assoziation: mixzone
ich habe momentan ziemlich schlechte laune - und ein paar auslöser dafür gibt es im folgenden zu betrachten (und möglicherweise wird´s auch etwas zynisch werden...)
*
birger dulz gilt im zusammenhang mit forschung und therapie der borderline-persönlichkeitsstörung als einer der offiziell anerkanntesten kliniker, und in diesem fall kann ich das - anhand der theoretischen arbeiten, die ich von ihm kenne - auch nachvollziehen. das er sich dabei im mainstream des borderline-diskurses bewegt, liegt bei seiner repuatation eigentlich auf der hand - aber gerade durch diesen status bekommen aussagen, wie sie bspw. im unteren teil dieses beitrages zu lesen sind, vielleicht eine gewisse bedeutung in der (ver-)öffentlich(t)en wahrnehmung - und besonders dann, wenn sie aktualisiert werden:
(...)"Die Betroffenen seien - meist gut therapiert - durchaus auch in leitenden Positionen anzutreffen, berichtet der Chefarzt der IV. Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Asklepios-Klinik Nord, Dr. Birger Dulz. Auf der anderen Seite allerdings landeten viele von ihnen - ohne Therapie - in psychiatrischen Einrichtungen und im Strafvollzug."(...)
nunja - was bedeutet in diesem zusammenhang eigentlich "gut therapiert"? "leitende positionen" in einem gesellschaftssystem, welches - und für diese feststellung reicht eine halbwegs funktionierende wahrnehmung bereits aus - bei genauer betrachtung für die absolute mehrheit der weltbevölkerung und auch für den planeten als ganzes extrem dysfunktional bis tödlich ist und sich u.a. durch krebsartig um sich greifende verdinglichung und simulative prozesse "auszeichnet", stellen imo weder einen anstrebenswerten noch einen akzeptablen maßstab für therapeutische erfolge dar - auch, wenn die orthodoxe psychiatrie und psychotherapie genau für derlei "erfolge" von dieser gesellschaft bezahlt werden.
und zur letzten aussage von dulz nur zwei anmerkungen: erstens kann auch "mit therapie" der weg in die erwähnten institutionen führen, und zweitens wäre es imo seine aufgabe, vor diesem hintergrund auch sinn und struktur des heutigen strafsystems in frage zu stellen - etwas, bei dem sein entfernter kollege roth bereits deutlichen klartext redet.
*
neben dulz hat der name von otto f. kernberg in der borderlineforschung weltweit vermutlich die größte akzeptanz - und das ist für einen expliziten psychoanalytiker in der psychiatrie schon recht ungewöhnlich, kann aber auch einige gerade durch die orthodoxe pa erzeugte seltsamkeiten und wahrscheinliche irrtümer hinsichtlich borderline erklären, wie sie im folgenden artikel wieder einmal auf den tisch kommen. zunächst werden die beobachtungen von dulz oben noch einmal bekräftigt, und zwar in deutlich negativer art und weise:
(...)"Borderline" hat sich als übergeordneter Begriff für alle Arten schwerer Persönlichkeitsstörungen umgangssprachlich etabliert und den "Psychopathen" nicht nur im Fachbereich abgelöst. Tatsächlich nimmt er unter diesen Störungen, von denen nach unterschiedlichen Schätzungen bis zu fünf Prozent der Bevölkerung betroffen sind, eher eine nachrangige Stellung ein – wenn auch eine prominente, schon weil er nicht leicht zu diagnostizieren ist – und noch schwerer zu behandeln.
Und noch einen gewichtigen Grund gibt es dafür, seit US-Experten herausfanden, dass Borderliner, als Manager zunächst wegen ihrer Skrupellosigkeit bei "Umstrukturierungen" (Hinauswürfen) von Unternehmen geschätzt, in der Folge desaströs handeln. Der Grund: Die meisten Borderliner sind außerstande, konstruktive Arbeit zu leisten und im sozialen Umfeld normal zu interagieren.
Doch nicht nur für den Arbeits- und Unternehmensbereich oder die Politik, in der Borderliner oft als "Quereinsteiger" auftauchen (aber kaum bleiben), sondern auch das private Leben (Beziehungen, Ehe) stellen Borderliner durch Akzeptanz- und Distanzlosigkeit, Grenzüberschreitungen und Zumutungen eine zumindest so große Gefahr dar wie für sich selbst."
interessant, das die autorin hier eine faktische gleichsetzung von borderline und (klassischer) psychopathie vornimmt - warum ich das für nicht zutreffend halte, lässt sich u.a. hier und hier nachlesen. es bestehen schließlich einige indizien dafür, allgemein antisoziales verhalten - welches sich bei als solchen diagnostizierten bl-personen zweifelsfrei selbst bei berücksichtigung der gesellschaftlichen bedingtheit der "offiziellen" kriterien für antisozialität finden lässt - von der klassischen psychopathie zu unterscheiden.
und das sich der begriff als generelles synonym für alle heute geführten modelle von persönlichkeitsstörungen eingebürgert hat, mag zwar zutreffen, dürfte aber gerade bei leuten wie kernberg auf einigen widerspruch stoßen. ich selbst halte es durchaus für möglich für möglich, dass das synonym zutreffend ist - aber nur, wenn die orthodoxen modelle wesentlich erweitert bzw. ganz verlassen werden.
ebenfalls ist imo die aussage unzutreffend, dass die "meisten" bl-persönlichkeiten außerstande seien, im sozialen umfeld zu "interagieren" - das trifft höchstens für akut agierende bl-menschen zu, die dabei gegen die aktuellen kriterien der "objektiven realität" verstoßen - oder kurz gesagt auffällig werden, und damit zu objekten der psychiatrie oder sogar der strafjustiz. im als-ob-modus hingegen können solche menschen, gerade vor dem hintergrund der zunehmenden virtualisierung vieler sozialer bereiche, interaktionen und kommunikation mit tendenziell zunehmendem erfolg simulieren - und eine der thesen des weiterhin ignorierten j. erik mertz, die für diese ignoranz mitverantwortlich sein dürfte, besteht denn auch darin, einen teil der "therapeutischen" erfolge bei borderline-persönlichkeiten letztlich als erfolge bei der zunehmenden perfektionierung der jeweiligen simulativen fähigkeiten zu analysieren, d.h. das die heute etablierten therapien die betroffenen lediglich für die bereits in sich gestörten und kranken strukturen der heutigen gesellschaft anpassungs- und durchsetzungsfähiger machen - und damit macht man sich ganz sicher keine freunde innerhalb der kollegInnenschaft.
weiter im text:
"Die Borderline-Forschung hat in den letzten Jahren einige Fortschritte gemacht. So fanden Fachleute heraus, dass in vielen Fällen Missachtung und Vernachlässigung des Kindes seitens eines oder beider Elternteile vorlag. Überproportional häufig fanden sich auch Hinweise auf sexuellen Kindesmissbrauch. Schließlich wurden auch mehrere Ursachen dafür entdeckt, warum viele Borderliner den Schmerz durch Selbstbeschädigung und suizidähnliche Taten suchen. Doch ein gemeinsamer Nenner in der Entstehung fand sich bisher nicht wirklich."
das suggeriert mehr an erkenntnissen, als imo wirklich vorhanden sind - die genauen beziehungen bzw. verhältnisse zwischen borderline und (post-)traumastörungen aller art sind nach meinem eindruck noch nicht tatsächlich begriffen worden, was auch mit mit den erwähnten, und im internationalen borderline-diskurs sehr dominanten, orthodox-psychoanalytischen modellen / ansätzen zu tun haben dürfte, wie sie im folgenden kurz umrissen werden:
"Der aus Wien stammende und in New York lehrende Otto F. Kernberg – er ist ein weltweit anerkannter Spezialist für schwere Persönlichkeitsstörungen – sieht als Grundursache für Borderline und verwandte Störungen ein psychoanalytisches Phänomen: Die Betroffenen seien, sehr vereinfacht ausgedrückt, in ihrer Kindheit nicht imstande gewesen, die moralische Instanz – das Über-Ich – in ihr Ich zu übernehmen.
Dagegen stärke ein integriertes Über-Ich die Fähigkeit zur Ausbildung sowohl von Objektbeziehungen als auch die Autonomie: "Ein internalisiertes Wertesystem macht das Individuum weniger abhängig von äußerer Bestätigung ... und ermöglicht gleichzeitig ein tieferes Engagement in Beziehungen zu anderen Menschen", wie Kernberg in seinem neuen Buch ("Narzißmus, Aggression und Selbstzerstörung") schreibt.
Doch die Internalisierung eines Wertesystems bedarf der Grundsätze, Leitbildern, Erkenntnis. Kernberg befürchtet nun anhand bestimmter Parameter eine Zunahme solcher Persönlichkeitsstörungen durch soziale Umstände: Wo die traditionellen Strukturen einer Gesellschaft durch raschen Umschwung wegfielen, fehle es an deren stabilisierendem Einfluss auch auf das Individuum. Und insbesondere sozial verwahrloste Kinder, deren Vorbilder vom "Recht des Stärkeren" geprägt werden, sind davon betroffen."
*ächz* ich empfinde bei derlei aussagen zunehmend widerwillen und verdruß. warum? einmal ist es die sprache - der begriff "objektbeziehungen" wurde bereits vor jahrzehnten von erich fromm kritisiert, und zwar sehr berechtigt. dazu finde ich das mechanistische modell der pa, aus dem die konstruktion des "über-ich" stammt, schlicht überholt - freud hat hier vermutlich - wofür ihm aber bei berücksichtigung der historischen umstände schlecht ein vorwurf gemacht werden kann - auf der basis eine allgemeine verbreiteten fragmentierenden bzw. dissoziativen wahrnehmung anhand der beobachtung von fragmentierten bzw. dissoziativen patientInnen sein modell der menschlichen psyche entwickelt, welches von heute aus erstens grundsätzlich körperlos erscheint bzw. den körper in form des anonymen und "tierischen" "es" als gegenpart zum "kontrollierten und vernunftgeleiteten geist" (dem "ich") konstruiert; und hat zweitens damit ziemlich bewußtlos die folgen eines über generationen und jahrhunderte existierenden tief traumatischen einflusses innerhalb der westlichen gesellschaften (u.a. durch die verbreitete gewalt gegen kinder) quasi als "anthropologische normalität" in seinem entwurf reproduziert und zementiert.
das gilt - in verschiedenem ausmaß - sowohl für die orthodoxe psychoanalyse (als deutlichstes beispiel wäre hier das konstrukt des "todestriebs" zu nennen) als auch bspw. für solche konstrukte wie den "homo oeconomicus", der bis heute gerade in prokapitalistischen ideologien als pathologisches menschenbild herumspukt - und als basis dieser ideologien unverzichtbar ist.
was kernberg nicht aufzufallen scheint: wenn sein modell konsequent zuende gedacht wird, kann als letztes auch die forderung nach einer durchhierarchisierten, formierten und autoritären gesellschaft stehen, die all den quasi "natürlich" "über-ich"-schwachen menschen die "traditionellen strukturen" z.b. von nationalstaat, patriarchat und autoritärer familie als eine art emotionales stützkorsett implantiert - was in der folge von den meisten menschen unter dem daraus folgendem sozialen anpassungsdruck tatsächlich "internalisiert" wird (ein blick in die geschichtsbücher macht deutlich, dass dieser mechanismus tatsächlich "funktioniert" - und heute auch die scheinalternative zum durchdrehenden objektivismus des westlichen typs darstellt, die den erfolg von neofaschistischen und fundamentalistischen strömungen jeglicher coleur begünstigt). und gerade die erwähnten "sozial verwahrlosten kinder" finden in dem angeblich "natürlichen" "recht des stärkeren" eine mächtige, genau von den gerade erwähnten strömungen ideologisch recht beliebig interpretierte untermauerung / begründung dafür, dass sie sich nicht ändern müssen - oder anders: ihren eigenen verletzungen nicht gegenüber treten müssen. gerade dieser aspekt wird bei den analysen des rollbacks diverser reaktionärer und antisozialer fundamentalistischer strömungen, egal ob "politisch" oder "religiös", meistens ausgeblendet.
ich nehme kernberg dabei durchaus ab, dass er sich selbst wahrscheinlich als vertreter einer zutiefst humanistischen und der aufklärung verpflichteten strömung begreift - aber die vielen lücken und verzerrungen der (nicht nur von ihm) vertretenen modelle bilden die einfallstore für u.a. jene extrem destruktive strukturen, mit denen wir uns heute herumschlagen müssen. dazu kommt sein imo ziemlich unreflektierter beziehungsbegriff, der ebenso wie die meisten anderen heute etablierten nichts von der wirklichkeit der existenz simulativer fähigkeiten - und damit eben auch simulierter pseudobeziehungen - wissen will. auch das lässt sich als grundsätzlicher fehler im freudschen modell des menschen analysieren, wie es mertz in seinem buch bereits ansatzweise getan hat.
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das stichwort "sozial verwahrloste kinder" leitet über zu folgender meldung:
"Großbritanniens Premierminister Tony Blair hat ein frühestmögliches Eingreifen des Staates gegen Kinder- und Jugendkriminalität gefordert. Möglicherweise seien schon vor der Geburt Maßnahmen nötig, um das Heranwachsen von Kindern zu Unruhestiftern zu verhindern, sagte Blair am Donnerstagabend in einem BBC-Interview."
das sich großbritannien offensichtlich als vorreiter bei der prophylaxe von als solchen definierten antisozialen verhaltensweisen etablieren will, war hier schon früher thema - neu ist jedoch der bezug auf die relevanz der pränatalen phase (die immerhin so einmal, wenn auch von den falschen leuten und mit falschen motivationen, ins öffentliche blickfeld rückt). ich bleibe bis auf weiteres bei meiner in früheren beiträgen skizzierten meinung dazu: grundsätzlich steckt in solchen überlegungen ein richtiger kern - aber eine umsetzung kann nicht unter den heutigen gesellschaftlichen machtverhältnissen stattfinden, weil genau diese einen teil des problems darstellen - und die unterschrift unter dem bild der familie blair macht das mit ihrem unterton vermutlich unfreiwillig deutlich:
"Die Familie Blair ist selbstverständlich keine Plage für die Gesellschaft."
triefende ironie oder merkhilfe für eventuelle zweiflerInnen? interessant sind die umrissenen begründungen und auch die bisherigen reaktionen:
"Ohne rechtzeitige Prognosen und Eingriffe würden Kinder in Familien aufwachsen, von denen man genau wisse, dass sie überhaupt nicht funktionierten. "Ein paar Jahre später werden die Kinder dann eine Plage für die Gesellschaft und eine Gefahr für sich selbst sein", sagte der Regierungschef. So dürften unverheiratete minderjährige Mütter, die in keiner dauerhaften Beziehung lebten, nicht nur Unterstützungsangebote bekommen. Der Staat müsse ihnen auch deutlich machen, dass er ihre Situation als möglichen Ausgangspunkt künftiger Probleme im Blick behalte.
Das sozialpolitische Forschungsinstitut Civitas kritisierte, es grenze an "sozialen Determinismus", Kinder schon vor ihrer Geburt als problematisch abzustempeln. Die oppositionellen Konservativen bezeichneten mehr staatliche Eingriffe und Bürokratie als falsche Antwort auf die Problematik."(...)
dem ersten satz würde ich zustimmen. dem rest hingegen bleibt etliches anzumerken: so muss bei den "unverheirateten minderjährigen müttern" (die formalität "unverheiratet" scheint für blair das größte ärgernis zu sein) nicht nur die sexistische und patriarchale struktur der gesellschaft berücksichtigt werden, sondern ebenfalls die durch blair maßgeblich mitzuverantwortende antisoziale (wirtschafts-)politik, die die spirale der verelendung mitsamt der zunahme der zahl dysfunktionaler familien extrem beschleunigt hat. als "lösung" dafür landet er - wie es bei solchen mitgliedern der "führungseliten" üblich ist - bei der kaum mehr verhüllten drohung von mehr kontrolle und repression seitens des staates. das sich die "oppositionellen konservativen" gegen letzteres aussprechen, hat übrigens nichts mit humanitären erwägungen zu tun - falls das ganze irgendwann ein profitorientierter arbeitsbereich privater unternehmen werden sollte, werden diese herren und damen keinerlei einwände mehr haben.
der einwand des "sozialen determinismus" hingegen scheint mir wieder mal auf dem konstrukt des "autonomen bürgers mit freiem willen" zu wurzeln. die pränatale forschung kann heute genügend belege dafür liefern, dass es bereits im mutterbauch zu gravierenden störungen / fehlentwicklungen kommen kann, die aber wiederum von den sozialen bedingungen - auch und gerade für schwangere frauen und ihr umfeld - maßgeblich mitbestimmt werden. und in diesem sinne lässt sich durchaus eine art determinierung behaupten, die allerdings vermutlich nicht dem entspricht, was hier kritisiert wird.
ich hoffe, dass sich sowohl forscherInnen als auch therapeutInnen aus dem pränatalen bereich bald mal in solche debatten einmischen.
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ich hatte zu beginn zynismus angekündigt - nun, den habe ich mir für diese meldung hier aufgehoben, auf die ich vor einigen tagen an anderer stelle aufmerksam gemacht wurde (noch mal danke dafür):
"Deutschland leistet sich eine "Schule der Anti-Kapitalisten". Diese These vertritt Stefan Theil, Deutschlandkorrespondent der amerikanischen Zeitschrift Newsweek, in einem Beitrag für die Tageszeitung Die Welt. In der Schule werde nicht das Funktionieren des Marktes erklärt, sondern Werturteile über "böse Manager" und "ungerechte Löhne" gelehrt."(...)
ein schönes beispiel dafür, wie sich ein offensichtlicher propagandist des newspeak selbst demaskiert: durchaus realistische wahrnehmungen vom (destruktiven) handeln "böser" manager (unter denen es ja bekanntlich etliche borderline-persönlichkeiten und / oder auch psychopathen gibt, siehe oben) und von ungerechten löhnen (die im kapitalismus gar nicht anders als ungerecht sein können), werden dem objektivistischen konstrukt vom scheinbar "objektiven" "funktionieren des marktes" gegenübergestellt - vom prinzip her wird hier das gleiche verfahren angewendet, wie ich es hier hinsichtlich der medialen "folterdebatte" bereits beschrieben habe: die allgemeine wahrnehmung wird aufgespaltet und fragmentiert - in einen angeblich "objektiven" teil, der der "falschen" subjektiven wahrnehmung - die dazu implizit als ideologisch - "antikapitalistisch" - denunziert wird, übergestülpt werden soll. "freier markt" als auch folter (und auch kriege) sollen demnach als quasi "natürliche" bedingungen unseres lebens (fehl-)wahrgenommen werden - es gibt wohl kaum etwas perverseres als solche miesen versuche, herrschende antisoziale ideologien bereits in die köpfe und körper von kindern und jugendlichen einzupflanzen.
"Eine Studie der Initiative Juniorprojekt wollte wissen, wie Wirtschaft und Unternehmen in nordrhein-westfälischen Schulbüchern vorkommen. Unternehmer, so ein Ergebnis der Untersuchung, werden nicht mit dem Schaffen von Arbeitsplätzen, sondern mit Kinderarbeit, Müllbergen, Internet-Sucht und Alkoholismus assoziiert."(...)
na, das verspricht doch hoffnung - jedes fitzelchen realistischer wahrnehmung unserer lebensbedingungen steigert die wahrscheinlichkeit dafür, dass diese spezies irgendwann doch noch einmal tatsächlich menschliche lebensverhältnisse gestalten kann. ich würde die assoziationskette höchstens noch gerne erweitert sehen: und zwar z.b. um die punkte mafiöse strukturen / fließende grenzen zwischen "legalen" und "illegalen" wirtschaftszweigen; selektion nach ökonomischer verwertbarkeit; oder auch der beteiligung des sog. "freien marktes" an der produktion von menschenabfall . von solchen peanuts wie menschenversuchen an traumatisierten kindern und den tausenden toten flüchtlingen an den grenzen der wohlstandszonen gar nicht zu reden.
aber das ist natürlich in der deformierten wahrnehmung einiger zeitgenossen alles nur vorurteilsbehaftetes, subjektives zeug - und nicht so objektiv wie das folgende:
"Theil verweist auf die in Berlin und Brandenburg eingesetzten Sozialkundetexte aus dem Cornelsen-Verlag. Im Kapitel "Was tun gegen Arbeitslosigkeit" lernten Kinder nicht etwa, dass Arbeitsplätze von Unternehmen in der Wirtschaft geschaffen werden."
was ein skandal! (aber die kids lernen ja auch nicht mehr, dass die erbe eine scheibe sei...) was wird statt der einzig wahren objektiven realität an verhetzendem gedankengut den kindern eingeträufelt?
"Das Schulbuch beschreibe vielmehr Montagsdemonstrationen, staatliche Ausgaben sowie das Programm des Deutschen Gewerkschaftsbundes. "Andere Länder werden fit für die Globalisierung gemacht. Deutsche Kinder werden geschult in den gescheiterten Träumen längst vergangener Zeiten", so der Chef des Deutschlandbüros von Newsweek."
unakzeptable sozialdemokratische gescheiterte träume längst vergangener zeiten also - extrem reduzierte träume einer menschlicheren welt, die trotz ihrer reduktion bereits für die ideologen der verdinglichung unerträglich zu sein scheinen. das schreit geradezu nach objektivität:
"Viele Schulen blendeten systematisch aus, dass Deutschland neben China am meisten von der Globalisierung profitiere."(...)
jawoll, endlich wird es ausgesprochen - "deutschland" (als objektivistische halluzination) "profitiert" ebenso wie "china" - das lässt sich ganz leicht an der steigenden kinderarmut hier und den im weltweiten vergleich extrem hohen zahlen von hinrichtungen und zwangsarbeit in china sehen.
und ein anderer vertreter jener schicht von pseudointellektuellen prostituierten des kapitalismus gibt uns dieses zu bedenken:
"Statt jede zweite Woche eine neue bildungspolitische Sau durchs Dorf zu treiben, sollten sich die Bildungspolitiker und Pädagogen besser daran setzen, die Schulbücher darauf hin zu untersuchen, wie dort wirtschaftliche Zusammenhänge dargestellt werden", so Müller gegenüber pressetext. "Auch ein Fach Wirtschaft bringt nichts, wenn dort nur Einseitigkeiten und Vorurteile gelehrt werden. Sicherlich werden viele Lehrer auch eigenes, objektiveres Material im Unterricht einsetzen. Und niemand will den Lehrern das Recht auf eine eigene Meinung absprechen. Doch wenn man jungen Leuten nur mit Marktmisstrauen und ökonomischen Vorurteilen malträtiert, dann darf man sich nicht wundern, wenn diese jungen Menschen später kein Verständnis für Unternehmertum, Markt und Risiko entwickeln."(...)
sehen Sie?...es fehlt schlicht an objektiveren materialien, die den ganzen einseitigkeiten und vorurteilen eins überbraten können. und weiter lernen wir, dass eine eigene meinung zwar schön und gut ist - aber nur, wenn sie nicht das verständnis für unternehmertum, markt und risiko behindert. das nenne ich echtes demokratieverständnis!
das es auch - gottseidank! - anders gehen kann, wird am folgenden beispiel deutlich:
"Vorbildlich hingegen seien die Schulen in Bayern und Baden-Württemberg. Dafür gesorgt habe die Aktionsgemeinschaft Soziale Markwirtschaft (ASM) unter Leitung von Joachim Starbatty, Professor an der Universität Tübingen. Die ASM entwickelte das computergestützte Planspiel "MACRO". Es bietet eine neue Art zu lernen. Anstatt sich durch lästige Fachbücher durchzulesen, können die Schüler laut Starbatty "spielerisch die Bedeutung der Marktwirtschaft erfahren".(...)
ja, das ist auch didaktisch up to date und voll auf der höhe der flexibilisierten zeit - "spielerisch" ideologien zu vermitteln, dagegen war ein goebbels mitsamt dem propagandaministerium ja noch pures pr-mittelalter. das wird auch deutlich, wenn wir uns die stolzen ergebnisse dieses spiels anschauen:
(...)"Sogar in den Spielpausen diskutieren die Schüler, wie sie das Wachstum steigern oder den Schuldenstand abbauen können", so Starbatty: "Ganz selbstverständlich reden sie innerhalb kürzester Zeit von Bruttoinlandsprodukt, Investitionsquote und Geldmengensteuerung".(...)
nur böswillige feinde von freedomanddemocracy können sich hierbei an die beschreibungen alexithymer persönlichkeiten erinnert fühlen - oder gar die these aufstellen, dass hier beziehungslose und in den elementarsten menschlich-sozialen fähigkeiten geschädigte zombies herangezüchtet werden, die allerdings im gegensatz zu den massen der elendszombies perfekt gestylt herumrennen und mehr oder weniger eloquent alle welt von der unvermeidbarkeit des zombielebens für alle und jeden zu überzeugen wissen - so wie die herren namens stefan theil und michael müller.
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ich schließe mit einem wort - und einem kleinen quiz - zum wochenende, welches irgendwie auch einiges mit den obigen themen zu tun hat - und gleichzeitig ein eindrucksvolles beispiel für den vorgang darstellt, der unter dem namen projektion aus der orthodoxen psychoanalyse in den mainstream eingegangen ist:
"Es war C. S. Lewis, der in seinem unvergeßlichen Screwtape Letters schrieb: `Das schlimmste Übel geschieht heute nicht in jenen verworfenen Höhlen des Lasters, die Dickens so gerne schilderte ... das Böse wird ersonnen und befohlen (beantragt, betrieben, ausgeführt und archiviert) in und von übersichtlichen, mit Teppichen ausgelegten, geheizten und gut beleuchteten Büroräumen aus, in denen ruhige Männer sitzen, mit weißem Kragen, geschnittenen Fingernägeln und glattrasierten Wangen, die es nicht nötig haben, laute Töne anzuschlagen´.
Und da diese `ruhigen Männer´ es nicht nötig haben, `laute Töne´ anzuschlagen, da sie zuweilen sogar in sanften Tönen reden - von Bruderschaft und Frieden reden - vergessen wir manchmal die geschichtlichen Tatsachen und die aggressiven Triebe eines Evil Empire..."
na, welche historische persönlichkeit sagte diese wahrhaft ehrlichen und zutreffenden worte im märz 1983? worte, mit denen allerdings nur die anderen gemeint waren? ich bin mir sicher, Sie kommen drauf.
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birger dulz gilt im zusammenhang mit forschung und therapie der borderline-persönlichkeitsstörung als einer der offiziell anerkanntesten kliniker, und in diesem fall kann ich das - anhand der theoretischen arbeiten, die ich von ihm kenne - auch nachvollziehen. das er sich dabei im mainstream des borderline-diskurses bewegt, liegt bei seiner repuatation eigentlich auf der hand - aber gerade durch diesen status bekommen aussagen, wie sie bspw. im unteren teil dieses beitrages zu lesen sind, vielleicht eine gewisse bedeutung in der (ver-)öffentlich(t)en wahrnehmung - und besonders dann, wenn sie aktualisiert werden:
(...)"Die Betroffenen seien - meist gut therapiert - durchaus auch in leitenden Positionen anzutreffen, berichtet der Chefarzt der IV. Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Asklepios-Klinik Nord, Dr. Birger Dulz. Auf der anderen Seite allerdings landeten viele von ihnen - ohne Therapie - in psychiatrischen Einrichtungen und im Strafvollzug."(...)
nunja - was bedeutet in diesem zusammenhang eigentlich "gut therapiert"? "leitende positionen" in einem gesellschaftssystem, welches - und für diese feststellung reicht eine halbwegs funktionierende wahrnehmung bereits aus - bei genauer betrachtung für die absolute mehrheit der weltbevölkerung und auch für den planeten als ganzes extrem dysfunktional bis tödlich ist und sich u.a. durch krebsartig um sich greifende verdinglichung und simulative prozesse "auszeichnet", stellen imo weder einen anstrebenswerten noch einen akzeptablen maßstab für therapeutische erfolge dar - auch, wenn die orthodoxe psychiatrie und psychotherapie genau für derlei "erfolge" von dieser gesellschaft bezahlt werden.
und zur letzten aussage von dulz nur zwei anmerkungen: erstens kann auch "mit therapie" der weg in die erwähnten institutionen führen, und zweitens wäre es imo seine aufgabe, vor diesem hintergrund auch sinn und struktur des heutigen strafsystems in frage zu stellen - etwas, bei dem sein entfernter kollege roth bereits deutlichen klartext redet.
*
neben dulz hat der name von otto f. kernberg in der borderlineforschung weltweit vermutlich die größte akzeptanz - und das ist für einen expliziten psychoanalytiker in der psychiatrie schon recht ungewöhnlich, kann aber auch einige gerade durch die orthodoxe pa erzeugte seltsamkeiten und wahrscheinliche irrtümer hinsichtlich borderline erklären, wie sie im folgenden artikel wieder einmal auf den tisch kommen. zunächst werden die beobachtungen von dulz oben noch einmal bekräftigt, und zwar in deutlich negativer art und weise:
(...)"Borderline" hat sich als übergeordneter Begriff für alle Arten schwerer Persönlichkeitsstörungen umgangssprachlich etabliert und den "Psychopathen" nicht nur im Fachbereich abgelöst. Tatsächlich nimmt er unter diesen Störungen, von denen nach unterschiedlichen Schätzungen bis zu fünf Prozent der Bevölkerung betroffen sind, eher eine nachrangige Stellung ein – wenn auch eine prominente, schon weil er nicht leicht zu diagnostizieren ist – und noch schwerer zu behandeln.
Und noch einen gewichtigen Grund gibt es dafür, seit US-Experten herausfanden, dass Borderliner, als Manager zunächst wegen ihrer Skrupellosigkeit bei "Umstrukturierungen" (Hinauswürfen) von Unternehmen geschätzt, in der Folge desaströs handeln. Der Grund: Die meisten Borderliner sind außerstande, konstruktive Arbeit zu leisten und im sozialen Umfeld normal zu interagieren.
Doch nicht nur für den Arbeits- und Unternehmensbereich oder die Politik, in der Borderliner oft als "Quereinsteiger" auftauchen (aber kaum bleiben), sondern auch das private Leben (Beziehungen, Ehe) stellen Borderliner durch Akzeptanz- und Distanzlosigkeit, Grenzüberschreitungen und Zumutungen eine zumindest so große Gefahr dar wie für sich selbst."
interessant, das die autorin hier eine faktische gleichsetzung von borderline und (klassischer) psychopathie vornimmt - warum ich das für nicht zutreffend halte, lässt sich u.a. hier und hier nachlesen. es bestehen schließlich einige indizien dafür, allgemein antisoziales verhalten - welches sich bei als solchen diagnostizierten bl-personen zweifelsfrei selbst bei berücksichtigung der gesellschaftlichen bedingtheit der "offiziellen" kriterien für antisozialität finden lässt - von der klassischen psychopathie zu unterscheiden.
und das sich der begriff als generelles synonym für alle heute geführten modelle von persönlichkeitsstörungen eingebürgert hat, mag zwar zutreffen, dürfte aber gerade bei leuten wie kernberg auf einigen widerspruch stoßen. ich selbst halte es durchaus für möglich für möglich, dass das synonym zutreffend ist - aber nur, wenn die orthodoxen modelle wesentlich erweitert bzw. ganz verlassen werden.
ebenfalls ist imo die aussage unzutreffend, dass die "meisten" bl-persönlichkeiten außerstande seien, im sozialen umfeld zu "interagieren" - das trifft höchstens für akut agierende bl-menschen zu, die dabei gegen die aktuellen kriterien der "objektiven realität" verstoßen - oder kurz gesagt auffällig werden, und damit zu objekten der psychiatrie oder sogar der strafjustiz. im als-ob-modus hingegen können solche menschen, gerade vor dem hintergrund der zunehmenden virtualisierung vieler sozialer bereiche, interaktionen und kommunikation mit tendenziell zunehmendem erfolg simulieren - und eine der thesen des weiterhin ignorierten j. erik mertz, die für diese ignoranz mitverantwortlich sein dürfte, besteht denn auch darin, einen teil der "therapeutischen" erfolge bei borderline-persönlichkeiten letztlich als erfolge bei der zunehmenden perfektionierung der jeweiligen simulativen fähigkeiten zu analysieren, d.h. das die heute etablierten therapien die betroffenen lediglich für die bereits in sich gestörten und kranken strukturen der heutigen gesellschaft anpassungs- und durchsetzungsfähiger machen - und damit macht man sich ganz sicher keine freunde innerhalb der kollegInnenschaft.
weiter im text:
"Die Borderline-Forschung hat in den letzten Jahren einige Fortschritte gemacht. So fanden Fachleute heraus, dass in vielen Fällen Missachtung und Vernachlässigung des Kindes seitens eines oder beider Elternteile vorlag. Überproportional häufig fanden sich auch Hinweise auf sexuellen Kindesmissbrauch. Schließlich wurden auch mehrere Ursachen dafür entdeckt, warum viele Borderliner den Schmerz durch Selbstbeschädigung und suizidähnliche Taten suchen. Doch ein gemeinsamer Nenner in der Entstehung fand sich bisher nicht wirklich."
das suggeriert mehr an erkenntnissen, als imo wirklich vorhanden sind - die genauen beziehungen bzw. verhältnisse zwischen borderline und (post-)traumastörungen aller art sind nach meinem eindruck noch nicht tatsächlich begriffen worden, was auch mit mit den erwähnten, und im internationalen borderline-diskurs sehr dominanten, orthodox-psychoanalytischen modellen / ansätzen zu tun haben dürfte, wie sie im folgenden kurz umrissen werden:
"Der aus Wien stammende und in New York lehrende Otto F. Kernberg – er ist ein weltweit anerkannter Spezialist für schwere Persönlichkeitsstörungen – sieht als Grundursache für Borderline und verwandte Störungen ein psychoanalytisches Phänomen: Die Betroffenen seien, sehr vereinfacht ausgedrückt, in ihrer Kindheit nicht imstande gewesen, die moralische Instanz – das Über-Ich – in ihr Ich zu übernehmen.
Dagegen stärke ein integriertes Über-Ich die Fähigkeit zur Ausbildung sowohl von Objektbeziehungen als auch die Autonomie: "Ein internalisiertes Wertesystem macht das Individuum weniger abhängig von äußerer Bestätigung ... und ermöglicht gleichzeitig ein tieferes Engagement in Beziehungen zu anderen Menschen", wie Kernberg in seinem neuen Buch ("Narzißmus, Aggression und Selbstzerstörung") schreibt.
Doch die Internalisierung eines Wertesystems bedarf der Grundsätze, Leitbildern, Erkenntnis. Kernberg befürchtet nun anhand bestimmter Parameter eine Zunahme solcher Persönlichkeitsstörungen durch soziale Umstände: Wo die traditionellen Strukturen einer Gesellschaft durch raschen Umschwung wegfielen, fehle es an deren stabilisierendem Einfluss auch auf das Individuum. Und insbesondere sozial verwahrloste Kinder, deren Vorbilder vom "Recht des Stärkeren" geprägt werden, sind davon betroffen."
*ächz* ich empfinde bei derlei aussagen zunehmend widerwillen und verdruß. warum? einmal ist es die sprache - der begriff "objektbeziehungen" wurde bereits vor jahrzehnten von erich fromm kritisiert, und zwar sehr berechtigt. dazu finde ich das mechanistische modell der pa, aus dem die konstruktion des "über-ich" stammt, schlicht überholt - freud hat hier vermutlich - wofür ihm aber bei berücksichtigung der historischen umstände schlecht ein vorwurf gemacht werden kann - auf der basis eine allgemeine verbreiteten fragmentierenden bzw. dissoziativen wahrnehmung anhand der beobachtung von fragmentierten bzw. dissoziativen patientInnen sein modell der menschlichen psyche entwickelt, welches von heute aus erstens grundsätzlich körperlos erscheint bzw. den körper in form des anonymen und "tierischen" "es" als gegenpart zum "kontrollierten und vernunftgeleiteten geist" (dem "ich") konstruiert; und hat zweitens damit ziemlich bewußtlos die folgen eines über generationen und jahrhunderte existierenden tief traumatischen einflusses innerhalb der westlichen gesellschaften (u.a. durch die verbreitete gewalt gegen kinder) quasi als "anthropologische normalität" in seinem entwurf reproduziert und zementiert.
mit anderen worten: alle theorien und modelle vom menschlichen verhalten, die den "wahnsinn der normalität" nicht wahrnehmen (können oder wollen), neigen zwangsläufig dazu, die sich aus diesem wahnsinn ergebenen verzerrten verhaltensweisen und die ebenso verzerrten individuellen wie sozialen strukturen als "normalität", "menschliche natur" und "anthropologische konstante" fehlzuinterpretieren - und werden deshalb ebenso zwangsläufig zu einer art ideologie, die die grundsätzlich pathologischen verhältnisse nicht nur nicht mehr kritisieren / analysieren kann, sondern sie sogar noch verstärkt und untermauert.
das gilt - in verschiedenem ausmaß - sowohl für die orthodoxe psychoanalyse (als deutlichstes beispiel wäre hier das konstrukt des "todestriebs" zu nennen) als auch bspw. für solche konstrukte wie den "homo oeconomicus", der bis heute gerade in prokapitalistischen ideologien als pathologisches menschenbild herumspukt - und als basis dieser ideologien unverzichtbar ist.
was kernberg nicht aufzufallen scheint: wenn sein modell konsequent zuende gedacht wird, kann als letztes auch die forderung nach einer durchhierarchisierten, formierten und autoritären gesellschaft stehen, die all den quasi "natürlich" "über-ich"-schwachen menschen die "traditionellen strukturen" z.b. von nationalstaat, patriarchat und autoritärer familie als eine art emotionales stützkorsett implantiert - was in der folge von den meisten menschen unter dem daraus folgendem sozialen anpassungsdruck tatsächlich "internalisiert" wird (ein blick in die geschichtsbücher macht deutlich, dass dieser mechanismus tatsächlich "funktioniert" - und heute auch die scheinalternative zum durchdrehenden objektivismus des westlichen typs darstellt, die den erfolg von neofaschistischen und fundamentalistischen strömungen jeglicher coleur begünstigt). und gerade die erwähnten "sozial verwahrlosten kinder" finden in dem angeblich "natürlichen" "recht des stärkeren" eine mächtige, genau von den gerade erwähnten strömungen ideologisch recht beliebig interpretierte untermauerung / begründung dafür, dass sie sich nicht ändern müssen - oder anders: ihren eigenen verletzungen nicht gegenüber treten müssen. gerade dieser aspekt wird bei den analysen des rollbacks diverser reaktionärer und antisozialer fundamentalistischer strömungen, egal ob "politisch" oder "religiös", meistens ausgeblendet.
ich nehme kernberg dabei durchaus ab, dass er sich selbst wahrscheinlich als vertreter einer zutiefst humanistischen und der aufklärung verpflichteten strömung begreift - aber die vielen lücken und verzerrungen der (nicht nur von ihm) vertretenen modelle bilden die einfallstore für u.a. jene extrem destruktive strukturen, mit denen wir uns heute herumschlagen müssen. dazu kommt sein imo ziemlich unreflektierter beziehungsbegriff, der ebenso wie die meisten anderen heute etablierten nichts von der wirklichkeit der existenz simulativer fähigkeiten - und damit eben auch simulierter pseudobeziehungen - wissen will. auch das lässt sich als grundsätzlicher fehler im freudschen modell des menschen analysieren, wie es mertz in seinem buch bereits ansatzweise getan hat.
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das stichwort "sozial verwahrloste kinder" leitet über zu folgender meldung:
"Großbritanniens Premierminister Tony Blair hat ein frühestmögliches Eingreifen des Staates gegen Kinder- und Jugendkriminalität gefordert. Möglicherweise seien schon vor der Geburt Maßnahmen nötig, um das Heranwachsen von Kindern zu Unruhestiftern zu verhindern, sagte Blair am Donnerstagabend in einem BBC-Interview."
das sich großbritannien offensichtlich als vorreiter bei der prophylaxe von als solchen definierten antisozialen verhaltensweisen etablieren will, war hier schon früher thema - neu ist jedoch der bezug auf die relevanz der pränatalen phase (die immerhin so einmal, wenn auch von den falschen leuten und mit falschen motivationen, ins öffentliche blickfeld rückt). ich bleibe bis auf weiteres bei meiner in früheren beiträgen skizzierten meinung dazu: grundsätzlich steckt in solchen überlegungen ein richtiger kern - aber eine umsetzung kann nicht unter den heutigen gesellschaftlichen machtverhältnissen stattfinden, weil genau diese einen teil des problems darstellen - und die unterschrift unter dem bild der familie blair macht das mit ihrem unterton vermutlich unfreiwillig deutlich:
"Die Familie Blair ist selbstverständlich keine Plage für die Gesellschaft."
triefende ironie oder merkhilfe für eventuelle zweiflerInnen? interessant sind die umrissenen begründungen und auch die bisherigen reaktionen:
"Ohne rechtzeitige Prognosen und Eingriffe würden Kinder in Familien aufwachsen, von denen man genau wisse, dass sie überhaupt nicht funktionierten. "Ein paar Jahre später werden die Kinder dann eine Plage für die Gesellschaft und eine Gefahr für sich selbst sein", sagte der Regierungschef. So dürften unverheiratete minderjährige Mütter, die in keiner dauerhaften Beziehung lebten, nicht nur Unterstützungsangebote bekommen. Der Staat müsse ihnen auch deutlich machen, dass er ihre Situation als möglichen Ausgangspunkt künftiger Probleme im Blick behalte.
Das sozialpolitische Forschungsinstitut Civitas kritisierte, es grenze an "sozialen Determinismus", Kinder schon vor ihrer Geburt als problematisch abzustempeln. Die oppositionellen Konservativen bezeichneten mehr staatliche Eingriffe und Bürokratie als falsche Antwort auf die Problematik."(...)
dem ersten satz würde ich zustimmen. dem rest hingegen bleibt etliches anzumerken: so muss bei den "unverheirateten minderjährigen müttern" (die formalität "unverheiratet" scheint für blair das größte ärgernis zu sein) nicht nur die sexistische und patriarchale struktur der gesellschaft berücksichtigt werden, sondern ebenfalls die durch blair maßgeblich mitzuverantwortende antisoziale (wirtschafts-)politik, die die spirale der verelendung mitsamt der zunahme der zahl dysfunktionaler familien extrem beschleunigt hat. als "lösung" dafür landet er - wie es bei solchen mitgliedern der "führungseliten" üblich ist - bei der kaum mehr verhüllten drohung von mehr kontrolle und repression seitens des staates. das sich die "oppositionellen konservativen" gegen letzteres aussprechen, hat übrigens nichts mit humanitären erwägungen zu tun - falls das ganze irgendwann ein profitorientierter arbeitsbereich privater unternehmen werden sollte, werden diese herren und damen keinerlei einwände mehr haben.
der einwand des "sozialen determinismus" hingegen scheint mir wieder mal auf dem konstrukt des "autonomen bürgers mit freiem willen" zu wurzeln. die pränatale forschung kann heute genügend belege dafür liefern, dass es bereits im mutterbauch zu gravierenden störungen / fehlentwicklungen kommen kann, die aber wiederum von den sozialen bedingungen - auch und gerade für schwangere frauen und ihr umfeld - maßgeblich mitbestimmt werden. und in diesem sinne lässt sich durchaus eine art determinierung behaupten, die allerdings vermutlich nicht dem entspricht, was hier kritisiert wird.
ich hoffe, dass sich sowohl forscherInnen als auch therapeutInnen aus dem pränatalen bereich bald mal in solche debatten einmischen.
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ich hatte zu beginn zynismus angekündigt - nun, den habe ich mir für diese meldung hier aufgehoben, auf die ich vor einigen tagen an anderer stelle aufmerksam gemacht wurde (noch mal danke dafür):
"Deutschland leistet sich eine "Schule der Anti-Kapitalisten". Diese These vertritt Stefan Theil, Deutschlandkorrespondent der amerikanischen Zeitschrift Newsweek, in einem Beitrag für die Tageszeitung Die Welt. In der Schule werde nicht das Funktionieren des Marktes erklärt, sondern Werturteile über "böse Manager" und "ungerechte Löhne" gelehrt."(...)
ein schönes beispiel dafür, wie sich ein offensichtlicher propagandist des newspeak selbst demaskiert: durchaus realistische wahrnehmungen vom (destruktiven) handeln "böser" manager (unter denen es ja bekanntlich etliche borderline-persönlichkeiten und / oder auch psychopathen gibt, siehe oben) und von ungerechten löhnen (die im kapitalismus gar nicht anders als ungerecht sein können), werden dem objektivistischen konstrukt vom scheinbar "objektiven" "funktionieren des marktes" gegenübergestellt - vom prinzip her wird hier das gleiche verfahren angewendet, wie ich es hier hinsichtlich der medialen "folterdebatte" bereits beschrieben habe: die allgemeine wahrnehmung wird aufgespaltet und fragmentiert - in einen angeblich "objektiven" teil, der der "falschen" subjektiven wahrnehmung - die dazu implizit als ideologisch - "antikapitalistisch" - denunziert wird, übergestülpt werden soll. "freier markt" als auch folter (und auch kriege) sollen demnach als quasi "natürliche" bedingungen unseres lebens (fehl-)wahrgenommen werden - es gibt wohl kaum etwas perverseres als solche miesen versuche, herrschende antisoziale ideologien bereits in die köpfe und körper von kindern und jugendlichen einzupflanzen.
"Eine Studie der Initiative Juniorprojekt wollte wissen, wie Wirtschaft und Unternehmen in nordrhein-westfälischen Schulbüchern vorkommen. Unternehmer, so ein Ergebnis der Untersuchung, werden nicht mit dem Schaffen von Arbeitsplätzen, sondern mit Kinderarbeit, Müllbergen, Internet-Sucht und Alkoholismus assoziiert."(...)
na, das verspricht doch hoffnung - jedes fitzelchen realistischer wahrnehmung unserer lebensbedingungen steigert die wahrscheinlichkeit dafür, dass diese spezies irgendwann doch noch einmal tatsächlich menschliche lebensverhältnisse gestalten kann. ich würde die assoziationskette höchstens noch gerne erweitert sehen: und zwar z.b. um die punkte mafiöse strukturen / fließende grenzen zwischen "legalen" und "illegalen" wirtschaftszweigen; selektion nach ökonomischer verwertbarkeit; oder auch der beteiligung des sog. "freien marktes" an der produktion von menschenabfall . von solchen peanuts wie menschenversuchen an traumatisierten kindern und den tausenden toten flüchtlingen an den grenzen der wohlstandszonen gar nicht zu reden.
aber das ist natürlich in der deformierten wahrnehmung einiger zeitgenossen alles nur vorurteilsbehaftetes, subjektives zeug - und nicht so objektiv wie das folgende:
"Theil verweist auf die in Berlin und Brandenburg eingesetzten Sozialkundetexte aus dem Cornelsen-Verlag. Im Kapitel "Was tun gegen Arbeitslosigkeit" lernten Kinder nicht etwa, dass Arbeitsplätze von Unternehmen in der Wirtschaft geschaffen werden."
was ein skandal! (aber die kids lernen ja auch nicht mehr, dass die erbe eine scheibe sei...) was wird statt der einzig wahren objektiven realität an verhetzendem gedankengut den kindern eingeträufelt?
"Das Schulbuch beschreibe vielmehr Montagsdemonstrationen, staatliche Ausgaben sowie das Programm des Deutschen Gewerkschaftsbundes. "Andere Länder werden fit für die Globalisierung gemacht. Deutsche Kinder werden geschult in den gescheiterten Träumen längst vergangener Zeiten", so der Chef des Deutschlandbüros von Newsweek."
unakzeptable sozialdemokratische gescheiterte träume längst vergangener zeiten also - extrem reduzierte träume einer menschlicheren welt, die trotz ihrer reduktion bereits für die ideologen der verdinglichung unerträglich zu sein scheinen. das schreit geradezu nach objektivität:
"Viele Schulen blendeten systematisch aus, dass Deutschland neben China am meisten von der Globalisierung profitiere."(...)
jawoll, endlich wird es ausgesprochen - "deutschland" (als objektivistische halluzination) "profitiert" ebenso wie "china" - das lässt sich ganz leicht an der steigenden kinderarmut hier und den im weltweiten vergleich extrem hohen zahlen von hinrichtungen und zwangsarbeit in china sehen.
und ein anderer vertreter jener schicht von pseudointellektuellen prostituierten des kapitalismus gibt uns dieses zu bedenken:
"Statt jede zweite Woche eine neue bildungspolitische Sau durchs Dorf zu treiben, sollten sich die Bildungspolitiker und Pädagogen besser daran setzen, die Schulbücher darauf hin zu untersuchen, wie dort wirtschaftliche Zusammenhänge dargestellt werden", so Müller gegenüber pressetext. "Auch ein Fach Wirtschaft bringt nichts, wenn dort nur Einseitigkeiten und Vorurteile gelehrt werden. Sicherlich werden viele Lehrer auch eigenes, objektiveres Material im Unterricht einsetzen. Und niemand will den Lehrern das Recht auf eine eigene Meinung absprechen. Doch wenn man jungen Leuten nur mit Marktmisstrauen und ökonomischen Vorurteilen malträtiert, dann darf man sich nicht wundern, wenn diese jungen Menschen später kein Verständnis für Unternehmertum, Markt und Risiko entwickeln."(...)
sehen Sie?...es fehlt schlicht an objektiveren materialien, die den ganzen einseitigkeiten und vorurteilen eins überbraten können. und weiter lernen wir, dass eine eigene meinung zwar schön und gut ist - aber nur, wenn sie nicht das verständnis für unternehmertum, markt und risiko behindert. das nenne ich echtes demokratieverständnis!
das es auch - gottseidank! - anders gehen kann, wird am folgenden beispiel deutlich:
"Vorbildlich hingegen seien die Schulen in Bayern und Baden-Württemberg. Dafür gesorgt habe die Aktionsgemeinschaft Soziale Markwirtschaft (ASM) unter Leitung von Joachim Starbatty, Professor an der Universität Tübingen. Die ASM entwickelte das computergestützte Planspiel "MACRO". Es bietet eine neue Art zu lernen. Anstatt sich durch lästige Fachbücher durchzulesen, können die Schüler laut Starbatty "spielerisch die Bedeutung der Marktwirtschaft erfahren".(...)
ja, das ist auch didaktisch up to date und voll auf der höhe der flexibilisierten zeit - "spielerisch" ideologien zu vermitteln, dagegen war ein goebbels mitsamt dem propagandaministerium ja noch pures pr-mittelalter. das wird auch deutlich, wenn wir uns die stolzen ergebnisse dieses spiels anschauen:
(...)"Sogar in den Spielpausen diskutieren die Schüler, wie sie das Wachstum steigern oder den Schuldenstand abbauen können", so Starbatty: "Ganz selbstverständlich reden sie innerhalb kürzester Zeit von Bruttoinlandsprodukt, Investitionsquote und Geldmengensteuerung".(...)
nur böswillige feinde von freedomanddemocracy können sich hierbei an die beschreibungen alexithymer persönlichkeiten erinnert fühlen - oder gar die these aufstellen, dass hier beziehungslose und in den elementarsten menschlich-sozialen fähigkeiten geschädigte zombies herangezüchtet werden, die allerdings im gegensatz zu den massen der elendszombies perfekt gestylt herumrennen und mehr oder weniger eloquent alle welt von der unvermeidbarkeit des zombielebens für alle und jeden zu überzeugen wissen - so wie die herren namens stefan theil und michael müller.
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ich schließe mit einem wort - und einem kleinen quiz - zum wochenende, welches irgendwie auch einiges mit den obigen themen zu tun hat - und gleichzeitig ein eindrucksvolles beispiel für den vorgang darstellt, der unter dem namen projektion aus der orthodoxen psychoanalyse in den mainstream eingegangen ist:
"Es war C. S. Lewis, der in seinem unvergeßlichen Screwtape Letters schrieb: `Das schlimmste Übel geschieht heute nicht in jenen verworfenen Höhlen des Lasters, die Dickens so gerne schilderte ... das Böse wird ersonnen und befohlen (beantragt, betrieben, ausgeführt und archiviert) in und von übersichtlichen, mit Teppichen ausgelegten, geheizten und gut beleuchteten Büroräumen aus, in denen ruhige Männer sitzen, mit weißem Kragen, geschnittenen Fingernägeln und glattrasierten Wangen, die es nicht nötig haben, laute Töne anzuschlagen´.
Und da diese `ruhigen Männer´ es nicht nötig haben, `laute Töne´ anzuschlagen, da sie zuweilen sogar in sanften Tönen reden - von Bruderschaft und Frieden reden - vergessen wir manchmal die geschichtlichen Tatsachen und die aggressiven Triebe eines Evil Empire..."
na, welche historische persönlichkeit sagte diese wahrhaft ehrlichen und zutreffenden worte im märz 1983? worte, mit denen allerdings nur die anderen gemeint waren? ich bin mir sicher, Sie kommen drauf.
monoma - 1. Sep, 16:40
anmerkungen....
- "und gerade die erwähnten "sozial verwahrlosten kinder" finden in dem angeblich "natürlichen" "recht des stärkeren" eine mächtige, genau von den gerade erwähnten strömungen ideologisch recht beliebig interpretierte untermauerung / begründung dafür, dass sie sich nicht ändern müssen - oder anders: ihren eigenen verletzungen nicht gegenüber treten müssen" ..... nicht alle kinder und jugendlichen, die das 'recht des stärkeren' als denk- und handlungsgrundlage (mehr oder weniger bewusst) zur grundlage ihres verhaltens machen gelten als 'sozial verwahrlost'. in meiner langjährigen berufspraxis habe ich immer wieder erlebt, dass antisoziales verhalten und soziale verwahrlosung eher
gesellschaftsschichten zugeschriebenwird, die eh schon zu den randgruppen gehören ... . wie komplex und v.a.d. wie schwer der begriff zu definieren ist, lässt sich z.b. dieser buchbesprechung nachlesen .... theorien 'abweichenden verhaltens' - und da gebe ich dir recht bzw. spitze deine ausführungen weiter zu, spiegeln eher die sicht desjenigen, der definiert wieder und machen denjenigen, der 'abweicht' zum OBJEKT..... . in der jugendarbeit hat sich allerdings längst die sichtweise der 'jugend als sympthomträger', als SEISMOGRAPH für probleme, die zur gesellschaftlichen lösung anstehen durchgesetzt. eine sichtweise, die sich angesichts immer geringer werdenden mittel für kinder- und jugendarbeit allerdings gesellschaftlich schwer realisieren lässt (dass mit kriminalisierung und psychiatrisierung kein geld gespart wird usw., diese auseinandersetzungen finden in der praxis auf kommunaler ebene eher in jugendhilfeausschüssen und auf abgehobener theoretischer ebene in fachhochschulen und universitäten statt, deren ergebnisse bestenfalls eingang in irgendwelche 'jugendhilfeberichte' eingang finden ....... aber über dieses thema liessen sich seiten füllen.....
- übrigens, hier lassen sich die sanften und leisen ausführungen zum , das weit abgekoppelt von einem selbst/vom eigenen land existiert, lesen oder sogar anhören
danke im übrigen für die links - nur dein letzter satz bleibt für mich - ähm, kryptisch.