notizen
(weiteres zum thema naher/mittlerer osten in der kommenden woche, ich brauche noch etwas mehr zeit.)
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aber auch jenseits der bedrückenden nachrichten aus der krisenregion gibt es nicht unbedingt besseres zu vermelden. ein kurzer und wie üblich unvollständiger rundblick:
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"In erster Linie bleibt die Wohlfahrt der Kinder Aufgabe der Gesellschaft selbst. Sie hat sich zur Scham zu erziehen, dass in ihrer Mitte hunderttausendfach Hilflose gequält, missbraucht und vernachlässigt werden."
so ein medienzitat vom ende des letzten jahres, an dem sich am silvestertag einige tatsachen über die realität vieler kinder in diesem land auf einige titelseiten verirrt hatten. damals ging es dabei um die offensichtliche gewalt. die allerdings als eine voraussetzung immer auch verschiedene varianten struktureller gewalt besitzt. und das stichwort "wohlfahrt" bildet eine passende überleitung zu folgendem artikel:
"Jedes sechste Kind lebt in Deutschland nach Angaben des Kinderschutzbundes in Armut. Der Leiter des christlichen Kinder- und Jugendwerkes "Die Arche", Bernd Siggelkow, spricht im Interview mit SPIEGEL ONLINE über die Auswirkungen von Hartz IV, Hunger und emotionale Armut."(...)
"SPIEGEL ONLINE: Liegt der Anstieg der Kinderarmut wirklich nur an staatlichen Maßnahmen wie Hartz IV oder kümmern sich immer mehr Eltern einfach nicht mehr um ihre Kinder?
Siggelkow: Wieviele Kinder sozial total verwahrlost sind, wird nicht erfasst. Die Zahl 2,5 Millionen bezieht sich auf die Hartz IV-Empfänger. Aber es verwahrlosen eben auch viele Kinder, die nicht von Hartz IV betroffen sind. Man kann hier von einer Art von Wohlstandsverwahrlosung sprechen: Beide Elternteile arbeiten, um ihre Familie durchzubringen und die Kinder sind von morgens bis abends auf sich allein gestellt - solche Fälle gibt es in Hülle und Fülle. Kinder werden immer mehr zu einem Luxusartikel und gleiten dadurch in Armut ab - in soziale Armut oder in Einkommensarmut.
SPIEGEL ONLINE: Ist finanzielle Armut in Deutschland heute gleichbedeutend mit sozialer Armut?
Siggelkow: Das Problem ist, dass es in Deutschland wenig Verständnis für Armut gibt. Kinder von reichen und Kinder von armen Eltern sitzen zusammen in einer Schule. Die armen Kinder trauen sich nicht sich als arm zu outen, weil sie Angst vor Ausgrenzung haben - dadurch ist Armut auch ein soziales Problem."(...)
SPIEGEL ONLINE: Sie arbeiten täglich mit armen Kindern. Was ist für sie das Erschreckendste an deren Situation?
Siggelkow: Zum einen beobachten wir, dass unsere Besucherzahlen ständig steigen. Wir sehen die Ergebnisse, die Statistiken dann belegen, also schon am Anfang: Ende des letzten Jahres hatte die Arche 250 Tagesbesucher, jetzt sind es fast hundert mehr. Das ist eine enorme Zahl von Kindern, die neu dazu kommt. Und obwohl viele Eltern zu Hause sind und eigentlich Zeit hätten, bleiben die Kinder oft auf der Strecke - denn ihre Eltern sind viel zu sehr mit ihrer eigenen Perspektiv- und Orientierungslosigkeit beschäftigt. Oft gibt es kaum Emotionen in den Familien. Es fehlt nicht nur das Geld, sondern die Kinder sind in den ganzen Prozess, der mit dem Mangel an Geld zusammenhängt, involviert: Sie wissen, dass sie arm sind und müssen sich als Kind sehr früh mit diesem existentiellen Problem auseinandersetzen. Dadurch sind sie nicht mehr richtig Kind. Verstärkt wird dieses Muster dadurch, dass in den Medien ständig eine Welt suggeriert wird, die die Kinder nicht haben können. Es wird Werbung für Fernseher und Reisen gemacht, die sich die Familien nicht leisten können. Jeder Erste des Monats wird so zum Höhepunkt - dann wird das Geld für Luxusartikel ausgegeben. Oft das einzige Highlight, das die Familie noch hat.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt auch Hunger in Deutschland. Wieviele Kinder bekommen nicht genug zu essen?
Siggelkow: Viel zu viele werden fehl- oder mangelernährt. Oft reicht das Geld nur bis zum 20. des Monats und dann gibt es eben zehn Tage nur noch nackte Nudeln. Es existieren aber keine Zahlen darüber, wieviele Kinder von Hunger betroffen sind. Denn kaum eine Mutter wird sagen: Meine Kinder kriegen vom 20. bis zum Monatsende zu wenig zu essen."(...)
nein, überraschend ist das durchaus nicht - und mir fällt bei derartigen berichten immer nur mehr auf, wie stark mittlerweile zwei gegensätzliche tendenzen zu beobachten sind: einmal die rasante zunahme von simulativen räumen und zeiten, will sagen: orte und events, in denen die angebliche "freiheit und lebensfreude" der westlich-kapitalistischen welt inszeniert und konstruiert wird (im großen maßstab war dafür die wm ein eindrucksvolles beispiel ) - der zugang zu solchen zonen des virtuellen pseudoseins ist natürlich nur gegen bares gestattet. und damit derartige konstruktionen überhaupt existenzfähig sind, müssen sie einerseits so beschaffen sein, dass sie eine möglichst totale bzw. totalitäre illusionsblase bilden - was nur dadurch geschehen kann, dass alle potenziell störenden aspekte der realität ausgeschlossen / wegdefiniert / beseitigt werden. andererseits ist so ein vorhaben überhaupt nur möglich, wenn die anvisierten zielgruppen nicht nur dabei mitspielen, sondern selbst entsprechende bedürfnisse verspüren bzw. meinen zu verspüren - "wir machen uns heute breit, alder; eure armut ist uns scheißegal, was interessieren uns leichen im mittelmeer, politik? bleib mir weg! sollen die da unten sich doch alle massakrieren, wir wollen paaaardie!" - so ein imo durchaus realitätstreues verbales konzentrat dieser haltung. die, nebenbei gesagt, übrigens noch nicht einmal mit hedonismus etwas zu tun hat - eher manifestiert sich in diesen meist völlig durchgeplanten events - egal ob sportereignisse, loveparade oder den notorischen stadtfesten - eine teils bestürzende unfähigkeit zu spontaneität, tatsächlicher lebensfreude und genuß. zu beobachten ist allseits mehr und mehr eine überaus häßliche karikatur der eben genannten fähigkeiten. bezeichnend und verräterisch gleichzeitig, dass derlei "wir-sind-jetzt-alle-unheimlich-geil-drauf"-aufläufe nur mittels massenhafter mengen von alkohol und einigen anderen drogen als quasi schmiermittel überhaupt funktionieren.
die andere seite der medaille besteht z.zt. darin, dass an immer mehr stellen ganz offen klartext geredet wird - hochgradig antisozialer klartext einerseits - dazu gleich ein paar beispiele. oder aber, wie im obigen interview, deutlich antisoziale entwicklungen beschrieben werden, die eigentlich - wenn tatsächlich von mündigen bürgerInnen in einer aufgeklärten demokratie gesprochen werden dürfte - bereits längst zu nachdrücklichen und breiten reaktionen führen müssten (und der umgang mit kindern ist nur ein, allerdings entscheidender, bereich, in dem sich die sozialen fähigkeiten einer gesellschaft manifestieren). nun, Sie und ich wissen (hoffentlich) zumindest ansatzweise , wie es in der realität tatsächlich aussieht - zum haareraufen und vor verzweiflung die wände hochgehen.
eine etwas gemäßigte version der letzteren reaktionen verspürte ich dann auch beim schluß des interviews:
"SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet es also für die Zukunft unseres Landes, wenn soviele Kinder jenseits jeder Chance auf Teilhabe an Bildung und Kultur aufwachsen?
Siggelkow: Es gehen wahnsinnig viele Potentiale verloren. Bei unserer Arbeit merken wir: Wenn Kinder individuell gefördert werden, dann werden Begabungen ausgebaut, Kinder bekommen wieder Lust, etwas für die Schule zu machen, weil sie merken: Wenn ich mich anstrenge, habe ich auch Erfolg. Diese Wirkung wird viel zu wenig suggeriert. Die Lösung liegt nicht darin, Kinder noch früher in den Kindergarten zu schicken, sondern es muss ein gesundes Miteinander geben. Wir müssen unsere Kinder wieder in den Blick bekommen. Das, was wir heute in unsere Kinder investieren, bekommen wir auch wieder zurück. Und das, was wir nicht investieren, wird auch wie ein Bumerang zurückkommen."
"das, was wir heute....investieren..." - bah. das problem derjenigen, die immer noch meinen bzw. hoffen bzw. glauben, dass die katastrophalen entwicklungen nicht nur dieser gesellschaft sich korrigieren ließen, ohne ganz wesentliche strukturelle veränderungen - zu denen u.a. eine andere und realistischere anthropologie gehören muss, ein anderes selbstverständnis von uns als menschen - in die wege zu leiten, drückt sich u.a. genau in der art des dingdenkens (verdinglichender wahrnehmung) aus, wie sie sigglekow oben demonstriert. kinder sind kein humankapital, kein mensch ist das! und argumentationen, die sich kriecherisch an den herrschenden mainstream anbiedern, stützen ihn auf dauer nur, statt ihn ganz deutlich zu stigmatisieren. diese elementarsten selbstverständlichkeiten wieder wahrnehmungsmäßig präsent zu machen, den objektivistischen wahn auf seinen platz zu weisen - das ist u.a. die herausforderung dieses jahrhunderts.
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was ich oben mit "antisozialem klartext" meinte? bitte sehr:
(...)"Schon im Mai 2005 hatten Auswertungen des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR) gezeigt, dass von 1.530 im Handel befindlichen Mineralwässern 34 Proben über 15 Mikrogramm pro Liter des giftigen Urans enthielten. Dies ist der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Höchstwert. Für die Zubereitung von Säuglingsnahrung empfiehlt das BfR sogar nur Wasser mit maximal zwei Mikrogramm. Foodwatch fand heraus, dass einige der stark belasteten Mineralwässer aus Sachsen-Anhalt stammten. Anders als Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg verweigerte das Gesundheitsministerium in Magdeburg jedoch jegliche Information. Zuerst bestritt es, dass es überhaupt einen Informationsanspruch gebe."
und das mit einer begründung, die an deutlichkeit nun wirklich nichts zu wünschen übrig lässt:
"Nachdem Foodwatch Klage eingereicht hatte, argumentierte das Ministerium mit den schutzwürdigen Interessen der Abfüllbetriebe: Die Messergebnisse fielen unter "dem Begriff des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses". Das Ministerium gab auch freimütig zu, dass es befürchte, die Veröffentlichung der Messergebnisse könnte bei den betroffenen Abfüllbetrieben zu "Umsatzrückgängen" führen."(...)
die rendite ist also in der wahrnehmung dieser technokratischen bürokraten - oder auch bürokratischen technokraten, wie´s Ihnen gefällt - ein deutlich "höherwertiges gut" als die menschliche gesundheit. warum bloß kann das nicht überraschen? selbst dann nicht, wenn justizielle institutionen so wie hier ab und zu aus ihrem dämmerzustand erwachen und derartige offenheit sanktionieren (ich frage mich im übrigen wirklich, ob gerade diese geradezu dreiste aussage aus dem ministerium nicht der primäre grund gewesen ist, mithilfe juristischer maßnahmen zumindest so etwas wie einen schein zu wahren...)
an einem anderen beispiel lässt sich haargenau die gleiche logik betrachten - das folgende passt eigentlich auch noch zum ersten wm-beitrag zum profifußball allgemein - ich zitiere mich von einem anderen virtuellen ort:
"der örtliche buli-club hier, werder bremen, hat für diese und die nächsten saisons einen trikotwerbungs- und sponsorenvertrag mit "bet&win", neuerdings "bwin". die bieten als privates unternehmen sportwetten an, was diverse behörden und politfritzen nicht nur hier in bremen, sondern zb. auch in münchen (bwin hat auch mit münchen 1860 einen trikotwerbevertrag) für etliche reaktionen und sanktionsdrohungen gegen vereine und unternehmen gesorgt hat. eine argumentationsschiene war dabei das staatliche wettmonopol - auszug:
"Das Stadtamt Bremen hatte die Werbung für betandwin e. K. jeweils in Verfügungen vom 7.7.2006 untersagt und hatte darauf verwiesen, betandwin e. K. verfüge über keine in der Freien Hansestadt Bremen gültige Erlaubnis zur Veranstaltung oder Vermittlung von öffentlichen Glücksspielen. Das staatliche Glücksspielmonopol verstoße weder gegen Europarecht noch gegen deutsches Verfassungsrecht. Betandwin e. K. könne sich auch nicht auf eine 1990 in der DDR erteilte Genehmigung berufen."
eine andere war diejenige, eigentlich durchaus sympathische, dass generell werbung für sportwetten nur eingeschränkt möglich sein soll, u.a. wg. belangen des jugendschutzes und der suchtprävention (spielsucht natürlich). in der heute veröffentlichten gerichtlichen entscheidung ist nun folgendes dazu zu lesen:
"Abzuwägen war das öffentliche Interesse, Gefahren für die Allgemeinheit wie Spielsucht und Vermögensverlust abzuwehren sowie Belange des Jugendschutzes zu berücksichtigen, mit dem durch Art. 12 GG geschützten wirtschaftlichen Interesse der Antragsteller. Hinsichtlich der Frage, ob eine Beeinträchtigung der öffentlichen Belange bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann, war dabei die Entwicklung der letzten Jahre zu berücksichtigen. Die staatlichen Lotto und Toto-Gesellschaften und insbesondere der Sportwettanbieter Oddset haben in den vergangenen Jahren massiv für ihr Angebot geworben und damit gegen genau die öffentlichen Belange gehandelt, die durch die streitgegenständlichen Verfügungen nun geschützt werden sollen."
wenn das öffentliche interesse gegen wirtschaftliche interessen antritt - wer geht da in der regel als verlierer vom platz? eben. es liegt an uns, wie lange wir diesen perversen mist noch dulden wollen.
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perversen mist stellt auch das folgende dar (danke an wednesday für den hinweis!):
"Weil Ärzte und Psychiater sich weigern, als Berater bei Verhören von Gefangenen mitzuwirken, sucht die US-Armee Ersatz - und findet ihn bei Psychologen. Deren Dachverband gibt sich patriotisch, viele Mitglieder aber sind empört.
Tut das wohl weh? Machen die Schmerzen bald gefügig? Wie könnte man das noch beschleunigen? Hat der Verdächtige vielleicht eine besondere Phobie, über die man ihn noch schneller zum Reden bringen könnte? - Dass ein Psychologe im Folterkeller zuweilen recht nützlich sein könnte, lässt sich schon mit ein wenig schrecklicher Phantasie ausmalen. Doch gar so fiktional ist die Vorstellung überhaupt nicht.
Die American Psychological Association (APA) wird gerade von Mitgliedern und externen Fachleuten wegen einer Erklärung bedrängt, nach der Psychologen bei militärischen Verhören mitwirken dürfen. Einer Online-Petition gegen diese Haltung schlossen sich bislang 1300 Unterstützer an. Manche Mitglieder haben ihre Zahlungen an die APA eingestellt oder mit Austritt aus der Berufsorganisation gedroht."(...)
eigentlich - wieder mal das schöne wörtchen - , eigentlich also kann es gegenüber solchen ansinnen von militärischer seite keine anderen reaktionen geben:
"Medienberichte hatten ans Licht gebracht, dass Verhörkräfte des US-Militärs Zwangstechniken entwickelt hatten, bei denen unter anderem durch Schlafentzug und das gezielte Spiel mit Angstvorstellungen der Verhörten Informationen erpresst werden. Dabei halfen auch Berater mit intimen Kenntnissen über die seelische Gesundheit.
Erst im vergangenen Monat hatte die American Medical Association eine entschiedenere Haltung gegen den Einsatz von Ärzten bei Verhören eingenommen. Sie entspricht der Position der American Psychiatric Association. Beide Gruppen wollen nicht mehr Foltern helfen. Das US-Militär hatte daraufhin erklärt, dass künftig verstärkt Psychologen bei Verhören zum Einsatz kommen sollen, da sie keine Ärzte seien - und damit auch nicht an die Verhaltensregeln von deren Berufsverbänden gebunden.(...)
Reisner setzt sich nun - wie andere APA-Mitglieder auch - dafür ein, dass die 150.000 Psychologen zählende Organisation in einem neuen Verhaltenskodex jede Teilnahme an Gefangenenbefragungen verbietet. Der Ethikausschuss der APA bereitet derzeit immerhin einen Leitfaden zu angebrachtem und unangebrachtem Verhalten für Verhörsituationen vor.
Einen Tag vor dem APA-Jahreskongress im August in New Orleans soll außerdem der Vorstand der Berufsorganisation eine Erklärung gegen Folter und unmenschliche Behandlung abgeben. Einen Tag später allerdings wird auch der oberste Mediziner der US Army, General Kevin Kiley, in New Orleans darüber sprechen, wie das Militär künftig Psychologen einsetzen möchte.
Reisner und seine Mitstreiter haben angekündigt, dann mit Flugblättern und Diskussionsrunden "eine Welle der Beschämung und Empörung" auszulösen, "weil die APA bislang diese Verhöre erleichtert hat, anstatt die Menschenrechtsverletzungen zu stoppen."
tja. eigentlich... - jede wette, dass sich trotzdem natürlich einige soziopathische / antisoziale persönlichkeiten mit diplom finden werden, die sich ihre rechtfertigungen für ihr tun herbeikonstruieren - und dafür dann von den sie aushaltenden und nutzenden eliten womöglich mit orden behangen werden - "ist ja alles im interesse der nationalen sicherheit" - perverser mist halt.
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vor ein paar wochen hatte ich hier über ein - ich sag´s schon wieder - eigentlich recht spektakuläres urteil des europäischen gerichtshofs geschrieben:
"Der Einsatz von Brechmitteln gegen Kleindealer verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Deutschland wurde deshalb gestern vom Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Der Brechmitteleinsatz sei eine "inhumane und erniedrigende Behandlung", entschieden die Richter mit 10 zu 6 Stimmen. Wenn der Staat auf diese Weise gewonnene Beweismittel im Strafprozess verwendet, verstoße dies gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Die Bundesrepublik muss dem Kläger Abu Bakah Jalloh jetzt 10.000 Euro Schmerzensgeld bezahlen."(...)
ist Ihnen aufgefallen, dass über dieses urteil kaum etwas berichtet worden ist? auch das passte ganz offensichtlich nicht in die illusionäre blase der reduzierten selbstwahrnehmung der ach-so-gastfreundlichen-und-offenen-gewandelten-bundesrepublik-deutschland.
bzw. derjenigen, die es nötig haben, sich mit einem solchen konstrukt zu identifizieren.
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zum schluß einige telepolisartikel, die die laune auch nicht unbedingt heben werden: über das gefängnissystem in den usa, kinder als zielgruppe von werbung, sowie die stinkbanalen kapitalistischen praktiken eines stinknormalen lebensmitteldiscounters.
sollen wir es als tröstlich ansehen, dass die virtuellen blasen der als-ob-realitäten gegenüber der wirklichen - und wirklich miesen - realität am ende totsicher den kürzeren ziehen werden? leider wird es dann mit hoher wahrscheinlichkeit keine möglichkeiten mehr geben, noch irgendetwas zu retten...
na, Sie eu-bürger/-in, das "vor unserer haustür" können und müssen wir in diesem fall wortwörtlich nehmen. erinnern Sie sich noch an diese begebenheiten? jetzt ertönt im (medialen) schatten der ereignisse im nahen osten folgender rettungsruf:
"Mit einem dramatischen Appell haben die südlichen EU-Staaten um Hilfe im Umgang mit den vielen Flüchtlingen aus Afrika gefordert. Bei einem Treffen der europäischen Innenminister sagte der maltesische Ressortchef Tonio Borg am Montag: "Hunderte ertrinken praktisch vor unserer Haustür." Ständig würden Leichen eingesammelt. Doch das Problem sei größer "als würden da ein paar tote Fische angeschwemmt", fügte Borg hinzu. "Das ist zu einer echten Krise geworden im Mittelmeerraum".
Die öffentliche Meinung reagiere mit Entsetzen, betonte der spanische Staatssekretär Antonio Camacho Vizcaino: "Unsere Bürger können nicht akzeptieren, dass sich unsere Meere zu Massengräbern entwickeln." Der italienische Innenminister Giuliano Amato sieht dabei auch die nördlichen EU-Staaten in der Pflicht: "Das Problem ist ein Problem der Europäischen Union insgesamt." Mehrere Staaten, darunter Deutschland, versprachen "europäische Solidarität".
yo. die "solidarität" von antisozialen eliten (und ihren bütteln) - was davon zu halten ist, machen die bisher bekannten planungen bzw. bereits einfach ein blick auf die derzeitige realität deutlich:
"solidarität" 1:
"Die Mittelmeeranrainerstaaten Frankreich und Spanien wollen einen gemeinsamen Polizei- und Justizraum mit Marokko aufbauen. Diese Initiative, die im wesentlichen als Anti-Terrormaßnahme verkauft wird, richtet sich aber vor allem gegen die illegale Einwanderung und wurde ohne Abstriche auf dem Treffen der Innen- und Justizminister in Newcastle abgenickt. Der Vorschlag soll zum zehnten Jahrestag des sogenannten Barcelona-Prozesses konkretisiert und auf der Europa-Mittelmeerkonferenz (Euromed) verabschiedet werden."
"solidarität" 2:
"Die von Spanien finanzierten Lager sollen der "Rückführung" und Wiedereingliederung von Minderjährigen dienen; Ghana stimmte der Rückführung von Migranten zu, Algerien schiebt nach Druck der EU Schwarzafrikaner ab (...)
Warum die Eingliederung ins Arbeitsleben ausgerechnet im armen Marokko geleistet werden soll, statt im reicheren Spanien, wird nicht beantwortet. Tatsächlich will man vor allem die Schwarzafrikaner schlicht loswerden. Die spanische Staatsekretärin für Einwanderung und Sicherheit Consuelo Rumí hat dies deutlich erklärt: "Das Ziel der Regierung ist es, so viele Jugendliche wie möglich zurückzuführen." Erst im danach sprach sie von Garantien, Familienzusammenführung und der Fürsorge durch Marokko.
Dabei hat Marokko gerade gezeigt, welche Garantien es bietet. Mehr als ein Dutzend Einwanderer wurden erschossen, als sie versuchten die Armutsgrenze in die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta zu überqueren. Es sperrt Hunderte in Militärlager. Im besseren Fall werden sie per Charterflug in ein Land deportiert, aus dem sie angeblich kommen. Migranten wurden aber auch schon mit Lastwagen mitten in die Wüste gefahren und zum Teil in vermintem Gelände ihrem Schicksal ohne Wasser und Nahrung überlassen."
"solidarität" 3:
"Der Versuch, die Grenzen zu überqueren, wird zum Angriff erklärt. Wer es trotzdem schafft, europäischen Boden zu erreichen, muss damit rechnen, dass er durch seine Existenz einen Verstoß gegen die Gesetze darstellt.(...)
Die so genannten Illegalen stellen ein unsichtbares Heer von Billiglohnarbeitern, ohne die unter anderem im Pflegebereich, in der Landwirtschaft, in privaten Haushalten und auf dem Bau oft gar nichts mehr gehen würde. Nach Schätzungen leben in der Bundesrepublik zwischen 500.000 und 1,2 Millionen Menschen ohne Aufenthaltsstatus in totaler Rechtlosigkeit. Dazu kommen 200.000 langjährig Geduldete, wie sie in der Behördensprache genannt werden. Real bedeutet das, dass sie ständig von Abschiebung bedroht sind und alle paar Wochen oder Monate auf der Ausländerbehörde ihre Papiere verlängern lassen müssen. Inzwischen bekommen sie als Folge der Einführung des neuen in vielen Fällen auch keine Arbeitsgenehmigung mehr, selbst wenn sie schon seit Jahren erwerbstätig waren und sie bekommen sowieso nur die Jobs, die nachweislich kein Deutscher oder EU-Ausländer will."
ja, sie ist schon eine feine sache, diese "europäische solidarität". mit reellen ergebnissen :
"Nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl starben allein seit Anfang 2002 mehr als 1.000 Menschen an den europäischen Außengrenzen. Im Mittelmeer zwischen Nordafrika und Südeuropa kamen demnach in den vergangenen Jahren mehr als 5.000 Flüchtlinge bei dem Versuch ums Leben, mit klapprigen und meist völlig überfüllten Booten die spanischen, französischen, italienischen oder griechischen Küsten zu erreichen. Pro-Asyl-Europareferent Karl Kopp spricht gar von einem regelrechten "Massengrab" in der Straße von Gibraltar."
im märz hatte ich dazu folgende notiz geschrieben:
"Auf dem Weg von Mauretanien zu den Kanaren sind am Wochenende 45 Flüchtlinge ertrunken. Zwei mit insgesamt 84 Afrikanern besetzte Fischerboote seien im Atlantik gekentert, berichtete die El País gestern. Gestern drohte erneut ein Flüchtlingsboot mit 40 Passagieren zu kentern."
schlimm? eigentlich eher ein völlig unerträglicher tatbestand - aber schauen Sie sich das folgende an:
"Nach Angaben des Roten Halbmonds kamen in den vergangenen vier Monaten 1.200 bis 1.300 Menschen beim Fluchtversuch auf spanisches Territorium ums Leben."
die älteren leserInnen hier können sich vielleicht folgendes ausmalen: was wäre in diesem land losgewesen, wenn es ähnliche zahlen in einem ähnlichen zeitraum auch nur einmal an der ehemaligen grenze zur ddr gegeben hätte? eben. die von unseren westlichen gesellschaften immer wie ein popanz vor sich hergetragenen bekenntnisse zu "menschenrechten" sind nicht das papier wert, auf denen sie geschrieben werden. unter menschen werden ganz offensichtlich nur bestimmte menschen verstanden - und die sind immer noch reich und weißhäutig.
ähem, haben wir hier vorhin über die brutalität des nahost-konflikts geredet?
...der entgegen der massenmedialen darstellung jetzt nicht auf einmal wieder "ausgebrochen" ist, sondern faktisch ständig in diversen erscheinungsformen und intensitäten existiert, sei nochmals auf einen älteren beitrag hier verwiesen, der einen sehr wichtigen - und vielleicht gerade deshalb meist völlig ausgeblendeten - aspekt thematisiert: die macht des traumas - auszug:
(...)"wegen der eigenart der traumatischen gedächtnisspuren in ihrer form als abgespaltene seperate neuronale netzwerke taucht auch öfter der begriff "eingefrorene zeit" auf, die dann in symptomen wie z.b. flashbacks wieder "auftaut" und die aktuelle raum-zeit-wahrnehmung der betroffenen im extremfall völlig überlagern kann. wie dieser und womöglich auch andere mechanismen einfluß auf aktuelle krisen und konflikte wie z.b. den israelisch-palästinensischen haben, ja diese durch die beteiligten psychophysischen prozesse primär überhaupt erst mit ihren destruktiv-gewalttätigen "lösungsversuchen" möglich machen, wird durch u.a. die arbeiten und ansätze des israelischen psychologen dan bar-on deutlich."(...)
(...)„Als der erste Palästinenser über sein Leben, seine Vergangenheit, seine aktuelle und schmerzhafte Realität in der West Bank sprach, stellte ich fest, dass ich in der Defensive war und mich peinlich berührt, geschockt und verärgert fühlte. Es fiel mir sehr schwer zu glauben, es handele sich keineswegs um eine Ausnahme und deshalb sei es unfair, so zu tun, als sei es die >Normalität< für Palästinenser. Natürlich traute ich mich nicht, diese Gedanken zu äußern."
Wieder erzählte Miriam K. ihre Geschichte als Nachkommin von Holocaustopfern, doch diesmal erlebte sie, wie die eigene Opfer-Identität zu bröckeln begann: „Als der nächste Palästinenser sprach, wand ich mich. Schon wieder war es eine Geschichte über Verfolgung, Angst und unerträgliche Erniedrigung. Ich konnte nicht glauben, was ich hörte. Wie war das möglich? Je mehr ich hörte, desto mehr schauderte ich. Es war mir peinlich, Jüdin zu sein. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass meine jüdischen Mitmenschen diesen Leuten solchen Schmerz und solches Grauen zufügten. Ich wollte ihre Taten verteidigen, sie als ein Bedürfnis nach Sicherheit für Israels Bestreben, sich vor Terrorismus zu schützen, begründen. Aber ich konnte mich nicht einmal mich selbst davon überzeugen, dass diese Gründe gut genug waren. Ich war erschöpft und wünschte, ich wäre woanders."
(...)
"Ein Verständnis, das zunächst äußerst fragil war und durch die Frage einer Palästinenserin, die die Realität des Holocaustes in Frage zu stellen schien, wieder zu zerbrechen drohte. Martin Bormann wurde nun mit seiner Geschichte zum glaubwürdigen Zeitzeugen: „Die Palästinenser hörten ihm offensichtlich gebannt zu. Die ganze Situation war unwirklich: Juden versuchten, Palästinenser von der Bedeutung und Wahrheit des Holocaust zu überzeugen, während der Sohn eines berühmten Nazi-Täters die Fakten aufzählte."(...)
im nahen osten ist live und seit jahrzehnten eine spirale der gegenseitigen und generationenübergreifenden re-traumatisierung zu beobachten, die - realistisch betrachtet - nur durch eine massive intervention von außen, mit anschließender - vorläufiger - trennung und entwaffnung der kontrahenten sowie isolierung der am extremsten agierenden gruppen auf beiden seiten - betrifft zb. die klar islamistischen fraktionen genauso wie auch die religiös motivierten jüdischen siedler - gestoppt werden könnte. parallel zu diesen maßnahmen müsste dann in allen beteiligten gesellschaften besonderes gewicht auf die entwicklung ziviler strukturen / entmilitarisierung gelegt werden, zu denen neben einer gesicherten grundversorgung besonders bildung und auch ein breites angebot von traumaspezifischen therapeutischen strukturen gehören würde - letzteres ist meiner meinung nach unverzichtbar, um die wesentlichen quellen des konfliktes mittel- und langfristig aufzulösen.
wer die erwähnte massive intervention von außen allerdings durchführen sollte, ist das erste große problem - realistisch ist da eigentlich nur die uno zu nennen, und zwar ohne beteiligung der usa/nato einerseits (besonders d-land hat - als durch die geschichte mitverantwortliche konfliktursache - dort nichts zu suchen), aber auch ohne russland und china. und damit wird´s dann schon wieder unrealistisch. ich bleibe aber dabei, dass bis auf weiteres das oben grob skizzierte szenario dasjenige mit der größten wahrscheinlichkeit darstellt, den ewigen krieg tatsächlich zumindest wirkungsvoll behindern zu können.
manchmal benutze ich das blog für mich auch als eine art notizzettel, um interessante infos bzw. artikel vorläufig festzuhalten - weitere kommentierung meinerseits vorbehalten.
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Psychisch Kranke werden ausgeforscht , so die überschrift eines artikels der aktuellen taz. eines von derzeit vielen bereits verabschiedeten oder in der diskussion befindlichen gesetzen in vielen verschiedenen bereichen, die nichts gutes ahnen lassen.
"Der Bundesrat will den Behörden Ermittlungen im persönlichen Umfeld von Alten und psychisch Kranken ohne Zustimmung der Betroffenen erlauben. Bundesregierung begrüßt entsprechenden Gesetzentwurf der Länder, Verbände und FDP protestieren
Die Behörden sollen künftig das persönliche Umfeld von Alten und psychisch Kranken ohne deren Wissen und Zustimmung ausforschen können, um eine Betreuung vorzubereiten. Dies sieht ein Gesetzentwurf des Bundesrats vor, den die Bundesregierung unterstützt. "Das erinnert an Methoden einer Geheimpolizei in totalitären Staaten", kritisiert René Talbot von der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrieerfahrener das Vorhaben."(...)
"Im persönlichen Umfeld des Betroffenen, also bei Verwandten, Nachbarn oder an der Arbeitsstelle, darf die Behörde bisher aber nur Erkundigungen einholen, wenn der vermeintlich Kranke zustimmt. Hier setzt die geplante Änderung des Betreuungsbehörden-Gesetzes an. Wenn der zu Überprüfende (nach ärztlicher Feststellung) schon so verwirrt oder krank ist, dass er gar keinen rechtlich bindenden Willen mehr bilden kann, soll die Behörde auch ohne seine Zustimmung mit Menschen aus seinem Umfeld sprechen können. Die Länder wollen so "Verfahrensverzögerungen" verhindern. Die neuen Befugnisse der Behörden seien im Interesse des Betroffenen.
Das sehen Psychiatriekritiker aber ganz anders. "Auch als psychisch Kranker hat man ein Recht darauf, dass nicht alle Nachbarn und Arbeitskollegen von der Krankheit erfahren", kritisiert Matthias Seibt vom Landesverband Psychiatrieerfahrener NRW. "Die Betreuungsbehörde kann, ohne dass der Betroffene irgendetwas davon erfährt, dessen Ruf zerstören."(...)
wie bereits heute die bestehende gesetzeslage teils von behörden ausgelegt wird, war vor einiger zeit schon hier - "von alten damen und ministern" - zu lesen. ich hatte damals u.a. geschrieben:
(...)"die ganz geschichte macht sehr deutlich das grundsätzliche dilemma sichtbar, das ich weiter unten schon mal genauer umschrieben hatte: psychiatrische diagnosen können reale, für einen menschen bzw. das jeweilige umfeld tatsächlich gefährliche und bedrohliche krankhafte prozesse erfassen - aber in ihrem jetzigen status quo, der meist sehr interpretierbar ist, können sie genausogut zu allerlei schweinereien übelster art benutzt werden. und zwar ganz nach "recht und gesetz". die obige richterliche begründung jedenfalls folgt ziemlich genau dem muster, mit dem bspw. auch in totalitären systemen unliebsame kritikerInnen der verhältnisse kalt gestellt werden."(...)
und das letztere thema wird spätestens mit der jetzt geplanten gesetzesänderung ganz aktuell - einmal werden die aktuellen psychiatrischen diagnosemodelle (deren blinde flecken und faktische ignoranz, was real vorhandene verrückheiten bspw. von sog. führungspersonen betrifft, hier schon öfter beschrieben worden sind) damit tatsächlich zu einer art von waffe, deren destruktives potenzial in skrupellosen händen ungeheure ausmaße annehmen kann - siehe auch hier - und zum anderen ist dabei auch diese entwicklung zu berücksichtigen:
(...)"Ihre Sorge über die Zunahme psychischer Leiden hat die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen in einer Resolution „Gesundheit und soziale Lage“ ausgedrückt. „Zukunftsängste, Arbeitslosigkeit, Armut, wachsende Vereinzelung und das Auseinanderbrechen von Familien lösen immer häufiger Suchtprobleme und psychische Erkrankungen aus, die in vielen Fällen zu Berufs- und Erwerbsunfähigkeit führen“, erklärten die Delegierten am 25. März in Bad Nauheim.
Auch für Arztbesuche und Krankschreibungen seien zunehmend psychische und soziale Leiden verantwortlich, erklärten die hessischen Delegierten. Sie führen dies auf die gesellschaftliche Entwicklung zurück, in der „Solidarität und die Würde des Einzelnen der ökonomischen Ausrichtung nachgeordnet werde“.(...)
das eröffnet den strategen der sog. "inneren sicherheit" natürlich große möglichkeiten - die sog. psychiatrisierung von politischer opposition ist nicht nur in ländern wie weißrussland ein fast schon traditionelles mittel , sondern bis heute auch bspw. in china. und immer wieder auch in der brd zu beobachten gewesen, zb. in vielen verfahren gegen totale kriegsdienstverweigerer (also diejenigen, die auch den sog. zivildienst wg. seiner ersatzdienstfunktion und einbindung in die militärische planung abgelehnt haben) besonders in den 1980er jahren.
wie viele andere sehr bedenkliche entwicklungen auch, erfordert ebenfalls dieses geplante gesetz eigentlich größte öffentliche beachtung. eigentlich.
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dieses gesetz wird zudem in einem staat geplant, der ganz frisch vom europäischen gerichtshof verurteilt worden ist - ja, manchmal geschehen noch zeichen und wunder:
"Der Einsatz von Brechmitteln gegen Kleindealer verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Deutschland wurde deshalb gestern vom Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Der Brechmitteleinsatz sei eine "inhumane und erniedrigende Behandlung", entschieden die Richter mit 10 zu 6 Stimmen. Wenn der Staat auf diese Weise gewonnene Beweismittel im Strafprozess verwendet, verstoße dies gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Die Bundesrepublik muss dem Kläger Abu Bakah Jalloh jetzt 10.000 Euro Schmerzensgeld bezahlen."(...)
"inhumane und erniedrigende Behandlung" ist übrigens im allgemeinen sprachgebrauch nichts weiter als ein synonym für folter (und diesen älteren artikel verlinke ich deshalb nochmal, damit deutlich wird, dass die von gewissen personen und institutionen immer wieder angestrebte faktische aufweichung des folterverbotes in der brd - auch, wenn´s um tatsächlichen oder eingebildeten terrorismus geht - keinesfalls ein für sich alleine stehender skandal ist. wie spätestens dieses jetzige urteil deutlich machen sollte. ich bin mal gespannt auf die öffentlichen reaktionen. und nein, auch wenn ich dieses urteil mal ausnahmsweise bemerkenswert positiv finde, so sehe ich deshalb doch keinen grund dafür, mein grundsätzliches mißtrauen in die heutigen formen der justiz zu revidieren. und nochmals nein, mit dem problem der illegalisierung psychoaktiver stoffe mitsamt allen damit zusammenhängenden konsequenzen hat dieses urteil auch nur am rande zu tun - hier geht es darum, was ein staat an grenzen überschreiten darf.
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wenn ein emeritierter professor für philosophie sich mittels der orthodoxen freudschen psychoanalyse an der Psychopathologie der Abzockerei versucht, dann kann dabei so etwas herauskommen:
(...)"Die Moral der Geschichte von dieser politischen Psychopathologie der Abzockerei in einem wild gewordenen Kapitalismus lautet für einen kritischen, mit der Geschichte der Kapitalismustheorie vertrauten Geist: Das Es hat Adam Smiths angeblich so segensreicher, für eine gerechte Verteilung der Güter sorgenden «unsichtbaren Hand» das Steuer aus den Händen gerissen, es triumphiert frohlockend über das Über-Ich und verjagt aus dem Ich die letzten Ahnungen einer Aufklärung, der es, nach Kant, um den «Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit» ging."(...)
das es als alter amokfahrer sitzt jetzt am steuer, lacht hämisch das über-ich auf dem beifahrersitz aus und treibt das ich auf dem bürgersteig in eine tiefe verzweiflung. so sehen also die analytischen versuche der alten europäischen intelligenz aus. *seufz*
wie kunst in relevanter weise soziale wahrnehmungsdefizite beheben kann, machen die aktionen zweier menschen deutlich, deren bisher vielleicht nachdrücklichste hier nachzulesen ist:
(...)"Die ganze Sache ist ebenso unglaublich wie kunstvoll eingefädelt. Für den 28. April 2005 luden die Veranstalter der Konferenz "Internationales Zahlungswesen" in London zu einem Vortrag von Erastus Hamm, einem Senior External Managing Consultant des multinationalen Pharmakonzerns Dow Chemical. Unter dem Schwerpunkt "Entscheidende Erfolgsfaktoren zur Kostenreduktion und Prozessoptimierung" sollte er über "vereinfachte durchgehende Kostenkontrolle in Unternehmen" sprechen. Pünktlich stand der Mann vor seinem Publikum, das aus Vertretern internationaler Banken, Investmentgruppen und namhafter Firmen bestand. Einer der Hauptsponsoren der Veranstaltung war Microsoft."(...)
in diesem blog waren die nachweislichen soziopathischen bzw. antisozialen tendenzen gerade innerhalb der sog. "führungseliten" aus politik und wirtschaft schon öfter thema; ihre rücksichtslosigkeit, kälte, und absolute empathielosigkeit im angesicht zu gewinnender profite. ebenso wurden die eigenschaften des diese zustände wahrscheinlich produzierenden objektivistischen modus skizziert. obwohl ich diesbezgl. auf spekulationen angewisen bin, so glaube ich doch, dass zwischen der wahrnehmung "die gehen über leichen" - die schon eine art klischeehafter qualität besitzt -, und der vollen realisierung dessen, was sich hinter diesem klischee wirklich an konsequenzen für unser aller leben verbirgt, bei den meisten menschen immer noch eine erstaunliche diskrepanz existiert.
es ist ja auch ein zu dickes ding: all die seriösen führungspersönlichkeiten , all die quitschbunten und allen bekannten markennamen und die dahinter stehenden unternehmen, all diese ganzen autoritäten sind in ihrer absoluten mehrheit hauptsächlich damit beschäftigt, schwere pathologische zustände auszuagieren bzw. ausdruck dieses ausagierens? gar teil und ausdruck von weltweit existierenden mafiösen strukturen in staaten, ihren institutionen und großen unternehmen, die auch ohne bedenken mit mord und terror "arbeiten", wenn´s ihnen gerade in den kram passt?
"das ist doch zu übertrieben"; "es sind doch nicht alle so"; "eine zu radikale perspektive" (die ich persönlich dringend nötig finde), und dergleichen mehr. ist ja auch unbequem, bedrohlich und beängstigend, sich mit einer solchen realität - bereits alleine als möglichkeit - zu beschäftigen. würde ja auch fragen nach der eigenen involviertheit aufwerfen - warum dulde(n) ich / wir verhaltenweisen und extremste grenzüberschreitungen, welches wir bei auch nur rudimentärer klarer wahrnehmung deutlich - und zwar auch im ganz eigenen überlebensinteresse - ablehnen müssen?
es gibt zu dieser frage einige erklärungsansätze, u.a. von seiten der psychohistorie aus - aber dazu ein andermal. jetzt geht es um wahrnehmungserweiterung, und das folgende sollten sich v.a. diejenigen genau durchlesen, die ich persönlich als abwiegelnd empfinde - diejenigen, die einfach nicht wissen und glauben möchten oder können, wie krank - ja, genau das - diejenigen tatsächlich sind, die hier bisher die realität bestimmen und gestalten.
(...)"Er berichtete, Dow Chemical habe eine Lösung für Risiko-Berechnungen in der Chemiebranche gefunden, nämlich das Datenbankprogramm Acceptable Risk™, inklusive eines Kalkulators. Der Logik des Marktes entsprechend sei nur mit hohem Risiko auch hoher Gewinn zu machen. Hohes Risiko jedoch heiße für Chemiekonzerne vor allem hohes Umweltrisiko, mitunter sogar tödliche Gefahr für anwohnende Menschen. Da in den westlichen Staaten die Sicherheitsanforderungen zu hoch seien, lohne sich die Investition hier kaum. Jetzt aber könne Dows Risiko-Kalkulator den geeigneten Standort für Konzerne ermitteln, an dem aus potentiellen Leichen kein finanzielles Fiasko würde, sondern gewissermaßen goldene Leichen. Er nannte sie golden skeletons. Zur Ausführung dieser These ließ er wie selbstverständlich einige Beispiele aus der Geschichte einfließen: Die Napalm-Opfer in Vietnam seien für Dow Chemicals, sagte Hamm, wie viele durch die Nazis vernichtete Juden wiewohl Leichen im Keller, dennoch goldene, also profitable Skelette.
Als letzten Höhepunkt seines Vortrags entließ Erastus Hamm seine Zuhörer mit den Worten "the only good skeleton is a gold skeleton" und enthüllte unter dem Beifall des Publikums die Figur neben ihm: Gilda, ein goldenes Skelett. Über der Brust trug sie eine Schärpe mit der Aufschrift "Dow Acceptable Risk".(...)
wie reagierten nun die anwesenden führungskräfte auf die darstellung ihrer selbst als quasi völlig hemmungslose kannibalen in nadelstreifen und schicken kostümen? empört? aber aber, da würden Sie denen zuviel menschlichkeit zutrauen:
(...)"Nach dem Vortrag trat der eine oder andere Zuhörer nach vorne, überreichte eine Visitenkarte, um die versprochene kostenlose Test-Version des Programms Acceptable Risk™ oder auch nur den Schlüsselanhänger mit Gildas Kopf zu erhalten. Einige der Banker und Manager ließen sich sogar lächelnd mit dem Goldskelett fotografieren."(...)
sie wissen, was sie tun. und wie sie es tun, können alle wissen, die´s interessiert - erinnern Sie sich noch an die in vielen prozessen gegen bspw. kindsmordende und -quälende eltern und familienmitglieder, aber auch gegen gewalttätige jugendliche immer wieder konstatierte gleichgültigkeit?
(...)"Wenn man das Video sieht, den Vortragstext liest und die Powerpoint-Präsentation betrachtet, irritieren weniger die zynischen Wahrheiten, die der Sprecher professionell-beiläufig erwähnt, als die völlige Gleichgültigkeit der Zuhörer. Es regte sich kein Unmut. Zwar zuckten ein paar von ihnen mit den Achseln, aber die meisten zeigten sich eher belustigt von der Performance und dem goldenen Skelett. Sie reagierten, als handele es sich um ein Spielchen und als wären es bloß nette Anekdoten, die der Redner gerade erzählt hatte."(...)
"sie" empfinden das als ihre normalität. wie war das noch? "Das Wesen einer Psychose besteht gerade darin, dass die Patienten sich für gesund halten"
(...)"Das an sich wäre bereits fatal, aber die Wahrheit scheint noch erschreckender zu sein: Vertreter derjenigen, die die wirtschaftliche Macht haben, um die Welt zu bewegen, scheinen nicht zu merken, wo sie welche Grenzen im Namen des Marktes überschreiten oder längst überschritten haben. Die versammelten Banker und Investoren zumindest haben die von Erastus Hamm beschworenen Leichen im Keller der Großkonzerne wohl eher als gefallene Spielfiguren in einem globalen Monopoly begriffen, denn als das, was sie sind: getötete Menschen."(...)
das wort "scheinen" im obigen absatz dürfen wir getrost streichen - sie merken´s wirklich nicht bzw. können es aller wahrscheinlichkeit aus den gesetzmäßigkeiten der dominierenden psychophysischen zustände heraus nicht (mehr) merken.
die grenzen werden von außen gesetzt werden müssen. und Sie dürfen jetzt darüber nachdenken, wer das tun muss, sogar als einzigste kraft tun kann. weder wird im letzten moment die kavallerie zur rettung kommen, noch irgendwelche freundlichen e.t.´s. und ebensowenig wird bruce willis im verschwitzen unterhemd im großen finale die kastanien aus dem feuer holen. no chance.
wenn Sie mit einem schwer bewaffneten und amoklaufenden irren in einem raum eingeschlossen wären, der Ihnen die ganze zeit erklärt, warum es unbedingt nötig und ökonomisch sinnvoll ist, jetzt mit Ihnen schluß zu machen (und Ihnen vorher noch etwas gnadenfrist einräumt unter der bedingung, dass Sie sich noch etwas nützlich machen) - was würden Sie tun? der raum - eigentlich durchaus annehmbar eingerichtet und mit allem nötigen versehen - hat keinen ausgang, der irre hat hier und da schon einige feuerchen entfacht und versucht Ihnen noch dazu ständig einzureden, dass dieser raum im aktuellen zustand die "beste aller welten" darstellen würde und quasi einen "naturzustand" bilden würde. was tun Sie?
ich bin mir sicher, dass Sie die antwort irgendwo in sich schon wissen.
in den letzten wochen hat sich mal wieder so einiges angesammelt - und falls Sie gerade das erste mal hier zu besuch sein sollten und sich über die auswahl wundern: in diesem blog geht es primär um tatsächliche, hypothetische, mögliche und unmögliche zusammenhänge zwischen dem spektrum "psychischer störungen", welches sich am besten mit dem begriff beziehungskrankheiten fassen lässt und den in vergangenheit und gegenwart herrschenden sozialen und ökonomischen verhältnissen nicht nur in dieser gesellschaft.
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fangen wir an mit dem stichwort borderline: für regelmäßige leserInnen hier wird die beobachtung, dass seit längerer zeit diese diagnose öfter in forensischen gutachten besonders in zusammenhang mit prozessen rund um gewalt gegen kinder bis hin zum mord auftaucht, nichts neues darstellen. und so überraschen auch meldungen wie die folgende zwar nicht, thematisieren jedoch unfreiwillig wieder einmal mehr die sichtbaren und möglichen defizite und bruchstellen in der orthodoxen psychiatrischen betrachtungsweise des borderline-phänomens - im bericht über den prozeß gegen die eltern der ermordeten karolina sieht das so aus:
(...)"Der Verdacht wäre ohne Geständnis eben auf beide gleichermaßen gefallen." Dazu komme das Verhalten der Angeklagten in der Haft - "kein Bedauern, sie haben getanzt und waren bester Laune". Wer ernsthaft den Tod seines Kindes betrauere, verhalte sich anders.(...)
Wenig Eindruck machte auf die Kammer auch, was Nedopil und Weber vortrugen. A. trieb zwar Missbrauch mit Drogen, Alkohol und Tabletten, bei ihm könne durchaus auch eine Borderline-Störung vorliegen - doch welche strafrechtliche Relevanz habe dies für Karolinas Tod, fragten die Richter. Die Kammer habe "erhebliche Zweifel, ob sich die Tat überhaupt so zugetragen habe, wie von den Sachverständigen angenommen". Die sadistischen Quälereien hätten über Tage angedauert, gleichsam nach einer Art "Masterplan".
Wenn das Kinde nicht wie ein dressierter Hund parierte, habe es geheißen: "Jetzt braucht sie's wieder." Ein Leiden an der Borderline-Störung, wie der Bundesgerichtshof es fordere für den Fall einer Schuldminderung, sei bei A. nicht festzustellen. "Da haben die Sachverständigen ihre Sicht der Dinge zugrunde gelegt - von der Lebensgefährtin verlassen, ohne Beruf, ohne Aussicht auf Besserung der Verhältnisse. Aber ihm hat's ja gefallen, sein Leben als Pascha. Er ließ seine Lebensgefährtin sitzen, weil ihm Zaneta besser gefiel. Das ist alles. Da war kein Leiden, keine Notlage, kein Zwang. Karolina war für ihn das Kind eines Zuhälters, ein Bastard ohne Lebensrecht, der die sexuelle Beziehung nicht stören sollte." A.s eigenes Kind, auch ein Mädchen, habe er nach Zeugenaussagen dagegen immer liebevoll und fürsorglich behandelt, "wenn er nicht gerade in Haft oder in der Psychiatrie war". Das passe ja wohl nicht zu einer gestörten Persönlichkeit.(...)"
was ich vom letzten satz halte? ich sehe darin eine art institutionell (psychiatrie und auch justiz) gebilligten/erwünschten und ideologisch (mittels der herrschenden diagnosenkonstruktionen) unterfütterten selbstbetrug; besser: eine typische art fragmentierender wahrnehmung, von der hier zumindest die richter komplett befallen zu sein scheinen. selbst in der orthodoxen psychiatrie ist es imo weitgehend eine anerkannte tatsache, dass gerade störungen aus den bereichen borderline / narzisstischer / antisozialer ps keineswegs für die betroffenen selbst immer mit leid verbunden sein müssen, sondern das im gegenteil primär die soziale umwelt unter den ausagierten symptomen des betroffenen menschen enorm leiden kann. das scheint sich jedoch in justiziellen kreisen noch nicht herumgesprochen zu haben.
wobei ich vermute, dass es in der psychiatrie und auch in der justiz einige gibt, die sich vielleicht vor den unvermeidlichen konsequenzen fürchten, wenn bestimmte diagnostische modelle etwas realitätsgerechter ausfallen würden: wie oben im prozeßbericht geschrieben, kommen die richter offensichtlich nicht mit dem - äußerlichen - widerspruch zurande, einer person, der sie extrem kalkulierendes und eiskaltes verhalten einerseits, aber eben auch "missbrauch mit drogen, alkohol, tabletten" (auch hier übrigens ist fragmentierende - und gesellschaftstragende - wahrnehmung beteiligt: alle genannten stoffe sind faktisch psychoaktive drogen) und damit ein meistens untrügliches indiz für psychophysische probleme andererseits attestieren. der angeklagte leidet ihnen zuwenig - und genau mit dieser impliziten aussage machen sie die mangelhaftigkeit der diagnostischen modelle recht deutlich, wie ich finde.
der justizielle (bzw. objektivistische) blick dürfte sich auch von den erwähnten zeugenaussagen getäuscht haben lassen, die dem angeklagten mann eine "immer liebevolle und fürsorgliche" behandlung des eigenen kindes zuschreiben. das darf berechtigt angezweifelt werden, besonders wenn wir an die möglichkeit simulativer - als-ob - zuneigung bzw. pseudoempathie denken. mir kamen bei dieser passage recht schnell mal wieder die kz-kommandanten des naziterrors in den sinn, bei denen ähnliche beobachtungen - tagsüber eiskalte killer, am abend die "fürsorglichen" und sentimentalen familienväter - bis heute für ratlosigkeit bei konventionellen historikern sorgen, die ähnlich wie die justiz grundsätzlich der reduktionistischen und fragmentierenden theorie und praxis der westlichen wissenschaft verpflichtet sind.
wenn wir dagegen mal von den (medial) bekannten tatsachen ausgehen, haben wir folgendes bild: a) ein grausam vernachlässigtes und gefoltertes totes kind, b) ein mann (stiefvater) und eine frau (mutter), die dieses kind zwingend in einem objektmodus wahrgenommen haben müssen (anders hätten sie nicht so handeln können), unter extremer empathiereduktion, c) die dazu noch die ebenfalls in solchen prozessen regelmässig festgestellten "begleitsymptome" wie gleichgültigkeit, kalkül und desinteresse am leiden ihres opfers zeigen.
wenn Sie sich nochmal die basisbeiträge "borderline" und "als-ob-persönlichkeiten" ins gedächtnis rufen, werden Sie vermutlich selbst zu dem schluß kommen, dass die dort vorgestellten alternativen erklärungsansätze für derartige konstellationen wie eben beschrieben sehr viel plausibler erscheinen als das, was orthodoxe psychiatrie und justiz in erklärung und umgang mit solchen geschehnissen anzubieten haben. vielleicht liegt für diese institutionen der unerträgliche und strikt zu verleugnende knackpunkt darin, dass sich tiefgreifende störung und scheinbar "objektiv" realitätsangepasstes verhalten nicht nur nicht ausschliessen, sondern sogar ein sehr der aktuellen realität angepasstes verhalten - und zwar im sinne einer totalen akzeptanz der herrschenden normen - ein starkes indiz für eine schwere psychophysische störung darstellen kann, nämlich dann, wenn diese herrschenden normen als einziges "objektives" kriterium für menschliches sein und handeln zugelassen werden, unter mißachtung aller "nur" subjektiven oder gar "weichen" menschlichen möglichkeiten (empathie, liebe, solidarität).
selbst bei einer nur teilweisen akzeptanz dieses ansatzes würde das bspw. in einem fall wie dem obigen deutlich machen, dass der angeklagte tatsächlich "nur" bestimmte (ideologische) grundsätze und (falsche) grundannahmen dieser gesellschaft konsequent "gelebt" bzw. angewendet hat: "der mensch ist prinzipiell egoistisch"; "man(n) muss seine ellenbogen einsetzen", "gut ist, was mir nützt" und dergleichen mehr. das ermordete kind wurde einfach als störendes und hinderliches ding auf dem weg zur jämmerlich reduzierten befriedigung wahrgenommen, und dementsprechend "behandelt" - was unterscheidet also das mörderische handeln dieser eltern eigentlich prinzipiell vom ebenso mörderischen handeln vieler staatlicher institutionen und großen unternehmen in dieser welt? in der rücksichtslosigkeit, kälte und vorgeschobenen behauptung "objektiver zwänge" sowie der völligen unterwerfung bzw. identitätskonstruktion unter und mittels herrschender ideologischer fragmente lassen sich für mich keine großen unterschiede feststellen. zu solchen schlüssen darf eine grundsätzlich rachebedürfnisse erfüllende und der präventiven abschreckung dienende (ersteres wird ebenso grundsätzlich verleugnet) justiz natürlich nicht kommen, würde sie doch dann noch mehr als jetzt in ihrer funktion als herrschaftsinstrument sichtbar werden und letztlich ihren als-ob-charakter einer angeblich "objektiven und überparteilichen" instanz verlieren, weil sie weder tatsächliche gerechtigkeit ausübt, noch den täterInnen eine chance bietet, ihr leben tatsächlich zu verändern (knäste machen bekanntlich alles nur noch schlimmer, was sogar die etablierten zuständigen wissenschaften sehen - ohne daraus konsequenzen ziehen zu wollen). beide eben genannten punkte hängen stark mit dem zusammen, was ich hier schon früher als täter-opfer-dialektik benannt habe - und genau diese dialektik wird bis auf weiteres konsequent ignoriert. das wurde auch schon in früheren prozeßberichten deutlich, siehe z.b. hier.
der begriff "klassenjustiz" erfasst die ganze fragwürdigkeit des justizapparates nur unzureichend, auch wenn das wort für den betreffenden bereich imo natürlich zutreffend ist (harte urteile gegen manager, politiker u.a. angehörige der "eliten" kommen i.d.r. nur zustande, wenn die betroffenen bereits vorher von ihren jeweiligen kumpanen ver- und ausgestoßen worden sind). der eigentliche strukturelle defekt der heutigen justiz liegt jedoch imo betrachtet in genau der katastrophal falschen anthropologie, die sich in so ziemlich allen bereichen der gesellschaft finden lässt - unser bild von uns selbst ist befrachtet von schlichter unkenntnis über das eigenen "funktionieren", die eigenen möglichkeiten bzw. unmöglichkeiten, einer verheerenden körperfeindlichkeit sowie der verherrlichung ausgerechnet der schlimmsten menschlichen möglichkeiten incl. offen schwer pathologischer zustände. kurz: was wir uns angewöhnt haben, hinsichtlich uns selbst und unserer mitmenschen als "normal" zu betrachten, ist in der realität eher zu einem viel zu großen teil zugleich ausdruck und produkt eindeutig pathologischer menschlicher defekte. und das impliziert als nötige gegenmaßnahme u.a. eine radikale wahrnehmungsänderung, die erstmal und besonders das anscheinend "selbstverständliche" in frage stellen muss.
natürlich sind die beiden angeklagten auf ihre jeweils individuelle art und weise im weitesten sinne (schwer) gestört - aber es ist völlig unzulässig, das als ihr "persönliches" problem abzutun. natürlich müssen sie für ihr handeln spürbare konsequenzen erleben - unter beachtung der schutzinteressen anderer menschen -, die ihnen ermöglichen, sich in den ihnen erreichbaren grenzen zu verändern. aber es ist völlig fraglich, ob gefängnisstrafen neben schutzinteressen irgendetwas anderes erfüllen können (von rachebedürfnissen in diesem fall zu reden, ist eh absurd - wenn das kind überlebt hätte, könnte es als einzige mit subjektiver berechtigung derartiges vertreten. keinesfalls aber direkt unbeteiligte, die derart hauptsächlich ihre eigenen sowie gesellschaftlich ressentiments und projektionen ausagieren). solche taten, die darauf folgende "rechtsprechung" und die öffentlichen reaktionen sprechen in ihrer ganz eigenen und beklemmenden weise von einer gesellschaft, die von ihren selbst produzierten mörderischen realitäten nichts wissen will und sich lieber im schein und in inszenierungen verliert - und in diesem punkt unterscheiden sich angeklagte, richter und auch das zuschauende und "pfui! hängt sie!" rufende publikum kein stück.
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aus österreich kommt der folgende prozeßbericht, bei dem auf andere weise die mängel der diagnostischen konstruktionen sowie des justiziellen umgangs deutlich werden:
"Während sich der 21-jährige Vater der kleinen Iris-Maria, die Anfang Februar 2006 an den Folgen ihrer Verletzungen gestorben ist, am 21. Juni wegen Mordes vor einem Wiener Schwurgericht verantworten muss, hat die Staatsanwaltschaft Wien das Verfahren gegen die Tante des dreijährigen Rene eingestellt. Ein psychiatrischer Sachverständiger bescheinigt der Frau, die den Kleinen schwer misshandelt haben soll, Zurechnungsunfähigkeit zum Tatzeitpunkt und stuft sie als "nicht gefährlich" ein.(...)
Der mittlerweile 21 Jahre alte Vater soll sich im gerichtlichen Vorverfahren teilweise geständig gezeigt haben. Gegen die 25-jährige Kindesmutter, die von den Misshandlungen gewusst und diese teilweise mitangesehen haben soll, war die Voruntersuchung vorerst noch nicht abgeschlossen.
"Es ist noch ein psychiatrisches Gutachten ausständig", stellte ihre Anwältin Irene Pfeifer am Mittwoch auf Anfrage der APA fest. Die Frau soll dem Vernehmen nach an einem Borderline-Syndrom leiden. Von der gerichtspsychiatrischen Expertise wird abhängen, ob die Justiz weiter gegen die 25-Jährige vorgehen wird. Derzeit wird gegen sie wegen Verletzung ihrer Obsorgepflicht bzw. Vernachlässigung einer Unmündigen im Sinne des Paragrafen 92 Strafgesetzbuch und nicht wegen Mordes als Beitragstäterin ermittelt. Sollte ihr der Sachverständige Zurechnungsunfähigkeit bescheinigen, ist in ihrem Falle eine Einstellung des Verfahrens möglich.(...)"
über den haupttäter erfahren wir hier nichts weiter, obwohl bei einer erweiterten psychiatrischen diagnostik auch zu diesem einiges zu sagen wäre - da bin ich mir ziemlich sicher. dann aber geht es um eine gewalttätige tante und die vernachlässigende mutter - und bei beiden um die frage der zurechnungsfähigkeit - aber mit welchen ergebnissen? ein bereits eingestelltes verfahren und eine mögliche verfahrenseinstellung machen die objektivistische ignoranz von psychiatrie und justiz diesmal aus einer anderen perspektive deutlich: sie missachten grob die allgemeinen schutzinteressen, die bei selbst von der orthodoxen psychiatrie anerkannten psychophysischen störungen nicht primär im reinen verwahren mittels knast liegen können, sondern in einer weitergehenden behandlung/betreuung der beiden betroffenen frauen, bei denen zudem sichergestellt sein muss, dass sie bis auf weiteres keinen kontakt mit kindern mehr bekommen. nunja, vielleicht existieren ja auflagen o.ä., von denen der artikel schweigt - aber wieder scheint mir die entscheidende frage darin zu liegen, wie realitätsgerecht die angewandten psychiatrischen modelle tatsächlich sind - eine borderline-ps kann mit zeitweiligen zuständen einhergehen, die gegen die "objektiven" realitätsnormen verstoßen und dann mehrheitlich als psychotisch begriffen werden, was justiziell dann den zustand der unzurechnungsfähigkeit nahelegt - wie gesagt, eine kann-situation. wenn aber borderline und auch andere persönlichkeitsstörungen nur unter bestimmten umständen derart "entgleisen", und auch nur bei einer minderheit von betroffenen, die ansonsten den anschein eines "normalen funktionierens" bieten - dann drängt sich auch hier der eindruck auf, dass die psychiatrischen modelle bzw. das verständnis von borderline und anderen störungen hoffnungslos in der falle der scheinalternative "(quasi)psychotisch = unzurechnungsfähig oder nicht?" stecken, zumal wenn als entscheidendes kriterium für eine "psychose" einzig und alleine die nichtanpassung bzw. das nichtfunktionieren unter den herrschenden normen von realität verstanden wird. und genau darauf lassen bis heute die kriterien für "psychose" und "unzurechnungsfähigkeit" reduzieren.
es würde mich aber mal interessieren, ob in österreich generell eine borderline-ps mit unzurechnungsfähigkeit gleichgesetzt wird? wenn jemand was darüber weiß - bitte sehr. und schonmal danke.
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wir verlassen die unschöne welt der prozeßberichte und werfen einen blick ins feuilleton - ein schriftsteller nörgelt über den literaturbetrieb und geht bei der zustandbeschreibung seiner kollegInnen bis zum äußersten:
(...)"Wer eine Gesellschaft umbauen will, muss die Menschen neu formatieren. Das klingt nach Science-fiction oder Totalitarismustheorie - und doch ist genau das der Punkt, der mich beunruhigt: dass ein politischer Wille, der ja nichts anderes ist, als der Wille einer bestimmten und überschaubaren Klasse, eine Gesellschaft so effizient durchdringen kann wie Karies meine Zähne. Der süße Geschmack tötet das Bewusstsein dafür ab, dass sich etwas ablagert und bis zur Wurzel durchfrisst. Am Schluss wird der zerstörte Zahn gezogen, an seiner Stelle wird ein neuer, künstlicher, kariesresistenter implantiert. Mit schönen Prothesen dürfen wir dann die Welt außerhalb unser selbst verachten. Erfolg ist, strahlend dort angelangt zu sein, wo wir nie hinwollten.(...)
Wer keine oder zu wenig Beachtung findet, weil die Welt zu groß ist und die Interessen zu vielfältig sind, der beachtet sich eben selbst. Aber nicht im Sinne von Selbsterkenntnis, sondern von Selbststimulation. Das ist neu: Ich brauche nicht mehr die Außenwelt, die Anderen, die Teile meines Selbst spiegeln, Teile, die ich dann zu dem zusammensetze, was man Ich nennt. Ich brauche nur mehr mich selbst und die Außenwelt als Publikum, dem ich eine Vorstellung von mir gebe. Ich definiere also mich selbst, schreibe mir selbst eine Rolle zu und bringe die Außenwelt dazu, mir zu glauben. Das nennt sich dann Erfolg und um nichts sonst geht es als um Erfolg.
Was dabei aufgelöst wird, ist das, was die Psychoanalyse als das kritische Selbst bezeichnet. Üblicherweise werden die Grenzen des Selbst vom Ich realistisch erfasst. Dazu braucht es Selbsterkenntnis - und die tut immer weh, weil damit die Erfahrung der eigenen Begrenztheit einhergeht. Wer diese Erfahrung in den Wind schlägt und sich stattdessen selber auf die Schulter klopft, manövriert sich in eine narzisstische Störung. Wenn diese Störung aber die Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung sein soll, wenn der neu formatierte Mensch sich dadurch auszeichnet, sich seine eigene Wirklichkeit zurechtzulegen und dadurch zur Borderline-Existenz zu verkommen, dann ist das das Ergebnis einer Besorgnis erregenden Borderline-Politik."(...)
eine treffende analogie, wie ich finde (mal abgesehen davon, dass sich über die verwendeten diagnostischen begriffe streiten lässt) - und durchaus auf andere bereiche zu übertragen, worüber sich der autor auch im klaren zu sein scheint.
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verweilen wir noch ein bißchen im kulturteil - ich habe ja bekanntlich ein faible für science fiction, und so sind mir solche gedanken durchaus vertraut:
(...)"Nun hat Science-Fiction eine neue, faszinierende Wendung erfahren. Aus den Einzelkämpfern sind Gruppen von Individuen geworden, deren Anderssein zum möglichen Schicksal eines jeden wird. Die "4400" bekamen ohne eigenes Zutun ein optimiertes Gehirn. Die "X-Men" leben mit angeborenen Mutationen - nur einer fällt aus der Reihe, weil er eine Laborzüchtung aus Wolf, Mensch und Supermetall ist. Sie sind das Ergebnis menschlicher Evolution und stehen in sozialer Konkurrenz zu den Normalos, die Angst vor ihnen haben, weil sie anders und besser sind.(...)
Natürlich ist alles Fiktion. Dennoch finden sich reale Vorbilder - nämlich in der Forschung über Autisten. Spätestens seit "Rain Man" sind Autisten einem breiten Kino-Publikum bekannt. Noch vor 20 Jahren galten die Betroffenen als geistig behindert.
Jeder zehnte Autist hat außergewöhnliche Begabungen, so genannte Insel-Begabungen. Eine hervorragende dreiteilige öffentlich-rechtliche TV-Dokumentation aus Deutschland porträtiert solche Autisten, auch Savants genannt. Sie beherrschen 25 Sprachen, sind Zahlengenies, können Klavier spielen, ohne es gelernt zu haben oder riesige Stadtpläne aus jeder erdenklichen Perspektive zeichnen.
Autisten können besonders gut logisch Denken – auf Kosten der sozialen Fähigkeiten wie Sprechen und Mimiken lesen. Das hat die Betroffenen in früheren Zeiten meist ins soziale Abseits gestellt. Im zaristischen Russland etwas glaubte man, dass autistische Kinder als besonders religiöse Menschen zur Welt gekommen sind und dass die "heiligen Narren" sich freiwillig für ein Leben jenseits aller Konventionen entschieden haben. Heute werden sie untersucht, gefördert und ans Leben herangeführt. Sie können wie die berühmte US-Amerikanerin Temple Grandin Professorin für Verhaltensforschung sein oder als Ehepaar zusammen in einer Wohnung leben.
Autismus hat genetische Ursachen, sagen die meisten Wissenschaftler. Damit lassen sich aber nicht alle Fälle erklären. Andere Forscher behaupten, zu viel Männlichkeitshormone im Mutterbauch oder neurologische Unfälle seien Schuld. Es gibt den berühmten Fall eines ehemaligen Schlägertypen, der nach einem Schlaganfall zu einem zahmen und hoch begabten Bildhauer wurde. Sein Gehirn wurde neu verdrahtet, erklärten seine Ärzte.(...)"
tja, nochmal der hinweis auf den möglichen charakter einer gesellschaftlich produzierten neurophysiologischen und bio-psychosozialen mutation - eine bestimmte gesellschaftsformation züchtet sich quasi mittels (neurologischer) selektion die ihr gemäßen mitglieder. geht nur voll in die hose, wenn die gesellschaft grundsätzlich durch traumatische struktruren geprägt ist - und davon um den preis des eigenen untergangs nichts wissen will.
ansonsten kann gute(!) science fiction imo durchaus zur weiter oben erwähnten nötigen wahrnehmungsveränderung / erweiterung beitragen - so meine eigene erfahrung. und noch etwas zu den benannten "ursachen": "genetisch", "hormonell", "neurologische unfälle": auch hier wieder die fragmentierende wahrnehmung, da es bis auf einzelfälle (und selbst da gilt die suggerierte kausalität nur bedingt) durchaus unzulässig ist, ein multidimensionales geschehen - in dem sinne, das neurologische, genetische und vielfältigste soziale einflüsse zusammen betrachtet werden müssen - so auf einzelne teile zu reduzieren. anders: ein wörtchen wie "genetisch" erklärt ohne den zugehörigenden kontext ersteinmal überhaupt nichts. stattdessen suggeriert es ein real nicht vorhandenes verständnis - aber damit lassen sich viele menschen auch gerne abspeisen. beruhigt ja auch ungemein.
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bleiben wir beim thema autismus: immer neue (und auch alte) erklärungsansätze sorgen für ständigen nachschub an news, siehe z.b. hier
"Wer sich ausruht und seinen Gedanken freien Lauf lässt, blickt oft nach innen und beurteilt dabei die vertraute Umgebung im Zusammenspiel mit der eigenen Person. Bei Autisten sind diese Tagträume nicht möglich. Die Gelegenheit zur Selbstreflexion wird offenbar durch die starke Konzentration auf äußere Einflüsse blockiert.
Wissenschaftler der Universität von Kalifornien vermuten in der fehlenden "Innenansicht" des Gehirns die Ursache für den sozialen und emotionalen Rückzug bei autistischen Personen. Autismus ist durch starke Selbstbezogenheit und Störungen im zwischenmenschlichen Verhalten gekennzeichnet. Oft fällt schon im Kleinkindalter die mangelnde Kontaktaufnahme zu engen Bezugspersonen auf.
In einer Studie verglichen Forscher die Gehirnaktivitäten autistischer Personen mit denen gesunder Probanden. Die während einiger Konzentrationsübungen und in den Ruhephasen gemessenen Daten zeigten, dass die typischen Hirnregionen der Selbstreflexion bei den autistischen Teilnehmern kaum beansprucht wurden. So genannte Netzwerke, die normalerweise in Entspannungsphasen für die Verarbeitung von Erlebnissen sorgen, bleiben bei Autisten inaktiv.
Bei gesunden Menschen wird das Netzwerk erst dann abgeschaltet, wenn anspruchsvolle geistige Aufgaben die volle Konzentration erfordern. Ob die Dysfunktion von gesammelten Eindrücken und deren Aufarbeitung bei autistischen Personen für deren emotionale Störungen verantwortlich ist, sollen weitere Untersuchungen klären."
passt erstens zur u.a. von temple grandin beschriebenen ständigen erregung des nervensystems (was bekanntlich auch ein symptom posttraumatischer zustände darstellt), ist aber zweitens reduktionistisch in dem sinne, dass mir hier zu sehr auf die rein kognitiven fähigkeiten primär des gehirns focussiert wird - ich bezweifle, dass phasen entspannter selbstreflexion auch mittels tagträumen alleine durch die betrachtung der dabei auftretenden neurologischen aktivitäten zu verstehen sind - hier wird vermutlich mal wieder ein ganzkörperliches geschehen (und entspannung spielt sich nun mal im ganzen körper ab) aufgespalten. dazu: tagträume sind nicht gleich tagträume - wenn in einem (relativ) gesunden menschen der objektivistische modus "korrekt" in einer voll entwickelten subjektivität arbeitet, dann ergänzen sich körperliche entspanung und tagträume (als "mentale" und womöglich kreative art, wie sich das gehirn entspannt), zu einem ganzen. wenn der objektivistische modus aber dominiert, dann können tagträume auch einen regelrecht dissoziativen (im pathologischen sinne) charakter bekommen - und stellen dann eher den ausdruck einer tiefgreifenden wahrnehmungsreduktion dar, die womöglich mit regelrechter trance einhergehen kann.
interessant auch der hinweis am ende darauf, dass die uns allen mehr oder weniger bekannten zustände von sog. geistiger konzentration sich tatsächlich als eine art quasiautistischer zustände begreifen lassen - sie basieren auf wahrnehmungsreduktion, die aber im gesunden fall nicht wirklich von der gesamten (körperlich basierten) wahrnehmung trennt - virtuelle räume, in denen bestimmte menschliche optionen verwirklicht werden können. und genau diese ausgangslage scheint mir bei den beziehungskrankheiten in verschiedener art und weise ver-rückt zu sein.
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beim stichwort "virtuelle räume" fällt mir noch eine buchbesprechung ein (ich werde das buch nochmal näher in der passenden rubrik vorstellen):
"Werner Bätzing ist Professor für Kulturgeographie und hat bereits mehrere Bücher zu ökologischen Problemen der Alpenregion geschrieben; Evelyn Hanzig-Bätzing ist Philosophin mit besonderem Interesse an Soziologie und Psychoanalyse. In ihrem ersten gemeinsamen Buch untersuchen die beiden aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen. Sie kommen zu dem Schluß, daß die entfesselte spätkapitalistische Gesellschaft alle bisher für die menschliche Spezies geltenden Grenzen einem allumfassenden Machbarkeitswahn opfert. Permanent geforderte Flexibilität und Leistungsbereitschaft rufen eine massenhafte Entindividualisierung hervor, verwandeln Menschen von handelnden Subjekten in ökonomisch kalkulierbare Objekte. In der Folge käme es zu einem massenhaften Verschwinden des Geschichtsbewußtseins und zu massiven Störungen bei der Wahrnehmung der realen Welt. An deren Stelle trete eine virtuelle Welt der unterschiedslosen Gleichzeitigkeit, in der alles berechenbar, beherrschbar und käuflich ist."(...)
"Evelyn Hanzig-Bätzing konzentriert sich auf die Folgen der sich in der Totalität des Marktes zunehmend wandelnden Lebenswelt für die in diese Welt eingepaßten Menschen. Postmoderne Beliebigkeit ersetzt die gesellschaftskritische Auseinandersetzung; Pille und Bildschirm treten an die Stelle geistigen Lebens. Beziehungsunfähigkeit, Verlorenheit, sexuelle Frustration – die auf Perfektionismus fixierte Gesellschaft bringt reihenweise psychische Krankheiten hervor.
Erschreckend manifestiert sich der Durchmarsch der totalen Leistungsgesellschaft am »Arbeitsplatz Schule«. Kinder, die ähnlichen Streßsituationen wie Erwachsene ausgesetzt werden, verhalten sich analog: Sie werden krank. Bis zu 25 Prozent der Kinder reagieren auf die gestiegenen Anforderungen mit psychischen und psychosomatischen Überlastungs- und Überforderungssyndromen."(...)
tja. dürfte in der reinen beschreibung vermutlich sehr zutreffend sein, und scheint auch über einige tellerränder herauszuschauen. ohne es selbst bisher zu kennen, sage ich mal: tipp.
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im zusammenhang mit den thematiken von beginn dieses beitrages hatte die zeit vor ein paar wochen einen imo recht guten artikel, in dem u.a. das folgende zu lesen ist:
(...)"Gerade das Schicksal des Täters S. illustriert, wie scheinheilig in Deutschland Kriminalpolitik gemacht wird: Gestörte Jugendliche und verurteilte Sexualstraftäter bleiben sich selbst überlassen, die Behörden sind blind für das, was ihnen gegenüber nötig wäre, und taub für alle Alarmzeichen – aber dann, wenn sich die wachsende Störung der Delinquenten in schweren Straftaten entladen hat, dreschen die Volksvertreter – vom Bürgermeister bis zum Bundeskanzler – publikumswirksam auf diese besonders verachtete Tätergruppe ein und rufen nach schärferen Gesetzen, am besten gleich in die nächste Kamera."(...)
und was so ein knastaufenthalt schlimmstenfalls anrichtet, ist sehr nachdrücklich so beschrieben:
(...)"Der psychiatrische Sachverständige Stefan Orlob diagnostiziert bei S. zwar diverse Störungen im Sozialverhalten, die eine drohende Entwicklung hin zu einer dissozialen Persönlichkeitsstörung andeuten könnten, stellt aber keine schwere seelische Abartigkeit fest. Im Urteil schließen die Richter aus den Ausführungen des Sachverständigen, dass S. durch gezielte Maßnahmen noch zu retten ist. Deshalb ordnen sie an: »Im Vollzug wird der Angeklagte dringend sozialtherapeutischer Hilfe bedürfen, um so die bei ihm festgestellten Defizite aufzuarbeiten.«(...)
"Als Stefan Orlob, der Sachverständige, der Maik S. nach der Vergewaltigung schon einmal untersucht hat, ihn nach dem Mord an Carolin ein zweites Mal begutachtet, trifft er auf einen Verschlossenen. Der Proband erleichtert sein Gewissen nicht mehr durch ein Geständnis, er schweigt zu seiner Tat. Orlob findet einen gefühlskalten und rücksichtlosen Menschen vor, dessen dissoziale Persönlichkeitszüge sich im Gefängnis zur Psychopathie verfestigt haben. Für irgendein Tätertherapieprogramm sei der Angeklagte wohl nicht mehr erreichbar, stellt der Gutachter fest."(...)
zwischen den beiden obigen absätzen ist zu lesen, wie die (eh schon begrenzten) möglichkeiten zur inneren veränderung des späteren mörders in einem wust aus behördlichem desinteresse und ignoranz verschwinden - so werden tatsächlich unter staatlicher aufsicht soziopathische persönlichkeiten erzeugt. und nicht umsonst werden knäste bekanntlich auch "schulen des verbrechens" genannt.
lesenswert wird der artikel auch durch die zwar nicht neue, aber dennoch immer wieder zu wiederholende feststellung der diskrepanz zwischen der seit jahren in den meisten bereichen rückläufigen kriminalität (in der offiziellen definition) einerseits und dem parallel zunehmenden unsicherheitsempfinden bei vielen menschen andererseits. hier geht es deutlich um wahrnehmungsweisen und -inhalte, und die haben zentral etwas mit psychophysischen zuständen zu tun bzw.drücken sie aus und prägen sie. die erwähnte diskrepanz ist hier ebenfalls für die zukunft als eigenes thema vorgemerkt.
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um schwere verbrechen, die allerdings selten bis nie geahndet und oft genug nicht mal als solche definiert werden, ging es vor ein paar wochen in einem schwerpunkt der taz - im dossier "kapital ohne moral" ist u.a. zu lesen:
"Aus den Schießscharten des gepanzerten Mercedes-Transporters spucken die Mündungsfeuer von acht Maschinengewehren. Wenn die brasilianische Spezialpolizei Drogenhändler in den Slums von Rio de Janeiro jagt, spielen zivile Opfer keine Rolle. Einwohnern, die sich nicht rechtzeitig verstecken, kann es ergehen wie dem elfjährigen Carlos Henrique. Bei einer Razzia im Elendsviertel Vila do João traf ihn im vergangenen Juli eine Kugel in den Kopf. Sie wurde aus einem Polizeipanzer abgefeuert.
Elf Personen kamen allein zwischen Mai und September 2005 auf diese Art ums Leben, sagt Katharina Spieß von amnesty international. Die Menschenrechtsorganisation hat Augenzeugenberichte gesammelt und eine Kampagne gegen die Polizeigewalt in Rio gestartet.
Amnesty international wirft DaimlerChrysler vor, dessen Produkte würden benutzt, um Menschenrechte zu verletzen. DaimlerChrysler verstoße gegen eigene und internationale Standards, denn der Konzern hat offiziell unterschrieben, alles zu tun, dass so etwas nicht passiert. DaimlerChrysler ist Mitglied im Globalen Pakt der Vereinten Nationen. Eins der Prinzipien des Vertrages verlangt, "dass Ihr Unternehmen sich nicht an Menschenrechtsverletzungen beteiligt". Bürgerrechtsorganisationen und Gewerkschaften fordern - so wie amnesty von DaimlerChrysler - auch von anderen Konzernen, die grundlegenden Menschen- und Arbeitsrechte nicht nur theoretisch zu akzeptieren, sondern sie auch praktisch einzuhalten.
"Totenschädel" heißen die schwarz gestrichenen Panzerfahrzeuge von Rio de Janeiro im Volksmund. Von einem Schwert durchbohrt ziert der Totenkopf das Wappen des "Bataillons für Spezialoperationen" (Bope) der Polizei von Rio de Janeiro. Bope-Kommandeur Venâncio Moura beschreibt die Tätigkeit seiner Truppe so: "Wie operieren wie in einem konventionellen Krieg: Die Panzer fahren voraus, die Infanterie umzingelt den Feind." Einwohner der Favelas berichten, dass die Lautsprecher der Panzerwagen im Einsatz verkünden: "Wir kommen, um eure Seelen zu holen."
Mit einem Foto von einem "Totenschädel"-Fahrzeug - im Brasilianischen "Caveirão" genannt - dokumentiert amnesty, dass die Spezialpolizei Produkte von DaimlerChrysler verwendet. Der Mercedes-Stern am Kühler des Panzerwagens ist deutlich zu sehen. In ihrem Brief an DaimlerChrysler-Direktor Michael Inacker schreibt die Menschenrechtsorganisation, dass "Fahrgestelle von Mercedes-Benz noch immer in Caveirãos der Polizei von Rio de Janeiro benutzt werden".
Die Recherchen von amnesty international haben ergeben, dass Mercedes-Fahrzeuge von der brasilianischen Firma TCT Blindados zu Polizeipanzern umgebaut worden seien. Auf der Internetseite von TCT, die mittlerweile nicht mehr erreichbar ist, waren bis vor wenigen Tagen Bilder von Panzerwagen mit den Emblemen von Mercedes und Ford zu sehen."(...)
passend dazu ein interviewauszug aus einer printausgabe des "ai-journals":
"Ein Krieg gegen Arme"
ai: Wer ist in Brasilien von der Gewalt besonders betroffen?
Marcelo Freixo: Die öffentliche Sicherheit in Brasilien befindet sich in einem sehr bedrohlichen Zustand. Insbesondere die Zahl der Personen, die von der Polizei getötet wurden, hat sich in den vergangenen Jahren eklatant erhöht. Durchschnittlich werden in Rio de Janeiro drei Menschen pro Tag erschossen. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es eine so hohe Tötungsrate durch die Polizei wie in Rio. Und das sind nur die offiziellen Zahlen - die Dunkelziffer ist noch viel höher. Insgesamt kommen in Brasilien jedes Jahr etwa 40.000 Menschen durch Schusswaffen ums Leben. Und die meisten Opfer sind arm und haben eine schwarze Hautfarbe.
Elizabete M. de Souza: Mein 13-jähriger Bruder wurde im Januar 2004 in Caju, einer Favela in Rio, von der Polizei erschossen, zusammen mit vier anderen Jugendlichen. Nach Angaben der Beamten haben die Opfer zuerst das Feuer eröffnet. Doch ein Augenzeuge berichtete, dass es eine regelrechte Exekution war. Nach seiner Aussage musste er mit seiner Familie das Viertel verlassen - aus Angst vor der Polizei. Ich habe damals gemeinsam mit anderen Angehörigen von Opfern eine Initiative gegründet, weil der Fall meines Bruders keine Ausnahme ist. Wir haben unsere Geschwister verloren, Vater und Ehemänner - und die Regierung unternimmt nichts. Wir wollen Gerechtigkeit. Die Täter müssen sich vor Gericht verantworten.
ai: Warum handelt die Regierung nicht?
Freixo: Der Grund liegt nicht in der Inkompetenz der Behörden. Die Ursachen liegen vielmehr in einem Konzept der öffentlichen Sicherheit, das alle Opfer einfach als Drogenhändler oder Kriminelle darstellt, gegen die nur Gewalt hilft. Und eine schlecht informierte Öffentlichkeit akzeptiert dieses haben viele Berichte und Empfehlungen an die Regierung gerichtet. Deshalb müssen unsere Nachforschungen absolut korrekt sein. Dabei stützen wir uns vor allem auf ein Netz von Menschenrechtsorganisationen und sozialen Bewegungen. Insbesondere mit amnesty international arbeiten wir seit Jahren eng zusammen.
ai: Weshalb wird die Polizeigewalt in einem so hohen Maße akzeptiert?
Freixo: Die öffentliche Meinung in Brasilien toleriert Polizeigewalt, weil diese Gesellschaft durch die Angst geprägt ist. Die Opfer stammen aus den armen Vierteln, doch die Angst regiert in den reichen Bezirken. Diese Angst führte auch zur Niederlage bei dem Referendum über die Waffenabgabe im vergangenen Oktober. Was wir vor allem brauchen, ist daher ein anderes Konzept von Sicherheit - ein Konzept, das die Armut und nicht die Armen bekämpft.
de Souza: Wer nicht in den Armenvierteln wohnt, fühlt sich durch deren Bewohner bedroht, als wenn sie alle in das Verbrechen involviert wären. Dabei kommen die Bediensteten der Mittel- und Oberschicht, die Kindermädchen, Pförtner und Hausangestellten, in der Regel alle aus der Favela.
ai: Werden Sie selbst bedroht?
Freixo: Wie viele andere Menschenrechtsverteidiger in Brasilien muss ich mit einer gewissen Gefahr leben. Dagegen gibt es keinen Schutz. Von den Behörden können wir jedenfalls keine Hilfe erwarten.
de Souza: Nachdem ich Anzeige wegen dem Tod meines Bruders erstattet hatte, erhielt ich die ersten Drohungen. Ein Mann sagte am Telefon, dass sie auch meine Tochter töten könnten. Ich schlafe deshalb nicht mehr zu Hause, sondern bei Freunden. Mein Kind habe ich außerhalb der Stadt untergebracht. Der Anruf kam aus einer Polizeistation.
(Interview: Anton Landgraf)
die einen nennen so etwas "demokratie und freie marktwirtschaft", andere nennen es neoliberalismus, wieder andere kapitalistischen staatsterrorismus. in meinen augen sind das alles synonyme - recherchieren Sie hier im blog einmal mit der internen suche und dem keyword "mafia".
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und sonst? wm-zeit ist tittytainment-zeit - und es hat mich schon etwas in den fingern gejuckt, aus der perspektive dieses blogs heraus sowohl die einzelnen teilnehmenden länder als auch erscheinungen wie den hooliganismus näher zu beleuchten. aber bei ersten vorbereitenden recherchen habe ich schnell gemerkt, dass so ein vorhaben derzeit einfach meine persönlichen kapazitäten übersteigt. wer einigermaßen interessiert ist und mitverfolgt, wie sich die soziale realität hier entwickelt, wird wahrscheinlich sowieso dieses globale event einzuschätzen wissen. wobei ich persönlich mich gleichzeitig mit der dramatik und auch ästhetik wirklich guten fussballs durchaus vergnügen kann. aber das sollte den blick trotzdem nicht trüben - von der korrupten fifa angefangen über die sponsoren coca-cola und die hamburgerbraterei bis hin zur gnadenlosen auslese in den fußballzentren brasiliens und der instrumentalisierung eventueller wm-erfolge durch die regierungen diverser staaten zwecks kaschierung antisozialer maßnahmen gibt es mehr als genug, was mehr als übel aufstößt.
wachsam bleiben, kann da nur die devise lauten.
na, was verbinden Sie mit diesem satz? die bibel? august bebel? stalin? hitler? alles richtig, und aktuell doch unvollständig - die liste gehört erweitert um den amtierenden arbeitsminister und führenden kopf der sog. sozialdemokratischen partei deutschlands, franz müntefering, dem es nach seiner heuschrecken-metapher jetzt wieder einmal gelungen ist, tief in den kübel (prä-)faschistischen denkens/fühlens zu greifen - wir lesen :
"(...) Der Arbeitsmarktpolitiker Ottmar Schreiner nahm dies zum Anlass einer umfassenden Abrechnung mit dem zentralen Reformwerk der rot-grünen Regierung. Hartz IV habe unter beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten komplett versagt, schimpfte Schreiner. Die eingeführten Instrumente würden nun klammheimlich beerdigt. Von den Personal-Service-Agenturen, die einst als Herzstück der Reform gegolten hätten, sei schon lange keine Rede mehr. Die Ich-AGs würden soeben abgeschafft. Überlebt hätten nur die Ein-Euro-Jobs, die jedoch in keiner Weise dazu beitrügen, Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, hielt er der versammelten Fraktion und insbesondere dem Arbeitsminister vor.
Was man brauche, sei eine komplette Neuordnung der Beschäftigungspolitik und nicht ein Gesetz, das nur an den Symptomen herumdocktere und zudem Hartz-IV-Empfänger einer stärkeren Kontrolle unterwerfe als Steuerbetrüger, forderte der als streitbarer Linker bekannte SPD-Politiker außerdem.
Damit hatte er die Nerven von Franz Müntefering jedoch offenbar überstrapaziert. Schreiner sei ein „Obermoralisierer“, bolzte der Arbeitsminister zurück. Um dann einen Satz zu zitieren, der die Gemüter nicht beruhigte. „Nur wer arbeitet, soll auch essen“, sagte der Arbeitsminister. Eine Erläuterung, die in der Fraktion nicht besonders gut ankam.(...)"
zu den hintergründen dieser - hm, ideologie empfehle ich den folgenden artikel, der auch mögliche psychophysische dispositionen anspricht, die nötig sind, um einen solchen, letztlich offen faschistischen gedanken entwickeln zu können. wobei ich zwar die gedanken von theweleit inspirierend finde, aber aufgrund ihrer basis in der freudschen psychoanalyse von heute betrachtet auch zu begrenzt.
und mit dem wort "obermoralisierer" betreibt müntefering eine form der nichtdiskussion, die hier in einem ebenfalls unerfreulichen kontext schon thematisiert wurde - das muster ist das gleiche.
die zeichen mehren sich jedenfalls und machen jetzt schon offen deutlich, dass die finale auseinandersetzung mit dem, was als faschismus bekannt ist, immer noch aussteht. parasiten- und insektenmetaphern, die duldung offen nationalsozialistischer organisationen, "du bist deutschland" - geschwätz, und jetzt ein satz, der von den nazis konsequent zum motto "arbeit macht frei" vorangetrieben wurde. dazu die öffentlich kaum wahrgenommenen entwicklungen in der sog. "euthanasie"-debatte, der ständig hysterischer werdende diskurs um die sog. "innere sicherheit" undundund - alles zusammen ergibt das etwas, was für schlaflose nächte sorgen sollte. es wird höchste zeit, aus unserer sozialen trance aufzuwachen!
das ist realität:
"Wer versucht, die nüchternen Zahlen des Unicef-Kinderberichts 2006 vor seinem inneren Auge mit Leben zu erfüllen, den schaudert's: 143 Millionen Waisenkinder, 100 Millionen Straßenkinder, 70 Millionen Schwerarbeiter unter zehn Jahren, eine Million kindliche Gefängnis-Häftlinge, bis zu 300 000 Kindersoldaten, 600 Millionen Kinder in absoluter Armut. Zwölf Millionen an Hunger und Krankheit gestorbene Kinder pro Jahr - das sind 33 000 tote Kinder pro Tag."
nur mal als erinnerung - in dem betreffenden artikel geht es aber "eigentlich" um eine versteckte art dieser gewalt:
"Eine besondere Form der Kindesmißhandlung manifestiert sich darin, die kleinen Wesen zu Höchstleistungen anzutreiben, um Geld damit zu verdienen oder das eigene matte Ego mit den Triumphen von Sohn oder Tochter aufzupolieren. Auch der eine oder andere Tennis-Star wird ein Klagelied davon singen können."
die dann folgenden beispiele sind durchaus bezeichnend, wenn auch nur die spitze des eisbergs - aber wie üblich kam dem autor nicht in den sinn, dass die zweifellos pervertierten eltern nicht alleine auf diesen mörderischen trip gekommen sind, sondern dazu weltweit angestiftet werden - das wort leistung wird innerhalb von gesellschaften, in denen verschiedene modi von objektwahrnehmungen vorherrschen, ganz zwangsläufig zum fetisch. nicht mehr das sein eines menschen (welches im objektivistischen wahrnehmungsmodus faktisch nicht existiert) macht den unterschied aus, sondern die leistungsfähigkeit - koste es, was es wolle!
innerhalb der letzten tage ließen sich etliche berichte und artikel finden, die hinsichtlich der thematiken dieses blogs aufschlußreich sind - eine kommentierte auswahl:
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der tagesspiegel aus berlin kommt heute mit einigen hintergrundinformationen zum thema mütter und infantizid:
(...)"Experten gehen in Deutschland von jährlich 40 bis 50 Fällen der Kindstötung durch die Eltern (Infantizid) aus, die entdeckt werden.
Häufig töten Mütter nach Aussagen von Psychologen, weil sie aus ihrer eigenen Situation keinen Ausweg sehen und das Kind nicht allein leben lassen wollen. Die meist gebildeten Mütter begehen dann einen «erweiterten Selbstmord». So ertränkte eine geistig verwirrte Krankenschwester im Mai 1999 bei Stendal (Sachsen-Anhalt) ihre zwei Kinder und versuchte anschließend, sich selbst das Leben zu nehmen. Sie wollte ihren Kindern «ein schlimmes Leben ersparen».
Allein Erziehende mit mehreren Kindern oder emotional instabile Frauen, die an einer so genannten Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden, fühlen sich mit der Erziehung oft überfordert. Zwischen 1992 und 1996 erstickte eine Mutter mit Borderline-Syndrom ihre drei Kinder in Ratekau (Schleswig- Holstein), weil sie nicht aufhörten zu schreien.
Sterben Kinder an den Folgen von Vernachlässigung, stammen die Eltern meist aus sozial schwachen Verhältnissen. So verhungerte die siebenjährige Jessica aus Hamburg im März 2005 qualvoll. Die arbeitslosen Eltern hatten ihre Tochter in einem völlig dunklen, ungeheizten Zimmer wie eine Gefangene gehalten.(...)"
"fälle, die entdeckt werden" - und die betonung ist wichtig.
die hinweise auf zusammenhänge mit borderline und/oder der ökonomischen lage in infantizidalen familien sind nichts grundsätzlich neues; dazu werden noch "auslöser" wie drogenabhängigkeit (hinter der in sehr vielen fällen aber auch traumatische biographien und/oder persönlichkeitsstörungen zu finden sind) sowie die klassische wochenbettpsychose genannt. um dann mit dem hinweis auf die hier schon öfter thematisierte transgenerationelle gewaltspirale zu schließen:
"Vielen gewalttätigen Müttern wurde in der Kindheit selbst Gewalt zugefügt, wie in etlichen Prozessen zu Tage kam."
wie wäre es denn, daraus mal endlich konsequenzen zu ziehen? hm?
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wir bleiben beim thema und landen in der taz, die vor ein paar tagen wieder einmal eine der meist sehr lesenswerten reportagen von gabriele goettle veröffentlichte, die dieses mal unter der überschrift "Kindesmisshandlung - Eine Rechtsmedizinerin erzählt" eine forensisch tätige medizinerin aus ihrer praxis erzählen lässt, zu der auch ein bisher einmaliges forschungsprojekt gehört:
"Am Leipziger Institut für Rechtsmedizin arbeitet Frau Dr. Ulrike Böhm mit einem kleinen Team seit längerem an einer Studie über "Tödliche Kindesmisshandlung und Kindesvernachlässigung in der BRD vom 3. Oktober 1990 bis 31 Dezember 1999".
ich kann den ganzen artikel allen interessierten nur empfehlen.
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das filmfestival ausnahmezustand wird ab dem 27. april bis zum oktober in 70 deutschen städten station machen:
"Gezeigt werden aktuelle Dokumentationen aus den USA, der Schweiz, Norwegen, Italien, Frankreich und Deutschland, die hierzulande noch nicht im Kino zu sehen waren, erklärt Projektkoordinator Hans Habiger. Acht Filme, die unterschiedlicher nicht sein könnten, beschäftigen sich mit Depressionen, Psychosen, Schizophrenie, Essstörungen oder Suizid. Im Zentrum steht die Wahrnehmung der Betroffenen und die Auswirkungen der seelischen Erkrankungen für deren Umfeld. Spielfilme wurden ganz bewusst ausgeklammert."
klingt sehr spannend, und sollte gerade vor dem hintergrund des folgenden wirklich viele zuschauerInnen finden:
"Denn psychische Erkrankungen sind ein ernst zu nehmendes Problem. Jeder Dritte Europäer durchlebe nach Angaben der Veranstalter einmal in seinem Leben eine größere psychische Krise. Bei vierzig Prozent der Betroffenen drohe die Gefahr, dauerhaft zu erkranken, besagt eine Studie der TU Dresden. Markos Kyprianou, Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz der EU, geht sogar noch einen Schritt weiter: "Psychische Erkrankungen sind Europas unsichtbare Killer."
und weisen damit auch wieder auf die sozialen verhältnisse zurück, die eine wesentliche rolle bei der entwicklung vieler psychophysischer störungen spielen.
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das autismus in vermutlich allen seinen möglichen bekannten und noch unbekannten varianten zentral etwas mit störungen der selbst- und fremdwahrnehmung zu tun hat, und sich diese auch in dem finden und manifestieren, was sich als "senso-motorische fähigkeiten" bezeichnen lässt, diese these ist hier im blog nicht unbedingt unbekannt und wird jetzt durch neue forschungen untermauert:
"(...) Vor allem beim Erkennen so genannter biologischer Bewegungsmuster schneiden die jungen Asperger-Autisten schlecht ab. Um herauszufinden, warum ihre Bewegungswahrnehmung verändert ist, führt Christine Freitag ihren Patienten einen kleinen Film vor. Er zeigt einige tanzende weiße Punkte vor schwarzem Hintergrund. Manchmal ergeben die weißen Punkte einen gehenden Menschen.
Wir haben hinterher auch die Reaktionszeiten gemessen, wie schnell sie diese Person erkannt haben. Und da hat sich auch deutlich gezeigt, dass sie eben auch deutliche Probleme haben, die wahrzunehmen. Das heißt, es ist kein Problem des Sehsystems, sondern es ist ein Problem, das tiefer liegt, nämlich auf der Ebene der automatisierten Wahrnehmung von Bewegungsmustern. Also das ist offensichtlich bei autistischen Jugendlichen sehr viel schlechter ausgeprägt als bei den Kontrollen.
Was genau bei der automatisierten Wahrnehmung von Bewegungsmustern bei den autistischen Jugendlichen schief läuft, zeigen Aufnahmen mit dem so genannten Kernspintomographen. Dieses bildgebende Verfahren erlaubt den Forschern einen Blick in das arbeitende Gehirn. Bei den Jugendlichen mit Asperger Syndrom waren einige Bereiche in der linken Gehirnhälfte nicht aktiv.
Diese Zentren, die normalerweise aktiviert werden, wenn biologische Bewegung verarbeitet wird, wurden bei den autistischen Jugendlichen einfach nicht aktiviert. Das heißt, offensichtlich nehmen die diese Bewegung aus dem Grund schlechter wahr, weil da in dem Schläfenlappen das Gehirn anders funktioniert als bei gesunden Jugendlichen.(...)"
die mögliche bedeutung dieser information wird für die meisten unter uns vermutlich erst dann deutlicher werden können, wenn allgemein ein größeres bewusstsein über die rolle bspw. von propriozeption und vestibulärer wahrnehmung vorhanden ist, die sehr viel sowohl mit unseren bewegungsmöglichkeiten als auch unserem selbstgefühl zu tun haben. die meldung verstärkt meine bereits vorhandenen überlegungen, "wahrnehmung" zukünftig als eigenen schwerpunkt im blog zu behandeln.
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zum thema "familienpolitik" bzw. der "neuen mütterlichkeit", die momentan verstärkt gepredigt wird, eventuell in den nächsten tagen mehr - ich bin aus diversen gründen z.zt. zu sehr genervt, sowohl von der form als auch den inhalten dieser medial-öffentlichen debatte.