notiz: vom arabischen frühling in den globalen herbst?

kleiner streifzug:

island:

"Wütende Isländer haben ihre Parlamentsabgeordneten am Samstag mit Eiern beworfen. Über 1000 Menschen versammelten sich zum Auftakt der Sitzungsperiode vor dem Parlament in der Hauptstadt Reykjavik.

Von lautstarkem Trommeln auf Töpfen und Pfannen begleitet, forderten sie von der Regierung mehr Unterstützung für Haushalte, die nach dem Zusammenbruch der isländischen Banken 2008 und der anschliessenden Wirtschaftskrise hoch verschuldet sind." (...)


portugal:

"Erstmals in der Amtszeit der Mitte-Rechts-Regierung ist es in Portugal zu Großkundgebungen gegen den Sparkurs gekommen. In Lissabon und Porto folgten mehr als 150.000 Menschen dem Aufruf der größten Gewerkschaft des Landes.

Auf Plakaten und Sprechchören protestierten die Demonstranten gegen die Sparmaßnahmen der Regierung, die wachsende Armut sowie den Einfluss des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Gewerkschaft kündigte an, gegen weitere Kürzungen bei Löhnen und Renten zu kämpfen - notfalls auch mit einem Generalstreik." (...)


usa:

"Mehr als 700 Menschen sind in New York festgenommen worden. Sie haben auf der Wall Street gegen die Verantwortlichen der Finanzkrise und die Macht der Banken protestiert." (...)

mittlerweile breitet sich die "occupy!"-bewegung rasant aus, in los angeles, washington, boston und vielen anderen größeren und kleineren städten quer durch die usa entstehen entweder ähnliche zeltlager auf öffentlichen plätzen oder aber finden andere aktionen statt, in einigen städten wie boston auch vermischt mit z.zt. ebenfalls aktiven initiativen speziell gegen die "bank of america", die sich gerade besonderer öffentlicher zuneigung erfreut. einen überblick gibt´s bei
occupy together, und natürlich widmet sich dankenswerterweise einmal mehr mrs. mop dem geschehen im landoffreedomanddemocracy(TM). man kann sich lebhaft die schlagzeilen vorstellen, wenn es diese 700 verhaftungen in china oder auch dem iran gegeben hätte...

großbritannien:

aktuell demonstrieren in manchester anlässlich des dortigen parteitags der britischen "konservativen" ca. 30.000 leute nicht nur gegen deren politik, sondern allgemein gegen das soziale elend auf der insel und weitere geplante "sparmaßnahmen". hinter dem link verbirgt sich ein liveticker.


griechenland:

"Die harten Sparmaßnahmen der Regierung und die Rückkehr der Troika nach Athen haben auch am Freitag zu diversen Demonstrationen und Protestaktionen geführt, darunter auch zu Besetzungen von Ministerien durch Angestellte. Am Freitagmittag traf sich die Troika-Delegation mit dem Finanzminister und stellvertretenden Regierungschef Evangelos Venizelos und mit dem Minister für Verwaltungsreform und E-Goverment Dimitris Reppas. Für den Abend war zudem ein Treffen mit dem Minister für Infrastruktur, Transport- und Netzwerke, Jannis Rangoussis, geplant. Besprochen werden sollten bei diesem Treffen die Liberalisierung der geschlossenen Berufe und Veränderungen im öffentlichen Nahverkehr. Weil der Eingang zum Transportministerium, das sich an der Athener Mesogion-Avenue befindet, von etwa 50 Angestellten des Ministeriums besetzt bzw. gesperrt worden war, musste dieses Treffen an einen anderen Ort verlegt werden.
Bereits zum zweiten Tag sind heute auch die Ministerien für Finanzen und Umwelt von aufgebrachten Beamten besetzt. Auch dort sollten geplante Treffen zwischen Venizelos und den Troika-Experten verhindert werden." (...)


chile:

"In Chile haben am Donnerstag nach Angaben der Veranstalter erneut bis zu 150000 Schüler, Lehrer und Studenten gegen das herrschende Bildungssystem protestiert. Die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor. Die Hochschulbildung in Chile ist eine der teuersten der Welt. 80 Prozent der Kosten müssen von den Studierenden aufgebracht werden." (...)

und so ließe sich eine ganze reise rund um den globus veranstalten - es laufen aktuell und / oder sporadisch größere und kleinere aktionen gegen die jeweilige herrschende politik und vor allem die bisherigen krisenfolgen in derart vielen ländern, dass man glatt den überblick verlieren kann. und auch all die nordafrikanisch und arabischen staaten haben erst mehrheitlich begonnen, die erste phase eines ungewissen wegs in einen wirklich revolutionären übergang zu beschreiten - der sturz von diktatoren und autokraten ist dabei vermutlich sogar noch eine der im vergleich "leichtesten" übungen.

ich verkneife mir an dieser stelle jegliche anmerkungen zur hiesigen kollektiven sedierung, das würde dann doch nur in wilde und nicht druckreife flüche ausarten. in diesem land existiert keinerlei wirkliche opposition, erst recht und gerade nicht von "links". aber das ist ein anderes thema aka trauerspiel.
ShoBeazz (Gast) - 2. Okt, 21:01

hier ist eine beeindruckende fotostrecke, die die globalen dimensionen einer bewegung abbildet, die (vielleicht) erst durch die möglichkeit der vernetzung und assoziation im internet zu EINER bewegung wird (denn was als EINE bewegung wahrgenommen wird, bekommt genau durch dieses wahrgenommenwerden den dreh, tatsächlich zu einer solchen zu werden):

http://www.boston.com/bigpicture/2011/09/global_protests.html

deutschland fehlt. hier kommt wohl mal wieder alles mit etwas verspätung an. das muß nix per se schlechtes sein, aber es fällt auf.

monoma - 3. Okt, 14:15

vorsicht

in den photos geht´s auch um eindeutig reaktionäre bis faschistoide bewegungen - ob das nun anti-roma/sinti-aktionen in osteuropa sind oder aber religiös motivierte proteste gegen schwule (und den islam) in moldawien, "tea party"-aktionen und tendenziell antisemitische aufmärsche wie in der ukraine.

in einem gewissen sinne lässt sich einiges davon als durch die krise getriggert ansehen - dass nationalistische, religiöse und ethnische bruchlinien in solchen zeiten nicht nur verstärkt aktiviert werden, sondern solche prozesse durch die jeweiligen "eliten" noch gefördert werden, ist nichts neues.

von einer bewegung zu sprechen, ist deshalb meiner meinung nach nicht nur falsch, sondern auch irreführend. in den photos werden anhand obiger beispiele auch die systeminternen "lösungen" für krisenbedingte soziale spannungen sichtbar.
ernte23 (Gast) - 3. Okt, 11:45

mit sich selbst beschäftigt

Die "linke Szene", wenn man das so sagen kann, hat z.B. das Problem, Hürden für potentielle "Neukunden" aufzubauen, die völlig unnötig sind. Mir ist z. B. nicht klar, was "links" direkt mit veganem Essen, zu tun, hat. Auch, ob das unpersönliche "man" durch "mensch" ersetzt werden soll, gehört zu den absoluten Nebenkriegsschauplätzen, womit die Liste der Spitzfindigkeiten noch lange nicht zu Ende wäre. Daraus könnte man vermutlich ein abendfüllendes Programm machen.

In Spanien wurden die "Linken" übrigens von der Protestwelle beginnend mit dem 15.5.2011 total überrascht, sie waren auf den ersten Massenkundgebungen in Madrid nicht vertreten.

monoma - 3. Okt, 14:54

naja,

das, was sich heute als (autonome) "szene" bezeichnen lässt, meinte ich noch nicht mal primär. was die fragen betrifft, ließe sich eine stundenlange diskussion führen - da ich mich in der vergangenheit über ein jahrzehnt in dieser welt bewegt habe, könnte ich ein paar antworten geben, sehe aber gerade den sinn darin nicht.

es geht eher um etwas, was mich an einem zufällig gesehenen interview nach der "wahl" in meck-pomm beunruhigte - da redete dann auch einer der führenden dortigen npd-fuzzies, und er war der einzige von allen anwesenden, der den begriff "asoziale politik" nutzte. was aus dem mund eines nazis zwar immer ein schlechter witz ist, aber mir fiel dann etwas ein, was ich vor jahren so geschrieben hatte:

"...und wenn diese vorgegebenen grenzen in zeiten wie heute immer enger gezogen werden (was z.b. ganz zentral grundsätzliche fragen nach menschenwürde, materiellen existenzsicherungen, umgang mit asylsuchenden und anderes betrifft), bekommen die parteien insgesamt einen blockähnlichen charakter, der bereits totalitäre elemente enthält - eine art front, in der die anscheinend widerstreitenden positionen sich nur noch in verschiedenheiten bezgl. irgendwelcher detailfragen ausdrücken, wie diese und jene sache denn jetzt genau zu regeln ist. ein absolutes tabu ist es jedoch, grundsätzlich strukturelle eigenschaften der sozialen und ökonomischen verhältnisse überhaupt zu thematisieren, jedenfalls für die protagonistInnen der "demokratischen parteien" (die rechtsextremen scheinen dieses tabu zu berühren, wobei es sich jedoch auch nur um eine als-ob-aktion handelt - sie wollen vor allem eine offene zuspitzung der vorhandenen hierarchischen strukturen erreichen, nicht ihre grundsätzliche veränderung. zynisch könnte gesagt werden, sie sind ehrlicher, was die forderungen nach gewalt, zwang und repressionen angeht - die programme und aktionen der sog. demokratischen parteien laufen faktisch auf ähnliche resultate hinaus, werden aber durch sog. "vernünftige argumente" kaschiert, und sind dazu noch recht unsicheren ethischen und moralischen normen teilweise unterworfen, die zumindest oberflächlich berücksichtigt werden müssen. genau darauf verzichten die faschisten fast völlig, machen das als verächtliche schwäche der "systemparteien"aus und ziehen vermutlich aus diesem kontrast die rolle der "einzigen echten opposition", die sie sich gerne selbst geben, und in der sie von entsprechend disponierten persönlichkeiten dann aufgrund dieses kontrastes in der erscheinungsform auch so wahrgenommen werden."

gerade aufgrund der beschreibungen der verbreiteten psychophysischen zustände, wie ich sie im blog immer wieder versuche, ziehe ich vor diesem hintergrund einen schluß: die verbliebenen reste der linken haben eine entscheidene lektion aus dem deutschen faschismus immer noch nicht kapiert: die nazis haben vor allem deshalb erfolg gehabt, weil sie verbreitete akkumulationen von negativer aggression, hass, ressentiments und auch ängsten innerhalb großer bevölkerungsschichten wirkungsvoll bündeln und ausdrücken (nicht lösen!) konnten (und mit hitler einen idealen container für diesen prozeß hatten, der biographiebedingt selbst all das zitierte war).

ich habe bei dem zitierten statement des nazis gedacht "richtig", und bin dabei sehr wahrscheinlich nicht der einzige. wo aber ist "die" linke, die begriffen hat, dass von oben tatsächlich schon lange ein nicht mal unerklärter klassenkampf - „Der Klassenkampf ist ein historischer Fakt, er wird von meiner Klasse, der Klasse der Reichen geführt und wir sind dabei ihn zu gewinnen“ (warren buffet, us-amerikanischer multimilliardär, in der new york times vom 26.11.2006) - geführt wird und diese herausforderung auch annimmt? das heisst letztlich klartext sprechen, grenzen ziehen und vor allem begreifen, dass sich das, was sich hinter dem buffet-zitat an antisozialer "politik" verbirgt, bereits jetzt und zukünftig noch mehr ungeheure mengen an aggressionen und verzweiflung produzieren wird - mengen von psychophysischen energien, die sich irgendwann auch in der öffentlichen arena manifestieren werden bzw. das in verdeckten formen bereits jetzt tun. und die werden und können keinesfalls durch "vernunft", "rationalität" u.ä. gesteuert oder gar kontrolliert werden, sondern werden sich einen, auch handfest-materiellen, ausdruck suchen (in formen wie der "tea party" und ihren analogen geschwistern in europa schon zu sehen). formen und wege dieses ausdrucks lassen sich allerdings meiner meinung nach in maßen durchaus partiell bestimmen (wie den "eliten" schon lange klar ist), und es wäre eine der allerersten aufgaben für eine linke, diese wege zu finden und zu beschreiten. um es kurz zu sagen: mir ist natürlich eine deutliche, auch populistische, ansage gegenüber banken, konzernen und ihren politmarionetten lieber, als irgendein nationalistisches oder rassistisches konstrukt als surrogat. wer das erste versäumt, fördert zwangsweise das zweite. und da versagt die rest-linke heute kläglich.

ein weiterer aspekt ist in dem weiter unten von yurun verlinkten "taz"-artikel zu finden - verschiedene, in der vergangenheit einmal irgendwie "links" gewesenen fraktionen suchen auf die eine - die "antideutschen" mit ihrer wahnhaften unterstützung für das westliche zivilisationsmodell - oder andere weise, wie der "grüne" taz-autor, ihren jeweiligen frieden mit den zuständen. und zwar just in dem historischen moment, in dem die in diesen zuständen gebundene scheiße beginnt, überzukochen. ein wirklich deutsches trauerspiel.

das ganz andere dicke problem dahinter ist aber auch, dass sich eine zeitgemäße linke von vielen aspekten des bisherigen systems, die sie selbst vertritt, ebenso verabschieden muss - gerade die "kritische sozialdemokratie" alá "nachdenkseiten" oder auch der partei "die linke" ist mit ihrem wachstumsmantra und der verklärung des "rheinischen kapitalismus" in der "guten alten brd" in zeiten von peak oil etc. auf einem in bälde absaufenden dampfer.
ernte23 (Gast) - 3. Okt, 20:14

Ach so, meine Anmerkung sollte auch kein Schlechtreden der "linken Szene" sein, sondern eher Ausdruck des Bedauerns.

Die 15M Bewegung entstand nicht zuletzt aufgrund der Alternativlosigkeit innerhalb des spanischen Parteiensystems, also daraus, dass ziemlich viele dort erkannt haben, dass der Parlamentarismus funktionsunfähig geworden ist. Das ist ein Erkenntnisfortschritt, der hier von noch viel weniger Leuten vollzogen wurde bzw. wird, weil viele noch glauben, mit einem blauen Auge davon zu kommen, indem sie sich die Verhältnisse schönreden wie der taz-Autor in dem verlinkten Artikel.

Für viele meiner Bekannten sind die Grünen immer noch die alternative Partei, die SPD die Partei der kleinen Leute usw., obwohl alle ihre Erfahrungen der letzten Jahre auf das Gegenteil deuten müssten. Ein Freund von mir, der gerade in einem Umfrageinstitut arbeitet, erzählte mir letztens, dass er bei einer Studie Leute befragte, die in vielen Bereichen eindeutig Positionen der Linkspartei vertraten, aber sich politisch in der Mitte wähnten.
Yurun (Gast) - 3. Okt, 11:49

Gelobte Länder

Als ich heute mal zufällig bei Zeit online vorbeischaute fiel mir gleich eine Überschrift auf:

http://www.zeit.de/2011/40/DOS-Das-Gelobte-Land "Zufluchtsort Deutschland: Das gelobte Land "

Ich behaupte einfach mal das ist sozusagen die offizielle Linie, die "wir" Deutschen in dieser Situation dann von uns selbst haben wollen. Wer das dabei nicht mitfühlt, ist ein Spielverderber. Immerhin ist heute auch Nationalfeiertag und die Sonne findet wie man sieht Deutschland auch voll dufte. Alles prima, also. Weitermachen!

Yurun (Gast) - 3. Okt, 12:04

noch einer

Satire kommt doppelt am besten:

http://taz.de/Zum-21-Tag-der-Deutschen-Einheit/!79098/ "Zum 21. Tag der Deutschen Einheit: Das ungelobte Land"

Sind wir nicht alle liberal?
monoma - 3. Okt, 14:55

"Sind wir nicht alle liberal?

"im liberalen sinne bedeutet liberal nicht nur liberal" (wöllner aka loriot)
Quetzalcoatl (Gast) - 3. Okt, 20:50

Angstschweiß

Diese Schreiberlinge (taz/zeit) haben die Hosen gestrichen voll! :D

Übrigens gibt es ein neues Video beim Alpenparlament vom Rico Albrecht von der Wissensmanufaktur:

Energiewahn in der Wachstumswirtschaft

http://www.alpenparlament.tv/playlist/491-energiewahn-in-der-wachstumswirtschaft

Monoma, ich könnte mir vorstellen, dass es dir gefallen könnte... :)

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