einige der immer selteneren momente, in denen ich meine tv-abstinenz bedauere, werden innerhalb der nächsten drei tage liegen: arte startet eine kleine reihe zum thema Expedition ins Gehirn mit einem schwerpunkt hinsichtlich der zusammenhänge zwischen autismus und sog. savant-fähigkeiten - folge 1, heute abend (!) um 19.00 h: "Gedächtnis-Giganten":
"Kim Peek aus Salt Lake City ist der „wahre Rainman“. Er liest nicht, er scannt Buchseiten. Das visuelle System seines Gehirns erlaubt ihm offenbar, mit dem einen Auge eine Seite und mit dem anderen Auge parallel eine andere Seite zu lesen und den jeweiligen Inhalt in etwa acht Sekunden zu speichern. Genauso speichert Kim beliebige Daten, wie auf einer internen Festplatte: Melodien, Namen, historische Jahreszahlen, den Kalender, das komplette Fernsehprogramm, alle Telefonvorwahlen der USA, das Straßennetz aller Staaten. Doch Kim bezahlt einen Preis für seine geheimnisvollen Fähigkeiten: Kim galt als Kind als geistig schwerbehindert - ehe er mit vier die ersten Lexikonbände im heimischen Wohnzimmer auswendig konnte. Auch mit über 50 kann der Mega-Savant, wie ihn die Wissenschaftswelt bewundernd nennt, nicht allein für sich sorgen."
folge zwei: morgen, am 21.02., ebenfalls 19.00 h: "Der Einstein-Effekt":
"Der Dubliner Hirnforscher Prof. Michael Fitzgerald vertritt die Theorie, dass herausragende Kreativität sehr häufig mit den Fehlschaltungen von Autisten zusammengeht. Einstein, Newton, Mozart und Beethoven, so sagt Fitzgerald, seien extreme Begabungen gewesen, weil ihre Gehirne falsch verkabelt waren. Irgendwie so, wie die von Matt Savage und Stephen Wiltshire. An der Universität Sydney versucht Prof. Alan Snyder deshalb, bei Versuchspersonen Teile des Hirn zeitweilig zu lähmen, um aus ihnen eine größere Kreativität herauszuholen: „Faszinierend“, sagt Snyder, „dass man Teile unseres Gehirns abschalten muß, damit unsere schöpferischen Kräfte sich entfalten können.“ Doch Snyders Experimente sind höchst umstritten."
(isaac newton war ja hier vor kurzem erst ein thema).
folge drei: mittwoch, 22.02., 19.00 h: "Der große Unterschied" - u.a. wird hier auch etwas über temple grandin zu erfahren sein, zu der es hier mehr zu lesen gibt.
"Baron-Cohens Erkenntnisse brechen mit dem gesellschaftlich erwünschten Dogma, dass Männer- und Frauen-Gehirne sich nur unwesentlich unterscheiden. Die Fehlkonstruktion des extrem männlichen Gehirns kann Genies und Monster hervorbringen - und Savants: Als kleines Mädchen sprach Temple Grandin gar nicht. Und danach hänselten die anderen Schulkinder sie, weil sie „wie ein Cassetten-Recorder“ aufgeschnappte Worte und Sätze nur abzuspielen schien. Menschensprache hat sie sich - Dank ihrer herausragenden Intelligenz - als „Fremdsprache“ angeeignet. Die Sichtweise von Tieren aber, die ebenfalls nicht in Sprache, sondern in Bildern „denken“, kennt Temple wie ihre Muttersprache. Prof. Baron-Cohen meint, dass in Temples Kopf ein eigentlich männliches „System“-Gehirn arbeitet. Dr. Temple Grandin ist heute die wichtigste Frau in der Viehindustrie der Steak- und Burger-besessenen USA. Sie hat mehr als die Hälfte aller Tierzuchtanlagen des größten fleischproduzierenden Nation der Welt designt, weil sie die Ängste der Kühe, Schweine oder Schafe genau kennt. Doch die Gefühls- und Denkwelten der Normalmenschen wird sie nach wie vor nicht verstehen. Sie wird sich nie im Leben verlieben können."
ich würde mich sehr freuen, wenn es unter den leserInnen hier vielleicht einige gibt, die diese reihe aufzeichnen könnten - diese sendungen versprechen, interessant zu werden.
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dem hinweis eines lesers verdanke ich die erstmalige kenntnisnahme der "philosophie des als-ob" von hans vaihinger, auf die sich interessanterweise auch im "neurolinguistischen programmieren" bezogen wird - dieser spur nachzugehen, verspricht ebenfalls einiges (u.a. leider eine verzögerung der fortsetzung des nlp-beitrags ). für weitere infos und hinweise bezgl. der wirkung und des einflusses dieser philosophie, von der es bei wikipedia heißt "Weitgehend vereinbar ist die Philosophie des Als Ob auch mit dem Konstruktivismus (...)", wäre ich sehr dankbar. ebenfalls für weitere informationen zum 2005 in halle gegründeten als-ob-institut, welches sich mit der obengenannten philosophie beschäftigt. online lässt sich zur arbeit dieses instituts bisher so gut wie nichts finden.
(das folgende lässt sich als ergänzung/fortsetzung dieses beitrags lesen.)
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die zeit arbeitet in einem neuen artikel an der rehabilitation der gefühle, in dem sich u.a. diese behauptung findet:
"Entscheidungen ohne Gefühle gibt es gar nicht. Der Homo oeconomicus, der die Alternativen rein rational abwägt, erweist sich als Fiktion der klassischen Wirtschaftstheorie."
jein. wer sich mit phänomenen wie dem autismus, der klassischen psychopathie und eben auch der alexithymie näher beschäftigt, könnte sehr wohl zu dem schluß kommen, dass es sich hier um versuche zur angleichung an das "ideal" des "homo oeconomicus" handelt (oder aber das modell des "homo oeconomicus" nach den primären strukturellen eigenschaften der genannten störungen konstruiert ist...) - genau diese befürchtung (nicht nur von mir) war ja bereits öfter thema hier. ich hätte mir gewünscht, das das thema der simulation von gefühlen nicht so vollständig unter den tisch fällt.
und hätte sich der autor mal genauer diesen - von ihm selbst oder der redaktion - verlinkten artikel angeschaut, so hätte er selbst entsprechende schlüsse ziehen können. eine art populäre einführung ins thema alexithymie, etliches ist bereits im älteren blogartikel dazu erwähnt - einiges jedoch verstärkt ganz persönliche spekulationen meinerseits:
"Bislang haben Wissenschaftler nur Vermutungen, warum manche Menschen so schlecht mit Gefühlen zurechtkommen. Die beiden plausibelsten: Entweder haben sie es als Kind nie gelernt, oder sie haben es wegen eines traumatischen Erlebnisses wieder verlernt."
man(n) braucht nicht professionell wissenschaftlich tätig zu sein, um mit ein wenig nachdenken selbst darauf zu kommen. und auch darauf, dass das in einem widerspruch zur folgenden behauptung steht:
»Alexithymie ist keine Krankheit, sondern ein gleichmäßig in der Bevölkerung verteiltes Persönlichkeitsmerkmal«, stellt Harald Gündel klar. »Es gibt Menschen, die mit Gefühlen gut umgehen können, und eben welche, die damit schlecht umgehen können.«
das erinnert nicht zufällig an die hier im ersten blogbeitrag zum thema dokumentierte behauptung, dass die alexithymie deswegen keine krankheit sei, weil sie den erfordernissen einer modernen industriegesellschaft ganz gut entsprechen würde. und wieder drängt sich der eindruck auf, dass ein durch prä-, peri- oder postnatale traumatische (in einem weitgefassten sinne) einflüsse erzeugter defekt von einigen leuten unbedingt als quasi zufälliges "persönlichkeitsmerkmal" dargestellt wird - warum, wenn es sich denn bei den genannten wahrscheinlichen ursachen doch um deutlich krankheitswertige einflüsse handelt?
dazu geht es hier nicht um den "guten" oder "schlechten" umgang mit gefühlen, sondern um ihre schlichte wahrnehmung - erstaunlich unpräzise, diese behauptung eines professionellen.
"Manchmal kann es auch praktisch sein, emotionale Zwischentöne einfach zu überhören. Ein alexithymer Uhrenhändler aus Düsseldorf erzählt, dass er ein außergewöhnlich guter Verkäufer sei. Menschen, die schachern wollen, auf die Tränendrüse drücken oder etwas vom letzten Wunsch der Großmutter erzählen, haben bei ihm keine Chance - es perlt an ihm ab. Als ihm seine Frau allerdings neulich weinend erzählte, ein guter Freund sei gestorben, nahm er sie nicht etwa in den Arm und tröstete sie, sondern musste grinsen."
regelmässige leserInnen hier werden sich darüber ihre eigenen gedanken machen können, ebenso wie über folgendes:
"Manche Alexithyme könnten sich aber auch nach einem traumatischen Erlebnis abrupt ihren emotionalen Empfindungen und Wünschen verschlossen haben. Gefühlsblindheit wäre dann eine Anpassungsstrategie des Gehirns, die sie vor dem bewussten Erleben einer Flut negativer Gefühle bewahren soll. Dafür spricht die Entdeckung von Traumaforschern, dass selbst das Gefühlsleben von Erwachsenen noch erstarren kann, wenn sie etwa großer Brutalität ausgeliefert sind."
ich wünsche mir ja dringend forscherInnen, die sich die erkennbaren verbindungen zwischen den bereichen autismus - pränatale prägungen - persönlichkeitsstörungen - psychotraumatologie - sozioökonomische gesellschaftliche strukturen mal systematisch näher betrachten würden - aber es könnte natürlich passieren, dass das schwer verstörende ergebnisse bringen würde.
...der infantizidalen kulturellen bedingungen, unter denen bis heute weltweit diverse existenzielle probleme unserer spezies entstehen, werden die folgenden informationen ein weiteres puzzlestückchen darstellen - und dazu machen sie wieder einmal explizit die unrühmliche rolle religiöser institutionen deutlich:
Sie wurden geschlagen, erniedrigt und eingesperrt. Unter oft unvorstellbaren Bedingungen wuchsen in den fünfziger und sechziger Jahre Hunderttausende Kinder und Jugendliche in kirchlichen Heimen auf. "Wir waren Zwangsarbeiter", sagen sie heute. Ein dunkles Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. (...)
Rund 80 Prozent der Heime waren in konfessioneller Hand. Insbesondere die katholischen Frauen- und Männerorden führten jahrzehntelang zahlreiche Erziehungsanstalten. (...) Die alte Mönchsregel "Bete und arbeite" erlebte eine perverse Renaissance in diesen konfessionellen Erziehungsheimen der jungen Bundesrepublik.
In der Diakonie Freistatt bei Diepholz, einer Zweigstelle der von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, wurde sie brutal umgesetzt. Freistatt mit seiner Presstorfproduktion, mit seinen Schlossereien und Schmieden war als reiner Wirtschaftsbetrieb konzipiert, der die billigen Arbeitskräften ausnutzte. Wenn nicht gerade Choräle gesungen wurden, mussten die 14- bis 21-Jährigen im Sommer wie im Winter im Moor Torf stechen und pressen. (...)
Diese mussten nach ihrer Ergreifung den Torf in schweren "Kettenhosen" stechen, die nur Trippelschritte erlaubten. Selbst zum Kirchgang mussten die Jugendlichen die Beinschellen tragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die inzwischen auf sechs Häuser angewachsene Diakonie Freistatt ständig überfüllt. In den fünfziger Jahren waren in Freistatt etwa 500 junge Männer eingesperrt. Damals war es noch üblich, dass Neuankömmlinge, die etwa aus anderen Heimen entwichen waren, aus Schikane anfangs auf dem Boden schlafen mussten.
Trotz des Verbots staatlicher Stellen, zu züchtigen oder als Strafmaßnahme die Haare abzuschneiden, prügelten die Erzieher in Freistatt, meist evangelische Diakone, munter weiter. 1960 beanstandete das Landesjugendamt Hannover "die Verwendung von Forkenstielen, Torflatten, Pantoffeln und Besenstielen als Züchtigungsmittel".(...)
und in der zeit zum gleichen thema:
"Ja, räumt der Mönch schließlich ein, man habe schon mal Störenfriede in einen »Besinnungsraum« gesteckt. »Aber nur kurz.« Besinnungsraum? Oder Bunker? Gerald Hartford erinnert sein Gegenüber daran, dass er viele Wochen in dieser Zelle, auf einer Holzpritsche ohne Matratze, in der Ecke ein Eimer für die Notdurft, zubringen musste. Der Jugendliche hatte vergeblich versucht, dem Arbeitszwang, den ständigen Schlägen und Demütigungen der Salvatorianerbrüder durch Flucht zu entkommen."
und dazu werden interessante details zu den lebensbedingungen nach dem zweiten weltkrieg in deutschland deutlich:
"In den Jahren nach 1945 zogen mehr als 100000 Kinder und Jugendliche bindungs-, heimat-, berufs- und arbeitslos durch Deutschland. Viele Familien waren zerrissen, weil die Väter erst nach Jahren aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrten. Soziologische Studien kommen zu dem Urteil, dass nur zehn Prozent der Familien Ende der vierziger Jahre »heil« waren. Die Wohnungen waren häufig eng, eigene Zimmer hatten die wenigsten Kinder. Das Durchschnittseinkommen einer Familie betrug 1955 nur 280 Mark im Monat. Ein Kind ins Heim zu geben war eine vergleichsweise bequeme und billige Lösung."
wobei der krieg die traumatischen bedingungen in vielen fällen nicht primär ausgelöst, aber deutlich verschärft haben dürfte. unabhängig davon: das dokumentierte elend sollte gegen jede tendenz immun machen, den sog. "christlichen westen" irgendwie als "fortschrittlicher" zu halluzinieren als andere regionen des planeten - auch und gerade vor dem hintergrund des von fundamentalistInnen diverser coleur konstruierten "kulturkampfes". das "der westen" in bestimmten bereichen real ein mehr an freiheit zulässt - wenn auch unter ständigen rücknahmedrohungen - ist gerade nicht das verdienst derjenigen, die jetzt bestimmte soziale fortschritte, die bevorzugt von rechter und reaktionärer seite bis heute immer bekämpft worden sind, für ihre eigenen interessen instrumentalisieren und als waffe gegen den fundamentalistischen islamismus benutzen möchten. ganz im gegenteil: die weitaus meisten dieser fortschritte mussten (und müssen) gerade gegen diese fraktionen immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden.
und dazu: besonders institutionalisierte religionen sind weniger "opium", als vielmehr und historisch nachweisbar in massenhafter dimension lebensverneinend, machthörig und tödlich.
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edit am 20.02.: bei spon findet morgen ein chat mit zwei ehemaligen heimkindern statt - im artikel dazu findet sich ganz am ende ein zitat, welches geradezu paradigmatisch für eine mögliche und weit verbreitete folge von psychotraumatisierungen stehen kann:
"Mit dem Verstand sagt er sich dann: "Mensch, ich hab doch was erreicht." Aber es nützt nichts. "Es bleibt immer das Gefühl, als Mensch nichts wert zu sein. Dieses Gefühl sagt mir immer: Versteck dich, verkriech dich in eine Ecke, wo dich niemand sieht."
es ist keinesfalls übertrieben, folgendes als these aufzustellen: bei diesem gefühl handelt es sich um eine tragende säule innerhalb von machthierarchien - menschen in einem solchen zustand (eine folge der verdinglichung letztlich, die die thematisierte gewalt im kern ausmacht) sind erstens leicht manipulierbar; zweitens weitgehend unfähig dazu, eigene interessen zu erkennen/zu vertreten; drittens innerhalb von kollektiven strukturen (keine schein- oder zwangskollektive) weitgehend "funktionsunfähig", da diese eine voll entwickelte subjektivität voraussetzen; viertens aber - unter ganz bestimmten bedingungen - auch fähig zu extrem destruktiven bzw. antisozialen verhaltensweisen, was letztlich kein wunder ist - stichworte sind hier einmal re-inszenierungen, aber auch eine art von rache, die nicht mit den verbreiteten klischees über rache verwechselt werden darf.
alle gerade genannten eigenschaften sind geradezu prädestiniert dafür, im interesse von machtstrukturen instrumentalisiert zu werden.
so eine feststellung in einem interview mit dem ex-model heidi klum:
SPIEGEL: Was ist mit dem Vorwurf, dass Ihre Show zur Magersucht verführt?
Klum: In diesem Job wird eine Scheinschönheit verkauft, die es so gar nicht gibt. Das ist wie ein Kunstwerk, wie Schauspiel. Ich weine vor der Kamera, obwohl ich nicht traurig bin. Ich komme gerade vom Job, bin geschminkt und verschönert durch tolle Roben, durch tolles Haar, Make-up, die Nägel sind gemacht.
SPIEGEL: Es gibt Sie eigentlich gar nicht.
fake-"schönheit" im vollen als-ob-modus. interessant dabei die tatsache, dass frau klum diese treffende beschreibung ihres business als antwort auf die frage gibt, ob "Ihre Show zur Magersucht verführt" - stellt die als-ob-qualität in den ihren augen eine art rechtfertigung dar?
jedenfalls widerspricht sie nicht nur nicht der feststellung ihrer nichtexistenz, nein, sie findet das, was sie tut, auch noch gut:
SPIEGEL: Haben Sie mehr Freude oder mehr Ärger mit der Show?
Klum: Freude. Ich bin stolz auf die Show. Sie zeigt, wie es ist, und sie ist Entertainment. Die Foto-Shoots, die gemacht werden, kommen auch so in Wirklichkeit vor, das ist alles schon sehr professionell.
nun besitze ich aus diversen gründen kein tv und würde auch aller wahrscheinlichkeit nicht auf die idee kommen, mir ein derartiges produkt anzuschauen. trotzdem wage ich die behauptung, mir eine gewisse vorstellung davon machen zu können - und vor diesem hintergrund fallen mir zwei dinge auf:
erstens: die heuchelei der kritik von medien und einer öffentlichkeit, die eine totalitäre verbreitung unerreichbarer virtueller "schönheitsideale" ansonsten duldet, toleriert und kein problem dabei sieht. das inzwischen auch zunehmend männer in dieses aufgrund produzierter psychophysischer bedingungen funktionierende diktat gezwungen werden (ein grund dafür, warum seit ca. zehn jahren auch männer mit den klassischen, bisher frauen "vorbehaltenen" essstörungen wie anorexia, bulimie etc. zu tun haben), ist historisch imo ein neues phänomen und keinesfalls irgendwie als indiz für emanzipation zu werten.
zweitens aber: sowohl die interviewende seite und erst recht frau klum scheinen weder ein bewußtsein dafür zu besitzen noch ein problem mit dem zu haben, was sie da eigentlich treibt: die produktion von reinen scheinwelten. mit wahrscheinlich fatalen konsequenzen.
klum freut sich offensichtlich noch darüber, nur als kunstprodukt zu existieren.
und das mit derlei ein millionenpublikum erreicht werden kann - ebenso wie mit anderen fakes und fiktionen - ist ein weiteres nachdrückliches indiz für den befund der als-ob-gesellschaft.
nur das von dieser gesellschaft produzierte elend, das morden und sterben bleibt handfest und körperlich real. es ist imo keine allzu gewagte spekulation, die rasante verbreitung von als-ob-zuständen vor dem hintergrund dieser realitäten als eine wahrscheinliche reaktion darauf zu sehen.
edit: hinweise von anderer seite nach diesem beitrag und auch eigene gedanken machen eine ergänzung dringend notwendig:
wie schon in früheren beiträgen - v.a. solchen, die sich mit dem scheinantagonismus subjektivität - objektivität befassen - betont, sind die simulativen menschlichen fähigkeiten, die der objektivistische modus produzieren kann, nicht per se "böse" oder destruktiv - ohne sie wäre bspw. das, was wir als kunst (incl. literatur und auch musik) bezeichnen, nicht denkbar. es sind bestimmte - und primär gesellschaftlich erzeugte - bedingungen, unter denen dieser modus bösartig wird. und wenn simulationen und fakes zunehmend im sozialen bereich auftauchen, und gar in zwischenmenschlichen beziehungen - dann kann sich dieser modus aufgrund seiner funktionsart nicht anders als destruktiv auswirken. die fluchtfunktion bspw. - wie sie in der formel von "brot und spielen" (neuer auch als tittytainment) populär ist - bezeichnet funktional das ausweichen in simulative, fiktionale und virtuelle als-ob-realitäten - vor welchen realitäten da ausgewichen wird, lässt sich tag für tag den nachrichten entnehmen.
wir haben dieses ausweichen "in den kopf" innerhalb von infantizidalen und teils lebensbedrohlichen zuständen alle mehr oder weniger bereits als kinder gelernt - in unterschiedlicher individueller ausprägung, sicher. aber die grenzen zu den offen pathologischen formen des objektivistischen modus sind in dieser welt und unter diesen sozialen bedingungen offensichtlich mehr denn je fließend.
eine dokumentarische ergänzung sozusagen, zu einem thema, dessen weitergehende bearbeitung bekanntlich hier noch aussteht - einige aspekte sind bspw. in diesen beiträgen eins, zwei, drei, vier und fünf zu finden.
der neueste beitrag zum thema fand sich vor ein paar tagen im handelsblatt unter dem titel Ist Ihr Chef ein Psychopath?:
"Warum aber glaubt man, dass Psychopathen überproportional und oft sehr erfolgreich in höchsten Managerpositionen zu finden sind? Mehr noch: Warum ermutigen nicht wenige Unternehmen skrupulöses Managerverhalten? Nun, Psychopathen wollen siegen. Um jeden Preis."
abgesehen davon, dass im absatz oben eher das wort skrupellos berechtigt wäre - das sich derartige meldungen seit einiger zeit öfter zu finden scheinen, mag im besten fall auf wesentliche verschiebungen der wahrnehmung in den unterströmungen einiger gesellschaftlicher teile hindeuten - und trotzdem ist bei diesem begriff etliche vorsicht geboten, wie ein blick auf seine historische entwicklung zeigt. eine genauere abgrenzung zu anderen diagnostischen begriffen und ein bewußtsein darüber, dass "psychopathie" aller wahrscheinlichkeit nicht gleichzusetzen ist mit dem begriff der "antisozialen persönlichkeit(-sstörung)", sondern eher eine untergruppe darstellen dürfte, ist aus diversen gründen dringend nötig. also: nach dem nlp-thema wird der basisbeitrag zur psychopathie fällig (so klären sich manchmal die dinge von selbst).
so ein fazit aus einem artikel der zeit zum thema neuroimplantate:
"Anders als bei Parkinson, wo die Hirnschrittmacher eine klar krankhafte physiologische Störung umgehen, zielt dasselbe Verfahren bei Depression oder Zwangsneurosen auf die direkte Steuerung von Hirnfunktionen, die dem Seelenleben des Menschen zugrunde liegen.
Das erzeugt bei den Experten einiges Unbehagen. Denn angesichts der rasanten Entwicklung in der Neuroforschung ließen sich auf diese Weise - und in nicht allzu ferner Zukunft - auch Stimmungen, Antriebe und Motivationen von Gesunden dirigieren. Unabsichtlich haben die Neurochirurgen solche Effekte bereits bei Parkinsonkranken erzeugt, berichtete Tatagiba in Berlin vor dem Ethikrat: Unter dem Einfluß der elektronischen Hirnsonden verbesserte sich nicht nur die Bewegungsfähigkeit der Kranken gewaltig. Die Elektroden hob auch ihre Stimmung bis zu euphorischen Zuständen, zugleich steigerte sich ihre Sexualität beträchtlich."
nun mag es auf den ersten blick so erscheinen, als wäre hier kein großer unterschiede zu der gewohnten praxis zu sehen, wahlweise - und je nach perspektive - illegalisierte psychoaktive substanzen namens drogen oder aber die legalen varianten namens psychopharmaka zur manipulation der eigenen selbstzustände zu benutzen. und trotzdem scheint hier so etwas wie ein qualitativer sprung vor sich zu gehen - mit der weiter fortschreitenden kenntnis der jeweiligen bereiche und zentren im gehirn, die für bestimmte zustände verantwortlich erscheinen, wird es möglich werden, immer gezielter und selektiver zu manipulieren - und die einführung elektronischer komponenten bei dieser manipulation lässt es als ein primär technisches problem erscheinen, wann die möglichkeit zur manipulation von ganz anderer seite als von patient oder arzt gegeben sein wird. klingt mal wieder paranoid? ich wüßte keinerlei grund dafür anzugeben, warum leute, die mit einiger wahrscheinlichkeit etliche der im blog thematisierten störungen aufweisen, ausgerechnet auf derlei phantastische kontrollmöglichkeiten verzichten würden. das die techniken dabei für einige - wie zb. die genannten parkinson-betroffenen - als reale verbesserung ihrer lebensbedingungen erlebt werden, wird niemand bestreiten können. bloß: wer wird eine garantie dafür geben können, dass sich die anwendung darauf beschränkt?
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etliches bleibt gerade liegen - die fortsetzung zum thema nlp ist weiter in arbeit, und eine darstellung der aktuellen entwicklungen sowohl im sog. "kulturkampf" zwischen der aufgeklärten demokratischen und der mittelalterlichen welt (borderline-wahrnehmung lässt wieder einmal grüßen), die z.zt. als "islamisch" gekennzeichnet ist, als auch im damit zusammenhängenden wahrscheinlichen krieg gegen den iran aus sicht der psychohistorie wäre überfällig. tatsächlich gibt es in der islamischen welt "handfeste" gründe für das verhalten, welches mit einiger berechtigung als fundamentalismus beschrieben wird. bloß: über die wahrscheinlichen gründe dafür wird weder im "westen" und erst recht in den islamischen ländern selten bis gar nicht ein wort verloren.
aber da das hier nicht primär ein psychohistorisches blog ist - auch wenn diese richtung ein wichtige rolle spielt -, und gleichzeitig die themen auch zu umfassendes material bieten, muß ich mir hier beschränken - wer wesentliche teile der dynamiken der benannten konflikte aus anderer perspektive verstehen will, sollte sich einerseits der bereits oft erwähnten arbeit Das emotionale Leben der Nationen von deMause widmen, und in ergänzung dazu sich vielleicht gedanken machen über die befund, die der historiker morris berman in seinem buch Finstere Zeiten für Amerika erhebt - beides zusammen macht eine situation deutlich, die "gefährlich" zu nennen eine gelinde untertreibung darstellt.
...wie sie hier schon (zu) oft unter dem stichwort infantizid dokumentiert werden musste, ist selbstverständlich nicht auf d-land beschränkt:
"Sieben Tage lang hörte die Großmutter des an einem qualvollen Foltertod gestorbenen kleinen Nicolas im Straßburger Gerichtssaal ungerührt zu, während Gutachter die Leiden des Kindes beschrieben. Und auch als das Gericht gestern Abend die Höchststrafe "lebenslänglich" verkündete, zeigte die untersetzte Frau keine Regung. Auch die Eltern und ein Onkel des Kindes blieben bei der Urteilsverkündung regungslos. Die 34 Jahre alte Mutter, die dem bereits delirierenden Kind die vermutlich tödlichen Schläge auf den Kopf versetzt hatte (...)"
eine ganze gestörte familie also - alle haben sich beteiligt:
"Die Verurteilten hatten den neun Jahre alten Jungen im Sommer 2003 mehrere Wochen lang geradezu sadistisch zu Tode gequält. Nicolas wurde täglich geohrfeigt, mit Kochlöffeln blau geprügelt, gefesselt und bekam trotz der Sommerhitze kaum zu trinken. Nachts musste er oft geknebelt und an den Füßen gefesselt auf dem Boden knien. Wenn er vor Müdigkeit umkippte, bekam er Ohrfeigen.
Tagsüber musste das Kind stundenlang Strafarbeiten schreiben. In seine Hefte schrieb es beispielsweise 2772 Mal den Satz: "Nachts stehe ich nicht auf, um heimlich zu trinken." Gestorben ist der kleine Junge am 9. August 2003 an einer Hirnblutung, die von Schlägen auf den Kopf herrührte. Sein Körper war von rund 70 Wunden und Blutergüssen bedeckt und wegen des Wasserentzugs stark ausgetrocknet. "Das Kind hat eine lange, qualvolle Agonie durchlebt", sagte ein Gutachter."
und die beschreibung der täterInnen enthält wieder einmal die bekannten attribute: "ungerührt", "regungslos" und
"Die 55-Jährige, die von Gutachtern als herrschsüchtig und gefühlsarm beschrieben wurde, sei die treibende Kraft bei den Misshandlungen gewesen (...)"
nicht umsonst drängt sich der vergleich mit der kälte, die ebenfalls bei den beteiligten im letzten beitrag zum "happy slapping" konstatiert wurde, geradezu auf. und auch das folgende ist bekannt:
"Die Verteidiger machten geltend, dass die Peiniger des kleinen Nicolas alle selbst als Kinder von Angehörigen geprügelt worden waren."
ergänzend wäre zu sagen: gewalt muss nicht immer in form von prügel daherkommen. auch subtilere arten führen zu ähnlichen ergebnissen.
da hatte ich gerade im letzten beitrag das begriffspaar "fatale entwicklungen" benutzt - und muss nun wieder einmal etwas lesen , was haargenau darunter fällt - stichwort "happy slapping":
(...)"Teilnahmslos hatten die Angeklagten das Urteil aufgenommen. Mit derselben Gleichgültigkeit, mit der die Jugendlichen diejenigen attackierten, die an jenem Oktoberabend ihren Weg kreuzten.(...)
Die Neuauflage aus dem wahren Leben hat aber noch eine andere Qualität: "Happy Slapping" heißt das in Großbritannien grassierende Phänomen in der Sprache der Beteiligten beschönigend, "fröhliches Schlagen". In der Praxis bedeutet es, dass Schlägerbanden unschuldige Opfer verprügeln, diese Attacken filmen und die Filme später ihren Freunden zeigen oder sie im Internet verbreiten.
Auch Chelsea hat die Überfälle ihrer Clique mit dem Videohandy gefilmt. Sie habe die Gang angeführt, zitiert die Zeitung "The Independent" einen der beteiligten Jugendlichen: "Sie wollte filmen, wie Menschen zusammengeschlagen werden." Die 14-Jährige soll den Barkeeper aufgefordert haben, für die Kamera zu posieren – mit den zynischen Worten: "Wir planen einen Dokumentarfilm über 'Happy Slapping'".(...)
sehen Sie sich die zum artikel gehörende fotostrecke an, mit dem filmenden mädchen am rande - es verschlägt einem die sprache. und dann gibt es wieder einmal biographische informationen der art, wie sie hier schon öfter zu lesen waren:
"Auch der schwierige familiäre Hintergrund der Angeklagten könne die Tat nicht mildern, sagte der Richter. Nach Angaben des "Guardian" war Chelseas Mutter heroinabhängig, der Vater Alkoholiker. Sie lebte bei Pflegeeltern. Der 19-jährige Darren sei hyperaktiv und habe eine elende Kindheit gehabt. Er soll später mit der Tat angegeben und detailliert erzählt haben, wie er auf Morleys Kopf gesprungen sei, schreibt "The Independent".
es war oben von gleichgültigkeit die rede. ziehen Sie Ihre eigenen schlüsse. denken Sie an prä-, peri- und postnatale traumatisierungen, an derealisierungen und dissoziation, an soziale trancezustände. denken Sie an die infantizidalen realitäten, wie sie hier gleichfalls oft genug thematisiert worden sind. denken Sie an die brutalität und mafiöse rücksichtslosigkeit, mit der die sog. eliten auf allen kontinenten agieren. und sich dabei noch als "vorbilder" anpreisen.
entsprechend verhalten sich die kinder dieser milieus. wollen wir wirklich irgendwann in einer autistischen gesellschaft aufwachen?
wie es der titel schon sagt: bücher, über die ich beim stöbern virtuell und im buchladen gestolpert bin, die hinsichtlich der hier behandelten themenbereiche von interesse sein könnten und die ich entweder noch nicht selbst gelesen habe oder aber noch nicht erschienen sind.
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eine noch recht frische veröffentlichung ist vor allem im hinblick auf den sich abzeichnenden krieg gegen den iran zu empfehlen: "Zur Logik des modernen Krieges. Politische Strukturen und verborgene Motive" enthält diverse beiträge u.a. von autoren wie klaus theweleit, noam chomsky, lloyd deMause und hans-jürgen wirth.
"Warum werden Kriege geführt? Hinter den offiziellen Rechtfertigungen verbergen sich fast immer psychologische Mechanismen, die zum Verständnis der Dynamiken kriegerischer Auseinadersetzungen ebenso wichtig sind wie die politischen und geostrategischen Fakten. Gewalt ist dabei das Mittel, Erfahrung mit sich selbst im Spiegel des Anderen zu vereiteln, teils, indem die Anderen nach Maßgabe des eigenen Selbstbildes zugerichtet werden, teils, indem sie aus der Sphäre der eigenen kollektiven »Wahrnehmung« ferngehalten werden. Insofern authentische Erfahrung immer Erfahrung mit Fremdheit ist, kann man daher den Krieg als Erfahrungsverhinderung verstehen. Von diesen Gedanken gehen die Beiträge des vorliegenden Bandes aus und untersuchen psychologische, gesellschaftliche und ökonomische Aspekte moderner Kriege vom Zweiten Weltkrieg bis zum aktuellen Konflikt im Irak.(...)"
daten: reihe "Psyche und Gesellschaft" im psychosozial-verlag /178 seiten / isbn: 3-89806-475-1 / Preis: 19,90 € / erschienen: januar 2006
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im gleichen verlag werden im laufe des jahres zwei titel erscheinen, auf die ich bereits jetzt sehr gespannt bin. einmal wäre da "Borderline-Mütter und ihre Kinder. Wege zur Bewältigung einer schwierigen Beziehung" von christine ann lawson:
"Christine Ann Lawson beschreibt einfühlsam und verständlich, wie Kinder von Borderline-Müttern unter den Stimmungsschwankungen und psychotischen Anfällen leiden und verzweifelt nach Strategien der Bewältigung dieser Erlebnisse suchen. Kinder von Borderline-Betroffenen laufen zudem Gefahr, selbst diese komplexe und destruktive Persönlichkeitsstörung herauszubilden."
reihe "edition psychosozial" / 250 seiten / isbn: 3-89806-256-2 / 24,90 € / erscheint im juni 2006
neben dem in der linkliste aufgeführten online-material zu borderline-kindern und den ausführlichen (und unerfreulichen) gedanken im buch zum mertz zur rolle der mütter bei der borderlineentwicklung könnte dieses buch endlich mehr klarheit in einen (gleichzeitig verständlicher- und unverständlicherweise) bisher völlig unterbelichteten bereich bringen - ich bin sehr gespannt.
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der andere titel beschäftigt sich, so könnte man sagen, mit dem gleichen thema, jedoch in einem viel breiteren zusammenhang. "Nabelschnur der Seele. Psychoanalytisch orientierte Förderung der vorgeburtlichen Bindung zwischen Mutter und Baby" von györgy hidas und jenö raffai scheint sowohl neuere erkenntnisse der pränatalforschung als auch gleich präventive maßnahmen zu präsentieren:
"György Hidas und Jenö Raffai zeigen neue Zusammenhänge zwischen Störungen der Mutter-Fötus-Bindung und Störungen der Persönlichkeitsentwicklung nach der Geburt auf. Ihre unvergleichliche Methode zur Analyse der Bindung zwischen Mutter und Fötus eröffnet neue Therapiemöglichkeiten für Fachleute der prä- und perinatalen Psychologie und weist werdenden Eltern Wege zur vorgeburtlichen fördernden Kontaktaufnahme mit ihrem Baby.(...)"
reihe "edition psychosozial" / 260 seiten / isbn: 3-89806-458-1 / 24,90 € / erscheint im februar 2006
lloyd deMause hat in "Das emotionale Leben der Nationen" bereits eine zusammenfassung der bisherigen und wichtigsten erkenntnisse der pränatalen forschung über die interaktionen und möglichen störungen zwischen mutter und embryo geliefert, die zum eindrucksvollsten gehört, was ich bisher zu diesem bereich kenne. ich möchte bei gelegenheit hier daraus einige auszüge vorstellen, da wesentliche und sehr konsequenzenreiche aspekte der pränatalforschung bis heute in der öffentlichkeit weitgehend unbekannt sind, gerade, was den bereich der prä- und perinatalen traumata anbelangt. und das hat fatale folgen - für uns alle.es ist zu hoffen, das das obige buch weitere erkenntnisse bringen kann.
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von noch nicht erschienenen titeln zu einem buch, welches bereits in den 1990er jahren erschienen ist, mir bisher unbekannt war (und inhaltlich immer noch ist), und alleine schon vom titel her in den bereich dieses blogs fällt:

"Die autistische Gesellschaft. Geht die Verantwortlichkeit für andere verloren?" von einem autor namens reinhart g.e. lempp, der mir bisher ebenso unbekannt wie sein buch gewesen ist. interessant fand ich die information, dass es sich bei lempp um einen (emeritierten) professor für kinder- und jugendpsychiatrie handelt, mithin also ebenso um einen "professionellen" wie den bereits hier oft zitierten mertz. an rezensionen konnte ich bisher nichts wirklich brauchbares finden, allerdings bietet das deutsche ärtzteblatt in seinem online-archiv eine leseprobe , bei der ich allerdings hin- und hergerissen bin - die auführungen zur medien- und familienpolitik sind sehr allgemein gehalten, wobei mich zuerst interessieren würde, wie lempp zu seiner "diagnose" kommt - gerade seine arbeit im kinder- und jugendpsychiatrischen bereich könnte dabei eine rolle spielen. jedenfalls wird das für mich sozusagen ein "pflichtitel" sein, und sobald es möglich ist, werde ich es lesen und hier näher vorstellen. die augenscheinlich vorhandenen verbindungen zu den hier vorgestellten entwicklungen und thesen jedenfalls verstärken ein sehr schlechtes gefühl bei mir - einerseits. andererseits: es kann wirklich nur hilfreich sein, wenn mehr und mehr veröffentlichungen zu den fatalen entwicklungen auch wirklich öffentlich werden.
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zum schluß: ein vorsichtiger und kleiner optimismus keimt bei mir bei solchen aussagen:
"Kriege sind aus psychohistorischer Sicht in wesentlicher Hinsicht Inszenierungen pränataler, perinataler und frühkindlicher Traumatisierungen. Darum müssen hier insbesondere Pränatale Psychologie und Psychohistorie zusammenarbeiten, um der Komplexität der Problematik gerecht werden zu können. Deshalb wird diese Tagung von beiden Gesellschaften, der DGPF und der ISPPM, organisiert."
das scheint mir eine interdisziplinäre zusammenarbeit zu sein, die wirklich nötig, nützlich und vielversprechend erscheint. beide institutionen finden sich in der linkliste.
ein artikel im berliner tagesspiegel versucht, die möglichen zusammenhänge zur popkultur zu thematisieren, und produziert dabei einen seltsamen mix:
Andreas Heinz, Chefarzt der Psychiatrie der Berliner Charité, glaubt, dass sich jeder Kranke „Symptome sucht, die kulturell anerkannt sind“. So spiegelt sich in der Persönlichkeitsstörung auch der gesellschaftliche Wertewandel: „Die Borderline-Patienten folgen instabilen Beziehungsmustern, sie müssen kurzfristig auf was Neues gehen. Diese Impulsivität war früher negativ stigmatisiert. Dagegen fordert unsere heutige Kultur, impulsiv zu sein und zu tun, was einem Spaß macht.“
wie in diesem beitrag schon einmal früher skizziert, ist der begriff "instabile beziehungsmuster" mit vorsicht zu betrachten und spiegelt womöglich nur eine ideologie bzw. ein wunschdenken der orthodoxen psychiatrie wider. hingegen werden unfreiwillig die psychiatrischen diagnostischen grenzen aufgelöst:
"Obwohl Borderline nach Ansicht des Psychoanalytikers Otto F. Kernberg eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist, die auf Vernachlässigung oder Missbrauch durch die Eltern zurückgeht, werden Betroffene nicht als Außenseiter wahrgenommen."
na, das dürfte den herrn kernberg nicht besonders freuen - gerade der psychoanalytische mainstream legt wert auf abgrenzungen der konstruktionen (mal ganz davon abgesehen, dass sich viele betroffene, gerade mit traumatischen biographien, durchaus als außenseiter fühlen, aber bestenfalls ihre umwelt mittels simulationen von normalität vor dem unangenehmen thema gewalt "bewahren"):
"Ein Jahrzehnt nach ihrem Tod begannen amerikanische Psychiater eine neue Krankheit mehr zu konstruieren als zu entdecken: das Borderline-Syndrom, Sammelbegriff für so unterschiedliche Symptome wie Promiskuität, finanzieller Exzess, übermäßiger Drogenkonsum, Kleptomanie, rücksichtsloses Autofahren, Fressanfälle, Stimmungsschwankungen, Wutausbrüche, Selbstmordversuche und Selbstverletzungen sowie Identitätsstörungen. Janis Joplin könnte der erste Prototyp dieses Krankheitsbildes gewesen sein."
also: mal davon abgesehen, das marilyn monroe eher als erstes "symbol" für borderline angesehen werden kann, ist der artikel imo zwar informativ, aber auf eine vertrackte art - die kernberg zugeschriebene sicht ist zwar "offiziell" nicht korrekt, hat jedoch bei betrachtung der möglichen tatsachen einiges für sich. wobei das label "narzissmus" auch nicht ganz zutreffen dürfte. es sieht zwar so aus, als ob - aber ob wirklich, ist die frage, die nicht nur hier im blog immer wieder auftauchen wird. passen die konventionellen psychiatrischen vorstellungen bzw. modelle (auch "konstruktionen" passt) wirklich auf bestimmte menschen, die als produkte geprägt von einer gewalttätigen gesellschaft angesehen werden müssen?
über die bereits zu vielen spekulationen anlaß gebenden verhaltensweisen der stars und sternchen der sog. popkultur im zusammenhang mit borderline und der narzisstischen ps ein anderes mal mehr. das ist ein eigenes thema, welches zeit erfordert, die ich momentan nicht so recht habe. wer sich dafür näher interessiert, sollte einfach mal das keyword "selbstverletzung" mit den namen berühmter schauspielerInnen und musikerInnen kombinieren.
aber wie gesagt, lohnt das lesen - auch wegen solcher sätze:
"So kristallisiert sich in dieser Form des pathologischen Narzissmus, Philosoph Slavoj Zizek zufolge, ein zentraler psychischer Defekt unserer Zeit. Hinter dem Typus des krankhaften Narzissten verberge sich „ein Konformist, der sich als Outlaw begreift“. Und erstrahlt sie nicht in der Tat allabendlich auf der Mattscheibe, die selbstberauschte Allmacht der Medienelite, vom brachialen Wirtschaftsführer, höheren Kulturträger bis zur Politprominenz? Sie jongliert mit Selbstbildern, die vom Augenblickserlebnis und der drohenden Entwertung immer wieder neu befeuert werden."
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ob der autor des artikels im tagesspiegel heute beim lesen in seinem blatt nachdenklich geworden ist?
"Zugleich bescheinigte der Gutachter der Mutter Angelika B. eine Persönlichkeitsstörung. Bei der 44-Jährigen könne man Symptome des so genannten Borderline-Syndroms diagnostizieren: Unfähigkeit zu sozialen Kontakten, Ängstlichkeit, Impulsivität, Aggressivität, zeitweilige Depressionen. Zu Dennis habe Angelika B. keine richtige Mutter-Kind-Bindung aufgebaut, sagte der Gutachter."
(...)
"In der Folge habe Angelika B. Dennis im Gegensatz zu ihren anderen Kindern als schwierig und quengelig beschrieben. Als der Junge nicht essen wollte, habe er eben nichts bekommen. Als er nachts nicht schlief, wurde er am Bett festgebunden. Der Gutachter bescheinigte Angelika B. weiterhin eine „begrenzte Fähigkeit, auf andere Menschen einzugehen“. Eine gewisse Ich-Bezogenheit, verbunden mit sehr viel Selbstmitleid, sei ihr nicht abzusprechen. So habe sie während des mehrstündigen Gesprächs über ihr Leben nur ein einziges Mal geweint – nicht etwa, als sie das Leiden und den Tod von Dennis beschrieb, sondern als sie schilderte, wie sie sich beim Fenstersturz die Beine brach."
die betreffende geschichte war hier bereits einmal thema. die leserInnen werden sich vielleicht auch daran erinnern, dass diese diagnose im falle einer kindstötenden mutter auch nicht das erste mal auftaucht. als "popkultur" lässt sich das allerdings nur bei einer sehr, sehr zynischen auslegung des begriffs "populär" bezeichnen.
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ohne weiteren kommentar: eine it-seite weist unter dem titel "Autismus ist unter IT-Profis weit verbreitet" auf einen online-test hin, den "beunruhigte IT-Profis nutzen können".
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das erinnert mich mal wieder an die fülle noch nicht fertiger beiträge, die hier ausstehen - die fortsetzungen zum autismus, der basisartikel zur psychopathie...ich kann nur versprechen, dass sie erscheinen werden, kann aber keinerlei zeitliche angaben machen. momentan hat die fortsetzung des themas "nlp" priorität, nicht nur wegen der bisherigen resonanz, die darauf schließen lässt, dass hier tatsächlich ein - übelriechender - hund begraben liegt.
und ansonsten bietet unser leben in einer verrückten kultur (stichwort isaac newton) leider täglich derart viel material, dass es einfach schwierig ist, hinterherzukommen - unkommentiert müssen zb. bis auf weiteres die pläne der britischen regierung bleiben, "antisoziales verhalten" bei kindern und ihren eltern zu "ächten" - imo wieder mal ein fall von "den bock zum gärtner machen". wenn real antisozial handelnde beginnen, bei anderen ihre eigenen destruktiven tendenzen zu verfolgen, ist höchste wachsamkeit angesagt. auch, wenn einige der als zielgruppe auserkorenen dieses label zu recht tragen werden.
im forum zum verlinkten artikel bei tp steht übrigens ein beitrag, der einen absatz enthält, der vieles von dem, was ich hier versuche zu beschreiben, kurz und knapp auf den punkt bringt:
"Alle Repressionssysteme folgen den gleichen Mustern: sie verstümmeln und verletzen die Menschen in ihren sozialen Bedürfnissen, provozieren damit verstümmeltes Sozialverhalten und nutzen diese entstellten Motive und Bedürfnisse für ihre eigenen Zwecke. Dort, wo es zur Überlebensmaxime wird, ein "braves Kind" zu geben (zumindest so zu tun, als ob), wo die Motivation der Menschen also danach ausgerichtet wird, von Autoritäten belohnt zu werden, werden die Menschen jeder nur denkbaren Gemeinheit und Niedertracht gegen ihresgleichen fähig werden, um dieser Konditionierung zu gehorchen.
Dass der "Lohn" von seiten der Autorität niemals in der erhofften Erlösung besteht und bestehen kann, verstärkt den Regelkreis nur: als ob der Esel durch das Fixieren der Karotte immer scharfsichtiger würde, muss man die Karotte immer weiter weg hängen."
als antisozial im schlimmsten sinne lassen sich bspw. berechtigt leute bezeichnen, die ernsthaft - und zwar egal, aus welchen "gründen" und mit welcher "rechtfertigung" - mit drohungen über atomwaffeneinsätze in der welt herumtönen. dieser wahnsinn der sog. "politik" wird in einem kommentar im wiener standard vom 21. januar angesprochen, allerdings nur die eine hälfte:
"Im Iran wird derzeit der "Irrsinn zur Staatsdoktrin" erhoben, wie der deutsche Historiker und Holocaustforscher Götz Aly in Spiegel online sagt. Eine große Holocaust-Leugnungskonferenz in Teheran ist in Vorbereitung. Das muss man ernst nehmen – und man muss immer mitdenken, dass die schlimmsten islamischen Radikalen nur einen Staatsstreich vom Zugriff auf die Atomwaffen in Pakistan entfernt sind.
Unter dieser Voraussetzung ist ein "Appeasement", eine Beschwichtigungspolitik, gegenüber dem Iran fragwürdig. Sie fördert nur die Fehleinschätzung und Verachtung gegenüber dem "dekadenten Westen", die auch Hitler motivierte. Aber selbst wenn man der Meinung ist, dass Chirac eine zeitgerechte Warnung an die Verrückten ausgesprochen hat, bleibt doch die Notwendigkeit, die anderen mit einer Summe von Maßnahmen zu unterstützen." (DER STANDARD, Printausgabe 21./22.1.2006)
"der westen" - und damit sind hier all diejenigen honorigen leute gemeint, die ganz rational und leidenschaftslos den gleichen fundamentalismus (der imo berechtigt als wahn anzusehen ist) über jahrzehnte gepäppelt und gehätschelt haben - diese leute also gebärden sich jetzt, da ihnen - wieder einmal - ein bösartiger zögling ausser kontrolle geraten ist, als die "weltretter vor dem bösen". ein atomares desaster einkalkuliert. dabei sind sie sicher ganz objektiv . und gerade deshalb kein stück weniger verrückt als ihr - scheinbarer - gegenpart, der eine ganz eigene version des objektivistischen modus auslebt. es ist und bleibt vorläufig kalt und trostlos. solange, wie wir es uns gefallen lassen. und zu brauchen scheinen.