aufgewärmt: der kapitalismus als opferökonomie (zum "sparpaket") [update]

"80 Milliarden Euro sparen Sie nicht so mit der Nagelschere"

(
g. westerwelle)

*

nagelschere? nein? also eher messer, metallschere, kettensäge? diese metaphorik, bei der sich bilder von verstümmelungen und strömendem blut ganz von selbst aufdrängen, ist nun weder neu in der geschichte, noch ist noch niemals speziell über die herkunft dieser begriffswelt nachgedacht worden. einige assoziationen dazu und auch zur frage, warum denn nicht nur die unmittelbar betroffenen hierzulande nicht aus ihrer apathie herauskommen, finden sich in diesem beitrag:
ist der kapitalismus auch eine opferökonomie ? anmerkungen zur psychohistorischen sicht auf ökonomische krisen daraus, speziell vor dem hintergrund der heutigen "historischen" beschlüsse bzgl. der frage, wer hierzulande zukünftig als zu opfernde gruppen ausgewählt worden ist, ein auszug aus meinem damaligen fazit:

"und trotzdem kann der ansatz auch hierzulande zum erweiterten verständnis befruchtend sein, wenn nämlich einfach hinsichtlich der aktuellen politik von einer gewünschten ausgegangen wird, und zwar gerade deswegen, weil sie verheerende soziale konsequenzen nach sich zieht und ziehen wird. die dazu nötigen psychoklassen hatte neulich ausgerechnet peer steinbrück explizit und beispielhaft benannt, nämlich in dem fall die generation der kriegskinder des wk2, die sich nach den psychohistorischen kriterien durchaus als klasse verstehen lassen. und mehrheitlich immer noch in ihren traumatischen lebensbezügen feststecken, diese teils schon weitergegeben haben (da weiss ich sehr gut, wovon ich rede...) und in ihrem zustand die öffentlichen diskurse mitbestimmen. es geht dabei nicht um mehr oder weniger sinnlose schuldzuweisungen, aber ich denke, wir brauchen dringend ein erweitertes verständnis gesellschaftlicher prozesse. und da sollten ansätze wie der hier skizzierte und eher "klassische", soziologische und ökonomiekritische nicht als widersprüchlich, sondern als ergänzend empfunden werden."

da ich zumindest kein tv verfolge, möchte ich die leserInnen darum bitten, heute und in den nächsten tagen bei öffentlichen auftritten der "regierenden" mal genauer auf die verwendete sprache zu achten - wenn Ihnen irgendwas daran auffällig erscheint, würde ich mich über hinweise in den kommentaren sehr freuen.

*

edit am 08.06.: in einem redaktionellen kommentar fordert die "frankfurter rundschau" derzeit,
Auf die Strasse! zu gehen - das finde ich immerhin erstaunlich - kann mich gerade nicht daran erinnern, ähnliches aus dem hiesigen medialen mainstream gegen die offizielle regierungslinie schon mal gelesen zu haben. die kommentare unter dem artikel geben dazu einen kleinen eindruck, wie weit die soziale polarisierung inzwischen gediehen ist...
Quirinus (Gast) - 9. Jun, 14:50

Wörter wie "Kettensäge"

werden in der Metaphorik unserer Politiker gewiß noch eine große Rolle spielen, und zwar insbesondere der jüngeren Politiker. Und die werden es, wie so oft, den Journalisten überlassen, jetzt noch in der Politik tabuisierte Begriffe salonfähig zu machen, und sie dann 'nur' zitieren, bis sie sich verselbständigen. Hier eine Meldung von gestern:
Graz (OTS) - Allein die Zahl für sich genommen ist beeindruckend: 80.000.000.000 Euro. So hoch beziffert die deutsche Regierung ihre Sparpläne bis zum Jahr 2014. Sparen mit der Nagelschere ist da nicht möglich, wie es der Vizekanzler und FDP-Chef Guido Westerwelle betont. Nein, das ist ein Einschnitt mit der Kettensäge in den Sozialstaat.
Und woher kennen jüngere Journalisten wie Ingo Hasewend solche Szenen? In allererster Linie aus der Popkultur, wo sie nicht zufällig massenhafte Verbreitung fanden, als gegen Ende der 70er Jahre immer mehr Jugendliche ihren täglichen Zustand mit "boredom" und "Langeweile" beschrieben, sich nach einem befreienden "Chaos" voller "Gefühl und Härte" sehnten und massenhaft Filme mit Kettensägenmassakern zu rezipieren begannen. Solche Filme wären heute wohl auch ein fester Bestandteil der Unterhaltungsindustrie, hätte es die beiden Weltkriege nie gegeben. Und tatsächlich wurde (und wird) ja zugunsten solcher Filme von Experten oft damit argumentiert, sie böten ein Ventil für alle Aggressionen und dienten somit dem Frieden. Deshalb ist es auch kein Zufall, daß es gegen Ende des 20. Jahrhunderts Mode wurde, jede Reihe von Kürzungen des Sozialetas als "Katalog der Grausamkeiten" zu bezeichnen und derlei Phrasen achzelzuckend hinzunehmen. Diese Passivität ist nicht zuletzt eine Folge der Marginalisierung des muttersprachlichen und des Literaturunterrichts seit Beginn der 70er Jahre. Ganze Schüler- und damit auch Politiker- und Journalistengenerationen haben es nicht mehr gelernt, genau zu lesen und zuzuhören - und wurden damit zur leichten Beute derer, die schon immer von der Unbildung der Massen profitiert haben und jetzt auch in den hochindustrialisierten westlichen Ländern endlich wieder massiv davon profitieren können. Denn sprachlicher und politischer Analphabetismus gehen Hand in Hand. Die detailliertesten und erschütterndsten Fakten bleiben selbst bei den emotional noch intakten Menschen ohne nachhaltige Wirkung, wenn sie nicht reflektiert werden. Und das ist nur möglich mittels der Sprache - eine Binsenwahrheit, die jedoch vor 30 Jahren gerade von den vermeintlich fortschrittlichsten meiner Lehrerkollegen vehement bestritten wurde, auch deshalb rapide in Vergessenheit geriet und erst allmählich von einigen wieder akzeptiert wird. Doch was damals angerichtet wurde, ist nicht rückgängig zu machen. Mittlerweile kann man den Leuten buchstäblich alles erzählen - und die allermeisten merken nicht mehr, was ihnen da vermittelt wird. Metaphern? Sind doch völlig unwichtig. Es kommt doch nicht auf irgendwelche Formulierungen, sondern nur auf die jeweils gemeinten Fakten an. In diesem Sinne sagte mir einst ein Mitglied der Bremer WASG: "Wir sind doch hier nicht in irgendeinem Literaturzirkel. Wir machen hier Politik."

Und die sieht dann eben irgendwann auf allen Seiten so</<> aus.

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