notiz: krisennews spezial - italien, oder wenn unter berlusconi die schwarze sonne aufgeht... [3. update am 10.08.]

im februar schrieb ich in einer folge der krisennews mit bezug auf italien u.a. dieses:

(...)""Der Regierungschef fällt mit einer neuerlichen Provokation auf: Als Reaktion auf mehrere Vergewaltigungen will er per Dekret Bürgerwehren gestatten und 30.000 Soldaten einsetzen. Italiens schöne Frauen könne er dennoch nicht alle beschützen."(...)

berlusconi hat sich ja schon mehrfach als hochgradig narzißtisch, zynisch und antisozial geoutet, aber damit hat er sich wieder einmal selbst übertroffen. der reihe nach:(...)

und ich betrachte gerade die "legalisierung" von sog. bürgerwehren als alarmzeichen allerersten ranges, denn es dürfte nur zu klar sein, was für leute sich da sammeln werden. faschistische schlägertrupps unter regierungsfuchtel, angeblich im interesse vergewaltigter frauen unterwegs. berlusconi ist noch viel widerwärtiger, als es bisher den anschein hatte.(...)

und vor diesem hintergrund ist leider ein ganzes stück realität an dem fazit, welches die autorInnen bei indy ziehen:

"Italien ist nun ein faschistisches Land mit einer faschistischen Regierung."

und anscheinend hat´s kaum jemand bemerkt - oder es stört niemanden."(...)


*

"geschichte wiederholt sich nicht", sagen die einen, während andere zuerst eine tragödie, dann die komödie sehen möchten. mir hingegen ist inzwischen ganz anders, aber der reihe nach - zuerst einen tieferen
einblick v.a. in die dortige aktuelle ökonomische situation:

(...)"Mitten in einer schweren ökonomischen Krise – offiziell Italiens vierte Rezession in einem Jahrzehnt – hat Berlusconis Regierung eine Serie von Angriff en auf ArbeiterInnen, MigrantInnen und StudentInnen gestartet, dem Vatikan erlaubt, die Politik zu diktieren1 und die parlamentarische Demokratie mit der Durchsetzung einer Reihe von „Notverordnungen“ umgangen.

Italiens Rezession verschärft sich, obwohl die Antwort der Regierung bis jetzt darin bestand, „sich im allgemeinen so zu verhalten, als würde sie nicht existieren“. Finanzminister Guilio Tremonti sagte im Januar diesen Jahres: „Sie werden sehen, dass wir unsere Position in dieser Krise verbessern werden, auch wenn das nur deshalb geschieht, weil andere Nationen schneller zurückfallen.“2 – ganz entgegen der Tatsache, dass Italiens Wirtschaft im letzten Quartal des Jahres 2008 mit einem Rückgang von 1,8 Prozent rascher geschrumpft ist, als in jedem anderen Jahr seit 1980. Erst im März gab er widerwillig zu, dass dem Land „ein schwieriges Jahr“ bevorstehe.

Dies ist wahrscheinlich eine beträchtliche Untertreibung: ÖkonomInnen gehen davon aus, dass Italiens Krise in „verkehrter Reihenfolge“ zuschlagen wird, sodass sich der Einbruch in der Produktion in einem Zusammenbruch der Banken auswirken wird.3 Die Arbeitslosigkeit steigt und ArbeiterInnen bekommen die Auswirkungen der Krise deutlich zu spüren.(...)

Berlusconis Regierung hat sich währenddessen auf die Ärmsten der italienischen Gesellschaft eingeschossen. Seine grausame Anti-MigrantInnen Politik schließt ein „Sicherheitspaket“ ein, das per Notverordnung eingeführt wurde und in dem medizinisches Personal und HausbesitzerInnen angewiesen werden, mutmaßlich illegale MigrantInnen zu melden. Berlusconi und seine Partner aus der Lega Nord und der „postfaschistischen“ Nationalen Allianz haben in Folge mehrerer Vergewaltigungen, die vorgeblich von Nicht-Italienern begangen wurden und denen große mediale Aufmerksamkeit zuteil wurde, ganz bewusst Migration mit Verbrechen in Verbindung gebracht. Reagiert hat die Regierung mit lebenslänglichen Freiheitsstrafen für die Vergewaltigung Minderjähriger und Überfälle, in denen das Opfer getötet wird. Mit dem Vorschlag, allen Nicht-ItalienerInnen Fingerabdrücke abzunehmen strebt sie die Kriminalisierung aller MigrantInnen an. Am bedenklichsten ist, dass sie den Einsatz von Straßenpatrouillen vorgesehen hat, die von unbewaffneten und unbezahlten Freiwilligentruppen („ronde“) durchgeführt werden – darunter auch pensionierte PolizistInnen und SoldatInnen."(...)


der ganze beitrag gibt einen brauchbaren überblick zur lage in italien, und die art der "krisenbewältigung", die seitens des dortigen regimes aus purer leugnung einerseits und aktivierung der übelsten gesellschaftlichen spaltungslinien (rassismus etc.) andererseits besteht, ist ein vorgehen, welches in unterschiedlich krassen ausprägungen auch in anderen europäischen staaten zu beobachten ist. berlusconi und seine offen faschistischen verbündeten haben das ganze aber jetzt auf eine vorläufige spitze getrieben; das ganze sog. "sicherheitspaket" hat
heute die letzte formale hürde genommen, was u.a. bedeutet:

(...)"Das neue Gesetz legalisiert Bürgerwehren. Die Gruppen unbewaffneter Bürger sollen in ihren Wohnorten patrouillieren und der Polizei Unregelmäßigkeiten melden. Sie sollen vor allem aus Polizisten in Pension bestehen."(...)

und so sieht zumindest ein teil der "gruppen unbewaffneter bürger" aus:

(buergerwehr-)uniform der italienischen neofaschisten
<br />
quelle: blog.libero.it


erinnert Sie das an irgendwas? und kommt Ihnen vielleicht auch das symbol auf der armbinde bekannt vor, die "schwarze sonne"?

"Die Schwarze Sonne ist ein Symbol aus zwölf in Ringform gefassten gespiegelten Siegrunen. Vorlage für das Symbol ist ein ähnliches Bodenornament in Gestalt eines Sonnenrades, welches in der Zeit des Nationalsozialismus von der SS im Nordturm der Wewelsburg eingelassen wurde."

es dürfte durchaus leute geben, die einen derartigen zombiemaskenball als so lächerlich empfinden, wie er tatsächlich auch ist - einerseits. andererseits dürfte das für alle potenziellen opfer in den straßen italienischer städte keinesfalls lächerlich sein, sondern eine ahnung geben von dem, was sich da schon wieder breitmacht, und zwar in vollem bewusstsein der eigenen historischen bezüge unheilvollen angedenkens. ich betrachte das jedenfalls in keiner weise als spaß, ebensowenig wie der folgende bemerkenswerte
artikel eines ansonsten durchaus oft genug reaktionären mediums:

(...)"Die GNI ist die neueste Erfindung aus der rechtspopulistischen bis neofaschistischen Schmuddelecke Italiens. Es steht für "Guardia Nazionale Italiana", "Italienische Nationalgarde". Sie will Ordnung bringen in die italienischen Innenstädte, die sie in einem ständigen Niedergang sieht, vor allem verursacht durch Einwanderer.

Um ihr Ansinnen auch nach außen wirkmächtig darzustellen, greift die "Nationalgarde" in die Altkleidersammlung der Geschichte. Wer mitmachen will, soll eine Uniform tragen, die jenen aus der Zeit des Faschismus ähnelt: Springerstiefel, Khakihemden, schwarze Krawatten. So will "GNI" in Italien Streife gehen, sobald ein Gesetz der Regierung Berlusconi in Kraft tritt, das Bürgerwehren zur Unterstützung der Polizei erlaubt.(...)

Das sehr wahrscheinliche Ja lässt ein Phänomen aufleben, das in der italienischen Geschichte und Gegenwart nicht unbekannt ist: Eine Gruppe von Privatpersonen präsentiert sich als Garant der Sicherheit, mit der Begründung, der Staat könne diese nicht gewährleisten. In Bologna gibt es seit 180 Jahren den Corpo, die lokale Bürgerwehr; faschistische Squadristen meinten sich in den 20er-Jahren gegen Kommunisten schützen zu müssen, und Mafia und Camorra erpressen Zehntausende Ladenbesitzer zur Zahlung von "Schutzgeldern".

Kritiker glauben, das organisierte Verbrechen unterwandere die Bürgerwehren, um so - staatlich legitimiert - noch besser das eigene Viertel zu kontrollieren. Innenminister Roberto Maroni hält das für Schwarzmalerei: "Die Bürgerwehren tragen keine Waffen, sie dürfen keine Personen kontrollieren, sie dürfen nur die Polizei rufen, wenn ihnen etwas Verdächtiges auffällt." Und gegen die schwarz gekleideten Leute von der "Nationalgarde" ermittle ohnehin schon die Staatsanwaltschaft wegen Verherrlichung des Faschismus: "Wir werden klare Regeln aufstellen", meint Maroni, "und diesen Leuten kann ich nur sagen: Macht eure Spielchen in den eigenen vier Wänden."

Das werden sie aber nicht. Giganti und seine Leute sagen, sie hätten schon vorsichtshalber in manchen Städten, in denen sie ihre Bürgerwehren aufstellen wollen, bei den Behörden vorgefühlt, was diese von den Uniformen hielten. "Kein Problem", habe es geheißen, nicht einmal die Armbinde mit der schwarzen Sonne sei bei den Behörden auf Skepsis gestoßen. Jenes von der SS gebrauchte Symbol, das nicht strafbar ist, gilt als Erkennungszeichen der rechten Szene. Selbst wenn die GNI darauf verzichtet - allein die Debatte über das Bürgerwehrengesetz hat der "Nationalgarde" und anderen rechten Gruppen und Parteien ermöglicht, sich öffentlich als Hüter der Sicherheit aufzuspielen. Altfaschisten wie Francesco Saya glauben deshalb zu spüren, dass Italien "aufwacht" und sich vom "Unrat befreit, den vor allem Nicht-Italiener gebracht haben". (...)


und auch in italien selbst wird das alles keinesfalls mehr als irgendeine marotte anachronistischer gestalten betrachtet:

(...)"Die Uniformen der "Nationalgarde", die italienweit etwa 2000 Mitglieder haben soll, lösten erwartungsgemäß heftige Reaktionen aus. Junge Kommunisten diskutieren bereits in Internetforen, eine "Kommunistische Miliz Italiens" zu gründen, und die Nachrichtenagentur Ansa meldet, römische Juden hätten angekündigt, eine "Gegenbürgerwehr" zu gründen, eine "Brigate ebraica", eine "Jüdische Brigade".(...)

*

nun könnte man hinter dieser bedrohlichen verkleidungsklamotte auch eine nicht eben gerade neue strategie derjenigen vermuten, die für diese massiven spaltungsversuche - zu ihrem schutz in zeiten der krise - verantwortlich sind: lenke die öffentliche aufmerksamkeit und empörung auf einen spektakulären und symbolisch hoch besetzten teilbereich, gehe dann mit großer geste und pseudoentschiedenheit dagegen vor, um im schatten dieses geschehens dann deine eigentlichen pläne ohne größere probleme umzusetzen. das könnte hier ebenfalls der fall sein, aber würde es einen qualitativen unterschied machen, ob die faschisten nun vorläufig ohne uniform als teil der staatsgewalt auftreten, oder aber mit? nicht wirklich, wie ich finde, wobei diese offene provokation und vor allem der öffentliche umgang damit - nicht nur in italien, sondern v.a. seitens der eu und der europäischen staaten insgesamt - einiges auch über unsere nächste zukunft aussagen wird: wenn merkel, sarkozy und co. keine probleme damit haben sollten, einen quasi mafiösen und protofaschistischen typ wie berlusconi weiter als "freund und partner" zu sehen, auch wenn der offen faschistische schlägertrupps - womöglich noch mit ss-symbolen - als reguläre hilfstruppen der staatsmacht durch "seine" städte patroullieren lässt, dann...

ich überlasse es Ihrer phantasie, den satz fortzuführen. mir kommt beim betrachten des bilds oben ständig ein weiterer in den sinn, der sich vor allem auf traumatische geschichte bezieht und das gesetz der re-inszenierung kurz und knapp auf den punkt bringt:

"wer die vergangenheit nicht begreift, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen"

*

edit am 03.07.: weil es sich tatsächlich um eine brandgefährliche entwicklung dort handelt, werden die internationalen reaktionen nicht nur wichtig, sondern wie oben umrissen auch sehr aufschlußreich sein. immerhin aus österreich kommt eine
erste deutliche reaktion auf den unverblümten faschisierungsversuch, wenn sich auch nicht nur dort die sozialdemokratie an die eigene nase fassen darf:

"Außenpolitische Sprecherin Grossmann: Italienisches Sicherheitspaket entbehrt jeder Menschlichkeit und fördert Selbstjustiz. (...)

Die Bürgerwehren, die laut offizieller Angaben lediglich der Polizei Meldung erstatten sollen, würden schon jetzt von der "Guardia Nazionale Italiana" vereinnahmt. "Ihre khakifarbenen Uniformen spielen nicht zufällig mit rechtsextremer Symbolik, die schwarze Sonne als Logo ist ohnehin unzweideutig ein nazistisches Symbol", kommentierte Grossmann. "Wir brauchen vieles, aber keine Renaissance des Faschismus, weder in Italien, noch in Ungarn, noch bei uns."(...)

Die Verschärfung der Strafen für Sexualstraftäter und die Einführung der sogenannten Obdachlosen-Kartei sind für Grossmann "reine populistische Maßnahmen, die von der katastrophalen Wirtschaftslage Italiens ablenken sollen. Anstatt sich um das Schicksal der Obdachlosen zu kümmern, werden diese noch zusätzlich verfolgt."(...)


deutliche worte, aber für die sozialdemokratie allgemein gilt gleichfalls die selbsterkenntnis: die geister, die ich rief... - DAS sind sie!

*

edit 2 am 04.07.: es wird und wird nicht besser, je länger ich versuche, weitere informationen zu bekommen - ganz im gegenteil. eher ist auffällig, wie sporadisch bisher die medienreaktionen sind - die welt ist in dem fall tatsächlich eine löbliche ausnahme, die süddeutsche hat bereits mitte juni in kürze
berichtet:

(...)"Die Nationalgardisten versichern, sie seien nicht faschistisch, sondern unpolitisch. Doch wie es der Zufall will, wurde die Truppe am Wochenende bei einem Kongress der neofaschistischen Partei MSI in Mailand vorgestellt. Zufällig gewählt sind demnach auch die Symbole; die Gardisten behaupten, sie dienten bloß dazu, sie als Streife kenntlich zu machen. Und purer Zufall müsste es sein, dass die Nationalgarde von dem Neofaschisten Gaetano Saya initiiert wurde. Doch an so viel Zufall glaubt keiner."(...)

durch die leserreaktionen zum artikel bin ich auf das folgende video aufmerksam geworden - "ooups, da ist mir doch der arm ausser kontrolle geraten..."



die junge frau mit der exzentrischen vergangenheit und mit dem verräterischen arm ist tatsächlich die derzeitige italienische tourismusministerin brambilla, und das ist eine szene von anfang juni. wenn sich in berlusconis kabinett derart illustre gestalten tümmeln, dürfen wir uns ohne weiteres auf weitere sehr unangenehme überraschungen gefasst machen.

und das nd hat die vorstellung der "guardia nazional" mitte juni ebenfalls zum anlass eines
artikels genommen, der weitere interessante informationen liefert:

(...)"Eine beigefarbene Uniform, schwarze Springerstiefel, und als Symbole der imperiale Adler aus faschistischer Zeit und die schwarze Sonne, mit der sich schon die SS schmückte. So zeigte sich am Wochenende in Mailand auf einer Pressekonferenz die sogenannte »Italienische Nationalgarde«, eine Gruppe von Männern, die demnächst nicht nur in der norditalienischen Industriestadt rund um die Uhr durch die Straßen patrouillieren will. Laut Selbstdarstellung ist man unpolitisch, ein Drittel der Angehörigen kommt aus Polizei und Militär, man verfügt über verschiedene Autos, ein paar Boote und sogar über ein eigenes Flugzeug sowie »Filialen« in Turin, Sizilien, Apulien und Kalabrien.

Chef der Bande ist ein gewisser Gaetano Saya, der schon mehrmals mit der Justiz in Konflikt gekommen ist, weil er faschistisches und rassistisches Gedankengut verbreitet hat. Jetzt allerdings gibt er sich als »Freund von Berlusconi«, der die Bürger schützen will. Die Nähe zum Ministerpräsidenten geht sogar so weit, dass die »Nationalgarde« im gleichen Palazzo der Öffentlichkeit präsentiert wurde, in dem Silvio Berlusconi einst seine Partei »Forza Italia« gründete."(...)


"...ein Drittel der Angehörigen kommt aus Polizei und Militär" - da ist die entsprechende ansage aus dem italienischen innenministerium ja noch nicht mal eine lüge. ich frage mich allerdings dann verschärft nach der inneren verfassung dieser institutionen...

immerhin gibt es auch in italiens offizieller politik menschen, die schlicht entsetzt sind:

(...)"Trotzdem ließen die Reaktionen auf die kleine faschistische Privatarmee mit Namen »Italienische Nationalgarde« nicht lange auf sich warten. Der demokratische Abgeordnete Emanuele Fiano, früher Vorsitzender der jüdischen Gemeinde von Mailand, war entsetzt: »Italien wird zum traurigen und gefährlichen Schauplatz derjenigen, die der Vergangenheit nachtrauern.« Der Fraktionsvorsitzende der Zentrumspartei UDC im Senat, Giampiero D’Alia, forderte die Regierung auf, sofort etwas gegen die »schwarze Bürgerwehr von Neofaschisten« zu unternehmen, »die einfach nur Selbstjustiz üben wollen, wie es unter Mussolini der Fall war«. Der christdemokratische Abgeordnete sagte weiter: »Wir hatten schon davor gewarnt, dass die Einrichtung von Bürgerwehren demagogisch und gefährlich ist. Jetzt haben wir das erste Beispiel für eine Selbstjustiz, die dem Land nur schaden und die Sicherheit in keiner Weise vergrößern wird.« Man werde die Regierung auffordern, diese Gruppen zu verbieten: »Ob schwarz, rot oder grün – die Bürgerwehren sind eine Bankrotterklärungen des Staates und ein echtes Risiko für die Bürger.«(...)

falls dieses projekt weiter so wie offensichtlich geplant - und unter unterstützung des regimes und großer teile des staatsapparats - umgesetzt wird, ist es zeit für internationale aktionen, und zwar von unten. sich hier auf die europäischen demokratiesimulanten wie merkel und co. zu verlassen, heisst nur, dem übel immer mehr platz einzuräumen. die gesamten neuen "sicherheitsgesetze" in italien sind ausdruck einer schon mehr als faschistoiden entwicklung und müssen als sofortmaßnahme verschwinden, ebenso ist berlusconi endlich ohne jede verklärung als der zu sehen, der er ist - wie ich ihn ganz oben zum beginn des beitrags schon gezeichnet habe.

ich versuche zusammen mit anderen, in den nächsten tagen möglichst direkte informationen aus italien - und v.a. aus der linken opposition dort - zu bekommen. weiterführendes wird dann hier zu lesen sein.

*

edit am 10.08.: zum letzten satz ist zu sagen, dass mir zwar zwischenzeitlich ein bericht aus italien vorliegt, der sich aber mit der situation im frühjahr beschäftigt und von daher bei den aktuellen entwicklungen schlicht veraltet ist. sobald etwas neues kommt, wird´s hier zu lesen sein. und das könnte schon sehr bald der fall sein, sind doch
seit diesem wochenende die "bürgerwehren" "erlaubt". und wie es schon zu erwarten war, sind ihre äußeren (und so wie oben beabsichtigten) erscheinungsformen zwar staatlich reglementiert worden, was aber am personal - auch ohne gewünschte uniformen - nichts ändert:

(...) ""Es gibt klare und strenge Regeln, die respektiert werden müssen. Erstens wird es nur dann Bürgerstreifen geben, wenn das Stadtoberhaupt einer Gemeinde sie für notwendig hält. Der Bürgermeister wird letztendlich bestimmen, ob und wann die Bürgerstreifen eingesetzt werden", erklärte Maroni. Der Polizeichef muss die Liste der Beteiligten an den Bürgerwehren überprüfen. Bürgerstreifen mit politischer Färbung sind strengstens verboten.

Die Bürgermeister, heißt es im Dekret, sollen "bevorzugt" auf pensionierte Polizisten oder Soldaten zurückgreifen. Die Teilnehmer, die mindestens 25 Jahre alt sein müssen, sollen der Polizei Vorkommnisse anzeigen. Bei einem Delikt "in flagranti" dürfen sie jedoch im Einklang mit dem italienischen Strafgesetzbuch den Täter festhalten, bis die Polizei eingreift.

Die weder vorbestraften noch drogenabhängigen Personen dürfen sich nur mit Taschenlampen und Mobiltelefonen ausgerüstet auf Streife begeben. Sie müssen unbewaffnet sein und dürfen keine Fesseln, Handschellen, oder Sprays zur Selbstverteidigung benutzen. Sie werden nur an einer gelben Leuchtjacke erkennbar sein und dürfen weder paramilitärische Uniformen tragen, noch in Fahrzeugen patrouillieren." (...)


klingt doch harmlos, meinen Sie? nun, man darf getrost davon ausgehen, dass selbst ein typ wie berlusconi weiß, wann der bogen in der öffentlichkeit überspannt ist - und zumindest im ausland wäre das auftreten von offen erkennbaren faschisten im faktischen staatsdienst etwas gewesen, was mit einiger wahrscheinlichkeit nicht kalkulierbare folgen mit sich gebracht hätte. von daher sind die formalen regeln eher als eine art beruhigungspille zu betrachten, und die wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich zukünftig
solche nachrichten wie von ende juli häufen werden:

"Die Bürgerwehren in Italien sind ein Lieblingsprojekt der Rechten. Sie sollen, so ist es gedacht, für mehr Sicherheit sorgen. Tatsächlich machen sie der Polizei nur noch mehr Arbeit. So nahmen am Wochenende Hunderte Touristen Reißaus, als in der toskanischen Küstenstadt Massa die rechte Bürgerwehr "Soccorso sociale e sicurezza" (Sozialer Beistand und Sicherheit, SSS) und die linke "Contro-ronde proletarie" (Proletarische Gegenwehr) aneinander gerieten. Als die einen mit faschistischen Gesängen und römischem Gruß die anderen provozierten, entbrannte eine Straßenschlacht.

Rechtsaußen-Stadtrat und SSS-Gründer Stefano Benedetti warnt: "In diesem Klima könnte es auch zu Toten kommen." Schuld, findet er, habe die "Toleranz" der Kommune gegenüber linken Gruppen." (...)


es bleibt dabei: die ganzen neuen italienischen "sicherheitsgesetze" stellen ein menetekel für europa dar, welches noch drastischer erscheint, wenn man sich die weitgehend ausbleibenden reaktionen betrachtet. und solche geschichten wie der oben geschilderte konflikt zwischen faschisten und linken tragen bekanntlich dazu bei, den ruf nach ruhe und ordnung verstärkt aufkommen zu lassen - wem das nützt, ist zur genüge historisch belegt. eine leicht abgewandelte "strategie der spannung" scheint sich hier breitzumachen, zumal die öffentliche präsenz von faschisten im staatsdienst für die gruppen ihrer erklärten feinde die bereitschaft zur gegenwehr schlicht notwendig macht.
che2001 (Gast) - 3. Jul, 10:55

Man kann mal wieder gar nict genug essen, wie man kotzen müsste!

Bersarin (Gast) - 4. Jul, 09:07

Ich möchte mich bei Ihnen für diesen guten Artikel bedanken. Das in Ihrem Text gezeigte Bild habe ich, vermittelt durch den Blog „Kritik und Kunst“, entdeckt und zum Anlaß genommen, hierzu in meinem blog eine Kleinigkeit zu schreiben:
http://bersarin.wordpress.com/2009/07/04/virtuelle-fundstucke-2/

monoma - 4. Jul, 12:52

danke für den link, ist ein sehr passender text - gerade, wenn ich mir jetzt dazu immer das bild der grüßenden tourismusministerin vor augen halte...
Peter (Gast) - 4. Jul, 10:39

Gruselig

... mir läuft es eiskalt den Rücken runter... Danke für die Informationen!

monoma - 4. Jul, 13:18

weitere reaktionen - amnesty international...

...protestiert...

"Menschenrechtsorganisationen schließen sich den Kritikern des vom italienischen Parlament verabschiedeten Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung an. Amnesty International hat den italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano aufgefordert, das am Donnerstag verabschiedete Sicherheitsgesetz gegen illegale Einwanderung nicht in Kraft zu setzen. Napolitano solle kein Gesetz unterzeichnen, das "eine Bedrohung für die Menschenrechte von Einwanderern und Asylsuchenden" darstelle, erklärte der Vizechef der Menschenrechtsorganisation für Europa und Zentralasien, David Diaz-Jogeix. Außerdem könnten die neuen Regelungen zu einer verstärkten Diskriminierung von Sinti und Roma in Italien führen."

...ebenso wie der vatikan (gleichfalls im verlinkten artikel).

Quirinus (Gast) - 4. Jul, 17:45

Denn was der Mensch auf Erden braucht, ist Sicherheit

in einer Welt voller Drogendealer und Gewalttäter. Dies zu fordern galt und gilt als politisch korrekt, so wie der Schutz der Frauen und Kinder. Überall werden mit allen Mitteln alle erdenklichen Ängste geschürt, quer durch alle bürgerlichen Parteien besteht ein Konsens darüber, daß Gesetzesverschärfungen, Überwachung und Verbote nötig seien, um die Gesellschaft vor sich selbst und vor den Islamisten und Terroristen aus fernen Ländern zu schützen; überall werden die unsinnigsten politischen Maßnahmen von den allermeisten Bürgern passiv hingenommen oder gar gutgeheißen; überall scheint man genau zu wissen, wo der neue Hitler steckt, nämlich im Iran und manchmal auch in einem Jugendlichen, der seinen Scheitel rechts oder Klamotten von Thor Steinar trägt. Kein Wunder also, daß Berlusconi die Gunst der Stunde für sich nutzt und die Kostümierung seiner martialischen Horden gerade auch unter denen, die hierzulande schon angesichts eines durchgestrichenen Hakenkreuzes die Demokratie bedroht sehen, keinerlei Protest hervorruft. Im Grunde ist er doch ein Guter, weil er zumal die Frauen schützen will; und die faschistische Symbolik ist in diesem Fall eben nur italienische Folklore. Oder etwa nicht?

Angesichts der Entwicklung in Italien und damit euch im sog. Haus Europa kann ich nur immer wieder sagen, was ich schon so oft gesagt habe: daß unsere staatlich und medial betriebene Fixierung auf die Vergangenheit und den Antisemitismus weniger der Aufklärung dient als der Ablenkung davon, daß aus der Mitte der Gesellschaft heraus ein neuer Faschismus entsteht, der nicht als solcher erkannt wird, da er sich 'nur' gegen all das richtet, wodurch der ach so normale Bürger sich heute bedroht fühlen darf: von A wie Asylanten über K wie Killerspiele und P wie Pädokriminalität bis hin zu Z wie Zigaretten.

Wie fruchtbar der Nährboden für diesen Faschismus ist, läßt sich auch gerade dort sehr schön studieren, wo nicht über Politik diskutiert wird, sondern z.B. über Michael Jackson. Hier kann auch der politisch korrekte Spiegelleser (der stolz darauf ist, mit Hendrix und Zappa aufgewachsen zu sein oder mit Kurt Cobain) endlich mal die ihm selbst völlig unbekannte Sau rauslassen, nämlich seinen latenten Rassismus (weiße Drogenwracks wie Elvis werden vergöttert, schwarze wie Jacko werden als Monster dargestellt), seine Lüsternheit (was ein Neger, der kein Neger und kein richtiger Mann sein wollte, wohl mit den Kindern getrieben hat ...), seinen Neid (Künstler leisten doch nicht mehr als jeder andere auch) und seine radikale Ablehnung all dessen, was er nicht versteht und auch gar nicht verstehen will. Deshalb ist es ihm nur recht, wenn es Leute gibt, die Ordnung schaffen wollen; ob sie nun Bätzing, von der Leyen, Schäuble oder Berlusconi heißen. Der Zweck heiligt die Mittel.

sansculotte - 4. Jul, 19:02

Zitat Quirinus:
Angesichts der Entwicklung in Italien und damit euch im sog. Haus Europa kann ich nur immer wieder sagen, was ich schon so oft gesagt habe: daß unsere staatlich und medial betriebene Fixierung auf die Vergangenheit und den Antisemitismus weniger der Aufklärung dient als der Ablenkung davon, daß aus der Mitte der Gesellschaft heraus ein neuer Faschismus entsteht, der nicht als solcher erkannt wird, da er sich 'nur' gegen all das richtet, wodurch der ach so normale Bürger sich heute bedroht fühlen darf: von A wie Asylanten über K wie Killerspiele und P wie Pädokriminalität bis hin zu Z wie Zigaretten.

Kann man nicht oft genug unterstreichen. Die sogennannten Antifas sind instrumentalisierte Blödmänner. Ein für allemal: Faschismus bedeutet Bündelung der Kräfte. Deshalb ist der Faschismus gerade die Ideologie, die auf den breitestmöglichen gesellschaftlichen Konsens setzt. Und genau deshalb auch kommt der Faschismus immer aus der gesellschaftlichen und politischen Mitte.

Die sogenannte political correctness, das Wohlfeile, Willfährige und Angepasste birgt mehr Faschismusgefahr in sich als irgendwelche "asoziale" Stiefeldeppen. Unreflektiert übernommene scheinrationale und medienfabrizierte "Standpunkte" bergen mehr Faschismusgefahr in sich als irgendwelche überkommene S... H...-Rufe aus volltrunkenen Kehlen. Faschismus ist das Mittel der Wahl für all diejenigen, die brav und anständig erzogen wurden und dementsprechend überwältigende Angst davor haben, aus der Reihe zu tanzen.

Deshalb halt ich es lieber mit Lichtenberg: "Was jedermann für ausgemacht hält, verdient am meisten untersucht zu werden." Und deshalb gab es von mir bislang zu den (panikfabrizierenden) Themen Klimawandel und Peak-Oil auch keine Wortspende.
monoma - 6. Jul, 22:06

jein

@quirinus: wir haben ja schon öfter genau über viele der angesprochenen punkte diskutiert, und ich bleibe bei den neuralgischen auch störrisch ;-) , wie bspw. diesem hier:

"...daß unsere staatlich und medial betriebene Fixierung auf die Vergangenheit und den Antisemitismus weniger der Aufklärung dient als der Ablenkung davon, daß aus der Mitte der Gesellschaft heraus ein neuer Faschismus entsteht, der nicht als solcher erkannt wird, da er sich 'nur' gegen all das richtet, wodurch der ach so normale Bürger sich heute bedroht fühlen darf: von A wie Asylanten über K wie Killerspiele und P wie Pädokriminalität bis hin zu Z wie Zigaretten."

erstmal sehe ich die "fixierung" nur auszugsweise, und selbst dann ist sie meistens abgrundtief verlogen in dem sinne, dass durchaus keinerlei echte erkenntnisprozesse bei all denjenigen erwünscht sind, die nun einmal zu den spätgeborenen zählen. die "elite" erfüllt hier ein teils selbstauferlegtes, teils als lästige pflicht empfundenes ritual, welches dazu in den letzten jahren immer öfter selbst aus ihren eigenen reihen in frage gestellt wird (nicht mit postiven absichten selbstverständlich).

beim "sonderfall" antisemitismus würde ich dazu sagen, dass sich der durchaus sichtbar direkt in der sog. "mitte" (die in d-land immer schon reaktionär, widerwärtig und zu allen schweinereien bereit war und ist) tummelt - all die mölle- und hohmänner überspannen pr-mässig den bogen nur von zeit zu zeit, sind aber durchaus die spitze eines modrigen eisbergs. es dürfte in diesem fall tatsächlich sowohl die bloße existenz israels als auch die gemeinsam herausposaunte einbindung in das gleiche "wertesystem" (des sog. westens) sein, welches auch große teile der hiesigen "elite" (noch) daran hindert, die traditionen ihrer beschissenen vorfahren wieder offen aufzunehmen - "der deutsche sonderweg".

ich wäre dazu vorsichtig, verbotspolitiken wie zb. beim tabak in diesen kontext zu stellen - selbst ich als raucher würde ein hohes level von schädlichkeit beim üblichen tabakgenuß nie bestreiten (dazu finde ich die machenschaften der tabakindustrie genau so kriminell wie in der restlichen kapitalistischen ökonomie - wie könnte es auch anders sein?), und dass sich andere dadurch beeinträchtigt fühlen, kann ich nachvollziehen. insofern sind diesbezgl. öffentliche räume tatsächlich schwierige zonen, und ich würde eher sagen, dass es um das wie geht, mit dem entsprechende konflikte geregelt werden. will sagen: es gibt durchaus einige gewichtige rationale (und das meine ich nicht in der üblichen eingeschränkten bedeutung) gründe, die eine veränderung des konsumverhaltens nicht nur in diesem bereich sinnvoll erscheinen lassen. wenn die motivation bei der mehrzahl aller anti-rauch-leute in dem gedanken bestehen sollte, derart die volksgesundheit zu stärken, um mehr leistungsfähigkeit zu erzielen, würde ich dir zustimmen, dass der ganze kontext ein anderer - allerdings keinesfalls ein neuer - wäre. das nehme ich bisher aber nicht so wahr, auch wenn sich die bätzings und co. sehr wahrscheinlich eben in diesem kontext herumtreiben. aber der asthmatiker von nebenan eben größtenteils nicht.

worüber wir uns auch schon öfter gestritten haben, wird diesmal von @sansculotte formuliert:

"Die sogenannten Antifas sind instrumentalisierte Blödmänner."

sowas macht mich immer sehr ärgerlich. bei aller kritik an den - übrigens keinesfalls homogenen - existierenden antifagruppen, die sich direkt auf den strassen mit den schlägertrupps der offen in der sa-tradition stehenden nazigruppen auseinandersetzen: ich weiss nicht nur für die stadt hier, dass es ohne teils jahrelange outing-, blockade- und sonstige (auch militante) aktionen schon ein echtes risiko für menschen mit diversen äusserlichkeiten darstellen würde, sich in bestimmten strassen und staddteilen zu bewegen. ich kenne die obige these zur genüge aus den letzten jahren und antworte denjenigen, die damit kommen, immer, dass damit die heftigkeit, die bedrohlichkeit und nicht zuletzt auch das einschüchterungspotenzial der nazis - und genau um letzteres geht´s denen, so wie ihre vorbilder schon agiert haben - nicht nur unterschätzt, sondern geradezu relativiert wird. und das wegwischen der hunderten von toten und tausenden von verletzten (in ganz europa) als folge des strassenterrors macht das dazu noch geradezu unerträglich.

ich kann dazu keinesfalls nachvollziehen, warum ihr beide diesen gegensatz aufmacht - schon historisch haben die nazis immer eine dreifachstrategie verfolgt, nämlich a) besetzung gesellschaftlicher diskurse, b) besetzung elitärer positionen bzw. das eindringen in politsche und ökonomische machtzirkel (wobei die ihnen die türen meist bereitwillig geöffnet haben), und c) eben die allgemeine (und traumatisierende) angstpolitk des strassenterrors gegen alle von ihnen als feinde definierten, mit der weiteren wirkung an alle potenziell störrischen. widerstand ist bei allen drei bereichen nötig, aber beim letzteren stellt er sich inzwischen in vielen regionen nicht nur in d-land für dort lebende, die ins visier der nazis geraten, als schlichte alltägliche notwendigkeit heraus. das das auch kräfte bindet, die in anderen konflikten nicht mehr oder nur noch teilweise zur verfügung stehen, ist dabei doch eher als eine gewollte folge auch seitens der "eliten" zu betrachten.

"panikfabrizierend": nicht alles, was von teilen der "eliten" öffentlich aufgegriffen und in ihrem sinne bearbeitet durch die medien und diskussionen rast, ist reine konstruktion. das system ist in einigen relevanten teilen an seine grenzen gestoßen, und die sind in diesen besonderen fällen geologischer und physikalischer art. dass das dann u.a. zur elitären machterhaltung dann in der denen einzig gewohnten art und weise auch instrumentalisiert wird - who cares?

ps: ich würde ja abschliessend noch behaupten, dass die italienischen verhältnisse nach dem, was bisher so sichtbar ist, eher in den ganz "traditionellen" formen des vergangenen jahrhunderts daherkommen - bis dahin, dass auch ein mussolini gerne als großer frauenheld öffentlich rumgepost hat.
sansculotte - 7. Jul, 21:50

@monoma

Ich entschuldige mich für meine Brachialformulierung. Natürlich hat die Antifa ihre Meriten. Aber wenn sie sich nur auf die Wiederbetätiger beschränkt, dann enteght ihr das Wesentliche am Faschismus: dass er nämlich ganz und gar kein Randphänomen ist, sondern Mainstream. Mainstream, der mit Angstpolitik operiert. Lass es mich mal mit einem Zitat verdeutlichen, das dem Gerichtspsychiater Gilbert zufolge einem äußerst redefreudigen Hermann Göring im April '46 entfuhr:

" ... Nun, natürlich, das Volk will keinen Krieg", sagte Göring achselzuckend. "Warum sollte irgendein armer Landarbeiter im Krieg sein Leben aufs Spiel setzen wollen, wenn das Beste ist, was er dabei herausholen kann, dass er mit heilen Knochen zurückkommt. Natürlich, das einfache Volk will keinen Krieg; weder in Russland, noch in England, noch in Amerika, und ebenso wenig in Deutschland. Das ist klar. Aber schließlich sind es die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen, und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen, ob es sich nun um eine Demokratie, eine faschistische Diktatur, um ein Parlament oder eine kommunistische Diktatur handelt. ... das Volk kann mit oder ohne Stimmrecht immer dazu gebracht werden, den Befehlen der Führer zu folgen. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land."

Genau das ist Punkt. Der Mainstream muss nur plausibel (damals waren Kriegsfurcht und Patriotismus plausible Motive) Panik verbreiten und schon sind die meisten von uns bereit, jede Maßnahme in Kauf zu nehmen, die diese fiktive Gefahr bannen würde. Naomi Klein würde es wohl als "Schockstrategie" bezeichnen. Und wenn ich die Augen zusammenkneife, um besser zu sehen, dann erscheinen mir viele Themen, wie etwa das Zur-Neige-Gehen der Energiereserven oder die angeblich von der Vielzahl durchschnittlicher Energieverbraucher verursachte Klimakatastrophe, die in hundertfünfzig Jahren massiver Industrialisierung offensichtlich keine, in den letzten zehn Jahren aber erstaunlicherweise den bestimmenden Einflussfaktor dargestellt haben soll, derzeit schlichtweg zu angstbesetzt, um rational darüber zu sprechen. Im Schatten dieser Propaganda und anderer bewusst angstbesetzter Themen (z.B. Terrorismus) werden Maßnahmen durchgesetzt, die einfach nur absurd und widersinnig (Emissionszertifikate, Energiesparlampen, etc.) oder ganz offen grundrechtswidrig (Einschränkung persönlicher Freiheiten) sind. Da zieht ein faschistisch-repressives Grundmotiv herauf, das in einem anderen Gewand daher kommt als in der offensichtlichen Irrationalität des hysterischen und vermeintlich einzigartig monströsen Meldegängers aus Braunau. Ein faschistisches Grundmotiv, das sich zutiefst rational gebärdet - den Zeitgenossen der Nazis mussten übrigens ein Gutteil ihrer Argumentationen damals auch zutiefst rational erschienen haben.
monoma - 7. Jul, 23:00

@sansculotte

da du eh schon naomi klein angesprochen hast - ein kleine rezension habe ich ja neulich schon angekündigt, aber ich weiß noch nicht, wann ich die nächsten tage dazu kommen werde. da wollte ich ausrücklich auch auf die von dir in dem zusammenhang angesprochenen punkte eingehen.

gruß!
errorking - 28. Aug, 08:45

dürfte ich

einen kleinen zwischenansatz wagen?
die grundproblematik-das sehe ich auch immer wieder hier in netten und nicht nett net-diskussionen: die beschäftigung mit dem weltschmutz erinnert mich an den installateur, der letzte woche bei uns war: er musste von unserer küche aus das halbe haus auspumpen. resultat: es roch....und alles rundherum war schwarz.

wenn man sich hier als installateur der gesellschaft betätigt, so bleibt das natürlich nicht spurenlos an einem selbst. man ergreift auch gerne radikale mittel (wasser abschalten, mit einem lauten gerät absaugen...). mein installateur hat selber alles gereinigt...da und dort findet man heute noch in unserer küche einen verkrusteten schwarzen fleck.
aber er selber streift am abend sein gewand ab, duscht, salbt, fönt und parfumiert sich zum strahlenden engel.

was mir bei naomi klein bis jean ziegler fehlt ist die stetig beissende ironie, der schutzanzug des installateurs.

bis später,
errorking im errorland
monoma - 29. Aug, 08:18

@errorking

ich mag ironie im realen leben durchaus, halte ihre verwendung im virtuellen jedoch oft genug für missverständlich bis unangemessen. und letzteres gilt für mich auch bei den themen der genannten autorInnen - bei fällen von massenmord ist nix mehr ironisch.
ghj (Gast) - 6. Jul, 15:56

tja auch in deutschland


monoma - 6. Jul, 22:11

tja, es scheint tatsächlich alles wiederzukehren. zombieland bzw. -länder.
errorking (Gast) - 29. Aug, 12:17

monomas einwand

versteh ich wohl.
jedoch noch drei gedanken dazu: menschen in der todeszelle oder todeslagern entwickeln sehr bald (zum schutz, wie ich erwähnte) den black humor. es ging mir um den eigenschutz des kritikers, der vom weltschlamm selbst in depressive phasen gezogen wird.
nicht umsonst ist auch das kabarett der einzige unbewaffente widerstand gegen den faschismus. den faschisten haben keine echte kreativität(siehe kunst in nazi und stalin-ära), keinen humor(rechte gehirnhälfte), sie können auf ihrer linkslastigen ebene also nicht dagegenkämpfen.

die depressive haltung sieht man optisch sehr gut an den ellenlangen kritischen kommentaren, an den zwar oft packenden Büchern - sie strahlen für mich aber aussichtslosigkeit aus, solange sie nicht mit einem schmunzeln geschrieben wurden.
gelesen werden die langen , klugen erklärungen ohnehin nicht von den angesprochenen faschisten, sondern nur von denen, die die gleiche meinung haben. also ein selbstgespräch.
Quirinus (Gast) - 18. Jul, 02:39

Der neue Faschismus und das Individuum von nebenan

Zitat: wenn die motivation bei der mehrzahl aller anti-rauch-leute in dem gedanken bestehen sollte, derart die volksgesundheit zu stärken, um mehr leistungsfähigkeit zu erzielen, würde ich dir zustimmen, dass der ganze kontext ein anderer - allerdings keinesfalls ein neuer - wäre. das nehme ich bisher aber nicht so wahr, auch wenn sich die bätzings und co. sehr wahrscheinlich eben in diesem kontext herumtreiben. aber der asthmatiker von nebenan eben größtenteils nicht.

Ja, der Asthmatiker von nebenan möchte nur frei atmen können, so wie der Pollenallergiker von nebenan nur möchte, daß sein Nachbar die Birke in seinem Garten fällt und der Knoblauchhasser von nebenan nur möchte, daß mein Essensgeruch nicht mehr durchs Fenster in seine Küche zieht. Fast alle Menschen sind ganz ganz lieb, aber fast alle reagieren auf die eine oder andere Art und Weise allergisch auf die Verhältnisse, unter denen zu leben und zu arbeiten wir gezwungen sind. Der wachsenden Aggressivität und sichtbaren psychischen Verwahrlosung in der sog. Unterschicht entspricht die passive Aggressivität in der sog. Mittel- und Oberschicht. Man haut dem mißliebigen Nachbarn nicht die Faust in die Fresse, sondern überzieht ihn mit Beschwerdebriefen und hetzt ihm schließlich einen Anwalt auf den Hals, weil man sich wodurch auch immer gesundheitlich beeinträchtigt fühlt und seine Kinder schützen will. Zuerst haben die Grünen erkannt, daß man unter diesen passiv-aggressiven Leuten gut auf Stimmenfang gehen kann; dann hat die SPD nachgezogen und sich als Gesundheitspartei zu etablieren versucht, bis schließlich ausnahmslos alle anderen bürgerlichen Parteien bis hin zu den Linken ihnen gefolgt sind. Inzwischen läßt sich jede noch so autoritäre Maßnahme mit dem Schutze der GESUNDHEIT und der KINDER rechtfertigen - und das wiederum ruft immer mehr Fanatiker und Fundamentalisten auf den Plan - so auch z.B. einen gewissen Klaus Miehling, der in einem dickleibigen Buche und diversen Schriften fast alles Übel unserer Gesellschaft (speziell die Kriminalität) auf die Rockmusik in all ihren Spielarten zurückführt und drastische Maßnahmen fordert, analog zum Nichtraucherschutz, auf den er sich immer wieder beruft, - bis hin zum Verbot ausnahmslos aller ihm nicht genehmen Musikrichtigungen. Damit wiederum macht er sich zum Sprachrohr sehr vieler Leute, die tatsächlich unter erheblichen Lärmbelästigungen zu leiden haben, aber auch zum Sprachrohr der Evangelikalen, die ja inzwischen auch hier regen Zulauf haben und denen er offenbar angehört: was aber einen Philosophen wie Ludger Lütkehaus nicht daran gehindert hat, das Geleitwort zu seinem Buch zu schreiben und diesen Fanatiker (der immerhin ein promovierter und teilweise auch sehr verdienstvoller Musikwissenschaftler ist) damit als Kenner der Materie aufzuwerten. Den Medien wiederum ist es sehr recht, solche Exoten zu Interviews oder Talkshows einzuladen und damit wiederum andere Fanatiker zu ermuntern, ihren Partikalurinteressen Gehör zu verschaffen. Und das ist ein eminent wichtiger Bestandteil des Bodens, auf dem der neue Faschismus gedeiht. Der alte wollte den 'Starken' dienen, der neue macht sich quer durch die Parteien und die gesamte Medienlandschaft zum Sprachrohr der Allergiker aus der bürgerlichen Mittelschicht. Was sich hier zusammenbraut, wohl ohne daß die meisten Beteiligten es auch nur ansatzweise ahnen, ist ungeheuerlich und läuft eben genau auf das von dir genannte Ziel hinaus: die sog. Volksgesundheit zu stärken, um mehr Leistungsfähigkeit zu erzielen, auch im Kampf der Christenheit gegen den islamischen Fundamentalismus.

Dr. Klaus Miehling - 24. Jul, 17:29

Wo ist der Faschismus wirklich?

Zunächst muss ich Sie enttäuschen: Ich bin kein Evangelikaler, sondern Agnostiker.
Das nächste wird Sie freuen: Zu einer Talkshow bin ich noch nicht eingeladen worden. Aber vielleicht kommt das noch.
Da Sie mich in die Nähe des Faschismus setzen, hier ein Zitat des Rocksängers Cat Stevens: „Ich glaube ganz fest an die Idee des Faschismus. Hitler war der erste Rock-Star. Er hat ein ganzes Land in Szene gesetzt." Millionen Jugendliche laufen ihren Gewaltmusik-Idolen nach und lernen von ihnen Rebellion, Kriminalität, Gewalt, rücksichtslosen Hedonismus. "Faschismus tendiert dazu, Männlichkeit, Jugend, mystische Einheit und die regenerative Kraft von Gewalt zu verherrlichen" (wikipedia, Art. "Faschismustheorie"). Das sehe ich z.B. im Heavy Metal und im Rap, aber bestimmt nicht bei Menschen, die mit friedlichen Mitteln vor gesundheitlichen und moralischen Gefahren warnen.
Metallerin (Gast) - 25. Jul, 10:44

Werter Herr Miehling (wenn Sie's denn wirklich sind, was aber eigentlich auch egal ist), das ist ja mal der allergrößte Schwachsinn, den Sie hier verbreiten! Nicht, dass ich so was in der Art nicht auch schon auf fanatischen christlichen Internetseiten gelesen hätte, aber nun gut.
So, der böse Heavy Metal ist also schuld an der weitverbreiteten Gewalt in unserer Gesellschaft. Wie gut, dass ich nun endlich weiß, warum meine Eltern gewalttätig waren...
Ich selbst höre u.a. Metal, auch schon mal der härteren Gangart (Eisregen, Sie können ja mal googeln) und wissen Sie was? Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass ich schon längst Amok gelaufen wäre, wenn ich diese Musik NICHT hören könnte - denn sie dient wunderbar dem Abbau angestauter Aggressionen in der PHANTASIE, die durch jahrelang REAL erlebte Gewalt in Kindheit und Jugend entstanden sind!
monoma - 25. Jul, 16:48

wow herr miehling...

...das nenn´ich ja mal großes kino - auf Ihrer homepage findet sich auf der seite schriftenverzeichnis unter punkt 3 eine fulminante sammlung Ihrer abneigungen gegen so ziemlich wirklich jede art populärer musik, die das letzte jahrhundert so hervorgebracht hat - einschließlich country, wie ich einigen texte entnehme. und Sie schreiben da so dinge wie das folgende, hier am beispiel techno:

"Hinzu kommt, daß die hedonistische Ideologie, die mit allen Arten von Pop- und Rockmusik und mit Techno ganz besonders verbunden ist, in den Hörern ein Weltbild verankert, in welchem es vor allem auf „Spaß haben” ankommt,
in welchem moralische Werte wie Ehrlichkeit, Pflicht und Verantwortung keinerlei Rolle spielen, in welchem der Konsum legaler und illegaler Drogen sowie sexuelle Befriedigung wichtiger sind als Leistungen in Schule und Beruf: „Tu, was Du willst. [...] Nutze alle Mittel”, so lautet das vom Herausgeber des Techno-Magazins Frontpage Jürgen Laarmann formulierte Credo der Technoszene. Christa Zöller weist darauf hin, daß diese Botschaft auffallende
Ähnlichkeit mit dem vom Satanisten Aleister CROWLEY formulierten „Gesetz von Thelema” aufweist."


und zum jazz heisst es u.a.:

"Somit dürfte es vor allem die hedonistische Ideologie sein, die in den Hörern von Jazz wie auch anderer Unterhaltungsmusik ein Weltbild verankert, in welchem es vor allem auf „Spaß haben” ankommt, in welchem moralische Werte wie Ehrlichkeit, Pflicht und Verantwortung keinerlei Rolle spielen, in welchem der Konsum legaler und illegaler Drogen sowie sexuelle Befriedigung wichtiger sind als Leistungen in Schule und Beruf."

ach, hatten wir das nicht eben... ah, das schreiben Sie bei allen von Ihnen beäugten musiken so hin. na dann.

Ihre ganze sog. kritik klingt wie das klassische "bildungs"bürgerliche genöle von rechts - drogen, sex und hedonismus stellen da den untergang des abendlandes dar. kombiniert mit einer ordentlichen portion rassismus, denn repetitive musiken stellen einen wichtigen teil vieler außereuropäischen kulturen dar, die lt. Ihrer logik allesamt auf dem pfad der verderbnis wandeln müssen.

was waren übrigens noch die bevorzugten musiken im nationalsozialismus? "volksmusik", märsche und wagner dürften in punkto von erzeugung bzw. untermalung gewalttätiger zustände bis heute in diesem kontext ungeschlagen sein. ebenfalls würde ich mich an Ihrer stelle mal genauer mit der geschichte der psychoaktiven substanzen beschäftigen, insbesondere heroin, kokain und der amphetamine (speed) - wer die wann und zu welchen zwecken entwickelte - könnte sein, dass Sie da die feststellung machen müssen, dass das durchaus von leuten gemacht wurde, die "leistungen in schule und beruf" genau so geschätzt haben wie Sie.

im übrigen bringen Sie - wie bei leuten Ihres schlages üblich - ursache(n) und wirkung(en) schwer durcheinander - der tatsächlich vorhandene psychophysische verfall vieler menschen im sog. zivilisierten westen spiegelt sich zwar in den jeweils aktuellen kulturellen strömungen (incl. musik) an vielen ecken wieder, liegt aber eher u.a. in genau der völlig sinnentleerten leistungsideologie begründet, die Sie da als nützlicher idiot des kapitals - denn in dessen interesse werden solche moralischen konstrukte aufgebaut - propagieren.

dazu empfehle ich mal einen blick auf die protagonistInnen der sog. klassischen literatur und auch der malerei - Sie werden stauen, was sich da alles an zuständen finden lässt, die auch psychiater interessieren könnten. nur liegt das nicht an den buchstaben und farben.
Dr. Klaus Miehling - 11. Aug, 12:49

an Metallerin:
Wie so viele unterstellen Sie mir Aussagen, die ich nie gemacht habe. Entweder lesen Sie meine Schriften nicht richtig, oder Sie urteilen nach dem, was andere über mich schreiben.
Selbstverständlich ist nicht jede Gewalt auf aggressive Musik und schon gar nicht alleine auf Heavy Metal zurückzuführen.
Dass aggressive Musik „dem Abbau angestauter Aggressionen" dient, ist wissenschaftlich eindeutig widerlegt. Da können Sie praktisch jeden Aggressionsforscher oder Medienwissenschaftler fragen. Vermutlich erleben Sie eine physische Erschöpfung und missdeuten das als Aggressionsabbau.

an Monoma:
Es entlarvt Ihre Argumentation als haltlos und bloß diffamierend, wenn Sie die Kritik an „repetitiven Musiken", die ich so generell übrigens nie geäußert habe, als Rassismus diffamieren. Denn dann müsste jede Kritik an irgendeiner kulturellen Sache rassistisch sein.
Im übrigen ist die Mordrate in außeuropäischen Kulturen, in deren Musik das rhythmische Element dominiert (das ist eher das Problem als die Repetitivität) außerordentlich hoch. Das ist eine Tatsache, kein Rassismus.
Zum alten Nazi-Argument: Damit Musik gewaltfördernd wirkt, muss sie bestimmte klangliche Eigenschaften besitzen, und wenn man es in gesellschaftlichen Dimensionen betrachtet, mu sie auch eine entsprechende Verbreitung haben. In den 30er Jahren war der Musikkonsum mit dem heutigen nicht zu vergleichen, und die Musik war weniger aggressiv. Gewalt gab es bekanntlich schon immer. Musik ist nur EIN Mittel, um die Gewaltbereitschaft zu erhöhen; aber HEUTE ist sie eines der effektivsten und wichtigsten.
Es geht doch nicht darum, wer wann welche Drogen zu welchen Zwecken entwickelt hat, sondern darum, wer sie zu welchen Zwecken anwendet!
Die „sinnentleerte Leistungsideologie" ist weitaus älter als die hochaggressive populäre Musik der letzten Jahrzehnte. Und es sind doch gerade die Gegner dieser Ideologie (wenn sie denn besteht), bei denen der „psychophysische Verfall" zu verzeichnen ist!
monoma - 12. Aug, 14:11

@ hr. miehling

"... wenn Sie die Kritik an „repetitiven Musiken", die ich so generell übrigens nie geäußert habe, als Rassismus diffamieren. Denn dann müsste jede Kritik an irgendeiner kulturellen Sache rassistisch sein."

ist Ihnen die tendenz der eigenen argumentation etwa unklar? wenn ich mir Ihre textsammlung, von der ich oben zwei beispiele verlinkt habe, anschaue und das in den kontext der von Ihnen offensichtlich bevorzugten und mehr oder weniger explizit als "wertvoll" verstandenen musik stelle, so ist das ergebnis unmißverständlich: Sie konstruieren einen "christlich-abendländisch-europäischen kulturraum" (der im übrigen ohne diverse wechselwirkungen mit außereuropäischen kulturen nie so existiert hat) und setzen dann eine klare hierarchie mit den benannten begründungen Ihrerseits. und das ist eine völlig willkürliche und implizit rassistische vorgehensweise, wie Sie im folgenden selbst belegen:

"Im übrigen ist die Mordrate in außeuropäischen Kulturen, in deren Musik das rhythmische Element dominiert (das ist eher das Problem als die Repetitivität) außerordentlich hoch. Das ist eine Tatsache, kein Rassismus."

in welchen kulturen denn? dann: dass Sie jetzt rhythmen statt repetivität verdächtigen, ändert an der gesamtaussage kein stück, eher im gegenteil, weil beides tatsächlich nicht gleichzusetzen ist, aber rhythmische musik global noch stärker verbreitet ist. diesen fakt aber in direkten bezug zu den angeblich höheren mordraten zu stellen, ist geradezu unterirdisch - gehen Sie mal zu einem psychotraumatologen mit auslandserfahrungen und lassen Sie sich über gesellschaften erzählen, die teil jahrzehntelange innere und äußere kriege, diktaturen und immer wieder naturkatastrophen hinter sich haben (wer für die ersteren dazu letztlich in einer vielzahl der fälle verantwortlich ist, entnehmen Sie der europäischen kolonialgeschichte). es ist ein schlechter witz, die imperialistische (und religiös verbrämte) sog. "christlich-europäische" kultur als hort der fortschritts und des "guten" zu glorifizieren. Ihre "kultur", auf die Sie sich da immer beziehen, ist im kern nie etwas anderes gewesen als eine raub-, mord- und plünderungs"kultur", die sich dazu noch hinter vielfältigsten selbstentlastungskonstrukten wie dem geschwafel von "hochkultur", "zivilisation" und und letztlich dem "höherwertigen" nicht nur versteckt, sondern diese selbst erklärte "höherwertigkeit" auch noch als rechtfertigung zur unterwerfung all der primitiven barbaren da draussen benutzt (hat) - wozu auch thesen wie die Ihren zu rechnen sind.

"Damit Musik gewaltfördernd wirkt, muss sie bestimmte klangliche Eigenschaften besitzen, und wenn man es in gesellschaftlichen Dimensionen betrachtet, mu sie auch eine entsprechende Verbreitung haben. In den 30er Jahren war der Musikkonsum mit dem heutigen nicht zu vergleichen, und die Musik war weniger aggressiv."

letzteres ist eine durch nichts belegte behauptung, weil musik nicht per se aggressiv sein kann, sondern das immer vom gesamten kontext abhängt - wer unter welchen umständen wann was hört. die bombastischen töne einer wagneroper zb. werden auf die uniformierten volksgenossen im kontext von irgendwelchen parteiveranstaltungen uhnd totalitären losungen sehr wohl mehr gewaltfördernd gewirkt haben, als Sie es heute irgendwelchen heavy-metall-hörerInnen unterstellen. dazu: beschäftigen sich mal mit den gründen für die entwicklung und der verbreitung des volksempfängers - die nazis waren mit die ersten, die das potenzial der akustischen propaganda genutzt haben.

"Es geht doch nicht darum, wer wann welche Drogen zu welchen Zwecken entwickelt hat, sondern darum, wer sie zu welchen Zwecken anwendet!"

interessant - Sie finden es also offensichtlich weniger ein problem, "heroin" (von bayer vor und im wk1 entwickelt) sinnlos zerschossenen soldaten zwecks schmerzlinderung zu geben als die nutzung bei menschen, die das prnzipiell ähnlich zwecks betäubung vielfältiger innerer schmerzen nehmen? beschweren Sie sich ja nicht über doping und die chemische stimulierung der sog. leistungsfähigkeit - das würde Sie nämlich völlig unglaubwürdig machen.

und um eine entsprechende diskussion gleich abzuwürgen: nein, ich sehe den konsum psychoaktiver substanzen - wozu übrigens an erster stelle in Ihrer "kultur" der alkohol mit all seinen verheerenden folgen gehört - nicht unproblematisch, verabscheue aber die tiefe heuchelei dieser gesellschaft, die tag für tag zustände schafft, die sich für mehr und mehr menschen nur noch unter drogen aushalten lassen (incl. pschopharmaka), und die anschließend genau diese menschen noch willkürlich aufteilt in "legale" und "illegale" userInnen.

"Die „sinnentleerte Leistungsideologie" ist weitaus älter als die hochaggressive populäre Musik der letzten Jahrzehnte. Und es sind doch gerade die Gegner dieser Ideologie (wenn sie denn besteht), bei denen der „psychophysische Verfall" zu verzeichnen ist!"

zum ersteren: die musik spiegelt eher lediglich die eskalation dieser ideologie (populär als neoliberalismus bekannt) in den letzten beiden jahrzehnten.

und zum letzteren: völlig und total heruntergekommen (im sinne des gemeinten verfalls) sind ja wohl eher die selbsterklärten westlichen "eliten" in ihren schicken anzügen und kostümen, die sich mit fug und recht strukturell mit der klassischen mafia vergleichen lassen müssen. was nicht zuletzt durch die aktuelle krise einmal mehr belegt wird.
Quirinus (Gast) - 28. Jul, 00:19

Wenn Sie, Herr Miehling,

kein Evangelikaler sind, sondern sogar ein Agnostiker, dann erstaunt es mich umso mehr, daß Sie in Ihren mir bekannten Schriften im Prinzip nichts anderes sagen als das, was jene evangelikalen, stockkonservativen anthroposophischen und auch New-Age-Autorenbehaupten, aus deren Pamphleten Sie so oft zitieren, als handele es sich um seriöse wissenschaftliche Werke. Tatächlich aber handelt es sich, soweit ich diese Veröffentlichungen kenne (und ich kenne einige!), um mehr oder minder wirr geschriebene Pamphlete, worin immer wieder Dinge behauptet werden, die schon längst widerlegt sind, oder Zitate völlig aus dem Zusammenhang gerissen sind, selbstverständlich auch ohne Quellenangabe. Ich verweise nur auf das wirre Machwerk des dubiosen Fernando Salazar Banol. Wer nicht an SATAN glaubt, bevor er es gelesen hat, der glaubt spätestens nach 122 Seiten an jenen Teufel, den auch Sie dem christlichen Abendland austreiben wollen: und hört selbstverständlich, wenn er Stücke wie Stairway To Heaven von Led Zeppelin rückwärts abspielt, genau das, was er hören soll. Haben Sie all diese teuflischen Botschaften auch schon gehört?

Ich habe sie jedenfalls nicht gehört, und der christliche Autor Dierk Heimann hat ebenfalls vergeblich danach gesucht (Backward Masking - Fluch oder Flop? Asslar 1990). Gleichermaßen vergeblich ist jede Mühe, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Rockmusik und Kriminalität herzustellen, so wie Sie es tun: etwa unter Berufung auf all die Aussagen jugendlicher Straftäter speziell in den USA, wo geschäftstüchtigen Anwälten bekanntermaßen kein Mittel zu primitiv ist, um ihre Klienten und damit auch deren Elternhaus zu entlasten. Aber ist es nicht seltsam, daß gerade in der frömmsten aller westlichen Gesellschaften die Kriminalität am höchsten ist? Wo viel Gott ist, da ist eben auch viel Teufel.

In Ihren Schriften, um darauf zurückzukommen, habe ich genau jenen Teufel oder Ahriman entdeckt, der auch in den Schriften evangelikalter und anthroposophischer Autoren herumspukt; kein Wunder also, daß Sie nicht nur bei mir den Eindruck erweckt haben, als hätten Sie speziell etwas mit den Evangelikalen zu tun, von denen die anthroposophischen Rockmusikgegner ja nur abschreiben, so wie demnächst wahrscheintlich von Ihnen, die Sie wiederum vielen von jenen Autoren abgeschrieben zu haben scheinen, um deren Behauptungen mittels fragwürdiger Interpretationen von allerlei Statistiken mit einem wissenschaftlichen Glorienschein zu versehen. Doch schon die Bezeichnung Gewaltmusik hat nichts mit Wissenschaft zu tun, sondern ist pure Ideologie wie einst das Wort Niggerjazz oder Richard Wagners berüchtigte Schrift Über das Judentum in der Musik.

Was mich betrifft, so stimme ich Ihnen übrigens in manchem zu: z.B. darin, daß es eine Tortur sein kann, mit Musik berieselt oder gar mittels tieffrequenter Bässe und Drumbeats erschüttert zu werden. Doch eine ähnliche Tortur ist es, morgens um 8 geweckt zu werden, weil der Nachbar immer wieder dieselbe Hornsequenz von Mozart übt. Musik wird störend oft empfunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden. Kein Wunder also, daß die Versuche, Junkies an öffentlichen Haltestellen mittels klassischer Musik zu vertreiben, so erfolgreich waren. Nur sollten Sie als Gegner der Musikberieselung auch gegen solche Versuche Stellung beziehen - und als Freund der klassischen Musik dagegen, sie zu dem Zwecke zu mißbrauchen, Ihnen und anderen mißliebige Menschen von der Straße zu vertreiben.

Herr Miehling! Hinter der Sachdiskussion, die Sie entfacht haben, steht, so befürchte ich, etwas ganz anderes: nämlich ein Beziehungsaspekt. Deshalb wüßte ich gern, was in Ihrem Leben Sie so dermaßen traumatisiert hat, daß Sie zwecks Rettung des Abendlandes vor dem moralischen Zerfall Maßnahmen fordern, die letztlich auf ein Totalverbot aller Ihnen verhaßten Musikrichtungen hinauslaufen. Das werden Sie mir selbstverständlich nicht verraten, und letztlich geht es mich auch gar nichts an. Doch Sie hat es eben auch nichts anzugehen, welche Art von Musik andere Menschen hören oder sogar selbst produzieren, um diese Welt ertragen zu können. Und Millionen und Abermillionen, ja Milliarden Menschen können unsere Welt eben nur ertragen, indem sie genau die Musik hören, die ihre Erfahrungen und Bedürfnisse auf die eine oder andere Weise reflektiert. Würde man ihnen diese Musik verbieten und sie zwingen, nur noch das zu hören, was Sie für gut und richtig halten, etwa Ihre Kompositionen - dann, ja dann, Herr Miehling: DANN wäre wirklich der Teufel los.

Also machen Sie doch nicht den Taliban, Herr Miehling. Wenden Sie sich wieder der Musik zu, von der Sie wirklich etwas verstehen, anstatt aus Cat Stevens einen Faschisten zu machen. Wobei mir gerade einfällt, daß der im Frühjahr 1967 mal einen kleinen Hit hatte, der zum Thema paßt: I'm Gonna Get Me A Gun. Ja! wieder ein typisches Stück Gewaltmusik, gelle? Nur ist kein einziger Fall eines Jugendlichen oder Erwachsenen bekannt, der dieses recht lauten und schlagzeugbetonten Stücks wegen zur Knarre gegriffen hätte. Im Gegenteil. Diese Art von Musik hat damals Tausende von Jugendlichen davon abgehalten, im Vietnamkrieg unschuldige Menschen abzuschlachten und sich selbst verheizen zu lassen, und sie dazu ermuntert, sich mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung zu solidarisieren. Kein Wunder also, daß die Konservativen in den USA (und nicht nur dort) seitdem ein ganz besonderes Interesse daran hatten, den Rock'n'Roll mit dem Teufel in Verbindung zu bringen. Aber da Sie ein Agnostiker sind, werden Sie ja nicht an den Teufel glauben. Weshalb dann also Ihr Kreuzzug?

Dr. Klaus Miehling - 11. Aug, 17:01

Nur weil jemand Christ oder Anthroposoph ist, muss ja nicht alles falsch sein, was er sagt. Abgesehen davon, dass es auch dort ganz unterschiedliche Einstellungen zu Gewaltmusik gibt.

Selbst der Heavy-Metal Apologet Reto Wehrli leugnet nicht, dass es „Backward-Masking" gibt. Die Wirkung visueller subliminaler Reize ist erwiesen; warum sollten nicht auch auditive subliminale Reize wirken können? Die Frage ist offen. Mir geht es auch mehr um die Intention als um die Wirkung. Was man bewusst hört, ist sicherlich wirkungsvoller.

Wenn die Bezeichnung „Gewaltmusik" „pure Ideologie" ist, dann ist es auch die Bezeichnung „Gewaltvideospiel". Und was heißt hier „hat nichts mit Wissenschaft zu tun"? Begriffe werden immer von Menschen gemacht. Unterhaltungsmusik, populäre Musik, klassische Musik, ernste Musik, das sind alles Bezeichnungen, die ihre Stärken und Schwächen haben. Mit dem Begriff „Gewaltmusik" kommt es mir darauf an, nicht mehr zu verschleiern, dass diese Musik klanglich aggressiv ist und somit das akustische Gegenstück zu Gewaltfilmen und Gewaltvideospielen.

„Kein Wunder also, daß die Versuche, Junkies an öffentlichen Haltestellen mittels klassischer Musik zu vertreiben, so erfolgreich waren", weil Musik „mit Geräusch verbunden"? Glauben Sie, auch Pop- oder Rockmusik würde diese Leute vertreiben? Warum sieht und hört man sie dann mit ihren „Ghettoblastern" herumhängen?

Doch, natürlich geht es uns alle etwas an, wenn Millionen Menschen Musik hören, welche die Wahrscheinlichkeit von Straftaten (nicht nur von körperlicher Gewalt) erhöht, die sich gegen uns richten! Wo ist denn der ganze Werteverlust der letzten Jahrzehnte antizipiert worden? In der Gewaltmusik! Sie vermittelt Kindern und Jugendlichen die Werte fürs Leben. Das sage nicht nur ich, das können Sie in vielen sozialwissenschaftlichen Veröffentlichungen lesen, und das könnten Sie selbst beobachten, wenn Sie Ihre ideologische Brille ablegen würden.

„[...] ist kein einziger Fall [...] bekannt": Vielleicht nicht von diesem Stück, aber von anderen. Beispiele finden Sie in meinem Buch, aber auch in Aufsätzen, die sich jeder von meiner Netzseite herunterladen kann.

Nein, ich glaube nicht an den Teufel, aber ich sehe, dass das Böse Realität ist, und dass es seinen musikalischen Ausdruck in der Gewaltmusik findet. Und Musik ist schließlich, wie der Hirnforscher Eckart Altenmüller sagt, „der stärkste Reiz für neuronale Umstrukturierung, den wir kennen."

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