assoziation: einsamkeit, stress, alter und alzheimer
möglicherweise erinnern Sie sich noch an diesen beitrag, in dem es u.a. um die zunehmende verbreitung von sozialer isolation und einsamkeit in den usa geht. ich möchte das nochmalige lesen empfehlen, denn zusammen mit den gleich folgenden informationen geht es hier um fatale konsequenzen gesellschaftlicher realitäten, die nicht erst seit gestern für die große mehrheit aller lebenden menschen bedrohliche formen angenommen haben.
*
jetzt zu den eben erwähnten informationen, die ich zwei artikeln des deutschen ärzteblattes entnommen habe. zum einen gibt es dort unter der überschrift Deutliche Zunahme neurologischer Erkrankungen zu lesen:
(...)"Offensichtlich ist dagegen der Grund für die Zunahme der Alzheimer-Erkrankungen: die steigende Lebenserwartung. Sie zählt mit 67 von 1.000 US-Amerikanern zu den häufigsten (schweren) neurologischen Erkrankungen. Auch die Zahl der Parkinsonerkrankungen, an der heute 10 von 1.000 US-Amerikaner erkranken, wird weiter ansteigen. In einem weiteren Beitrag prognostiziert Ray Dorsey von der Rochester Universität eine Verdopplung der Zahlen bis zum Jahr 2030 (Neurology 2007 68: 384-386)".(...)
(das der artikel auch aussagen über die hier bereits öfter erwähnten steigenden zahlen von diagnosen aus dem "offiziellen" autistischen spektrum macht und dazu kurz den immer noch laufenden streit über die interpretation dieser zahlen streift, soll hier ausnahmsweise einmal nicht das thema sein).
eine komprimierte zusammenfassung des derzeitigen informationsstands zur alzheimer-demenz findet sich hier. wobei zu sagen ist, dass ergänzend eigentlich diese studienergebnisse dazugehören. und wie schon gesagt: erinnern Sie sich nochmals an das ausmaß der verbreitung von sozialer isolation in den usa.
"Menschen, die sich einsam und verlassen fühlten, erkrankten den Ergebnissen einer Kohortenstudie zufolge mehr als doppelt so häufig an einer Alzheimer-Demenz wie gesellige Menschen. Die Autoren glauben in den Archives of General Psychiatry (2007; 64: 234-240) nicht, dass der soziale Rückzug ein Frühsymptom der Erkrankung ist, haben aber keine Erklärung, wie negative Emotionen die doch massiven strukturellen Veränderungen im Gehirn des Alzheimerkranken auslösen könnten.(...)
Mit dem Memory and Aging Project erforschen Mediziner der Rush Universität in Chicago seit Jahren die vielfältigen Aspekte der Alzheimer-Demenz. Dazu gehört die Tatsache, dass viele Personen bereits vor dem Ausbruch der Erkrankung zunehmend sozial isoliert sind. In der aktuellen Studie zeigen Robert Wilson und Mitarbeiter, dass allein schon das Gefühl der sozialen Isolierung mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko assoziiert ist. Die 823 Senioren, die sich seit Ende 2000 an dem Projekt beteiligen, wurden in einem Fragebogen zu Beginn der Studie und danach jährlich wieder nach ihren Gefühlen befragt."(...)
die tatsache, dass alleine schon das gefühl der sozialen isolierung (und das ist hier nun mal wahrnehmungsmäßig relevant) "mit einem erhöhten erkrankungsrisiko assoziiert" ist, stellt dabei keineswegs eine besonders neue erkenntnis dar - und sie ist auch bei weitem nicht nur im hinblick auf alzheimer von belang. mit dem fortschreitenden wissen der neurowissenschaften wird immer mehr das deutlich, was im nächsten absatz an erster stelle steht:
(...)"Die Studie zeige, dass soziale Interaktionen einen spürbaren Einfluss auf das Gehirn haben, meint Susanne Sorensen von der britischen Alzheimer's Society, welche die Studie auf ihrer Internetseite kommentiert. Ähnlich äußert sich Rebecca Wood vom Alzheimer's Research Trust, einer britischen Stiftung. Mahnend weist sie auf Fragmentierungstendenzen in der Gesellschaft mit der Zunahme sozial isolierter Menschen hin, die langfristig einen „echten“ Einfluss auf die mentale und physische Gesundheit der Bevölkerung haben könnte."
das "könnte" streichen wir an dieser stelle mal. wichtig wäre nach diesem schritt eher, die art und weise dieses einflusses und seine folgen möglichst genau zu bestimmen - aber diese aufgabe würde eine veränderung im menschen- und weltverständnis erfordern, die offensichtlich auch für wissenschaftlerInnen nicht so einfach zu realisieren ist:
"Weder die Autoren noch die Kommentatoren haben jedoch eine Idee, wie die psychosozialen Faktoren in die Pathophysiologie der Alzheimer-Erkrankung einwirken und wie sie zum massiven Untergang von Hirnzellen betragen könnten."
ach? wirklich überhaupt keine idee?
(...)"Unsere Versuche bestätigen, dass soziale Isolation der mit Abstand größte Stressfaktor ist, weit vor Elektro- oder Kälteschocks", erklärt Professor Bauke Buwalda von der niederländischen Universität Groningen den Sinn dieses Experiments."(...)
stress nun wiederum, und das ist meines wissens mittlerweile wirklich keine spekulation mehr, stress kann psychophysisch sehr fatale wirkungen mit sich bringen:
(...)"Zwischenmenschliche Belastungen, Überforderungen oder bereits kleinere psychische Anspannung schalten im Hirn Stressgene an, deren Produkte über den Blutweg die Nebenniere erreichen, wo vermehrt Cortisol produziert wird. Letzteres unterdrückt die Produktion von Sexualhormonen und die Immunabwehr. In diesem Sinne werden heute in der Psychoneuroimmunologie mögliche Zusammenhänge zwischen Stress und Krebs diskutiert. Aber auch zur Alzheimer-Entstehung bieten sich Verbindungen an: Stressgene hemmen andere Gene, die Nervenwachstumsfaktoren produzieren. Auch vermag laut Bauer Stress ein bestimmtes Protein Alzheimer-typisch zu verändern."(...)
vielleicht sollten sich die autoren der oben erwähnten alzheimer-studie einfach mal mehr außerhalb ihrer vermutlichen wahrnehmungstunnel bewegen?
*
ich habe vor langer zeit selbst mal ein halbes jahr auf zwei pflegestationen eines privat (lies: kommerziell) betriebenen sog. "alten- und pflegeheims" gearbeitet. und von den vielen in diverser hinsicht unangenehmen erinnerungen ist mir das miterleben des in einem atemberaubenden tempo vor sich gehenden dementen verfalls eines alten mannes als eine der nachdrücklichsten im gedächtnis. dieser mann kam in einem durchaus "fitten" zustand in die station, d.h. er konnte sich um seine sachen selbst kümmern, war geistig klar und orientiert, kommunikationsfähig, nicht bettlägerig und - neben einigen heutigen alterstypischen beschränkungen - durchaus jemand, zu dem das attribut "rüstig" gepaßt hat.
all das änderte sich in nur zwei- bis drei monaten des stationären aufenthaltes in extremer und erschreckender hinsicht.
neben einem etwas schleichender vonstatten gehenden körperlichen verfall fielen als erstes kleine vergeßlichkeiten auf, ebenso wie unsicherheiten in form längerer pausen im gespräch. diese symptome steigerten sich im laufe der - kurzen - zeit zu einer mehr oder weniger vollausgebildeten allgemeinen demenz.
wie gesagt, diese geschichte liegt schon über zwei jahrzehnte zurück und natürlich könnte auch eine zufällig gerade in dieser zeit voll "aktiv" gewordene primär "hirnorganische" krankheit mit verantwortlich gewesen sein - das kann ich nicht mehr rekonstruieren. aber selbst in diesem falle würde sich die frage nach dem oder den auslösern dieser aktivität stellen.
und damit zu dem, was heute immer als psychosoziale bedingungen bezeichnet wird: das klima - und zwar sowohl allgemein als speziell das arbeitsklima - dieser station war ein durchaus desolates: eine autoritär auftretende und willkürlich handelnde stationsleiterin, medikamenten- und alkoholprobleme bei teilen des personals - und einige phänomene mehr, die heute wohl unter den begriffen mobbing und burn-out laufen würden (supervision war natürlich völlig unbekannt). das verhältnis zu den "patientInnen" wiederum war unter diesen umständen - wie konnte es auch anders sein? - ein verdinglichendes in dem sinne, dass die reibungslosigkeit des betriebs vorgeordnet an erster stelle stand, weit vor allen etwaigen bedürfnissen der alten. dazu wurde großzügig von medikamenten, v.a. psychopharmaka, gebrauch gemacht. die reine befriedigung der körperlichen grundbedürfnisse wurde zwar gewährleistet, jedoch wurde auch hier der formale rahmen an die erste stelle gesetzt. was konkret bspw. bedeutete, dass der wunsch einer alten frau nach einem zusätzlichen nachtisch beim mittagessen glatt abgeschmettert wurde - "aus prinzip". es blieb jeden tag einiges an essensportionen über, und diese reste wurden jeden tag in den "schweineeimer" geschmissen und entsorgt. an der verfügbarkeit eines zweiten nachtisch lag es also nicht.
aber am "prinzip". was hier als synonym dafür zu lesen ist, dass ein großteil des personals die alten als störend und lästig empfand - gerade und besonders dann, wenn sie bedürfnisse äußerten, die über die vorgeschriebene minimalversorgung hinausgingen. ich will hier generell kein altenpflegerInnen-bashing betreiben: dieser beruf ist aus meiner perspektive einer der schwierigsten, den es gibt. die ständige konfrontation mit verfall, krankheit und v.a. dem tod unter bedingungen von personalknappheit (Sie wissen schon: die "betriebswirtschaftliche logik"...) und grotesk schlechter bezahlung verlangt eine enorme persönliche stärke, die aber unter den herrschenden gesellschaftlichen bedingungen niemals ausreichen kann. das nur am rande.
"minimalversorgung" jedenfalls meinte damals auch, dass die bedürfnisse nach aktivität und kommunikation - sofern noch vorhanden - seitens der bewohnerInnen in der art "befriedigt" wurden, dass diejenigen, die nicht ständig bettlägerig waren, nach dem frühstück angezogen wurden und bis zum - am späten nachmittag stattfindenden - abendessen in einen scheußlich eingerichteten raum vor den fernseher gepackt wurden - programm nebensächlich - und dort unter weitgehender sprachlosigkeit und sich selbst überlassen vor sich hindämmerten, bis sie wieder ins bett befördert wurden.
manifeste lieblosigkeit - auch ein synonym für soziale isolation. ich habe in den paar monaten dort selbst psychophysische symptome entwickelt, und bin nach einer schweren auseinandersetzung mit der erwähnten stationsleiterin auf eine andere station versetzt worden, auf der ich eine art gegenmodell zum gerade beschriebenen kennenlernen konnte. ein pflegeteam, das aus den eigenarten und den persönlichen fähigkeiten seiner mitglieder heraus sowohl insgesamt ein ganz anderes arbeitsklima etablieren konnte und v.a. seine aufgaben auch jenseits des vorgeschriebenen minimalismus suchte und fand. so wurden zb. spielnachmittage und ausflüge organisiert, und besonders jeden tag und immer wieder das gespräch mit den alten gesucht - und sich zeit genommen. ich kann von heute aus nicht sagen, ob die verantwortliche stationsleitung dazu besondere kämpfe mit der heimleitung ausfechten musste. ich vermute eher, dass lediglich die vorhandenen möglichkeiten konsequent ausgeschöpft wurden.
und als basis dafür braucht es u.a. ein empfinden dafür, es bei pflegerischen tätigkeiten eben nicht mit irgendwelchen dingen zu tun zu haben, die sich beliebig in die ecke stellen lassen - und später wieder rausgeholt werden.
*
warum ich diese geschichten gerade erwähnt habe, sollte eigentlich deutlich sein. und seit damals muss ich immer wieder über einige aspekte von demenz nachdenken, die mir deutliche botschaften zu enthalten scheinen, welche unter berücksichtigung des themas soziale isolation noch deutlicher zu werden:
demenz bedeutet vergessen. und ich kann mir kaum etwas in einem gewissen sinne wirkungsvolleres vorstellen als strukturelle hirnveränderungen, um einsamkeit, schmerzen, demütigungen und allgemeinen stress ein für alle mal anscheinend zu entkommen.
demenz bedeutet selbstverlust. und damit verschwindet die angriffsfläche für die gerade genannten negativen zustände.
demenz bedeutet einen funktional autistischen zustand immer weiter um sich greifender (scheinbarer) beziehungslosigkeit. die sich speziell und konkret in den sozialen beziehungen manifestiert. das lässt sich als sehr umfassenden rückzug aus dem wichtigsten bereich des menschlichen lebens interpretieren.
und mit all dem obigen ganz eng zusammen hängt für mich der letzte aspekt, den ich erwähnen möchte: demenz bedeutet letztlich eine rückkehr in die früheste kindheit. zu meinen alltäglichen arbeiten damals gehörten füttern, windelwechsel sowie waschen - alte babys. ein zustand der zunehmenden hilflosigkeit, in dem die elementarsten körperfunktionen eine - wie auch immer konkret aussehende - zuwendung und aufmerksamkeit praktisch "erzwingen". ich kann mir nicht helfen: auch das lässt sich als ein - nicht "bewußt" durchgeführter und aus bestimmter perspektive kreativer - ausweg aus einer position der isolation interpretieren, bei dem selbstachtung, scham- und stolzgefühle keinerlei hindernisse mehr darstellen können, weil sie schlicht vergessen werden.
*
was aus dem obigen für folgerungen bezgl. unserer lebensverhältnisse zu ziehen sind, möchte ich Ihnen überlassen.
*
jetzt zu den eben erwähnten informationen, die ich zwei artikeln des deutschen ärzteblattes entnommen habe. zum einen gibt es dort unter der überschrift Deutliche Zunahme neurologischer Erkrankungen zu lesen:
(...)"Offensichtlich ist dagegen der Grund für die Zunahme der Alzheimer-Erkrankungen: die steigende Lebenserwartung. Sie zählt mit 67 von 1.000 US-Amerikanern zu den häufigsten (schweren) neurologischen Erkrankungen. Auch die Zahl der Parkinsonerkrankungen, an der heute 10 von 1.000 US-Amerikaner erkranken, wird weiter ansteigen. In einem weiteren Beitrag prognostiziert Ray Dorsey von der Rochester Universität eine Verdopplung der Zahlen bis zum Jahr 2030 (Neurology 2007 68: 384-386)".(...)
(das der artikel auch aussagen über die hier bereits öfter erwähnten steigenden zahlen von diagnosen aus dem "offiziellen" autistischen spektrum macht und dazu kurz den immer noch laufenden streit über die interpretation dieser zahlen streift, soll hier ausnahmsweise einmal nicht das thema sein).
eine komprimierte zusammenfassung des derzeitigen informationsstands zur alzheimer-demenz findet sich hier. wobei zu sagen ist, dass ergänzend eigentlich diese studienergebnisse dazugehören. und wie schon gesagt: erinnern Sie sich nochmals an das ausmaß der verbreitung von sozialer isolation in den usa.
"Menschen, die sich einsam und verlassen fühlten, erkrankten den Ergebnissen einer Kohortenstudie zufolge mehr als doppelt so häufig an einer Alzheimer-Demenz wie gesellige Menschen. Die Autoren glauben in den Archives of General Psychiatry (2007; 64: 234-240) nicht, dass der soziale Rückzug ein Frühsymptom der Erkrankung ist, haben aber keine Erklärung, wie negative Emotionen die doch massiven strukturellen Veränderungen im Gehirn des Alzheimerkranken auslösen könnten.(...)
Mit dem Memory and Aging Project erforschen Mediziner der Rush Universität in Chicago seit Jahren die vielfältigen Aspekte der Alzheimer-Demenz. Dazu gehört die Tatsache, dass viele Personen bereits vor dem Ausbruch der Erkrankung zunehmend sozial isoliert sind. In der aktuellen Studie zeigen Robert Wilson und Mitarbeiter, dass allein schon das Gefühl der sozialen Isolierung mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko assoziiert ist. Die 823 Senioren, die sich seit Ende 2000 an dem Projekt beteiligen, wurden in einem Fragebogen zu Beginn der Studie und danach jährlich wieder nach ihren Gefühlen befragt."(...)
die tatsache, dass alleine schon das gefühl der sozialen isolierung (und das ist hier nun mal wahrnehmungsmäßig relevant) "mit einem erhöhten erkrankungsrisiko assoziiert" ist, stellt dabei keineswegs eine besonders neue erkenntnis dar - und sie ist auch bei weitem nicht nur im hinblick auf alzheimer von belang. mit dem fortschreitenden wissen der neurowissenschaften wird immer mehr das deutlich, was im nächsten absatz an erster stelle steht:
(...)"Die Studie zeige, dass soziale Interaktionen einen spürbaren Einfluss auf das Gehirn haben, meint Susanne Sorensen von der britischen Alzheimer's Society, welche die Studie auf ihrer Internetseite kommentiert. Ähnlich äußert sich Rebecca Wood vom Alzheimer's Research Trust, einer britischen Stiftung. Mahnend weist sie auf Fragmentierungstendenzen in der Gesellschaft mit der Zunahme sozial isolierter Menschen hin, die langfristig einen „echten“ Einfluss auf die mentale und physische Gesundheit der Bevölkerung haben könnte."
das "könnte" streichen wir an dieser stelle mal. wichtig wäre nach diesem schritt eher, die art und weise dieses einflusses und seine folgen möglichst genau zu bestimmen - aber diese aufgabe würde eine veränderung im menschen- und weltverständnis erfordern, die offensichtlich auch für wissenschaftlerInnen nicht so einfach zu realisieren ist:
"Weder die Autoren noch die Kommentatoren haben jedoch eine Idee, wie die psychosozialen Faktoren in die Pathophysiologie der Alzheimer-Erkrankung einwirken und wie sie zum massiven Untergang von Hirnzellen betragen könnten."
ach? wirklich überhaupt keine idee?
(...)"Unsere Versuche bestätigen, dass soziale Isolation der mit Abstand größte Stressfaktor ist, weit vor Elektro- oder Kälteschocks", erklärt Professor Bauke Buwalda von der niederländischen Universität Groningen den Sinn dieses Experiments."(...)
stress nun wiederum, und das ist meines wissens mittlerweile wirklich keine spekulation mehr, stress kann psychophysisch sehr fatale wirkungen mit sich bringen:
(...)"Zwischenmenschliche Belastungen, Überforderungen oder bereits kleinere psychische Anspannung schalten im Hirn Stressgene an, deren Produkte über den Blutweg die Nebenniere erreichen, wo vermehrt Cortisol produziert wird. Letzteres unterdrückt die Produktion von Sexualhormonen und die Immunabwehr. In diesem Sinne werden heute in der Psychoneuroimmunologie mögliche Zusammenhänge zwischen Stress und Krebs diskutiert. Aber auch zur Alzheimer-Entstehung bieten sich Verbindungen an: Stressgene hemmen andere Gene, die Nervenwachstumsfaktoren produzieren. Auch vermag laut Bauer Stress ein bestimmtes Protein Alzheimer-typisch zu verändern."(...)
vielleicht sollten sich die autoren der oben erwähnten alzheimer-studie einfach mal mehr außerhalb ihrer vermutlichen wahrnehmungstunnel bewegen?
*
ich habe vor langer zeit selbst mal ein halbes jahr auf zwei pflegestationen eines privat (lies: kommerziell) betriebenen sog. "alten- und pflegeheims" gearbeitet. und von den vielen in diverser hinsicht unangenehmen erinnerungen ist mir das miterleben des in einem atemberaubenden tempo vor sich gehenden dementen verfalls eines alten mannes als eine der nachdrücklichsten im gedächtnis. dieser mann kam in einem durchaus "fitten" zustand in die station, d.h. er konnte sich um seine sachen selbst kümmern, war geistig klar und orientiert, kommunikationsfähig, nicht bettlägerig und - neben einigen heutigen alterstypischen beschränkungen - durchaus jemand, zu dem das attribut "rüstig" gepaßt hat.
all das änderte sich in nur zwei- bis drei monaten des stationären aufenthaltes in extremer und erschreckender hinsicht.
neben einem etwas schleichender vonstatten gehenden körperlichen verfall fielen als erstes kleine vergeßlichkeiten auf, ebenso wie unsicherheiten in form längerer pausen im gespräch. diese symptome steigerten sich im laufe der - kurzen - zeit zu einer mehr oder weniger vollausgebildeten allgemeinen demenz.
wie gesagt, diese geschichte liegt schon über zwei jahrzehnte zurück und natürlich könnte auch eine zufällig gerade in dieser zeit voll "aktiv" gewordene primär "hirnorganische" krankheit mit verantwortlich gewesen sein - das kann ich nicht mehr rekonstruieren. aber selbst in diesem falle würde sich die frage nach dem oder den auslösern dieser aktivität stellen.
und damit zu dem, was heute immer als psychosoziale bedingungen bezeichnet wird: das klima - und zwar sowohl allgemein als speziell das arbeitsklima - dieser station war ein durchaus desolates: eine autoritär auftretende und willkürlich handelnde stationsleiterin, medikamenten- und alkoholprobleme bei teilen des personals - und einige phänomene mehr, die heute wohl unter den begriffen mobbing und burn-out laufen würden (supervision war natürlich völlig unbekannt). das verhältnis zu den "patientInnen" wiederum war unter diesen umständen - wie konnte es auch anders sein? - ein verdinglichendes in dem sinne, dass die reibungslosigkeit des betriebs vorgeordnet an erster stelle stand, weit vor allen etwaigen bedürfnissen der alten. dazu wurde großzügig von medikamenten, v.a. psychopharmaka, gebrauch gemacht. die reine befriedigung der körperlichen grundbedürfnisse wurde zwar gewährleistet, jedoch wurde auch hier der formale rahmen an die erste stelle gesetzt. was konkret bspw. bedeutete, dass der wunsch einer alten frau nach einem zusätzlichen nachtisch beim mittagessen glatt abgeschmettert wurde - "aus prinzip". es blieb jeden tag einiges an essensportionen über, und diese reste wurden jeden tag in den "schweineeimer" geschmissen und entsorgt. an der verfügbarkeit eines zweiten nachtisch lag es also nicht.
aber am "prinzip". was hier als synonym dafür zu lesen ist, dass ein großteil des personals die alten als störend und lästig empfand - gerade und besonders dann, wenn sie bedürfnisse äußerten, die über die vorgeschriebene minimalversorgung hinausgingen. ich will hier generell kein altenpflegerInnen-bashing betreiben: dieser beruf ist aus meiner perspektive einer der schwierigsten, den es gibt. die ständige konfrontation mit verfall, krankheit und v.a. dem tod unter bedingungen von personalknappheit (Sie wissen schon: die "betriebswirtschaftliche logik"...) und grotesk schlechter bezahlung verlangt eine enorme persönliche stärke, die aber unter den herrschenden gesellschaftlichen bedingungen niemals ausreichen kann. das nur am rande.
"minimalversorgung" jedenfalls meinte damals auch, dass die bedürfnisse nach aktivität und kommunikation - sofern noch vorhanden - seitens der bewohnerInnen in der art "befriedigt" wurden, dass diejenigen, die nicht ständig bettlägerig waren, nach dem frühstück angezogen wurden und bis zum - am späten nachmittag stattfindenden - abendessen in einen scheußlich eingerichteten raum vor den fernseher gepackt wurden - programm nebensächlich - und dort unter weitgehender sprachlosigkeit und sich selbst überlassen vor sich hindämmerten, bis sie wieder ins bett befördert wurden.
manifeste lieblosigkeit - auch ein synonym für soziale isolation. ich habe in den paar monaten dort selbst psychophysische symptome entwickelt, und bin nach einer schweren auseinandersetzung mit der erwähnten stationsleiterin auf eine andere station versetzt worden, auf der ich eine art gegenmodell zum gerade beschriebenen kennenlernen konnte. ein pflegeteam, das aus den eigenarten und den persönlichen fähigkeiten seiner mitglieder heraus sowohl insgesamt ein ganz anderes arbeitsklima etablieren konnte und v.a. seine aufgaben auch jenseits des vorgeschriebenen minimalismus suchte und fand. so wurden zb. spielnachmittage und ausflüge organisiert, und besonders jeden tag und immer wieder das gespräch mit den alten gesucht - und sich zeit genommen. ich kann von heute aus nicht sagen, ob die verantwortliche stationsleitung dazu besondere kämpfe mit der heimleitung ausfechten musste. ich vermute eher, dass lediglich die vorhandenen möglichkeiten konsequent ausgeschöpft wurden.
und als basis dafür braucht es u.a. ein empfinden dafür, es bei pflegerischen tätigkeiten eben nicht mit irgendwelchen dingen zu tun zu haben, die sich beliebig in die ecke stellen lassen - und später wieder rausgeholt werden.
*
warum ich diese geschichten gerade erwähnt habe, sollte eigentlich deutlich sein. und seit damals muss ich immer wieder über einige aspekte von demenz nachdenken, die mir deutliche botschaften zu enthalten scheinen, welche unter berücksichtigung des themas soziale isolation noch deutlicher zu werden:
demenz bedeutet vergessen. und ich kann mir kaum etwas in einem gewissen sinne wirkungsvolleres vorstellen als strukturelle hirnveränderungen, um einsamkeit, schmerzen, demütigungen und allgemeinen stress ein für alle mal anscheinend zu entkommen.
demenz bedeutet selbstverlust. und damit verschwindet die angriffsfläche für die gerade genannten negativen zustände.
demenz bedeutet einen funktional autistischen zustand immer weiter um sich greifender (scheinbarer) beziehungslosigkeit. die sich speziell und konkret in den sozialen beziehungen manifestiert. das lässt sich als sehr umfassenden rückzug aus dem wichtigsten bereich des menschlichen lebens interpretieren.
und mit all dem obigen ganz eng zusammen hängt für mich der letzte aspekt, den ich erwähnen möchte: demenz bedeutet letztlich eine rückkehr in die früheste kindheit. zu meinen alltäglichen arbeiten damals gehörten füttern, windelwechsel sowie waschen - alte babys. ein zustand der zunehmenden hilflosigkeit, in dem die elementarsten körperfunktionen eine - wie auch immer konkret aussehende - zuwendung und aufmerksamkeit praktisch "erzwingen". ich kann mir nicht helfen: auch das lässt sich als ein - nicht "bewußt" durchgeführter und aus bestimmter perspektive kreativer - ausweg aus einer position der isolation interpretieren, bei dem selbstachtung, scham- und stolzgefühle keinerlei hindernisse mehr darstellen können, weil sie schlicht vergessen werden.
*
was aus dem obigen für folgerungen bezgl. unserer lebensverhältnisse zu ziehen sind, möchte ich Ihnen überlassen.
monoma - 9. Feb, 15:39
Ein paar Gedanken....
interessanter Gedankengang.
Ein wenig provokativ von mir zum Anfang, aber verständlicher und klarer beim
weiterlesen: "Um ein Selbst zu verlieren, muß man zuerst ein Selbst haben." Das
jedoch ist bei den meisten Menschen nicht der Fall. Ein sozial dressiertes Ich,
hat mit einem Selbst, mit einem persönlichen Ich nichts zu tun. Heidegger sprach
vom "Man-Selbst-Sein". Eine massive Schicht von sozial dresseirtem Ich überlagert
und erstickt fast jede Regung eines persönlichen Ich´s. Und das paßt fast ja wie die
Faust auf´s Auge, nicht wahr. Ich habe mir seit geraumer Zeit angewöhnt, unsere
Konsumgesellschaft in eine Verblödungsgesellschaft umzubennen, was es auch
trifft. In so einer Verblödungsgesellschaft ist es überhaupt kein Wunder, wenn
diese einen alten verblödeten Menschen hervorbringt und schafft.
Sozusagen die Krönung dieser Perversion, die sich heute als Alzheimer Krankheit
manifestiert.
In einer sozialen und humanen Gesellschaft wäre wohl eher der weise
und gütige alte Mensch das Ziel.
Was zeichnet die Verblödungsgesellschaft aus?
Die Verblödungsgesellschaft wie wir sie kennen, ist darauf ausgelegt, Zerstreuung,
keine Aufmerksamkeit, Ablenkung, keine Konzentration, Flucht vor sich selbst in
Form von Konsum, Medienverblödung(Inhalte) zu schaffen. So verhindert sie
Selbstsein, Selbstbegegnung, Selbstverwirklichung, Fragen nach dem Sinn des
Lebens, Selbsterziehung, Selbsterkenntnis, Selbstanalyse, Autonomie, Weisheit,
etc. Ein persönliches Selbst, das sollten wir auch nicht vergessen, zeichnet sich durch deutlich
erweiterte und starke Gedächtnisleistung aus.
Aber, niemand soll wach werden und anfangen die richtigen Fragen zu stellen. Alles
wird getan, um dem Menschen von vornherein den Weg zum eigenen Selbst und zum
Selbstsein zu verbauen. Das klappt, wenn wir uns den Aufbau dieser Verblödungsgesellschaft
der letzten Dekaden ansehen ganz vorzüglich, aber scheinbar mit fatalen Konsequenzen.
Aus diesem Grunde haben wir heute einen Menschentypus der eigenartig in Selbstvergessenheit,
Zerstreutheit und Uneigentlichkeit lebt. Ein dressiertes soziales Ich, das sich selbst kaum wahrnehmen kann
und auch nicht soll. Der Typus von heute soll auch keine Stellung beziehen, das machen ja schon
Öffentlichkeit, Medien und Politik für ihn. Er hat und soll das alles dann fraglos übernehmen
und im Chor der Masse eben ein und dasselbe Lied singen. Aber leider gibt es da ein kleines Problem.
Das Problem der Endlichkeit des Einzelnen, seinen Tod. Kann es vielleicht sein, das trotz der
heftigen Nivellierung des Einzelnen, der älter werdende Mensch nun doch Stellung beziehen
muß? Und macht ihm das vielleicht dermaßen viel Angst, Panik und Stress, das er das bisher angelernt und
eingeübte Selbstvergessen nun durch Alzheimer quasi zur vollen Blüte bringt?
Psychosomatiker werden hier sicherlich ein wenig hellhörig werden. Ich will das mal
mit einem kleinen Beispiel durch Frieda Fromm-Reichmann belegen:
"Das scheitern der Ehe mit Erich Fromm ließ auch Frieda erkranken.
Als sich Erich nach Davos begab, begann sie über Unterleibsschmerzen zu klagen, arbeitete
aber weiter, ohne sie zu beachten.Im darauf folgenden Frühjahr berichtete sie Groddeck von
chronische Bauchschmerzen, die ihrer Einschätzung nach eine psychische Komponente
hätten. Als schließlich ein Myom festgestellt wurde, das am 20. Juli 1932 in einem Baseler
Krankenhaus operativ entfernt wurde, schrieb sie Groddeck:
Im Unterbewusstsein mußte ich solange aushalten, weil das Myom, das sich gebildet hatte,
erst Mitte Juli - ein Jahr nach dem Beginn der Krankheit meines Mannes (meine zuerst wahrgenommenen
Symptome ereigneten sich neun Monate nach Beginn seiner Krankheit und seines Weggangs) - das
Myom erst jetzt Größe und Aussehen eines Kindes erreicht hatte. Vor elf Tagen gebar ich es(d.h. es wurde
herausoperiert). Als mir der Arzt das Exemplar zwei Tage später zeigte, - mußte ich über die Macht des Es
lachen, das ein wirkliches Kind mit einem Kopf, Körper und Beinen gebildet hatte. Und obwohl die "Geburt"
ein großer chirurgischer Eingriff war, erholte ich mich danach so schnell wie von einer Entbindung, heute
war ich sechs Stunden auf und ging im Garten spazieren..."
Frieda Fromm-Reichmann scheint monatelang mit dem Gefühl gelebt zu haben, schwanger zu sein.
Nun wenden wir uns wieder der Verblödungsgesellschaft zu. Mit einem konkreten Beispiel aus meiner
Familie. Eine Verwandte von mir, 82 Jahre alt, Alzheimer in sehr fortgeschrittenen Stadium.
Sprache: Ja und Nein, ansonsten nur noch Laute wie im Säuglingsalter.
Wenn ich mir ihr Leben so vor Augen führe, dann fällt mir auf, das sie immer auf der Flucht vor
sich selbst war. Immer die Meinung der Öffentlichkeit hatte und auch sonst extrem angepasst.
Vom Morgens bis Abends aktiv, immer auf Achse. Alleinsein konnte sie nicht
ertragen, bastelte jedoch mit ihrer Art und Weise tagtäglich daran, nicht gemocht zu werden.
Sie stieß andere vor den Kopf und sprach taktlos ihre "Schwächen" an. Sie selbst sagte von
sich, das sie im Alter wohl sehr einsam werden würde, niemand würde sie besuchen. Sie hatte
Recht, niemand telefonierte mit ihr, niemand kam zu Besuch. Und!, sie hatte panische Angst
vor dem Sterben müssen. Ihr Lebensmotto: Nein, umgekehrt, ließ sich zwar auf ihre Mitmenschen
anwenden, die mit Flucht und Kontaktverweigerung antworteten, aber für den Tod selbst lief
dieses Motto wohl in die Leere. Bei meiner Verwandten würde ich auf Einsamkeit und
zunehmend soziale Isolation und verfehlte Auseinandersetzung mit dem Sterben-Müssen
(Panik, Angst und Stress) tippen.
Vielleicht treffen sich ja an dieser Stelle zwei Protagonisten, die eine gegenseitige Bereitschaft
und Entgegekommen aufweisen.
Die Verblödungsgesellschaft, die zur Selbstvergessenheit in allen Lebenslagen
animiert, und Menschen, die diese Selbstvergessenheit gelebt und zu sozialer Isolation
neigen. Soziale Isolation muß aber nicht zwingend von Innen kommen, es reicht wahrscheinlich
durchaus aus, das so etwas wie eine Haltung und Erwartung von außen herangetragen(Trigger) wird.
Verbal, als auch Präverbal wird alten Leuten ja zu verstehen gegeben, das sie "überflüssig" sind
und "eigentlich unnütz Arbeit" machen(Verdinglichung).
Vielleicht bedeutet Alzheimer ja auch ein loswerden seines Ich´s auf besondere Weise?
Wer sich selbst komplett vergißt, braucht vielleicht nicht mehr wahrnehmen das er sterben wird?
Pervertierte Erwartungen einer Verblödungsgesellschaft an älter werdende Menschen?
Die Krönung der Verblödungsgesellschaft schafft im Alter den verblödeten Menschen, im wahrsten
Sinne des Wortes?
Ein paar Gedanken......
Gruss,
Kandinsky
Spezi
Wieso Ziel? Ich sehe keine "Ziele"; ich sehe auch nicht die Absicht, Menschen zu "verblöden"; daß wir zunehmend zu Monaden werden (manche meinen ja, es gäbe nur noch diese: eine Art Soft-Autisten), ist ein Prozess, der seit der Industrialisierung als Durchkapitalisierung aller menschlichen/umweltlichen/natürlichen Bereiche wahrgenommen werden kann. Es steht keine Absicht dahinter, es ist stattdessen ein zwangläufiges Ergebnis unseres Gesellschafts- und Verwertungssystems.
Ich sehe die Gefahr in solcherlei Diskussionen darin, daß manche Leute dazu neigen, entweder die menschliche Spezies völlig zu überschätzen, oder sie total zu unterschätzen. Eine weitere Gefahr sehe ich in der Esoterisierung ;-) des Themas.
Aus Beispielen meiner Lebenszeit heraus kann ich sagen, daß Vereinsamung und damit "Verblödung" durchaus auch Menschen trifft, die sich gegenüber ihren Verwandten und Freunden sehr schlecht benommen haben (Ausnutzung, Intrigen, psychische und physische Gewalt), und, wenn man so will, irgendwann die Quittung dafür erhalten [ach, diese Verkaufmannisierung der Sprache! ;-)], sie büßen mit Einsamkeit, und viele mit wachsender Boshaftigkeit, und genau solche erlebte ich nicht als Verblödende im Sinne von Demenzkrankheit - in gewisser Weise "verblödet" im sozialen Miteinander waren sie aber schon immer, oder schon sehr lange.
Die meisten alternden Menschen, die ich kenne, wollen vor allem ihre Ruhe haben: keine Hektik, keine schlechten Nachrichten, keine Kälte und Hunger. Das ist jedoch eine Generation, die den WWII miterlebt hat, oder kurz nach seinem Ende geboren wurde und gewisse Dinge durchmachen musste, die meine Generation nicht erleiden musste. Wie wir im Alter sein werden, das wird sich herausstellen. Auf jeden Fall war es und wird es hoffentlich so bleiben: wer bislang wach und interessiert lebte, mit seinen Mitmenschen und Umwelt in Frieden leben durfte und im Großen und Ganzen seine Ruhe und Stärke bewahren konnte, der wird das auch ins Alter hinüberretten können und möglichst lang geistig rank sein.
Aber Demenzkrankheiten können auch den "braven und guten" treffen; es stört mich gewaltig und geht mir enorm auf den Keks, daß man mit Überlegungen wie der Übertragung von Streß auf die Entstehung körperlicher Symptome bis hin zu Krebserkrankung die seelische Verfassung in Haft nimmt.
Die schwache oder verletzte Psyche kann die Verstärkung einer Erkrankung ermöglichen, das ist nicht zu leugnen; daraus aber zu konstruieren, der kranke Mensch hätte irgendwie "Schuld" an seiner Erkrankung, lässt sich fatalerweise in das Extrem weiterentwickeln: Jedem das Seine. Und wer das, in welcher Absicht, vertrat, ist uns bestens bewusst.
Ciao,
K.
@w-day
Die schwache oder verletzte Psyche kann die Verstärkung einer Erkrankung ermöglichen, das ist nicht zu leugnen; daraus aber zu konstruieren, der kranke Mensch hätte irgendwie "Schuld" an seiner Erkrankung, lässt sich fatalerweise in das Extrem weiterentwickeln: Jedem das Seine. Und wer das, in welcher Absicht, vertrat, ist uns bestens bewusst.
ist das, was du im letzten absatz kritisierst, nicht genau das, was du hier skizzierst?
Aus Beispielen meiner Lebenszeit heraus kann ich sagen, daß Vereinsamung und damit "Verblödung" durchaus auch Menschen trifft, die sich gegenüber ihren Verwandten und Freunden sehr schlecht benommen haben (Ausnutzung, Intrigen, psychische und physische Gewalt), und, wenn man so will, irgendwann die Quittung dafür erhalten [ach, diese Verkaufmannisierung der Sprache! ;-)], sie büßen mit Einsamkeit, und viele mit wachsender Boshaftigkeit,
das ist imo doch eigentlich genau in der richtung, die von esoterikern als "schlechtes karma" bezeichnet wird, wenn auch nicht mit konsequenzen im fiktionalen "nächsten leben", sondern bereits aktuell.
ich glaube schon, dass handeln/nichthandeln generell und allgemein konsequenzen für einen selbst hat *ach was*, und das auch die duldung immer massiverer über- und angriffe der macht natürlich konsequenzen auch für das leben derjenigen mit sich bringt, die diese duldung verantworten. aber ich glaube auch, dass das in willkürlicher form geschieht - und keinesfalls immer "die richtigen" trifft (willkür ist ein typisches kennzeichen übergriffiger machtstrukturen, welches ob seiner sichtbaren und gewollten ungerechtigkeit angst und terror wirkungsvoll verstärken kann).
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und zu deinem ersten teil ganz oben: ich sehe das eher etwas anders. natürlich kann im derzeitigen zeitgeist diese abwälzung von "schuld" für das eigene unglück beobachtet werden - aber das kann das wissen um die psychophysische ganzheit des menschen nicht relativieren. die entsprechenden modelle von psychoimmunologie und neurowissenschaften lassen auch ganz andere konsequenzen des handelns und der argumentation zu: in richtung kollektiver verantwortlichkeit zb.
dieses "jeder-ist-seines-glückes-schmied"-geschwätz widerspricht allem, aber inzwischen wirklich allem, was wir über die realität und die funktionsgesetze dieser welt berechtigt sagen können - ich verweise auf das, was ich hier zum "beziehungsgeflecht" geschrieben habe, in dem wir uns alle - absolut ohne ausnahmen! - bewegen. das problem mit solchen aussagen und ansichten, wie sie im erwähnten "sprichwort" vorkommen, besteht eher in der nichtwahrnehmbarkeit der realität dieser handfesten und v.a. realen matrix seitens derjenigen, die solche aussagen glauben und tätigen. aber die können sich dabei immer weniger auf wissenschaft berufen.
Ja und? Demenz trifft ja eben auch jene, die ein "gutes" Leben geführt haben.
Manchmal habe ich den Eindruck, Du erwartest, vorausgesetzt wir alle lebten endlich in Eintracht zusammen, in paradiesischen Zuständen, alle als Vegetarier und ungespaltene Persönlichkeiten, eine Art ewiges Leben, ohne Krankheiten, ohne sonstige Erschütterungen. Deine Auffassung von Kollektivität ist so - insektenhaft. Und ich lasse mich, Du weisst das ja bereits, in Sachen "kollektiver Verantwortlichkeit", wie Du sie anscheinend besonders radikal vertrittst, nicht verhaften, denn so ist sie mir zu nah am Größenwahn.
Und der letzte Absatz ist mir schleierhaft...
re:
sorry, aber dann verstehe ich deine aussagen nicht so ganz - wieso schreibst du dann von "quittungen"? um genau diese denkweise später zu kritisieren?
Manchmal habe ich den Eindruck, Du erwartest, vorausgesetzt wir alle lebten endlich in Eintracht zusammen, in paradiesischen Zuständen, alle als Vegetarier und ungespaltene Persönlichkeiten, eine Art ewiges Leben, ohne Krankheiten, ohne sonstige Erschütterungen. Deine Auffassung von Kollektivität ist so - insektenhaft.
wieder sorry, aber das ist ziemlicher unsinn. die beseitigung überflüssigen , d.h. gesellschaftlich produzierten leidens wird weder den tod noch naturkatastrophen oder schmerzvolle zustände generell beseitigen - die gehören zum leben dazu und sind in gewisser hinsicht sogar unverzichtbar. ich glaube übrigens nicht, dass ich hier schon mal detaillierter meine vorstellungen von kollektivität ausgebreitet habe.
Und ich lasse mich, Du weisst das ja bereits, in Sachen "kollektiver Verantwortlichkeit", wie Du sie anscheinend besonders radikal vertrittst, nicht verhaften, denn so ist sie mir zu nah am Größenwahn.
kollektive verantwortlichkeit: es liegt potenziell eine unglaubliche macht im handeln von vielen, die die von uns kritisierten zustände innerhalb kürzester zeit beenden könnte. und das wissen darum hat für mich nix mit größenwahn zu tun - so ein argument zementiert eher die eigene resignation.
und "verhaften"? die absolute mehrheit aller hier lebenden trägt dieses system in vielfältigster weise mit - konsumiert die angebote der mafia und wählt ihre politikerInnen. zahlt brav die steuern, mit denen knäste und armeen unterhalten werden. natürlich sind alle, die das tun, mitverantwortlich. ohne dieses tun wären die zustände hier nicht lebensfähig.
Selbstverwalteter Zustand
> sie büßen mit Einsamkeit, und viele mit wachsender Boshaftigkeit, und genau
> solche erlebte ich nicht als Verblödende im Sinne von Demenzkrankheit - in
> gewisser Weise "verblödet" im sozialen Miteinander waren sie aber schon immer, oder
> schon sehr lange.
Und ihre Einsamkeit wird ihnen wenn überhaupt erst im Alter bewusst, und die Schuld suchen sie dann für gewöhnlich nicht bei sich, ihrem Verhalten, dazu sind sie nicht in der Lage, weil sie in einem anderen Zustand leben als jemand, der sein Verhalten kritisch reflektiert. Aber das ist ja schon ziemlich niedriges Niveau, das ist ja nun wirklich nichts weltbewegendes, was erzähl ich Dir da, ich lass es jetzt.
> wieder sorry, aber das ist ziemlicher unsinn. die beseitigung überflüssigen , d.h.
> gesellschaftlich produzierten leidens wird weder den tod noch naturkatastrophen
> oder schmerzvolle zustände generell beseitigen - die gehören zum leben dazu und sind
> in gewisser hinsicht sogar unverzichtbar. ich glaube übrigens nicht, dass ich hier
> schon mal detaillierter meine vorstellungen von kollektivität ausgebreitet habe.
Warum denn "sorry", wenn Du denkst, daß ich Unsinn schreibe, dann lass das ruhig so stehen, so was macht mich nämlich echt sauer, wenn man mir sagt, entschuldige, aber ich finde dich doof. Da gibt es nichts zu entschuldigen.
Du unterscheidest hier soweit ich das überblicken kann nirgends zwischen überflüssigen Leiden und zum Leben dazugehörenden, vielmehr gewinne ich laufend den Eindruck, daß Deiner Überlegung nach jegliche Krankheit oder Unwohlsein ihren Ursprung in einem seelischen Ungleichgewicht haben muss - etwa auch der Unfall? Die Fehl- oder Totgeburt?
Was gehört denn zu den überflüssigen Leiden? Was genau ist nicht gesellschaftlich produziertes Leiden? Was ist für Dich überhaupt Gesellschaftlichkeit, was eigentlich Leben, d.h. gutes Leben (reichte es Dir ohne Herrschaft und Gewalt - mir würde es als Basis reichen, alles andere liesse sich darauf er-gründen)?
Ausser den tatsächlich erkennbaren überflüssigen Leiden wie traumabedingte - was schafft die Voraussetzung für "überflüssiges" Leiden? Wie kannst Du annehmen, man könne "überflüssigem" Leiden den Boden völlig entziehen? Ich kann es mir vorstellen, aber ich kann es mir nicht realisiert denken, weil die Menschen nicht mehr in Kleingruppen von höchstens 200 Mitgliedern leben möchten, und weil sie schwerlich auf Komfort verzichten werden - ausser sie werden dazu gewzungen, und wer soll sie dazu zwingen? Der Dritte Weltkrieg?
Noch eine Kleinigkeit: wenn ich überleben will, muss ich gelegentlich resignieren. Nicht jeder ist mit Super-Kräften ausgestattet, und Vorwürfe wie Deine sorgfältig formulierten machen mich ganz schattig.
ähem...
hallo? wenn ich finde, dass du an einem bestimmten punkt aus meiner sicht unsinn geschrieben hast, heißt das nicht gleich "du bist doof".
Du unterscheidest hier soweit ich das überblicken kann nirgends zwischen überflüssigen Leiden und zum Leben dazugehörenden, vielmehr gewinne ich laufend den Eindruck, daß Deiner Überlegung nach jegliche Krankheit oder Unwohlsein ihren Ursprung in einem seelischen Ungleichgewicht haben muss - etwa auch der Unfall? Die Fehl- oder Totgeburt?
ich unterscheide deswegen hier nicht, weil die letzteren schlicht nicht mein thema sind - in der einleitung zur trauma-reihe bin ich kurz darauf eingegangen, aber das war´s dann auch.
und wie du auf deinen obigen schluß kommst, ist mir gerade echt ein rätsel - eigentlich wird - wie ich selbst finde - bei den meisten beiträgen hier schon sehr deutlich, dass es bei den thematisierten zuständen jeweils konkrete verantwortliche gibt, manchmal meinetwegen auch indirekt verantwortliche. und hinter allem steht und wirkt ein uns allzu bekanntes system. so what?
zu deinen anderen fragen müssten wir uns wohl zunächst drüber verständigen, was wir jeweils unter "überflüssig" verstehen - für mich heißt das erstmal alles, was aus herrschaftsverhältnissen entspringt.
Noch eine Kleinigkeit: wenn ich überleben will, muss ich gelegentlich resignieren. Nicht jeder ist mit Super-Kräften ausgestattet, und Vorwürfe wie Deine sorgfältig formulierten machen mich ganz schattig.
?
was denn bitte für vorwürfe? ich kapier´s grad echt nicht :-(
> sicht unsinn geschrieben hast, heißt das nicht gleich "du bist doof".
Grrr, das hab ich Dir nicht unterstellen wollen - das mit dem "doof" diente mir zur drastischen Verdeutlichung. Ein Sorry klingt in meinen Ohren in solchem Zusammenhang herablassend.
> zu deinen anderen fragen müssten wir uns wohl zunächst drüber
> verständigen, was wir jeweils unter "überflüssig" verstehen - für mich
> heißt das erstmal alles, was aus herrschaftsverhältnissen entspringt.
Ja, erst mal einverstanden.
Ein Kontakt hat mir heute diese Seite empfohlen: www.ads-praxis.de Vielleicht interessiert es hier.
Ciao,
W-Day