assoziation: wo die angst regiert
während also diejenigen, die aus was für gründen auch immer nicht (mehr) fitmobilflexibelleistungsfähigpositivdenkend sind bzw. sein können, die leerstelle der ihnen geklauten würde teils noch in den arten ihres todes manifestieren, und dabei auch noch auf grauenhafte weise die alles kontaminierende systemlogik der verdinglichung und totalen verachtung aller authentischen menschlichen subjektivität demonstrieren, fangen diejenigen, die anscheinend auf der "sonnenseite" stehen und diese position meist auch noch mit schärfer werdender rücksichtslosigkeit verteidigen, zunehmend vor angst zu schlottern an:
(...)Vor einiger Zeit hat das Team um den Medizinsoziologen Johannes Siegrist von der Universität Düsseldorf zwei Studien veröffentlicht, die den Zusammenhang zwischen bedrohlichen Veränderungen im Erwerbsleben, körperlichen Beschwerden und Angst empirisch erhärten. In Kooperation mit belgischen Kollegen fanden die Düsseldorfer Forscher bei anfangs gesunden Beschäftigten, die von sich verschärfenden Arbeitsbelastungen und Arbeitsplatzunsicherheit betroffen waren, bereits nach einem Jahr dreimal so häufig ausgeprägte Angstzustände wie bei Arbeitnehmern, die davon verschont geblieben waren.
Siegrists Erhebungen und diejenigen seiner Kollegen bestätigen die Vermutung, dass Angst im Verbund mit Depression zur vierthäufigsten Todesursache in westlichen Industriestaaten gehört und laut Schätzung der Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2020 nach den kardiovaskulären Ursachen zur zweithäufigsten aufsteigen wird. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass Angst zu einer festen gesellschaftlichen Konstante geworden ist.(...)
Legt man als Maßstab von Krankheit aber die Angststörung an, lassen sich die Auswirkungen des globalisierten Wirtschaftens in fast allen westlichen Industriestaaten feststellen. Auch japanische Untersuchungen bestätigten kürzlich deutsche Befunde, wonach Arbeitnehmer, die Angst vor Entlassung haben, viermal so häufig depressive Störungen aufweisen wie jene Arbeitnehmer, die diese Angst nicht haben. Herzfrequenz und systolischer Blutdruck waren während des gesamten Arbeitstages, teilweise auch während der Nacht und am Wochenende, signifikant erhöht. In starkem Maße wurde das Stresshormon Kortisol ausgeschieden, was auf permanente Gefahrenbewältigung hinweist – auf eine existenzielle Erschütterung und Verunsicherung, die zur Angst wird, zur Angst vor der Angst, schließlich zur Angststörung, der Angst vor dem sofortigen Sterben."(...)
(streichen Sie bitte spätestens an dieser stelle das wort "psychisch", falls Ihnen das gerade im kopf herumgeht, womöglich noch mit dem wörtchen "nur" als begleiter. es geht hier auch immer um sehr körperliche, also psychophysische vorgänge, was sich gerade am phänomen der angst bestens nachvollziehen lässt.)
ich finde, der letzte absatz oben lässt sich auch so zusammenfassen: speziell das herrschende wirtschaftssystem ist eine einzige permanente körperverletzung, von den zerstörungen auch nichtmenschlichen lebens mal ganz abgesehen. und seine produkte werden übrigens idiotischerweise zu einem immer größer werdenden teil dafür eingesetzt, mit den folgen dieser destruktivität noch einigermaßen fertig zu werden, bzw. sie zu kompensieren (durch konsum). darauf beruhen inzwischen ganze branchen, wie natürlich die pharma-, tabak- und alkoholindustrie, touristik und unterhaltungsmedien...um nur die offensichtlichsten zu nennen.
*
fragen:
(...)"Hat sie, die Angst, denn wirklich zugenommen? Ließe sich nicht einwenden, dass jetzt eben genauer hingesehen, gedeutet und deswegen logischerweise eine Steigerung des Drucks sowie eine Zunahme der Störungen festgestellt werde? Kann der Einzelne dieser Tage vielleicht viel weniger ertragen als vor 100, vor 50, vor 30 Jahren der Bauer auf dem Feld im Angesicht von Missernten und Seuchen? Kurzum – sind die Wohlstandsindividualisten von heute womöglich allzu verweichlicht?
Oder ist – im Gegenteil – die Versagensangst mittlerweile so groß, weil der Einzelne in pluralisierten Gesellschaften für alles selbst verantwortlich ist, weil persönliche Identität sich größtenteils nur noch über die Arbeit und den Job definiert und Siegen in einer Gewinnerkultur zum Imperativ geworden ist, während gleichzeitig alle Gewissheiten und Sicherheiten zerfallen?"(...)
während die erste variante der "verweichlichung" sich tatsächlich bei law-and-order-fanatikern sowie den hemmungslosen propagandisten der herrschenden zustände als allein zulässige einiger beliebtheit erfreut - am deutlichsten wird dieser nicht-umgang mit angst bis heute noch immer von offenen nazis demonstriert, dürfte die zweite antwort zumindest einen großen teil der realität korrekt erfassen.
(...)"Durch die Verlagerung der Arbeitsorganisation vom körperlichen auf den psychomentalen Bereich hat sich auch das Krankheitsbild verlagert. Die ersten medizinischen Langzeitstudien, die seit Beginn der 1990er Jahre insbesondere in Finnland, Schweden und Großbritannien das Verhältnis zwischen Stress und Gesundheit untersuchen, kommen nach ihren Auswertungen jetzt zu eindeutigen Ergebnissen: Die Auswirkungen des Arbeitsalltags auf die psychische Gesundheit des Einzelnen sind enorm. In den vergangenen 20 Jahren haben Begriffe wie Flexibilität, Mobilität und lebenslanges Lernen Karriere gemacht; die berechenbare Biografie wurde zum Märchen aus einer versunkenen Welt und die Unberechenbarkeit zu einer mentalen Dauerbedrohung.
Der Beruf hat für das seelische und körperliche Wohlergehen des Einzelnen heute eine immense Bedeutung, weil er drei elementare Existenzbedürfnisse befriedigt: das Selbstwertgefühl, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und das Gefühl von Zugehörigkeit. Wenn diese grundlegenden Bedürfnisse nun durch Radikalisierung des Wettbewerbs, durch Konkurrenzkämpfe, Verlagerung der Produktion ins Ausland, Lohndruck, Kostendämpfung, Stellenabbau, zunehmende Rationalisierung und Mobbing bedroht sind, pathologisiert sich die permanente Verunsicherung zur Angst. Jeder siebte Angstpatient stirbt von eigener Hand."(...)
in etwas anderen worten steht das auch schon im update des letzten beitrages, wobei der dort angesprochene aspekt der traumatisierung hier nur z.t. erfasst wird: "...pathologisiert sich die permanente verunsicherung zur angst." ich begreife das als eine art vorstufe des traumas, welches hier in seiner vollen wirkung vermutlich nur durch die noch vorhandene einbettung in die destruktive struktur paradoxerweise gebremst wird - die arbeitswelt, egal wie real zerstörerisch sie sich im einzelnen schon auswirken mag, bekommt dann sozusagen die funktion des letzten rettungsankers. allerdings eines sehr fatalen rettungsankers.
(...)"Das Verhältnis zwischen Leistungsfähigkeit, den eigenen Ansprüchen und jenen, die von außen an einen herangetragen werden, ist stark gestört. Der gute Stress nimmt ab, der schlechte zu. Unter Bedingungen erhöhter Konkurrenz mehren sich zwischenmenschliche Spannungen, die Solidarität in Belegschaften wird geschwächt.
Folgen des sogenannten Downsizings, der permanenten Konfrontation des einzelnen Mitarbeiters mit Personalabbau und angedrohtem Personalabbau, sind, wie finnische Wissenschaftler nachgewiesen haben, erhöhte Arbeitsunfähigkeitsraten und eine signifikant erhöhte Sterblichkeit an koronaren Herzkrankheiten. Mit dem Anstieg der Stressbelastung am Arbeitsplatz steigt die Herz-Kreislauf-Mortalität um das 2,4-Fache an, Risikofaktoren wie Rauchen oder Alkohol bereits herausgerechnet. Weniger Menschen müssen mehr Arbeit verrichten. Jene, die keine Arbeit haben, fühlen sich unterfordert, jene, die arbeiten dürfen, überlastet. Psychische Konsequenzen hat es für beide."(...)
wie gesagt: permanente körperverletzung - zum einen, zum anderen, aber damit zusammenhängend, ist hier als größere dimension ebenfalls wie in so vielen anderen bereichen der aspekt der allgemeinen zerstörung der beziehungsfähigkeiten zu beachten.
und es trifft zunehmend jene, die bisher noch - zumindest materiell - von den herrschenden zuständen profitiert haben. was - perverserweise, wie ich betone - vielleicht sogar einen hoffnungsvollen aspekt enthalten könnte: wenn diese gruppen nämlich zum innehalten gezwungen werden:
(...)"Auffällig ist, dass die Angststörungen vermehrt die höher Qualifizierten treffen. Erhebungen in der Vergangenheit haben zwar gezeigt, dass diejenigen, die in sozial benachteiligten Schichten aufwachsen, ein niedrigeres Bildungsniveau und ein geringes Haushaltseinkommen haben, doppelt so häufig krankmachenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind wie Arbeitnehmer aus mittleren und höheren Schichten. Jetzt aber sind auch arbeitslose Akademiker in den Dreißigern keine Seltenheit mehr.
Angstambulanzen und Kliniken werden bevölkert von jungen Elektroingenieuren, die bei Kommunikationsunternehmen wegrationalisiert und Hunderte Kilometer von zu Hause entfernt fachfremd als Hartz-IV-Berater eingesetzt wurden; von Technikern, die die Anforderungen ständiger Mobilität und Flexibilität, die Ortswechsel und Fernbeziehung nicht ertragen können – oder eben von erfahrenen Bauleitern wie jenem in Bayern, der nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit mit dem Wechsel vom Senior- zum Junior-Chef den Sympathiebonus eingebüßt hatte, weil der Sohn plötzlich rationalisierte, wo der Vater das menschliche Miteinander in den Mittelpunkt gestellt hatte."(...)
*
der prozeß der psychophysischen verelendung läuft inzwischen auch in den "zivilisierten" zonen des planeten in gigantischen dimensionen ab:
"127 Millionen Menschen in Europa, mehr als ein Viertel der Bevölkerung, leiden an den zwölf häufigsten psychischen Erkrankungen, ein Drittel davon unter Ängsten und Panikattacken. Die jährlichen Behandlungskosten der psychischen und psychosomatischen Krankheiten in den europäischen Ländern schätzt das European Brain Council auf 386 Milliarden Euro. In Deutschland ist nach einer Statistik der DAK die Rate der »Arbeitsausfalltage infolge von Angststörungen« von 2000 bis 2005 um 27 Prozent gestiegen; bei Depressionen liegt im gleichen Zeitraum eine Zunahme um 42 Prozent vor. Insgesamt gehen fast zehn Prozent der Krankschreibungen in Deutschland auf psychische Erkrankungen zurück."(...)
ich hatte es schon früher öfter mal in diesem blog geschrieben: bei einer, na sagen wir mal ansteckenden seuche in derartigen dimensionen würden wir schon längst im medizinischen katastrophen- und ausnahmezustand leben. faktisch und real ist dieser zustand längst vorhanden, allerdings hervorgerufen durch unsere eigene "lebens"weise.
(...)" Meist sind Angstpatienten sehr jung. Die soziale Phobie tritt in der Pubertät auf, mit 15, die generalisierte Angststörung zwischen 30 und 35. Jeder zweite Sozialphobiker ist alkoholabhängig, bei mehrfach erhöhtem Suizidrisiko. Die Leistungsfähigkeit von Menschen mit generalisierter Angststörung ist halbiert, ein großer Teil von ihnen erkrankt zudem noch an einer Depression. Vor übersteigertem Leistungswillen fällt die Leistungsfähigkeit in sich zusammen.
Dreitausend Angstpatienten hat der biologische Psychiater Borwin Bandelow von der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen in seinem Leben bisher gesehen. Er finde es bedenklich, sagt er, hätte ein Mensch keine Angst."(...)
yo. letzteres ist ein starker hinweis auf eine funktionelle oder strukturelle soziopathische persönlichkeit.
(...)"Der Zusammenhang zwischen Evolution und Angst ist auch hirnphysiologisch evident. Einer der ältesten Hirnteile, der Mandelkern, Amygdala genannt, ist als Teil des limbischen Systems die neurologische Schaltzentrale der Auslösung von Ängsten. Wie im Fall fast aller psychischen Krankheiten sieht Bandelow auch Angst als zu 40 Prozent vererbt an, was er aus eigenen Studien mit ein- wie zweieiigen Zwillingen und aus der Evolutionsgeschichte ableitet. Wer Verwandte ersten Grades mit einer Angststörung habe, dessen Risiko sei um ein 4,25-Faches erhöht, ebenfalls eine Angststörung zu entwickeln.
Niemand ist gefeit, jeder Mensch kann eine Angstkrankheit entwickeln, und jeder Vierte hat im Laufe seines Lebens einmal eine Angststörung. »Angst ist ein biologisches Phänomen«, sagt Bandelow, »sie ist kulturunabhängig.« Zur Störung wird die biologisch sinnvolle Angstreaktion erst, wenn sie unverhältnismäßig wird, wenn sie Leid verursacht und ohne adäquaten Grund auftritt, wenn die Reaktion dem Anlass entsprechend unangemessen heftig ist, wenn sie nicht kontrolliert oder akzeptiert wird."(...)
hier möchte ich wiedersprechen: die "kulturunabhängigkeit" ist zwar in dem sinne gegeben, dass die angst bei menschen aller kulturen vorhanden ist und sich auch in gleichen bzw- ähnlichen erlebbaren formen äussert - aber bereits die art und weise des umgangs und der bewältigung ist meiner meinung nach nicht mehr kulturunabhängig zu verstehen.
und ich sehe auch nicht, dass ängste heute mehrheitlich "ohne adäquate gründe" auftreten würden - das lässt sich vielleicht bei den klassischen phobien wie zb. spinnenangst so sehen, keinesfalls aber bei den ängsten, die bspw. durch die ökonomischen verhältnisse produziert werden.
*
ich lasse hier gerade die einzelbeispiele von betroffenen, die im artikel erwähnt werden, außen vor. beim lesen werden Sie aber vielleicht feststellen, dass sehr viele querverbindungen zu anderen psychophysischen auffälligkeiten teils offen oder unausgesprochen deutlich werden - neben der alexithymie taucht ein wohlbekannter begriff aus der welt der sog. "eliten" auf:
(...)"Oft sind Angstpatienten Narzissten, wobei nicht alle Narzissten eine Angststörung haben. Sozialphobiker wie Sabrina haben Angst vor der Bewertung durch andere Menschen, weil sie gerade durch deren Bewertung nach sozialer Anerkennung streben. Deshalb arbeiten sie hart an sich, setzen sich unter Leistungsdruck, sind perfektionistisch und extrem arbeitswillig. Sie kennen kein Jammern, verbeißen sich in ihren Job. Keine Frage, dass sie beim Arbeitgeber beliebt sind. Sie bereiten sich besser vor als nötig. Sie haben Erfolg und dennoch ständig Angst, es könnte auffliegen, dass sie nichts können."
und es ließe sich auch der schluß ziehen, dass mindestens sekundäre als-ob-zustände gefördert werden:
"Therapeuten und Ärzte sind sich sicher, dass die Zahl der sozialen Phobien in naher Zukunft wachsen wird. Im Arbeitsalltag wird vom Einzelnen erwartet, dass er sich in Teams integriert, dass er Vorträge hält, an der Flip-Chart steht, wie selbstverständlich dem Druck standhält, die eigene Kompetenz und das eigene Ich permanent unter Beweis zu stellen. Wer weiß, dass er zur Selbstdarstellung nicht geboren ist, wird allein durch die allgemeine Erwartungshaltung bereits Angst vor dem Scheitern haben."(...)
was nichts anderes bedeutet, als das in diesem szenario tatsächlich extrem simulationsfähige menschen die besten karten haben, und für diese eine art positiver selektion stattfindet - hier steht buchstäblich alles auf dem kopf!
ich möchte Ihnen den artikel insgesamt trotz des abschließenden hochjubelns von verhaltenstherapeutischen maßnahmen - die in vielen fällen lediglich eine, wenn auch wirksame, symptombekämpfung darstellen - und der fehlenden reflexion über die interaktion zwischen sozialen verhältnissen und genen empfehlen, und schließe mit einem gut bekannten aspekt, der gleichzeitig bereits den weg in eine welt weist, die zwar nicht angstfrei sein wird, aber in der wir die angst reiten - und nicht umgekehrt:
(...)»Einer der größten Angststressoren ist das Schwinden der Solidarität«, sagt Jürgen Margraf, Ordinarius für Klinische Psychologie und Psychotherapie in Basel, wo immer er auftritt. Sogleich fügt er an: »Der wichtigste Schutzfaktor gegen Angst sind stabile soziale Bindungen.«(...)
strike!
(...)Vor einiger Zeit hat das Team um den Medizinsoziologen Johannes Siegrist von der Universität Düsseldorf zwei Studien veröffentlicht, die den Zusammenhang zwischen bedrohlichen Veränderungen im Erwerbsleben, körperlichen Beschwerden und Angst empirisch erhärten. In Kooperation mit belgischen Kollegen fanden die Düsseldorfer Forscher bei anfangs gesunden Beschäftigten, die von sich verschärfenden Arbeitsbelastungen und Arbeitsplatzunsicherheit betroffen waren, bereits nach einem Jahr dreimal so häufig ausgeprägte Angstzustände wie bei Arbeitnehmern, die davon verschont geblieben waren.
Siegrists Erhebungen und diejenigen seiner Kollegen bestätigen die Vermutung, dass Angst im Verbund mit Depression zur vierthäufigsten Todesursache in westlichen Industriestaaten gehört und laut Schätzung der Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2020 nach den kardiovaskulären Ursachen zur zweithäufigsten aufsteigen wird. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass Angst zu einer festen gesellschaftlichen Konstante geworden ist.(...)
Legt man als Maßstab von Krankheit aber die Angststörung an, lassen sich die Auswirkungen des globalisierten Wirtschaftens in fast allen westlichen Industriestaaten feststellen. Auch japanische Untersuchungen bestätigten kürzlich deutsche Befunde, wonach Arbeitnehmer, die Angst vor Entlassung haben, viermal so häufig depressive Störungen aufweisen wie jene Arbeitnehmer, die diese Angst nicht haben. Herzfrequenz und systolischer Blutdruck waren während des gesamten Arbeitstages, teilweise auch während der Nacht und am Wochenende, signifikant erhöht. In starkem Maße wurde das Stresshormon Kortisol ausgeschieden, was auf permanente Gefahrenbewältigung hinweist – auf eine existenzielle Erschütterung und Verunsicherung, die zur Angst wird, zur Angst vor der Angst, schließlich zur Angststörung, der Angst vor dem sofortigen Sterben."(...)
(streichen Sie bitte spätestens an dieser stelle das wort "psychisch", falls Ihnen das gerade im kopf herumgeht, womöglich noch mit dem wörtchen "nur" als begleiter. es geht hier auch immer um sehr körperliche, also psychophysische vorgänge, was sich gerade am phänomen der angst bestens nachvollziehen lässt.)
ich finde, der letzte absatz oben lässt sich auch so zusammenfassen: speziell das herrschende wirtschaftssystem ist eine einzige permanente körperverletzung, von den zerstörungen auch nichtmenschlichen lebens mal ganz abgesehen. und seine produkte werden übrigens idiotischerweise zu einem immer größer werdenden teil dafür eingesetzt, mit den folgen dieser destruktivität noch einigermaßen fertig zu werden, bzw. sie zu kompensieren (durch konsum). darauf beruhen inzwischen ganze branchen, wie natürlich die pharma-, tabak- und alkoholindustrie, touristik und unterhaltungsmedien...um nur die offensichtlichsten zu nennen.
*
fragen:
(...)"Hat sie, die Angst, denn wirklich zugenommen? Ließe sich nicht einwenden, dass jetzt eben genauer hingesehen, gedeutet und deswegen logischerweise eine Steigerung des Drucks sowie eine Zunahme der Störungen festgestellt werde? Kann der Einzelne dieser Tage vielleicht viel weniger ertragen als vor 100, vor 50, vor 30 Jahren der Bauer auf dem Feld im Angesicht von Missernten und Seuchen? Kurzum – sind die Wohlstandsindividualisten von heute womöglich allzu verweichlicht?
Oder ist – im Gegenteil – die Versagensangst mittlerweile so groß, weil der Einzelne in pluralisierten Gesellschaften für alles selbst verantwortlich ist, weil persönliche Identität sich größtenteils nur noch über die Arbeit und den Job definiert und Siegen in einer Gewinnerkultur zum Imperativ geworden ist, während gleichzeitig alle Gewissheiten und Sicherheiten zerfallen?"(...)
während die erste variante der "verweichlichung" sich tatsächlich bei law-and-order-fanatikern sowie den hemmungslosen propagandisten der herrschenden zustände als allein zulässige einiger beliebtheit erfreut - am deutlichsten wird dieser nicht-umgang mit angst bis heute noch immer von offenen nazis demonstriert, dürfte die zweite antwort zumindest einen großen teil der realität korrekt erfassen.
(...)"Durch die Verlagerung der Arbeitsorganisation vom körperlichen auf den psychomentalen Bereich hat sich auch das Krankheitsbild verlagert. Die ersten medizinischen Langzeitstudien, die seit Beginn der 1990er Jahre insbesondere in Finnland, Schweden und Großbritannien das Verhältnis zwischen Stress und Gesundheit untersuchen, kommen nach ihren Auswertungen jetzt zu eindeutigen Ergebnissen: Die Auswirkungen des Arbeitsalltags auf die psychische Gesundheit des Einzelnen sind enorm. In den vergangenen 20 Jahren haben Begriffe wie Flexibilität, Mobilität und lebenslanges Lernen Karriere gemacht; die berechenbare Biografie wurde zum Märchen aus einer versunkenen Welt und die Unberechenbarkeit zu einer mentalen Dauerbedrohung.
Der Beruf hat für das seelische und körperliche Wohlergehen des Einzelnen heute eine immense Bedeutung, weil er drei elementare Existenzbedürfnisse befriedigt: das Selbstwertgefühl, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und das Gefühl von Zugehörigkeit. Wenn diese grundlegenden Bedürfnisse nun durch Radikalisierung des Wettbewerbs, durch Konkurrenzkämpfe, Verlagerung der Produktion ins Ausland, Lohndruck, Kostendämpfung, Stellenabbau, zunehmende Rationalisierung und Mobbing bedroht sind, pathologisiert sich die permanente Verunsicherung zur Angst. Jeder siebte Angstpatient stirbt von eigener Hand."(...)
in etwas anderen worten steht das auch schon im update des letzten beitrages, wobei der dort angesprochene aspekt der traumatisierung hier nur z.t. erfasst wird: "...pathologisiert sich die permanente verunsicherung zur angst." ich begreife das als eine art vorstufe des traumas, welches hier in seiner vollen wirkung vermutlich nur durch die noch vorhandene einbettung in die destruktive struktur paradoxerweise gebremst wird - die arbeitswelt, egal wie real zerstörerisch sie sich im einzelnen schon auswirken mag, bekommt dann sozusagen die funktion des letzten rettungsankers. allerdings eines sehr fatalen rettungsankers.
(...)"Das Verhältnis zwischen Leistungsfähigkeit, den eigenen Ansprüchen und jenen, die von außen an einen herangetragen werden, ist stark gestört. Der gute Stress nimmt ab, der schlechte zu. Unter Bedingungen erhöhter Konkurrenz mehren sich zwischenmenschliche Spannungen, die Solidarität in Belegschaften wird geschwächt.
Folgen des sogenannten Downsizings, der permanenten Konfrontation des einzelnen Mitarbeiters mit Personalabbau und angedrohtem Personalabbau, sind, wie finnische Wissenschaftler nachgewiesen haben, erhöhte Arbeitsunfähigkeitsraten und eine signifikant erhöhte Sterblichkeit an koronaren Herzkrankheiten. Mit dem Anstieg der Stressbelastung am Arbeitsplatz steigt die Herz-Kreislauf-Mortalität um das 2,4-Fache an, Risikofaktoren wie Rauchen oder Alkohol bereits herausgerechnet. Weniger Menschen müssen mehr Arbeit verrichten. Jene, die keine Arbeit haben, fühlen sich unterfordert, jene, die arbeiten dürfen, überlastet. Psychische Konsequenzen hat es für beide."(...)
wie gesagt: permanente körperverletzung - zum einen, zum anderen, aber damit zusammenhängend, ist hier als größere dimension ebenfalls wie in so vielen anderen bereichen der aspekt der allgemeinen zerstörung der beziehungsfähigkeiten zu beachten.
und es trifft zunehmend jene, die bisher noch - zumindest materiell - von den herrschenden zuständen profitiert haben. was - perverserweise, wie ich betone - vielleicht sogar einen hoffnungsvollen aspekt enthalten könnte: wenn diese gruppen nämlich zum innehalten gezwungen werden:
(...)"Auffällig ist, dass die Angststörungen vermehrt die höher Qualifizierten treffen. Erhebungen in der Vergangenheit haben zwar gezeigt, dass diejenigen, die in sozial benachteiligten Schichten aufwachsen, ein niedrigeres Bildungsniveau und ein geringes Haushaltseinkommen haben, doppelt so häufig krankmachenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind wie Arbeitnehmer aus mittleren und höheren Schichten. Jetzt aber sind auch arbeitslose Akademiker in den Dreißigern keine Seltenheit mehr.
Angstambulanzen und Kliniken werden bevölkert von jungen Elektroingenieuren, die bei Kommunikationsunternehmen wegrationalisiert und Hunderte Kilometer von zu Hause entfernt fachfremd als Hartz-IV-Berater eingesetzt wurden; von Technikern, die die Anforderungen ständiger Mobilität und Flexibilität, die Ortswechsel und Fernbeziehung nicht ertragen können – oder eben von erfahrenen Bauleitern wie jenem in Bayern, der nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit mit dem Wechsel vom Senior- zum Junior-Chef den Sympathiebonus eingebüßt hatte, weil der Sohn plötzlich rationalisierte, wo der Vater das menschliche Miteinander in den Mittelpunkt gestellt hatte."(...)
*
der prozeß der psychophysischen verelendung läuft inzwischen auch in den "zivilisierten" zonen des planeten in gigantischen dimensionen ab:
"127 Millionen Menschen in Europa, mehr als ein Viertel der Bevölkerung, leiden an den zwölf häufigsten psychischen Erkrankungen, ein Drittel davon unter Ängsten und Panikattacken. Die jährlichen Behandlungskosten der psychischen und psychosomatischen Krankheiten in den europäischen Ländern schätzt das European Brain Council auf 386 Milliarden Euro. In Deutschland ist nach einer Statistik der DAK die Rate der »Arbeitsausfalltage infolge von Angststörungen« von 2000 bis 2005 um 27 Prozent gestiegen; bei Depressionen liegt im gleichen Zeitraum eine Zunahme um 42 Prozent vor. Insgesamt gehen fast zehn Prozent der Krankschreibungen in Deutschland auf psychische Erkrankungen zurück."(...)
ich hatte es schon früher öfter mal in diesem blog geschrieben: bei einer, na sagen wir mal ansteckenden seuche in derartigen dimensionen würden wir schon längst im medizinischen katastrophen- und ausnahmezustand leben. faktisch und real ist dieser zustand längst vorhanden, allerdings hervorgerufen durch unsere eigene "lebens"weise.
(...)" Meist sind Angstpatienten sehr jung. Die soziale Phobie tritt in der Pubertät auf, mit 15, die generalisierte Angststörung zwischen 30 und 35. Jeder zweite Sozialphobiker ist alkoholabhängig, bei mehrfach erhöhtem Suizidrisiko. Die Leistungsfähigkeit von Menschen mit generalisierter Angststörung ist halbiert, ein großer Teil von ihnen erkrankt zudem noch an einer Depression. Vor übersteigertem Leistungswillen fällt die Leistungsfähigkeit in sich zusammen.
Dreitausend Angstpatienten hat der biologische Psychiater Borwin Bandelow von der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen in seinem Leben bisher gesehen. Er finde es bedenklich, sagt er, hätte ein Mensch keine Angst."(...)
yo. letzteres ist ein starker hinweis auf eine funktionelle oder strukturelle soziopathische persönlichkeit.
(...)"Der Zusammenhang zwischen Evolution und Angst ist auch hirnphysiologisch evident. Einer der ältesten Hirnteile, der Mandelkern, Amygdala genannt, ist als Teil des limbischen Systems die neurologische Schaltzentrale der Auslösung von Ängsten. Wie im Fall fast aller psychischen Krankheiten sieht Bandelow auch Angst als zu 40 Prozent vererbt an, was er aus eigenen Studien mit ein- wie zweieiigen Zwillingen und aus der Evolutionsgeschichte ableitet. Wer Verwandte ersten Grades mit einer Angststörung habe, dessen Risiko sei um ein 4,25-Faches erhöht, ebenfalls eine Angststörung zu entwickeln.
Niemand ist gefeit, jeder Mensch kann eine Angstkrankheit entwickeln, und jeder Vierte hat im Laufe seines Lebens einmal eine Angststörung. »Angst ist ein biologisches Phänomen«, sagt Bandelow, »sie ist kulturunabhängig.« Zur Störung wird die biologisch sinnvolle Angstreaktion erst, wenn sie unverhältnismäßig wird, wenn sie Leid verursacht und ohne adäquaten Grund auftritt, wenn die Reaktion dem Anlass entsprechend unangemessen heftig ist, wenn sie nicht kontrolliert oder akzeptiert wird."(...)
hier möchte ich wiedersprechen: die "kulturunabhängigkeit" ist zwar in dem sinne gegeben, dass die angst bei menschen aller kulturen vorhanden ist und sich auch in gleichen bzw- ähnlichen erlebbaren formen äussert - aber bereits die art und weise des umgangs und der bewältigung ist meiner meinung nach nicht mehr kulturunabhängig zu verstehen.
und ich sehe auch nicht, dass ängste heute mehrheitlich "ohne adäquate gründe" auftreten würden - das lässt sich vielleicht bei den klassischen phobien wie zb. spinnenangst so sehen, keinesfalls aber bei den ängsten, die bspw. durch die ökonomischen verhältnisse produziert werden.
*
ich lasse hier gerade die einzelbeispiele von betroffenen, die im artikel erwähnt werden, außen vor. beim lesen werden Sie aber vielleicht feststellen, dass sehr viele querverbindungen zu anderen psychophysischen auffälligkeiten teils offen oder unausgesprochen deutlich werden - neben der alexithymie taucht ein wohlbekannter begriff aus der welt der sog. "eliten" auf:
(...)"Oft sind Angstpatienten Narzissten, wobei nicht alle Narzissten eine Angststörung haben. Sozialphobiker wie Sabrina haben Angst vor der Bewertung durch andere Menschen, weil sie gerade durch deren Bewertung nach sozialer Anerkennung streben. Deshalb arbeiten sie hart an sich, setzen sich unter Leistungsdruck, sind perfektionistisch und extrem arbeitswillig. Sie kennen kein Jammern, verbeißen sich in ihren Job. Keine Frage, dass sie beim Arbeitgeber beliebt sind. Sie bereiten sich besser vor als nötig. Sie haben Erfolg und dennoch ständig Angst, es könnte auffliegen, dass sie nichts können."
und es ließe sich auch der schluß ziehen, dass mindestens sekundäre als-ob-zustände gefördert werden:
"Therapeuten und Ärzte sind sich sicher, dass die Zahl der sozialen Phobien in naher Zukunft wachsen wird. Im Arbeitsalltag wird vom Einzelnen erwartet, dass er sich in Teams integriert, dass er Vorträge hält, an der Flip-Chart steht, wie selbstverständlich dem Druck standhält, die eigene Kompetenz und das eigene Ich permanent unter Beweis zu stellen. Wer weiß, dass er zur Selbstdarstellung nicht geboren ist, wird allein durch die allgemeine Erwartungshaltung bereits Angst vor dem Scheitern haben."(...)
was nichts anderes bedeutet, als das in diesem szenario tatsächlich extrem simulationsfähige menschen die besten karten haben, und für diese eine art positiver selektion stattfindet - hier steht buchstäblich alles auf dem kopf!
ich möchte Ihnen den artikel insgesamt trotz des abschließenden hochjubelns von verhaltenstherapeutischen maßnahmen - die in vielen fällen lediglich eine, wenn auch wirksame, symptombekämpfung darstellen - und der fehlenden reflexion über die interaktion zwischen sozialen verhältnissen und genen empfehlen, und schließe mit einem gut bekannten aspekt, der gleichzeitig bereits den weg in eine welt weist, die zwar nicht angstfrei sein wird, aber in der wir die angst reiten - und nicht umgekehrt:
(...)»Einer der größten Angststressoren ist das Schwinden der Solidarität«, sagt Jürgen Margraf, Ordinarius für Klinische Psychologie und Psychotherapie in Basel, wo immer er auftritt. Sogleich fügt er an: »Der wichtigste Schutzfaktor gegen Angst sind stabile soziale Bindungen.«(...)
strike!
monoma - 24. Apr, 22:31
Als der Druck gegen Ende des letzten Jahrtausends immer weiter zunahm, wurde 'zufällig' bei dreien der Angestellten (damals ca. 10 % der Belegschaft) Krebs diagnostiziert. Ebenso 'zufällig' trat die Krankheit genau bei jenen beiden Abteilungsleiterinnen auf, die psychisch intakt waren und deshalb nicht zu den Mobbern zählten. Sie gingen in Rente und leben noch heute. Eine 20 Jahre jüngere Kollegin aber, die vom Chef materiell und psychisch abhängig war, ist an Magenkrebs gestorben. Eine weitere Kollegin litt ständig unter Muskelverspannungen, Gürtelrose etc. Nachdem sie gekündigt hatte, ging es ihr besser, bis sie - 'zufällig' erst, als der politische und ökonomische Druck auf die Arbeitslosen wg. Hartz IV immer weiter zunahm - an einer Depression erkrankte. Die verschwand bezeichnenderweise, als sie in einer Institution, wo es noch menschlich zugeht, 1-€-Jobberin wurde. - Auch über all die anderen Kollegen und all meine Freunde und Bekannten könnte ich ähnliche Geschichten erzählen. Ausnahmslos alle, die nicht (wie einige wenige) das Glück haben, unter menschlich vertretbaren Umständen - zu arbeiten, sind um das Jahr 2000 an einer manifesten Depression erkrankt und wiesen/weisen diverse mehr oder minder schwere psychosomatische Symptome auf, so daß in meinem Umfeld inzwischen auch diverse jahrzehntelange (!) Freundschaften daran zerbrochen sind, daß einige der Beteiligten unter dem ständigen Druck der Verhältnisse innerlich zerbrochen sind. Sie sind 'andere Menschen' geworden, die nichts mehr reflektieren, sondern sich nur noch betäuben: mittels TV, Pornographie und pseudosozialen 'Events'.
Über den schleichenden Beginn des jetzigen Chaos habe ich 5 Jahre nach der Veröffentlichung von Friß oder stirb mein Buch geschrieben.