assoziation: von bleiernen zeiten und ihrem dahinschmelzen (1)

die ereignisse in nordafrika, dem nahen osten und der arabischen halbinsel sind in ihren konsequenzen nach wie vor unüberschaubar und bringen als sicherlich geringstes problem für mich selbst die frage mit, wie ich angesichts einer eh schon angesammelten menge an offenen themen und fragen aus den letzten monaten hier im blog damit umgehe. meine vorläufige lösung sieht so aus, dass ich ab sofort unter dem obigen titel eine kleine reihe starte, unregelmässig, mit bewusst fragmentarischen inhalten und folgerichtig ohne den anspruch auf vollständigkeit, die schwerpunktmässig die folgenden bereiche beleuchten soll:
  • diverse aspekte der anfangs angesprochenen veränderungen, egal ob sie nun als aufstände, revolten oder gar revolutionen gesehen werden
  • damit einhergehend der schon früher zumindest begonnene versuch, aus der perspektive des blogs besonders die psychosoziale matrix in diesen regionen besser zu verstehen
  • aber auch die weitere diskussion über "der kommende aufstand" soll vorläufig erst mal hier stattfinden - es liegt einfach sehr nahe, afrikanische bzw. arabische wege des aufstands mit realen entwicklungen in europa in bezug zu setzen und, soweit möglich, zu vergleichen
andere weitere themen liegen auf der hand, die hier aller wahrscheinlichkeit nach auftauchen werden - aber für den moment sollten die drei obigen punkte zur skizzierung deutlich genug sein. und das bündeln innerhalb einer reihe hat auch für mich den vorteil, dass ich ich mich wahrnehmungsmässig dann bei anderen themen, die gerade nicht im focus sind, flexibler fühle, um sie hereinzuholen. soweit dazu. dann springen wir mal hinein in den zug der geschichte...

*

ägypten: lehrreich und beängstigend in vielerlei hinsicht ist die aktuelle situation. diejenigen ansonsten unsichtbar bleibenden linien von einflüssen, machtinteressen und motivationen der "eliten" werden durch den aufstand gut erahn- bis offen sichtbar. klar ist, dass das regime nach anfänglichem schock versucht, zu einem status quo zurückzukehren, der dem alten möglichst ähnlich sieht. das kann allerdings nur unter dem protektorat der usa, der eu und auch israels gelingen, deren doppelzüngige botschaften in diesen tagen absehbar zu einer schweren hypothek in der zukunft führen werden, falls die konterrevolution sich endgültig durchsetzen sollte. letzteres wird aber zumindest bisher durch die entschlossenheit eines großen teils der aufständischen verhindert, denen ebenso wie ihren gegnern auf der anderen seite auch die persönlichen konsequenzen im falle des scheiterns bewusst sind - das regime wird sich rächen, wenn es die gelegenheit dazu bekommt.

ein frischer
artikel in der "taz" beschreibt reaktionen und umgang der aktivsten, jüngsten und "unorganisiertesten" fraktionen auf dem tahrir-platz:

(...) "Die Leute auf dem Platz haben eine klare politische Linie: Erst wenn Mubarak geht, sind sie bereit zu sprechen. Das Regime versucht indes, möglichst viel vom alten System in die neue Zeit hinüberzuretten, während Mubarak offiziell noch im Amt ist. Und Teile der Opposition wollen das Spiel mitspielen, um sich selbst einen Platz für die Zeit nach Mubarak zu sichern.

Doch bisher hat sich der Tahrir-Platz nicht instrumentalisieren lassen. Dabei ist es seine Stärke, dass er bisher keine Sprecher und keine politische Führungen hervorgebracht hat. Niemand konnte bislang von einer organisierten Opposition vereinnahmt oder vom Regime verhaftet werden." (...)


dann, selten genug in diesen tagen, eine explizit
linke stimme aus ägypten:

(...) "Wie stark ist denn gegenwärtig die bis heute verbotene linke Opposition in Ägypten?

Das ist äußerst komplex im Moment. Gerade die linke Opposition ist extrem zerstritten und fragmentiert und für Außenstehende schwer durchschaubar. Zudem spielt sich die Reorganisation der Linken noch immer im Untergrund ab. Wir können jedoch feststellen, dass die legalen Parteien, also die »dekorativen« Parteien, nicht mehr die wichtigsten politischen Kräfte sind. Das sind jetzt die illegalen politischen Gruppen." (...)


weiter aufgefallen ist mir ein sehr spannender
text des ägyptischen autors khaled alkhamissi, der mit den folgenden bemerkenswerten sätzen endet:

(...) "Es ist ein erster Schritt auf dem Weg, auf dem die vier Milliarden Menschen unter vierzig Jahren auf der ganzen Welt eine neues System schaffen werden, das den Platz der abgenutzten Weltordnung einnehmen wird, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde und die heute im Sterben liegt und nur darauf wartet, dass jemand ihr Grab gräbt."

noch jemand, der das geab liest? (kleiner scherz am rande).

dann wäre da daeva mit einem antiparanoiden beitrag zum schreckgespenst-thema
islamisten und der umsturz in ägypten. tipp!

*

zum letzteren hat sich ja
neulich schon die islamistische regimeführung aus dem iran ausgelassen und die revolution in tunesien plus die ägyptische revolte gleich mal als "islamisches erwachen" vereinnahmt. und auch eine verwandte hackfresse ein verwandter "geistlicher führer", nämlich der sog. großmufti von saudi-arabien, hat sich erwartungsgemäß regelrecht euphorisch geäussert... äh, moment mal....

"Der Großmufti von Saudi-Arabien, Abdelaziz al-Sheikh, hat die Volksaufstände in anderen arabischen Ländern als von "Feinden des Islam gesteuerte chaotische Aktionen" verurteilt, deren Ziel es sei, "die muslimische Welt zu spalten". Die "Feinde des Islam und ihre Knechte" stifteten zur Revolte an, um "die muslimische Nation im Herz zu treffen und sie zu spalten", wurde der höchste geistliche Würdenträger des Königreichs am Samstag von der Tageszeitung "Asharq al-Awsat" zitiert." (...)

"der islam" halt. alles eine sauce. wissen wir ja alle. vor allem die hiesigen islamophobiker. fast genauso gut wie die tatsache, dass saudi-arabien eine der widerwärtigsten, religiös-fundamentalistisch geprägten und von einem mafiösen clan beherrrschten diktaturen auf dem planeten darstellt. richtig? folgerichtig ein enger und guter verbündeter des westens, und vor allem ein verlässlicher öllieferant. würden lügen und heuchelei als folge zu dicken pickeln im gesicht führen, so würden so ziemlich sämtliche führungsfiguren des sog. "freien westens" spätestens (!) seit ein paar tagen mit wahren blumenkohlgesichtern herumrennen.

wo ich gerade bei saudi-arabien bin, noch der hinweis auf eine
aktion dieser tage, die in diesem staat ähnlich wie die neulich erwähnten proteste wirklich mut verlangt:

(...) "In der Hauptstadt Riad forderten am Samstag etwa 40 Frauen vor dem Innenministerium die Freilassung von Gefangenen. Die Häftlinge würden ohne Gerichtsverfahren festgehalten, sagten Aktivisten.

Den Frauen standen zahlreiche Polizisten gegenüber, die aber nicht eingriffen. Amnesty International und andere Menschenrechtsgruppen werfen Saudi-Arabien seit langem vor, tausende Reform-Aktivisten unter dem Deckmantel einer Kampagne gegen die Extremisten der Al-Kaida festzuhalten. Riad bestreitet dies." (...)


ich kann mich nur den bezeichnend wenigen postings in zugehörigen forum anschließen: totalen respekt dafür an diese frauen!

*

israel: die bei den letzten beiträgen unten angefangenen diskussionen besonders mit w-day und demon driver finde ich umgekehrt ebenso nicht besonders "erquicklich", zumal ich auch nach bewusstem sackenlassen nichts finden kann, was meine ursprüngliche wertung der entsetzlichen dummheit und extremen kurzsichtigkeit der aktuellen israelischen politik irgendwie negieren würde. diese diskussionen, nicht nur bezgl. israels, werde ich nochmals stück für stück aufgreifen. für den moment aber erstmal nur weiteres material: ein
gastbeitrag eines ehemaligen israelischen verteidigungs- und außenministers macht die bisherigen prämissen der israelischen politik nochmals nachdrücklich deutlich:

(...) „Frieden schließt man mit Diktatoren.“

Diese traurige Wahrheit kommt uns angesichts der Unruhen in Ägypten wieder in den Sinn. Schließlich stellt sich für Israel die Frage, ob unser Friedensvertrag mit Kairo noch gültig ist, wenn Präsident Hosni Mubarak aus dem Amt gejagt wird. Eben dieser Umstand erinnert uns an die hässliche Tatsache, dass Israel mit zwei Staaten Friedensverträge abgeschlossen hat, mit Ägypten und Jordanien – gezeichnet von zwei Diktatoren, Anwar El Sadat und König Hussein.

Darüber hinaus gab es noch weitere Verhandlungen, von denen wir uns den Frieden versprachen, mit Syrien und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Auch hier versuchten wir, uns mit zwielichtigen bis widerwärtigen Diktatoren einig zu werden. Doch jedem, der sich naserümpfend abwandte, wurde erklärt: „Frieden schließt man mit seinen Feinden.“ Hätte sich jemals die Gelegenheit geboten, Israel hätte selbstverständlich auch mit Demokratien verhandelt – allerdings sind die in unser unmittelbaren Nachbarschaft eher selten anzutreffen." (...)


na, aber warum denn bloß?

(...) "Diese beiden Bedingungen, territoriales Zugeständnis und militärische Aufrüstung, konnte ein Diktator im Zweifelsfall schneller und besser erfüllen. Solange er in der offiziellen Propaganda verkünden konnte, dass es in seinem Land keine Gebietsansprüche gebe, gab es auch kein Problem mit Israel. Außerdem durften sich neben dem Militär auch Polizei und Geheimdienste über die bessere Ausstattung freuen, schließlich hatte der Repressionsapparat offiziell die Sicherheit Israels zu garantieren.

Kurzum, Sadats und Mubaraks Ägypten erfüllten die israelischen Bedingungen, genauso wie Jordaniens König Hussein und dessen Nachfolger, König Abdullah. Vollkommen zu Recht wurde angenommen, dass auch Syriens Hafez Assad und Jassir Arafat von der PLO diese Bedingungen zu erfüllen in der Lage gewesen wären, schließlich verfügten sie als Diktatoren über die entsprechenden Machtmittel." (...)


relativ offen wird das wichtigste fazit gezogen:

(...) "Keine der israelischen Regierungen hat jemals darauf bestanden, nur mit demokratischen gewählten arabischen Regierungen zu verhandeln.

Die implizite Unterstellung dabei wird wohl gewesen sein, dass Diktaturen absolut verlässlich sind – etwas, das Demokratien mit ihren wechselnden Mehrheiten nie sein können." (...)


ebenfalls und gar nicht mal so implizit, sondern eher explizit, dürfte ein bis heute in israel virulenter antiarabischer rassismus eine rolle spielen, der seinen gegenpart im antisemitismus der vielen nationalistischen und islamistischen fraktionen in diversen staaten des nahen und mittleren ostens findet. so weit, so schlecht. ich habe schon früher ausführlicher auf die aus meiner sicht offenliegende tatsache hingewiesen, dass nicht nur israel, sondern auch die arabischen opponenten in etwas gefangen sind, was sich im großen und ganzen als
kollektive re-inszenierungen traumatischer strukturen begreifen lässt, und was mit den übrigen einflüssen wie ökonomischen, religiösen und "politischen" interagiert und sie individuell wie kollektiv erst emotional so richtig auflädt. unter diesem aspekt betrachte ich die aktuellen aufstände langfristig als nötigen schritt ion eine richtung, um überhaupt erstmal die voraussetzungen dafür zu schaffen, um diese alte und eingefahrene, ganz spezifische traumatische matrix dort zu durchbrechen.

im übrigen heißt es ja immer, israel wäre die "einzige demokratie" in dieser region. was einerseits bei den vorhandenen vergleichsmaßstäben bisher (!) nicht sooo wahnsinnig schwer gewesen sein dürfte, andererseits aber auch fragen danach aufwirft:
was für eine "demokratie"?:

(...) "Eine Demokratie, einen Rechtsstaat von der Art, wie sie Dershowitz vorschweben, gibt es in angenäherter Form tatsächlich. Wie es der Zufall wollte, erschien genau an dem Tag seines Leitartikels ein ausführlicher Bericht des Korrespondenten Glenn Frankel in der "Washington Post", der sich mit der Folter beschäftigte - nicht in Abu Ghraib, sondern in Israel (Prison tactics: A longtime dilemma for Israel). Ein Palästinenser namens Anan Labadeh schildert dort, daß er als Gefangener der Israelis durchaus ähnliches erlebte wie die gefangenen Iraker von seiten der amerikanischen Sicherheitskräfte: Schläge, Erniedrigungen, Trophäen-Fotos mit männlichem und weiblichem Sicherheitspersonal.

Der Unterschied, den Anan Labadeh festgestellt zu haben glaubt, ist nun genau das Dershowitz-Kriterium: Die Israelis gehen nach Regeln vor, und im übrigen sei ihre Technik durchdachter als die der Amerikaner. "Drei Tage ohne Essen und Schlaf, und du erzählst alles. Die Amerikaner sind Amateure." Glenn Frankel rollt die Geschichte der Folter in Israel auf. Das Wort selbst werde nie verwendet, aber Israel sei dennoch der einzige Rechtsstaat, der die Mißhandlung von Gefangenen bei Verhören erlaube.

Nach einer weitgehend ungeregelten Zeit habe man 1987 ein Regelwerk zum "maßvollen physischen und psychischen Druck" festgelegt, das Geheimsache blieb. Immerhin wisse man, so Frankel, daß es dabei darum ging, Gefangene tagelang zum Stehen zu zwingen oder sie zusammengekrümmt zu fesseln, ihnen den Schlaf zu entziehen, sie mit überlauter Musik zu beschallen, sie am Gang auf die Toilette zu hindern oder sie extrem hohen und niedrigen Temperaturen auszusetzen.

1999 entschied dann der Oberste Gerichtshof Israels, daß Folter unter allen Umständen unerlaubt sei. Nach dem Ausbruch der zweiten Intifada im Herbst des Jahres 2000 aber und vor allem nach der Serie verheerender Selbstmordattentate seien die Inlandsgeheimdienste zum physischen Zwang zurückgekehrt. Frankel beruft sich für seine Behauptung auf israelische Menschenrechtsanwälte, auf Bürgerrechtlerinnen wie Hannah Friedmann, auch auf Gefangene." (...)


im großen und ganzen lässt sich das als erweiterte fassung dessen begreifen, was selbst in einem "demokratischen rechsstaat" alá brd als sog.
"weiße folter" nicht nur an den sog. terroristen aus der raf praktiziert wurde, sondern auch als ein sehr unbekannter deutscher exportschlager in viele andere staaten exportiert wurde - die türkei würde mir da einfallen, aber auch bspw. spanien hat sich von derart "unsichtbaren" methoden durchaus inspirieren lassen. wer israel also als "demokratie" bezeichnet, sollte das ebenso wie bei anderen westlichen staaten nur mit hochkommata tun. zu diesem komplex auch noch ein interview mit dem vertreter einer israelischen menschenrechtsgruppe von 2007. dem ich übrigens bei seiner definition von folter ausdrücklich widerspreche: isolationshaft (sensorische deprivation) ist folter, von den übrigen "maßnahmen" mal ganz abgesehen.

was die gemeinsamkeiten und unterschiede zu den neulich geschilderten praktiken in äygptischen polizeiwachen angeht, können Sie sich jetzt selbst ein bild machen.

*

gaza-streifen: passend zum thema dürften viele sog. antideutsche dieser tage nicht nur durch die aufstände an sich verwirrt sein, sondern auch durch solche details wie jenes, das die islamistische "regierende" hamas in gaza bereits palästinensische solidemonstrationen mit dem aufstand in ägypten
niederschlug. im verlinkten bericht ist auch der hinweis auf ein manifest der "free gaza youth" enthalten, welches das lesen wirklich lohnt und den eindruck bestärkt, dass es sich die bisherigen opponenten der konflikte in dieser region womöglich in ihren jeweiligen positionen und stellungen klammheimlich regelrecht gemütlich gemacht haben und stillschweigend alle an der macht befindlichen "eliten" ähnliches interesse am bisherigen status quo hatten und haben. die überflüssigen jungen, nicht nur in gaza, spucken ihnen allen dabei aktuell mächtig in die suppe:

"Fick dich, Hamas. Fick dich, Israel. Fick dich, Fatah. Fick dich, UN. Fick dich, UNWRA. Fick dich, USA! Wir, die Jugend aus Gaza, haben Israel, die Hamas, die Besatzungsherrschaft, die Verletzung der Menschenrechte und die Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft so satt! Wir schreien, um diese Wand des Schweigens zu durchbrechen, wir wollen diese Ungerechtigkeit und die Gleichgültigkeit durchbrechen wie die israelischen F-16 die Schallmauer; wir schreien mit der ganzen Kraft unserer Seele, um die riesige Frustration rauszulassen, die uns auffrisst." (...)

unbedingt lesen, weil das, was da steht, in variationen in der ganzen region gültig sein dürfte - zumindest was die elementare und grundsätzliche frustration anbelangt. in gaza kommen ein paar besonders destruktive faktoren noch dazu:

(...) "Wir haben die Operation "Cast Lead" (Vergossenes Blei) nur knapp überlebt, während derer Israel sehr effektiv die Scheiße aus uns rausgebombt hat, tausende von Häusern zerstörte und noch mehr Leben und Träume. Die Hamas sind sie nicht wie beabsichtigt losgeworden, aber sie haben uns auf Ewigkeit Angst eingejagt und das posttraumatische Stresssymptom verpasst, denn wir konnten ja nicht wegrennen.

Wir sind eine Jugend mit schweren Herzen. Wir tragen eine Traurigkeit in uns, die es uns schwer macht, den Sonnenuntergang zu genießen. Wie soll das auch gehen, wenn wir schwarze Wolken am Horizont und düstere Erinnerung sehen, sobald wir die Augen schließen? Wir lächeln, um den Schmerz zu verstecken. Wir lachen, um den Krieg zu vergessen. Wir hoffen, um nicht Selbstmord begehen zu müssen, hier und jetzt.

Wir haben Israel so satt

Während des Krieges hatten wir das untrügliche Gefühl, Israel will uns vom Erdboden tilgen. In den letzten Jahren hat die Hamas alles getan, um unsere Gedanken, unser Handeln und unsere Wünsche zu kontrollieren. Wir sind eine junge Generation, die an Raketen gewöhnt ist.

Wir haben die unlösbare Aufgabe, ein normales und gesundes Leben zu führen, obwohl wir kaum toleriert werden von dieser Organisation, die sich in unserer Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet hat, das alles Lebendige abtötet und die Leute mit ihrem Terrorregime lähmt. Vergessen wir aber auch nicht unser Gefängnis, das von einer sogenannten demokratischen Regierung unterhalten wird.

Wir haben Angst

Die Geschichte wiederholt sich aufs Grausamste, und niemanden scheint das zu kümmern. Wir haben solche Angst. Hier, in Gaza, haben wir Angst, eingesperrt zu werden, verhört, geschlagen, gefoltert, bombardiert, getötet. Wir haben Angst zu leben, weil jeder Schritt wohlüberlegt sein will, überall gibt es Grenzen, wir können uns nicht bewegen, wie wir wollen, manchmal können wir noch nicht mal denken, was wir wollen, weil die Besetzung unsere Gehirne und Herzen so sehr okkupiert, dass es weh tut und wir endlose Tränen vor Wut und Schmerz vergießen wollen!

Wir wollen nicht hassen, wir wollen all diese Gefühle nicht fühlen, wir wollen keine Opfer mehr sein. Genug! Genug Schmerz, genug Tränen, genug Leid, genug der Kontrolle, der Begrenzung, der unrechten Rechtfertigungen, des Terrors, der Folter, der Entschuldigungen, der Bomben, der schlaflosen Nächte, der toten Zivilisten, der schwarzen Erinnerungen, der düsteren Zukunft, der herzerweichenden Gegenwart, der verstörenden Politik, der fanatischen Politiker, der religiösen Scheiße, genug der Verhaftungen!

Wir sagen HALT! Das ist nicht die Zukunft, die wir haben wollen! Wir wollen drei Dinge: Wir wollen frei sein. Wir wollen ein normales Leben leben können. Wir wollen Frieden. Ist das zu viel verlangt? (...)


das ist der geist, aus dem die aktuellen und künftigen revolten und aufstände entspringen und entspringen werden. und zwar völlig berechtigt entspringen werden. eine ganz bittere ironie an der geschichte ist die, dass nicht wenige der jungen leute in all den ländern, die jetzt in unruhe geraten, bei ihren visionen einer besseren zukunft besonders materiell gerade jenes westliche "modell" im auge haben werden, dessen zukunft aufgrund diverser gründe , die hier im blog auch schon oft genug thema waren, bereits vergangenheit ist. was "wir" hier im westen mehrheitlich nicht kapieren (wollen): diese aufstände werfen bereits indirekt auch die frage nach dem eigenen verzicht hier auf (ein wort, welches bekanntlich in dieser gesellschaft durch alle fraktionen und klassen hinweg ein tabu ist, wenn es denn in seiner ganzen radikalität gemeint ist - und ich meine keineswegs jenen obligatorisch einseitigen verzicht, der im zuge von klassenkämpfen von "oben" von denen unten gefordert wird). auch in indien und china werden "die massen" absehbar und mehrheitlich nicht mehr die gelegenheit haben, das in verschiedener (und keinesfalls positiver) hinsicht völlig wahnsinnige level des westlichen materiellen wohstands zu erreichen. und das gilt auch für die hunderte von millionen in der arabischen welt. wer da glaubt, angesichts dieses szenarios können "wir" hier so weitermachen wie bisher, sollte ganz dringend einen realitätscheck veranstalten!

*

so, für heute erstmal schluß. in der nächsten folge werde ich mich u.a. mit der situation in tunesien und algerien beschäftigen.
Maya (Gast) - 8. Feb, 00:52

Gesamtzusammenhang

Ich verfolgen den Blog schon länger und ich finde die Ansätze sehr gut.

Aber mir fehlt etwas der Gesamt-
zusammenhang, deswegen empfehle ich die Arbeiten von Dr. Calleman (Maya-Kalender und die Transformation des Bewusstseins).

http://www.calleman.com/

(Artikel auch auf Deutsch)

Yurun (Gast) - 9. Feb, 18:53

Brote aller Länder vereinigt euch ...

In den Medien war jetzt manchmal zu lesen steigende Lebensmittelpreise seien für die u.a. ägyptische Revolution "mitverantwortlich", was in dieser Formulierung ziemlicher Humug ist, jedoch ganz unabhängig politischer Haltungen für eine bestimmte Art des systemischen Denkens verlockende Erklärungsmuster bietet. Steigende Lebensmittelpreise machen aber in der Tat den status quo für eine breite Masse von Menschen mit einem Mal unhaltbar. Sie können ein Anlass oder zumindest Mit-Anlass zum Dammbruch sein, also durch die zusätzliche Erniedrigung nichtmal mehr sich und seine Kinder ernähren zu können, den gemeinsamen Moment der Revolte liefern. Da wird der Geist der Revolte auf einem Schlag entindividualisiert und zu einem Massenphänomen, welches dann in der Lage ist den Mut der Menschen gegenseitig hochzuschaukeln.

Vor einigen Tagen wurde es nun offiziell, dass es in China zu einer massiven Weizen-Missernte kommen wird, ohne besonderen Regenfall im Februar in einigen Gegenden sogar ein ziemlicher Totalausfall. Derweil gabs in Russland eine Missernte und Exportverbote für Weizen, auch in Australien sieht es eher schlecht aus.

Die USDA, das amerikanische Landwirtschaftsministerium, hat neulich mal Daten zur Preiselastizität bei verschiedenen Lebensmittel veröffentlicht (http://www.ers.usda.gov/Data/InternationalFoodDemand/). Für "Breads, cereals", worunter Weizen fällt, ergibt sich da für die USA ein Wert von o,04, für Deutschland 0,124. Im Vergleich ein Land wie Yemen mit 0,48 oder oder Ägypten mit 0,33. Diesen Werten bringen zum Ausdruck wie stark sich eine Preisänderung auf eine Verbrauchsänderung auswirkt, um wieviel also der Preis einer Sache ansteigen muss, um Menschen dazu zu bringen weniger davon zu verbrauchen (oder um wieviel er fallen muss um mehr zu verbrauchen). Bei reichen Ländern ist dieser Faktor in Bezug auf Weizen also etwas zwischen 5 und 25, bei armen Ländern eher zwischen 2 und 3. Mit anderen Worten: mit sinkendem Weizenangebot kaufen die reichen Länder im Weltmarkt weiter wie gewohnt ein, selbst bei sehr stark steigendem Preisen. Der Preis muss im Fall der USA um ein Viertel steigen, um ein Prozent weniger Weizen zu verbrauchen. Schon eine relative geringe Schwankung des Angebots kann hier zu großen Preissteigerungen führen, denn irgendwer muss ja am Ende durch das reduzierte Angebot schlichtweg weniger verbrauchen.

Den ärmeren Ländern, Regierungen mit ihren Subventionen wie auch ihren einkaufenden Bürgern, geht da schnell die Luft aus. Nun ist es aber so, dass selbst Länder wie China 2011 dazu genötigt sein könnten anders als bisher Weizen zu importieren. Das Lustige: sämtliche Despoten der Welt werden gerade in der aktuellen Atmosphäre Angst vor Hungerrevolten haben und versuchen einzukaufen, nur kann halt niemand so schnell mit der Finanzkraft der Oberangsthasen aus China konkurrieren.

Das könnte die Preise in absurde Höhen treiben und überall da wirklich ein Problem werden, wo man auf Importe angewiesen ist und nicht einfach auf andere Nahrungsmittel umsteigen kann. Für den Fall Ägypten trifft das wohl zu, insbesondere wenn das Regime dort bis September durchhalten will oder sich in Anbetracht der Wirtschaftssituation (global wie lokal) Finanzierungsschwierigkeiten für Lebensmittelsubventionen ergeben. Das perfide dabei: von der Propagandaseite hat man eine Reihe reiche Länder die ihren Weizen sozusagen "an die Schweine" verfüttern, um genug Fleisch im Supermarkt zu haben, während in den armen Ländern die Leute anfangen zu hungern oder zumindest schlechter zu essen. Bei uns wird das dann wohl auf Spekulaten geschoben, nicht auf Leute die weiter gleich viel Brot essen, obwohl dessen Preis um 10% steigt, wenn er das denn bei uns überhaupt tut. So oder so können Medien in dieser Gemengelage die irrsinnigsten Geschichten und nationalen Buhmänner erfinden, jedenfalls in Ermangelung der Fähigkeit den Menschen mit Papier die Mägen zu füllen.

Sollte dies so passieren und sich 2011 aufgrund des Wetters zu einem Hungerjahr entwickeln, könnte sich da auch sonst auf verschiedenen Wege eine Dynamik beschleunigen, die ich schon länger beobachte. Insbesondere die Renationalisierung der Landwirtschaft und ein langsames dahinsiechen des Weltmarkts. Dabei gilt manchmal durchaus (nicht für USaid allerdings): wes Brot ich es des Lied ich sing. Wenn mich also Vater Staat füttert ...

Dabei ist uns das Jahr aber durchaus gnädig, denn zur Zeit sind solche Probleme noch relativ isoliert, es gehört auch eine Menge Pech zu einer globalen Missernte. Wenn uns aber erstmal billige Energie, billige Dünger und Pesitizide und ein billiger sozialer Frieden flöten gegangen sind, dann hat das viel weniger mit Pech zu tun und lässt sich auch nicht so einfach aus der Welt schaffen. Auch wenn wir schon heute kaum Anstalten machen es aus der Welt zu schaffen.

Naja, das sind jedenfalls mal meine 5 cent zu einem Aspekt des langweiligen "Gesamtzusammenhang(s)". Interessannter ist da schon was Menschen daraus machen und wie sie sich dabei fühlen, wirklich schön wäre es wenn dies auch einen machtvollen Ausdruck findet, wozu dann eine unter den örtlichen Bedingungen realistische Alternative des miteinander lebens nötig ist. Während ein Herr El-Baradei dabei von einer Obsession seiner Landsleute mit dem Fortgang Mubaraks spricht und dies deswegen für unabdingbar hält, ist er trotz aller Schreiberei westlicher Zeitungen so wie ich das verstehe für die Ägypter halt ein Fremder, wenn auch ein gut gemochter Fremder. Bei diesem Grad der Personifizierung, zu der hier geneigt wird, fällt dann das Fehlen eines Tahrir-Gesichts auf. Für den Beobachter eine Revolution ohne Führer, lediglich mit ein paar im Hintergrund arbeitenden Organisatoren des Notwendigen. Es wirkt eher wie ein politisches Konzert mitsamt Ordnungskräften. Für mich ein erfrischend schönes Chaos, das all den "aber die Welt muss doch plan- und steuerbar sein"-Typen(innen), die gerade hier en mass durch die Gegend laufen, offen ins Gesicht lacht. Letzteren, natürlich allesamt Musterdemokraten mit Revolutionserfahrung, macht das da in Ägypten dann auch Angst, diese Revolution war irgendwie nicht genehmigt. Die Scheiße will eben Gesetz sein und hat Angst sich in Nichts aufzulösen, gerade weil sie sich den ganzen Tag darum dreht. Irgendwer wer muss da dann bei uns irgendwann auch dem Staatsbürger verdeutlichen, dass er wirklich ein Mensch ist.
monoma - 12. Feb, 00:06

@yurun

danke für die hinweise auf den - auch für mich zweifellos vorhandenen - hintergrund der aufstände als hungerrevolten. dazu wollte ich eh noch was schreiben.

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