und ich möchte dabei explizit auf den benannten aspekt eingehen (wobei das schon als teil meines zuletzt angekündigten antwortversuchs hinsichtlich der demonstrationen am kommenden wochenende betrachtet werden kann):

(...)"Warum ist die Schande der Krise auch die Schande der postmodernen Linken?

Die Krise ist keine Schande, sondern ein objektiver Prozess, der aus der blinden Dynamik von Konkurrenz und unkontrollierter Produktivkraftentwicklung resultiert. Hinsichtlich der postmodernen Linken kann man insofern von einer Schande sprechen, als sie die Kritik der politischen Ökonomie größtenteils über Bord geworfen hat. Der „Ökonomismus“ der traditionellen Parteimarxisten wurde nur kritisiert, um die negative Objektivität der kapitalistischen Kategorien von „abstrakter Arbeit“ und „Verwertung des Werts“ gleich ganz zu entsorgen. Die Krisendynamik des Kapitalismus wurde völlig verkannt und in „unbegrenzte Möglichkeiten“ umgedeutet. Wie die neoliberalen Eliten glaubte die postmoderne Linke an das „finanzgetriebene Wachstum“ und machte sich zu einem ideologischen Ausdruck des fiktiven Kapitals. Den ökonomische Virtualismus ergänzte der technologische Virtualismus des Internet. Das „second life“ im virtuellen Raum mutierte zur „eigentlichen“ Lebensform, die angebliche „immaterielle Arbeit“ (Antonio Negri) zur Fortsetzung der kapitalistischen Arbeitsontologie.(...)

Der falsche ökonomische und technologische Virtualismus schlug sich philosophisch in einer Erkenntnistheorie nieder, die den fetischistischen „realen Schein“ des Kapitalverhältnisses nicht mehr kritisieren und überwinden wollte, sondern zu dem Glauben verführte, sich in diesen Verhältnissen „selbst verwirklichen“ zu können. Das „eiserne Gehäuse“ (Max Weber) des warenproduzierenden Systems wurde den virtualistischen Illusionen entsprechend in eine jederzeit und für alles offene „Ambivalenz“ und „Kontingenz“ umdefiniert, die beliebig begehbar zu sein schien. Wahrheit, auch die negative Wahrheit der Kritik, sollte keine objektive Grundlage in den Verhältnissen mehr haben, sondern als „produzierbar“ und „verhandelbar“ gelten. Das negative Wesen des Kapitals löste sich für die postmoderne Linke in eine unbestimmbare „Vielfalt“ von Erscheinungen auf, die sich als zusammenhanglose „Vielfalt“ sozialer Bewegungen ohne Fokussierung auf den harten Kern des Kapitals darstellen sollte.

In sozialer Hinsicht war die postmoderne Linke ein Trendsetter der kapitalistischen Individualisierung und Flexibilisierung. Das abstrakte Flexi-Individuum wurde nicht als Krisenform des bürgerlichen Subjekts erkannt, sondern zum Vorschein befreiter Individualität schon innerhalb des Kapitalismus verklärt. Statt als letzte Daseinsform des totalitären Marktes und als drohender „Krieg aller gegen alle“ in der universellen Krisenkonkurrenz erschien die Individualisierung als atomisierte Form der „Selbstverwirklichung“ und der „flexible Mensch“ (Richard Sennet) nicht als hilflos getriebenes Objekt kapitalistischer Zwänge, sondern als „Souverän“ seiner selbst, der neue Spielräume gewinnen und alles aus sich machen könne. Die Nähe des postmodernen Denkens zur neoliberalen Ideologie war trotz aller äußeren Gegensätze immer unverkennbar. Jetzt steht die postmoderne Linke vor den Trümmern ihrer Illusionen und wird mit der harten Realität einer epochalen Krise konfrontiert, die sie von Anfang an nicht wahrhaben wollte und auf die sie deshalb nicht vorbereitet ist."(...)


mal von dem spezifischen hintergrund der kurzschen "wertkritik", die ich hier nicht weiter erläutern kann und will, abgesehen, ist der obige befund für mich durchaus schlüssig - wenn dazu die notwendige benennung der dazugehörigen psychophysischen prozesse (wie traumatisierungen, ihre möglichen folgen und auch die gesellschaftliche verbreitung antisozialer bis soziopathischer pathologien) erfolgt, die ich sowohl als ausdruck wie auch gleichfalls als motor der hier leider wieder mit dem falschen ausdruck "individualisierung" bezeichneten prozesse begreife - es geht um vereinzelung und die zerstörung sozialer zusammenhänge bzw. deren versuchte ersetzung durch konstruktivistische und simulative surrogate, für die seit der verbreitung von computern und internet gewaltige und historisch neue möglichkeiten vorhanden sind (nebenbei: ich bezweifle, dass die dynamik der aktuellen krise ohne computer so möglich wäre).

die benannte postmoderne ist dabei aus meiner persepktive identisch mit der anfangs von mertz erwähnten "spätmoderne", auch wenn dieser die postmoderne in seinem modell bereits als erledigt ansah. und wenn ich hier im blog von der ersteren spreche, so meine ich auch immer die letztere.

es steckt sehr viel im zitat von kurz, auf das ich nur unzureichend eingehen kann - und der satz "Die Nähe des postmodernen Denkens zur neoliberalen Ideologie war trotz aller äußeren Gegensätze immer unverkennbar." ist ein volltreffer in der hinsicht, als das er viele fragmente politischer, ökonomischer, sozialer und gerade auch kultureller entwicklungen, die hier im blog auch schon als explizite probleme begriffen worden sind, in den meiner meinung nach realistischen größeren zusammenhang bringt.

die postmoderne linke hat sich dieses attribut vor allem dadurch "verdient", in dem gerade in ihren sog. popkulturellen und auch gender-politischen fraktionen die dominanz konstruktivistischer ansätze ein ausmaß angenommen hat, welches zwangsläufig in ganz eigene formen der als-ob-welten führen musste - ohne irgendwann noch begreifen zu können, dass all diese welten sowohl untrennbar mit der authentischen sozioökonomischen realität nicht nur verbunden sind, sondern darin ihre grundlagen besitzen; als auch ausdruck von problematischen bis offen pathologischen entwicklungen darstellen - das hatte ich hinsichtlich der debatten zu sex und gender und ihrer betonung von nötigen dekonstruktionen geschlechtlicher identitäten in früheren beitragen bspw.
so ausgedrückt...

"konstruierte identitäten, die bis heute den kern der gesellschaftlichen geschlechterstereotypen bilden, sind beliebig austausch- und natürlich auch dekonstruierbar - aber das eigentliche problem versteckt sich eher dahinter: konstruierte identitäten bilden primär krücken für diejenigen, die aufgrund psychophysischer schäden die (körperlichen) grundlagen ihrer eigenen authentischen identität entweder nicht (mehr) wahrnehmen oder aber deren grundlagen erst gar nicht entwickeln konnten."

...oder auch
so:

"warum aber sollte jemand, der/die sich in sich und seiner/ihrer körperlichkeit sicher und wohl fühlt, den wunsch entwickeln, sich eben von dieser körperlichkeit und den damit untrennbar verbundenen vielfältigen beschränkungen und grenzen "befreien" zu wollen, sich eine neue identität verschaffen zu wollen? es macht, egal aus welcher perspektive betrachtet, keinen sinn - es macht aber dann einen sinn, wenn die ureigene menschliche körperlichkeit eben nicht mehr oder nur noch fragmentarisch als eigenes selbst empfunden wird bzw. werden kann - die bewegung hin zu fiktiven sphären, in denen die heimat ebenso fiktiver selbstentwürfe oder der konstruktion von mächtigen wesen zu suchen ist, stellt sich aus dieser perspektive als eine determinierte, also unfreie und defensive reaktion auf tatsächlich unerträgliche realitäten dar. und das ist eben vielleicht auch am besten in jenen feministischen strömungen zu sehen, die ernsthaft in der "befreiung" von der eigenen körperlichkeit letztlich eine tendenz weiterführen, die ebenso ein nietzsche in seinem konzept vom "übermenschen" bereits entwirft. zufällig ist das weder im einen noch im anderen fall - gerade frauen haben eine vielfältige und leidvolle erfahrung mit angriffen auf die eigene subjektivität und körperlichkeit (bei männern dürfte das imo ebenfalls eine rolle spielen, wobei hier die bereits sowieso weiter fortgeschrittene entfremdung von eigener körperlichkeit und sinnlichkeit eine rolle spielt)."

und hinsichtlich der sog. poplinken, von denen in einer ihrer verfallsformen nur noch ein durchaus positiver, aber "irgendwie kritisch" gemeinter bezug auf sog. "bewusstes konsumieren" übriggeblieben ist (dazu gehören auch durchaus alle fragen des sog. styles), findet sich hier ein passendes zitat einer rezension des buches
"fake for real":

(...)"Das Bedenkliche daran ist, dass in die Simulation politischen Handelns nur allzu gerne eingewilligt wird. Judith Mair und Silke Becker, altersmäßig der als apolitisch gescholtenen Generation Golf zugehörig, ziehen in ihrem Buch "Fake for real. Über die private und politische Taktik des So-tun-als-ob" erleichtert den Schluss, dass die Ära der "Objektivitätsapostel" mit ihren ideologischen Scheuklappen endgültig überwunden sei. Statt großen Posen in der politischen Arena empfehlen die beiden Autorinnen smartes Verhalten in der Warenwelt: "Als aktive Konsumenten sind wir zugleich immer auch konsumierende Aktivisten, die sich aus einem gut bestückten Freizeitparksortiment und Supermarkt das herauspicken, was ihrer ,politischen Gesinnung' nahe kommt."

Es ist bezeichnend für das Selbstverständnis vieler Menschen in den Dreißigern, die statt von Bebel von Baudrillard gelernt haben, politische Gesinnung nur noch in Anführungszeichen denken zu können. Der Austausch von widerstreitenden Positionen, die Geltungsansprüche von Welterklärungsmodellen wird mit Kusshand den "immergleichen selbsternannten Diskurshoheiten" (Mair/Becker) überlassen. Man selbst wähnt sich in der pfiffigeren Position und verfolgt amüsiert das Politainment der Titanic-Partei und die situationistischen Einflüsse bei Guido Westerwelle.

Die schonungslose Analyse hat man drauf, klar, doch um das Eingeständnis, über die jahrelangen Dekonstruktionsarbeiten irgendwie auch seinen Politikbegriff verloren zu haben, drückt man sich noch herum."(...)


das traf schon damals - vor fast vier jahren - genau den punkt, der bei robert kurz jetzt genauer ausgeführt wird.

umso ärgerlicher finde ich, dass er - sozusagen auf einer weiteren metaebene - das zugrundliegende problem der zentralen verleugnung der tatsache, "das menschen beziehungswesen aus fleisch und blut" (mertz) sind, und die nichtberücksichtigung der konsequenzen aus dieser elementaren basis für alle nur denkbare sozialität ebenfalls weiterführt, und zwar mit folgendem absatz aus dem interview:

(...)"Für eine neue soziale Emanzipationsbewegung geht es nicht mehr darum, ein „objektives Subjekt“ wachzuküssen, sondern ohne ontologische Rückversicherung die Subjektform überhaupt zu kritisieren und als kapitalistische Daseinsform zu dechiffrieren. Die Form „Subjekt“ kann immer nur ein Agent des „automatischen Subjekts“ von Kapitalverwertung sein und darf nicht mit dem Willen zur emanzipatorischen Aktion verwechselt werden, der sich selbst konstituieren muss und keine ontologische Grundlage haben kann. Das ist schwer zu denken, weil gerade die postmoderne Linke die Kritik des Subjekts aufgegeben hat (so ist der späte Foucault zur Beschwörung des partikularisierten Subjekts zurückgekehrt). Diese Kritik ist vor allem deshalb gescheitert, weil sie nicht mit der Kritik der politischen Ökonomie vermittelt war."(...)

ich betrachte das "subjekt" im kapitalismus immer als ein als-ob-subjekt, weil es sich von seinen dominierenden psychophysischen funktionsweisen her betrachtet eher um ein schwer beschädigtes subjekt handelt, welches diese beschädigungen - die sich vor allem im gesamten bereich der sozialen beziehungen manifestieren - kompensatorisch versucht, mittels verdinglichung/objektivierung seiner selbst und auch aller anderen, genauer gesagt alles lebendigen anderen, auszugleichen - es geht also um überlebensversuche, die bei einer postulierung des subjekts als "eigentlich überflüssig" an stärke und verzweiflung nur noch zunehmen werden. die sog. subjektform, die kurz als identisch mit der "kapitalistischen daseinsform" begreift, ist aus meiner perspektive eigentlich keine authentische subjektform mehr, besser gesagt, es ist ihre totale negierung: nämlich der
soziopath (unabhängig davon, unter welchen namen diese extreme manifestation der kapitalistischen normen in körperlicher gestalt nun historisch bisher aufgetreten ist). hier haben wir den meiner meinung nach einzigen tatsächlichen fall, in dem das subjekt aufgrund psychophysischer prozesse tatsächlich zu einer art objekt im totalitären, d.h. allumfassenden sinne, und damit zur kapitalistischen daseinsform, geworden ist.

es bedarf zu einer tatsächlichen emanzipation bei den meisten menschen also eher des zurückdrängens der objektivistischen, konstruktivistischen und simulativen prozesse, was ich gleichbedeutend mit gesundung begreifen würde - und zwar nicht mit einer gesundung im sinne kapitalistischer verwertungs- und leistungsfähigkeit, wie hoffentlich klar sein sollte. wir brauchen gerade mehr authentische subjektivität und auch individualität, um zur authentischen kollektivität zu kommen!

Freitag, 20. März 2009

notiz: krisennews und -gedanken (30)

zur in den letzten news nr.29 bzw. den dortigen kommentaren aufgekommenen diskussion über das verhältnis von teilen der bundesdeutschen linken zu den demonstrationen am 28.3. und zum (nicht-)verhalten im angesicht der krise generell plane ich einen eigenen beitrag. oder besser gesagt, wird das ein unterthema in einem schon länger auf halde liegenden artikel zu spezifisch "deutschen" reaktionen sein - ich halte die linke und auch ihre radikaleren teile in der hinsicht nur für die andere seite der medaille. und war der elitäre gestus einiger fraktionen in der vergangenheit "nur" ärgerlich, so wird er hinsichtlich potenziell eskalierender übler verteilungs- und überlebenskämpfe zukünftig geradezu suizidal. und deswegen sollten die demonstrationen nächste woche auch ein anlaß sein, die längst notwendige kritik an der abstinenz großer teile der linken von der hiesigen sozialen realität breiter zu führen bzw. überhaupt zu beginnen. bis dahin nochmal ein blick in die welt:
  • frankreich I: mobilisierung zum zweiten landesweiten streiktag noch massiver - erste ankündigungen eines unbefristeten generalstreiks ab 1.mai
  • frankreich II: regierungsmitglieder und andere angehörige der "eliten" bekommen kugeln und drohbriefe zugesandt
  • usa I: "aig"-manager als allgemeine sündenböcke
  • usa II: bericht zur aktuellen erwerbslosigkeit und ihren folgen für die betroffenen
  • europa / global: zusammenfassender überblick zur vorbereitung der repressionsapparate
  • global: zum neuen geab
  • global: interview mit walden bello
  • deutschland: linksradikale positionen zu den demonstrationen am 28.3.
  • deutschland: wie die krise psychophysische störungen triggert
  • in aller kürze: erwerbslosigkeit in großbritannien erreicht neue rekorde / weiterer autobombenanschlag in athen / straßenschlacht zwischen studenten und polizei in barcelona / fotoserie: gesichter einer globalen depression / zum billionen-dollar-paket der fed: letzte ausfahrt gelddruckerei
*

es war das angekündigte und auch zu erwartende massive erneute zeichen im nachbarland: der gestrige generalstreik hat nochmals mehr menschen mobilisiert als im januar, und mittlerweile dürfte nicht nur den dortigen regierenden, sondern (oberflächlich betrachtet) paradoxerweise auch den großen gewerkschaften klar sein, dass sie bei der mit etlicher wahrscheinlichkeit eintretenden weiteren verschärfung der sozioökonomischen lage ernste
probleme bekommen werden:

(...)"Die Umverteilung von unten nach oben, die europaweit die Krise begleitet, mag an der Spitze der nationalen und europäischen Verwaltungen Konsens sein. Aber an der Basis wachsen die Zweifel daran, dass es sinnvoll ist, den Kapitalismus zu retten. Und erst recht daran, dass dies auf Kosten der Schwachen geschehen sollte.

Die massiven Demonstrationen und Streiks in Frankreich sind keine nationale Politikfolklore. Die FranzösInnen äußern lediglich Forderungen, die auch anderswo in Europa gären. Nach einer anderen Politik. Und nach mehr sozialer Gerechtigkeit.

Für die nationalen und europäischen SpitzenpolitikerInnen liegt in der Suche nach der Antwort auf diese Forderungen die größte Herausforderung der Gegenwart. Doch auch die Gewerkschaften - sowohl die französischen als auch die anderen europäischen, und insbesondere der riesige Apparat des DGB - stehen unter dem Druck und den Erwartungen der Basis. Wenn sie sich nicht just von ihrer ureigensten Klientel überrennen lassen wollen, müssen sie - europaweit - konkrete Forderungen und Alternativen formulieren und in Aktion treten."


ja, das wird für alle großen, der fiktion der "sozialpartnerschaft" verpflichteten und nicht nur dadurch zahnlosen gewerkschaften in europa ein netter spagat werden, bei dem sie am ende aber nur auf die nase fallen können - eine sich radikalisierende basis, die zudem auf die idee kommen könnte, sich mit den allseits anschwellenden heeren der erwerbslosen zu solidarisieren, dürfte zu den natürlich niemals zugegebenen alpträumen der funktionärsapparate zählen. und ich schätze die situation diesbezgl. zumindest in südeuropa anders ein als hier oder auch in großbritannien - in frankreich, aber in maßen auch in spanien und italien (von griechenland ganz zu schweigen) haben sich zumindest bis heute fragmente entsprechender widerstandstraditionen erhalten. entscheidend wird aber auch hier die antwort auf die frage sein, wieweit besonders die rassistischen spaltungslinien in den gesellschaften aktiviert werden - nicht umsonst haben die "eliten" in spanien und besonders italien die ausländerfrage momentan zu einem zentralen thema gemacht.

ansonsten hat sich auch die einschätzung der letzten news bestätigt, dass die relativen erfolge der generalstreiks in den karibischen überseegebieten als zeichen auch im kernland entsprechend
wahrgenommen worden sind:

(...)"Allein, um den wirtschaftsliberalen Winter auszutreiben, dürfte es des munteren Frühlingstreibens noch nicht genug gewesen sein. Richtigerweise verkündete ein auffälliges Transparent, das auf der Pariser Place de la Nation – wo die Pariser Demonstration sich am Abend auflöste, nicht ohne Widersetzlichkeiten und Zusammenstöße mit der Polizei (über 300 Verhaftungen, 49 Strafverfahren werden eingeleitet) – zwischen zwei Bäumen aufgehängt war: „Was wird ein Aktionstag ändern? Das Mindeste, was es braucht, sind 44 Tage (G)Rêve Général(e)“. Bei letzterer Formulierung handelt es sich um ein, seit einiger Zeit weit verbreitetes, Wortspiel mit den Begriffen ‚Rêve' (Traum) und ‚Grève générale' (Generalstreik).

Und die 44 Tage sind eine offene Anspielung auf die jüngsten Ereignisse auf der französischen Antilleninsel Guadeloupe, wo vom 20. Januar bis zum 4./5. März dieses Jahres ein Generalstreik stattgefunden hatte, angeführt vom Kollektiv LKP (kreolisch für „Zusammen gegen Ausbeutung“). Das Beispiel aus der Karibik wurde in der Demonstration vielfach zitiert und kehrte in Form von Aufklebern und Slogans wieder. Nicht nur der Autor dieser Zeilen, der seinen Einfall für vermeintlich originell hielt, führte ein selbstgebasteltes Schild ‚Nous sommes tous des LKP' (Wir sind alle LKP..) spazieren. Der Gewerkschaftszusammenschluss Union syndicale Solidaires – in dem u.a. die diversen linksalternativen Basisgewerkschaften vom Typus SUD zusammengeschlossen sind – forderte gar „offiziell“ auf zahlreich verbreiteten Aufklebern: „Wie in Guadeloupe: 200 Euro mehr für alle!“ Andernorts führten etwa Studierende Schilder mit sich, die – in Abwandlung vom kreolischen Namen des LKP – in unbeholfenem Franko-Kreolisch ‚Liannay pour Edukation' (Gemeinsam für Bildung) forderten."(...)


es gab gestern an verschiedenen stellen im netz zitate aus dem gewerkschaftslager, dass die option eines unbefristeten generalstreiks ab mai durchaus in der diskussion ist; v.a. im hinblick auf die absehbaren nichtreaktionen der regierung. das bedeutet meiner meinung nach nichts anderes als das eingeständnis, dass sich die großen gewerkschaften zusehends unter dem druck ihrer basis befinden (dazu sind auch die von b. schmid in seinem artikel geschilderten auseinandersetzungen zwischen verschiedenen gewerkschaften bzw. ihrem führungspersonal interessant). eine basis, die in den unmittelbaren konflikten in den betrieben und fabriken offensichtlich dazu tendiert, zunehmend militanter vorzugehen und sich bei verschärfung der situation mehr und mehr nicht mehr mit alleinigen, wenn auch großen, massendemonstrationen an einem tag begnügen dürfte. zur frage, wie es weitergeht, schließt der artikel so:

(...)"Voraussichtlich schon am heutigen Freitag entscheiden die acht Gewerkschaftsdachverbände und –zusammenschlüsse, die die letzten beide Aktionstage am 29. Januar und 19. März 2009 organisiert hatten, über ihr weiteres Vorgehen. Es zeichnet sich anscheinend ab, dass die Linie darauf hinausläuft, „rund um den 1.Mai“ 2009 zu neuen Protesten aufzurufen."

optische impressionen zum gestrigen tag aus verschiedenen französischen städten gibt es
hier. ja, und dann wären da noch - zumindest in den medialen darstellungen - seltsam bezuglosen auseinandersetzungen zwischen polizei und - ja, wem eigentlich? in paris letzte nacht. sollten sich da "die banlieus" gemeldet haben? die situation nicht nur dort bleibt angespannt.

*

ein beleg dafür stellt auch die folgende kurze
meldung dar:

"Nach Staatschef Nicolas Sarkozy und mehreren Ministerinnen hat nun auch der französische Premierminister François Fillon einen Drohbrief erhalten. "Ihr verbreitet Angst - nun ist es an euch, Angst zu haben", hieß es laut Justizangaben in dem an Fillon gerichteten Schreiben. Auch ein Journalist des Radiosenders Europe 1 erhielt demnach einen Drohbrief, dem Schreiben war eine Pistolenkugel beigelegt. Vor rund zwei Wochen hatten Sarkozy, die Ministerinnen für Inneres, Justiz und Kultur sowie mehrere Mitglieder der konservativen Regierungspartei UMP ähnliche Schreiben mit Morddrohungen erhalten."(...)

meine persönliche befürchtung schon im vergangenen herbst war ja, dass wir bei einer weiteren eskalation der krise nicht nur die "klassiker" rassismus und antisemitismus verschärft als ausdruck gesellschaftlicher spaltungen auf die füße bekommen, sondern es ebenfalls zu wellen scheinbar ungerichteter bzw. wahlloser negativer(!) aggressionen quer durch alle gesellschaftlichen bereiche kommen wird - bei ansicht vo solchen meldungen wie oben und auch bei den derzeitigen ereignissen in griechenland ergänze ich das jetzt um die vorhersage, dass wir auch ein revival des sog. terrorismus erleben werden - ob als couterinsurgency-strategie oder auch als authentischen ausdruck von wut auf die "eliten", sei erstmal dahingestellt. der boden dafür wird jedenfalls tag für tag bereitet.

*

und das sich zumindest die verbale militanz deutlich verschärft, machen auch aktuelle
beispiele aus den usa deutlich - stichwort "aig":

(...)"Er kramt einen Zettel aus seinen Akten. "Alle Manager und ihre Familien", liest er ruhig daraus vor, "sollten hingerichtet werden, mit Klaviersaitendraht um den Hals."

Bei dem Zettel handelt es sich nach Liddys Worten um nur eine von zahllosen Morddrohungen, die er und seine Mitarbeiter in den vergangenen Tagen bekommen haben. Es folgt ein weiterer Drohbrief: "Ich werde die Namen aller Firmenchefs und ihrer Kinder herausfinden", heißt es darin(...)

Längst gilt AIG als Paradebeispiel für die nimmersatte Finanzer-Kaste, die selbst in der finstersten Krise noch abkassiert. "Nicht so schnell, ihr raffgierigen Schweinehunde", schreit die Schlagzeile der "New York Post" an den Kiosken, wo AIG in einem Art-déco-Wolkenkratzer unweit der Wall Street residiert - ein Wahrzeichen, das AIG jetzt notgedrungen auf den komatösen Immobilienmarkt wirft.(...)

Blogs und Online-Foren quellen über vor zynischen Kommentaren, ebenso Social-Network-Sites wie Facebook und Twitter. Die Nachrichtensender strahlen Heimvideos von Zuschauern aus, die gegen AIG wüten. Die "New York Times" berichtet, sie habe selten so viele böse Zuschriften bekommen wie zu AIG.

Nach den Morddrohungen gegen Mitarbeiter hat AIG zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Bewaffnete Beamte patrouillieren vor der Finanzverwaltung in Connecticut. Einige Angestellte erschienen trotzdem aus Angst erst gar nicht zum Dienst."(...)


das alles ist schwer bedenklich - und das, obwohl ich durchaus kein anhänger der these vom anonymen system bin, bei dem es nicht auf die austauschbaren protagonisten ankäme - es gibt durchaus real verantwortliche und sehr konkrete personen, die ganz konkret getan und gelassen haben, und dazu gehören nicht nur in diesem speziellen fall auch viele derjenigen politiker, die jetzt - wie in den usa - auf die bankster und verwandtes gelichter aus populistischen gründen einprügeln, vorher aber jahrelang eben diese bereitwillig hofiert und bedient haben. das problem ist nur, dass die wut durchaus real und auch berechtigt ist, und es wird für jede emanzipatorische und antikapitalistische bewegung nötig sein, wege und mittel zu finden, um diese wut tatsächlich auf die richtigen ziele zu lenken, ohne dabei ihren eigenen grundlagen zu verraten. wer hier meint, man müsse nur "ruhig und sachlich" das ganze system abwickeln, verkennt schlicht die psychophysischen dynamiken teils extremster destruktivität, die der totalitäre kapitalismus zwangsweise ständig produziert. und die jetzt in der krise endgültig virulent werden.

*

gerade in den usa dürfte diese destruktivität zukünftig stark zunehmen - rund um den fetisch arbeit und all die dazugehörigen "werte"systeme organisiert, die von einem großteil der bevölkerung bis dato bereitwillig geschluckt werden, stellt sich die zwangsweise erwerbslosigkeit immer noch für die meisten nicht als chance, sondern als
persönliche katastrophe dar - die letztere wird allerdings regelrecht vom system produziert:

(...)"Da dürfte sich noch einiges ansammeln. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist auf einem Höchststand, der Run auf die wenigen freien Jobs wird brutaler. In Miami meldeten sich mehrere Hundert Interessenten auf 35 Plätze bei der Feuerwehr. Der Paketdienst UPS erhielt in der Weihnachtszeit eine Rekordzahl von 1,4 Millionen Bewerbern statt der üblichen 500.000 für Aushilfsjobs in Packzentren. In Independence, einer Kleinstadt des schwer getroffenen Bundesstaats Ohio, mussten Feuerwehr und Polizei vorvergangene Woche eine Jobmesse vor Tausenden verzweifelten Arbeitssuchenden schützen. Die Stände drohten überrannt zu werden.

Der Begriff der Great Recession macht inzwischen die Runde in Amerika – eine Anspielung auf die Große Depression der dreißiger Jahre. Nicht mehr das schrumpfende Bruttoinlandsprodukt gilt als Maßstab für die Schwere der Krise, sondern die massive Arbeitsplatzvernichtung. Anders als in einem normalen Abschwung ziehen sich heute ganze Branchen zurück. Der Ökonom Kenneth Rogoff von der Harvard-Universität kann sich vorstellen, dass die US-Autoindustrie innerhalb der nächsten fünf Jahre verschwunden sein wird. »Und der Einzelhandel könnte sich halbieren.« Das bedeutete allein den Verlust von zwölf Millionen Stellen.

Am Tag nach ihrer Entlassung rief Sheri Howe vier Personalberater an. »Die Uhr tickt, ich darf keine Zeit verlieren«, sagt die 37-Jährige, die jahrelang in der Personalabteilung einer großen New Yorker Anwaltskanzlei arbeitete. Im Jahr 2007 hat sie im grünen Vorort Westchester eine kleine Wohnung gekauft, die monatliche Rate an ihre Hypothekenbank liegt bei 1800 Dollar.

Howe hat ihr Gefrierfach mit Sonderangeboten vollgestopft und eine Liste der möglichen »Grausamkeiten« aufgestellt: Kabel-TV kündigen, die Mitgliedschaft im Fitnessstudio ebenso aufgeben wie die Garage für das Auto, ohne das in der Vorstadt nichts geht. Die monatliche Patenschaft für ein Mädchen in Guatemala will sie unter keinen Umständen kündigen. Sie hat aber überlegt, zu ihren Eltern ins ländliche Pennsylvania zu ziehen. Doch wer würde ihre Wohnung nehmen? Im Augenblick kauft man in Amerika keine Wohnungen. Millionen Bürger sitzen in ihrem eigenen, im Boom überteuert eingekauften Heim wie in einer Falle."(...)


bei den jetzt schon längere zeit immer ähnlich lautenden berichten aus den usa frage ich mich nur noch, wann es da wirklich knallt - obama dürfte das etwas aufgeschoben, aber nicht aufgehoben haben.

*

und wer die newsreihe hier schon längere zeit verfolgt, wird wissen, dass sich nicht nur in den usa die repressions- bzw. sog. "sicherheits"apparate schon länger mit eben dieser frage ausführlich beschäftigen. ein sehr empfehlenswerter
überblick dazu ist aktuell bei telepolis zu lesen; aber auch in konservativen medien werden die wahrscheinlichen unruhen offen thematisiert:

(...)"In Brüssel geht die Angst um. Immer wieder haben hohe EU-Beamte in den vergangenen Wochen bei internen Diskussionen davor gewarnt, dass im Herbst „soziale Unruhen“ in Europa ausbrechen könnten. Besonders gefährdet: Irland, Großbritannien, Griechenland und einige osteuropäische Staaten. Die EU-Strategen rechnen damit, dass die Arbeitslosigkeit ab Mai hochschnellen wird – dann laufen viele Förderprogramme aus und etlichen Unternehmen fehlt langsam das Geld. „Ich fürchte eine soziale Krise, die vor allem durch Massenarbeitslosigkeit geprägt sein wird“, warnt Europas dienstältester Regierungschef Juncker. Und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso pflichtet bei: „Es wäre ein fundamentaler Fehler zu glauben, die EU müsse nur auf Finanzmarktregulierung achten.“

Auch die Gewerkschaften drängen zur Eile. „Ich fürchte, dass es in einigen Ländern schon bald zu erheblichen sozialen Verwerfungen kommt, wenn die EU-Staaten bei ihren Ausgaben nicht nachlegen und mehr Geld in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen investieren“, sagt Reiner Hoffmann, stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Die Gewerkschaften fordern höhere Ausgaben für Kurzarbeit und Umschulungen.

Und sie machen Druck. Anfang April, erzählt Hoffmann, werden in Rom rund eine Million Demonstranten erwartet, mindestens 200.000 Menschen werden Mitte Mai nach Brüssel kommen. „Sie wollen nicht die Opfer der Krise sein“, sagt Hoffmann.

„Die Leute sind wirklich wütend“, sagte der Franzose Maurice Lévy, Chef von Publicis, eine der weltgrößten Werbeagenturen. Die Politiker hätten die Ängste der Menschen einfach weggewischt, statt ihnen ihre Maßnahmen zu erklären. Und im gleichen Atemzug Milliarden Euro den Banken hingeblättert, deren Manager obendrein Boni kassieren. „Wir stehen vor einem neuen Klassenkampf“, sagt Lévy der „Financial Times“.

Wie auch immer man das nennen mag, was seit Monaten unter und über der Oberfläche brodelt: Es erfasst ganz Europa. Begonnen hat das, was vielleicht im Verlauf des Krisenjahrs 2009 in Massenunruhen müden könnte, Anfang Dezember in Griechenland. Der Tod eines 15-jährigen Autonomen, den die Polizei in Athen erschoss, löste wochenlang gewalttätige Zusammenstöße zwischen Jugendlichen und Sicherheitskräften aus. Sehr bald war klar, dass es um viel mehr ging als um die Wut über die Tötung eines jungen Mannes: um lang aufgestauten Frust. Über 24 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Über eine als korrupt angesehene politische Klasse. Über die ständig wachsenden Zahl illegaler Einwanderer."(...)


nicht nur die eher unfreiwillig geschilderte rolle der etablierten gewerkschaften als systemstabilisatoren ist hier bemerkenswert, sondern v.a. sind die letzten worte zwar für bestimmte bevölkerungsteile leider zutreffend, können aber auch als ein erbärmlicher versuch gelesen werden, mittels worten die schon oben erwähnten gesellschaftlichen spaltungslinien zu aktivieren. denn gerade auf griechenland bezogen, wo in der revolte auch ebenso viele migranten und "illegale" aktiv sind und waren, stellt das eine demagogische realitätsverdrehung dar.

*

letzteres, wenn auch ohne das zusätzliche attribut, muss ich leider ebenfalls dem aktuellen und ansonsten geschätztem
geab attestieren:

(...)"Viele Leser werden sich daran erinnern, dass wir schon ab Dezember 2007, in der 20. Ausgabe des GEAB, vor der Immobilienblase in Mittel – und Osteuropa gewarnt hatten.

Wir halten dieses Thema aber nur unter einem Blickwinkel für von besonderer Bedeutung: Es zeigt, wie Wall Street und die Londoner City versuchen , den Eindruck zu erwecken, die EU sei schwersten Verwerfungen ausgesetzt und der Eurozone drohe eine fast schon tödliche Gefahr. Ständig werden Informationen über die Kreditrisiken in Osteuropa in die Medien eingespeist. Gleichzeitig wird der Eindruck erweckt, die Regierungen der Euro-Länder würden die Krise nur zögerlich bekämpfen, ganz im Gegensatz zu den Amerikanern und Briten, die die richtigen massiven Maßnahmen ergriffen hätten. Hier geht es darum, die internationale Aufmerksamkeit von den Problemen des US- und britischen Bankenbereichs abzulenken und ganz nebenbei auch die Position der Euroländer im Vorfeld des G20-Gipfels zu schwächen."(...)


das halte ich zumindest für eine massive verharmlosung der innereuropäischen situation, was zwar für einen ausdrücklich europafixierten thinktank verständlich ist, aber in den konsequenzen der darstellung - nämlich eine faktische frontstellung der eu gegen den "angelsächsischen kapitalismus" schlicht völlig in die irre führt, und dazu das eigenständige destruktive und durchaus imperialistische potenzial der herrschenden europäischen "eliten" völlig negiert. aber auch diese sind keine opfer, sondern täter - selbst dann, wenn am dargestellten vorgehen primär der usa durchaus etwas dran ist. aber das ist eben nicht mehr als das übliche innerkapitalistische konkurrenzgerangel auf staatlicher ebene und schafft selbst bei berücksichtigung eben dieses umstandes die brisante situation in osteuropa nicht aus der welt.

*

damit wären wir dann endgültig bei der globalen ökonomischen lage angekommen, zu der der philippinische ökonom
walden bello gerade in bezug auf den trikont das folgende mitzuteilen hat:

(...)taz: Herr Bello, die Weltbank hat dieser Tage kräftig Alarm geschlagen und vor einem Absturz der Weltwirtschaft gewarnt. Wie schätzen sie die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Süden ein?

Walden Bello: Sie werden massiv sein. Am stärksten werden Volkswirtschaften leiden, die sich vollständig der Globalisierung geöffnet und ihr Wachstum etwa durch exportorientierte Industrialisierung an die Märkte im Ausland geknüpft haben. Weit weniger betroffen sind dagegen Länder mit geringerem Öffnungsgrad, zum Beispiel viele Staaten in Afrika.

Welche Effekte hat die Krise bereits?

Die Agrarexporte von Argentinien und Brasilien befinden sich im freien Fall. In Ostasien sind die Exporte ebenfalls steil abgestürzt. In China haben laut der Regierung 20 Millionen Arbeiter in den vergangenen Monaten ihre Jobs verloren. Der Wert des koreanischen Won ist um mehr als 30 Prozent gefallen. Die Überweisungen südostasiatischer Arbeitsmigranten in ihre Heimatländer sinken gewaltig, die arbeitslosen Arbeiter kehren zudem verstärkt nach Indonesien und auf die Philippinen zurück."(...)


das sind zwar grundsätzlich keine neuen befunde, aber in zeiten täglicher nebelkerzen und valiumtabletten seitens der hiesigen "eliten" ist ihre regelmässige wiederholung durchaus nötig. wobei man sich über seine alternativen - stärkere betonung nationaler bzw. regionaler ökonomischer kreisläufe - durchaus streiten kann und muss.

*

letzteres beginnt wenigstens ansatzweise auch bei hiesigen linksradikalen, und zunächst anlässlich der anstehenden
demonstrationen:

"ak: Die Demonstrationen am 28. März stehen unter dem Motto "Wir zahlen nicht für Eure Krise!" Warum diese Demo und warum ein antikapitalistischer Block?

Oli: Wir hoffen, dass die Demonstrationen Auftakt für eine breite, außerparlamentarische Mobilisierung sein werden, die die Abwälzung der Krisenfolgen auf uns alle verhindern kann und die als Akteurin in den kommenden Auseinandersetzungen handlungsfähig sein wird. Dafür benötigt es spektrenübergreifende Bündnisse und vermittelbare Forderungen. Wir sehen uns als Teil dieser Bündnisse, wollen aber auch deutlich machen, dass ein Verarzten des Kapitalismus oder der Ruf nach dem Staat nicht die Lösung sein kann. Aus diesem Grund rufen wir zu einem offenen antikapitalistischen Block auf, der konkrete Forderungen aus sozialen Kämpfen mit Perspektiven radikaler Gesellschaftsveränderung verbinden soll, ohne sich von den anderen DemoteilnehmerInnen abzugrenzen.

Von ver.di und dem DGB müsst ihr euch gar nicht abgrenzen. Die mobilisieren ja erst gar nicht ...

Das stimmt so nicht ganz: Zahlreiche Verwaltungsstellen der IG Metall, von ver.di und der GEW, der Gewerkschaftsjugend sowie die IG Bau beteiligen sich an der Mobilisierung. Und dies, obwohl der Bundesvorstand entschieden hat, zu den Aktionstagen des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) Mitte Mai aufzurufen und sich aus der Vorbereitung der Demonstrationen am 28. März herauszuhalten. Wir sehen es als ein gutes Zeichen an, dass für Teile der Gewerkschaften die Nähe zu sozialen Bewegungen wichtiger ist, als sich kurz vor der Europawahl an den Verhandlungstisch staatlichen Krisenmanagements zu setzen. Wir wollen denen den Rücken stärken, die Gewerkschaftsarbeit auch als gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung begreifen, z.B. indem wir sie bei der Mobilisierung in ihren Betrieben und bei den auf sie zukommenden Kämpfen bestmöglich unterstützen. Es gibt auch schon Überlegungen, wie wir mit unseren Positionen auf den Aktionstagen des EGBs im Mai sichtbar werden können. Das alles ändert allerdings nichts daran, dass es für einen gemeinsamen politischen Prozess auch der grundsätzlichen Bereitschaft von Gewerkschaften und auch der Linkspartei bedarf, soziale Bewegungen nicht nur als Füllmasse für Demonstrationen oder Wahlhelfer zu sehen, sondern als mögliche Bündnispartnerin, mit deren Hilfe gesellschaftliche Machtfragen, etwa wer die Krisenfolgen bezahlen muss, beantwortet werden können. Wir denken, dass ein erfolgreicher 28. März auch zu einer Stärkung der progressiven Kräfte dort führen kann.(...)

Wir wollen Themen wie Klima, Krieg, Prekarisierung, Stadtumstrukturierung, Migration und einige mehr zusammenzubringen und auf der ganzen Demo sichtbar machen. Das heißt auch, dass wir uns mit unseren Transparenten nicht nur auf unseren Block beschränken, sondern auch in anderen Blöcken präsent sein werden, um dort Diskussionen zu initiieren und bestehende Forderungen weiterzuentwickeln: Wir schließen uns dem Ruf nach demokratischer Kontrolle der Banken und Konzerne an, treten dabei aber nicht für Verstaatlichung, sondern für Vergesellschaftung unter Kontrolle der Bevölkerung und der Beschäftigten ein.

Auch wir sind gegen Kurzarbeit und Entlassungen; unsere Antwort ist allerdings eine radikale Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung der Arbeit. Statt Subventionen für Autohersteller fordern wir den sozial-ökologischen Umbau der Automobilproduktion und kostenlosen öffentlichen Nahverkehr. Wir wollen gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung für alle. Weil diese Zeit und Kraft kosten, halten wir ein Bedingungsloses Grundeinkommen für einen ersten Schritt in die richtige Richtung."(...)


das sind doch mal klare ansagen, über die sich ebenfalls diskutieren lässt - wie auch über die erklärungsansätze zur krise im folgenden mobilisierungsvideo:



und in einem weiteren aktuellen
kommentar zu den demos ist zu lesen:

(...)"Zum x-ten Mal wird auf zwei Seiten erklärt, dass die Zeit reif sei für einen "Systemwandel". Von Abschaffung des kapitalistischen Weltsystems ist nicht die Rede, sondern wieder nur mal von der "zerstörerischen" Wirkung der "Entfesselung des Kapitals". Als wenn der kapitalistische Normalzustand mit seinem unbedingten Zwang, Profite zu erwirtschaften, nichts zu tun hätte mit der heftigsten weltweiten Überakkumulationskrise seit 80 Jahren. Als wenn im kapitalistischen Normalzustand keine Umverteilung von unten nach oben stattfindet und Ausbeutung von Natur und Mensch ein Fremdwort wäre. Wieder wird die vermeintliche Idylle eines geregelten, demokratisierten und nachhaltigen Staatskapitalismus gefordert, der nicht alles zur Ware macht: "Menschen sollen vor Profite" kommen. Wie schön.

Wann, wenn nicht jetzt fordern wir den Bruch mit dem System und den Verantwortlichen?

Weder wird das System des kapitalistischen Verwertungszwangs radikal hinterfragt, noch werden die Verantwortlichen in Politik, Medien und Wirtschaft benannt. Die Tietmeyers, Eichels, Steinbrücks, Merkels, die Asmussens oder die Issings und Ackermanns. Das sind sie. Sie sind die Verantwortlichen für das Desaster. Sie sind die Verantwortlichen aus Deutschland für die drastische Zunahme von Hunger, Elend und Vertreibung durch die Weltfinanzkrise. Sie müssen verschwinden. Und zwar alle. Wie hieß der Schlachtruf 2002 in Argentinien? "Que se vayan todos"! (Alle sollen abhauen)"


ich denke, dass diese position - die ich weitgehend unterstütze - durchaus platz auf den demonstrationen finden wird.

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denn als gegengewicht zu den krisenfolgen sind solche positionen nicht nur notwendig, sondern unverzichtbar - und das auch gerade hinsichtlich der explizit
psychosozialen folgen der psychophysischen verelendung, die hier bereits im kapitalistischen normalzustand schon früher immer wieder thema waren - von den angstbedingten krankheiten bis hin zu den suiziden im gefolge der "hartz"-gesetze:

"Psychische Erkrankungen nehmen in Wirtschaftskrisen zu. Sie verursachen derzeit in der gesamten Europäischen Union jährliche Kosten von 136 Milliarden Euro, wie der EU-Gesundheitsexperte Michael Hübel am Dienstag am Rande der internationalen Konferenz »Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz« in Berlin mitteilte. Die Zahl beruhe auf Berechnungen der London School of Economics. Weitere Fachleute betonten, als Folge der aktuellen Rezession sei eine Zunahme der psychischen Leiden zu erwarten. Hübel erklärte, der Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein einer Krise und mehr psychischen Erkrankungen sei statistisch nachweisbar.

Laut Matt Muijen vom Regionalbüro Europa der Weltgesundheitsorganisation WHO belegen zahlreiche Studien, daß sich das Befinden in Zeiten der Rezession verschlechtere. Muijen äußerte die Befürchtung, daß viele Staaten nun am Gesundheitssystem sparen werden."(...)


auch das ist ein ganz wesentlicher punkt, mit dem sich systemkritische bewegungen auseinandersetzen werden müssen - wie lässt sich die spirale der resignation und ohnmachtsgefühle bei gleichzeitiger tabuisierter aggression früh genug auflösen, bevor sie sich in den einzelnen menschen in form vonsymptomen manifestiert?

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in aller kürze - das krisentelegramm +
zu den neuesten erwerbslosenzahlen in großbritannien - die querschüsse reden wie üblich klartext + weiterer anschlag in griechenland - wobei sich beim gebrauch von autobomben in innenstädten schon etliche fragen stellen + in den nächsten monaten stehen europaweit auch aktionen von schülerInnen & studentInnen an, die ebenfalls einiges in bewegung setzen werden - aktuell sind solche auseinandersetzungen wie in barcelona zu verzeichnen + der heutige lesetipp ist eher ein sehtipp - fotos aus der globalen depression - nehmen Sie sich die zeit, das wirken zu lassen + und als letztes eine art kommentar zur neuesten aktion der us-amerikanischen fed, die jetzt die notenpresse anwirft: "Diese sprunghafte Erhöhung der Geldmenge läßt sich nicht mehr ohne weiteres rückgängig machen. Sie führt mittelfristig automatisch zu einer Entwertung des Dollars. Dies bedeutet nicht nur binnenwirtschaftliche Inflation, sondern könnte – verbunden mit den unattraktiven Zinsen – zu einer Massenflucht der internationalen Gläubiger aus der US-Währung führen; eine tödliche Gefahr für einen Staat, der mit seinem Handelsbilanzdefizit seit langem auf Pump lebt.

Nun könnte man sagen: Laßt doch die Amis, die uns den ganzen Schlamassel eingebrockt haben, den Bach runtergehen. Funktioniert aber nicht, denn ein Kollaps der US-Ökonomie würde den Zusammenbruch der auf Exporte für den US-Markt fokussierten asiatischen Volkswirtschaften – allen voran China – nach sich ziehen. Wer glaubt, Europa oder gar Deutschland könnten einer derartigen Krise mit autarken Wirtschaftskreisläufen auspendeln, ist entweder dumm oder böswillig. Viel bedrohlicher als derartiges Geschwätz ist allerdings die Erkenntnis, daß eine so fundamentale Weltwirtschaftskrise auch in einen großen Krieg münden könnte. Es wäre nicht das erste Mal."
dem bleibt nichts hinzuzufügen +

Donnerstag, 19. März 2009

notiz: der satz zur zeit...

...kommt momentan von netbitch , und obwohl ich mich wahrscheinlich mit ihr bei vielen themen ordentlich streiten könnte - das folgende bringt die situation einfach, kurz und präzise auf den schmerzenden punkt:

"Sorry, aber die Welt, wie sie ist, geht nicht mehr, und nichts von Wert kommt ohne eine Art von Kampf."

mehr (u.a. neue k-news sowie antworten auf einige kommentare) in den nächsten tagen.

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in eigener sache noch: wer sich über die geschrumpfte blogroll wundern sollte - das liegt daran, dass die autorInnen vom nettblog sowie von alarmschrei bedauerlicherweise mit dem öffentlichen schreiben aufgehört haben.

Montag, 16. März 2009

notiz: krisennews und -gedanken (29)

bei somlu ist schon seit längerer zeit eine diskussion im gange, die sich mal grundsätzlicher mit den (linken) widerstandsoptionen bzw. den diesbezüglichen (un-)möglichkeiten beschäftigt. solche debatten laufen meiner meinung nach noch viel zuwenig, zumal ich geneigt bin, der folgenden feststellung beizupflichten:

(...)"Stattdessen treibt die Linke gegenwärtig auf ein Versagen historischen Ausmaßes zu. Sie überlässt nicht nur die Definition des Kommunismus, sondern auch die von Freiheit und Demokratie gänzlich denjenigen, die sich gerade anschicken, diese endgültig abzuschaffen und ihre jetzige Niederlage damit in einen endgültigen Sieg zu verwandeln, in dem sie den gescheiterten Laissez-faire-Kapitalismus in eine autoritären transformieren, in ein Kommando- und Kontrollregime, dessen einzige Grenze dann nur noch die des Wachstums sein wird. Darum geht es jetzt gar nicht um die Auswüchse des Kapitalismus, es geht um ihn selbst und um seine kommende Verfasstheit als globales und zerstörerisches Herrschaftsprinzip um seiner selbst Willen, ohne irgendeine systemimmanente Rückbindung an natürliche oder kulturelle Überlebensbedingungen der Gattung. Und so wird er Herr der Welt sein, weil er diese zerstören kann."(...)

die benannte grenze des wachstums ist dann auch diejenige, die bereits in verschiedenen dimensionen (u.a. peak oil) in sicht ist und - wie den stammleserInnen hier bekannt sein wird - meiner meinung nach nicht nur bereits zur laufenden krise beigetragen hat, sondern auch jegliche luftschlösser mit dem inhalt "weiter so" schnell, hart und schmerzhaft mit der realität konfrontieren wird. ich habe manchmal den verdacht, dass es sich große teile der linken innerhalb ihrer resignativen haltung und damit auch innerhalb des systems so gemütlich wie möglich gemacht haben und jetzt verstört damit umgehen müssen, dass der ganze laden viel schneller und unerwarteter kollabieren wird als gedacht. damit stehen dann teils mehrfach umgemodelte lebensentwürfe wieder einmal zur disposition, aber diesmal in einer so grundsätzlichen art & weise, dass mögliche selbstbetrügereien keinerlei chance mehr haben werden. aus den bekannten fakten die sich aufzwingende schlußfolgerung zu ziehen, dass die globalen verhältnisse für alle, die das sehen wollen, offen mörderisch sind, ist nun mal untrennbar mit persönlichen konsequenzen verbunden, wenn diese wahrnehmung ernst genommen wird. für den anfang für diesen schritt vielleicht am nötigsten sind antworten auf fragen wie solche, wer von den sich als links bezeichnenden hier eigentlich für sich persönlich was zu verlieren glaubt, wenn eine grundsätzliche umwälzung - im schlechtesten fall aus dem reinen druck der verhältnisse heraus - ansteht. ich glaube - bzw. weiß für mich - dass die möglichen antworten bei einer nüchternen und realistischen betrachtung nicht nur viel kürzer sein werden als gedacht, sondern auch deutlich machen werden, dass dabei eine ordentliche portion selbstsedierung eine rolle spielt.

letztere ist z.zt. ebenfalls bei den sog. "eliten" zu verzeichnen, die in alter manier nicht nur jegliche gesellschaftsbezogene lehren aus ereignissen wie dem jüngsten schulmassaker verweigern, sondern bezgl. der ökonomischen krise auch weiterhin sinnbildlich berge von tranquilizern einwerfen und verteilen, um ihr sinnloses tun - erhaltung des status quo - bis zum nächsten tag zu bringen. anders sind die entsprechenden
meldungen gerade der letzten tage nicht zu verstehen. aber, um einen schon vielfach variierten spruch nochmals abzuwandeln: die "elite" denkt - die krise lenkt. und für den anfang werden alle, die auch nur leichte bauchschmerzen angesichts der globalen entwicklung haben, nicht fehlgehen, wenn sie sich am 28. märz in berlin und frankfurt/m. zusammen mit zehn-, besser hunderttausenden anderen treffen, um endlich einen anfang auf den strassen zu machen - und ein überfälliges zeichen setzen.



*
  • osteuropa: rumänien und lettland vor dem staatsbankrott
  • griechenland: auf den straßen wird es wieder unruhig / neue anschläge
  • frankreich I: arbeiter setzen aus protest gegen entlassungen zeitweise manager fest
  • frankreich II: guerillaartige auseinandersetzungen in den banlieus von paris - es wird scharf geschossen
  • frankreich III: generalstreik auf martinique ebenfalls erfolgreich beendet - streikunruhen im indischen ozean
  • spanien: neue massenproteste (auch polizisten demonstrieren)
  • brasilien: arbeiter in der autoindustrie rufen zu einem globalen aktionstag auf
  • in aller kürze: gigantische verschuldung der usa / möglicherweise milliarden menschen global von neuer armut betroffen / robert kurz zur kommenden arbeitslosigkeit in der brd / einige interessante zusammenhänge zwischen deutscher wirtschaft & bundeswehr
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zu den fast schon gewohnten nachrichten der letzten monate gehören diejenigen über anstehende und gerade noch so verhinderte staatsbankrotte, vorzugsweise (aber nicht nur) in osteuropa. bei zwei schon seit längerem genannten kandidaten hat sich die lage jetzt zugespitzt: einmal hat
rumänien kürzlich besuch vom iwf bekommen...

(...)"Arbeitsminister Marian Sarbu mußte bereits im Vorfeld seines Treffens mit der IWF-Delegation einräumen, daß die Kreditvergabe mit »Änderungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik« einhergehen könne. Es hoffe allerdings, daß der Fonds eine Angleichung der Löhne und Renten an die Inflationsrate nicht verweigern werde. Die Rumänen haben bereits Ende der 90er Jahre ihre Erfahrungen mit dem IWF gemacht, als dieser dem Land mittels rabiater Strukturanpassungsprogramme eine Roßkur verpaßte, die das europaweit niedrigste Lohnniveau und eine der höchsten Armutsraten zur Folge hatte.

Bis zum 25. März wollen IWF-Inquisitoren mit Regierungsvertretern Gespräche führen, bis sie ihr abschließendes Urteil fällen und den genauen Kreditbedarf Rumäniens benennen. Derzeit wird dieser auf circa 19 Milliarden Euro geschätzt. Das Geld sollen neben dem IWF die Weltbank und die Europäische Union zur Verfügung stellen. Bereits jetzt ist klar, daß Brüssel und der Währungsfonds auf eine strikte Haushaltsdisziplin der rumänischen Regierung bestehen werden."(...)


...dessen sog. maßnahmen bzw. zwangsdiktate in sachen sparen schon eine art globale kollektive erfahrung derart darstellen, dass grundsätzlich immer dort "gespart" wird, wo eigentlich nichts mehr zu holen ist. was letztlich nichts anderes deutlich macht als eine kernfunktion des iwf als globale umverteilungsinstanz von unten nach oben. gleiches blüht in kürze auch
lettland:

(...)"Doch nicht nur die Landwirte klagen. Bei einem Gang durch die Rigaer Innenstadt wird schnell klar, wie angespannt die Lage ist. Viele Geschäfte und Kneipen haben aufgegeben oder werben mit Preisnachlass von bis zu 80 Prozent wegen Räumungsverkauf. "Die Party ist vorbei", hatte Lettlands Zentralbankchef Ilmars Rimsevics kürzlich in einem Interview mit der FAZ verkündet. Dass das Land noch keinen Bankrott anmelden musste, lag allein am Kredit vom Internationalen Währungsfond und einiger EU-Mitglieder, doch die Gefahr sei noch akut, so der seit vergangenem Donnerstag amtierende Ministerpräsident Valdis Dombrovskis:

"Wenn wir keine weiteren Geldmittel über internationale Kredite erhalten, dann ist in der zweiten Hälfte im Juni das Geld in der Staatskasse alle. Dann kann der Staat keine Gehälter und keine Renten mehr bezahlen, auch nicht die Rechnungen des öffentlichen Bereichs oder nur noch in dem Ausmaß, wie Geld hereinkommt. Das ist dann ein Staatsbankrott."

7,5 Milliarden Euro stehen an internationalen Krediten zur Verfügung, gut eine Milliarde hat Lettland bisher tatsächlich erhalten. Dass weitere Mittel fließen, hängt unter anderem davon ab, wie erfolgreich die neue Regierung mit ihren Sparbemühungen ist. Gekürzt werden soll vor allem im öffentlichen Dienst, durch Stellenstreichungen und 20 Prozent weniger Gehalt. Wegen ähnlicher Vorschläge hatte es Anfang des Jahres gewaltsame Proteste in Riga gegeben."(...)


nicht nur in lettland wird es keinesfalls beim öffentlichen dienst bleiben - überall, wo die iwf-delegationen auftauchen, hinterlassen sie mächtige haufen an sozialem brennstoff. in den meisten fällen ist lediglich noch die frage, wann und wie groß diese feuer im laufe dieses jahres auflodern werden.

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"griechenland" ist in dieser hinsicht fast schon von der bezeichnung eines landes zum menetekel mutiert - seit der sozialrevolte des dezembers ist in einem von außen nicht leicht nachvollziehbarem maße eine wellenartige
verschärfung der militanten konfrontationen zu beobachten:

(...)"Eine Gruppe von 100 vermummten, lief an diesem Mittag durch das Athener Stadtviertel Kolonaki. Die maskierten waren mit Stöcken und Hammern sowie Brecheisen bewaffnet und zerschlugen eine grosse Anzahl von Luxus Autos und luxuriöse, sowie Pelz und Lederwaren Geschäfte. Die ganze Aktion dauerte keine zehn Minuten und Die Polizei konnte nicht im geringsten agieren. Die Maskierten hinterliessen Flugblätter, auf denen sie die Frei lassung eines im Gefängnis sitzenden Anarchisten fordern. Da sich die Anwohner von Kolonaki unsicher fühlen, soll über eine Art permanenten Riot Polizei Schutz diskutiert werden.

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in Griechenland extrem auseinander und die Menschen befinden sich in einer wrklichen Existenzkrise. Die Wut auf die Regierung wächst, mitlerweile finden Fast täglich Demonstrationen und Aktionen dieser Art statt."


die - wie in vergangenen news schon thematisiert - bis hin zu
guerillaaktionen geht:

(...)"Die Gruppe plane Anschläge, um Griechenland „zu feindlichem Territorium für die kriminellen Agenten des internationalen Kapitals, wie die Citibank, zu machen“, heißt es in einem achtseitigen Bekennerschreiben, das die satirische Athener Wochenzeitung „Pontiki“ zugespielt bekam und am Donnerstag veröffentlichte.

Polizeiexperten halten das Schreiben für echt. Die Gruppe „Revolutionärer Kampf“ hatte vergangene Woche einen Sprengstoffanschlag auf eine Citibank-Filiale im Athener Vorort Filothei verübt. Dabei entstand schwerer Sachschaden. Verletzte gab es nicht. Vergangenen Monat konnte die Athener Polizei eine Autobombe der Organisation vor einem Citibank-Verwaltungsgebäude im Vorort Kifissia entschärfen. Die aus 60 Kilo Sprengstoff bestehende Bombe hätte nach Einschätzung von Fachleuten verheerende Zerstörungen angerichtet, ging aber wegen eines technischen Fehlers nicht hoch."(...)


auch zu solchen aktionen hatte ich mich schon geäussert, und ich sehe keinen anlass, von meinen damaligen einschätzungen abzugehen. die wirklich interessanten prozesse dürften weiterhin innerhalb der in rebellion befindlichen bevölkerungsteile ablaufen, und die ergebnisse davon werden erst mittel- bis langfristig sichtbar werden. spannend wäre es aber, einmal die tatsächliche resonanz auf derartige anschläge gerade gegen banken ungefiltert mitzubekommen.

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in frankreich findet am donnerstag der zweite landesweite generalstreik statt, und was sich davor im land so tut, dürfte den dortigen "sicherheits"apparat schon ordentlich ins schwitzen bringen - so ins schwitzen, wie einen
manager von "sony":

(...)"Wütende Arbeiter des Elektronikkonzerns Sony haben in Südfrankreich mit harten Bandagen um höhere Abfindungen gekämpft. Sie nahmen kurzerhand Sony-France-Chef Serge Foucher gefangen und hielten ihn die Nacht zum Freitag in dem Magnetbandwerk in Pontonx-sur-l'Adour fest. Die Aktion zeigte Wirkung: Sony setzte sich wieder an den Verhandlungstisch.

Foucher war am Donnerstagabend nach Pontonx gekommen, um die Beschäftigten des seit 1984 bestehenden Werkes vor der Schließung im April ein letztes Mal zu treffen. Gegen seinen Willen wurden er und sein Personalchef darauf am Verlassen der Fabrik gehindert. Die Arbeiter verbarrikadierten die Eingänge mit Baumstämmen. Erst nachdem Foucher neue Verhandlungen zugesagt hatte, entließen sie ihn am Vormittag aus ihrer Gewalt.(...)

Wir verlangen nicht die Welt, nur dass wir auf dieselbe Weise abgefunden werden wie andere Beschäftigte von Sony France, die gekündigt worden sind", sagte der Vertreter der Gewerkschaft CGT, Patrick Hachaguer."(...)


die öffentlich-mediale berichterstattung war nicht nur reichlich sparsam, sondern auch betont zurückhaltend in der wertung (ab und zu tauchte das wort geiselnahme auf, jedoch ohne die üblichen empörungsgesänge - das dürfte einen typ von aktionen darstellen, den die "eliten" in der derzeitigen situation nachvollziehbar selbst durch entsprechende empörte propaganda nicht bekannter machen wollen. was aber zumindest für frankreich nicht klappen dürfte.

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zum schwitzen dürfte die sicherheitsstrategen in frankreich ebenfalls die mögliche verbindung der allgemeinen bereitschaft zur rebellion mit der militanz in den banlieus bringen, die aktuell deutlich
stadtguerillaartige ausmaße annimmt:

(...)"Bei Krawallen in der Nacht auf Sonntag wurden in Les Mureaux im Departement Yvelines 21 Polizisten leicht verletzt und acht Personen festgenommen. In Montegron feuerten Unbekannte Gewehrschüsse auf ein Polizeikommissariat ab. In dem Kommissariat saß ein Verdächtiger in Beugehaft.

In Les Mureaux waren Polizisten in einen Hinterhalt geraten. Die Beamten waren wegen eines brennenden Autos im Stadtviertel Les Musiciens angerückt. Plötzlich wurden sie von hunderten Jugendlichen mit Steinwürfen und Gewehrschüssen attackiert. Die Ausschreitungen dehnten sich im Laufe der Nacht auf benachbarte Wohnviertel aus."(...)


die wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es sich bei den scharfen schüssen tatsächlich um aktionen in zusammenhang mit einem anfang märz von der polizei erschossenen jugendlichen handelt. solche aktionen reichen schon in "normalen" zeiten aus, um den brisanten mix aus prekariat und auch islamistischen strömungen in den banlieus zu aktivieren - wenn dazu noch eine ökonomische krise des derzeitigen kalibers dazukommt, in der jede aussicht auf teilhabe am sog. "wohlstand" endgültig den bach runtergeht, ist die tatsache der an verschiedenen orten gefallenen schüsse gegen die sog. staatsmacht ebenfalls nur als beunruhigendes menetekel zu verstehen.

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aber auch die kolonien machen weiter von sich reden - nachdem auf guadeloupe vorläufig ruhe eingekehrt ist, folgte jetzt die nachbarinsel
martinique:

" Ein von gewaltsamen Ausschreitungen begleiteter Streik auf der französischen Karibikinsel Martinique ist nach 38 Tagen beendet worden. Streikführer, Arbeitgeber und Behörden einigten sich auf einen Krisenplan. Er sieht u. a. Lohnerhöhungen und bessere Sozialleistungen vor. Die Arbeitnehmer behielten sich vor, die Streiks fortzusetzen, sollten die Abmachungen nicht eingehalten werden."(...)

ich hatte ja schon vom positiven beispiel geschrieben, welches die vereinbarungen von guadeloupe nicht nur den anderen "überseegebieten", sondern auch möglicherweise dem französischen kernland gegeben haben - und die methode wird wie beim domino fortgeführt, aktuell auf
la reunion im indischen ozean:

(...)"Nach dem Ende des Generalstreiks in Guadeloupe haben die Proteste gegen hohe Lebenshaltungskosten und niedrige Löhne auf das französische Überseegebiet La Reunion übergegriffen. Am Dienstag demonstrierten tausende Menschen auf der Insel im Indischen Ozean. Nach einer Kundgebung in der Hauptstadt Saint-Denis bewarfen Jugendliche die Präfektur mit Steinen, wie ein AFP-Journalist berichtete.

Die Polizei setzte Tränengas ein, worauf sich die Jugendlichen in umliegende Straßen flüchteten und auch auf Autos und Wohnungen Steine und Flaschen schleuderten. Die Behörden hatten am Montag versucht, den Konflikt durch eine Senkung der Benzin- und Gaspreise zu entschärfen. Der Unternehmerverband Medef sagte gleichzeitig Lohnerhöhungen von 50 Euro für Geringverdiener zu. Die Führung der Protestbewegung bezeichnete das aber als unzureichend."(...)


ich prophezeie mal ein ähnliches ende wie in der karibik - die französische regierung steht durchaus mit dem rücken zur wand, weil sie sich unmöglich monatelange brandherde leisten kann. und bisher ging es "nur" um die peripherie - in frankreich selbst hat die eigentliche kraftprobe noch nicht mal begonnen.

*

und auch im nachbarland spanien beginnen sich langsam die strassen zu füllen - waren bisher lediglich im letzten herbst vereinzelte (militante) proteste in der autoindustrie und werftenbranche zu vermelden (ebenfalls sollte der anarchosyndikalistisch inspirierte generalstreik von lebrija nicht vergessen werden), gab es jetzt erstmals größere
gewerkschaftsdemonstrationen:

(...)"Die Wirtschaftspolitik der spanischen Regierung sei mit Schuld an der Misere in Spanien und so riefen am Samstag die beiden großen Gewerkschaften Comisiones Obreras (CCOO) und Unión General de Trabajadores (UGT) zu Demonstrationen auf. In Barcelona folgten Tausende diesem Aufruf. Die Gewerkschaften sprechen von über 50.000 Menschen, die Polizei will allerdings nur 12.000 gesehen haben. 125 Organisationen hatten die beiden großen Gewerkschaften bei der Massendemonstration unterstützt."(...)

die forderungen bewegen sich aber nach meinem eindruck noch unter bspw. dem irischen niveau. die verzögerte krisenwahrnehmung ist jedenfalls kein rein deutsches phänomen, wobei sie in spanien schon länger eigentlich wesentlich spür- und auch sichtbarer ist, was besonders die berüchtigte immobilienblase betrifft. eine weitere demonstration in madrid gegen bestimmte krisenfolgen ist bemerkenswert:

(...)"Auch in Madrid fand eine Demonstration statt, hier war es die Polizei selbst, die höhere Gehälter forderte. Nicht die erste dieser Art, bereits im Oktober waren die spanischen Polizeibeamten auf die Straße gegangen, um für höhere Löhne zu demonstrieren."

die bewaffneten repressionspparate der staaten stellen für die "eliten" global ein so wichtiges standbein ihrer macht dar, dass dort i.d.r. als letztes gekürzt wird; jedenfalls in den bereichen, die nicht unmittelbar der sicherheit der breiten bevölkerung dienen, sondern der sicherheit vor dieser bevölkerung. in zeiten des realen risikos für nicht nur einen staatsbankrott kann die frage, wie diese hochgerüsteten apparate denn bezahlt werden sollen, irgendwann ziemliches gewicht für alle beteiligten bekommen.

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die krisenfolgen in südamerika waren hier bisher ziemlich unterbelichtet, was sich zukünftig aber ändern soll - und zum beginn dokumentiere ich fast schon typischerweise (weil sich hier global überall die ersten massiven krisenerscheinungen der sog. "realwirtschaft" manifestiert haben und manifestieren) einen
aufruf aus brasilien für einen internationalen aktionstag der arbeiterInnen in der autoindustrie - auszüge der deutschsprachigen übersetzung:

"Wir beobachten zurzeit die weltweite Verschärfung der internationalen Wirtschaftskrise und der Politik der Unternehmer und ihrer Regierungen. Abermilliarden von Dollar bzw. Euro an öffent-lichen Geldern werden den Konzernen überreicht, während man mit uns Arbeiter/Innen nur über Entlassungen und die Notwendigkeit redet, auf unsere Arbeitsrechte zu verzichten und die Senkung unserer Gehälter in Kauf zu nehmen.

Das ist unakzeptabel!!! Wir waren nicht die Auslöser dieser Krise. Wer für die Krise bezahlen muss, sind diejenigen, die jahrelang Gewinne und Dividenden unter sich aufteilten, indem sie die jetzige Krise durch ihr unverantwortliches und betrügerisches Management verursachten.
Im Gegenteil, wir, die Arbeiter/Innen, produzieren unter Bedingungen extremer Ausbeutung und werden durch die Arbeit krank. Gleichzeitig werden unsere Löhne und Arbeitsrechte in Frage gestellt, Betriebe werden geschlossen bzw. verlagert. Und dies alles im Namen der Kos-tensenkung und der angeblichen Sicherung der Arbeitsplätze.

Wir dürfen jetzt nicht erlauben, dass diejenigen, die sich in den letzten Jahren unglaublich be-reichert und diese Krise verursacht haben, sich Milliarden öffentlicher Gelder in die Taschen stecken, während sie gleichzeitig ihre Pläne bekannt geben, in denen wir gezwungen werden sollen, Lohnsenkungen und den Abbau von Errungenschaften zu akzeptieren, die Millio-nen unserer Familien ins Elend stürzen werden.
Die Regierungen und die Konzerne versuchen außerdem, uns gegeneinander auszuspielen.(...)

Die Automobilindustrie kündigt weltweite Umbaumaßnahmen an. In verschiedenen Ländern finden bereits Mobilisierungen, Streiks und Demonstrationen statt. Auf den Globalangriff der Unternehmer müssen wir auch eine gemeinsame globale Antwort erarbeiten.

Es ist nötig, dass wir Initiativen, wie die in den letzten Tagen von den Arbeiter/Innen der GM EUROPA unternommenen Aktionen, zusammenführen und verbreitern. Sie haben einen Tag der Produktionsstilllegung und Demonstrationen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze durchgeführt. Wir in Brasilien bereiten einen Streiktag und Demonstrationen für den 1. April vor.

Wir, MetallarbeiterInnen von São José dos Campos, Arbeiter/Innen von GM BRASILIEN, rufen alle Arbeiter/Innen in der Automobilindustrie auf, einen internationalen Streiktag für den Erhaltung unserer Arbeitsplätze, Löhne und Rechte zu organisieren. Die Reichen müssen für diese Krise bezahlen.(...)

Deswegen rufen wir, Arbeiter/Innen der GM Brasilien, die Metallarbeitergewerkschaft von São José dos Campos, die CONLUTAS (Ko-ordinierung der Kämpfe, Brasilien), alle Arbeiter/Innen, Gewerkschaften, Betriebsräte, Aktivis-ten auf, ein internationales Treffen zu veranstalten, auf dem wir gemeinsame Aktionspläne be-raten, um der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise zu begegnen und unsere Arbeitsplätze, Arbeitsrechte und Arbeitsgehälter verteidigen, ohne zu Geiseln der Erpressungen derer zu werden, die uns immer schon ausgebeutet haben.

Arbeiter/Innen der GM von São José dos Campos - São Paulo
Metallarbeitergewerkschaft von São José dos Campos - São Paulo
CONLUTAS - Koordinierung der Kämpfe von Brasilien
ELAC – Encontro Latino Americano e Caribenho de Trabalhadores"


die beispielhafte internationalistische ausrichtung ist das eine, das andere aber hatte ich schon infrüheren news grundsätzlich zur situation der autoindustrie kommentiert - aus vielen gründen in ihrer aktuellen form ein historisches auslaufmodell, und es sind nicht zuletzt die dort beschäftigten, die im weiteren verlauf der krise in naher zukunft damit beginnen müssen, sich dieser realität zu stellen. eine internationale zusammenarbeit kann bei diesem prozeß aber nur hilfreich sein.

*

in aller kürze - das krisentelegramm + die wirtschaftsquerschüsse zu den
gigantischen us-schulden - ich frage mich immer mehr, wie da drüben irgendjemand noch ernsthaft glauben kann, im systemimmanenten rahmen aus dieser situation zu entkommen + mehr zu den globalen krisenfolgen - in den letzten news schon thema, macht der artikel nochmals die dimensionen etwas deutlicher + letzteres schafft ebenfalls robert kurz mit einem ausblick auf die mögliche erwerbslosigkeit in der brd: "Jetzt droht eine bislang unvorstellbare Krisendimension. Noch ist sie ein Medienereignis, aber der neue Einbruch auf dem Arbeitsmarkt hat schon begonnen. Ein Höchststand von 8 Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen in den kommenden Jahren ist für die BRD nicht mehr völlig ausgeschlossen. Niemand hat dieses Horrorszenario bisher durchrechnen wollen, aber die Folgen sind absehbar." und absolut haarsträubend + speziell mit der herausgehobenen rolle der "commerzbank" beim schulterschluß zwischen wirtschaft und bundeswehr beschäftigt sich ein ganzes blog zum sog. "celler trialog". und das ist auch der heutige lesetipp, weil dort vor dem hintergrund der krise strukturen sichtbar werden, die noch viel zu wenig thema sind +

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