kontext 18: "neurolinguistisches programmieren" oder: wahnsinn mit methode? (1)
wieder einmal hat sich ein thema quasi aufgedrängt, welches ich für interessant genug halte, es näher zu beleuchten - hinter der beschäftigung mit dem neurolinguistischen programmieren (wer zur theorie und technik weiteres wissen will, findet im netz genügend material) versteckt sich unter anderem die grundsätzliche frage, ob jegliche zwischenmenschliche kommunikation als manipulativer akt anzusehen ist - und diese frage nun birgt allerdings reichlich sprengkraft, und ist für unser selbstbild als menschen ganz und gar nicht unerheblich.
wie ich dazu komme, mich näher mit dem nlp zu beschäftigen, steht an einem anderen, nichtöffentlichen virtuellen ort, wo ich vor kurzem folgendes geschrieben habe - auszüge:
"bin mehr zufällig über interessante infos - von einer nlp-seite selbst, die gerne mit "ethisch" vs. "unethisch" hantiert und darin scientology nicht unähnlich ist - gestolpert: über die haider-fpö und nlp
mittels des "back"-buttons im browser könnt ihr zu einem zweiten, ähnlichen artikel gelangen.
(...) doch, sehr interessant
wer besucht sowas? was wird da genau vermittelt? wenn ich mir den da verlinkten .pdf-flyer anschaue, wird mir etwas anders...
"Top-Manager wie Lee Iacocca, Politiker wie der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl sowie die internationalen Konzerne IBM, Mercedes, Coca-Cola, Sandoz, Master Foods, American Express und BP wissen schon längst um das enorme Potential der neuen Coaching-Methode. Auch hierzulande hielt NLP bereits Einzug in firmeninterne Trainingsprogramme: Bei Philips, Agip, Voest Linz, Bank Austria, Palmers, Interunfall, Siemens, Boehringer-Mannheim oder Wüstenrot verbessern Manager ihre Fähigkeiten Mittels NLP."
(quelle)
gleiche quelle:
"Indem man Atem, Mimik, Gestik, Sprechgeschwindigkeit, Körperhaltung usw. an sein Gegenüber anpaßt, schafft man eine Verbindung, den sogenannten Rapport, wie es im Fachausdruck heißt, der für den Gesprächspartner angenehm ist. Durch dieses Pacing, auch Spiegeln genannt, wird eine Art Gleichklang hergestellt, der leicht alsbald in ein Leading, also in ein Führen, übergeleitet werden kann."
na prima...sie sprechen es auch gleich offen aus:
"Natürlich birgt dieser direkte Draht zum Unterbewußten die Gefahr der Manipulation. Roman Braun: "Manipuliert werden wir ständig, man kann nicht nicht manipulieren. Manipulation heißt Veränderung. Durch NLP macht man sich die Prozesse bewußt, die ansonsten im Unterbewußtsein ablaufen."
das ist nicht nur ein starkes stück, sondern eine regelrechte frechheit - kommunikation jeglicher art als ausnahmslose manipulation darzustellen bzw. so ernsthaft zu empfinden, verlangt imo tatsächlich eine persönlichkeitsstruktur, in der sich grundsätzliche defekte vermuten lassen.
(...)
zum schluß noch zwei längere kritiken an menschenbild und methoden des nlp (auch wenn die zweite aus kirchlichen kreisen stammt, enthält sie viele erwähnenswerte überlegungen):
kritik 1
kritik 2
und als nachtrag noch diesen kurzen ausschnitt aus einem längeren bericht zur praxis des nlp:
"NLP-versierte Manager wie der Beiersdorf-Direktor Patzelt glauben denn auch, ihre Arbeitskollegen regelrecht konditionieren zu können - wobei die Tierversuche des russischen Physiologen Iwan Pawlow durchaus als Modell dienen. So wie Pawlow einst den Speichelfluss seiner Hunde allein durch einen Klingelton in Gang setzte (zuvor hatte er einige Male bei der Verabreichung des Futters die Klingel ertönen lassen), versuchen sie ihre Mitmenschen durch geschickt gesetzte Signalreize zu ähnlichen unwillkürlichen Handlungen zu verleiten. Patzelt erläutert: "Beim neurolinguistischen Programmieren geht man davon aus, dass eine Vorstellung, ein innerer Dialog, oder ein Gefühl genau solche Reaktionen sind wie die Speichelabsonderung des Pawlowschen Hundes." Den zugrundeliegenden Vorgang nennen die NLP-Experten "ankern".
(quelle)
die hier dargestellte vorstellung des charakters menschlicher gefühle ähnelt dabei auf verblüffende und wahrscheinlich keinesfalls zufällige weise den entsprechenden aussagen, wie sie auch die ideologie des objektivismus macht - eine quasi mechanische, durch äußere reize ausgelöste und irgendwie sekundäre menschliche reaktion.
darauf hat sich dann eine z.zt nicht abgeschlossene diskussion um die relevanz von nlp in den gesellschaftlichen "eliten", den potenziellen wirkungsradius solcher techniken und eben zum begriff der manipulation entwickelt, wobei gerade zum letzteren thema eine mehr oder weniger große zahl von menschen das nlp-postulat des grundsätzlich manipulativen charakters jeglicher kommunikation zu teilen scheint - nicht nur am erwähnten virtuellen ort. ich halte das für gelinde gesagt bedenklich, und möchte dazu wieder einmal den herrn mertz zitieren, der sich der theorie und praxis des nlp mit scharfer polemik nährt, vorher aber noch ein paar grundsätzliche ausführungen zur subjektiven erfahrung generell und an sich macht (dazu verweise ich auch auf die längeren zitate von ihm hier ):
"Die zwei Fundamentalkategorien der subjektiven Erfahrung
Die primärkompetente Beziehungserfahrung beruht offensichtlich auf einem primärsinnlichen Erfahrungsmodus, der von primärfiktiven Elementen, die nicht aus der primärsinnlichen Eigenerfahrung (...) stammen, etwa wissenschaftlich-professionellen Theorieprothesen (auf Fremderfahrung basierende Fiktionen), begleitet, gesteuert, überlagert, durchdrungen, deformiert oder weitgehend blockiert werden kann. Immer wieder stoßen wir, in Psychologie und Psychopathologie, in der Theorie und in der Praxis, (...) auf dieses Spannungsverhältnis zwischen primärsinnlicher Erfahrung und Fiktion.
Wir erfahren die Welt, uns selbst mit eingeschlossen, entweder auf sinnlichem oder nichtsinnlichem Wege...oder überhaupt nicht. Sinnliche Erfahrung und nichtsinnliche Erfahrung, das sind die Fundamentalkategorien der subjektiven Erfahrung. (...) Auch das wieder eine scheinbare Banalität. (...) Mit diesem unscheinbaren Instrument läßt sich nunmehr der ganze Komplex um Beziehung und Nichtbeziehung, Authentizität und Simulation in der Weise neu ordnen, daß ein totalsimulatives Phänomen erstmals denkbar wird und systematisch bearbeitet werden kann. Bei dieser Basisordnung handelt es sich zugleich (...) um eine Banalität der alltäglichen Erfahrungspraxis, wie sie uns etwa in folgenden Behauptungen begegnet: Das bildest du dir nur ein, das ist nur Einbildung. Oder: Ich habe etwas mit meinen eigenen Augen gesehen, ich habe es deutlich gespürt. Natürlich ist dieser kleine Unterschied zwischen Einbildung und sinnlicher Erfahrung auch in wissenschaftlich-professionellen Kreisen nicht ganz unbekannt."
(j. e. mertz, "borderline..."; siehe literaturliste; s. 94/95)
der erwähnte "kleine unterschied" zwischen "primärsinnlich und primärfiktiv", zwischen sinnlicher erfahrung und einbildung ist imo das, was in den beiträgen zur subjektivität und objektivität weiter unten genauer skizziert worden ist - gemeint ist der objektivistische modus, das "konstruktivistische ich" als werkzeug - und nicht etwa als qualitativ eigener gegenpol! - der subjektivität. dieses verhältnis spielt auch bei der hier dargestellten kritik am menschenbild des nlp eine zentrale rolle. mit bezug auf diesen "kleinen unterschied" geht es weiter:
"Manche Schulrichtungen, vor allem das sogenannte Neurolinguistische Programmieren (NLP), kennen den Unterschied wohl, lösen ihn aber im Ernstfall vollkommen auf. Ob ein Erinnerungsbild tatsächlich eine sinnliche Eigenerfahrung repräsentiert oder nur eine bloß fiktive Produktion, die vom Betreffenden so erlebt wird, als ob es sich um eine frühere sinnliche Eigenerfahrung handeln würde, spielt hier keine Rolle mehr, weil der Betreffende selbst diese Als-Ob-Erinnerung als Repräsentation einer tatsächlich gemachten, d.h. sinnlichen Eigenerfahrung erlebt...die Differenz ist dann "egal" [R. B. Dilts 1991].
Gelegentlich ist aus dieser Ecke zu hören, das Gehirn könne nicht zwischen sinnlicher Erfahrung und bloß halluzinierter Erfahrung unterscheiden, beides werde gleichermaßen als real erlebt. Oder anders ausgedrückt: "Menschen reagieren auf ihre Abbildung der Realität, nicht auf die Realität selbst" [erster "Glaubenssatz" des NLP, T. Stahl 1992]."
(mertz, "borderline..."; s. 95)
an dieser stelle möchte ich ein paar bemerkungen wagen - wagen deshalb, weil es dabei um einen themenbereich geht, der tatsächlich komplex und kompliziert ist (und nicht nur so erscheint, wie einiges andere) - letztlich geht es darum, was eigentlich das wesen unserer realität in all ihren varianten ist - eine frage, auf die es nur versuche von antworten zu geben scheint und vielleicht nur geben kann - beim nachdenken. sinnlich ist das eindeutiger, und genau dieser unterschied ist es, um den es u.a. geht.
Sie werden sowohl in kritiken als auch selbstdarstellungen des nlp an einigen stellen finden, dass nicht wenige diese technik zum gebäude des psychologischen - und im weiteren sinne auch philosophischen - konstruktivismus zählen (auch mertz wird später darauf zurückkommen). nun habe ich weder vor, noch sehe ich mich in der lage, hier eine ausführliche auseinandersetzung mit dieser denkrichtung zu führen. ein paar persönliche assoziationen, die mir sowohl speziell bei der beschäftigung mit nlp als ausdruck des konstruktivismus als auch allgemein zum letzteren kommen, möchte ich aber trotzdem anmerken, weil sie für mich bei meiner eher ablehnenden haltung konstruktivistischen ansätzen gegenüber eine rolle spielen.
erstens: ich habe keinerlei grundsätzliche schwierigkeiten mit bestimmten vorstellungen, die sich bspw. durch bereiche wie die neurowissenschaften oder auch die moderne physik ergeben - ganz grob und verkürzt meine ich damit, dass wir durch unser gehirn und mittels unserer wahrnehmung in einem gewissen sinne erst das quasi erschaffen (das wort "konstruieren" greift an dieser stelle zu kurz und inpliziert imo auch etwas falsches), was wir als materielle realität um uns herum wahrnehmen - in dem sinne, das bspw. farben, gerüche, geschmack und all die unzähligen wahrnehmungen durch das zusammenspiel von im "außen" vorhandenen atomen und molekülen mit den atomen und molekülen unseres körpers zustandekommen. und das andere sinne bspw. bei tieren wie fledermäusen (ultraschall) für diese auch dafür sorgen, dass sie eine qualitativ andere welt als die menschliche erleben - wobei wir über dieses erleben nur spekulieren können. ich hoffe, das für Sie einigermaßen deutlich ist, was ich hier meine. aber wie gesagt: eine konstruktion im sinne einer rein aktiven bzw. bewußten handlung ist das für mich nicht, weil wir für die gesamte dauer unserer existenz untrennbar in diesen prozeß eingebunden sind und das sozusagen einen grundlegenden und integralen teil unseres seins ausmacht. ebenfalls ist unsere grundlegende und spezifisch menschliche realitätswahrnehmung an unsere körperlichkeit gebunden. und das ist imo zu unterscheiden von der art konstruktivismus, für die primär der objektivistische modus zuständig ist. und meine kritik bezieht sich eben auf diese letztere art.
zweitens: eine folgerung daraus kann ich hoffentlich ziemlich kurz abhandeln - es geht um den konsens der realität, den wir alle permanent und ununterbrochen produzieren. wobei es hier um die äußere realität geht - in der bspw. ein tisch durch seine funktion und handfeste beschaffenheit definiert wird, und in der wir durch die nutzung der sprache - hier eben des wortes "tisch" - dieses wissen bei uns allen aufrufen und uns derart verständigen können - und zwar relativ unabhängig von unseren ganz persönlichen assoziationen und empfindungen, die wir mit einem tisch ansonsten noch verbinden - die können sehr unterschiedlich sein, und vervollständigen sozusagen den grundkonsens "tisch" um eine einzigartige, individuelle note. nur in diesem sinne ließe sich behaupten, dass jede person einen tisch "für sich" wahrnimmt (wie es der radikale konstruktivismus nahelegen würde) - aber das ist eben nur die eine hälfte der realität, wobei sie untrennbar zur - und hier ist dieses wort angemessen - objektiven realität dazugehört. es lässt sich unmöglich sagen, dass die eine hälfte "besser" oder "realer" als die andere wäre - nur das die funktion, welche die objektive realität schafft, eine elementar subjektive ist (genauer nachzulesen in den weiter unten stehenden beiträgen zum thema objektivismus und subjektivität.)
und so wird hoffentlich deutlich, dass die trennung zwischen subjektiven und objektivitäten realitäten ein grundlegender irrtum ist - wenn es den anschein dieser trennung trotzdem gibt, so hat das gründe, die eher in unseren verrückten sozialen verhältnissen zu suchen (und zu finden) sind.
drittens: wenn schon der allgemeine, eher philosophische konstruktivismus derartige verwirrungen anzettelt, so wird das im falle der konstruktivistischen psychologischen ansichten geradezu kriminell: dieses denken konsequent auf das soziale leben angewandt, landet man(n) schurstracks beim solipsismus - in dieser sicht ist und bleibt jede/r von uns auf ewig eingekerkert in einer inneren zelle ohne ausgang, deren wände aus schichten von abbildungen, illusionen und fiktionen bestehen - ohne jede chance, jemals die tatsächliche realität wahrzunehmen. das erinnert nicht ganz zufällig auch an den autismus , wobei hier defektbedingt das meiste bzw. all das von dem verschwunden ist, was wir allgemein als subjektive realität zu bezeichnen pflegen - es bleibt einzig der objektivistische modus mit seinen konstruktionen übrig, die ohne den elementaren subjektiven teil zwar weiterhin funktional(!) subjektiv sind und bleiben, aber eben die typischen mechanistisch-toten eigenschaften der objektivistischen produktionen als totale und einzige realitätswahrnehmung zulassen - einfach, weil die wahrnehmungsfähigkeiten, die die lebendigen qualitäten wahrnehmen könnten, geschädigt oder nicht (mehr) vorhanden sind.
klingt verwirrend? ist es auch. aber bereits diese verwirrung ist imo ein indiz für die schädigungen unseres lebens, um die es hier geht. wie gesagt: lesen Sie vielleicht noch einmal die beiträge unten, in denen der objektivistische modus genauer beschrieben wird. und behalten Sie im kopf, dass er eine funktion der subjektivität darstellt. das, was wir als objektive realität bezeichen, wird zwar auch von diesem modus wahrgenommen, aber eben nur zu einem kleinen teil, der dann auch noch - aufgrund des werkzeugcharakters dieses modus - völlig verzerrt, nämlich tot und dinghaft, ist. unsere wahrnehmung dieser realität ist immer und grundsätzlich subjektiv, kann aber eben durch wahrnehmungsschädigungen einen "objektivistischen" anschein bekommen. und ein ganz grundsätzlicher irrtum scheint mir darin zu liegen, diesen dann übrig bleibenden verzerrten rest als "objektive realität" zu betrachten. wobei sich dieser irrtum von den davon betroffenen kaum vermeiden lässt, weil sie schlicht keinen vergleichsmaßstab haben. im übrigen entsteht die verwirrung nicht zum geringen teil durch die unterschiedlichen assoziationen, die wir den worten "subjektiv" und "objektiv" zuordnen.
der psychologische konstruktivismus scheint nach diesen assoziationen bspw. von einer völlig und ausschließlich "subjektiven" wahrnehmung auszugehen - aber wie ich oben versucht habe deutlich zu machen, ist das unsinn - er setzt eine defekte wahrnehmung, in der der objektivistische modus dominiert, als ganzes. und das ist entscheidend. gerade, weil diese angeblich "subjektive" (im sinne unserer assoziationen) wahrnehmung bestenfalls als egozentrisch, schlimmstenfalls als autistisch zu bezeichen ist und die vollständige subjektive wahrnehmung, die eben auch die grundlage für ein tatsächlich menschliches soziales leben darstellt, als nicht existent ignoriert. und das hat fatale folgen.
viertens: folgen z.b. der art, wie sie in der mehr oder weniger bewußten nutzung konstruktivistischer ansätze bei historisch-politischen oder auch justiziellen themen deutlich werden. ob es sich um die leugnung des holocaust, das immer noch vorkommende anzweifeln der erlebnisse vergewaltigter frauen vor gericht oder auch das sog. false-memory-syndrom geht - die konstruktivistischen einschläge sind unverkennbar:
"Sie sind hier, weil es Ihnen an Demut, an Selbstdisziplin mangelt. Sie wollten den Akt der Unterwerfung nicht vollziehen, der der Preis für geistige Gesundheit ist. Sie zogen es vor, ein Wahnsinniger, eine Einpersonenminderheit zu sein. Nur der disziplinierte Geist erkennt die Realität, Winston. Sie halten die Realität für etwas Objektives, Äußeres, das seinen eigenen Bestand hat. Sie glauben auch, das Wesen der Realität sei an sich selbstverständlich. Wenn Sie sich der Illusion hingeben, etwas zu sehen, nehmen Sie an, daß alle anderen das gleiche sehen wie Sie. Aber ich sage Ihnen, Winston, daß Realität nichts Äußeres ist. Die Realität existiert im menschlichen Geist und sonst nirgends. Nicht im Geist des Einzelnen, der irren kann und ohnehin bald untergeht; nur im Geist der Partei, die kollektiv und unsterblich ist. Was immer die Partei für Wahrheit erachtet, i s t Wahrheit. Die Realität lässt sich auschließlich durch die Augen der Partei erkennnen. Diese Tatsache müssen Sie wieder neu lernen, Winston. Es erfordert einen Akt der Selbstvernichtung (sic! mo), eine Willensanstrengung. Sie müssen sich erst demütigen, ehe Sie geistig gesund werden können." (...)
"Aber wie könnt ihr denn die Materie kontrollieren" stieß er hervor. "Ihr kontrolliert ja nicht einmal das Wetter oder die Schwerkraft. Und es gibt Krankheit, Schmerz und Tod --"
O´Brien brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. "Wir kontrollieren die Materie, weil wir den Geist kontrollieren. Realität findet im Schädel statt. Sie werden es schrittweise lernen. Es gibt nichts, was wir nicht könnten. Unsichtbarkeit, Levitation - alles. Wenn ich wollte, könnte ich wie eine Seifenblase über dem Boden schweben. Ich will es nicht, weil die Partei es nicht will. (...) Die Naturgesetze machen wir."
(aus den lektionen während der folterung von winston smith, zitiert nach: george orwell, "1984"; ausgabe der "ozeanischen bibliothek 84"; ullstein; frankfurt/main 1984)
uff. klingt das nicht ganz erstaunlich modern, einmal die passagen über die partei, die orwell 1948 speziell hinsichtlich der nazis und des stalinismus hereinarbeitete, aussen vor gelassen? das mitglied der inneren partei, o`brien, erweist sich tatsächlich als radikaler konstruktivist, der seinem opfer mittels konditionierung durch folter eine lektion positiven denkens erteilt - "es gibt nichts, was wir nicht könnten" - klingt´s nicht wahrscheinlich genauso ähnlich in den hunderten von coaching-, selfmanagement- und auch nlp-seminaren? grenzenlos...(e) fiktionen - die natürlich gegen krankheit, schmerz und tod höchstens einen placeboeffekt haben - aber zu welchem preis?
auch die umdefinierung von "geistiger gesundheit" klingt verblüffend - deutlich wird darunter die akzeptanz und anpassung an die gesellschaftsstragenden fiktionen verstanden. das hat eine gewisse ähnlichkeit mit der wiederherstellung der "arbeitsfähigkeit", die mehr oder weniger unausgesprochen von großen teilen der offiziellen psychiatrischen und psychotherapeutischen institutionen als primäres merkmal "psychischer gesundheit" verstanden wird (und auch als konkreter maßstab benutzt wird.)
im weiteren verlauf der gehirnwäsche oder auch umprogrammierung merkt o`brien an:
"Ich sage Ihnen doch, Winston" meinte er, "daß Metaphysik nicht Ihre starke Seite ist. Das Wort, das Sie suchen, heißt Solipsismus. Aber Sie irren sich. Das ist kein Solipsismus. Kollektiver Solipsismus, wenn Sie so wollen. Doch das ist etwas anderes: eigentlich das Gegenteil davon. Aber wir schweifen nur vom Thema ab", sagte er in verändertem Tonfall.
(orwell, "1984")
o`brien hat allen grund, das thema zu beenden - "kollektiver solipsismus" ist als reine tatsachenbeschreibung eines zustands zulässig, inhaltlich jedoch ein widerspruch in sich selbst - mit kollektivität hat das absolut nichts zu tun, ganz im gegenteil - die partei ist streng darauf bedacht, dass alle voraussetzungen für echte kollektivität - d.h. echtes soziales leben - grundsätzlich ausgerottet werden. als alleine an der macht an sich interessierte (auch darüber monologisiert o´brien) kann die fiktive elite ozeaniens keinerlei interesse an irgendwelchen authentischen sozialen impulsen haben. stattdessen gibt es die auch aus der realen historie bekannte karikatur von kollektivität - eine zwangsgemeinschaft, in der sich alle unablässig untereinander kontrollieren und terrorisieren, und die keinerlei freiräume für rückzüge und individuelle entfaltung lässt, die an sich zur authentischen kollektivität dazugehören. völlig vereinsamt und isoliert innerhalb einer ständig präsenten masse, die eine permanente simulation von gemeinschaft fordert und erzwingt - das ist tatsächlich das prinzip der "volksgemeinschaft", die um so besser funktioniert, wenn möglichst viele ihrer mitglieder sich selbst umprogrammiert haben - wie es o´brien berechtigt nennt, ein "akt der selbstvernichtung" - wobei das im wortwörtlichsten sinne zu verstehen ist. das lässt sich imo berechtigt als eine autistische gesellschaft bezeichnen, in der der autismus allerdings durch ständige simulationen verborgen ist.
Das Verbrechen der Partei lag darin, daß sie einem eingeredet hatte, bloße Regungen, bloße Gefühle seien bedeutungslos, während sie einen gleichzeitig aller Macht über die materielle Welt beraubte.
na, fällt Ihnen was auf? ersetzen Sie "partei" einmal durch "regierung", oder auch "konzernleitung"...orwell hat eindrucksvoll das wesen jeder guten fiktion bzw. simulation gesellschaftlicher verhältnisse klargemacht: er hat seinen objektivistischen modus als werkzeug genutzt, um seine sehr korrekten (und bedrohlichen) subjektiven wahrnehmungen zu bündeln und zu vermitteln. er wußte, was allen machtmenschen ein greuel ist:
Was zählte, waren die zwischenmenschlichen Beziehungen, und eine hilflose Geste, eine Umarmung, eine Träne, ein Wort zu einem Sterbenden konnten ihren eigenen Wert besitzen.
werte, die in ihrer authentischen form der vollen subjektiven - und folglich auch objektiven - menschlichen realität entsprechen, wie sie möglich sein könnte. werte, die der objektivistische modus zwar simulieren, aber nicht wirklich begreifen kann. und werte, die sich jedem machtkalkül entziehen - vielleicht ließe sich sagen, sie besitzen ihre ganz eigene macht, die von jener weltenweit entfernt ist.
selbst der "als-ob-modus" lässt sich finden:
Als Winston das augenlose Gesicht mit dem rasch auf- und zuklappenden Unterkiefer betrachtete, beschlich ihn das sonderbare Gefühl, keinen richtigen Menschen, sondern eine Art Puppe vor sich zu haben. Hier sprach nicht das Gehirn des Mannes, sondern sein Kehlkopf. Was dabei herauskam, waren zwar Worte, aber keine Sprache im eigentlichen Sinne: es waren unbewußt geäußerte Laute, wie das Quaken einer Ente.
wenn ich es irgendwann mal schaffe, den beitrag zum thema "psychopathie" zum ende zu bringen, werden darin aus dem psychiatrisch-klinischen kontext ganz ähnliche beschreibungen auftauchen...und orwell wird hier bestimmt auch noch in anderen zusammenhängen wiederauftauchen. damit beende ich die längere abschweifung.
*
wobei ich mich frage, wie orwell wohl das nlp gefunden hätte - auf neusprech lässt sich ein neulingpro draus machen - klingt doch positiv, "neu" und "pro" - und das linguistische umprogrammieren ist ja eh bereits sein thema gewesen, na, und die vorsilbe neuro lässt sich als zugeständnis an die modernen zeiten begreifen. weiter zum thema nlp mit herrn mertz, wobei seine folgenden worte die fortsetzung vom anfang sind - und vor der gerade umrissenen gestalt des konstruktivismus werden diese worte womöglich besser zu verstehen sein - schauen Sie sich nochmal den ersten nlp-"glaubenssatz" im zitat oben an.
"Es handelt sich hier um ein ganz eindeutig psychotisches Erfahrungsmodell, das uns ganz offen und vollkommen ungeniert als angebliche Universalie angedient wird. Der Mensch an sich bleibt hier eingekapselt in selbst produzierten Abbildungen (fiktiven `Landkarten´ usw.) und ohne unmittelbaren Zugang zur Realität jenseits seiner eigenen Konstruktionen und Halluzinationen. Der NLP-Mensch leidet also, streng genommen, an einer Psychose, und zwar an einer außerordentlich schwerwiegenden und chronischen Form der Schizophrenie, denn selbst gewöhnliche Schizophrene `wissen zu unterscheiden zwischen *ihren* Stimmen und derjenigen des Untersuchers (...)´
Dieser extrem pathomorphe Alptraum in Gestalt des NLP ist wohl kaum ganz zufällig, quasi aus Versehen zustande gekommen: Wir dürfen durchaus davon ausgehen, daß die Erfinder und Protagonisten des NLP hier nicht unbedingt immer einfach irgend etwas hastig dahinplappern, sondern zum Teil tatsächlich auch aus ihrer ureigenen (psychotischen) Erfahrung schöpfen, die sie jedoch irrigerweise generalisieren und theoretisch sogar noch amplifizieren (der NLP-Mensch fällt z.B., was seine Unterscheidungsfähigkeit betrifft, noch hinter den gewöhnlichen Schizophrenen zurück). (...) Das sog. NLP, wir kommen später darauf zurück, präsentiert sich als hochkarätiges tiefensimulatives Inventar.
Wir können diesen eindeutig psychotischen "ersten Glaubenssatz" des NLP jederzeit durch ein einfaches Experiment widerlegen: Während dieser seltsame, in seinen psychotischen Denkwelten ("Landkarten") gefangene NLP-Experte beispielsweise hurtig an uns vorbeiläuft, stellen wir ihm, ohne Vorwarnung und mit großem Geschick, ein ganz und gar empirisches Bein. Und was passiert dann? Unser NLP-Experte fällt, er fällt plötzlich hin. Auf unser ziemlich reales empirisches Forscherbein, auf diese nackte Realität hat unser NLP-Experte angeblich nicht reagiert, denn auf Realitäten reagiert er grundsätzlich nicht, sagt er. Unsere Fragen an den gestrauchelten NLP-Menschen lauten nun: Auf welche "Abbildung der Realität" hat er nun als wirklich glaubensfester NLP-Mensch in diesem Fall reagiert, welche Landkarte in seinem Kopf hat ihn da zu Fall gebracht? Und: Ist diese, seine Abbildung der Realität nicht ziemlich irrelevant, wär er nicht in jedem Fall hingefallen, ganz unabhängig von seinen lächerlichen Abbildungen, Landkarten usw.? Ist es nicht doch einzig und alleine die körperliche Realität unseres empirischen Forscherbeins, die den NLP-Experten zu Fall bringt? Der Realitätsbegriff jedenfalls, den das sog. NLP propagiert, hat ganz gewiß nichts mit unserer gemeinsamen Realität zu tun, die NLP-Realität ist die Realität des psychologischen Konstruktivismus, und die beschreibt eine psychotische Erfahrungswelt."
(mertz, "borderline...", s. 95/96)
ich musste beim niederschreiben dieser recht boshaften experimentellen simulation wieder mal vor mich hinkichern, trotz oder gerade deswegen, weil das thema ernst ist - aber tatsächlich: wer den konstruktivismus ernst nimmt, landet unweigerlich in einem zustand wie dem, in dem sich der orwellsche folterer o´brien befindet, wenn er herumtönt, dass er, "wenn er nur wolle", schweben wie eine seifenblase würde. ich finde ja, dass gegen derlei solipsistische anwandlungen mindestens zwei probate mittel existieren: einmal frische und halbflüssige hundescheiße, die einem am schuh hängt, und zum anderen bohrende zahnschmerzen - es ist recht schwierig, sich beidem gegenüber ignorant zu verhalten. und noch schwieriger ist es, sich selbst zu begründen, warum zum teufel einem das eigene hirn gerade derartige realitäten konstruiert...wobei: ignoranz lässt sich dann durchhalten, wenn die eigenen wahrnehmungsfunktionen schon derart durch sind, dass derlei ereignisse einfach nicht oder nur gefiltert und fragmentarisch wahrgenommen werden können. und darin scheint auch das eigentliche geheimnis eigentlich aller konstruktivistischen ansätze zu liegen: von und für menschen entwickelt, bei denen genau diese voraussetzung zutrifft. wenn wir uns deutlich machen, dass wir seit tausenden von jahren und seit unzähligen generationen hindurch mit sozialer gewalt in teils extremen formen mitsamt ihren traumatischen folgen zu tun haben, und die wirkungen daraus auf unsere psychophysischen funktionen bedenken - dann fällt es eigentlich nicht so schwer, die wahrscheinliche quelle solcher konstrukte zu orten.
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und damit beende ich den ersten teil zum thema "nlp". im zweiten wird es speziell um den begriff der manipulation gehen.
wie ich dazu komme, mich näher mit dem nlp zu beschäftigen, steht an einem anderen, nichtöffentlichen virtuellen ort, wo ich vor kurzem folgendes geschrieben habe - auszüge:
"bin mehr zufällig über interessante infos - von einer nlp-seite selbst, die gerne mit "ethisch" vs. "unethisch" hantiert und darin scientology nicht unähnlich ist - gestolpert: über die haider-fpö und nlp
mittels des "back"-buttons im browser könnt ihr zu einem zweiten, ähnlichen artikel gelangen.
(...) doch, sehr interessant
wer besucht sowas? was wird da genau vermittelt? wenn ich mir den da verlinkten .pdf-flyer anschaue, wird mir etwas anders...
"Top-Manager wie Lee Iacocca, Politiker wie der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl sowie die internationalen Konzerne IBM, Mercedes, Coca-Cola, Sandoz, Master Foods, American Express und BP wissen schon längst um das enorme Potential der neuen Coaching-Methode. Auch hierzulande hielt NLP bereits Einzug in firmeninterne Trainingsprogramme: Bei Philips, Agip, Voest Linz, Bank Austria, Palmers, Interunfall, Siemens, Boehringer-Mannheim oder Wüstenrot verbessern Manager ihre Fähigkeiten Mittels NLP."
(quelle)
gleiche quelle:
"Indem man Atem, Mimik, Gestik, Sprechgeschwindigkeit, Körperhaltung usw. an sein Gegenüber anpaßt, schafft man eine Verbindung, den sogenannten Rapport, wie es im Fachausdruck heißt, der für den Gesprächspartner angenehm ist. Durch dieses Pacing, auch Spiegeln genannt, wird eine Art Gleichklang hergestellt, der leicht alsbald in ein Leading, also in ein Führen, übergeleitet werden kann."
na prima...sie sprechen es auch gleich offen aus:
"Natürlich birgt dieser direkte Draht zum Unterbewußten die Gefahr der Manipulation. Roman Braun: "Manipuliert werden wir ständig, man kann nicht nicht manipulieren. Manipulation heißt Veränderung. Durch NLP macht man sich die Prozesse bewußt, die ansonsten im Unterbewußtsein ablaufen."
das ist nicht nur ein starkes stück, sondern eine regelrechte frechheit - kommunikation jeglicher art als ausnahmslose manipulation darzustellen bzw. so ernsthaft zu empfinden, verlangt imo tatsächlich eine persönlichkeitsstruktur, in der sich grundsätzliche defekte vermuten lassen.
(...)
zum schluß noch zwei längere kritiken an menschenbild und methoden des nlp (auch wenn die zweite aus kirchlichen kreisen stammt, enthält sie viele erwähnenswerte überlegungen):
kritik 1
kritik 2
und als nachtrag noch diesen kurzen ausschnitt aus einem längeren bericht zur praxis des nlp:
"NLP-versierte Manager wie der Beiersdorf-Direktor Patzelt glauben denn auch, ihre Arbeitskollegen regelrecht konditionieren zu können - wobei die Tierversuche des russischen Physiologen Iwan Pawlow durchaus als Modell dienen. So wie Pawlow einst den Speichelfluss seiner Hunde allein durch einen Klingelton in Gang setzte (zuvor hatte er einige Male bei der Verabreichung des Futters die Klingel ertönen lassen), versuchen sie ihre Mitmenschen durch geschickt gesetzte Signalreize zu ähnlichen unwillkürlichen Handlungen zu verleiten. Patzelt erläutert: "Beim neurolinguistischen Programmieren geht man davon aus, dass eine Vorstellung, ein innerer Dialog, oder ein Gefühl genau solche Reaktionen sind wie die Speichelabsonderung des Pawlowschen Hundes." Den zugrundeliegenden Vorgang nennen die NLP-Experten "ankern".
(quelle)
die hier dargestellte vorstellung des charakters menschlicher gefühle ähnelt dabei auf verblüffende und wahrscheinlich keinesfalls zufällige weise den entsprechenden aussagen, wie sie auch die ideologie des objektivismus macht - eine quasi mechanische, durch äußere reize ausgelöste und irgendwie sekundäre menschliche reaktion.
darauf hat sich dann eine z.zt nicht abgeschlossene diskussion um die relevanz von nlp in den gesellschaftlichen "eliten", den potenziellen wirkungsradius solcher techniken und eben zum begriff der manipulation entwickelt, wobei gerade zum letzteren thema eine mehr oder weniger große zahl von menschen das nlp-postulat des grundsätzlich manipulativen charakters jeglicher kommunikation zu teilen scheint - nicht nur am erwähnten virtuellen ort. ich halte das für gelinde gesagt bedenklich, und möchte dazu wieder einmal den herrn mertz zitieren, der sich der theorie und praxis des nlp mit scharfer polemik nährt, vorher aber noch ein paar grundsätzliche ausführungen zur subjektiven erfahrung generell und an sich macht (dazu verweise ich auch auf die längeren zitate von ihm hier ):
"Die zwei Fundamentalkategorien der subjektiven Erfahrung
Die primärkompetente Beziehungserfahrung beruht offensichtlich auf einem primärsinnlichen Erfahrungsmodus, der von primärfiktiven Elementen, die nicht aus der primärsinnlichen Eigenerfahrung (...) stammen, etwa wissenschaftlich-professionellen Theorieprothesen (auf Fremderfahrung basierende Fiktionen), begleitet, gesteuert, überlagert, durchdrungen, deformiert oder weitgehend blockiert werden kann. Immer wieder stoßen wir, in Psychologie und Psychopathologie, in der Theorie und in der Praxis, (...) auf dieses Spannungsverhältnis zwischen primärsinnlicher Erfahrung und Fiktion.
Wir erfahren die Welt, uns selbst mit eingeschlossen, entweder auf sinnlichem oder nichtsinnlichem Wege...oder überhaupt nicht. Sinnliche Erfahrung und nichtsinnliche Erfahrung, das sind die Fundamentalkategorien der subjektiven Erfahrung. (...) Auch das wieder eine scheinbare Banalität. (...) Mit diesem unscheinbaren Instrument läßt sich nunmehr der ganze Komplex um Beziehung und Nichtbeziehung, Authentizität und Simulation in der Weise neu ordnen, daß ein totalsimulatives Phänomen erstmals denkbar wird und systematisch bearbeitet werden kann. Bei dieser Basisordnung handelt es sich zugleich (...) um eine Banalität der alltäglichen Erfahrungspraxis, wie sie uns etwa in folgenden Behauptungen begegnet: Das bildest du dir nur ein, das ist nur Einbildung. Oder: Ich habe etwas mit meinen eigenen Augen gesehen, ich habe es deutlich gespürt. Natürlich ist dieser kleine Unterschied zwischen Einbildung und sinnlicher Erfahrung auch in wissenschaftlich-professionellen Kreisen nicht ganz unbekannt."
(j. e. mertz, "borderline..."; siehe literaturliste; s. 94/95)
der erwähnte "kleine unterschied" zwischen "primärsinnlich und primärfiktiv", zwischen sinnlicher erfahrung und einbildung ist imo das, was in den beiträgen zur subjektivität und objektivität weiter unten genauer skizziert worden ist - gemeint ist der objektivistische modus, das "konstruktivistische ich" als werkzeug - und nicht etwa als qualitativ eigener gegenpol! - der subjektivität. dieses verhältnis spielt auch bei der hier dargestellten kritik am menschenbild des nlp eine zentrale rolle. mit bezug auf diesen "kleinen unterschied" geht es weiter:
"Manche Schulrichtungen, vor allem das sogenannte Neurolinguistische Programmieren (NLP), kennen den Unterschied wohl, lösen ihn aber im Ernstfall vollkommen auf. Ob ein Erinnerungsbild tatsächlich eine sinnliche Eigenerfahrung repräsentiert oder nur eine bloß fiktive Produktion, die vom Betreffenden so erlebt wird, als ob es sich um eine frühere sinnliche Eigenerfahrung handeln würde, spielt hier keine Rolle mehr, weil der Betreffende selbst diese Als-Ob-Erinnerung als Repräsentation einer tatsächlich gemachten, d.h. sinnlichen Eigenerfahrung erlebt...die Differenz ist dann "egal" [R. B. Dilts 1991].
Gelegentlich ist aus dieser Ecke zu hören, das Gehirn könne nicht zwischen sinnlicher Erfahrung und bloß halluzinierter Erfahrung unterscheiden, beides werde gleichermaßen als real erlebt. Oder anders ausgedrückt: "Menschen reagieren auf ihre Abbildung der Realität, nicht auf die Realität selbst" [erster "Glaubenssatz" des NLP, T. Stahl 1992]."
(mertz, "borderline..."; s. 95)
an dieser stelle möchte ich ein paar bemerkungen wagen - wagen deshalb, weil es dabei um einen themenbereich geht, der tatsächlich komplex und kompliziert ist (und nicht nur so erscheint, wie einiges andere) - letztlich geht es darum, was eigentlich das wesen unserer realität in all ihren varianten ist - eine frage, auf die es nur versuche von antworten zu geben scheint und vielleicht nur geben kann - beim nachdenken. sinnlich ist das eindeutiger, und genau dieser unterschied ist es, um den es u.a. geht.
Sie werden sowohl in kritiken als auch selbstdarstellungen des nlp an einigen stellen finden, dass nicht wenige diese technik zum gebäude des psychologischen - und im weiteren sinne auch philosophischen - konstruktivismus zählen (auch mertz wird später darauf zurückkommen). nun habe ich weder vor, noch sehe ich mich in der lage, hier eine ausführliche auseinandersetzung mit dieser denkrichtung zu führen. ein paar persönliche assoziationen, die mir sowohl speziell bei der beschäftigung mit nlp als ausdruck des konstruktivismus als auch allgemein zum letzteren kommen, möchte ich aber trotzdem anmerken, weil sie für mich bei meiner eher ablehnenden haltung konstruktivistischen ansätzen gegenüber eine rolle spielen.
erstens: ich habe keinerlei grundsätzliche schwierigkeiten mit bestimmten vorstellungen, die sich bspw. durch bereiche wie die neurowissenschaften oder auch die moderne physik ergeben - ganz grob und verkürzt meine ich damit, dass wir durch unser gehirn und mittels unserer wahrnehmung in einem gewissen sinne erst das quasi erschaffen (das wort "konstruieren" greift an dieser stelle zu kurz und inpliziert imo auch etwas falsches), was wir als materielle realität um uns herum wahrnehmen - in dem sinne, das bspw. farben, gerüche, geschmack und all die unzähligen wahrnehmungen durch das zusammenspiel von im "außen" vorhandenen atomen und molekülen mit den atomen und molekülen unseres körpers zustandekommen. und das andere sinne bspw. bei tieren wie fledermäusen (ultraschall) für diese auch dafür sorgen, dass sie eine qualitativ andere welt als die menschliche erleben - wobei wir über dieses erleben nur spekulieren können. ich hoffe, das für Sie einigermaßen deutlich ist, was ich hier meine. aber wie gesagt: eine konstruktion im sinne einer rein aktiven bzw. bewußten handlung ist das für mich nicht, weil wir für die gesamte dauer unserer existenz untrennbar in diesen prozeß eingebunden sind und das sozusagen einen grundlegenden und integralen teil unseres seins ausmacht. ebenfalls ist unsere grundlegende und spezifisch menschliche realitätswahrnehmung an unsere körperlichkeit gebunden. und das ist imo zu unterscheiden von der art konstruktivismus, für die primär der objektivistische modus zuständig ist. und meine kritik bezieht sich eben auf diese letztere art.
zweitens: eine folgerung daraus kann ich hoffentlich ziemlich kurz abhandeln - es geht um den konsens der realität, den wir alle permanent und ununterbrochen produzieren. wobei es hier um die äußere realität geht - in der bspw. ein tisch durch seine funktion und handfeste beschaffenheit definiert wird, und in der wir durch die nutzung der sprache - hier eben des wortes "tisch" - dieses wissen bei uns allen aufrufen und uns derart verständigen können - und zwar relativ unabhängig von unseren ganz persönlichen assoziationen und empfindungen, die wir mit einem tisch ansonsten noch verbinden - die können sehr unterschiedlich sein, und vervollständigen sozusagen den grundkonsens "tisch" um eine einzigartige, individuelle note. nur in diesem sinne ließe sich behaupten, dass jede person einen tisch "für sich" wahrnimmt (wie es der radikale konstruktivismus nahelegen würde) - aber das ist eben nur die eine hälfte der realität, wobei sie untrennbar zur - und hier ist dieses wort angemessen - objektiven realität dazugehört. es lässt sich unmöglich sagen, dass die eine hälfte "besser" oder "realer" als die andere wäre - nur das die funktion, welche die objektive realität schafft, eine elementar subjektive ist (genauer nachzulesen in den weiter unten stehenden beiträgen zum thema objektivismus und subjektivität.)
und so wird hoffentlich deutlich, dass die trennung zwischen subjektiven und objektivitäten realitäten ein grundlegender irrtum ist - wenn es den anschein dieser trennung trotzdem gibt, so hat das gründe, die eher in unseren verrückten sozialen verhältnissen zu suchen (und zu finden) sind.
drittens: wenn schon der allgemeine, eher philosophische konstruktivismus derartige verwirrungen anzettelt, so wird das im falle der konstruktivistischen psychologischen ansichten geradezu kriminell: dieses denken konsequent auf das soziale leben angewandt, landet man(n) schurstracks beim solipsismus - in dieser sicht ist und bleibt jede/r von uns auf ewig eingekerkert in einer inneren zelle ohne ausgang, deren wände aus schichten von abbildungen, illusionen und fiktionen bestehen - ohne jede chance, jemals die tatsächliche realität wahrzunehmen. das erinnert nicht ganz zufällig auch an den autismus , wobei hier defektbedingt das meiste bzw. all das von dem verschwunden ist, was wir allgemein als subjektive realität zu bezeichnen pflegen - es bleibt einzig der objektivistische modus mit seinen konstruktionen übrig, die ohne den elementaren subjektiven teil zwar weiterhin funktional(!) subjektiv sind und bleiben, aber eben die typischen mechanistisch-toten eigenschaften der objektivistischen produktionen als totale und einzige realitätswahrnehmung zulassen - einfach, weil die wahrnehmungsfähigkeiten, die die lebendigen qualitäten wahrnehmen könnten, geschädigt oder nicht (mehr) vorhanden sind.
klingt verwirrend? ist es auch. aber bereits diese verwirrung ist imo ein indiz für die schädigungen unseres lebens, um die es hier geht. wie gesagt: lesen Sie vielleicht noch einmal die beiträge unten, in denen der objektivistische modus genauer beschrieben wird. und behalten Sie im kopf, dass er eine funktion der subjektivität darstellt. das, was wir als objektive realität bezeichen, wird zwar auch von diesem modus wahrgenommen, aber eben nur zu einem kleinen teil, der dann auch noch - aufgrund des werkzeugcharakters dieses modus - völlig verzerrt, nämlich tot und dinghaft, ist. unsere wahrnehmung dieser realität ist immer und grundsätzlich subjektiv, kann aber eben durch wahrnehmungsschädigungen einen "objektivistischen" anschein bekommen. und ein ganz grundsätzlicher irrtum scheint mir darin zu liegen, diesen dann übrig bleibenden verzerrten rest als "objektive realität" zu betrachten. wobei sich dieser irrtum von den davon betroffenen kaum vermeiden lässt, weil sie schlicht keinen vergleichsmaßstab haben. im übrigen entsteht die verwirrung nicht zum geringen teil durch die unterschiedlichen assoziationen, die wir den worten "subjektiv" und "objektiv" zuordnen.
der psychologische konstruktivismus scheint nach diesen assoziationen bspw. von einer völlig und ausschließlich "subjektiven" wahrnehmung auszugehen - aber wie ich oben versucht habe deutlich zu machen, ist das unsinn - er setzt eine defekte wahrnehmung, in der der objektivistische modus dominiert, als ganzes. und das ist entscheidend. gerade, weil diese angeblich "subjektive" (im sinne unserer assoziationen) wahrnehmung bestenfalls als egozentrisch, schlimmstenfalls als autistisch zu bezeichen ist und die vollständige subjektive wahrnehmung, die eben auch die grundlage für ein tatsächlich menschliches soziales leben darstellt, als nicht existent ignoriert. und das hat fatale folgen.
viertens: folgen z.b. der art, wie sie in der mehr oder weniger bewußten nutzung konstruktivistischer ansätze bei historisch-politischen oder auch justiziellen themen deutlich werden. ob es sich um die leugnung des holocaust, das immer noch vorkommende anzweifeln der erlebnisse vergewaltigter frauen vor gericht oder auch das sog. false-memory-syndrom geht - die konstruktivistischen einschläge sind unverkennbar:
- holocaustleugner führen gerne das wort "objektiv" im mund - "objektiv" habe es gar keine gaskammern gegeben, wäre zyklon b lediglich zur entlausung eingesetzt worden, und was dergleichen mehr verbraten wird. den überlebenden zeugInnen des terrors wurde und wird regelmässig eine rein "subjektive" (lies: verzerrte) erinnerung unterstellt. die wahnhafte konstruktivistische vorstellungswelt wird hier gleich mehrfach deutlich: a) die sog. "objektivität" ist eine radikal reduzierte; einmal werden tatsächlich objektive beweise für den massenmord als "fälschungen" deklariert oder ignoriert, zum anderen aber wird die subjektive erfahrung der überlebenden als belanglos vom tisch gewischt - die "objektivität" als dominierend gegen die subjektivität ausgespielt (und wieder nicht zufällig ähnelt das dem, was ich auch schon zur medialen diskussion der folter geschrieben habe). die vollständige wahrnehmung der objektiven realität des holocaust verlangt natürlich sowohl die vollständige subjektive wahrnehmung der objektiven beweise und die vollständige subjektive wahrnehmung der subjektiven erinnerungen der überlebenden, wobei gerade deren schmerzen und entsetzen integraler bestandteil dieser wahrnehmung sind und sogar in einem gewissen sinne die tatsächliche realität der vernichtung erst subjektiv zugänglich machen. die leugner kennen hier weder empathie noch erbarmen, und belegen genau dadurch, dass sie vorwiegend im objektivistischen modus agieren - der aber mit der objektiven realität der shoah nichts zu schaffen haben will. ich kann mir im übrigen nicht helfen, aber mich erinnert das frappierend an die praxis des doppel- oder zwiedenkens, wie sie von orwell beschrieben worden ist - die leugner wissen im allgemeinen sehr gut um die realität der shoah, leugnen dieses wissen aber offensichtlich auch vor sich - müssen es leugnen -, wenn sie denn "überzeugend" auftreten wollen. doppeldenk!
zum problem, dass die subjektiven erinnerungen der überlebenden durch die schiere wucht des traumas ebenfalls vom objektivistischen modus geprägt sein könnten, komme ich beim false-memory-syndrom. - vergewaltigte frauen vor gericht: auch hier wird gerne nach "objektiven" beweisen dafür gesucht, dass es sich eindeutig um eine vergewaltigung (im strafrechtlichen sinne) gehandelt hat. auch hier ist der objektivitätsbegriff ein extrem reduzierter, der v.a. nicht berücksichtigt, dass gerade in situationen ohne massive - physische - gewaltanwendung die jeweiligen individuellen und subjektiven grenzen von frauen sehr verschieden sein können, und dazu noch diverse überlebenstrategien beachtet werden müssen, die weitere gewalttätigkeiten eventuell verhindert haben, später aber dann zuungunsten der frauen interpretiert werden. das prinzip ist uns bekannt: definiere die "objektive" realität, und du hast die macht. auch das ausspielen der "objektivität" gegen die subjektivität wird hier gerne betrieben, wobei hier ebenfalls in den weitaus meisten fällen der objektivistische modus am gange ist - das herrschende modell der "objektivität" verlangt die ignoranz gegenüber den schmerzen der opfer. und auch hier stellt sich am schluß eine ähnliche frage wie eben, in einem gewissen sinne auch mit mehr berechtigung: was ist, wenn der objektivistische modus die subjektivität der überlebenden prägt?
- false-memory-syndrom : bekannt geworden vor allem im kontext der sexualisierten gewalt gegen kinder, wird die tatsächliche möglichkeit der manipulation von erinnerungen (die imo in einzelnen fällen belegbar ist und sowohl bewußt als auch unbewußt von therapeutInnen praktiziert werden kann) meistens instrumentalisiert, was zwar vielleicht verständlich, aber völlig unakzeptabel ist. zu diesem syndrom gäbe es etliches zu sagen, aber das spare ich mir an dieser stelle - ich möchte nur auf die bedeutung hinweisen, den dieses phänomen im zusammenhang mit dem hier beschriebenen hat: wenn offensichtliche fiktionen produziert werden, egal, wie subjektiv bzw. persönlich sie auch erscheinen mögen, dann ist dafür der objektivistische modus verantwortlich. der aber kann als dauerzustand dominant sein, oder aber im falle von akuten, belastenden und (quasi-)traumatischen einflüssen zeitweise dominant werden. wobei für letztere eben nicht unbedingt die fiktiven ereignisse verantwortlich sind, sondern oft genug reale ereignisse, die jedoch nicht erkannt werden und/oder nicht bearbeitet werden können oder sollen, wofür es etliche gründe gibt. das ist eine variante. die andere ist auch der machtmißbrauch von therapeutischer seite, was therapeutInnen voraussetzt, deren persönlichkeitsstruktur und/oder die theoretischen modelle, mit denen sie arbeiten, sie für derartige manipulationen konstruktivistischer art anfällig machen.
letzteres bringt uns allmählich wieder zurück zum thema nlp, aber ein letztes noch vorher.
"Sie sind hier, weil es Ihnen an Demut, an Selbstdisziplin mangelt. Sie wollten den Akt der Unterwerfung nicht vollziehen, der der Preis für geistige Gesundheit ist. Sie zogen es vor, ein Wahnsinniger, eine Einpersonenminderheit zu sein. Nur der disziplinierte Geist erkennt die Realität, Winston. Sie halten die Realität für etwas Objektives, Äußeres, das seinen eigenen Bestand hat. Sie glauben auch, das Wesen der Realität sei an sich selbstverständlich. Wenn Sie sich der Illusion hingeben, etwas zu sehen, nehmen Sie an, daß alle anderen das gleiche sehen wie Sie. Aber ich sage Ihnen, Winston, daß Realität nichts Äußeres ist. Die Realität existiert im menschlichen Geist und sonst nirgends. Nicht im Geist des Einzelnen, der irren kann und ohnehin bald untergeht; nur im Geist der Partei, die kollektiv und unsterblich ist. Was immer die Partei für Wahrheit erachtet, i s t Wahrheit. Die Realität lässt sich auschließlich durch die Augen der Partei erkennnen. Diese Tatsache müssen Sie wieder neu lernen, Winston. Es erfordert einen Akt der Selbstvernichtung (sic! mo), eine Willensanstrengung. Sie müssen sich erst demütigen, ehe Sie geistig gesund werden können." (...)
"Aber wie könnt ihr denn die Materie kontrollieren" stieß er hervor. "Ihr kontrolliert ja nicht einmal das Wetter oder die Schwerkraft. Und es gibt Krankheit, Schmerz und Tod --"
O´Brien brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. "Wir kontrollieren die Materie, weil wir den Geist kontrollieren. Realität findet im Schädel statt. Sie werden es schrittweise lernen. Es gibt nichts, was wir nicht könnten. Unsichtbarkeit, Levitation - alles. Wenn ich wollte, könnte ich wie eine Seifenblase über dem Boden schweben. Ich will es nicht, weil die Partei es nicht will. (...) Die Naturgesetze machen wir."
(aus den lektionen während der folterung von winston smith, zitiert nach: george orwell, "1984"; ausgabe der "ozeanischen bibliothek 84"; ullstein; frankfurt/main 1984)
uff. klingt das nicht ganz erstaunlich modern, einmal die passagen über die partei, die orwell 1948 speziell hinsichtlich der nazis und des stalinismus hereinarbeitete, aussen vor gelassen? das mitglied der inneren partei, o`brien, erweist sich tatsächlich als radikaler konstruktivist, der seinem opfer mittels konditionierung durch folter eine lektion positiven denkens erteilt - "es gibt nichts, was wir nicht könnten" - klingt´s nicht wahrscheinlich genauso ähnlich in den hunderten von coaching-, selfmanagement- und auch nlp-seminaren? grenzenlos...(e) fiktionen - die natürlich gegen krankheit, schmerz und tod höchstens einen placeboeffekt haben - aber zu welchem preis?
auch die umdefinierung von "geistiger gesundheit" klingt verblüffend - deutlich wird darunter die akzeptanz und anpassung an die gesellschaftsstragenden fiktionen verstanden. das hat eine gewisse ähnlichkeit mit der wiederherstellung der "arbeitsfähigkeit", die mehr oder weniger unausgesprochen von großen teilen der offiziellen psychiatrischen und psychotherapeutischen institutionen als primäres merkmal "psychischer gesundheit" verstanden wird (und auch als konkreter maßstab benutzt wird.)
im weiteren verlauf der gehirnwäsche oder auch umprogrammierung merkt o`brien an:
"Ich sage Ihnen doch, Winston" meinte er, "daß Metaphysik nicht Ihre starke Seite ist. Das Wort, das Sie suchen, heißt Solipsismus. Aber Sie irren sich. Das ist kein Solipsismus. Kollektiver Solipsismus, wenn Sie so wollen. Doch das ist etwas anderes: eigentlich das Gegenteil davon. Aber wir schweifen nur vom Thema ab", sagte er in verändertem Tonfall.
(orwell, "1984")
o`brien hat allen grund, das thema zu beenden - "kollektiver solipsismus" ist als reine tatsachenbeschreibung eines zustands zulässig, inhaltlich jedoch ein widerspruch in sich selbst - mit kollektivität hat das absolut nichts zu tun, ganz im gegenteil - die partei ist streng darauf bedacht, dass alle voraussetzungen für echte kollektivität - d.h. echtes soziales leben - grundsätzlich ausgerottet werden. als alleine an der macht an sich interessierte (auch darüber monologisiert o´brien) kann die fiktive elite ozeaniens keinerlei interesse an irgendwelchen authentischen sozialen impulsen haben. stattdessen gibt es die auch aus der realen historie bekannte karikatur von kollektivität - eine zwangsgemeinschaft, in der sich alle unablässig untereinander kontrollieren und terrorisieren, und die keinerlei freiräume für rückzüge und individuelle entfaltung lässt, die an sich zur authentischen kollektivität dazugehören. völlig vereinsamt und isoliert innerhalb einer ständig präsenten masse, die eine permanente simulation von gemeinschaft fordert und erzwingt - das ist tatsächlich das prinzip der "volksgemeinschaft", die um so besser funktioniert, wenn möglichst viele ihrer mitglieder sich selbst umprogrammiert haben - wie es o´brien berechtigt nennt, ein "akt der selbstvernichtung" - wobei das im wortwörtlichsten sinne zu verstehen ist. das lässt sich imo berechtigt als eine autistische gesellschaft bezeichnen, in der der autismus allerdings durch ständige simulationen verborgen ist.
Das Verbrechen der Partei lag darin, daß sie einem eingeredet hatte, bloße Regungen, bloße Gefühle seien bedeutungslos, während sie einen gleichzeitig aller Macht über die materielle Welt beraubte.
na, fällt Ihnen was auf? ersetzen Sie "partei" einmal durch "regierung", oder auch "konzernleitung"...orwell hat eindrucksvoll das wesen jeder guten fiktion bzw. simulation gesellschaftlicher verhältnisse klargemacht: er hat seinen objektivistischen modus als werkzeug genutzt, um seine sehr korrekten (und bedrohlichen) subjektiven wahrnehmungen zu bündeln und zu vermitteln. er wußte, was allen machtmenschen ein greuel ist:
Was zählte, waren die zwischenmenschlichen Beziehungen, und eine hilflose Geste, eine Umarmung, eine Träne, ein Wort zu einem Sterbenden konnten ihren eigenen Wert besitzen.
werte, die in ihrer authentischen form der vollen subjektiven - und folglich auch objektiven - menschlichen realität entsprechen, wie sie möglich sein könnte. werte, die der objektivistische modus zwar simulieren, aber nicht wirklich begreifen kann. und werte, die sich jedem machtkalkül entziehen - vielleicht ließe sich sagen, sie besitzen ihre ganz eigene macht, die von jener weltenweit entfernt ist.
selbst der "als-ob-modus" lässt sich finden:
Als Winston das augenlose Gesicht mit dem rasch auf- und zuklappenden Unterkiefer betrachtete, beschlich ihn das sonderbare Gefühl, keinen richtigen Menschen, sondern eine Art Puppe vor sich zu haben. Hier sprach nicht das Gehirn des Mannes, sondern sein Kehlkopf. Was dabei herauskam, waren zwar Worte, aber keine Sprache im eigentlichen Sinne: es waren unbewußt geäußerte Laute, wie das Quaken einer Ente.
wenn ich es irgendwann mal schaffe, den beitrag zum thema "psychopathie" zum ende zu bringen, werden darin aus dem psychiatrisch-klinischen kontext ganz ähnliche beschreibungen auftauchen...und orwell wird hier bestimmt auch noch in anderen zusammenhängen wiederauftauchen. damit beende ich die längere abschweifung.
*
wobei ich mich frage, wie orwell wohl das nlp gefunden hätte - auf neusprech lässt sich ein neulingpro draus machen - klingt doch positiv, "neu" und "pro" - und das linguistische umprogrammieren ist ja eh bereits sein thema gewesen, na, und die vorsilbe neuro lässt sich als zugeständnis an die modernen zeiten begreifen. weiter zum thema nlp mit herrn mertz, wobei seine folgenden worte die fortsetzung vom anfang sind - und vor der gerade umrissenen gestalt des konstruktivismus werden diese worte womöglich besser zu verstehen sein - schauen Sie sich nochmal den ersten nlp-"glaubenssatz" im zitat oben an.
"Es handelt sich hier um ein ganz eindeutig psychotisches Erfahrungsmodell, das uns ganz offen und vollkommen ungeniert als angebliche Universalie angedient wird. Der Mensch an sich bleibt hier eingekapselt in selbst produzierten Abbildungen (fiktiven `Landkarten´ usw.) und ohne unmittelbaren Zugang zur Realität jenseits seiner eigenen Konstruktionen und Halluzinationen. Der NLP-Mensch leidet also, streng genommen, an einer Psychose, und zwar an einer außerordentlich schwerwiegenden und chronischen Form der Schizophrenie, denn selbst gewöhnliche Schizophrene `wissen zu unterscheiden zwischen *ihren* Stimmen und derjenigen des Untersuchers (...)´
Dieser extrem pathomorphe Alptraum in Gestalt des NLP ist wohl kaum ganz zufällig, quasi aus Versehen zustande gekommen: Wir dürfen durchaus davon ausgehen, daß die Erfinder und Protagonisten des NLP hier nicht unbedingt immer einfach irgend etwas hastig dahinplappern, sondern zum Teil tatsächlich auch aus ihrer ureigenen (psychotischen) Erfahrung schöpfen, die sie jedoch irrigerweise generalisieren und theoretisch sogar noch amplifizieren (der NLP-Mensch fällt z.B., was seine Unterscheidungsfähigkeit betrifft, noch hinter den gewöhnlichen Schizophrenen zurück). (...) Das sog. NLP, wir kommen später darauf zurück, präsentiert sich als hochkarätiges tiefensimulatives Inventar.
Wir können diesen eindeutig psychotischen "ersten Glaubenssatz" des NLP jederzeit durch ein einfaches Experiment widerlegen: Während dieser seltsame, in seinen psychotischen Denkwelten ("Landkarten") gefangene NLP-Experte beispielsweise hurtig an uns vorbeiläuft, stellen wir ihm, ohne Vorwarnung und mit großem Geschick, ein ganz und gar empirisches Bein. Und was passiert dann? Unser NLP-Experte fällt, er fällt plötzlich hin. Auf unser ziemlich reales empirisches Forscherbein, auf diese nackte Realität hat unser NLP-Experte angeblich nicht reagiert, denn auf Realitäten reagiert er grundsätzlich nicht, sagt er. Unsere Fragen an den gestrauchelten NLP-Menschen lauten nun: Auf welche "Abbildung der Realität" hat er nun als wirklich glaubensfester NLP-Mensch in diesem Fall reagiert, welche Landkarte in seinem Kopf hat ihn da zu Fall gebracht? Und: Ist diese, seine Abbildung der Realität nicht ziemlich irrelevant, wär er nicht in jedem Fall hingefallen, ganz unabhängig von seinen lächerlichen Abbildungen, Landkarten usw.? Ist es nicht doch einzig und alleine die körperliche Realität unseres empirischen Forscherbeins, die den NLP-Experten zu Fall bringt? Der Realitätsbegriff jedenfalls, den das sog. NLP propagiert, hat ganz gewiß nichts mit unserer gemeinsamen Realität zu tun, die NLP-Realität ist die Realität des psychologischen Konstruktivismus, und die beschreibt eine psychotische Erfahrungswelt."
(mertz, "borderline...", s. 95/96)
ich musste beim niederschreiben dieser recht boshaften experimentellen simulation wieder mal vor mich hinkichern, trotz oder gerade deswegen, weil das thema ernst ist - aber tatsächlich: wer den konstruktivismus ernst nimmt, landet unweigerlich in einem zustand wie dem, in dem sich der orwellsche folterer o´brien befindet, wenn er herumtönt, dass er, "wenn er nur wolle", schweben wie eine seifenblase würde. ich finde ja, dass gegen derlei solipsistische anwandlungen mindestens zwei probate mittel existieren: einmal frische und halbflüssige hundescheiße, die einem am schuh hängt, und zum anderen bohrende zahnschmerzen - es ist recht schwierig, sich beidem gegenüber ignorant zu verhalten. und noch schwieriger ist es, sich selbst zu begründen, warum zum teufel einem das eigene hirn gerade derartige realitäten konstruiert...wobei: ignoranz lässt sich dann durchhalten, wenn die eigenen wahrnehmungsfunktionen schon derart durch sind, dass derlei ereignisse einfach nicht oder nur gefiltert und fragmentarisch wahrgenommen werden können. und darin scheint auch das eigentliche geheimnis eigentlich aller konstruktivistischen ansätze zu liegen: von und für menschen entwickelt, bei denen genau diese voraussetzung zutrifft. wenn wir uns deutlich machen, dass wir seit tausenden von jahren und seit unzähligen generationen hindurch mit sozialer gewalt in teils extremen formen mitsamt ihren traumatischen folgen zu tun haben, und die wirkungen daraus auf unsere psychophysischen funktionen bedenken - dann fällt es eigentlich nicht so schwer, die wahrscheinliche quelle solcher konstrukte zu orten.
*
und damit beende ich den ersten teil zum thema "nlp". im zweiten wird es speziell um den begriff der manipulation gehen.
monoma - 12. Jan, 21:21
und anzumerken bleibt...
o`brien, erweist sich tatsächlich als radikaler konstruktivist, der seinem opfer mittels konditionierung durch folter eine lektion positiven denkens erteilt
winston ist durch die folter irgendwann in einem derartig akut traumatisierten zustand, dass seine wahrnehmungen unsicher werden, d.h. das die zugefügte gewalt in seinem psychophysischen funktionieren ernste schäden anrichtet - auf die berühmte frage von o´brien, wieviele finger er winston gerade zeigen würde - er zeigt vier, will aber winston dazu bringen, fünf zu "sehen", und bestraft "falsche" antworten mit elektroschocks (konditionierung) - fängt winston irgendwann, zu halluzinieren. und dabei "sieht" er irgendwann in einem chaos auch fünf finger...psychotische wahrnehmung.
dieses prinzip, mit dem menschen in den wahnsinn getrieben werden, wird - wenn auch vielleicht nicht so bewußt wie von o´brien - überall da eingesetzt, wo innerhalb sozialer verhältnisse gewalt existiert. es ist bekannt, dass bei sexualisierter gewalt gegen kinder die täterInnen öfter das kind zum schweigen verdonnern bzw. die tat als "nicht so schlimm" oder gar als etwas "schönes" zu derealisieren, und es damit zwingen, seinen eigenen wahrnehmungen zu misstrauen. gefördert wird dieser prozeß noch durch dissoziative prozesse. das kind wird in eine existenziell konstruktivistische position gezwungen.
Fleiß
> seinen eigenen wahrnehmungen zu misstrauen. gefördert wird
> dieser prozeß noch durch dissoziative prozesse. das kind wird in eine
> existenziell konstruktivistische position gezwungen.
Daher funktioniert auch die Sache mit den Hilfsmitteln. Man verdient sich die Strafe ja (der "Ungehorsam" ist bei manchen ein Mittel, Aufmerksamkeit bzw. this strange kind of love auf sich zu ziehen); diese kommt nicht von ungefähr, und man hilft deshalb gerne bei der Besorgung und Pflege des Schlagwerkzeuges, obwohl man den Schmerz fürchtet; man wird für den Fleiß gelobt. Immerhin.
Mir fällt auf, es liessen sich hier noch mehr Worte in " " setzen, aber das sähe doch recht blöd aus. :-D
W.