assoziation: zum öligen menetekel am golf (3) [update]
(zum zweiten teil)
*
(...) "After all, oil is a finite resource. We consume more than 20 per cent of the world's oil, but have less than 2 per cent of the world's oil reserves. And that's part of the reason oil companies are drilling a mile beneath the surface of the ocean because we're running out of places to drill on land and in shallow wate
For decades, we have known the days of cheap and easily accessible oil were numbered." (...)
(barack obama in seiner rede zur ölkatastrophe vergangenen dienstag)
ich hatte mich mit obamas bisheriger amtszeit ja erst neulich beschäftigt, und die rede letzte woche wurde schon unmittelbar danach von weiten teilen der (medialen) öffentlichkeit als erneuter ausdruck seiner malaise betrachtet. wobei ich hier eine abweichende meinung habe - nicht unbedingt, was sein aktuelles handeln betrifft. aber ich finde das beredte schweigen sehr bezeichnend, mit dem überwiegend die oben zitierten aussagen schlicht übergangen werden (nein, sie werden nicht unbedingt regelrecht ignoriert, aber eben auch nicht weiter thematisiert).
denn die tatsache ist die: obama hat meines wissens als erster und "gewichtigster" repräsent der westlichen politischen funktionseliten überhaupt die realität von peak oil in aller öffentlichkeit verkündet. so überfällig und eigentlich zu spät das auch war - diese aussage macht die rede durchaus zu einer historischen. alles andere gesagte wird vor diesem hintergrund relativ unwichtig, zumal solche reden primär eher als pr-maßnahme angelegt sind. aber die oben zitierten sätze, v.a. die am beginn und am ende, stehen nun - für eine weltöffentlichkeit dokumentiert. das große teile eben dieser (nicht nur medialen) öffentlichkeit v.a. in den westlichen staaten diese im wahrsten sinne des wortes einschneidende botschaft nun ignorieren und sich statt dessen lieber über den boten mokieren, spricht ebenfalls für sich. man kann obama sehr berechtigt sehr viel vorwerfen, aber in diesem punkt hat er zumindest deutlich klartext gesprochen. und die brisanz dieser worte scheint offensichtlich kaum jemand wirklich zu verstehen.
*
von daher ist der begriff menetekel für das geschehen am golf und seine konsequenzen auf allen ebenen kaum übertrieben, und diesbezgl. schrieb das ölschock-blog schon vor ein paar wochen zusammenfassend:
(...) "Der Erntefaktor der weltweiten Erdölförderung liegt ohnehin schon nahe der Grenze, die für unsere Industriezivilisation noch erträglich ist und nimmt unweigerlich weiter ab. Bei einem Ausfall der Tiefseeförderung würde dieser Trend natürlich weiter beschleunigt. Das Ende der fossilen Industriezivilisation rückt in Angesicht dieser Wirklichkeiten weiter aus der Zukunft in Richtung Gegenwart. (...)
Das Ende der Erdölära ist mit der Harvarie der Deepwater Horizon ein kleines Stück näher gerückt. Die Erdölindustrie, einst Taktgeber und mächtiges gesellschaftliches Fundament der letzten 150 Jahre, wird zum Gejagten, ähnlich den Banken verlieren die Bosse des schwarzen Goldes ihren Einfluss und Glaubwürdigkeit. Es bleibt zu hoffen, dass bis zum finalen Schlussakt Unglücke wie dieses selten bleiben, gänzlich verhindern kann man sie nicht."
und die "zeit" sekundiert:
(...) "Doch eigentlich geht es bei der Katastrophe im Golf von Mexiko um noch viel mehr – um fast alles nämlich: um die Zukunft der Weltwirtschaft, die 40 Jahre nach der ersten Ölkrise vom Öl so abhängig ist wie von keiner anderen Energiequelle. (...)
Das Problem ist, dass der Optimismus der Ölmultis an einer umstrittenen Annahme hängt: Ihre Fachleute gehen davon aus, dass sich mit den neuesten technischen Methoden in den kommenden Dekaden viel mehr Ölquellen erschließen lassen. Doch ausgerechnet daran nährt das Desaster im Golf von Mexiko nun Zweifel: Ein Großteil der noch vermuteten Ölreserven lagert schließlich tief unter dem Meer und unter extraharten Stein- oder Salzschichten. Dafür ist noch kein Bohrer erfunden, geschweige denn eine verlässliche Technik zur Sicherung der Bohrlöcher.
Und was geschieht, wenn diese Technik doch nicht erfunden wird – oder wenn Regierungen unter dem Eindruck des jüngsten Desasters die Ölförderung unter extremen Bedingungen verbieten? Dann droht ernster Energiemangel. Er könnte schon bald wirtschaftliche Verwerfungen auslösen, die noch gravierender sind als die Finanzkrise.
Das Problem wäre nicht, dass es kein Öl mehr gäbe – bis dahin dauert es noch ein paar Jahrzehnte. Doch es könnte nicht mehr wie bisher Jahr für Jahr mehr Öl auf den Markt kommen. Es gäbe kein Wachstum mehr bei der Förderung, ein Novum, denn hundert Jahre lang ist dadurch das Räderwerk der Industriegesellschaften angetrieben worden." (...)
peak oil. egal, ob Sie´s ignorieren, "nicht dran glauben" (wollen) oder hoffnungen in die technik setzen (die wird die konsequenzen des peaks allerdings nur aufschieben können, wenn überhaupt - und wie im golf zu sehen, ist der preis dafür schlicht unbezahlbar): dieser begriff wird uns alle spätestens ab jetzt bis ans ende unserer tage begleiten.
*
letzteres ist in regionen wie den verseuchten gebieten in ecuador, in nigeria, den kanadischen ölsandlanden oder eben auch am golf von mexico direkt wahrnehmbar; und nein, dabei ist bp keinesfalls das einzige "big problem" wie es jene demonstrantin am 30. mai in new orleans verkündet (foto: infrogmation of new orleans via wikipedia),
auch, wenn sich diese kriminelle organisation momentan berechtigt im rampenlicht befindet - und die wertung "kriminell" ist nicht nur nicht übertrieben und nicht nur in einem allgemeinen sinne als synonym für antisozial berechtigt, sondern dürfte selbst nach den messlatten diverser bürgerlicher strafgesetzbücher in einigen punkten schon erreicht worden sein. beispiele dafür finden sich zuhauf - ob es sich dabei nun etwa um die gesundheitssschädlichen folgen der zur verschleierung eingesetzten dispersionsmittel handelt...
(...) "109 Menschen sind bislang allein im Bundesstaat Louisiana in Folge des Einsatzes von Chemikalien gegen die Ölpest erkrankt. Zwei Drittel sind Fischer oder andere Arbeiter, die im Kampf gegen die schwarze Schliere aufs Meer hinausgefahren sind. Das geht aus einem Bericht der lokalen Gesundheitsbehörde OPH hervor. Die anderen sind Küstenbewohner oder Strandbesucher, die die giftigen Dämpfe eingeatmet haben. (...)
Atemprobleme, Übelkeit, Schwindel und starke Kopfschmerzen sind die am meisten verbreiteten Symptome. "Ich dachte, ich sterbe, so schwach war ich erst", sagt der Fischer Gary Burris. "Die Lungen haben einfach dicht gemacht." Sein Arzt habe ihm gesagt, seine Lungen sähen aus wie die eines Kettenrauchers. "Ich habe noch nie eine Zigarette im Mund gehabt", sagt Burris. Andere Patienten berichten außerdem von brennenden Augen." (...)
...die unter bereitwilliger und regelrecht unterwürfiger mithilfe staatlicher behörden seitens bp ausgeübte medienzensur...
(...) "AP-Chefredakteur Michael Oreskes vergleicht die Lage seiner Leute mit Reportern, die in Kriegsgebieten wie Afghanistan beim Militär "embedded" sind, eingebettet. "Es herrschen ständige Anstrengungen, den Zugang zu kontrollieren", klagte er in der "New York Times". In der Tat offeriert die Küstenwache besagte Flüge in ihren offiziellen E-Mails als "embedded flights". (...)
Matthew Lysiak von den New Yorker "Daily News" scheiterte zunächst, als er Grand Isle besichtigen wollte, eine gesperrte Düneninsel vor Louisiana. Schließlich habe ihm ein über das Verhalten der eigenen Firma "empörter" BP-Arbeiter eine heimliche Führung gegeben. Das Ergebnis sei grausig gewesen.
Ein Foto eines toten Delfins illustriert den Report Lysiaks. "Als wir diesen Delfin fanden, war er mit Öl gefüllt", zitiert der Reporter den Arbeiter. "Öl floss nur so aus ihm heraus. Es war ein verdammt trauriger Anblick." Der Mann selbst sei entsetzt gewesen: "Es wird viel vertuscht. Sie haben uns spezifisch angewiesen, dass sie keine Bilder von den toten Tieren wollten. Sie wissen, dass der Ozean die meisten Beweise wegspülen wird."
Lysiak berichtet von Stränden, die "von geteerten Meereslebewesen übersät" gewesen seien, "einige tot und andere, die sich unter einer dicken Schicht Rohöl abkämpften". Als er einen zweiten Strand habe begehen wollen, so Lysiak, hätten ihn Polizisten forteskortiert. "Sie sagten, sie handelten auf Befehl von BP." (...)
...oder auch die eigentlich nur noch unter realsatire ablegbaren sog. "notfallpläne" seitens bp und auch der anderen großen ölkonzerne (die entsprechenden pläne der letzteren, wenn sie denn im golf tätig sind, gleichen sich mit dem von bp bis auf nuancen wie ein ei dem anderen):
(...) "Reporter von Associated Press haben einen Notfallschutzplan für die BP-Bohrinseln im Golf von Mexiko analysiert. Der 582-Seiten-Bericht wurde 2009 der US-Regierung vorgelegt und von dieser abgenickt.
Schockierenderweise ist darin so ziemlich alles falsch, was falsch sein kann. Als Naturschutzberater für eine mögliche Ölpest ist etwa Professor Bob Lutz mit seinen Kontaktdaten an der Universität Miami aufgeführt. Lutz arbeitete allerdings schon seit rund 20 Jahren nicht mehr in Miami und verstarb vier Jahre, bevor der Bericht genehmigt wurde. Auch die Namen und Telefonnummern von Meeresbiologen der Universität Texas waren falsch. Die angegebenen Büros des Tierhilfsdienstes in Louisiana und Florida sind schon lange geschlossen. Als zu schützende Tiere werden Walrosse, Seeotter, Seelöwen und Robben genannt. Keines dieser Tiere lebt im Golf von Mexiko.
In dem Bericht wurde die Gefahr für Tiere und Umwelt jedoch ohnehin als gering eingeschätzt. Selbst bei dem Zehnfachen der heute tatsächlich ausfließenden Menge würde das Öl niemals bis zur Küste gelangen: "Wegen der Entfernung bis zur Küste (48 Meilen) und den eingesetzten Schutzvorrichtungen sind keine signifikanten Folgen zu erwarten", hieß es in dem Bericht. In der Realität erreichte das Öl neun Tage nach der Explosion der Plattform die Küste." (...)
hübsch, oder? es gibt derart noch unzählige und verstreute andere berichte bezgl. verschiedener aspekte der katastrophe, die alle zusammen ein bild ergeben, welches nicht von pleiten, pech und pannen spricht, sondern eher bewusste, vorsätzliche unterlassung bei bzw. inkaufnahme einer ganzen serie von mangelhaften schutz- und sicherheitsmaßnahmen hauptsächlich aus kostengründen nahelegt. und wer glaubt, dabei handele es sich ganz bestimmt nur um eine unrühmliche ausnahme innerhalb der welten der corporations, konzerne und den mit ihnen kollaborierenden staaten , sollte sich unverzüglich selbst eine merkbefreiung ausstellen. oder z.b. mal hierzulande einen blick auf das atommülldebakel namens asse werfen.
eine relativ aktuelle übersicht zum stand im golf, besonders auch zu den - ebenfalls anfangs von bp bestrittenen - wolken aus öl und dispersionsmitteln unter wasser findet sich hier; dazu kommen erstmals berichte von einer regelrechten flucht der meeresbewohner:
(...) "Wissenschaftler haben an der Küste Floridas unerwarteten Besuch entdeckt: Delfine, Haie und Rochen zeigen sich im flachen Wasser, Krabben und andere Meeresbewohner sammeln sich dort zu Tausenden. Die Forscher vermuten, dass die Tiere vor dem Öl im Golf fliehen und saubere Gewässer in Küstennähe suchen." (...)
dazu richtet sich der focus (im wahrsten sinne des wortes) inzwischen auch auf das ebenfalls massenhaft ausströmende methan , dessen wirkungen in jeder hinsicht nicht abschätzbar sind:
(...) "Dieses Gas könnte möglicherweise das Meeresleben ersticken, befürchten Wissenschaftler. Es entstünden „Todeszonen“, in denen der Sauerstoffgehalt so niedrig ist, dass kaum noch Leben existieren kann.
Das Öl aus dem Leck enthält rund 40 Prozent Methan – eine außergewöhnlich hohe Konzentration, normal sind fünf Prozent, wie der Ozeanforscher John Kessler von der Texas A&M Universität erklärt. Das bedeutet, dass vermutlich riesige Mengen Methan mit dem nicht abgesaugten Öl in den Golf gelangt sind. „Dies ist die heftigste Methan-Eruption in der modernen Menschheitsgeschichte“, sagt Kessler." (...)
*
und wie sehen nun die perspektiven aus ? düster. wenn die quelle nicht geschlossen werden kann, oder aber die entlastungsbohrungen durch hurricanes gebremst oder nicht sofort zum problematischen bohrkanal stoßen, dürfte das ol mindestens den sommer über weiter austreten - die quelle ist noch lange nicht erschöpft:
(...) "Sieben Milliarden Liter Öl sollen sich in der Quelle unter dem beschädigten Bohrloch befinden, schätzt BP-Chef Tony Hayward. Er nannte diese Zahl jetzt vor dem Ausschuss des US-Kongresses, der ihn zum Rapport zitiert hatte. Damit würde die Quelle noch immer 94 bis 97 Prozent ihres Öl enthalten. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der das Öl derzeit austritt, würde es zwei bis vier Jahre dauern, bis die Gesamtmenge ins Meer geflossen ist." (...)
letzteres dürfte aber - immerhin etwas - nicht eintreten, zumal sich irgendwann die druckverhältnisse zwischen dem öl/gas im boden und dem darüber befindlichenden wasser ausgeglichen haben werden. spätestens dann müsste die quelle aufhören zu sprudeln. tatsache ist aber auch, dass selbst unter vielen direkt beteiligten aus ölindustrie und wissenschaft umstritten ist, was nun eigentlich genau da unten am meeresgrund vor sich geht - in den usa gibt es seit wochen in medien und blogs eine sich verstärkende diskussion über ein szenario, welches nur noch als absolutes desaster mit möglicherweise globalen auswirkungen bezeichnet werden könnte - ich erwähne es hier der vollständigkeit halber und weise darauf hin, dass es sich bisher um ein reines modell handelt. die zentralen punkte sehen grob skizziert ungefähr so aus (ich schreibe das so, wie ich´s aus verschiedenen quellen verstanden habe, wobei technisches englisch nicht unbedingt meine stärke ist):
ebenfalls hat vor bereits gut zwei wochen ein us-senator diese beobachtung verkündet:
(...) "Oil and gas may be leaking from the seabed surrounding the BP Macondo well in the Gulf of Mexico, Senator Bill Nelson of Florida told Andrea Mitchell today on MSNBC. Nelson, one of the most informed and diligent Congressmen on the BP gulf oil spill issue, has received reports of leaks in the well, located in the Mississippi Canyon sector." (...)
wie dem auch sei: die ganze geschichte ist sowieso schon beklemmend genug und wird uns in zukunft noch lange begleiten. anschaulich gemacht einmal mehr in einer weiteren der trotz der entsetzlichen inhalte durchaus großartigen photoserien auf boston.com.
*
zum schluß sei ergänzend noch ein hinweis auf einen interessanten text gestattet, der nicht nur für an konzerngeschichte interessierte spannend ist: Wie BP seit seiner Gründung mit Problemen umgeht spiegelt auch ein ganzes stück deutscher kapitalistischer industriegeschichte. tipp!
und zum jetzt wirklichen schluß sage ich, nicht ganz überraschend: es kommt ein vierter teil.
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(...) "After all, oil is a finite resource. We consume more than 20 per cent of the world's oil, but have less than 2 per cent of the world's oil reserves. And that's part of the reason oil companies are drilling a mile beneath the surface of the ocean because we're running out of places to drill on land and in shallow wate
For decades, we have known the days of cheap and easily accessible oil were numbered." (...)
(barack obama in seiner rede zur ölkatastrophe vergangenen dienstag)
ich hatte mich mit obamas bisheriger amtszeit ja erst neulich beschäftigt, und die rede letzte woche wurde schon unmittelbar danach von weiten teilen der (medialen) öffentlichkeit als erneuter ausdruck seiner malaise betrachtet. wobei ich hier eine abweichende meinung habe - nicht unbedingt, was sein aktuelles handeln betrifft. aber ich finde das beredte schweigen sehr bezeichnend, mit dem überwiegend die oben zitierten aussagen schlicht übergangen werden (nein, sie werden nicht unbedingt regelrecht ignoriert, aber eben auch nicht weiter thematisiert).
denn die tatsache ist die: obama hat meines wissens als erster und "gewichtigster" repräsent der westlichen politischen funktionseliten überhaupt die realität von peak oil in aller öffentlichkeit verkündet. so überfällig und eigentlich zu spät das auch war - diese aussage macht die rede durchaus zu einer historischen. alles andere gesagte wird vor diesem hintergrund relativ unwichtig, zumal solche reden primär eher als pr-maßnahme angelegt sind. aber die oben zitierten sätze, v.a. die am beginn und am ende, stehen nun - für eine weltöffentlichkeit dokumentiert. das große teile eben dieser (nicht nur medialen) öffentlichkeit v.a. in den westlichen staaten diese im wahrsten sinne des wortes einschneidende botschaft nun ignorieren und sich statt dessen lieber über den boten mokieren, spricht ebenfalls für sich. man kann obama sehr berechtigt sehr viel vorwerfen, aber in diesem punkt hat er zumindest deutlich klartext gesprochen. und die brisanz dieser worte scheint offensichtlich kaum jemand wirklich zu verstehen.
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von daher ist der begriff menetekel für das geschehen am golf und seine konsequenzen auf allen ebenen kaum übertrieben, und diesbezgl. schrieb das ölschock-blog schon vor ein paar wochen zusammenfassend:
(...) "Der Erntefaktor der weltweiten Erdölförderung liegt ohnehin schon nahe der Grenze, die für unsere Industriezivilisation noch erträglich ist und nimmt unweigerlich weiter ab. Bei einem Ausfall der Tiefseeförderung würde dieser Trend natürlich weiter beschleunigt. Das Ende der fossilen Industriezivilisation rückt in Angesicht dieser Wirklichkeiten weiter aus der Zukunft in Richtung Gegenwart. (...)
Das Ende der Erdölära ist mit der Harvarie der Deepwater Horizon ein kleines Stück näher gerückt. Die Erdölindustrie, einst Taktgeber und mächtiges gesellschaftliches Fundament der letzten 150 Jahre, wird zum Gejagten, ähnlich den Banken verlieren die Bosse des schwarzen Goldes ihren Einfluss und Glaubwürdigkeit. Es bleibt zu hoffen, dass bis zum finalen Schlussakt Unglücke wie dieses selten bleiben, gänzlich verhindern kann man sie nicht."
und die "zeit" sekundiert:
(...) "Doch eigentlich geht es bei der Katastrophe im Golf von Mexiko um noch viel mehr – um fast alles nämlich: um die Zukunft der Weltwirtschaft, die 40 Jahre nach der ersten Ölkrise vom Öl so abhängig ist wie von keiner anderen Energiequelle. (...)
Das Problem ist, dass der Optimismus der Ölmultis an einer umstrittenen Annahme hängt: Ihre Fachleute gehen davon aus, dass sich mit den neuesten technischen Methoden in den kommenden Dekaden viel mehr Ölquellen erschließen lassen. Doch ausgerechnet daran nährt das Desaster im Golf von Mexiko nun Zweifel: Ein Großteil der noch vermuteten Ölreserven lagert schließlich tief unter dem Meer und unter extraharten Stein- oder Salzschichten. Dafür ist noch kein Bohrer erfunden, geschweige denn eine verlässliche Technik zur Sicherung der Bohrlöcher.
Und was geschieht, wenn diese Technik doch nicht erfunden wird – oder wenn Regierungen unter dem Eindruck des jüngsten Desasters die Ölförderung unter extremen Bedingungen verbieten? Dann droht ernster Energiemangel. Er könnte schon bald wirtschaftliche Verwerfungen auslösen, die noch gravierender sind als die Finanzkrise.
Das Problem wäre nicht, dass es kein Öl mehr gäbe – bis dahin dauert es noch ein paar Jahrzehnte. Doch es könnte nicht mehr wie bisher Jahr für Jahr mehr Öl auf den Markt kommen. Es gäbe kein Wachstum mehr bei der Förderung, ein Novum, denn hundert Jahre lang ist dadurch das Räderwerk der Industriegesellschaften angetrieben worden." (...)
peak oil. egal, ob Sie´s ignorieren, "nicht dran glauben" (wollen) oder hoffnungen in die technik setzen (die wird die konsequenzen des peaks allerdings nur aufschieben können, wenn überhaupt - und wie im golf zu sehen, ist der preis dafür schlicht unbezahlbar): dieser begriff wird uns alle spätestens ab jetzt bis ans ende unserer tage begleiten.
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letzteres ist in regionen wie den verseuchten gebieten in ecuador, in nigeria, den kanadischen ölsandlanden oder eben auch am golf von mexico direkt wahrnehmbar; und nein, dabei ist bp keinesfalls das einzige "big problem" wie es jene demonstrantin am 30. mai in new orleans verkündet (foto: infrogmation of new orleans via wikipedia),
auch, wenn sich diese kriminelle organisation momentan berechtigt im rampenlicht befindet - und die wertung "kriminell" ist nicht nur nicht übertrieben und nicht nur in einem allgemeinen sinne als synonym für antisozial berechtigt, sondern dürfte selbst nach den messlatten diverser bürgerlicher strafgesetzbücher in einigen punkten schon erreicht worden sein. beispiele dafür finden sich zuhauf - ob es sich dabei nun etwa um die gesundheitssschädlichen folgen der zur verschleierung eingesetzten dispersionsmittel handelt...
(...) "109 Menschen sind bislang allein im Bundesstaat Louisiana in Folge des Einsatzes von Chemikalien gegen die Ölpest erkrankt. Zwei Drittel sind Fischer oder andere Arbeiter, die im Kampf gegen die schwarze Schliere aufs Meer hinausgefahren sind. Das geht aus einem Bericht der lokalen Gesundheitsbehörde OPH hervor. Die anderen sind Küstenbewohner oder Strandbesucher, die die giftigen Dämpfe eingeatmet haben. (...)
Atemprobleme, Übelkeit, Schwindel und starke Kopfschmerzen sind die am meisten verbreiteten Symptome. "Ich dachte, ich sterbe, so schwach war ich erst", sagt der Fischer Gary Burris. "Die Lungen haben einfach dicht gemacht." Sein Arzt habe ihm gesagt, seine Lungen sähen aus wie die eines Kettenrauchers. "Ich habe noch nie eine Zigarette im Mund gehabt", sagt Burris. Andere Patienten berichten außerdem von brennenden Augen." (...)
...die unter bereitwilliger und regelrecht unterwürfiger mithilfe staatlicher behörden seitens bp ausgeübte medienzensur...
(...) "AP-Chefredakteur Michael Oreskes vergleicht die Lage seiner Leute mit Reportern, die in Kriegsgebieten wie Afghanistan beim Militär "embedded" sind, eingebettet. "Es herrschen ständige Anstrengungen, den Zugang zu kontrollieren", klagte er in der "New York Times". In der Tat offeriert die Küstenwache besagte Flüge in ihren offiziellen E-Mails als "embedded flights". (...)
Matthew Lysiak von den New Yorker "Daily News" scheiterte zunächst, als er Grand Isle besichtigen wollte, eine gesperrte Düneninsel vor Louisiana. Schließlich habe ihm ein über das Verhalten der eigenen Firma "empörter" BP-Arbeiter eine heimliche Führung gegeben. Das Ergebnis sei grausig gewesen.
Ein Foto eines toten Delfins illustriert den Report Lysiaks. "Als wir diesen Delfin fanden, war er mit Öl gefüllt", zitiert der Reporter den Arbeiter. "Öl floss nur so aus ihm heraus. Es war ein verdammt trauriger Anblick." Der Mann selbst sei entsetzt gewesen: "Es wird viel vertuscht. Sie haben uns spezifisch angewiesen, dass sie keine Bilder von den toten Tieren wollten. Sie wissen, dass der Ozean die meisten Beweise wegspülen wird."
Lysiak berichtet von Stränden, die "von geteerten Meereslebewesen übersät" gewesen seien, "einige tot und andere, die sich unter einer dicken Schicht Rohöl abkämpften". Als er einen zweiten Strand habe begehen wollen, so Lysiak, hätten ihn Polizisten forteskortiert. "Sie sagten, sie handelten auf Befehl von BP." (...)
...oder auch die eigentlich nur noch unter realsatire ablegbaren sog. "notfallpläne" seitens bp und auch der anderen großen ölkonzerne (die entsprechenden pläne der letzteren, wenn sie denn im golf tätig sind, gleichen sich mit dem von bp bis auf nuancen wie ein ei dem anderen):
(...) "Reporter von Associated Press haben einen Notfallschutzplan für die BP-Bohrinseln im Golf von Mexiko analysiert. Der 582-Seiten-Bericht wurde 2009 der US-Regierung vorgelegt und von dieser abgenickt.
Schockierenderweise ist darin so ziemlich alles falsch, was falsch sein kann. Als Naturschutzberater für eine mögliche Ölpest ist etwa Professor Bob Lutz mit seinen Kontaktdaten an der Universität Miami aufgeführt. Lutz arbeitete allerdings schon seit rund 20 Jahren nicht mehr in Miami und verstarb vier Jahre, bevor der Bericht genehmigt wurde. Auch die Namen und Telefonnummern von Meeresbiologen der Universität Texas waren falsch. Die angegebenen Büros des Tierhilfsdienstes in Louisiana und Florida sind schon lange geschlossen. Als zu schützende Tiere werden Walrosse, Seeotter, Seelöwen und Robben genannt. Keines dieser Tiere lebt im Golf von Mexiko.
In dem Bericht wurde die Gefahr für Tiere und Umwelt jedoch ohnehin als gering eingeschätzt. Selbst bei dem Zehnfachen der heute tatsächlich ausfließenden Menge würde das Öl niemals bis zur Küste gelangen: "Wegen der Entfernung bis zur Küste (48 Meilen) und den eingesetzten Schutzvorrichtungen sind keine signifikanten Folgen zu erwarten", hieß es in dem Bericht. In der Realität erreichte das Öl neun Tage nach der Explosion der Plattform die Küste." (...)
hübsch, oder? es gibt derart noch unzählige und verstreute andere berichte bezgl. verschiedener aspekte der katastrophe, die alle zusammen ein bild ergeben, welches nicht von pleiten, pech und pannen spricht, sondern eher bewusste, vorsätzliche unterlassung bei bzw. inkaufnahme einer ganzen serie von mangelhaften schutz- und sicherheitsmaßnahmen hauptsächlich aus kostengründen nahelegt. und wer glaubt, dabei handele es sich ganz bestimmt nur um eine unrühmliche ausnahme innerhalb der welten der corporations, konzerne und den mit ihnen kollaborierenden staaten , sollte sich unverzüglich selbst eine merkbefreiung ausstellen. oder z.b. mal hierzulande einen blick auf das atommülldebakel namens asse werfen.
eine relativ aktuelle übersicht zum stand im golf, besonders auch zu den - ebenfalls anfangs von bp bestrittenen - wolken aus öl und dispersionsmitteln unter wasser findet sich hier; dazu kommen erstmals berichte von einer regelrechten flucht der meeresbewohner:
(...) "Wissenschaftler haben an der Küste Floridas unerwarteten Besuch entdeckt: Delfine, Haie und Rochen zeigen sich im flachen Wasser, Krabben und andere Meeresbewohner sammeln sich dort zu Tausenden. Die Forscher vermuten, dass die Tiere vor dem Öl im Golf fliehen und saubere Gewässer in Küstennähe suchen." (...)
dazu richtet sich der focus (im wahrsten sinne des wortes) inzwischen auch auf das ebenfalls massenhaft ausströmende methan , dessen wirkungen in jeder hinsicht nicht abschätzbar sind:
(...) "Dieses Gas könnte möglicherweise das Meeresleben ersticken, befürchten Wissenschaftler. Es entstünden „Todeszonen“, in denen der Sauerstoffgehalt so niedrig ist, dass kaum noch Leben existieren kann.
Das Öl aus dem Leck enthält rund 40 Prozent Methan – eine außergewöhnlich hohe Konzentration, normal sind fünf Prozent, wie der Ozeanforscher John Kessler von der Texas A&M Universität erklärt. Das bedeutet, dass vermutlich riesige Mengen Methan mit dem nicht abgesaugten Öl in den Golf gelangt sind. „Dies ist die heftigste Methan-Eruption in der modernen Menschheitsgeschichte“, sagt Kessler." (...)
*
und wie sehen nun die perspektiven aus ? düster. wenn die quelle nicht geschlossen werden kann, oder aber die entlastungsbohrungen durch hurricanes gebremst oder nicht sofort zum problematischen bohrkanal stoßen, dürfte das ol mindestens den sommer über weiter austreten - die quelle ist noch lange nicht erschöpft:
(...) "Sieben Milliarden Liter Öl sollen sich in der Quelle unter dem beschädigten Bohrloch befinden, schätzt BP-Chef Tony Hayward. Er nannte diese Zahl jetzt vor dem Ausschuss des US-Kongresses, der ihn zum Rapport zitiert hatte. Damit würde die Quelle noch immer 94 bis 97 Prozent ihres Öl enthalten. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der das Öl derzeit austritt, würde es zwei bis vier Jahre dauern, bis die Gesamtmenge ins Meer geflossen ist." (...)
letzteres dürfte aber - immerhin etwas - nicht eintreten, zumal sich irgendwann die druckverhältnisse zwischen dem öl/gas im boden und dem darüber befindlichenden wasser ausgeglichen haben werden. spätestens dann müsste die quelle aufhören zu sprudeln. tatsache ist aber auch, dass selbst unter vielen direkt beteiligten aus ölindustrie und wissenschaft umstritten ist, was nun eigentlich genau da unten am meeresgrund vor sich geht - in den usa gibt es seit wochen in medien und blogs eine sich verstärkende diskussion über ein szenario, welches nur noch als absolutes desaster mit möglicherweise globalen auswirkungen bezeichnet werden könnte - ich erwähne es hier der vollständigkeit halber und weise darauf hin, dass es sich bisher um ein reines modell handelt. die zentralen punkte sehen grob skizziert ungefähr so aus (ich schreibe das so, wie ich´s aus verschiedenen quellen verstanden habe, wobei technisches englisch nicht unbedingt meine stärke ist):
- eine ölbohrung ist natürlich keinesfalls vergleichbar mit einem bohrloch in der wand, und selbst die bohrungen an land unterscheiden sich qualitativ noch von tiefseebohrungen. bei den letzteren geht der bohrkanal kilometertief durch diverse gesteins- und sedimentschichten und muss entsprechend der ganzen länge nach ausgekleidet werden, u.a. durch zement. diese auskleidung scheint im falle der "deep water horizon" von beginn an mangelhaft gewesen zu sein.
- die these ist nun, dass bereits durch den unfall - blow out - selbst, der z.t. durch eine massive methanblase mitausgelöst wurde, die gesamte umgebung des bohrkanals durch die unkontrollierten druckschwankungen gefährlich instabil geworden ist
- und diese instabilität soll nun durch den vor einigen wochen ausgeführten "top-kill"-versuch zum schließen des lecks mittels in die bohrung hineingepumpter fluide (der "schlamm", der keiner war) durch die damit wiederum verbundenen enormen druckschwankungen innerhalb der bohrung an vermutlich mehreren stellen auf der ganzen länge zu brüchen geführt haben
- ergebnis: öl und gase bahnen sich unter druck durch feine kanäle in den verschiedenen geologischen schichten ihren weg nach oben und treten dann in der nähren und weiteren umgebung des eigentlichen lecks direkt aus dem meeresboden aus, wobei sich die austrittskanäle durch den druck der beiden stoffe, die jede menge gesteine und sand mit nach oben reißen, immer mehr ausweiten, also quasi erodieren
- mögliche konsequenz: die letztgenannte erosion lässt immer mehr von beiden stoffen heraus, und wird dadurch bis zu einem gewissen punkt beständig weiter verstärkt. ist dann der untergrund in den betroffenen gebieten ausreichend instabil (und das reservoir so weit geleert, dass der wasserdruck darüber sich merkbar auswirken kann), droht ein kollaps des gesamten meeresbodens in der region, in der die lecks vorhanden sind. es folgt ein massiver austritt von milliarden litern öl und gas auf einen schlag...
ebenfalls hat vor bereits gut zwei wochen ein us-senator diese beobachtung verkündet:
(...) "Oil and gas may be leaking from the seabed surrounding the BP Macondo well in the Gulf of Mexico, Senator Bill Nelson of Florida told Andrea Mitchell today on MSNBC. Nelson, one of the most informed and diligent Congressmen on the BP gulf oil spill issue, has received reports of leaks in the well, located in the Mississippi Canyon sector." (...)
wie dem auch sei: die ganze geschichte ist sowieso schon beklemmend genug und wird uns in zukunft noch lange begleiten. anschaulich gemacht einmal mehr in einer weiteren der trotz der entsetzlichen inhalte durchaus großartigen photoserien auf boston.com.
*
zum schluß sei ergänzend noch ein hinweis auf einen interessanten text gestattet, der nicht nur für an konzerngeschichte interessierte spannend ist: Wie BP seit seiner Gründung mit Problemen umgeht spiegelt auch ein ganzes stück deutscher kapitalistischer industriegeschichte. tipp!
und zum jetzt wirklichen schluß sage ich, nicht ganz überraschend: es kommt ein vierter teil.
monoma - 20. Jun, 13:24
infonachträge
und dann wäre da noch ein interessantes interview mit zwei auf meeresschildkröten spezialisierten wissenschaftlerInnen zur diesbezgl. fatalen situation für die tiere am golf. deprimierend, aber aufschlußreich.