Samstag, 9. Juni 2007

kontext 35: auf den punkt gebracht

"Ich fühle mich in dieser Gesellschaft in wirtschaftlicher und staatlicher Sicht zunehmend von einem menschlichen Wesen zu einem Objekt denunziert. Das ist falsch, das ist unmenschlich, pervers und schafft Zukunftsängste, zumindest gehts mir so."

ab dem 1. juli 2007 werden wir alle mit einer lebenslangen personenkennziffer markiert - zumindest wird es die herrschende "elite" versuchen. und dieser versuch wird einmal mehr die verschiedenen varianten des in diesen kreisen aller wahrscheinlichkeit nach vorherrschenden wahrnehmungsmodus deutlich machen, der notwendigerweise mit einer in vielen fällen recht offenen paranoiden basis und umfassenden kontrollambitionen einhergeht. bisher fehlt es leider noch an einer herrschafts- und auch selbstkritischen psychiatrie/neurologie, um die in diesem bereich erkennbaren zusammenhänge auf breiter basis zum thema zu machen, zu untersuchen und hinweise auf nötige gesellschaftliche konsequenzen zu geben. objektivistische wahrnehmungsmodi sind eine der tödlichsten gefahren für unsere spezies überhaupt - von john brunner 1975 im "schockwellenreiter" ebenfalls auf den fatalen punkt gebracht:

"Es sind diese entsetzlich tüchtigen Leute, die mit ihren präzise funktionierenden Fischgehirnen Menschen auf Stückgut, auf Menschenmaterial, auf Zahlenkombinationen reduzieren, um sie in den Griff zu bekommen, um sie als numerische Größen in ihren Kalkülen handhaben zu können. Es ist dann nur noch ein winziger Schritt, um Menschen tatsächlich zu verschicken, zu verbrauchen, zu vernichten, zu löschen."

(...)"Wir hatten sogenannte Begleitnummern erhalten. Die Polizisten haben uns mit diesen Nummern angesprochen."(...)

(diese art des umgangs der staatsgewalt mit den ihr ausgelieferten besitzt - nicht nur, aber besonders - in d-land eine gewisse tradition - und das im verlinkten interview beschriebene verhalten seitens verschiedener polizeibeamter ist deshalb umso ekelhafter.)

Dienstag, 5. Juni 2007

assoziation: history repeating ?!?

1967:

"sueddeutsche.de: Können Sie auch ein Beispiel nennen für die Eskalation am späteren Abend des 2. Juni?

Soukup: Kurz vor dem abendlichen Einsatz wurde den Polizisten per Lautsprecherdurchsage mitgeteilt, dass ein Polizist getötet worden war durch einen Demonstranten. Das stimmte nicht, aber hat die Beamten irrsinnig aufgebracht. Selbst wenn die Meldung wahr gewesen wäre, hätte es diese Durchsage nicht geben dürfen – wenn man denn keine Eskalation will."

(quelle)


2007:

"+++ “Clown’s Army” sprüht Gift gegen Polizisten +++"

(die hintergründe dieser überschrift heute am späten vormittag im ticker des derzeitig völlig am staatstragenden rad drehenden "spiegel online" sowie die tatsächliche realität ausführlich beim spiegelfechter)


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statt vieler worte diesmal nur das folgende - die schreibtischtäter in den redaktionen wird das nicht groß interessieren, aber dafür vielleicht all diejenigen - auch gerade jüngeren - die der illusion einer friedlichen und rechtsstaatlichen bundesrepublikanischen gesellschaft anhingen - zumindest bisher.

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philipp müller, im alter von 21 jahren 1952 von der polizei in essen erschossen:

(...)"Eine Konferenz von Vertretern verschiedener Jugendorganisationen am 2. März 1952 in Darmstadt unter Leitung des dortigen Pfarrers Herbert Mochalski, eines engen Vertrauten des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller, rief zu einer »Jugendkarawane gegen Wiederaufrüstung und Generalvertrag« am 11. Mai 1952 in Essen auf. Der Aufruf fand bemerkenswert starken Widerhall. Trotz kurzfristigen Verbots der Demonstration am 9. Mai durch den Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Karl Arnold (CDU), der zugleich Ministerpräsident war, nahmen etwa 30.000 Personen teil.

Beim Polizeieinsatz zeichnete sich durch besondere Brutalität der "Einsatzgruppe Wolter" und der "Einsatzgruppe Knobloch" aus. Polizeikommissar Knobloch erteilte den Schießbefehl auf die Demonstranten. Zwei Kugeln eines Polizisten trafen Philipp Müller in den Rücken, eine Kugel traf sein Herz tödlich. Durch Polizeikugeln schwer verletzt wurden außerdem zwei weitere Teilnehmer der Friedenskarawane, der Sozialdemokrat Bernhard Schwarze aus Kassel und ein parteiloser Gewerkschafter aus Münster. Alle wurden von hinten getroffen."(...)


die staatliche version und die juristische reaktion:

(...)"Der eigentliche Grund [für das verbot, mo] war jedoch, dass die seit dem 26. Juni 1951 verbotene FDJ der Veranstalter war. Arnold Haumann, der die Genehmigung bei der Essener Stadtverwaltung beantragt hatte, galt nur als Strohmann. Trotz des Verbotes versammelten sich die Demonstranten gegen Mittag vor dem Eingang der Gruga. Als die Polizei die Versammlung auflösen wollte, kam es zu schweren Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Demonstranten und Polizisten verletzt und der 21jährige Philipp Müller von einer Kugel tödlich getroffen wurde.(...)

Während KPD die Polizei als "Mörder" anprangerte, wies die Polizei darauf hin, dass die Demonstranten nicht nur Steine geworfen, sondern auch von Schusswaffen Gebrauch gemacht hätten. Das Dortmunder Landgericht bestätigte schließlich mit seinem Urteil gegen elf Demonstranten am 20. Oktober 1952, dass die Polizeibeamten in Notwehr gehandelt hätten."


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benno ohnesorg, im alter von 27 jahren 1967 vom polizisten karl-heinz kurras in berlin erschossen:

(...)"Greiftrupps verfolgten diejenigen, die aus dem Kessel entkamen, bis in Nebenstraßen und Häusereingänge hinein, um „Rädelsführer“ festzunehmen. Dies nannte die Polizei „Füchse jagen“. Zu einem solchen Trupp in Zivilkleidung gehörte Karl-Heinz Kurras von der Abteilung I der Politischen Polizei. Er galt als bester Schütze seiner Einheit und war an diesem Abend unter die Demonstranten gemischt gewesen.

Ohnesorg beobachtete, wie mehrere Zivilbeamte einen Mann - Hartmut R. - in einen Häuserinnenhof in der Krummen Straße Nr. 66/67 (300 Meter von der Oper entfernt, heute Schillerstraße 29) zerrten. Er trennte sich an der Kreuzung Krumme Straße/Schillerstraße von seiner Frau und folgte mit weiteren Demonstranten dem Mann, um zu sehen, was ihm geschah, und gegebenenfalls zu helfen.

Dabei wurden etwa zehn Personen im Hinterhof von mindestens zehn zivilen und uniformierten Polizisten gestellt. Diese begannen auf sie einzuschlagen. Der Student Götz F. wurde am Boden liegend von drei Beamten verprügelt und getreten. Ein Demonstrant warf einen Taschenschirm auf einen Polizeibeamten, um ihn abzulenken. Dieser nahm den Schirm auf und schlug damit weiter. Die übrigen Studenten versuchten den Innenhof wieder zu verlassen.

Ohnesorg stand wenige Meter entfernt an einer Teppichstange und beobachtete die Szene. Nach anderen Augenzeugen gehörte er selbst zu denen, die der Greiftrupp zuvor aus der Menge herausgegriffen und in den Hof gebracht hatte. Nach Aussage des Demonstranten Reinhard B., der die Szene auf einer Mülltonne stehend beobachtete, trieb die Polizei dann alle Umstehenden hinaus; nur Ohnesorg habe sich noch im Hof befunden und zwischen geparkten PKW zu fliehen versucht, worauf Polizisten ihm den Weg abgeschnitten hätten. Erika S. sah, dass drei Polizisten um Ohnesorg herumstanden und ihn verprügelten, worauf er seine Hände halb erhoben habe. Sie habe dies als Zeichen der Ergebung und Beschwichtigung gedeutet. Der beteiligte Polizeibeamte Horst Geier sagte zunächst aus, Ohnesorg sei von drei Beamten im Griff gehalten worden. Nach weiteren Aussagen habe er sich mit letzter Kraft loszureißen versucht:[13]

...doch in der Nähe stehende Demonstranten hörten noch den entsetzten Ausruf: 'Bitte, bitte, nicht schießen!'

Andere hörten nur den Ruf „nicht schießen“.

In diesem Moment, etwa 20:30 Uhr, fiel ein Schuss, der Ohnesorg aus etwa eineinhalb Metern Entfernung in den Hinterkopf traf. Der Musikstudent Frank Krüger sagte später aus:[14]

Und dann habe ich das Mündungsfeuer der Pistole gesehen. Das Mündungsfeuer war ungefähr in Kopfhöhe. Im nächsten Moment lag der Student am Boden und rührte sich nicht.

Andere Zeugen bestätigten, sie hätten Mündungsfeuer in etwa 140-150 cm Höhe über dem Boden gesehen und Ohnesorg fallen gesehen. Einige hörten einen Wortwechsel zwischen dem Polizeibeamten Horst Geiger und Kurras:

Bist du denn wahnsinnig, hier zu schießen? - Die ist mir losgegangen.

Ein Tonband, aufgenommen von dem Toningenieur Rainer Bosch vom Süddeutschen Rundfunk, dokumentiert ein Schussgeräusch und gleich darauf einsetzende „Mörder, Mörder!“-Rufe in der Krummen Straße. Zudem ist darauf der Befehl einer männlichen Stimme hörbar:

Kurras, gleich nach hinten! Los, schnell weg!

Mehrere Journalisten - Uwe Dannenbaum, Bernard Larsson, Jürgen Hentschel - fotografierten die Vorgänge im Hof unmittelbar vor und nach dem Schuss. Die Polizisten - darunter der herbeigeeilte Einsatzleiter - versuchten, sie abzudrängen, und brachten Kurras ins Polizeipräsidium."(...)


mediale, staatliche und juristische reaktionen finden sich gesammelt im verlinkten wiki-artikel:

(...)"Auch die Berliner Bildzeitung berichtete am Folgetag, es habe einen Toten gegeben. Abgebildet wurde daneben ein blutender Polizist. Von einem Messerangriff war nichts zu lesen, ebenso wenig von einem Todesschuss. Der Kommentar lautete:

Hier hören der Spaß und der Kompromiss und die demokratische Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden.

Am nächsten Tag hieß es:

Die Polizei trägt keine Schuld an den Zusammenstößen, die eindeutig von unseren Krawallradikalen provoziert wurden. Die Polizei tat ihre schwere Pflicht. Benno Ohnesorg ist nicht der Märtyrer der FU-Chinesen, sondern ihr Opfer...Helft der Polizei, die Störer zu finden und auszuschalten."(...)

(wie es sich gleicht! mo)

(...)"Nach dem Polizeibericht, der sich ausschließlich auf Aussagen der anwesenden Polizisten stützte, soll Kurras in Notwehr geschossen haben. Dieser gab in den Folgetagen drei verschiedene Versionen des Tathergangs an, die nur im ersten Punkt übereinstimmten: Er habe sich von den Demonstranten bedroht gefühlt, daraufhin seine Waffe gezogen und entsichert.

* Dann habe er einen oder zwei Warnschüsse abgegeben, von denen einer als Querschläger Ohnesorg getroffen habe.
* Im Handgemenge sei seine Waffe versehentlich losgegangen.
* Zwei Männer mit „blitzenden Messern“ hätten ihn, als er am Boden lag, angegriffen, und er habe sich durch Gebrauch der Schusswaffe schützen wollen. Diese Version vertrat er vor den Behörden unwidersprochen monatelang in der Presse und später auch in seinem Prozess."(...)

(...)"Der Todesschütze Karl-Heinz Kurras blieb zunächst im Dienst. Gegen ihn wurde ein Verfahren wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung eingeleitet. Vor Gericht sagte er aus, er sei in dem Hinterhof von „zwei jungen Männern mit blitzenden Messer“ bedroht worden. Darauf habe er aus seiner Dienstpistole einen Warnschuss abgegeben. Dann sei er „brutal niedergeschlagen“ worden. Dabei habe sich „durch das Zerren und Ziehen der verhängnisvolle zweite Schuss gelöst“, der Ohnesorg traf.

Keiner von 83 Zeugen - auch keienr der beteiligten Kollegen von Kurras - hörte einen Warnschuss, sah Messer, ein Handgemenge und Kurras am Boden liegen. Keiner der Festgenommenen hatte Messer oder andere Waffen bei sich. Das tödliche Geschoss war ebenso wie ein zweites Projektil unauffindbar. Auch das Schädelstück, das die Kugel durchschlagen hatte, blieb verschwunden. Eine Spurensicherung am Tatort hatte nicht stattgefunden; das Pistolenmagazin von Kurras war sofort ausgetauscht worden. Zudem stellte der Richter fest, Ohnesorg habe selbst am Boden gelegen und sei wahrscheinlich sogar noch nach dem Todesschuss verprügelt worden.

Doch die 14. Große Strafkammer des Landgerichts Moabit sprach Kurras am 21. November 1967 frei. In der Urteilsbegründung hieß es, das Gericht habe „keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Tötung oder eine beabsichtigte Körperverletzung durch einen gezielten Schuß“ gefunden. Es sei „nicht widerlegbar, dass er sich in einer lebensbedrohlichen Lage glaubte“. Die Reaktion auf eine subjektiv angenommene Bedrohung nannte das Gericht „putative Notwehr“ und schuf damit einen bis dahin unbekannten Rechtsbegriff."(...)


*

olaf ritzmann, im alter von 16 jahren 1980 in hamburg im rahmen eines polizeieinsatzes nach einer demonstration gegen franz-josef strauß vor die s-bahn getrieben:

(...)"Sehr geehrte ‚Spiegel‘-Redaktion! Beiliegend schicke ich Ihnen einen ‚Offenen Brief an den Innensenator‘, den ich schrieb, nachdem mich die Nachricht vom Tode Olaf Ritzmanns, des mittelbaren Opfers des Polizeieinsatzes vom 25.8.1980 auf dem S-Bahnhof Sternschanze, erreichte und erschütterte.

Nach meiner Überzeugung kann der Polizeieinsatz gegen die auf dem Heimweg befindlichen Strauß-Gegner einzig den Zweck eines ‚Rachefeldzuges‘ verfolgt haben, denn die Angegriffenen – ihre Kundgebung war längst beendet – standen friedlich wartend auf dem Bahnsteig (es wurde auch während des Einsatzes niemand verhaftet). Die tatsächlich geworfenen Steine dienten lediglich als Abwehr der Polizisten, die, indem sie mit Gummiknüppeln auf ihre Schilde schlugen, einen furchterregenden Lärm machten, wobei sie keilförmig gegen die Menschen vorrückten. Dieser Lärm und die Tränengasgranaten, die in die Menge geworfen wurden, waren der Grund für die Panik, die Olaf Ritzmann und viele andere – vom Gas fast blind – auf die Gleise trieb; auf dieser ziellosen Flucht ereignete sich dann in einiger Entfernung vom Bahnsteig der schwere, tödliche Unfall.

Da ich der Meinung bin, daß die Polizei ein solches Verhalten vorhersehen mußte, sie aber trotzdem so brutal vorging, ja sogar den anderen Ausgang des überfüllten Bahnhofes abriegelte, muß ich der Polizei bzw. der Einsatzleitung die Schuld für Olaf Ritzmanns Tod geben.
Deshalb schrieb ich den ‚Offenen Brief‘ mit der Bitte um lückenlose Aufklärung und Bestrafung der schuldigen Beamten. Da der ‚Spiegel‘ für seine faire, objektive Berichterstattung, aber auch für seine kritische Haltung der Staatsmacht gegenüber bekannt ist, bitte ich Sie um den Abdruck des ‚Offenen Briefes‘. Es muß auch einmal die andere Seite gehört werden."
(Leserbrief an den "Spiegel")


mediale, staatliche/justizielle version und reaktionen:

""Die Polizei, die bisher immer nur von einem Einsatz im Sternschanzen-Bahnhof sprach, der um 21.40 begann, bestätigte dem Abendblatt gestern nun doch einen zweiten Einsatz am gleichen Ort."
(Hamburger Abendblatt, 5.9.1980)


"Vier Tage wurde Olaf Ritzmann noch künstlich am Leben gehalten. Erst am Freitag vorletzter Woche durfte der 16jährige Tischlerlehrling sterben. Gehirntot aber war er schon am Montag davor, als er von einem Zug der Hamburger S-Bahn erfaßt und auf die Gleise geschleudert wurde. Auf einen Wink der Polizei hatten die Ärzte das kurze Leben des jungen Mannes noch um ein paar Tage verlängert. Man wollte vermeiden, daß es im Anschluß an die blutigen Auseinandersetzungen nach einer Anti-Strauß-Demonstration auch noch zum Märtyrer-Mythos komme."
(Die Zeit, 12.9.1980)


"Die Anwendung von Tränengasgranaten wird ausdrücklich für den gesamten Demonstrationseinsatz bestritten. [...] Nach Darstellung der Polizei hatte Olaf R. zusammen mit anderen Jugendlichen den Bahnsteig verlassen und war auf den Gleisen bis zu einer Eisenbahnbrücke gegangen. Von dort seien Polizeibeamte, die sich unterhalb der Brücke im Einsatz befanden, mit Steinen beworfen worden. Als die Polizei nicht auf die Brücke gekommen sei, hätten sich die Jugendlichen auf den Rückweg zum Bahnsteig gemacht. Dabei sei Olaf R. von dem Zug, der nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte, angefahren worden. Erst danach sei ein Gruppe Bahnpolizei und später Schutzpolizei auf den Bahnsteig gekommen."
(taz, 1.9.1980)

"Der Hamburger Staatsanwalt Klein hat am 11. April 1983 das Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Tod von Olaf Ritzmann abgeschlossen. Der Tod des 16jährigen Tischlerlehrlings, der bei der Anti-Strauß-Demonstration am 25. August 1980 am S-Bahnof Sternschanze von einer Bahn überfahren wurde, bleibt danach ungesühnt. Klein kam nach fast dreijähriger Ermittlung zu dem Ergebnis, daß ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz im Bahnhofsgebäude und dem Tod des Jungen nicht besteht. ‚Die gegen Polizeibeamte in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfe sind unbegründet, zumindest aber nicht nachweisbar‘, schlußfolgerte der Staatsanwalt."
(taz, 2.5.1983)


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klaus-jürgen rattay, im alter von 18 jahren 1981 während eines polizeieinsatzes nach der räumung mehrere besetzter häuser in berlin von einem bus überrollt:

(...)" Der neue CDU-Senat unter Richard von Weizsäcker, mit Heinrich Lummer als Innensenator, beschließt, ein Exempel zu statuieren und acht Häuser räumen zu lassen. Den Besetzern wird ein Ultimatum gestellt, so dass alle Interessierten wissen, wann die Barrikaden brennen werden. Beide Seiten bereiten sich vor. Am Morgen des 22. September rückt die Polizei gleichzeitig in acht Häuser vor. Als die ersten Häuser geräumt sind, will sich Senator Lummer selbst ein Lagebild verschaffen. Durch die Hintertür wird er ins Haus Bülowstraße 89 geschleust, während vor dem Haus Demonstranten stehen, die von der Polizei in Schach gehalten werden. Es dauert nicht lange, bis die Nachricht von Lummers Anwesenheit die Straße erreicht. Drinnen gibt der Senator eine improvisierte Pressekonferenz, draußen versammeln sich Sympathisanten aus anderen besetzten Häusern und rufen „Lummer raus aus unserm Haus“. Ganz vorne dabei ist auch Klaus-Jürgen Rattay.

Lummer zeigt sich kurz auf einem Balkon, was die Wut der Menge weiter ansteigen lässt. Die Polizei drängt die Demonstranten Richtung Potsdamer Straße ab. Dort geraten sie in den Verkehr. Rattay springt auf die Stoßstange eines Busses – die Polizei erklärt später, er habe die Windschutzscheibe einschlagen wollen, Augenzeugen sagen, er habe seine Arme ausgebreitet, um Stopp zu signalisieren. Der Busfahrer hält nicht. Rattay verliert den Halt, gerät unter den linken Vorderreifen. Er wird tödlich verletzt."(...)


staatliche/justizielle reaktionen 1:

"Berlin/Frankfurt (dpa, ap, ddp) - Nach den schweren Verwüstungen bei den Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei in Berlin zog die Berliner Polizei am Mittwoch eine erste Zwischenbilanz. Danach wurden über 100 Polizeibeamte verletzt, davon allein 50 bei den nächtlichen Krawallen im Anschluß an den Schweigemarsch, zu dem sich die Demonstranten nach dem Tod des 18jährigen Klaus-Jürgen Rattay formiert hatten. Rund 50 Personen seien bei Brandanschlägen und Plünderungen festgenommen worden. Insgesamt 143 Polizeifahrzeuge seien beschädigt worden. Über die Zahl der verwüsteten Scheiben und Geschäftsfassaden lagen keine genauen Angaben vor. Die Sachschäden dürften jedoch Millionenhöhe erreichen. Auch im Ausland, in Amsterdam, kam es im Zusammenhang mit den Berliner Vorfällen zu Ausschreitungen.

Bereits am Mittwochvormittag versammelten sich, wie schon am Abend zuvor, an der Unfallstelle in der Berliner Potsdamer Straße, wo am Vortage der an den Demonstrationen beteiligte Klaus-Jürgen Rattay von einem Bus überfahren worden war, wieder eine große Menschenmenge.

Über den Unfallhergang gibt es nach wie vor unterschiedliche Darstellungen. Polizeipräsident Hübner erklärte, es mehrten sich die Zeugenaussagen, die die von der Polizei gegebene Darstellung bestätigten. Danach sei Rattay nicht mit einer Gruppe von Demonstranten von Einsatzkräften der Polizei in die Potsdamer Straße getrieben worden, auf der reger Autoverkehr herrschte. Der junge Mann sei vielmehr auf die Stoßstange des Busses gesprungen und von dort abgerutscht. Die Vertreter von CDU, SPD und FDP hätten das Vorgehen der Polizei ausdrücklich anerkannt. Lediglich der Vertreter der Alternativen Liste (AL) habe sich der Zustimmung nicht angeschlossen.

Auf einer Pressekonferenz im Schöneberger Rathaus präsentierte die AL acht Augenzeugen, die die Version erhärteten, daß Rattay nicht den Linienbus mit Steinen angegriffen habe. Rattay habe sich vielmehr mit einer Gruppe von Demonstranten auf der Flucht vor der anrückenden Polizei befunden. Dabei sei er über eine Kreuzung gerannt, habe den Bus aber zu spät bemerkt und versucht ihn anzuhalten, indem er sich mit erhobenen Händen vor das Fahrzeug gestellt habe. Zu diesem Zeitpunkt seien noch keine Steine gegen den Bus geworfen worden. Erst als Rattay von dem weiterfahrenden Bus erfaßt und 60 Meter mitgeschleift wurde, hätten einige Demonstranten versucht, durch Steinwürfe den Busfahrer auf das Geschehen aufmerksam zu machen.

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Herrman, erklärte zu den Vorgängen, die Linie des Senats sei "angemessen und sachgerecht". Die Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund erklärte, es sei "endlich an der Zeit gewesen, der Eskalation der Gewalt Einhalt zu gebieten."(...)


reaktionen 2:

(...)"Er wisse bis heute nicht, warum und weshalb es zu dem Tod des 18-Jährigen gekommen sei, sagt der Potsdamer Oberstaatsanwalt Wolf-Rüdiger Ludwig. Der inzwischen 65-Jährige hat damals die Ermittlungen geleitet. "Das ist meine Vergangenheit", sagt Ludwig auf die Frage, was ihm zu dem Namen Rattay einfällt. Kripo und Staatsanwaltschaft hätten sich wirklich um Aufklärung der Todesumstände bemüht. "Es nicht geschafft zu haben, ist kein gutes Gefühl. Das können Sie mir glauben."

Das Problem ist: Es gibt zu viele Zeugen. Je mehr Menschen von der Polizei befragt werden, desto widersprüchlicher werden die Angaben. "Über 100 Zeugen - das ist ein unvorstellbares Ausmaß", sagt der 61-jährige Rechtsanwalt Wolfgang Meyer-Franck. Er hat die Familie des Toten rechtlich betreut. "Es ist wie immer im Leben: Jeder hat etwas anderes gesehen."

Aus den Zeugenaussagen kristallisieren sich zwei Versionen heraus. Der Gerichtsmediziner Schneider fasst sie in seinem Buch so zusammen: Demonstrationsteilnehmer sagen aus, Rattay sei zusammen mit anderen Demonstranten auf die viel befahrene Potsdamer Straße gedrängt worden. Der Fahrer des BVG-Busses sei "dann voll auf den auf der Kreuzung stehenden 18-Jährigen zugefahren".

Bei der anderen Version handelt es sich um die Polizeiversion, unter Berufung auf andere Zeugen: Demonstranten hätten den BVG-Bus mit Steinen beworfen. Dadurch sei die Frontscheibe und die Seitenscheibe der Fahrerkabine zerstört worden seien. In diesem Augenblick sei der mit einer Kapuze maskierte Rattay auf die Stoßstange des Busses geklettert und habe versucht, die Frontscheibe weiter zu demolieren. "Offensichtlich versuchte der Fahrer, aus dem Gefahrenbereich herauszukommen", zitiert Schneider den Polizeibericht wörtlich. Dabei sei Rattay von der Stoßstange abgerutscht und vor ein Vorderrad geraten. Der Bus habe ihn 80 Meter weit mitgeschleift. Passanten hätten den Fahrer dann auf das Geschehen aufmerksam gemacht.

Hauptbeschuldigte in dem folgenden Ermittlungsfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge sind der Busfahrer und ein Einsatzleiter der Polizei. Dabei handelt es sich um jenen Beamten, der es versäumt hat, die Kreuzung sperren zu lassen, bevor er den Befehl zur Straßenräumung erteilte. Zweimal stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die beiden Beschuldigten ein. Zweimal legt Rechtsanwalt Meyer-Franck Beschwerde ein. Mit einem neuerlichen Verkehrssachverständigengutachten bewirkt Meyer-Franck, dass das Kammergericht eine mündliche Verhandlung zum Klageerzwingungsverfahren durchführen muss. Am Ende wird der Antrag aber doch abgelehnt. Die Begründung der Richter: Gegen die Beschuldigten bestehe zwar ein erheblicher Verdacht, die Beweise reichten aber nicht aus. "Dabei hat der Verkehrssachverständige in seinem Gutachten festgestellt, dass der Bus bei dem Aufprall mindestens 20 Stundenkilometer schnell gefahren ist", erzählt Meyer-Franck. "Die Straße war voller Menschen. Er ist einfach in die Menge reingefahren. In so einem Fall ist ein Bus ein Mordgerät." Das hätte der Fahrer wissen müssen, egal ob ihm die Richtung der Demonstration gepasst habe oder nicht. "Es ist traurig, dass die Rechtssprechung das nicht erkannt hat."(...)


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günther sare, im alter von 36 jahren 1985 während einer demonstration gegen eine npd-veranstaltung in frankfurt von einem wasserwerfer überrollt (staatliche(justizielle reaktionen im folgenden enthalten):

(...)"Der 36jährige hatte am 25. September 1985 im Gallusviertel an einer Kundgebung und Blockade gegen eine Veranstaltung der NPD teilgenommen, die in dem überwiegend von Einwanderern bewohnten Stadtteil eine Versammlung durchführte.

Massive Polizeikräfte, zu denen auch Wasserwerfer gehörten, gingen in den Abendstunden dazu über, die Strassen von Gegendemonstranten zu räumen. Im Verlauf dieses Einsatzes geriet Günter Sare unter gezielten Wasserwerferbeschuss, versuchte zu fliehen, stürzte und wurde von einem zweiten Wasserwerfer überfahren.

Die Polizei verweigerte zuerst Demosanis und Ärzten die Hilfeleistung und vertrieb unter Schlagstockeinsatz weitere Hilfswillige. Ein Notarztwagen traf verspätet ein. Kurz darauf starb der Schwerverletzte.

Die Angehörigen Günter Sares, Mutter und Schwester, erhielten erst am folgenden Tag von einem Zivilbeamten mehr nebenbei offiziell Kenntnis vom Tod ihres Sohnes und Bruders. Unter Mühen gelang es ihnen, eine Zweitobduktion der Leiche durchzusetzen und dem Gutachter wurden wochenlang wichtige Untersuchungsergebnisse des hessischen Landeskriminalamtes vorenthalten.

Verschiedene Versionen über die Todesursache wurden umgehend in Umlauf gesetzt: So soll sich auf der Kreuzung, wo der Vorfall stattfand, eine Menschenansammlung befunden haben, die die Polizei attackierte. Dann hiess es, Günter Sare sei von einem Stein am Kopf getroffen worden, gestürzt und dann unter die Räder geraten. Als nächstes wurden Günter Sare ein Stein und später ein Rundholz angedichtet, das er auf den Wasserwerfer geschleudert haben soll. Die Meldungen dienten vor der Öffentlichkeit als Begründung, in den kommenden Tagen jegliche Protestversammlungen in der Frankfurter Innenstadt auseinanderzutreiben-, zeitweilig glich die Mainmetropole einer Polizeifestung.

Fast ein dreiviertel Jahr später legte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungsergebnisse vor: Danach war die Kreuzung im Gallusviertel hell erleuchtet und übersichtlich, und Günter Sare stand allein dort, als er unter gezielten Beschuss zweier Wasserwerfer geriet. Der Todeswasserwerfer stand nicht unter Bewurf und aus dem Inneren des Fahrzeugs boten sich beste Sichtverhältnisse.

Doch die beschuldigte Wasserwerferbesatzung will Günter Sare nicht gesehen haben, weder vor dem gezielten Wasserstrahl, noch, als der Getroffene zu entkommen versuchte. Alle fünf Besatzungsmitglieder hatten ihr Augenmerk angeblich gleichzeitig in eine andere Blickrichtung gelenkt.

Merkwürdig bleibt auch, dass die Tonaufzeichnungsanlage, die den Funkverkehr mit anderen Einsatzkräften aufnehmen soll, just in diesem Augenblick funktionsuntüchtig gewesen sein soll. Auch Videobilder der Dokumentationstrupps liegen nicht vor. Eine Erklärung steht ebenfalls aus für die Öffnung des Fahrtenschreibers unmittelbar vor und nach dem tödlichen Einsatz. "Dies legt den Verdacht der Beweismittelmanipulation nahe", schreibt Rechtsanwältin Waltraud Verleih, die die Angehörigen Günter Sares in einer Nebenklage vertritt, in einer Presseerklärung. "Nach diesem Ermittlungsergebnis hat das 26 Tonnen schwere Tatwerkzeug eine Geisterfahrt hinter sich gebracht", kommentiert die Anwältin.

Sie hat deshalb unter anderem Beschwerde dagegen eingelegt, dass die Ermittlungen gegen drei der fünf Besatzungsmitglieder des Todesfahrzeuges eingestellt wurden. Auch mit der Einstellung der Anzeige gegen die verantwortliche Frankfurter Polizeiführung will sich Waltraud Verleih nicht abfinden und kündigt an, die Verhandlung für eine umfassende Klärung des Tatgeschehens zu nutzen. Die Staatsanwaltschaft selbst hat lediglich gegen den WaWe- Kommandanten und den Fahrer Anklage erhoben: wegen "fahrlässiger Tötung". Für ein vorsätzliches Handeln gäbe es keine Anhaltspunkte, erklärt die Anklagebehörde, mehr noch, der Vorwurf habe sich als "ausgesprochen absurd" herausgestellt."(...)


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erna sielka, rentnerin (alter kann z.zt. von mir nicht festgestellt werden), 1986 während der auseinandersetzungen um die waa in wackersdorf während eines polizeieinsatzes durch einen herzinfarkt gestorben. zu dieser toten gibt es online anscheinend genauso wenig materialien wie zu

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alois sonnleitner, im alter von 38 jahren ebenfalls 1986 an einem durch einen polizeilichen cs-gas-einsatz in wackersdorf ausgelösten asthmaanfall gestorben. für ergänzungen zu diesen beiden toten wäre ich sehr dankbar.

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conny wessmann, im alter von 24 jahren 1989 während eines polizeieinsatzes gegen antifaschistische demonstrantInnen in göttingen auf einer vielbefahrenen straße von einem auto überrollt - ein langes interview als .pdf-file dazu.

justizielle reaktion:

(...)"Bei den offiziellen Untersuchungen wurde weder ein Verschulden von Polizeibeamten noch auf Seiten des Autofahrers festgestellt, der nicht mehr ausweichen konnte."(...)

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falls Ihnen bei den staatlich-justiziellen reaktionen irgendwelche wiederkehrenden muster oder gar parallelen zu aktuellen ereignissen aufgefallen sind, können die nur an zeitweiligen wahrnehmungstrübungen liegen. schließlich ist das hier ein demokratischer rechtsstaat. wer das anders sieht, steht bereits hart am rande der verfassungsfeindlichkeit. und das will doch wirklich niemand. oder?

Montag, 4. Juni 2007

notiz: fakes und lügen als bestandteil staatlicher und medialer propaganda

einige aktuelle beispiele: der fake von den "vermummten" bei der heutigen großdemonstration in rostock gegen die flüchtlings- und migrationspolitik der g8:

"Die heute auf Weisung der Polizei vorzeitig beendete Demonstration gegen die deutsche Migrationspolitik wurde mit der Begründung gestoppt, dass mindestens 2.000 der insgesamt etwa 8.000 Teilnehmer vermummt seien.(...)

Polizeieinsatzabschnittsführer Gerhardt Danzl erklärte kurz vor Beendigung des Protestzuges, er habe «keinen einzigen Vermummten in dieser Demonstration gesehen».

(quelle ist der ticker der "jungen welt")


dazu auch den bericht mehrerer begleitender rechtanwälte:

(...)"Im Verlauf behauptete die Pressestelle von Kavala, die Demonstration sei aufgehalten worden, da sich darin 2.500 vermummte, gewaltbereite TeilnehmerInnen befänden. Vor Ort bestätigte jedoch der Gesamteinsatzleiter, dass es zu keinerlei Straftaten gekommen sei und sich in der Demonstration kein einziger Vermummter befunden habe."(...)

beispiel zwei: der fake von den "tausend verletzten" - wenn Sie heute auch nur ein paar medienstimmen gelesen/gehört haben, können Sie einschätzen, welche bedeutung dieser nachricht seitens detr mainstreammedien gegeben wurde. nun gibt es ebenfalls im jw-ticker die wiedergabe einer "focus"-meldung:

»Die Anzahl der Menschen, die bei der Eskalation der Anti-G8-Demonstration am Wochenende in Rostock verletzt wurden, liegt offenbar deutlich niedriger als angegeben,« bemerkte das Magazin FOCUS am Montag in seiner Online-Ausgabe.

»Alle in die Krankenhäuser eingelieferten Personen wurden zwischenzeitlich entlassen«, zitierte FOCUS Online den Pressesprecher der Hansestadt Rostock, Ulrich Kunz. Von den während der gewaltsamen Ausschreitungen verletzten Polizisten befinde sich lediglich einer noch in stationärer Behandlung in der Universitätsklinik in Rostock. Die Verletzungen seien jedoch nicht lebensbedrohlich. Professor Bernd Freitag vom Klinikum Südstadt Rostock habe erklärt: »Nach Diagnostik und Behandlung haben sich viele Verletzungen als nicht so schwierig erwiesen.« Insgesamt waren nach Polizeiangaben bei den Ausschreitungen am Samstag 433 Beamte verletzt worden, 30 davon schwer.

Auf Nachfrage von junge Welt bestätigte am Montagnachmittag eine Polizeipressesprecherin, daß nur noch ein Polizist in stationärer Behandlung sei. Bei den Verletzungen der 433 Beamten habe es sich mitunter nur um »blaue Flecken« gehandelt.


beispiel drei: der angebliche aufruf - lt. "spiegel online", das sich inzwischen als führendes fakemedium versucht zu etablieren - am samstag "wir müssen den krieg in die demo tragen", ist inzwischen schon vielfach in den korrekten kontext gerückt worden. eine zusammenfassung gibt es derzeit im zdfblog: Das Leben einer Falschmeldung

*

all das macht diskussionen über sinn, unsinn, gründe und berechtigung von militanz - so wie im letzten beitrag hier versucht - zwar nicht überflüssig, rückt sie jedoch im angesicht dreist-frecher offizieller lügen in einen angemessenen zusammenhang. und das stichwort lüge ist auch nochmal die schnittstelle zum verständnis der weltwahrnehmung von leuten, die ihre lügen auf neusprech inzwischen als fiktionale glaubwürdigkeit verkaufen. schauen Sie nochmal in den beitrag rein - es passt wie angegossen:

...)"Sie behaupten auch, Ehrlichkeit sei für die Politik kein relevantes Kriterium.

Kocks: Richtig. Und das ist kein Zynismus, das ist der Zustand des Aufgeklärtseins. Die Wahrheitskategorie hat mit Geschäften nichts zu tun. Ein Autohändler möchte Geschäfte machen, und ein Politiker möchte das auf einer anderen Ebene auch. In Demokratien müssen Sie Machtausübung - zynisch könnte man sagen: leider - legitimieren. Deshalb müssen Sie die Leute von Ihren politischen Maßnahmen überzeugen. Dass es dabei nicht um die reine Wahrheit geht, ist mittlerweile Allgemeingut. Auf die Frage: 'Glauben Sie Politikern?', antworten nur 15 Prozent uneingeschränkt mit ja. Und die müssen Sie im Grunde genommen zum Arzt schicken."(...)


der "gipfel" als gigantische pr-inszenierung. und zwar in jeder hinsicht. vielleicht sollten wir langsam mal die parole ausgeben:

"zerstört die simulationen!"

Sonntag, 3. Juni 2007

assoziation: kommentierte kommentare zur gewaltfrage

die ereignisse bei der gestrigen großdemonstration in rostock gegen den "g8-gipfel" machen es in meinen augen dringend nötig, sich näher mit verfassung und möglichen motivationen der jeweiligen akteure auf den verschiedenen seiten zu beschäftigen. da ich in jüngeren jahren selbst in dem, was bis heute autonome szene genannt wird, politisch aktiv gewesen bin und auch heikle demonstrationssituationen miterleben musste, begreife ich die jetzt mal wieder ausgebrochene "gewaltdebatte" vor einem etwas anderen erfahrungshintergrund als große teile der sog. öffentlichkeit. daher möchte ich dieses medium jetzt dafür nutzen, einige facetten der realität wiederzugeben, die in der berichterstattung der mainstreammedien alá "spon" und anderen schlicht nicht existieren.

*

(...)"Bei der Großdemonstration in Rostock sind am Samstag nach Angaben der Veranstalter 520 Demonstranten verletzt worden. Zwanzig von ihnen seien schwer verletzt worden und müßten unter anderem wegen Knochenbrüchen stationär behandelt werden, sagte Mani Stenner aus der Demonstrationsleitung am Sonntag. Mindestens 165 Demonstranten seien festgenommen worden und über sechs Stunden lang in Gefangenensammelstellen festgehalten worden.
Die Polizei teilte mit, es seien insgesamt 433 Beamte verletzt worden, davon 30 schwer. Zwei Beamte müßten stationär behandelt werden."(...)

(aus dem newsticker der jungen welt)


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zunächst etwas zur begriffsklärung: auch wenn das wort "autonom" medial bis heute teils nur als synonym für "krawallmacher" benutzt wird, so hat die geschichte der vielen und meist auch in vielen inhaltlichen punkten widersprüchlichen gruppen und grüppchen, die darunter zusammengefasst wurden, doch ganz andere, jahrzehntealte, internationale und vielfältigere hintergründe als die oben erwähnte "ein-punkt-beschreibung" seitens der medien und auch des staatsapparates. ebenfalls ist die - ursprünglich staatliche wortkreation - des "schwarzen blocks" eher eine bezeichnung für ein sekundäres phänomen alleine bei demonstrationen, welches primär als selbstschützende (vermummung) reaktion auf die zunehmende polizeiliche observations- und videopraxis seit den 1980er jahren entstanden ist. ich habe selbst etliche demonstrationen miterlebt, die ohne größere zwischenfälle mit kleineren und größeren "schwarzen blöcken" verlaufen sind.

erst später - in der zweiten hälfte der 80er - kam ein eher bedenklicher und sozusagen massenpsychologischer aspekt dazu, der meiner meinung bis heute kaum tiefergehend betrachtet wurde: die konstitution einer formierten und durch quasi-uniformierung einheitlich nach außen auftretenden masse mit einschüchterungspotenzial. diese geschichte bleibt zwiespältig: ein derartiger block kann durch seine präsenz und ausstrahlung in spezifischen, sehr eng raum- und zeitgebundenen situationen ein moment symbolisch/realer gegenmacht zum staatlichen repressionsapparat bilden, lässt sich aber dabei zwangsläufig auf die "logik" dieses apparates ein (das klassische beispiel dafür bilden bis heute die auseinandersetzungen um die hamburger hafenstraße, in deren verlauf einige demonstationen mit riesigen blöcken von bis zu fünftausend menschen mit dazu beitrugen, die folgen einer möglichen räumung für die staatlichen instanzen als unkalkulierbar erscheinen zu lassen - was Ihnen natürlich niemals von medien und staat bestätigt werden wird, aber trotzdem einen teil der wahrheit bildet).

zum anderen aber: jenseits solcher, sehr begrenzten und situationsgebundenen wirkungen kann die teilnahme in einem solchen block gerade für jüngere leute - und da primär männer - durchaus zu jenen individuell transformierenden psychophysischen wirkungen führen, die bspw. elias canetti in seinem klassiker masse und macht ansatzweise beschrieben hat. ich teile nicht alle folgerungen canettis, so ist seine im verlinkten wikibeitrag zitierte ausgangsposition „Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes. […] Es ist die Masse allein, in der der Mensch von seiner Berührungsfurcht erlöst werden kann.“ - zitat wiki: ´Diese ersten Sätze aus Masse und Macht besagen nichts anderes, als dass der Mensch von Natur aus kein soziales Wesen ist. Nicht Empathie charakterisiert den Menschen, sondern die Furcht vor der Berührung diktiert sein Leben. Befindet sich der Mensch in der Öffentlichkeit, verlangen zufällige Berührungen mit anderen Menschen nach einer Entschuldigung. Steht der Mensch im Aufzug, drängt er sich in eine Ecke, um nicht in Kontakt mit den Anderen zu geraten. Und das Einschließen in die Häuser ist nichts anderes als ein Versuch des Menschen, sich dem bedrohlichen Fremden der Welt zu entziehen.´ eine der typischen reaktionen westlich geprägter philosophie, die aus bewußtlosigkeit gegenüber der uns umgebenden und durchdringenden matrix einer vielfältig traumatischen sozialen realität heraus zu solchen falschen generalisierungen des angeblichen "menschlichen wesens" neigt. nichtsdestotrotz sind - mit dem bewußtsein eben dieser realität - etliche seiner beobachtungen bezgl. des verhaltens von menschenmassen in dieser realität durchaus inspirierend, solange sie nicht als beobachtungen über angeblich "natürlich anthropologische" gegebenheiten fehlinterpretiert werden.

gewalttätige menschenmassen unterliegen einer sehr spezifischen dynamik, auf die ich hier nicht im einzelnen eingehen kann. aber die eigenarten der damit assoziierten ich-zustände, machtgefühle und auch drogenförmiger (adrenalin, endorphine) prozesse lassen gerade für grundsätzlich selbst-unsichere menschen, die erlebnisse von anscheinender stärke suchen, diese art der massenbildung bis heute sehr attraktiv erscheinen (eine tatsache, die erklärt faschistische bewegungen ebenfalls bis heute ausnutzen. aber auch eine tatsache, die für paramilitärische und polizeiliche massenbildung in eskalierenden situationen gültig ist, was meistens unterschlagen wird. mit der grundsätzlich betonten sog. "militärischen disziplin" ist es oft genug in derartigen momenten nicht mehr weit her, wie nicht nur ich oft genug selbst beobachten konnte. durch die sehr andersgeartete stellung sowie die ausbildung von beamten zb. unterliegen die genannten prozesse hier anderen dynamiken, aber ab einem bestimmten punkt ist es schwer, noch groß qualitative unterschiede zu finden).

und diese seite der blockbildung ist seitens der selbsterklärt militanten linken bis dato zu sehr unterbelichtet. wie gesagt: es kann für mich persönlich durchaus sehr eng definierte situationen geben, heute bspw. primär im bereich von antifa-demonstrationen, wo nicht nur aufgrund fotografierender nazis, sondern auch wg. der potenziellen nazigewalt eine derartige blockbildung unter selbstschutzapekten für eine begrenzte zeit sinn macht. aber das setzt eben auch ein bewußtsein über die eher unerwünschten möglichen psychophysischen dynamiken von menschen in einer masse voraus, welches ich für unterentwickelt halte.

soviel vorläufig zu meinen eigenen definitionen der beiden begriffe. im folgenden nun eine art öffentlicher-interner militanzdiskussion auf indymedia, bei denen die erwähnten und weitere aspekte zur sprache kommen - ich kommentiere im text.

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"mili´s tanzbär" schreibt:

"militanz, unabhängig wie man zu ihr steht, erfordert ein politisches ziel. militanz auszuüben, ohne jegliches erkennbares ziel, kann wohl eher als hooliganismus bezeichnet werden."

und zwar ganz zurecht, weil sich die zugrundliegenden prozesse nicht von der lust von hooligans unterscheidn lassen. auch ansonsten kann ich dem kommentar weitgehend zustimmen.

"und genau diese tendenz war gestern deutlich erkennbar. es ging hier einzig und allein darum einigen lifestyle-autonomen kiddies den lange ersehnten adrenalin-kick zu verschaffen, nachdem man ja auf den meisten demos in deutschland zu schwach vertreten ist um eine derartige schlagkraft entwickeln zu können.

ohne sinn wurden da mal wieder steine geworfen, unabhängig davon ob damit nun auch eigene leute gefährdet und verletzt wurden. wie hier schon ergänzt wurde, setzt militanz auch verantwortungsbewusstsein voraus. hiervon konnte gestern jedoch keine rede sein.

wer nun versucht diese ausschreitungen durch "bullen-provo" zu begründen, macht es sich deutlich zu einfach. wie oft (bzw. eher selten), bitte schön, waren denn die entsprechenden demonstranten bereits auf demos um sich von dem, im vergleich zu vielen anderen aktionen, doch deutlich zurückhaltenden vorgehen den cops provozieren zu lassen? das war doch demo-alltag, wenn nicht sogar deutlich unter normalem provokations-niveau. auch der hinweis, es sollten willkürliche verhaftungen aus dem block heraus verhindert werden, führt ins leere: genau das gegenteil wurde bewirkt - massenweise verhaftungen, weil die autonomen völlig hysterisch, wie die aufgescheuchten hühner, kreuz und quer durch die gegend liefen!

ansonsten wird die konsequenz dieser ausschreitungen wohl v.a. eines sein: ein massiver rückschritt was linksradikale bündnis-fähigkeit betrifft, wenn nicht gar ihr vorläufiges ende - zumindest auf bundesebene.

ebenfalls gezeigt haben die randale, dass es dringend notwendig ist gerade junge, nachrückende autonome mit einer militanz-debatte zu konfrontieren, die als grundlage erstmal die begrifflichkeiten und deren bedeutung als politisches instrument klären. in dieser willkürlichen form, kann die erlebte gewalt jedenfalls nur noch als eines benannt werden: adrenalinsaure mackerkultur ohne jegliches emanzipatorisches / fortschrittliches bewusstsein."


"anton" merkt folgendes an:

"Was bei dem Begriff Globalisierung richtig und wichtig ist, ist bei dem Begriff Kapitalismus genau die Trennlinie.
Menschen die die Tobin-Tax fordern bezeichnen sich wohl auch eher als KapitalismuskritikerInnen. Herzlichen Glückwunsch, aber wenn eure Netzwerke bei einigen Aktionen Schaden nehmen ist mir das ziemlich egal.
Richtig ist auch das Gewalt in der militanten Linken wohl viel zu selten tiefgehend genug reflektiert wird, aber das ist wohl ehere Sache der handelnden Personen. Aber sehr interessant das sich hier mal wieder ein Großteil derer die eine Ergänzung geschrieben haben darauf beziehen.

Von wem die Gewalt tatsächlich ausgeht bleibt dabei viel zu oft unberücksichtigt. Es wird von zwischen Cops und "Autonomen" abgwogen und sich dann entschieden, oder auch nicht.


und macht einen ebenfalls oftmals unterschlagenen aspekt deutlich:

"Die Kriege der BRD, die Unterstützung und Förderung der Rüstungsindustrie die so genannte Entwicklungspolitik, all das ist Gewalt. Und wenn dann ein paar Leute Steine schmeißen fangen gleich alle an zu schreien. Der Protest wird in Veruf gebracht. Oh schade, bei all dem heulen über den Zusammenbruch des schönen Netzwerkes bleiben dann wohl keine Tränen für die Millionen von Verhungerten, Kriegstoten oder SklavenarbeiterInnen übrig.
Adäquat wäre es wohl mit der gleichen Stärke der Gewalt zu antworten welche auch vom System ausgeht, aber das ist gar nicht im Interesse der AktivistInnen. Das einzige was sie zun ist ein Zeichen setzen."


den grundgedanken - bei aller gewalt, die in und von den institutionen und profiteuren dieses systems alltäglich nicht nur im eigenen interesse geduldet, sondern auch aktiv praktiziert, durchgeführt und geschützt wird, ist die ständige aufregung über kaputte scheiben und autos, aber auch verletzte staatsbeamte, zutiefst heuchlerisch und verlogen - kann ich zwar klar nachvollziehen, jedoch halte ich den gedanken von der "adäquaten gewalt" als angemessene antwort zwar für (emotional) verständlich, jedoch trotzdem für gefährlich und falsch. es kann erstens gar keine "adäquate" antwort auf die ungeheure gewalttätigkeit des globalisierten kapitalismus geben, die nicht in suizidaler destruktion endet - einfach deswegen, weil letztere den zwangsläufigen endzustand des kapitalismus bildet. und wirkungsvoller widerstand im interesse eines authentisch-menschlichen lebens, welches diesen namen auch verdienen würde, kann diesen weg schlicht und einfach nicht gehen.

zweitens aber: die herrschenden verhältnisse werden, und das ist eine der kernaussagen dieses blogs, nicht unwesentlich von personen geprägt, deren psychophysische struktur ständige und vielfältigste übergriffe und grenzverletzungen gegen andere menschen zwangsläufig beinhaltet (was wieder nix mit einer angeblichen "anthropologischen konstante" zu tun hat, sondern mit den kompensatorischen prozessen, wie sie als reaktionen auf diverse ernsthafte psychophysische schädigungen zu beobachten sind). gegenüber leuten, für die eine derartige existenzweise quasi ein konstituierendes element ihres seins darstellt, sind alle menschen, die vor gewaltanwendung grundsätzlich tiefe hemmnisse verspüren und vor gewalt auch verständlich mit ängsten reagieren, von vorneherein in einem strukturellen nachteil.

gewalt als selbstschutz und notwehr in existenziell bedrohlichen situationen (ausdrücklich ist hier auch die eher verstecke strukturelle und anonyme, institutionalisierte, gleichwohl oft genug tödliche gewalt mit gemeint!) ist eine option, die in sehr eng gefassten grenzen von fall zu fall manchmal notwendig und wirkungsvoll sein kann. um diese entsprechend einzusetzen, braucht es jedoch eine hohe verantwortlichkeit bei denjenigen, die damit arbeiten wollen. und die kann nicht per se als gegeben angenommen werden. als "königsweg" für wirkungsvolle veränderungen kann sie jedoch keinesfalls begriffen werden.

"Und natürlich tun mir auch die Cops leid die jetzt verletzt wurden. Schließlich kann ich hinter der Uniform auch immer den Menschen erkennen. Aber ein/e SoldatIn braucht sich nicht zu wundern wenn er/sie im Krieg getötet oder verwundet wird. Und ein Cop braucht sich nicht zu wundern wenn er/sie beim Schützen des repressiven Staates, seiner Institutionen oder der durchsetzung kapitalistischer Interessen "unter die Räder" kommt. Schließlich haben sie sich, zumindest in den Grenzen der ökonomischen Zwänge innerhalb des Systems, freiwillig für den Dienst am Staat entschieden."(...)

hm. das berührt direkt die diskussionen um "verantwortlichkeit" und den "freien willen". die möchte ich gerade nicht wiederaufnehmen und verweise dazu auf entsprechende blogbeiträge, zb. zur sicht der hirnforschung.

ein "fotograf" schreibt:

"Eins vorneweg: Mit Pflastersteinen auf Menschen zu werfen ist etwas, wo man den Tod des anderen in Kauf nimmt oder sogar bewußt wünscht. Wasserwerfer, Gumminüppel und Pfefferspray sind dagegen Kinderkram!"

naja, auch wenn das erstere stimmt, so ist letzteres ein glatte verharmlosung: wasserwerfer können knochen brechen oder jemanden überfahren (vielleicht ist der name günther sare einigen noch bekannt), die "gummiknüppel" sind inzwischen tonfas geworden, mit denen sich ebenfalls tödliche verletzungen produzieren lassen. pfefferspray kann bei menschen mit lungenfunktionsstörungen zu schweren komplikationen führen. "kinderkram" sieht anders aus!

"Was man hungernden Kindern in Afrika damit gutes tun will, daß man in Deutschland irgendeinen Polizisten ins Krankenhaus, Rollstuhl oder Grab befördert müßte mir mal jemand erklären. Die Welt ändert man so nicht!"

nunja, das ist doch eher simpel, herr fotograf: letztlich schützen die polizisten hier genau die ordnung, die u.a. dafür verantwortlich ist, dass in afrika kinder hungern. warum ich trotzdem dem fazit im letzten satz zustimme, steht weiter oben.

"Ich war schon auf vielen Demos und habe oft genug das Geheule über Polizeigewalt nachher lesen müssen. Fakt ist: Die meisten wirklich verletzten Demonstranten die ich bislang gesehen habe sind durch die Stein und Flaschenwürfe ihrer vermeintlichen Mitdemonstranten verletzt worden. Auch wenn viele das aus ideologischer Verhärmung nicht zugeben können und es natürlich immer "die Bullen" waren."

wenn der ausdruck "die meisten" durch "einige" ersetzt wird, kann ich das unterschreiben. so ist es eher ein fehlschlagener entlastungsversuch.

"Wer Kinder und friedliche Menschen als Schutzwall benutzt und daraus mit Steinen zu werfen oder sich nach Steinwürfen unter diesen zu verstecken, ist ein verantwortungsloser Feigling und zeigt ein menschenverachtendes Verhalten, daß man sonst eher durch die Staatsmacht in Diktaturen findet. Wer dazu noch so feige ist, daß er sich soweit hinten versteckt, daß seine Steinwürfe noch in der eigenen Demo einschlagen, wer auf die eigenen Sanitäter wirft etc. dem sollten die anderen Demoteilnehmer eigentlich mal zeigen wo der Hammer hängt.

Denn auch das ist Feigheit: Zulassen, daß irgendwelche Hooligans eine politische Demo kapern um Randale zu machen und die anderen Demoteilnehmer zu gefährden oder gar zu verletzen."


hier nun wieder zustimmung.

"Tim" antwortet:

"Ich schließe weder Militanz für mich aus, noch grenze ich mich von militanten Gruppen grundsätzlich ab. Allerdings erfordert Gewalt - in welcher Form auch immer - ein Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein, damit sie gerechtfertigt werden kann. Dass Die Polizei provozieren würde und dass Einige ein Interesse an einer Eskalation hatten - klar, das ist immer so. Dass einie Hundert DemonstrantInnen das ebenfalls hatten, Dutzende Kilometer vom eigentlichen Schauplatz Heiligendamm entfernt, mitten in einer Bündnisdemo, finde ich zwar falsch, aber: O.K.
Dass aber diese GenossInnen über Stunden immer wieder die Polizei angriffen und nach jedem Angriff dann Schutz in der nicht-militanten Bündnisversammlung suchten, wo u.a. Kinder und ältere Leute waren, dass Steine noch aus der dritten und vierten Reihe geworfen wurden, nach Spiegel-Online-Bildern SanitäterInnen geduckt und im Steinhagel zu "unseren" Verletzten laufen mussten, die teilweise von den "eigenen" Leuten verletzt wurden ... nee Leute. Militanz benötigt ein vertretbares Ziel und Verantwortung. Das was gestern abgelaufen ist - bei aller Mitverantwortung der Polizei - war nichts als gefährlicher Schwachsinn, ausgelöst von erlebnisorientierten Jugendlichen - mit Politik hatte das so wenig zu tun wie schimmliges Brot. Und zu all den "Gewalt-gegen-die-Polizei-ist-geil-und-alle-nicht-Militanten-sind-ohnehin-doof" - Postern: Geht nach Hause, geht zur Schule, macht was Vernünftiges und überlasst Anderen die Politik."


d´accord.

ebenso wie bei "simpson", der dazu endlich mal einen der wichtigsten punkte anspricht:

"Schließe mich Tim vollständig an. Das politische Selbstverständnis von Leuten, die sich von einem leeren Polizeifahrzeug zur Eskalation bewegen lassen und die Gefährdung tausender Mit-DemonstrantInnen bewusst in Kauf nehmen, scheint mir doch extrem fragwürdig. Aber wenn man sich die Bilder und Filmausschnitte von den beginnenden Auseinandersetzungen so ansieht, erhält man ohnehin den Eindruck, dass die ausführende Klientel mit politischem Selbstverständnis nicht so viel zu tun hat. Ich behaupte mal, das sind nicht die Menschen aus den Zusammenhängen mit denen ich gewöhnlich zusammenarbeite und nicht die Leute, die gewöhnlich Verantwortung für Organisation und Bündnisse übernehmen. Eher die Leute, die aggressiv auf dich losgehen, wenn du versuchst, ihnen klarzumachen, dass ihre Aktionen grad weder inhaltlich noch strategisch Sinn machen.

Das Problem ist, dass es in der militanten Bewegung keinen Konsens oder auch nur Diskurs zum Umgang mit exzessiver und selbstbezweckender Gewalt gibt. Grundsätzlich davon auszugehen, dass die Polizei Agent Provocateur einsetzt, um friedliche Versammlungen zu eskalieren, ist sicher nicht zu weit hergeholt, aber wir müssen uns doch die ernsthafte Frage stellen, ob die Polizei dieses Mittel überhaupt benötigt."


und zwar hier:

"Möglicherweise haben wir in den eigenen Reihen genügend Personen, die Gewalt und damit zusammenhängende Macht viel zu sehr genießen, um auf sie verzichten zu wollen. Und möglicherweise scheißen diese Personen auf die Interessen anderer Menschen, um diesen Kick regelmäßig haben zu können."

bingo!

"Solche Personen widersprechen übrigens meinem politischen Selbstverständnis, denn sie missbrauchen ihre Macht (Gewalttätigkeit), um sich über gemeinsame Entscheidungen hinwegzusetzen und sabotieren mühsam aufgebaute langfristig hilfreiche Strukturen, Bündnisse und Ergebnisse."

genau das ist das problem, dem sich jede emanzipatorische bewegung in zeiten zunehmender psychophysischer verelendung gegenüber sehen wird und zu stellen hat: die größer werdende präsenz von menschen, die aus welchen gründen auch immer gar nicht mehr in der lage sind, bedingungen für und ausdrücke von freiwilliger und verbindlicher kollektivität wahrzunehmen. dieses problem ist meiner erfahrung nach bisher kaum erkannt, geschweige den thema ernsthafter arbeit geworden.

"Sicher muss hier auch über den Zusammenhang mit Männlichkeitsidealen gesprochen werden, denn mir scheint hier ein extrem maskulines Machtgebaren zu Tage zu treten, dessen Platz in der emanzipatorischen Linken ich nicht sehen kann und will.

Bei alldem hab ich natürlich die Rolle der Bullen ausgespart. Dass Militanz von denen provoziert wird, ist ja gar keine Frage. Und das diese wiederum auf Gewalt unsererseits begeistert einsteigen auch nicht. Aber grade WEIL man das weiß, muss man die Verantwortung übernehmen und die Sicherheit der GenossInnen schützen, die mit einem gemeinsam agieren, indem man entsprechend auf Provokationen und Gewaltbereitschaft der Bullen reagiert. Genauso wie Sitzblockaden lässt sich übrigens auch sowas trainieren und vorbereiten."


schöner beitrag insgesamt.

***

zu dem speziellen aspekt von möglichen beamteten - oder auch nur instrumentalisierten - provokateuren verweise ich auf eine unbedingt sehenswerte tv-dokumentation über die nachgewiesenen einsätze solcher seitens der polizei beim gipfel in genua. und wenn Sie sich die angeschaut haben, werden Sie vielleicht auch meine fragen nachvollziehen können, die mir gestern mittag beim anblick dieser meldung auf indymedia in den kopf kamen:

"Gerade sammeln sich Nazis am Kurt-Schumacher-Ring im östlich der Warnow gelegenen Rostocker Stadtteil Dierkow.
Es sind hier jetzt etwa 200-300 (grob geschätzt) die im Moment einfach nur rumstehen und von einem ihrer "Führer" gerade instruiert werden. Dürfte kaum einer über 20 dabei sein. Eher frustrierte Kids aus'm Plattenbau als organisierte Kader. Trotzdem besser nicht auf die leichte Schulter nehmen! Von Bullen ist bisher nichts zu sehen."

"Jetzt zwei Funkwagen mit vier Hanseln vor Ort. Nazis (etwa 300) haben Straßenbahn der Linie 2 geentert und lassen sich auch von den Bullen nicht daran hindern. Jetzt sind sie wahrscheinlich auf dem Weg ins Zentrum."


ich fände es einfach sehr interessant zu wissen, wo diese kids dann letztlich gelandet sind.

Freitag, 1. Juni 2007

notiz: wenn staatsapparate paranoid werden...(update)

...kommen dabei solche szenarien heraus:

(...)"Seit Monaten legte die Kavala ihr Spionage-Netz über die ganze Republik. Alle Informationen liefen an der Ostsee zusammen: Zwei Anti-G8 Plakate in einer Unterführung im schwäbischen Schorndorf, Bezugsgruppenfindung an der Uni Feiburg, Straßentheater in Ulm, ein Vortrag in Erlangen, angekündigt in der sozialistischen Hochschulzeitung, Fahrradsternfahrt in München, Infoveranstaltung im Berliner Szenelokal "Vetomaat", Infostand auf einem Parkplatz im brandenburgischen Straußberg, Mahnwache auf der Bremer Domtreppe, Pappmaschépuppenbau-Workshop in der "Roten Flora" in Hamburg. Im schleswig-holsteinischen Ahrensburg wurden zwei CDU Plakate überklebt, und überall im Lande Schmierereien mit schwarzem Edding, auf einer Hauswand in München ein Anarcho A. Nichts sollte den Polizeispähern entgehen. Alles wurde nach Rostock gemeldet: Vorträge in Herford, Paderborn, Essen, Chemnitz, Leipzig und Magdeburg, Kapitalismuskritik in Erfurt, ein "warm-up" der Verdi-Jugend in Hagen. Pax Christi in Horheim hat schon einen Bus gechartert, auch der DGB in Hannover. Eine Schülerzeitung an der Windschutzscheibe eines Polizeifahrzeugs in der Nordheide wurde sichergestellt."(...)

einen passenden kommentar dazu reiche ich noch nach, wobei ich mir die anmerkung gestatte, dass es für viele - wie für den kommentator - anscheinend erst der leibhaftigen begegnung mit der staatsmacht bedarf, um ins grübeln zu kommen - was aber sein fazit nicht entwertet:

(...)"Es findet in diesem Land eine allgemeine Verrohung statt, eine Entdemokratisierung, eine Refeudalisierung: Für die führenden Politiker scheint der Bürger kein Bürger mehr zu sein - er ist bloß noch Objekt, ein lästiges Objekt. Das man herumschubst und anbellt: Ihr habt zu spuren! Seid ruhig, wenn wir eure Computer durchsuchen, seid ruhig, wenn wir eure Fingerabdrücke in die Pässe pressen, seid ruhig, wenn wir eure biometrischen Daten erfassen, seid ruhig, wenn wir eure Geldbewegungen durchleuchten, seid ruhig, wenn wir an euch rumschnüffeln, seid ruhig, seid ruhig - denn Ihr seid alle verdächtig!"(...)

in den nächsten tagen folgt in diesem blog ein basisbeitrag zum thema paranoia. dieser fatale wahrnehmungsmodus ist nicht unwesentlich beteiligt an der konstruktion von lästigen objekten.

Sonntag, 27. Mai 2007

notiz: "juwel", oder bootcamps* light für erwerbslose jugendliche unter 25? (update)

aktuell macht eine meldung in diversen foren für erwerbslose die runde, die wieder einmal schier sprachlos macht:

Guten Tag. Sie erhalten die vorliegende Zusammenfassung aus dritter Hand. Die Arge Rhein-Lahn-Kreis plant die Kasernierung von Arbeitslosengeld- II-Empfängern unter 25 Jahren, die nicht zur Schule gehen oder in Ausbildung sind, bzw. keinen Job haben. Das Konzept hat den Namen "Juwel" - das steht für "Jugendliche auf dem Weg in Arbeit". Das Konzept wurde im März 2007 bereits der Landesregierung in Mainz vorgestellt. Von Seiten der Regierung sollen bereits hohe Bezuschussungen in Aussicht gestellt worden sein. Das Konzept wurde bisher weder auf seine mögliche Verfassungswidrigkeit, noch auf die sozialpädagogischen Besonderheiten geprüft, die man insbesondere bei der Betreuung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen beachten muß.

Das Konzept sieht folgendes vor: Die Jugendlichen müssen demnach von in der Früh bis spätnachmittags in einem von der ArGe gemieteten Haus verbleiben. Sie müssen pünktlich zum Apell auf dem Hofgelände des Anwesens erscheinen und werden das Haus in dieser Zeit nicht ohne Genehmigung der Arge verlassen dürfen. Abends dürfen sie heimgehen. Es ist vorgesehen, daß diejenigen, die sich der Betreuung entziehen, mit Sanktionierung bis auf völlige Versagung von Arbeitslosengeld II inklusive Mietkosten zu rechnen haben. Angeblich wird an einem Bewertungssystem gearbeitet, nach welchem die Jugendlichen Punkte in den geplanten Kursen erzielen müssen. Was die Jugendlichen in der Aufbewahrung lernen sollen, bzw. wie die bewerteten Kurse aussehen, drang bisher nicht bis zu mir vor. Das Konzept beinhaltet jedoch die Idee der Finanzierung eines Führerscheines/von Führerscheinen für den Besten (oder die Besten). Das Konzept beinhaltet außerdem ein System der Bestrafung per Pranger. Dieses Wort ist mehrmals gefallen. Ich kann nicht beurteilen, ob das ggf. ein sehr schlechter Scherz sein soll.

Und offensichtlich hat man sich über die Freude an der Ausarbeitung des Konzeptes weder über fällige Anfahrtkosten für die Jugendlichen noch über deren Verpflegung vor Ort Gedanken gemacht. Da das Konzept der Kasernierung unter drohenden Entzug der Geldmittel als Freiheitsentzug und das Bewertungs- sowie das Bestrafungssystem als kontraproduktiv bis entwürdigend betrachtet werden muß, das gesamte Konzept nicht auf Freiwilligkeit der Jugendlichen basiert, und ausserdem das Konzept den Anschein erweckt, als verstünden die Planer rein gar nichts von Sozialarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, gebe ich diese Informationen zu treuen Händen für eine Anfrage an die Regierung.
Mit freundlichen Gruß.


die initiative "tacheles-sozialhilfe.de" hat die obige information grundsätzlich bestätigt - zitat eines vorstandsmitglieds im dortigen forum:

"die Information stimmt als solches und wurde von der Amtsleitung gegenüber Tacheles auch bestätigt. Wir sind an der Sache auf jeden Fall dran."

und so lässt der totalitäre kapitalismus schritt für schritt seine als-ob-maske von "demokratie" und "rechtsstaat" fallen.

*zum begriff bootcamp

*

edit am 09.06.2007: wednesday hat im kommentar unten auf eine offizielle reaktion seitens der betreffenden "arge" aufmerksam gemacht, in der es u.a. heißt:

(...)"Soweit in einer Internetverِöffentlichung vom 27.05.2007 dargestellt wird, es sei im Rahmen dieses Projekts geplant, Jugendliche im Alter unter 25 Jahren „täglich per Zwang zu kasernieren“, „sie pünktlich zum Appell im Hof antreten zu lassen“ und bei Fehlverhalten „eine Bestrafung per Pranger“ durchzuführen, entbehrt dies offensichtlich jeglicher Grundlage und würde auch den oben dargestellten Zielen der Maßnahme vِöllig zuwider laufen."(...)

gut. warten wir ab, wie sich "juwel" in der realität verhält. wird weiter unter beobachtung bleiben, und bis zur umsetzung werde ich hier nicht über mögliche erklärungen, rückzieher u.a. spekulieren.

Samstag, 26. Mai 2007

von "nationaler identität" als identitätskrücke - ein paar grundsätzliche anmerkungen

ein beitrag von quirinus zum thema globalisierung hat mich zu einer längeren antwort angeregt, die ich wg. ihrer für mich grundsätzlichen aussagen auch hier veröffentlichen möchte:

*

na, dann müssen wir uns mal wieder streiten:

"daß es nur im Interesse der internationalen Konzerne sei, die Nationalstaaten zu zerschlagen; daß also jeder Linke zumal hier in Deutschland, der Nationalstaat und National(sozial)ismus miteinander vermenge, sich wider Willen zum Diener derer mache, die er bekämpfe."

erstmal: es ist schlicht unmöglich, den nazismus ohne bezug auf die idee des nationalstaates zu verstehen. ganz im gegenteil haben hitler & co. das eigentliche wesen des nationalstaates als zwangskollektiv - und zwar auch (@"traditionslinke": aber nicht nur) im interesse des nationalen kapitals - so sehr auf den punkt gebracht, dass es eigentlich keine zweifel mehr über diese veranstaltung geben sollte.

das postulierte interesse an der "zerschlagung der nationalstaaten" seitens der multis (mal hypothetisch angenommen) basiert auf einer überaus pragmatischen überlegung: dass nämlich die staatlichen machtapparate momentan (noch) als einzige potenzielle instanz erscheinen, die ihrem treiben einhalt gebieten könnten - "könnten" deshalb, weil sich die weitaus meisten staatsapparate schon längst klar positioniert haben: auf seiten eben dieser multis.

ich bestreite dabei, dass ein staat nach heutigem verständnis überhaupt die einzig mögliche form darstellt, speziell mit dem außer rand und band geratenen kapitalismus fertigzuwerden, und allgemein für möglichst alle menschen lebenswerte und -freundliche verhältnisse zu garantieren. die form des staates (und zwar unabhängig von seiner jeweiligen struktur) als angeblich "überparteilicher" gewaltapparat überhaupt ist bereits der ausdruck einer letztlich überholten stufe der evolutionären entwicklung unserer spezies. und zwar deswegen, weil wir endlich kapieren müssen, dass diese ganzen halluzinierten und zwanghaften grenzziehungen namens "nation", "volk" und schlimmstenfalls sogar "rasse" immer nur identitätskrücken für in ihrer vollen authentischen subjektivität ernsthaft geschädigte menschen darstellen, also als produkt pathologischer bzw. im weitesten sinne traumatischer verhältnisse zu begreifen sind (in einem eingeschränkten sinne zähle ich auch die kategorie "klasse" dazu, zumindest wenn sie als quelle zwanghafter als-ob-identitäten - wie sie bspw. der sog. "reale sozialismus" gefördert hat - herhalten muss. ansonsten besitzt sie wesentlich mehr realistischen gehalt als die anderen genannten oben).

dazu kommt der aspekt, dass wir schlicht dazu verdammt sind, global zusammenzuarbeiten - die planetaren notwendigkeiten lassen schon seit langem jeden rückzug aufs "nationale" als schlichte realitätsverweigerung erscheinen.

eine volle authentische subjektivität bedeutet nun für mich, dass einerseits im innen (psychophysisch) und außen (soziale verhältnisse) der menschen der nötige freiraum für die entwicklung vielfältigster individualität vorhanden ist, die sich keinesfalls als gegenpol, sondern als bedingung für und eingebettet in das menschliche bedürfnis nach gesellschaft/sozialität begreift, und sich demnach zwanglose, aber verbindliche kollektive ausdrucksformen sucht und schafft -basiert auf freude, neugier, liebe, mitgefühl, schöpferischer kreativität sowie produktiver aggression und der fähigkeit, selbstbewußt sowohl eigene positonen entwickeln und vertreten zu können als auch eigene fehler und sackgassen wahrzunehmen, zu benennen und ändern zu können.

ich halte das nun keinesfalls für ein übertrieben positives und utopisches menschenbild, das ich hier vertrete, sondern für eine realitische option innerhalb der menschlichen möglichkeiten - unser unvermögen, uns dieser option nähern zu können, hat nachvollziehbare gründe in den letzten jahrtausenden, in denen wir gelernt haben, gerade die übelsten und pathologischten varianten des menschlichen lebens als "normalität" fehlwahrzunehmen. aber diese "normalität" ist alles andere als normal, wie ich u.a. durch mein blog aufzuzeigen versuche.

"der - ich wiederhole! gesunde Menschenverstand hat mir schon immer gesagt, daß all, die uns einreden wollen, es gebe keine nationale Identität, bewußt oder auch nur unbewußt Übles im Schilde führen: so wie einer, der uns einreden wollte, es gebe keine Ich-Identität."

naja, der "gesunde menschenverstand" kann dir auch ganz plausibel erzählen, dass die erde eine scheibe ist...

was bitte soll denn das sein, "nationale identität"? woran soll etwas so objektivistisches/konstruiertes (ganz im sinne von mertz) festgemacht werden?

ich habe mit den weitaus meisten leuten in diesem land soviel oder so wenig gemeinsam wie mit leuten in paris, detroit, lima oder sydney - der hauptunterschied liegt vielleicht noch in der sprache, aber sich daraus eine identität basteln zu wollen, halte ich für quatsch.

bezug auf "deutsche kultur"? auch hier: was soll das sein? goethe, schiller, beethoven etc.? einen zugang schaffe ich mir entweder aus meinen eigenen - individuellen - vorlieben heraus oder eben nicht. ich sehe weit und breit keinen grund dafür, warum ich - mit betontem bezug auf das angeblich "deutsch identitäre" - eine sinfonie von beethoven alleine aus diesem grund irgendwie "besser" oder "bedeutungsvoller" finden soll als einen spät-70er-funk von herbie hancock, einen jungle-track der 90er aus dem londoner underground oder detroit-techno alá carl craig. beethoven - genauso wie tangerine dream, um mal ein anderes "deutsches" beispiel anzuführen - kann mir in bestimmten situationen durchaus viel geben, aber das können auch die anderen genannten. und die "nationale" herkunft des jeweils schönen ist dabei aber sowas von egal, mir käme jeglicher versuch, daraus irgendwelche bezüge herzustellen, absurd vor. ähnliches gilt auch für bücher und filme, vermutlich überhaupt alle künstlerischen produktionen. wenn sie "gehaltvoll" sind, sind sie eigentlich auch immer in einem sehr positiven sinne - universell, global ansprechend, kosmopolitisch - nenn es wie du willst.

bezug auf die heimatregion? hier würde ich noch am ehesten folgen können, allerdings nicht mit irgendwelchen wiederum konstruierten und mythisch überhöhten bezügen auf "scholle" und "heimatboden" - sondern ganz realistisch-materiell auf ein zuhause-gefühl bezogen, wozu sekundär die schönen eigenarten der jeweiligen landschaft gehören. ich halte das aber nicht für etwas zwanghaftes, sondern meine erfahrung ist eher die, dass die jeweilige qualität des sozialen umfeldes - die heimat ist u.a. da, wo meine freundInnen sind - primär darüber bestimmt, wo "zuhause" ist. in diesem sinne kann ich mir auch durchaus andere orte vorstellen, die zum zuhause werden können. und die rauhe tiefebene, in der wir beide uns befinden ;-), hat für mich durchaus eine eigene schönheit - aber das haben auch noch sehr viele andere ecken auf dem planeten.

diese ecken nun als "deutschen" wald, "schottische" highlands, "norwegische" fjorde oder auch "brasilianischen" amazonas zu bezeichnen, ist lediglich eine schlechte und gefährliche gewohnheit, ja eine fatale verwechslung von "landkarte und territorium" (ich hoffe, dass diese metapher hier verständlich ist). in letzter konsequenz also eine bestimmte wahrnehmungsposition, die durchaus halluzinatorische qualitäten hat. es gibt schlicht und einfach kein realistisches merkmal, anhand dessen bspw. ein unterschied zwischem "deutschen" und "holländischen" rheinwasser nachvollziehbar wäre (und nein, ich meine jetzt nicht die unterschiedlichen einleitungen der chemischen industrie...).

diese angeblich "natürlichen" unterschiede bestehen schlicht "nur" in unseren köpfen/körpern, als objektivistische konstrukte mit sekundären emotionen. und da sind sie weder unveränderbar noch zufällig hineingeraten, sondern vermutlich eine konsequenz unserer bisherigen mörderischen gewohnheit, uns selbst das soziale leben zur hölle zu machen. oder anders, wie ich oben schon skizziert hatte: eine der vielen möglichen kompensationsversuche traumatischer erfahrungen.

die gleichsetzung von ich-identität mit "nationaler" fake-identität ist dabei besonders ärgerlich, weil letztere eigentlich immer erst dann zum vorschein kommt, wenn die erstere bereits schwer geschädigt ist.

*

nun noch kurz zum aspekt des gefährlichen: alle weiter oben aufgeführten pseudoidentitären kategorien arbeiten als typisch objektivistische konstrukte vor allem mit dem binären modus: DAS gehört zu "uns", DAS gehört NICHT zu "uns". "nationen" können sich mangels eigener realistischer inhalte nicht von selbst definieren, sondern tun das - und dazu reicht ein blick in die geschichte - immer in abgrenzung von "den fremden/anderen". und diese struktur ist bis heute verantwortlich für einige der destruktivsten exzesse der spezies - es ließe sich auch sagen, sie ist ausdruck einer "geisteskrankheit" (gell, schäuble).

und darum ist jedes reden von einer wie auch immer gefüllten positiven "nationalen identität" bewußt oder auch unbewußt immer auch ein portal für die einzigen, die von solchen diskursen tatsächlich profitieren: die nazis.

und zu dem punkt spare ich mir jetzt weitere worte und verweise einfach auf eine textsammlung, in der die versuchte verquickung von nötiger kapitalismuskritik einerseits und rechter globalisierungskritik mit ausdrücklichem bezug aufs "nationale" ausführlich dargestellt ist. die verwischung der absolut notwendigen grenze zwischen beidem musst du dir als vorwurf gefallen lassen.

Freitag, 25. Mai 2007

notiz: "Wir sind kein Land, in dem Geisteskranke unterwegs sind!"

also, so sicher wäre ich mir da nicht - vor allem, wenn der satz etwas umformuliert wird:

"Wir sind kein Land, in dem Geisteskranke an der Macht unterwegs sind!"

und wenn dann der veraltete und unpräzise begriff "geisteskrank" etwas genauer definiert wird, kommt aller wahrscheinlichkeit das ganze ausmaß des desasters zum vorschein:

"Wir sind k ein Land, in dem Leute mit Suchtproblemen und narzißtischen Störungen, die sich ohne weiteres in der Gesellschaft von Als-Ob-Persönlichkeiten wohlfühlen und ihre sog. "Politik" inzwischen ganz nach den Bedürfnissen von Soziopathen auszurichten scheinen, an der Macht unterwegs sind!"

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