Sonntag, 24. September 2006

notiz: "...eine Psychokatastrophe, die es im Gegensatz zu verrückten Rindern und grippekranken Hühnern wohl nie in die Tagesschau bringen wird."

mit den obigen worten kommentiert der leiter eines wirtschafts-nachrichtendienstes die zunahme der - "offiziell" als solche (!) verstandenen - sog. psychischen krankheiten in d-land. im zusammenhang mit den selektierenden praktiken etlicher versicherungsunternehmen hinsichtlich der absicherung gegen berufsunfähigkeit aufgrund psychischer beeinträchtigung nennt der folgende artikel eine schätzung:

(...)"Die Zahl der Bundesbürger, die an behandlungsdürftigen seelischen Erkrankungen leiden, schätzen Experten mittlerweile auf acht Millionen."(...)

ich persönlich halte diese zahl grundsätzlich für zu niedrig angesetzt - wenn Sie sich erstens klarmachen, dass die gezählten "offiziellen" diagnosen in diesem bereich nach teils inhaltlich durchaus unzureichenden diagnostischen modellen gestellt werden, die bspw. die gesamten folgen gesellschaftlich potenziell traumatisierender gewaltzustände noch nicht einmal ansatzweise erfassen können (das liegt u.a. in der bereits seit längerer zeit diskutierten zu engen begrenzung der diagnose der posttraumatischen belastungsstörung, wie sie heute in den diagnostischen katalogen definiert wird, dazu mehr im künftigen traumaschwerpunkt); zweitens dazu berücksichtigen, dass gerade in diesem medizinischen bereich die kriterien für gesund und krank teils auf dem kopf stehen - wenn Sie bspw. aufgrund von mobbing oder stupider schichtarbeit symptome entwickeln und (lohn-)arbeitsunfähig werden, dann mittels klassischer psychiatrischer behandlung mittels psychopharmaka wieder leistungsfähig werden sollten - ist dieses deckeln einer prinzipiell durchaus als gesund (im sinne von symptomen als warnhinweise und im weiteren sinne auch als versuch der selbstregulation zu verstehenden reaktion) zu betrachtenden reaktion auf unzumutbare soziale bedingungen wirklich als "heilung" zu betrachten? eine rhetorische frage.

drittens, und das hängt mit dem obigen punkt zusammen: wie zb. am modell der als-ob-persönlichkeit sehr deutlich zu sehen ist, werden sogar eindeutig schwer psychopathologische zustände überhaupt nicht als solche wahrgenommen, wenn der betroffene mensch es schafft, die "objektiven" aktuellen gesellschaftlichen kriterien für gesundheit zu erfüllen, bei denen die arbeits- und leistungsfähigkeit oder auch das unauffällige funktionieren quasi "naturgemäß" in einem kapitalistischen system an erster stelle steht (und das kriterium von kognitiver intelligenz, die sich bei fast jedem soziopathen finden lässt, gilt ebenfalls per se als kennzeichen von gesundheit). wie hier im blog bereits mehrfach aufgezeigt wurde, können bspw. deutlich antisozial handelnde personen durchaus als "erfolgreiche und tatkräftige" manager (oder auch politiker) durchgehen; und schwer traumatisierte menschen, die ihren posttraumatischen stress zb. in der symptomatik einer arbeitssucht ("worcoholic") ausagieren, werden von einer wahrnehmungsreduzierten sozialen mitwelt für ihre "produktivität" und "leistungsbereitschaft" sogar noch oft gelobt.

viertens kommt ganz banal noch der folgende punkt hinzu:

(...)"Dabei spiegelt diese Zahl vermutlich nur die halbe Wahrheit. Denn Experten schätzen, dass ohnehin nur die Hälfte der behandlungsbedürftigen Menschen auch wirklich professionellen Rat sucht."(...)

was u.a. an der weiterhin vorhandenen aura des irgendwie unheimlichen ebenso liegen dürfte wie an der damit verbundenen gesellschaftlichen stigmatisierung - "du musst nur wollen" bzw. "reiß dich zusammen" sind sätze, die oft genug nicht nur gedacht werden, wenn es um diese art von krankheit geht. wobei ich mich mehr und mehr frage, wie gesund im sinne von empathie- und liebesfähigkeit eigentlich diejenigen tatsächlich sind, die derartiges von sich geben.

und wenn dann noch diejenigen berücksichtigt werden, die aufgrund verschiedenster umstände nicht zur (lohn-)arbeitenden bevölkerung zählen - alte, flüchtlinge, erwerbslose, hausarbeitende frauen - , dann dürfte sich die tatsächliche zahl noch einmal erhöhen. von den kindern und jugendlichen erst gar nicht zu reden:

(...)"Knapp jedes fünfte Kind in Deutschland ist betroffen, jedes zwanzigste Kind gilt als dringend behandlungsbedürftig. Die Rate ist fast so hoch wie bei Erwachsenen."(...)

ich mache immer mal wieder ein kleines gedankenexperiment: stellen Sie sich einmal vor, all diese krankheiten und störungen - die eben in nicht geringer zahl vor allem durch die herrschenden (anti-)sozialen verhältnisse entscheidend mitverursacht werden - würden als sichtbares symptom auch zb. einen deutlichen pickelbefall im gesicht mit sich bringen. wie sähe es wohl im straßenbild der städte aus? eben. und wie sähe wohl die öffentliche reaktion aus, gerade bei berücksichtigung des umgang mit bspw. infektionskrankheiten? das zitat in der überschrift bringt die tatsächliche lage schon ganz gut auf den punkt: wir haben es mit einer situation zu tun, die im falle einer als solche verstandenen epidemie mit zahlen wie den obigen (verursacht von einem mutierten grippevirus zb.) durchaus die wertung "medizinische katastrophensituation" bekommen würde (und zwar zurecht). wie bei so vielen sachverhalten, spielen auch hier wahrnehmungsstörungen und -defekte eine entscheidende und unheilvolle rolle. wahrnehmungsstörungen, die im übrigen bereits selbst als indiz für einige schwere psychophysische störungen gelten können. und nicht nur dieser fakt macht die ganze situation so vertrackt und gefährlich.

*

ausblick: ich hoffe, in der übernächsten woche wieder mehr zeit für die arbeit am blog zu haben. dann wird es zunächst einiges interessante zu den themen autismus und empathie geben, bevor dann der traumaschwerpunkt losgeht. machen Sie´s gut bis dahin.

Dienstag, 19. September 2006

notiz: mit müden knochen...

...und leichten kopfschmerzen nach (und vor) einem langen tag schau ich kurz online in die runde - und finde mal wieder viel zu viel, was mir noch mehr kopfschmerzen bereitet - aber eine geschichte, die ist so - ja, was eigentlich? ehrlich, zynisch, realistisch, widerlich? bitte zum rapport, ministerpräsident:

(...)"Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany sagte kurz nach der Parlamentswahl vom 23. April, er habe die Öffentlichkeit über den Zustand der Wirtschaft belogen, um seine Wiederwahl zu sichern. Er erklärte: "Wir haben am Morgen, am Abend und in der Nacht gelogen." Seine Regierung habe durch "hunderte Tricks" und "göttliche Vorsehung" die Wahl gewonnen."

ach, das geht doch jeder regierung so. lügen, tricks und aberglauben halten den laden am laufen.

"Weiter sagte Gyurcsany: "Was wir in den Monaten davor (vor den Wahlen) heimlich machen konnten, so dass in den letzten Wochen des Wahlkampfes nichts darüber an die Öffentlichkeit dringt, was wir planen, das haben wir getan. Währenddessen wussten wir und ihr wusstet es, dass wir uns, falls der Wahlsieg kommt, danach sehr zusammennehmen müssen."

ach, das geht doch jeder regierung nicht anders. wahlbetrug und beschiss der bevölkerung ist die basis allen regierens.

"Über die Arbeit der Regierung urteilte der Ministerpräsident: "Wir haben es verbockt. Nicht ein bisschen, sondern sehr. In Europa hat man einen solchen Blödsinn, wie wir ihn gemacht haben, noch in keinem anderen Land gemacht. Man kann es erklären. In den letzten anderthalb, zwei Jahren haben wir nur gelogen. Es war vollkommen klar, dass es nicht stimmt, was wir sagen."

ach, das ist doch völlig regierungsspezifisch. blödsinn machen und das blaue von himmel herunter simulieren ist in diesen kreisen die normalität.

"Außerdem sagte der Ministerpräsident in seiner Rede über die Regierungsarbeit: "Wir haben während der letzten vier Jahre eigentlich nichts gemacht. Nichts. Ihr könnt keine einzige bedeutsame Regierungsentscheidung nennen, auf die wir stolz sein könnten, außer jener, dass wir zum Schluss die Regierungsarbeit aus der Scheiße zurückgeholt haben." Weiter hieß es: "Ich bin fast gestorben, als wir eineinhalb Jahre vorgeben mussten, zu regieren."

ach, das ist doch - mir fällt dazu echt nichts mehr ein. es ist letztlich ein historisches dokument ersten ranges - tauschen Sie nur einmal den namen aus, und setzen Sie dafür blairmerkelschröderputinbushchirackohl... ein - und es klingt weiter völlig authentisch und realistisch. und Sie und ich wissen vermutlich auch, warum sich dieser effekt sofort und intuitiv einstellt. scheint fast so, als müsste gyurcsany noch gelobt werden für die tatsache, einmal wirklich klartext geredet zu haben. ungarnspezifisch ist das jedenfalls nicht. und ebensowenig ist dieses treiben an eine der klassischen sog. politischen richtungen gebunden - "sozialistisch", "konservativ", "liberal" - das sind fakebegriffe, die den antisozialen, zerstörenden und quasitotalitären charakter der heutigen "politischen klasse" so ziemlich überall auf dem planeten nur noch notdürftig kaschieren können. genau solche verhältnisse sind es unter anderem, die bei entsprechend geschädigten und disponierten persönlichkeiten den ruf nach "ausmisten!" und dem "starken mann" laut werden lassen - was zwar auch neue fakes und simulationen nach sich zieht, aber nach aller historischer erfahrung in blutbädern zu enden pflegt, die für etliche leute etwas reinigendes an sich zu haben scheinen. nun, wir heutigen wissen das alles - oder könnten es zumindest wissen. die große frage: was werden wir mit diesem wissen anfangen?

Sonntag, 17. September 2006

notiz: "wahlen"?!? (aus aktuellem anlaß)

in aller regel: nein. einige gründe für diese entscheidung sind hier nachzulesen, u.a. auch der folgende auszug:

(...)"tatsächlich sind aber sämtliche existierenden parteien nur dann als "legal" definiert, wenn sie sich innerhalb vorgegebener grenzen bewegen - und wenn diese vorgegebenen grenzen in zeiten wie heute immer enger gezogen werden (was z.b. ganz zentral grundsätzliche fragen nach menschenwürde, materiellen existenzsicherungen, umgang mit asylsuchenden und anderes betrifft), bekommen die parteien insgesamt einen blockähnlichen charakter, der bereits totalitäre elemente enthält - eine art front, in der die anscheinend widerstreitenden positionen sich nur noch in verschiedenheiten bezgl. irgendwelcher detailfragen ausdrücken, wie diese und jene sache denn jetzt genau zu regeln ist.

ein absolutes tabu ist es jedoch, grundsätzlich strukturelle eigenschaften der sozialen und ökonomischen verhältnisse überhaupt zu thematisieren, jedenfalls für die protagonistInnen der "demokratischen parteien" (die rechtsextremen scheinen dieses tabu zu berühren, wobei es sich jedoch auch nur um eine als-ob-aktion handelt - sie wollen vor allem eine offene zuspitzung der vorhandenen hierarchischen strukturen erreichen, nicht ihre grundsätzliche veränderung. zynisch könnte gesagt werden, sie sind ehrlicher, was die forderungen nach gewalt, zwang und repressionen angeht - die programme und aktionen der sog. demokratischen parteien laufen faktisch auf ähnliche resultate hinaus, werden aber durch sog. "vernünftige argumente" kaschiert, und sind dazu noch recht unsicheren ethischen und moralischen normen teilweise unterworfen, die zumindest oberflächlich berücksichtigt werden müssen.

genau darauf verzichten die faschisten fast völlig, machen das als verächtliche schwäche der "systemparteien"aus und ziehen vermutlich aus diesem kontrast die rolle der "einzigen echten opposition", die sie sich gerne selbst geben, und in der sie von entsprechend disponierten persönlichkeiten dann aufgrund dieses kontrastes in der erscheinungsform auch so wahrgenommen werden. dabei könnten sie mit entsprechendem personal, welches zum glück nicht vorhanden scheint, mit ihren erwähnten offenen forderungen durchaus relevante teile heute vorhandener psychoklassen ansprechen, die sich ebenfalls noch wie ihre vorfahren und von ihnen quasi "geerbt" in einer verfassung befinden, in der u.a. sicherheit durch unterwerfung eine lebensmaxime bildet)."(...)


ps. die wahlbeteiligung sinkt kontinuierlich weiter, damit auch die legitimationsbasis von teilen der herrschenden eliten.

pps. die npd ist mit allem recht als (neo)nationalsozialistische partei zu begreifen - wer jetzt, nach fast zwei jahrzehnten - 1987 kam zunächst die dvu in bremen nach jahrzehnten faschistischer erfolglosigkeit bei wahlen wieder in ein parlament (bremen) - erfahrungen mit pogromen, überfällen und über hundert toten, alles zu verantworten von selbsterklärten nazis, immer noch von "protestwählerInnen" schwafelt, will entweder verharmlosen oder aber muss insgeheim davon ausgehen, dass diese wählerInnen die intelligenz- und wahrnehmungsfähigkeiten von amöben besitzen. die realität sieht schon seit über 15 jahren so aus, dass es in diesem land wieder sowohl handlungsfähige strukturen als auch ein solides potenzial für eine gesellschaftliche strömung gibt, bei der offen propagierter mord und totschlag zu ihren erklärten grundlagen gehören. vor diesem hintergrund bleibe ich bei einem schon vor längerer zeit verfassten fazit (das folgende ist formal, nicht inhaltlich, hinsichtlich einiger fehler damals korrigiert und übersichtlicher gemacht worden):

(...)"wenn es sich beim rassismus und antisemitismus um eine innerhalb einer starken minderheit der gesamtbevölkerung weit verbreitete gesellschaftliche strömungen handelt, wie es seit jahren bzw. jahrzehnten in der brd durch entsprechende untersuchungen/umfragen immer wieder bestätigt wird, dann ist die behauptung einer "niederlage" der rechten nicht angebracht und suggeriert imo eine geradezu gefährliche einstellung, weil die folge auch in einer nachlassenden wachsamkeit bestehen kann.

ich finde eher, dass umgekehrt ein schuh draus wird: wenn es knapp 60 jahre nach der völligen militärischen niederschlagung des nationalsozialismus und dem folgenden totalverbot aller diesbezgl. aktivitäten und einer zumindest "offiziellen" ächtung derselbigen in deutschland wieder

a) funktions- und handlungsfähige bundesweite nationalsozialistische strukturen existieren, welche

b) aufmärsche und propagandaaktionen mit teilweise tausenden von teilnehmern durchführen können,

c) dazu zumindest in ostdeutschland in der lage sind, örtlich faktisch als paralleler machtfaktor in konkurrenz zu staatlichen institutionen und kulturellen bzw. pädagogischen angeboten der "offiziellen" gesellschaft zu treten bzw. diese zu unterwandern, und

d) durch militanten ausdruck rassistischer bzw. antisemitischer ressentiments in der lage sind, die "offizielle" politik in ihrem sinne zu beeinflussen (nach dem pogrom von rostock zb. der prompte umfaller der spd in der asylgesetzgebung, durch das auftreten rechtsradikaler parteien eine zum grossen teil positive aufnahme deren positionen zur "ausländerpolitik", das anstoßen eines neuen öffentlichen diskurses über die notwendigkeit von "nationalgefühl" sowie die debatte über den "nötigen schlussstrich" über die deutsche ns-vergangenheit) - das finde ich neben dem offenen strassenterror eindeutig die fatalste und gefährlichste wirkung dieser szene - eine wirkung auch, welche die militanten gruppen der radikalen "linken" nicht mal ansatzweise entfalten konnten - wenn ich mir das also alles zusammen betrachte, scheinen mir einige bereits vor jahrzehnten formulierte langzeitziele der neonationalsozialisten (u.a. das durchsetzen von öffentlichen auftritten sowie die langsame (wieder-)gewöhnung der öffentlichkeit an nationalsozialistische inhalte eher erfolgreich umgesetzt worden zu sein."(...)


und diese gefahr wird nicht durch wahlevents beseitigt werden können - das bestreben der sog. demokraten geht eigentlich immer nur soweit, aus gründen der imagepflege dahingehend zu wirken, die nazis um jeden preis wieder aus den parlamenten herauszubekommen - "aus den augen, aus dem sinn". die sog. aufarbeitung der vergangenheit ist, wie sich nicht nur an diesem verhalten feststellen lässt, bereits vor langer zeit gescheitert. was kein wunder ist, müsste sich doch eine ernsthafte bearbeitung des vorhandenen offen faschistischen potenzials sehr schnell auch verstärkt mit den psychophysischen zuständen der als solche auftretenden faschisten und ihrer sympathisantenszene beschäftigen. genau das aber scheint nicht gewollt zu sein, würden im nächsten schritt doch auch die "demokratischen eliten" in den focus geraten.

Freitag, 15. September 2006

notiz: das komische zeug namens geld...

...bzw. dessen ärgerliche rolle in dieser seltsamen gesellschaft sorgt dafür, dass ich die nächste woche(n) größtenteils nicht in diesem virtuellen raum hier anwesend sein werde.

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für diese zeit ein kurz-update zu diversen themen bzw. kurze hinweise auf netzfundstücke:

eine neue studie bringt thesen zum verhältnis zwischen autismus und empathie auf den tisch, die ich in einem eigenen beitrag kommentieren möchte. sie widersprechen diversen ansichten, die ich hier im blog an verschiedenen stellen präsentiert habe, und verdienen eine eingehende beschäftigung - es geht um etwas ziemlich entscheidendes:

(...)"Psychologen schreiben vermehrt über Gemeinsamkeiten zwischen Autisten und Psychopathen, die sie angeblich gefunden haben. J. Arturo Silva konstatiert „eine Assoziation zwischen der Psychopathologie des autistischen Spektrums und dem Verhalten von Serienmördern“. Pierre Flor-Henry schreibt: „Asperger-Syndrom und Psychopathie … teilen sich einige Charakteristika, insbesondere die völlige Abwesenheit jeglicher menschlicher Empathie.“(...)

„Die längste Zeit wurde Autismus als Empathiestörung bezeichnet – in ebenso fälschlicher wie unverantwortlicher Weise“, kritisieren die New Yorker. „Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse dazu beitragen, Autisten den Platz im empathischen Spektrum zu geben, den sie verdienen.“ Der ist jedenfalls nicht auf der Seite von Psychopathen. Denn diese besitzen in der Regel eine sehr gute soziale Wahrnehmung. Zu erfassen, was in anderen vor sich geht, bereitet ihnen keinerlei Probleme. Charakteristisch ist vielmehr, dass sie diese Fähigkeit einsetzen, um ihre Opfer zu manipulieren. Psychopathen fehlt die affektive Empathie, sie empfinden also tatsächlich kein Mitleid.

Beim Asperger-Syndrom verhält es sich andersherum, wie die Wissenschaftler jetzt erstmals zeigten."(...)


eine diskussion über diese aussagen könnte sehr aufschlußreich werden. interessanterweise sorgte aber im newsbereich der letzten wochen zum autismus etwas anderes für relativ großes mediales aufsehen - stellvertretend sei hier auf diese meldung Ältere Väter haben häufiger autistische Kinder verwiesen. auch das ist eine these, welche der näheren betrachtung bedarf.

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die nutzung der hauptstadt der elfenbeinküste als deponie für europäischen giftmüll sorgt inzwischen - neben weiteren toten und immer mehr verletzten - für eine schwere innenpolitische krise des landes. und wirft etliche fragen zur verantwortung europäischer behörden auf. mal davon abgesehen, dass es sich hier auch um ein symptom des alten und quasi traditionellen europäischen rassismus handeln könnte:

(...)"Zunächst zählt eine einzige Frage, und da ist die Antwort eindeutig. Hier in Europa wusste jemand sehr genau, dass der Giftmüll seinen Weg nach Afrika finden würde, und das ist nach europäischem Recht strafbar. Ob sie die Behörden vor Ort korrumpierten, ignorierten oder täuschten, ist in Europa zweitrangig, wenngleich für die Klärung der Vorfälle in der Elfenbeinküste selbst von höchster Bedeutung. Auf europäischer Ebene geht es um die Ausfuhr von Giftmüll von Europa nach Afrika. Dies geschieht häufiger als vermutet. Nur weil diesmal die Millionenstadt Abidjan betroffen war und nicht ein fernes Savannengebiet, dessen Bewohner sich kein Gehör verschaffen können, wurde daraus diesmal ein internationaler politischer Skandal.

Wer meint, die Antwort darauf liege allein im juristischen oder technischen Bereich, greift zu kurz. Der Kern des Problems liegt darin, dass es noch immer Europäer gibt, die sich auf dem südlichen Nachbarkontinent wegen der Armut und der Schwäche der Institutionen dort Verhaltensweisen erlauben, die sie sich zu Hause nie trauen würden. Dies reicht von Ausbeutung von Angestellten bis zur Forderung nach Sonderbehandlung durch Behörden und der Erwartung, sich mit Geld alles kaufen zu können. Die Überheblichkeit des weißen Mannes, wenn er afrikanischen Boden betritt und dort endlich ungestraft sämtliche niederen Herrscherinstinkte ausleben darf, hinterlässt giftige Spuren auch dort, wo sie chemisch nicht nachweisbar sind. Das ist das eigentlich Beschämende an der Affäre von Abidjan.(...)"


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bisher kommen die flüchtlinge an den südlichen eu-außengrenzen hauptsächlich aus verschiedenen regionen afrikas - aktuell ist eine neue entwicklung festzuhalten, die einen kleinen eindruck davon geben kann, in welchen dimensionen sich die globalen flüchtlings- und migrationsbewegungen mittlerweile befinden:

(...)"Am Donnerstagabend hatte die spanische Küstenwache vor der Kanareninsel Teneriffa das Boot mit 216 überwiegend pakistanischen Flüchtlingen entdeckt

Wie die Regierung der Kanareninseln berichtet, wurden 18 gesundheitlich angeschlagene Migranten in den südlichen Hafen von Los Cristianos gebracht. Die übrigen 198 Flüchtlinge sollen am Freitagvormittag die Hauptstadt Teneriffas, Santa Cruz, erreichen. Unter ihnen befindet sich die senegalesische Bootsmannschaft.(...)

Nach Informationen der spanischen Tageszeitung El País ist die Mehrzahl der Flüchtlinge im westafrikanischen Guinea-Bissau an Bord gegangen, wo sie mehrere Wochen gewartet hatten."(...)


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bei telepolis gab es in den letzten tagen u.a. beiträge zu posttraumatischen störungen bei us-amerikanischen soldaten des vietnamkrieges; thematisch zusammenhängend damit weitere erkenntnisse der hirnforschung zur erinnerungsspeicherung von belastenden erfahrungen. dürfte beides für viele leserInnen hier zwar nicht unbedingt viel neues enthalten, eignet sich aber als einstieg in die traumathematik im weitesten sinne.

über die möglichen zusammenhänge zwischen dem dasein als sog. "vip" und (übersteigertem) narzissmus bzw. der diagnose einer entsprechenden persönlichkeitsstörung machen sich in den letzten jahren ja so einige leute ihre gedanken - dito dieser, imo leider etwas arg verkürzende tp-beitrag. und sozusagen ganz frisch kommt gerade noch ein artikel, der sich auf eine britische diskussion zur zukunft der kinder im 21. jahrhundert bezieht und ein paar interessante fragen aufwirft.

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fragen, die hier leider erstmal genausowenig ausformuliert werden können wie diejenigen, die das neue buch von sabine bode zum thema "german angst" spontan bei mir hervorgerufen hat - ich schätze ihr erstes buch zum thema der unterschätzen traumatischen folgen des zweiten weltkriegs als informativen überblick (siehe literaturliste); befürchte jedoch so einige fehlschlüsse nicht nur von ihr, was die - imo zweifellos vorhandenen - traumatischen strukturen und ihre auswirkungen in der aktuellen realität dieses landes betrifft. was ich meine, lässt sich bspw. hier nachlesen - wenn neoliberale irrläufer beginnen, sich an diesen und anderen themen bezgl. der individuellen und kollektiven psychophysischen zustände zwecks (ideologischer) instrumentalisierung zur rechtfertigung antisozialer "politik" zu bedienen, wird mir sehr schnell übel. mehr dann, wenn ich das buch von bode selbst gelesen habe - ich hege bezgl der bisherigen öffentlichen aufnahme einen bestimmten verdacht, den ich erstmal überprüfen möchte.

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ausblick: ich möchte die nächsten wochen und monate dafür nutzen, endlich die längst überfälligen schwerpunkte trauma und dissoziation in basisbeiträgen zu bearbeiten. dafür kann ich zwar einige frühere texte von mir an anderer stelle nutzen, aber insgesamt sind diese themenbereiche - zu denen auch die vermutlich "politischte" aller psychiatrischen diagnosen überhaupt zählt, die posttraumatische belastungsstörung - derart komplex und weitreichend, dass sich die reihe dazu über etliche zeit erstrecken wird. wie üblich also die bitte um etwas geduld an Sie, falls die jeweiligen fortsetzungen auf sich warten lassen. beginnen wird das ganze nach bisheriger planung mit einem beitrag, der letztlich u.a. auch weiteres über die zusammenhänge zwischen religion und traumatischen gesellschaftlichen bedingungen enthalten wird, dargestellt anhand der biographie einer recht bekannten historischen persönlichkeit. lassen Sie sich überraschen.

ich werde übrigens auch von zeit zu zeit am index der notizen weiterbasteln und hoffe, dass dieses projekt in absehbarer zukunft soweit auf den letzten stand gebracht sein wird.

Dienstag, 5. September 2006

notiz: [zynismus-on]tauschgeschäfte[zynismus-off] (update)

afrika? "wir" wollen zwar ihre flüchtlinge nicht - aber dafür können sie ruhig unseren giftmüll bekommen:

(...)"Zu Hunderten mussten Anwohner aus dem Umkreis mehrerer Deponien mit Atemnot, Nasenbluten, Durchfall und Kopfschmerzen in Krankenhäusern behandelt werden, wie Ärzte sagten. Einige der Patienten seien in ernsthaftem Zustand. Medieninformationen zufolge wurde der Müll zwei Wochen zuvor von einem von Niederländern gecharterten Frachter nachts auf drei Kippen in der Metropole der Elfenbeinküste abgeladen.(...)

Allein das Universitätskrankenhaus Codody berichtete von 340 Patienten mit Vergiftungserscheinungen. In der Klinik Treichville wurden weitere Verletzte versorgt. Die Zusammensetzung des Giftgemischs war zunächst unklar. Die Oppositionsbewegung RDR warf den Behörden vor, den Skandal vertuschen zu wollen; die Behörden wüssten genau, dass hoch giftige Schwefelsäure und Chlorelemente auf den Deponien abgelagert worden seien."(...)


das ganz normale geschäft halt.

edit am 08.09.: mittlerweile gibt es als folge der vergiftungen sowohl erste todesfälle als auch den rücktritt der gesamten regierung zu vermelden:

(...)"Der Giftmüll kam am 18. August an Bord des Frachtschiffs "Probo Koala" im Ölterminal des Hafens von Abidjan an. Eine niederländische Transportfirma hatte das Containerschiff gemietet, es fährt unter panamaischer Flagge und ist in griechischem Besitz. Die ivorische Firma "Tommy" beantragte bei den Hafenbehörden, den Frachter gründlich reinigen und die Abfallprodukte entsorgen zu dürfen. Sie bekam die Erlaubnis. Am 22. August fuhr die "Probo Koala" wieder aus Abidjan ab.

Zurück blieben, so haben ivorische Journalisten rekonstruiert, 528 Tonnen hochgiftiger Sondermüll, teils schwarzer Schleim. Die Entsorgungsfirma ließ ihn an neun Orten in der Vier-Millionen-Metropole Abidjan abladen, teils kippten sie ihn in die offene Kanalisation.

Der Müll enthält Chlorpodukte und soll einen hohen Gehalt an Schwefelwasserstoff haben. "Dieses Gas ist sehr giftig", sagt Joachim Wuttke vom Umweltbundesamt. "Es entsteht bei unkontrollierten Reaktionen", sagt der Abfallexperte. Die Anwohner in Abidjan bemerkten die Folgen meist erst, als ihnen vom stechenden Geruch übel wurde. Bald darauf setzten Atemnot, Nasenbluten, Durchfall und Kopfschmerzen ein. Hühner und andere Kleintiere kippten tot um.

Die Oppositionsparteien machen die Regierung für den Skandal verantwortlich. Sie behaupten, Getreue des Staatschefs Gbagbo hätten bis zu 26 Millionen Euro Schmiergeld kassiert. Und die Firma "Tommy" - erst im Juli gegründet - stehe dem Transportminister der Elfenbeinküste mit dem schönen Namen Innocent Anaky nahe."(...)


und, wie oben schon geschrieben: für gewisse leute ist das alles lediglich ein "gutes geschäft":

(...)"Doch das illegale Geschäft ist lukrativ. Wer abgelaufene Ackergifte, verseuchten Klärschlamm oder kontaminierten Elektroschrott ins Ausland karrt, spart sich die aufwendige Entsorgung zuhause. Die sei nämlich teuer, sagt GTZ-Experte Schimpf. "Sie müssen bis zu 2.500 Euro zahlen, um eine Tonne Pestizide zu entsorgen."(...)

geiz ist geil. vor allem dann, wenn die anderen die rechnung bezahlen müssen.

Montag, 4. September 2006

assoziation: zu den kriegen / konflikten im nahen und mittleren osten (3) - quellen des islamistischen fundamentalismus

(die ersten beiden beiträge zum thema, in denen es vor allem über (post-)traumatische einflüsse innerhalb der israelischen gesellschaft und ihre möglichen auswirkungen geht, sind hier und hier zu finden).

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ein paar worte vorweg: nicht umsonst hat es länger gedauert, als ich eigentlich dachte, bevor dieser beitrag hier endlich eine form hatte, mit der ich einigermaßen zufrieden bin. die öffentlichen diskussionen rund um die themen islam(-ismus), religiösen und militanten fundamentalismus, den verschiedenen kriegszonen in der islamischen welt, israel und die rolle der usa und europa sind meistens derart polarisiert und in einem negativen sinne irrational, dass ich immer wieder schlicht tiefen widerwillen verspürte, mich weiter zu äußern. eine position zu finden, die ich selbst vertretbar finde, bedeutet auch, sich zwischen faktisch alle stühle zu setzen - und das ist, gerade bei der teils offen hasserfüllten art und weise der öffentlichen diskurse, kein angenehmer platz. andererseits: wo gibt es schon noch solche plätze?

mich stören sehr viele dinge: einmal wäre da der teils offen vertretene rassismus gegenüber menschen aus afrika, der arabischen welt und asien, der sich heute bei vielen verteidigerInnen der sog. "westlichen werte" untrennbar mit einer angeblich "aufgeklärten" islamkritik maskiert (das teile dieser kritik durchaus zutreffend sind, kann dabei keine rechtfertigung für rassistische ressentiments sein). zum anderen machen teile der westlichen linken andersherum strukturell nichts anderes, wenn sie - berechtigt - den erwähnten rassismus anprangern, dabei aber auch die tatsächlich reaktionären (religiös begründeten) strukturen gerade in vielen islamischen ländern unterschlagen und in schlechter, orthodox-vulgär-kommunistischer tradition quasi zu einer art "nebenwiderspruch" werden lassen - das gilt besonders dann, wenn es sich um kritik an den offen sichtbar vorhandenen patriarchalen lebensverhältnissen in diesen ländern geht, die auf einmal zu "kulturspezifischen eigenarten" erklärt werden, bei denen einmischung im emanzipatorischen(!) sinne gleichbedeutend mit imperialistischem chauvinismus sei und primär von ökonomischen interessen bestimmt wäre (was tatsächlich einen aspekt ausmacht - als stichwort reicht hier öl).

und wiederum als heuchelei muss imo die sorge um frauenrechte gelten, die seitens des offiziellen westens genau in dem moment entdeckt wurden, als bspw. die taliban in afghanistan nicht mehr verbündete - wie noch im kampf gegen die sowjetunion, als die usa genau diese taliban als freiheitskämpfer glorifizierten und die fundamental-islamistische ausrichtung ihrerseits als eine art "folkloristischer eigenart" verstanden - waren, sondern zu terroristen der gefährlichsten sorte mutierten. wer soll solchen leuten noch ihre behauptete sorge um frauen- und menschenrechte abnehmen? ich nicht. gerade vor dem hintergrund der tatsache, dass sexistische und patriarchale (ich verstehe unter den begriffen nicht das gleiche) strukturen im westen zwar modifiziert worden sind und in einigen bereichen gerade formaler und abstrakterer art (wie der allgemeinen gesetzgebung z.b.) geglättet erscheinen, nichtsdestotrotz aber in historisch teils neuen und daher auch schwer zu fassenden formen weiter fortbestehen und das leben hier prägen.

ebenfalls widerwärtig ist die instrumentalisierung des - meiner meinung nach sehr wohl vorhandenen, aber nur sehr gezielt mit repressionen zu bekämpfenden - terroristischen potenzials verschiedener islamistischer strömungen für eine inzwischen völlig hemmungslos gewordenen innere aufrüstung der usa und der meisten europäischen länder, die deutlich erkennbar die behauptete sorge für die "sicherheit der bürgerInnen" als maske vor sich herschiebt, um dahinter für die absehbaren schweren sozialen konflikte und verteilungskämpfe der nahen zukunft repressive strukturen zu schaffen, die in dieser art und weise ebenfalls eine historisch neue qualität darstellen und als absolute bedrohung jeder emanzipatorischen bewegung begriffen werden können - es existiert geradezu ein unheilvolles wechselspiel zwischen den jeweiligen strategen des fundamentalistischen terrors und der "inneren sicherheit", in dem alle zutaten von borderline-wahrnehmung zu finden sind: "gut-böse"-zuschreibungen ausschließlicher art (schwarz-weiß-sicht); polarisierendes lagerdenken; weit gehende dehumanisierung des jeweiligen "feindes" sowie eine sehr aufschlussreiche art von apokalyptischer endzeitrhetorik. das es sich bei dem begriff "borderline-wahrnehmung" vor diesem hintergrund nicht nur um eine metapher handelt, wird später noch deutlicher werden.

kurz: die ganze situation ist eine derartige, bei der zumindest bei mir spontan der impuls entsteht, sich die decke über den kopf zu ziehen und laut aufzustöhnen - es gibt imo keinerlei gründe für alle an tatsächlichen sozialen fortschritten interessierte, sich in dieser auseinandersetzung an der seite irgendeiner der beteiligten parteien zu positionieren, und wenn´s auch nur aus angeblich "taktischen" erwägungen sei - im gegenteil liegen die gründe für eine massive kritik an allen beteiligten seiten derart im weg herum, dass es schwerfällt, nicht alle naselang darüber zu stolpern.

*

im folgenden will ich nun eine zusammenfassende darstellung der entscheidenden sozialen bedingungen innerhalb weiter teile der sog. islamischen welt aus sicht der psychohistorie darstellen, wie sie lloyd deMause in seiner letzten arbeit präsentiert - in einer erweiterung zu ansätzen, wie sie bspw. bei ché im blog deutlich werden -

(...)"Aber es gibt eine Hardcore-Fraktion der Terrorbomber, die sich rein theologisch-ideologisch definieren und die auch ohne Elend in den Ländern und Palästina-Problem bomben würden. Interessanterweise sozial gesehen ein Oberschichtsphänomen."(...)

- versucht die psychohistorische analyse, hinter die als sekundär begriffenen, objektivistischen religiös-ideologischen konstrukte einen blick auf die dahinterliegenden psychophysischen strukturen der handelnden zu werfen, um derart zu einer neuen art von verstehen zu kommen, welches für eine beseitigung der quellen des fundamentalistischen islamismus und eine angepasste fortschrittliche entwicklung der betroffenen regionen wichtige anregungen geben kann.

und im unterschied zu quasi herkömmlichen psychologisch-psychoanalytischen ansätzen, wie sie hinsichtlich der islamischen welt bspw. martin altmeyer vor knapp einem monat in der "taz" unter dem titel Kultur der Niederlage vorgestellt hat; und die imo in einer typischen art und weise zu sehr von der abstraktion der orthodoxen pa geprägt sind und dabei zu solch unwahrscheinlichen und spekulativen konstruktionen wie der folgenden gelangt:

(...)"Während es wohl der Wahrheit entspräche, dass der Terrorist mordet, um für etwas Rache zu nehmen, wäre womöglich ebenfalls wahr, dass er an seiner Kränkung festhalte, um mit dem Morden weitermachen zu können. Die Unterstellung eines solchen (unbewussten) Verlangens bedeute für den Terroristen freilich eine weitere Erniedrigung, die ihn umso wütender mache, denn das Gefühl der Erniedrigung wolle er (bewusst) nicht behalten, sondern gerade loswerden. Wenn man ihm ein Bedürfnis unterstelle, sich gekränkt fühlen zu dürfen, erkläre man seine Motive und Verhaltensweisen für irrational."(...)

kann der psychohistorische ansatz imo eher eine antwort auf die in der "taz" ebenfalls aufgeworfene frage geben:

(...)"Hinter dem Kalkül des fundamentalistischen Islamismus, als dessen Vollzugsorgane sich terroristische Organisationen wie Hisbollah und Hamas verstehen, muss etwas anderes stehen als der Widerstand gegen die Schmach, die Erniedrigung, die Demütigung der arabisch-islamischen Welt durch Amerika und seinen Vorposten Israel."(...)

- weil er sich weitergehend die konkreten und in einer gewissen art und weise sehr "materiellen" sozialen lebensbedingungen anschaut, durch die wir menschen nun mal bis in unsere gehirne und nervensysteme (beides körperlich) geprägt werden, und die wir wiederum durch die wahrnehmungen / informationen in eben diesen gehirnen und nervensystemen prägen. diese vorgänge nun sind bestimmten gesetzen unterworfen, die zwar leider heute nur ansatzweise sichtbar sind, aber nichtsdestotrotz existieren. und ohne die letztlich keinerlei wirkliches verständnis menschlichen verhaltens möglich ist.

*

ich werde deMause im folgenden mit einer sehr komprimierten und in dieser art einzigartigen (zumindest ist mir nicht entsprechendes bekannt) darstellung der teils extrem traumatischen lebensbedingungen in der islamischen welt zitieren, die ich selbst an verschiedenen stellen im text kommentieren will. ich verzichte dabei auf die zahlreichen quellennachweise, die im original (bzw. im buch) angegeben werden - überwiegend bezieht er sich auf quellen aus den islamischen ländern selbst, wobei kritische - und feministische - arbeiten wie bspw. von nawal el saadawi überwiegen, die ich selbst als realistische beschreibungen der sozialen situation einschätze.

er differenziert dabei nicht zwischen den verschiedenen konflikten (z.b. israel - palästinenser), sondern versucht, die in den sozialen bedingungen vorhandenen gemeinsamen quellen der diversen krisen herauszuarbeiten, was die prägungen der islamistischen akteure betrifft.

*

(...)"Kinder, die heranwachsen, um islamische Terroristen zu werden, sind Pro­dukte eines frauenfeindlichen fundamentalistischen Systems, das häufig die Familie in zwei separate Gebiete trennt: das der Männer und das der Frauen. Die Kinder wachsen in den Räumen der Frauen auf, welche der Vater nur selten besucht. Selbst in Ländern wie dem heutigen Saudi-Ara­bien können sich Frauen dem Gesetz gemäß nicht unter nichtverwandte Männer mischen, und öffentliche Orte haben immer noch separate Frau­enzonen in Restaurants und an Arbeitsplätzen, denn - wie ein muslimi­scher Soziologe frei heraus sagt -: »In unserer Gesellschaft gibt es kein freundschaftliches Verhältnis zwischen einem Mann und einer Frau.« Fa­milien, aus denen die meisten Terroristen kommen, sind auch die gewalt­tätigsten Frauenfeinde; in Afghanistan, zum Beispiel, konnten Mädchen keine Schulen besuchen, und Frauen, die versuchten, ihre Jobs zu behal­ten oder scheinbar »mit Stolz dahin schritten«, wurden erschossen. Junge Mädchen werden in den meisten fundamentalistischen Familien abscheulich behandelt. Wird ein Junge geboren, herrscht Freude in der Familie; wird ein Mädchen geboren, trauert die ganze Familie.

Die Sexua­lität des Mädchens ist so verhasst, dass sie, im Alter von etwa 5 Jahren, von Frauen gepackt und zu Boden gedrückt wird und ihr mit einer Ra­sierklinge oder einer Glasscherbe die Klitoris und häufig auch die Scham­lippen abgeschnitten werden. Ihre Agonie und Hilfeschreie werden dabei ignoriert, weil, so sagen sie, ihre Klitoris »schmutzig«, »hässlich«, »giftig« ist, sie »kann einen unersättlichen Appetit auf ausschweifenden Sex ver­ursachen« und »kann Männer impotent machen«. Die Stelle wird dann häufig zugenäht, um Geschlechtsverkehr zu verhindern, es wird nur eine winzige Öffnung zum Urinieren gelassen. Die genitale Verstümmelung ist quälend schmerzhaft. Bis zu einem Drittel der Mädchen sterben an Infek­tionen, verstümmelte Frauen müssen »langsam und schmerzvoll dahin­schlurfen« und sind normalerweise unfähig, einen Orgasmus zu haben. Man schätzt, dass heute über 130 Millionen genital verstümmelte Frauen in islamischen Nationen leben, von Somalia, Nigeria und dem Sudan bis Ägypten, Äthiopien und Pakistan. Eine Studie über ägyptische Mädchen und Frauen ergab zum Beispiel, dass 97 Prozent der ungebildeten und 66 Prozent der gebildeten Familien immer noch weibliche genitale Verstüm­melung praktizieren würden. Obwohl in einigen Gebieten diese Praxis weitgehend aufgegeben wurde, nimmt sie in anderen - wie im Sudan und in Uganda - weiter zu, wo 90 Prozent der befragten Frauen angaben, al­le ihre Töchter beschneiden zu wollen.

Die Verstümmelung wird
nicht vom Qu'an vorgeschrieben; vielmehr sagte Mohammed, man solle Mädchen besser als Jungen behandeln. Den­noch haben Frauen über Jahrtausende hindurch ihren Töchtern diesen Horror zugefügt und inszenieren den ihnen durch Männer zugefügten Missbrauch wieder neu, wenn sie ihre Töchter verstümmeln und fröhliche Lieder wie dieses dabei singen: »Wir waren einmal Freunde, aber heute bin ich der Herr, weil ich ein Mann bin. Schau - ich hab ein Messer in meiner Hand. ... Deine Klitoris; ich werde sie abschneiden und sie weg­werfen, weil heute bin ich ein Mann.«

(dieses und alle folgenden zitate: lloyd deMause "das emotionale leben der nationen"; drava, klagenfurt 2005; isbn 3-85435-454-1; s. 39 - 43)


ich halte primär theologische und religionstheoretische auseinandersetzungen für weitgehend uninteressant, da "heilige bücher" wie die bibel und der koran sowohl beliebig interpretierbar sind als auch vermutlich durch die jahrhunderte immer wieder verändert wurden. so kann aus der bibel sowohl bspw. die inqusition als auch die befreiungstheologie südamerikanischen zuschnitts "begründet" und hergeleitet werden - sich gegenseitig ausschließende handlungsweisungen also, die die willkür deutlich machen, mit der religiöse motive konstruktivistisch begründet und umgesetzt werden. ebenso dürfte es sich mit der obigen äußerung von mohammed verhalten. deMause gibt an anderer stelle dagegen interessante hinweise darauf, dass sämtliche religionen, incl. der sog. naturreligionen, und besonders die damit assoziierten gottheiten, eher als produktionen einer durch extrem verbreitete traumatische erfahrungen allgemein dissoziierten welt- und selbstwahrnehmung zu verstehen sind, in dem die diversen götter als projektionen strafender bzw. lobender und aus der sicht von kindern v.a. mächtiger elternfiguren auftreten - und gerade die im religiösen kontext immer wieder auftretenden phänomene wie bspw. trance, religiöse verzückung, ekstase, aber auch selbstgeisselung und -bestrafung, lassen sich aus heutiger sicht sehr wohl als extremformen dissoziativer zustände begreifen.

eine andere art dissoziativer wahrnehmungsspaltung lässt sich hingegen beim stichwort saudi-arabien konstatieren: bis heute ist das dortige herrschaftssystem als eine art theokratische diktatur zu verstehen, mit einer speziellen variante patriarchaler und sexistischer unterdrückung. und seit jahrzehnten kann festgestellt werden, das diese diktatur ohne die faktische unterstützung der usa - die bis heute andauert, wenn auch in der folge des 11. september 2001 mit einigen "irritationen" - nicht existenzfähig wäre. eine (us-)administration, die im falle afghanistans zur "begründung" eines krieges u.a. menschen- und frauenrechte anführte, die sie im falle saudi-arabiens nicht mal als sekundär relevant ansieht (schließlich sind das immer noch ölliefernde "verbündete"), muss sich mindestens als heuchlerbande bezeichnen lassen, die menschenrechte rein instrumentell dann einsetzt, wenn´s ihr in den propagandistischen kram passt. sie kann allerdings auch als in einem pathologischen wahrnehmungsstatus festhängend begriffen werden - und genau dafür geben die gesamten arbeiten von deMause, der sich über jahrzehnte mit der us-amerikanischen innen- und außenpolitik bzw. ihren versteckten "drehbüchern" beschäftigt hat, etliche indizien.

"Mädchen, die in diesen fundamentalistischen Familien aufwachsen, werden normalerweise so behandelt; als wären sie verschmutzte Wesen, verschleiert, und manchmal von Gruppen vergewaltigt, wenn Männer au­ßerhalb der Familie mit Männern ihrer Familie eine alte Rechnung zu be­gleichen haben. Studien, wie eine aktuelle Erhebung unter palästinensi­schen Studenten, zeigen, dass sexueller Missbrauch in islamischen Gesell­schaften weit häufiger stattfindet als anderswo, wobei mehrheitlich Mäd­chen davon betroffen sind, als Kinder sexuell belästigt worden zu sein. Auch eine Heirat kann als Vergewaltigung betrachtet werden, da die Fa­milien häufig den Partner aussuchen und das Mädchen erst 8 Jahre jung ist. Die Schuld für die Vergewaltigung wird oft den Mädchen zugescho­ben, da man davon ausgeht, dass »diejenigen, die nicht darum bitten, auch niemals vergewaltigt werden«. Das Verprügeln der Ehefrauen ist üblich und Scheidung auf Wunsch der Frau selten - vielmehr sind Frauen von ihren Familien umgebracht worden, nur weil sie um die Scheidung baten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass bei »Ärzte für Menschenrechte« he­rausgefunden wurde, dass »97 Prozent der afghanischen Frauen, die sie untersuchten, unter schweren Depressionen litten«.

Es überrascht auch nicht, dass diese verstümmelten, geprügelten Frau­en keine ideale Figur als Mütter abgeben und ihr eigenes Elend wiederum ihren Kindern zufügen. Besucher bei Familien in verschiedensten funda­mentalistischen muslimischen Gesellschaften berichten vom »Ohrfeigen, Schlagen, Peitschen und Verprügeln« von Kindern, mit konstanter Beschä­mung und Demütigung, von ihren Müttern häufig als »Feiglinge« be­schimpft, wenn sie sich weigern, andere zu schlagen. Physischer Miss­brauch von Kindern geht weiter; gemäß einem Bericht der Pakistanischen Konferenz über Kindesmissbrauch »sehen sich eine große Anzahl von Kin­dern mit irgendeiner Form physischen Missbrauchs konfrontiert, vom In­fantizid und der Weglegung von Babys bis hin zu Schlagen, Schütteln, Ver­brennen, Schneiden, Vergiften, Unter-Wasser-Halten oder der Verabrei­chung von Drogen oder Alkohol oder gewalttätige Handlungen wie Boxen, Treten, Beißen, Würgen, Schlagen, Beschießen oder Stechen«.


kurz: ähnliche und gleiche praktiken also, wie sie in dieser gesellschaft hier in den letzten jahren immer wieder für kurzzeitige mediale aufgeregtheit sorgen - ein beispiel.

"Islamische Schulen praktizieren regelmäßig die Prügelstrafe - speziell in den Religionsschulen, aus denen freiwillige Terroristen so häufig kom­men - und ketten ihre Schüler tagelang »in dunklen Räumen mit wenig Nahrung und kaum vorhandener sanitärer Einrichtung« an."

das sind methoden aus dem arsenal der sensorischen deprivation , die auch bei der - ja, programmierung von selbstmordattentätern eine wichtige rolle spielt - dazu bspw. mehr hier und hier.

"Sexueller Missbrauch - beschrieben als »Streicheln der Genitalien, vom Kind die Berührung der Genitalien des Missbrauchers erzwingen, die Masturbation mit dem Kind entweder als Teilnehmer oder Beobachter, oraler Sex, ana­le oder vaginale Penetration mit Penis, Finger oder jeglichen anderen Objekten und [Kinder-]Prostitution« - ist ausgedehnt vorhanden, jedoch un­möglich zu beziffern.

Auch von Müttern ist berichtet worden, sie würden häufig »den Penis [ihrer Jungen] lange und heftig reiben, um ihn zu ver­größern«. Der Studie über die palästinensischen Studenten folgend, wür­den die Jungen laut ihren Berichten sogar häufiger sexuell missbraucht werden als Mädchen - Männer wählen die anale Vergewaltigung von klei­nen Jungen, um das zu vermeiden, was sie als die »unersättliche Vagina«der Frauen betrachten. Von einigen Gebieten wird berichtet, Kinder hät­ten mit Narben übersäte Körper von Verbrennungen mit glühendheißen Bügeleisen, die von Bestrafungen ihrer Eltern oder von Heilungen von der Besessenheit durch Dämonen herstammen. Kindern wird strikter Gehor­sam gegenüber allen elterlichen Befehlen beigebracht, wie etwa zu stehen, wenn ihre Eltern den Raum betreten, ihre Hände zu küssen, nicht über­mäßig zu lachen, sie immens zu fürchten; und sie lernen, dass es schreck­lich sündhaft ist, einem ihrer Begehren nachzugeben. Alle diese Kinder­erziehungspraktiken sind jenen sehr ähnlich, wie sie Kindern im mittelal­terlichen Westen routinemäßig zugefügt worden sind."


und in variantionen in deutschland bis mitte des 20. jahrhunderts stark verbreitet waren - die uns heute (hoffentlich) bedrückenden fälle von gewalt gegen kinder in dieser gesellschaft stellen eher relikte dieser massiv traumatischen vergangenheit dar - relikte allerdings, die immer noch in zu großer zahl vorhanden sind. das dabei bis heute auch christlich-religiöse institutionen immer wieder als täter im focus stehen, sollte ein gesundes mißtrauens gegen jede art derartiger "religiösität" unterstützen, die mit "spirituell" begründeten hierarchien daherkommt.

und nun folgt ein sehr wichtiger punkt - lassen Sie sich von einigen begriffen, die Ihnen womöglich seltsam vorkommen mögen, nicht irritieren:

"Die asketischen Resultate solch strafreichen Erziehens sind voraussag­bar. Wenn diese missbrauchten Kinder heranwachsen, fühlen sie jedes Mal, wenn sie versuchen, sich selbst zu aktivieren, jedes Mal, wenn sie unabhän­gig etwas für sich selbst tun wollen, sie könnten in ihren Köpfen die Billigung ihrer Eltern verlieren - hauptsächlich die ihrer Mütter und Großmüt­ter im Frauenquartier. Als ihre Städte in den letzten Jahrzehnten mit Geld aus Ölverkäufen und westlicher Popkultur überflutet wurden, fühlten sich die fundamentalistischen Männer erst zu den neuen Freiheiten und Ver­gnügungen hingezogen, zogen sich aber bald zurück, weil sie spürten, sie würden die Zustimmung ihrer Mami riskieren und als »böse Buben« gese­hen werden."

während ich den ersten satz voll unterschreibe - u.a. aus diesem grund versucht jedes autoritäre bzw. diktatorische system, u.a. über familien- und bildungspolitik destruktiven zugriff auf die lebens- und entwicklungsbedingungen der kinder und jugendlichen zu nehmen -, drückt sich deMause beim konstrukt des "bösen buben" imo etwas unglücklich und in v.a. in orthodox-freudianischer manier aus. genauer wäre es, von in folge massiver traumata entstandenen dissoziativen persönlichkeiten zu sprechen, bei denen einzelne teil-persönlichkeiten die destruktiven handlungen und forderungen der täterInnen repräsentieren, und bei "verstößen" gegen deren gebote und weltsicht massiv aktiviert werden, u.a. in form von existenziellen schuldgefühlen. bei als solchen diagnostizierten dissoziativen (multiplen) persönlichkeiten können diese anteile als quasi selbst existierende (teil-)"persönlichkeiten" von außen beobachtet werden. in schwächerer form können wir sie an und in uns selbst wahrnehmen - als mehr oder weniger deutlich wahrnehmbare innere "stimmen", die auf einem herumhacken - tatsächlich meist in situationen, die im weitesten sinne etwas mit selbstverwirklichung zu tun haben (was u.a. dann zum problem werden kann, wenn sich berechtigte kritik an egozentrischem verhalten mit destruktiven folgen für andere mit diesen stimmen mischt und zu elementarem trotz und massiver abwehr führen kann - zu beobachten ist das immer wieder bspw. bei diskussionen über die notwendige einschränkung des westlichen lebensstandards aus ökologischen und sozialen gründen).

"Menschen aus dem Westen kamen, um jetzt in Form einer Projektion ihr eigenes »Böse Buben«-Ich zu repräsentieren, das abgetötet werden musste, so wie sie von sich selbst meinten, die Strafe verdient zu haben dafür, solch unverzeihliche Sünden zu begehen, nämlich Musik zu hören, Drachen steigen zu lassen und Sex zu genießen. So urteilte je­mand: »Amerika ist gottlos. Der westliche Einfluss hier ist keine gute Sa­che, unsere Leute können CNN, MTV [und] Küssen sehen.« Ein anderer beschrieb seine Gefühle folgendermaßen: »Wir werden die amerikanischen Städte Stück für Stück zerstören, weil euer Lebensstil für uns so anstößig ist, eure pornographischen Filme und das Fernsehen.« Viele waren einer Meinung mit dem iranischen Kulturminister, dass alle amerikanischen Fernsehprogramme »ein Teil eines ausgedehnten Komplotts zur Auslö­schung unserer Kultur und unserer heiligen Werte« wären, und hatten aus diesem Grund das Bedürfnis, Amerikaner töten zu müssen. Sayyid Qutb, der intellektuelle Vater des islamischen Terrorismus, beschreibt, wie er sich gegen den Westen wandte, als er bei einem Amerikabesuch einmal einen Kirchentanz beobachtete: »Jeder junge Mann nahm die Hand einer jungen Frau. Und das waren dieselben jungen Männer und Frauen, die ge­rade eben ihre Hymnen gesungen hatten! Der Raum wurde zu einem Durcheinander von Füßen und Beinen: Arme schlangen sich um Hüften; Lippen trafen Lippen; Oberkörper drückten sich aneinander.«

hier liegt ein vergleich mit den inneren dynamiken von "ideologisch" ganz anders konstruierten autoritären gesellschaftsentwürfen durchaus nahe - in ihrer abwehr und feindschaft gegenüber allem lebendigen, für das die sexualität als das symbol überhaupt angesehen werden kann, finden jenseits aller "ideologischen" differenzen christliche, moslemische und sonstige religiöse fundamentalisten, aber auch bspw. faschisten aller coleur und orthodoxe stalinisten einen sehr aufschlußreichen gemeinsamen nenner. das genau diese lebendigkeit aber auch für die kontrollorientierte, objektivierende und quasiautistische vorherrschende tendenz der westlichen gesellschaften ein greuel ist - die sich zumindest in teilen (!) von den offen traumatischen strukturen der vergangenheit fortentwickelt hat - , bedeutet imo aber nicht, dass es keine unterschiede zu den erwähnten klassisch autoritären formationen geben würde - eher scheinen wir es in unserer gesellschaft mit anderen wegen des ausagierens, aber auch - durch die entwicklung von wissenschaftlichen ansätzen wie der psychiatrie und psychotherapie - qualitativ ebenfalls zumindest teilweise anderen möglichkeiten der tatsächlichen verarbeitung unserer traumatischen kollektiven und individuellen geschichte(n) zu tun zu haben. wobei bis auf weiteres sehr fraglich scheint, wie stark die dadurch vorhandenen tatsächlich emanzipatorischen möglichkeiten real sind.

"Osama bin Laden. selbst »frequentierte während seiner Collegezeit prunkvolle Nachtdubs, Casinos und. Bars [und] war ein Trinker und Schürzenjäger«, fühlte aber bald extreme Schuld für seine Sünden und be­gann, das Töten von Westlichen wegen ihrer Freiheiten und der Verfüh­rung von Moslems zu predigen."

hier sind verblüffende biographische parallelen zu seinem gegenpart george w. bush zu sehen:

(...)"Bush junior ist in zweifacher Hinsicht ein bekehrter Alkoholiker. Mit Ende Dreißig war er der nichtsnutzige Sohn eines reichen, erfolgreichen, patrizischen Vaters - ein Weiberheld und Trinker. Dann fand er Jesus. Um aus der Spirale eines ziellosen Lebens herauszukommen, wurde er unter dem Einfluss des charismatischen Predigers Billy Graham religiös, trank fortan keinen Tropfen mehr und ging in die Politik. Das klingt wie der Stoff für eine Satire (am besten von Tom Wolfe), aber jeder Therapeut weiß, dass ein dramatisches Erlösungserlebnis und die Bindung an neue, starke Werte oft der Weg aus der Selbstzerstörung ist."(...)

die quelle und einige - ältere - gedanken meinerseits dazu sind hier bzw. im zugehörigenden thread zu finden.

"Die meisten Führer der Taliban waren reich, so wie bin Laden, hatten Kontakt mit dem Westen gehabt und wa­ren in ihre terroristische Gewalttätigkeit hineingestoßen worden, scho­ckiert durch »die persönlichen Freiheiten und den Überfluss des Durch­schnittsbürgers, durch die Promiskuität und durch den Alkohol- und Dro­genkonsum der westlichen Jugend ... Nur eine absolute und bedingungs­lose Rückkehr in die Arme des konservativen Islamismus könnte die mos­lemische Welt vor den inhärenten Gefahren und Sünden des Westens be­wahren«. Bin Laden kehrte seinem vergnüglichen Leben den Rücken und lebte mit seinen vier Frauen und fünfzehn Kindern in einer kleinen Höh­le ohne fließendes Wasser, all jenen mit einem heiligen Krieg drohend, die sündhafte Handlungen und Freiheiten genießen, welche er in sich selbst nicht dulden kann.

Von Kindheit an ist den islamischen Terroristen beigebracht worden, jenen Teil in sich selbst umzubringen - und in weiterer Übertragung auch bei anderen -, der selbstsüchtig ist und gerne persönliches Vergnü­gen und Freiheiten hätte."


an dieser stelle finde ich das wort "selbstsüchtig" ziemlich unglücklich, zu negativ und zu begrenzend - eher ist eine traumatisierende behandlung von kindern, wie sie hier beschrieben wird, faktisch gegen alle lebendigen anteile wirksam - und wahllose promiskuität wie auch vielfältigster drogenabusus können auch jenseits von moralischen kategorien als symptome gestörter selbstregulation angesehen werden - sie sind imo eine andere art des ausagierens.

"Bereits in ihren von Gewalt und Schrecken be­herrschten Elternhäusern - und nicht erst später in den terroristischen Trainingscamps - lernen sie von Anfang an, Märtyrer zu sein und für Allah zu sterben. Als Selbstmordattentäter, die von der Ausführung ih­rer Vorhaben abgehalten werden konnten, im TV interviewt wurden, sag­ten sie, sie fühlten sich »ekstatisch«, als sie auf den Knopf drückten. Sie leugneten, durch die Jungfrauen und andere Verlockungen, die sie an­geblich im Paradies erwarteten, motiviert worden zu sein. Stattdessen wollten sie sich Allah anschließen - um die Liebe zu bekommen, die sie nie hatten. Von den Müttern von Märtyrern berichtet man, sie wären glücklich darüber, dass diese sterben. Eine Mutter eines palästinensi­schen Selbstmordattentäters, der sich in Stücke gerissen hatte, sagte »mit entschlossen freudiger Miene«: »Ich war sehr glücklich, als ich es erfuhr. Ein Märtyrer zu sein, das ist etwas. Nur wenige Menschen kön­nen das. Ich habe gebetet, um Gott zu danken. Ich weiß, mein Sohn ist nahe bei mir."

das deutsche wort "eisenmütter", welches heute bezeichnenderweise im netz nur noch im kontext des sog. rechtsrock zu finden ist, kommt mir bei den letzten sätzen in den sinn - es wurde imo sowohl im ersten weltkrieg als auch später im ns als eine art anerkennder auszeichnung für tränen- und gnadenlose mütter verwendet, deren söhne - von ihnen begrüßt - den sog. heldentod auf den schlachtfeldern fanden. ebenfalls lassen sich gewisse parallelen zu einigen heutigen "borderline-müttern" finden, bei denen die empathielosigkeit allerdings nicht durch irgendwelche ideologischen konstrukte bemäntelt wird.

*

und ansonsten finde ich, dass die texte oben für sich selbst sprechen - und hoffe, dass sie zumindest dazu anregen, von den eingefahrenen betrachtungsweisen etwas wegzukommen. fertige lösungen kann und will ich hier nicht präsentieren, obwohl sich zumindest einige ansätze von selbst ergeben:

(...)"Zu hören ist auch, was die Attentäter betrifft, eine Kritik am oft verbreiteten Anspruch der Religion, wonach dort die Lösung für alle Probleme zu finden sei. Weshalb gibt es keine "islamische Form der Psychotherapie", fragt etwa ein konvertierter deutscher Muslim. Kriegstraumata könne man mit dem Koran alleine nicht begegnen.(...)"

(quelle)


nicht nur kriegstraumata, so muss ergänzt werden. allerdings lassen sich religionen durchaus jenen "emotionalen stützkorsetten" zuordnen, die ich im letzten blogbeitrag in einem ganz anderen zusammenhang genannt hatte. vermutlich ist diese funktion sogar die eigentliche quelle ihrer attraktivität für geschädigte menschen.

Freitag, 1. September 2006

assoziation: mixzone

ich habe momentan ziemlich schlechte laune - und ein paar auslöser dafür gibt es im folgenden zu betrachten (und möglicherweise wird´s auch etwas zynisch werden...)

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birger dulz gilt im zusammenhang mit forschung und therapie der borderline-persönlichkeitsstörung als einer der offiziell anerkanntesten kliniker, und in diesem fall kann ich das - anhand der theoretischen arbeiten, die ich von ihm kenne - auch nachvollziehen. das er sich dabei im mainstream des borderline-diskurses bewegt, liegt bei seiner repuatation eigentlich auf der hand - aber gerade durch diesen status bekommen aussagen, wie sie bspw. im unteren teil dieses beitrages zu lesen sind, vielleicht eine gewisse bedeutung in der (ver-)öffentlich(t)en wahrnehmung - und besonders dann, wenn sie aktualisiert werden:

(...)"Die Betroffenen seien - meist gut therapiert - durchaus auch in leitenden Positionen anzutreffen, berichtet der Chefarzt der IV. Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Asklepios-Klinik Nord, Dr. Birger Dulz. Auf der anderen Seite allerdings landeten viele von ihnen - ohne Therapie - in psychiatrischen Einrichtungen und im Strafvollzug."(...)

nunja - was bedeutet in diesem zusammenhang eigentlich "gut therapiert"? "leitende positionen" in einem gesellschaftssystem, welches - und für diese feststellung reicht eine halbwegs funktionierende wahrnehmung bereits aus - bei genauer betrachtung für die absolute mehrheit der weltbevölkerung und auch für den planeten als ganzes extrem dysfunktional bis tödlich ist und sich u.a. durch krebsartig um sich greifende verdinglichung und simulative prozesse "auszeichnet", stellen imo weder einen anstrebenswerten noch einen akzeptablen maßstab für therapeutische erfolge dar - auch, wenn die orthodoxe psychiatrie und psychotherapie genau für derlei "erfolge" von dieser gesellschaft bezahlt werden.

und zur letzten aussage von dulz nur zwei anmerkungen: erstens kann auch "mit therapie" der weg in die erwähnten institutionen führen, und zweitens wäre es imo seine aufgabe, vor diesem hintergrund auch sinn und struktur des heutigen strafsystems in frage zu stellen - etwas, bei dem sein entfernter kollege roth bereits deutlichen klartext redet.

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neben dulz hat der name von otto f. kernberg in der borderlineforschung weltweit vermutlich die größte akzeptanz - und das ist für einen expliziten psychoanalytiker in der psychiatrie schon recht ungewöhnlich, kann aber auch einige gerade durch die orthodoxe pa erzeugte seltsamkeiten und wahrscheinliche irrtümer hinsichtlich borderline erklären, wie sie im folgenden artikel wieder einmal auf den tisch kommen. zunächst werden die beobachtungen von dulz oben noch einmal bekräftigt, und zwar in deutlich negativer art und weise:

(...)"Borderline" hat sich als übergeordneter Begriff für alle Arten schwerer Persönlichkeitsstörungen umgangssprachlich etabliert und den "Psychopathen" nicht nur im Fachbereich abgelöst. Tatsächlich nimmt er unter diesen Störungen, von denen nach unterschiedlichen Schätzungen bis zu fünf Prozent der Bevölkerung betroffen sind, eher eine nachrangige Stellung ein – wenn auch eine prominente, schon weil er nicht leicht zu diagnostizieren ist – und noch schwerer zu behandeln.

Und noch einen gewichtigen Grund gibt es dafür, seit US-Experten herausfanden, dass Borderliner, als Manager zunächst wegen ihrer Skrupellosigkeit bei "Umstrukturierungen" (Hinauswürfen) von Unternehmen geschätzt, in der Folge desaströs handeln. Der Grund: Die meisten Borderliner sind außerstande, konstruktive Arbeit zu leisten und im sozialen Umfeld normal zu interagieren.

Doch nicht nur für den Arbeits- und Unternehmensbereich oder die Politik, in der Borderliner oft als "Quereinsteiger" auftauchen (aber kaum bleiben), sondern auch das private Leben (Beziehungen, Ehe) stellen Borderliner durch Akzeptanz- und Distanzlosigkeit, Grenzüberschreitungen und Zumutungen eine zumindest so große Gefahr dar wie für sich selbst."


interessant, das die autorin hier eine faktische gleichsetzung von borderline und (klassischer) psychopathie vornimmt - warum ich das für nicht zutreffend halte, lässt sich u.a. hier und hier nachlesen. es bestehen schließlich einige indizien dafür, allgemein antisoziales verhalten - welches sich bei als solchen diagnostizierten bl-personen zweifelsfrei selbst bei berücksichtigung der gesellschaftlichen bedingtheit der "offiziellen" kriterien für antisozialität finden lässt - von der klassischen psychopathie zu unterscheiden.

und das sich der begriff als generelles synonym für alle heute geführten modelle von persönlichkeitsstörungen eingebürgert hat, mag zwar zutreffen, dürfte aber gerade bei leuten wie kernberg auf einigen widerspruch stoßen. ich selbst halte es durchaus für möglich für möglich, dass das synonym zutreffend ist - aber nur, wenn die orthodoxen modelle wesentlich erweitert bzw. ganz verlassen werden.

ebenfalls ist imo die aussage unzutreffend, dass die "meisten" bl-persönlichkeiten außerstande seien, im sozialen umfeld zu "interagieren" - das trifft höchstens für akut agierende bl-menschen zu, die dabei gegen die aktuellen kriterien der "objektiven realität" verstoßen - oder kurz gesagt auffällig werden, und damit zu objekten der psychiatrie oder sogar der strafjustiz. im als-ob-modus hingegen können solche menschen, gerade vor dem hintergrund der zunehmenden virtualisierung vieler sozialer bereiche, interaktionen und kommunikation mit tendenziell zunehmendem erfolg simulieren - und eine der thesen des weiterhin ignorierten j. erik mertz, die für diese ignoranz mitverantwortlich sein dürfte, besteht denn auch darin, einen teil der "therapeutischen" erfolge bei borderline-persönlichkeiten letztlich als erfolge bei der zunehmenden perfektionierung der jeweiligen simulativen fähigkeiten zu analysieren, d.h. das die heute etablierten therapien die betroffenen lediglich für die bereits in sich gestörten und kranken strukturen der heutigen gesellschaft anpassungs- und durchsetzungsfähiger machen - und damit macht man sich ganz sicher keine freunde innerhalb der kollegInnenschaft.

weiter im text:

"Die Borderline-Forschung hat in den letzten Jahren einige Fortschritte gemacht. So fanden Fachleute heraus, dass in vielen Fällen Missachtung und Vernachlässigung des Kindes seitens eines oder beider Elternteile vorlag. Überproportional häufig fanden sich auch Hinweise auf sexuellen Kindesmissbrauch. Schließlich wurden auch mehrere Ursachen dafür entdeckt, warum viele Borderliner den Schmerz durch Selbstbeschädigung und suizidähnliche Taten suchen. Doch ein gemeinsamer Nenner in der Entstehung fand sich bisher nicht wirklich."

das suggeriert mehr an erkenntnissen, als imo wirklich vorhanden sind - die genauen beziehungen bzw. verhältnisse zwischen borderline und (post-)traumastörungen aller art sind nach meinem eindruck noch nicht tatsächlich begriffen worden, was auch mit mit den erwähnten, und im internationalen borderline-diskurs sehr dominanten, orthodox-psychoanalytischen modellen / ansätzen zu tun haben dürfte, wie sie im folgenden kurz umrissen werden:

"Der aus Wien stammende und in New York lehrende Otto F. Kernberg – er ist ein weltweit anerkannter Spezialist für schwere Persönlichkeitsstörungen – sieht als Grundursache für Borderline und verwandte Störungen ein psychoanalytisches Phänomen: Die Betroffenen seien, sehr vereinfacht ausgedrückt, in ihrer Kindheit nicht imstande gewesen, die moralische Instanz – das Über-Ich – in ihr Ich zu übernehmen.

Dagegen stärke ein integriertes Über-Ich die Fähigkeit zur Ausbildung sowohl von Objektbeziehungen als auch die Autonomie: "Ein internalisiertes Wertesystem macht das Individuum weniger abhängig von äußerer Bestätigung ... und ermöglicht gleichzeitig ein tieferes Engagement in Beziehungen zu anderen Menschen", wie Kernberg in seinem neuen Buch ("Narzißmus, Aggression und Selbstzerstörung") schreibt.

Doch die Internalisierung eines Wertesystems bedarf der Grundsätze, Leitbildern, Erkenntnis. Kernberg befürchtet nun anhand bestimmter Parameter eine Zunahme solcher Persönlichkeitsstörungen durch soziale Umstände: Wo die traditionellen Strukturen einer Gesellschaft durch raschen Umschwung wegfielen, fehle es an deren stabilisierendem Einfluss auch auf das Individuum. Und insbesondere sozial verwahrloste Kinder, deren Vorbilder vom "Recht des Stärkeren" geprägt werden, sind davon betroffen."


*ächz* ich empfinde bei derlei aussagen zunehmend widerwillen und verdruß. warum? einmal ist es die sprache - der begriff "objektbeziehungen" wurde bereits vor jahrzehnten von erich fromm kritisiert, und zwar sehr berechtigt. dazu finde ich das mechanistische modell der pa, aus dem die konstruktion des "über-ich" stammt, schlicht überholt - freud hat hier vermutlich - wofür ihm aber bei berücksichtigung der historischen umstände schlecht ein vorwurf gemacht werden kann - auf der basis eine allgemeine verbreiteten fragmentierenden bzw. dissoziativen wahrnehmung anhand der beobachtung von fragmentierten bzw. dissoziativen patientInnen sein modell der menschlichen psyche entwickelt, welches von heute aus erstens grundsätzlich körperlos erscheint bzw. den körper in form des anonymen und "tierischen" "es" als gegenpart zum "kontrollierten und vernunftgeleiteten geist" (dem "ich") konstruiert; und hat zweitens damit ziemlich bewußtlos die folgen eines über generationen und jahrhunderte existierenden tief traumatischen einflusses innerhalb der westlichen gesellschaften (u.a. durch die verbreitete gewalt gegen kinder) quasi als "anthropologische normalität" in seinem entwurf reproduziert und zementiert.

mit anderen worten: alle theorien und modelle vom menschlichen verhalten, die den "wahnsinn der normalität" nicht wahrnehmen (können oder wollen), neigen zwangsläufig dazu, die sich aus diesem wahnsinn ergebenen verzerrten verhaltensweisen und die ebenso verzerrten individuellen wie sozialen strukturen als "normalität", "menschliche natur" und "anthropologische konstante" fehlzuinterpretieren - und werden deshalb ebenso zwangsläufig zu einer art ideologie, die die grundsätzlich pathologischen verhältnisse nicht nur nicht mehr kritisieren / analysieren kann, sondern sie sogar noch verstärkt und untermauert.

das gilt - in verschiedenem ausmaß - sowohl für die orthodoxe psychoanalyse (als deutlichstes beispiel wäre hier das konstrukt des "todestriebs" zu nennen) als auch bspw. für solche konstrukte wie den "homo oeconomicus", der bis heute gerade in prokapitalistischen ideologien als pathologisches menschenbild herumspukt - und als basis dieser ideologien unverzichtbar ist.

was kernberg nicht aufzufallen scheint: wenn sein modell konsequent zuende gedacht wird, kann als letztes auch die forderung nach einer durchhierarchisierten, formierten und autoritären gesellschaft stehen, die all den quasi "natürlich" "über-ich"-schwachen menschen die "traditionellen strukturen" z.b. von nationalstaat, patriarchat und autoritärer familie als eine art emotionales stützkorsett implantiert - was in der folge von den meisten menschen unter dem daraus folgendem sozialen anpassungsdruck tatsächlich "internalisiert" wird (ein blick in die geschichtsbücher macht deutlich, dass dieser mechanismus tatsächlich "funktioniert" - und heute auch die scheinalternative zum durchdrehenden objektivismus des westlichen typs darstellt, die den erfolg von neofaschistischen und fundamentalistischen strömungen jeglicher coleur begünstigt). und gerade die erwähnten "sozial verwahrlosten kinder" finden in dem angeblich "natürlichen" "recht des stärkeren" eine mächtige, genau von den gerade erwähnten strömungen ideologisch recht beliebig interpretierte untermauerung / begründung dafür, dass sie sich nicht ändern müssen - oder anders: ihren eigenen verletzungen nicht gegenüber treten müssen. gerade dieser aspekt wird bei den analysen des rollbacks diverser reaktionärer und antisozialer fundamentalistischer strömungen, egal ob "politisch" oder "religiös", meistens ausgeblendet.

ich nehme kernberg dabei durchaus ab, dass er sich selbst wahrscheinlich als vertreter einer zutiefst humanistischen und der aufklärung verpflichteten strömung begreift - aber die vielen lücken und verzerrungen der (nicht nur von ihm) vertretenen modelle bilden die einfallstore für u.a. jene extrem destruktive strukturen, mit denen wir uns heute herumschlagen müssen. dazu kommt sein imo ziemlich unreflektierter beziehungsbegriff, der ebenso wie die meisten anderen heute etablierten nichts von der wirklichkeit der existenz simulativer fähigkeiten - und damit eben auch simulierter pseudobeziehungen - wissen will. auch das lässt sich als grundsätzlicher fehler im freudschen modell des menschen analysieren, wie es mertz in seinem buch bereits ansatzweise getan hat.

*

das stichwort "sozial verwahrloste kinder" leitet über zu folgender meldung:

"Großbritanniens Premierminister Tony Blair hat ein frühestmögliches Eingreifen des Staates gegen Kinder- und Jugendkriminalität gefordert. Möglicherweise seien schon vor der Geburt Maßnahmen nötig, um das Heranwachsen von Kindern zu Unruhestiftern zu verhindern, sagte Blair am Donnerstagabend in einem BBC-Interview."

das sich großbritannien offensichtlich als vorreiter bei der prophylaxe von als solchen definierten antisozialen verhaltensweisen etablieren will, war hier schon früher thema - neu ist jedoch der bezug auf die relevanz der pränatalen phase (die immerhin so einmal, wenn auch von den falschen leuten und mit falschen motivationen, ins öffentliche blickfeld rückt). ich bleibe bis auf weiteres bei meiner in früheren beiträgen skizzierten meinung dazu: grundsätzlich steckt in solchen überlegungen ein richtiger kern - aber eine umsetzung kann nicht unter den heutigen gesellschaftlichen machtverhältnissen stattfinden, weil genau diese einen teil des problems darstellen - und die unterschrift unter dem bild der familie blair macht das mit ihrem unterton vermutlich unfreiwillig deutlich:

"Die Familie Blair ist selbstverständlich keine Plage für die Gesellschaft."

triefende ironie oder merkhilfe für eventuelle zweiflerInnen? interessant sind die umrissenen begründungen und auch die bisherigen reaktionen:

"Ohne rechtzeitige Prognosen und Eingriffe würden Kinder in Familien aufwachsen, von denen man genau wisse, dass sie überhaupt nicht funktionierten. "Ein paar Jahre später werden die Kinder dann eine Plage für die Gesellschaft und eine Gefahr für sich selbst sein", sagte der Regierungschef. So dürften unverheiratete minderjährige Mütter, die in keiner dauerhaften Beziehung lebten, nicht nur Unterstützungsangebote bekommen. Der Staat müsse ihnen auch deutlich machen, dass er ihre Situation als möglichen Ausgangspunkt künftiger Probleme im Blick behalte.

Das sozialpolitische Forschungsinstitut Civitas kritisierte, es grenze an "sozialen Determinismus", Kinder schon vor ihrer Geburt als problematisch abzustempeln. Die oppositionellen Konservativen bezeichneten mehr staatliche Eingriffe und Bürokratie als falsche Antwort auf die Problematik."(...)


dem ersten satz würde ich zustimmen. dem rest hingegen bleibt etliches anzumerken: so muss bei den "unverheirateten minderjährigen müttern" (die formalität "unverheiratet" scheint für blair das größte ärgernis zu sein) nicht nur die sexistische und patriarchale struktur der gesellschaft berücksichtigt werden, sondern ebenfalls die durch blair maßgeblich mitzuverantwortende antisoziale (wirtschafts-)politik, die die spirale der verelendung mitsamt der zunahme der zahl dysfunktionaler familien extrem beschleunigt hat. als "lösung" dafür landet er - wie es bei solchen mitgliedern der "führungseliten" üblich ist - bei der kaum mehr verhüllten drohung von mehr kontrolle und repression seitens des staates. das sich die "oppositionellen konservativen" gegen letzteres aussprechen, hat übrigens nichts mit humanitären erwägungen zu tun - falls das ganze irgendwann ein profitorientierter arbeitsbereich privater unternehmen werden sollte, werden diese herren und damen keinerlei einwände mehr haben.

der einwand des "sozialen determinismus" hingegen scheint mir wieder mal auf dem konstrukt des "autonomen bürgers mit freiem willen" zu wurzeln. die pränatale forschung kann heute genügend belege dafür liefern, dass es bereits im mutterbauch zu gravierenden störungen / fehlentwicklungen kommen kann, die aber wiederum von den sozialen bedingungen - auch und gerade für schwangere frauen und ihr umfeld - maßgeblich mitbestimmt werden. und in diesem sinne lässt sich durchaus eine art determinierung behaupten, die allerdings vermutlich nicht dem entspricht, was hier kritisiert wird.

ich hoffe, dass sich sowohl forscherInnen als auch therapeutInnen aus dem pränatalen bereich bald mal in solche debatten einmischen.

*

ich hatte zu beginn zynismus angekündigt - nun, den habe ich mir für diese meldung hier aufgehoben, auf die ich vor einigen tagen an anderer stelle aufmerksam gemacht wurde (noch mal danke dafür):

"Deutschland leistet sich eine "Schule der Anti-Kapitalisten". Diese These vertritt Stefan Theil, Deutschlandkorrespondent der amerikanischen Zeitschrift Newsweek, in einem Beitrag für die Tageszeitung Die Welt. In der Schule werde nicht das Funktionieren des Marktes erklärt, sondern Werturteile über "böse Manager" und "ungerechte Löhne" gelehrt."(...)

ein schönes beispiel dafür, wie sich ein offensichtlicher propagandist des newspeak selbst demaskiert: durchaus realistische wahrnehmungen vom (destruktiven) handeln "böser" manager (unter denen es ja bekanntlich etliche borderline-persönlichkeiten und / oder auch psychopathen gibt, siehe oben) und von ungerechten löhnen (die im kapitalismus gar nicht anders als ungerecht sein können), werden dem objektivistischen konstrukt vom scheinbar "objektiven" "funktionieren des marktes" gegenübergestellt - vom prinzip her wird hier das gleiche verfahren angewendet, wie ich es hier hinsichtlich der medialen "folterdebatte" bereits beschrieben habe: die allgemeine wahrnehmung wird aufgespaltet und fragmentiert - in einen angeblich "objektiven" teil, der der "falschen" subjektiven wahrnehmung - die dazu implizit als ideologisch - "antikapitalistisch" - denunziert wird, übergestülpt werden soll. "freier markt" als auch folter (und auch kriege) sollen demnach als quasi "natürliche" bedingungen unseres lebens (fehl-)wahrgenommen werden - es gibt wohl kaum etwas perverseres als solche miesen versuche, herrschende antisoziale ideologien bereits in die köpfe und körper von kindern und jugendlichen einzupflanzen.

"Eine Studie der Initiative Juniorprojekt wollte wissen, wie Wirtschaft und Unternehmen in nordrhein-westfälischen Schulbüchern vorkommen. Unternehmer, so ein Ergebnis der Untersuchung, werden nicht mit dem Schaffen von Arbeitsplätzen, sondern mit Kinderarbeit, Müllbergen, Internet-Sucht und Alkoholismus assoziiert."(...)

na, das verspricht doch hoffnung - jedes fitzelchen realistischer wahrnehmung unserer lebensbedingungen steigert die wahrscheinlichkeit dafür, dass diese spezies irgendwann doch noch einmal tatsächlich menschliche lebensverhältnisse gestalten kann. ich würde die assoziationskette höchstens noch gerne erweitert sehen: und zwar z.b. um die punkte mafiöse strukturen / fließende grenzen zwischen "legalen" und "illegalen" wirtschaftszweigen; selektion nach ökonomischer verwertbarkeit; oder auch der beteiligung des sog. "freien marktes" an der produktion von menschenabfall . von solchen peanuts wie menschenversuchen an traumatisierten kindern und den tausenden toten flüchtlingen an den grenzen der wohlstandszonen gar nicht zu reden.

aber das ist natürlich in der deformierten wahrnehmung einiger zeitgenossen alles nur vorurteilsbehaftetes, subjektives zeug - und nicht so objektiv wie das folgende:

"Theil verweist auf die in Berlin und Brandenburg eingesetzten Sozialkundetexte aus dem Cornelsen-Verlag. Im Kapitel "Was tun gegen Arbeitslosigkeit" lernten Kinder nicht etwa, dass Arbeitsplätze von Unternehmen in der Wirtschaft geschaffen werden."

was ein skandal! (aber die kids lernen ja auch nicht mehr, dass die erbe eine scheibe sei...) was wird statt der einzig wahren objektiven realität an verhetzendem gedankengut den kindern eingeträufelt?

"Das Schulbuch beschreibe vielmehr Montagsdemonstrationen, staatliche Ausgaben sowie das Programm des Deutschen Gewerkschaftsbundes. "Andere Länder werden fit für die Globalisierung gemacht. Deutsche Kinder werden geschult in den gescheiterten Träumen längst vergangener Zeiten", so der Chef des Deutschlandbüros von Newsweek."

unakzeptable sozialdemokratische gescheiterte träume längst vergangener zeiten also - extrem reduzierte träume einer menschlicheren welt, die trotz ihrer reduktion bereits für die ideologen der verdinglichung unerträglich zu sein scheinen. das schreit geradezu nach objektivität:

"Viele Schulen blendeten systematisch aus, dass Deutschland neben China am meisten von der Globalisierung profitiere."(...)

jawoll, endlich wird es ausgesprochen - "deutschland" (als objektivistische halluzination) "profitiert" ebenso wie "china" - das lässt sich ganz leicht an der steigenden kinderarmut hier und den im weltweiten vergleich extrem hohen zahlen von hinrichtungen und zwangsarbeit in china sehen.

und ein anderer vertreter jener schicht von pseudointellektuellen prostituierten des kapitalismus gibt uns dieses zu bedenken:

"Statt jede zweite Woche eine neue bildungspolitische Sau durchs Dorf zu treiben, sollten sich die Bildungspolitiker und Pädagogen besser daran setzen, die Schulbücher darauf hin zu untersuchen, wie dort wirtschaftliche Zusammenhänge dargestellt werden", so Müller gegenüber pressetext. "Auch ein Fach Wirtschaft bringt nichts, wenn dort nur Einseitigkeiten und Vorurteile gelehrt werden. Sicherlich werden viele Lehrer auch eigenes, objektiveres Material im Unterricht einsetzen. Und niemand will den Lehrern das Recht auf eine eigene Meinung absprechen. Doch wenn man jungen Leuten nur mit Marktmisstrauen und ökonomischen Vorurteilen malträtiert, dann darf man sich nicht wundern, wenn diese jungen Menschen später kein Verständnis für Unternehmertum, Markt und Risiko entwickeln."(...)

sehen Sie?...es fehlt schlicht an objektiveren materialien, die den ganzen einseitigkeiten und vorurteilen eins überbraten können. und weiter lernen wir, dass eine eigene meinung zwar schön und gut ist - aber nur, wenn sie nicht das verständnis für unternehmertum, markt und risiko behindert. das nenne ich echtes demokratieverständnis!

das es auch - gottseidank! - anders gehen kann, wird am folgenden beispiel deutlich:

"Vorbildlich hingegen seien die Schulen in Bayern und Baden-Württemberg. Dafür gesorgt habe die Aktionsgemeinschaft Soziale Markwirtschaft (ASM) unter Leitung von Joachim Starbatty, Professor an der Universität Tübingen. Die ASM entwickelte das computergestützte Planspiel "MACRO". Es bietet eine neue Art zu lernen. Anstatt sich durch lästige Fachbücher durchzulesen, können die Schüler laut Starbatty "spielerisch die Bedeutung der Marktwirtschaft erfahren".(...)

ja, das ist auch didaktisch up to date und voll auf der höhe der flexibilisierten zeit - "spielerisch" ideologien zu vermitteln, dagegen war ein goebbels mitsamt dem propagandaministerium ja noch pures pr-mittelalter. das wird auch deutlich, wenn wir uns die stolzen ergebnisse dieses spiels anschauen:

(...)"Sogar in den Spielpausen diskutieren die Schüler, wie sie das Wachstum steigern oder den Schuldenstand abbauen können", so Starbatty: "Ganz selbstverständlich reden sie innerhalb kürzester Zeit von Bruttoinlandsprodukt, Investitionsquote und Geldmengensteuerung".(...)

nur böswillige feinde von freedomanddemocracy können sich hierbei an die beschreibungen alexithymer persönlichkeiten erinnert fühlen - oder gar die these aufstellen, dass hier beziehungslose und in den elementarsten menschlich-sozialen fähigkeiten geschädigte zombies herangezüchtet werden, die allerdings im gegensatz zu den massen der elendszombies perfekt gestylt herumrennen und mehr oder weniger eloquent alle welt von der unvermeidbarkeit des zombielebens für alle und jeden zu überzeugen wissen - so wie die herren namens stefan theil und michael müller.

*

ich schließe mit einem wort - und einem kleinen quiz - zum wochenende, welches irgendwie auch einiges mit den obigen themen zu tun hat - und gleichzeitig ein eindrucksvolles beispiel für den vorgang darstellt, der unter dem namen projektion aus der orthodoxen psychoanalyse in den mainstream eingegangen ist:

"Es war C. S. Lewis, der in seinem unvergeßlichen Screwtape Letters schrieb: `Das schlimmste Übel geschieht heute nicht in jenen verworfenen Höhlen des Lasters, die Dickens so gerne schilderte ... das Böse wird ersonnen und befohlen (beantragt, betrieben, ausgeführt und archiviert) in und von übersichtlichen, mit Teppichen ausgelegten, geheizten und gut beleuchteten Büroräumen aus, in denen ruhige Männer sitzen, mit weißem Kragen, geschnittenen Fingernägeln und glattrasierten Wangen, die es nicht nötig haben, laute Töne anzuschlagen´.

Und da diese `ruhigen Männer´ es nicht nötig haben, `laute Töne´ anzuschlagen, da sie zuweilen sogar in sanften Tönen reden - von Bruderschaft und Frieden reden - vergessen wir manchmal die geschichtlichen Tatsachen und die aggressiven Triebe eines Evil Empire..."


na, welche historische persönlichkeit sagte diese wahrhaft ehrlichen und zutreffenden worte im märz 1983? worte, mit denen allerdings nur die anderen gemeint waren? ich bin mir sicher, Sie kommen drauf.

Dienstag, 29. August 2006

notiz: "Hikikomori"

keine ahnung, ob sich der begriff hier irgendwann durchsetzen wird - in japan jedenfalls hat er schon seit längerer zeit eine gewisse psychiatrisch-soziologische bedeutung:

(...)"Das japanische Gesundheitsministerium definiert als Hikikomori eine Person, die sich weigert, das Haus ihrer Eltern zu verlassen und sich für mindestens sechs Monate aus der Familie und der Gesellschaft zurückzieht. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen Hikikomori für Jahre oder sogar Jahrzehnte in dieser selbst gewählten Isolation bleiben. Nach Schätzungen des Psychologen Saito Tamaki, der auch den Begriff prägte, dürfte es in Japan (ca. 127 Million Einwohner) mehr als 1 Million Hikikomori geben. Das Gesundheitsministerium gibt in einer vorsichtigeren Schätzung nur 50.000 Hikikomori an, ein Drittel davon älter als 30 Jahre.

Obwohl akuter gesellschaftlicher Rückzug in Japan Jungen und Mädchen gleichermaßen zu betreffen scheint, sind es aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Erwartungen der japanischen Gesellschaft an Jungen und Mädchen vor allem Jungen, die mit ihrem Verhalten Besorgnis oder Aufmerksamkeit erregen. In Familien mit mehreren Kindern ist es am häufigsten der älteste Sohn."(...)


im weiteren verlauf des artikels wird verschiedenen und imo auch vermutlich zutreffenden hypothesen über die gründe dieses als den sozialen phobien zurechenbaren verhaltens raum gegeben:

(...)"Der durchschnittliche Hikikomori beginnt als Schulschwänzer (tōkōkyohi). Junge japanische Erwachsene fühlen sich von den hohen Erwartungen, die die Gesellschaft an sie hat, häufig überfordert. Versagensangst und das Fehlen eines ausgeprägten Honne und Tatemae (grob übersetzt die Fähigkeit, zwischen „öffentlichem Gesicht“ und „wahrem Ich“ zu unterscheiden und mit den täglichen Paradoxien des Erwachsenenlebens umzugehen) drängen sie in die Isolation. Die Gemeinsamkeit der Hikikomori, am Übergang von Jugend und Kindheit in die Welt der Erwachsenen zu scheitern, wird von vielen Psychologen mit dem Fehlen von Transformations- und Initiationsritualen im modernen, kapitalistischen Japan begründet."(...)

das "öffentliche gesicht" ließe sich hier auch mit simulierter maske vs. authentischem selbst übersetzen - und aus dieser sicht wäre die reaktion, zum hikikomori zu werden, eine irgendwie auch nachvollziehbare - wer will schon wirklich an all den blödsinnigen und v.a. destruktiven machtspielchen teilnehmen, mit denen sich große teile dieser angeblich intelligenten spezies die zeit vertreiben? (okay: die, die vielleicht gar nicht anders können, lasse ich hier mal außen vor).

warum ich überhaupt auf dieses thema komme? darum. auch das ist globalisierung.

notiz: noch eine fortsetzungsgeschichte...

...die bereits jetzt eine absolute bankrotterklärung - eine von inzwischen unzähligen - der bestenallerwelten (TM) darstellt, wird wie üblich im medialen mainstream unter ferner liefen abgehandelt - mit einer ausnahme, nämlich der taz (über die allgemein zwar einiges kritische zu sagen wäre, aber in diesem fall ist einfach auch mal beifall angebracht). so geht die berichterstattung über eine absolut trostlose geschichte in die nächste runde:

"Der Traum von Europa endete in den letzten Tagen für mindestens 22 afrikanische Flüchtlinge mit dem Tod. Ihre Leichen wurden am Sonntag an der Küste des westafrikanischen Landes Mauretanien angespült. Die dortigen Behörden befürchten, dass die Zahl der Toten noch erheblich steigen könnte. Denn laut Ermittlungen sind mindestens zwei Fischerboote verschollen. Die Cayucos, wie die Holzschiffe in Spanien genannt werden, bieten für 90 bis 170 Menschen Platz. Die Insassen zweier weiterer Cayucos entgingen nur knapp dem Tod. Die mauretanische Polizei barg ein Boot mit 92 Menschen an Bord aus schwerer Seenot. Die Insassen schöpften seit zwei Tagen verzweifelt Wasser aus dem leckgeschlagenen Gefährt. Im zweiten Boot war der Motor ausgefallen, 87 Flüchtlinge konnten gerettet werden. Nach Angaben der mauretanischen Behörden waren alle schwer erschöpft.

Doch dies sind nur die letzten einer ganzen Serie von Tragödien. So wurden alleine seit Jahresbeginn auf den Kanarischen Inseln, das Ziel der meisten Flüchtlinge, 490 Tote geborgen. Das gab am Wochenende die kanarische Regionalregierung bekannt. Der Rote Halbmond und das Rote Kreuz schätzen die Zahl der Verschollenen auf der langen Überfahrt von Afrika auf die Urlaubsinseln im Atlantik gar auf 2.000 bis 3.000. Diese Zahl ist so hoch wie nie. Dem gegenüber stehen 19.000 Schwarzafrikaner, die mit ihren Booten das spanische Archipel seit Januar erreicht haben. Das ist sind doppelt so viele Flüchtlinge wie im gesamten Rekordjahr 2002."(...)


und wir alle machen uns durch ignoranz, stillschweigende duldung und letztlich auch die passive akzeptanz unserer sog. führungseliten (incl. so ziemlich aller politikerInnen) mitverantwortlich. die aufgabe wird sein - und zwar nicht nur bei diesem thema - , sich einerseits von dem elend berühren zu lassen, um andererseits dadurch nicht in apathie zu verfallen, sondern handlungsfähigkeit zu entwickeln. und es ist auch keinesfalls nur mit der konzentration auf diese ereignisse an den eu-außengrenzen getan - der fisch stinkt bekanntlich vom kopf her.

(...)"Rein polizeiliche Maßnahmen werden nur bewirken, dass die Flüchtlinge noch weiter im Süden ablegen", sagt Luc André Diouf. Der Senegalese ist der Verantwortliche für Immigration in der Gewerkschaft CCOO auf den Kanaren und berät die Regionalregierung in Ausländerfragen. Er befürchtet, dass es dann zu noch mehr Toten kommen könnte. Seine Lösung: "Europa muss Afrika mit Investitionen helfen, um den Menschen eine Perspektive in ihrer Heimat zu geben." Vor allem in der Landwirtschaft und im Fischfang müssten Arbeitsplätze geschaffen werden. "Die Union muss Verträge mit allen betroffenen afrikanischen Länder schließen, und nicht ein Land nach dem anderen anbinden, je nachdem wo die Flüchtlinge losfahren."

die aktuellen europäischen "investitionen" in afrika machen jedoch mehr als deutlich, woher der wind weht - es sind die stinknormalen kapitalistischen interessen, die wie üblich dominieren:

(...)"Abgesichert werden soll dadurch in erster Linie die Ausplünderung des Landes durch internationale Konzerne wie Bayer und Siemens. So konstatierte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Andreas Schockenhoff, denn auch erst vor wenigen Tagen, der Kongo verfüge "vor allem über strategische Rohstoffe (...), die für Europa wichtig sind". Das Auswärtige Amt preist in einem Strategiepapier wichtige Rohstoffe des Gebietes an wie "Erdöl, Kobalt, Coltan". 80 Prozent der weltweiten Coltan-Reserven, das vor allem für die Handy-Produktion benötigt wird, lagern im Kongo. Das deutsche Unternehmen H.C. Starck, eine Tochtergesellschaft von Bayer, war jahrelang einer der Hauptabnehmer kongolesischen Coltans.

Bereits seit 1994 nahmen staatliche Stellen der Bundesrepublik Teilhaberfunktionen unter anderem an der Mine Lueshe im Osten des Kongo wahr, in der Rohstoffe für die Herstellung von Düsenmotoren und Raketenteilen gefördert werden. In einem weiteren Positionspapier des Auswärtigen Amtes heißt es, die Demokratische Republik Kongo werde in Zukunft "aufgrund ihrer Größe, des Rohstoffreichtums und der zentralen Lage an politischem und wirtschaftlichem Gewicht erheblich gewinnen". Gemessen daran stagniert aufgrund der instabilen politischen Verhältnisse jedoch die Förderung und der Export dieser Rohstoffe. Das ist auch gemeint, wenn Verteidigungsminister Franz Josef Jung am 17.3. gegenüber der "Bild"-Zeitung von der Förderung der "Stabilität in der rohstoffreichen Region" sprach, die "auch der deutschen Wirtschaft nutzt".(...)


egal ob aus rohstoffreichen oder -armen afrikanischen regionen, für die objektivistische logik, die hinter dem oben dargestellten steht, sind flüchtlinge - wenn sie es denn bis an die eu-grenzen schaffen - primär objekte polizeilichen handelns. störende objekte, die bitteschön im stillen krepieren sollen. es ist im übrigen die gleiche logik, die sich auch zunehmend im umgang mit den sog. sozial schwachen hier direkt vor der haustür beobachten lässt.

und eine aktivistin aus der italienischen flüchtlingsarbeit macht auf weitere aspekte der fluchtbewegung aufmerksam, die bisher im schatten geblieben sind:

(...)"Ich gehöre nicht zu denen, die propagieren, dass wir den Menschen die Gelegenheit lassen sollten, wie bisher übers Mittelmeer nach Europa zu kommen. Diese Reisen der Verzweiflung müssen einfach verhindert werden. Europa muss aber nicht über Abschottung, sondern über sichere Alternativen der Einreise nachdenken. Und Europa muss unmittelbar eine Lösung für die vielen auseinandergerissenen Flüchtlingsfamilien finden. Immer wieder habe ich von Fällen gehört, in denen der Mann auf Malta, die Frau mit den Kindern aber in Italien gelandet ist. Auf legalem Wege können diese Familien heute kaum zusammenkommen. Das führt dann zu neuen lebensgefährlichen Reisen, über die nie gesprochen wird - von Malta nach Italien. Als ich auf Malta war, waren dort drei Boote in See gestochen. Nur eines davon erreichte Italien."

call this "freedom and democracy" - aber nur für gefüllte brieftaschen.

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