Sonntag, 25. Juli 2010

notiz: katastrophe mit ansage - loveparade [3. update, 27.07.10]

nein, das war kein "gewöhnlicher" unfall, wie er auf veranstaltungen dieser größenordnung auch bei bester planung immer wieder mal vorkommen kann. in diesem fall gibt es inzwischen immer mehr indizien für ein multidimensionales und möglicherweise mutwilliges versagen auf mehreren ebenen - stadt, behörden und veranstalter. um das nachzuvollziehen, lese man sich sorgfältig zb. nicht nur diesen artikel vom 20. juli durch, sondern auch und vor allem die zugehörigen kommentare, in denen fast haargenau der heutige verlauf schon geschildert wurde.

motive dafür, diese geschichte - bochum hatte letztes jahr, glaube ich, aus der einsicht heraus, für eine veranstaltung dieses kalibers schlicht nicht die infrastruktur zu haben, auf die durchführung verzichtet - dann doch um, wie heute zu sehen ist, so ziemlich jeden preis in duisburg durchzuführen, könnten etwas mit der situation zu tun haben, die
hier in den krisennews 14 ziemlich in der mitte geschildert ist. duisburg war und ist faktisch pleite, und es ist nicht allzu abwegig anzunehmen, dass die vorstellung konsumierender massen plus die möglichkeit einer ordentlichen selbstdarstellung / imagepolierung wie üblich grundsätzliche bedenken hinweggefegt hat.

18 19 tote und dutzende schwer- und leichtverletzte als letzter stand - kein wunder, dass die behördlich verantwortlichen bereits rückzugslinien basteln ("keine panik im tunnel, kein fehlverhalten der polizei, keine überfüllung des geländes, die opfer haben unbefugt verbotene wege genommen" - so einige gesammelte aussagen dieses abends aus tv und presse). bei der vielzahl von augenzeugenberichten werden wir sehen, ob die herrschaften damit durchkommen. vermutlich wird´s wieder auf niedere chargen als sündenböcke hinauslaufen...

*

edit: das folgende möchte ich dann doch nicht in den kommentaren versacken lassen - wenn sich
das als real herausstellen sollte ...

(...) "Wie SPIEGEL ONLINE erfuhr, wurden bei der Bundespolizei inzwischen sämtliche Unterlagen zur Love Parade - Einsatzbefehle, Lagemeldungen, Karten - von den Computern der Beamten sowie aus deren E-Mail-Accounts gelöscht. "Da kam sehr schnell der ganz große Staubsauger", sagte ein Beamter, der sogar eine konzertierte "Vertuschungsaktion" im Gang wähnt." (...)

... dann erhalten nicht nur die in den letzten stunden zunehmenden massiven vorwürfe seitens der polizeigewerkschaft gegen veranstalter und auch die stadt ein interessantes g´schmäckle, sondern es stellt sich auch die frage, welche instanz da überhaupt in der lage sein sollte, so etwas wie wirkungsvolle ermittlungen zu führen - auch gegen behörden und teile der polizei. ich glaube, ich kann mir das ergebnis dieser ermittlungen schon jetzt lebhaft vorstellen...

und noch ein edit: obiger spon-bericht wurde sehr schnell verbreitet, und auch sehr schnell von der bundespolizei dementiert - jetzt schreibt spon in einem nachtrag das folgende:

"In einer ersten Version dieses Artikels hieß es, von Rechnern der Bundespolizei seien sämtliche Unterlagen zur Love Parade gelöscht worden. Dies ist nach unseren Recherchen auch der Fall - bei mindestens einer Dienststelle, aber nicht unbedingt flächendeckend bei der gesamten Bundespolizei."

*

edit am 26.07.: weil ich gerade über zwei dokumentarische materialien gestolpert bin, ergänze ich mal hier: einmal wäre da der bericht einer augenzeugin, der unten in einem
kommentar thema ist. dazu passen dann auch folgende private fotos:

-
dieses hier dürfte den hauptsächlichen bereich der katastrophe erfassen, in dem sich auch - weiter nach rechts zur treppe (nicht auf dem bild) hin die oben erwähnte augenzeugin befunden hat. die sichtbare rote werbetafel wird in etlichen augenzeugenberichten ebenfalls erwähnt.

laut der bisherigen offiziellen aussagen müssten an der da sichtbaren tunnelwand auch die ominösen kletterversuche stattgefunden haben - ich finde das, was zu sehen ist, sehr deutlich - an einer solchen wand bzw. den kleineren reklametafeln klettert man nicht mal eben aus jux hoch, oder um schneller irgendwo zu sein (wie es diese offiziellen aussagen suggerieren), sondern das sieht nach absolutem notklettern aus. abstürze verwundern mich da ebenfalls nicht.

- das
darauf folgende foto zeigt dann diesen bereich im geräumten zustand, und es sind sieben oder acht bedeckte körper zu sehen. alle von der wand gefallen? schwere rückenmarks- und/oder schädelverletzungen jedenfalls, wie sie als erste aussagen von ärzten zu den toten im umlauf sind, kann ich mir auch als resultat massiver (und durchaus unfreiwilliger) tritte vorstellen. wer in so einer menge fällt, kommt mit einiger wahrscheinlichkeit nicht wieder hoch.

es kursieren übrigens auch etliche augenzeugenberichte, die von einigen toten im tunnel selbst berichten - und zwar nicht säuberlich aufgereiht, wie es vielleicht zu erwarten wäre, wenn die leichen erstmal an einen etwas geschützteren ort gebracht worden wären.

jedenfalls schätze ich, dass das gerede von "individuellem fehlverhalten", wie es der oberbürgermeister von duisburg gestern in die welt setzte, aus keiner perspektive wirklich haltbar ist. erstmal ist fraglich, ob wirklich alle toten beim bzw. durch das klettern gestorben sind. und selbst wenn, wäre das klettern wie schon erwähnt deutlich (!) als versuch in panik und todesangst zu begreifen, einer echten falle entkommen zu wollen.

*

noch ein trauriges
update:

"Bei der Katastrophe während der der Love Parade sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft Duisburg deutlich mehr Menschen verletzt worden als zunächst angenommen. Die Staatsanwaltschaft bezifferte ihre Zahl am Montag auf mehr als 500. (...) 43 Menschen befänden sich noch im Krankenhaus, ein Opfer schwebe in Lebensgefahr." (...)

und mir scheint auch einiges darauf hinzudeuten, dass in der stadt duisburg selbst jetzt noch andere dinge eine rolle spielen, für die die katastrophe eine art trigger darstellt - der regelrechte
wutausbruch einer empörten menschenmenge gestern abend am ort des geschehens gegen den oberbürgermeister ist bemerkenswert:

(...) "Dort traf ihn die Wut der Trauernden mit voller Wucht - ein Mann soll ihn sogar mit Müll beworfen haben. Die restlichen Anwesenden sollen eine Traube um den Bürgermeister geildet und ihren Unmut mit Buh-Rufen und Beschimpfungen kundgetan haben.

Ein Leibwächter brachte den 55-Jährigen schließlich vor den etwa 120 Menschen in Sicherheit. Er flüchtete in seinem Dienstwagen." (...)


der bericht wurde inzwischen vom ob selbst bestätigt.

*

edit am 27.07.: ach, welch´überraschung:
Alle Opfer wurden zu Tode gequetscht.

ich hatte ja weiter oben schon meine skepsis bezgl. der version von den stürzen (hoffentlich) sichtbar werden lassen; aber das am sonntag gleich von drei seiten - nämlich stadt, polizei und "panikforscher" schreckenberg - derart massiv im brustton der überzeugung - ja nun, gelogen wurde (dazu eine lüge, die implizit die toten selbst für "fehlverhalten" verantwortlich machte), ist selbst im zynismusmodus, in dem ich mich gerade immer im angesicht der zustände befinde, schwer erträglich. warum ich das ein lüge nenne? entweder die herrschaften wussten an dem tag absolut noch nichts über die tatsächliche todesursache, dann ist das zumindest ein widerwärtiger versuch gewesen, sich selbst präventiv aus der schußlinie zu nehmen. aber ich erinnere mich an die auch oben zitierten "ärztlichen aussagen", von denen ich inzwischen gerne mal wissen würde, welcher arzt tatsächlich soetwas wann und wo gesagt hat. wer bereits sonntag tatsächlich "rückenmarksverletzungen" diagnostiziert hat, sollte ja wohl kaum nicht in der lage sein, massive quetschungen im brustbreich auch wahrzunehmen. mein gefühl ist dazu deutlich: der oder die zitierten ärzte befanden sich mit einiger wahrscheinlichkeit einzig im kopf der herren... oder sie haben vorläufige ärztliche aussagen in ihrem sinne gedeutet.
oder aber auch: sie wussten direkt bei ihren öffentlichen aussagen, dass sie da nicht die wahrheit erzählen. kann mich nicht entscheiden, was ich schlimmer finden würde.

die oben verlinkte aussage einer augenzeugin wird dadurch im großen und ganzen verifiziert. ebenso ist bis jetzt kein mir bekanntes video aufgetaucht, auf denen die angeblichen stürze zu sehen wären - bei der ballung von kameras an dem tag dort eh schon ein wunder für sich.

*

der oberbürgermeister kommt inzwischen nicht nur politisch, sondern auch persönlich massiv unter druck: es gibt offene
morddrohungen, aufgrund derer er und seine familie erst mal abgetaucht sind. ich hatte ja schon nach dem angriff einer wütenden menge auf ihn am sonntagabend das gefühl, dass die katastrophe zumindest in duisburg selbst auch als eine art trigger für ganz anderes wirkt, und das verstärkt sich bei mir gerade - es könnte sein, dass die durch die parade sichtbar werdenden strukturen der (kommunal-)politik nicht nur in duisburg, sondern auch im ruhrgebiet insgesamt, eher die spitze eines eisbergs darstellen. und für viele leute offenbar das faß jetzt endgültig übergelaufen ist. der klüngel (nicht nur der kölner) ist seit jahrzehnten legendär, und nach eben diesem sieht es im zusammenhang mit der katastrophe aus.

vor dem hintergrund wird es auch interessant sein zu beobachten, wie sich eine für donnerstag angesetzte
demonstration vor dem duisburger rathaus entwickelt - gerüchte darüber gab es schon seit zwei tagen, aber inzwischen wird offen mobilisiert - anscheinend von nicht näher beschriebenen privatpersonen. in dem zusammenhang sind auch die kommentare unter den beiden eben verlinkten artikeln interessant, weil sie teils ein maß an wut und verachtung widerspiegeln, welches ich mir nicht alleine aus der katastrophe erklären kann, schon gar nicht bei leuten, die aller wahrscheinlichkeit mehrheitlich nicht direkt betroffen sind.

*

weil ich hier jetzt öfter aus dem portal "der westen" der "westdeutschen allgemeinen" zitiert habe, möchte ich auch nicht unterschlagen, dass die massive contra-berichterstattung, die jetzt im nachhinein aus dieser ecke gegen alle befürworter der parade stattfindet, eine erstklassige 180°-wendung darstellt - vor der parade nämlich pfiff nicht nur die "waz", sondern so ziemlich alle relevanten ruhrgebietsmedien, aus einem
ganz anderen loch:

(...) "Als führende Regionalzeitung legte sich auch die Westdeutsche Allgemeine (WAZ) ins Zeug. Würde die Loveparade von der Duisburger Stadtverwaltung um CDU-Oberbürgermeister Adolf Sauerland "ausgerechnet im Jahr der Europäischen Kulturhauptstadt wieder abgeblasen, wäre es peinlich für das Revier", kommentierte die WAZ. Und nachdem Sauerlands Stadtverwaltung aller Sicherheitsbedenken zum Trotz grünes Licht gab, lief die Werbemaschine richtig an: "So geil ravt die Loveparade", schrieb Bild und zeigte knapp bekleidete Technofans. (...)

Bis zur Katastrophe dürfte die Duisburger Stadtverwaltung das Gefühl gehabt haben, alles richtig zu machen. Zudem hatten die Bürokraten wohl das Schicksal des ehemaligen Bochumer Polizeipräsidenten Thomas Wenner vor Augen, der sich 2009 mit seinen Sicherheitsbedenken durchgesetzt hatte und daraufhin als Bedenkenträger abgekanzelt wurde. "So richtig peinlich" sei die Absage, befand die WAZ-Gruppe damals: "Bochum reißt die ganze Region mit rein. Wie stehen wir jetzt da?" (...)


die "waz" und auch "rp-online" haben in den letzten tagen eine relativ gute und vor allem aggressive (im sinne von fordernd) berichterstattung gefahren (und ich habe nicht das gefühl, dass das primär zur selbstentlastung dient - kann mich natürlich aber auch täuschen), aber gerade bei der ersteren wäre ein eigenes eingeständnis der miesen rolle vor dem tödlichen samstag auch überfällig.

*

jedenfalls bis hierhin alles in allem ein gesellschaftliches lehrstück allererster güte - es ist ein bodenloser abgrund sichtbar. wobei ich inzwischen das gefühl habe, immer genau schauen zu müssen, wohin der nächste schritt geht - es wimmelt hier ja nur von solchen schlünden...

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