Freitag, 29. Juni 2007

zufallsfund

so etwas macht mich natürlich neugierig:

cover autistische phaenomene...

"Psychogen autistische Phänomene spielen eine immer größere Rolle in der psychoanalytischen Behandlung nicht autistischer erwachsener Patienten, insbesondere in der Dynamik pathologischer Organisationen und seelischer Rückzüge. (...)

Neben einer allgemeinverständlichen Einführung und der Vorstellung aktueller kinderanalytischer Ansätze werden in zahlreichen Fallbeispielen autistische Phänomene bei unterschiedlichsten Psychopathologien untersucht, z.B. bei Borderline-Störungen, dem Als-Ob-Syndrom, Essstörungen und Hypochondrie."(...)


bei nächster gelegenheit mehr dazu; sollten sich hier leserInnen finden, die bereits mit dem buch vertraut sind, wäre ich um entsprechende kommentare oder sogar eine kurzrezension sehr dankbar.

Montag, 25. Juni 2007

notiz: eine extremvariante simulierender mütter...

...stellt heute ein zeit-artikel etwas genauer vor - das sog. "münchhausen-by-proxy-syndrom":

(...)"Zum ersten Mal hat nun Martin Krupinski, Leiter der Abteilung für Forensische Psychiatrie der Universitätsklinik Würzburg, in einem Pilotprojekt bundesweit Fallzahlen ermittelt. Von 379 Kinderkliniken beteiligte sich rund die Hälfte an der Datenerhebung. Sie berichteten von insgesamt 91 medizinisch gesicherten und 99 ernsthaften Verdachtsfällen von MBPS.(...)

Im Gegensatz zu anderen Formen der Kindesmisshandlung scheuen die Täter bei MBPS nicht den Besuch beim Kinderarzt, sondern verlangen ganz im Gegenteil für ihr angeblich krankes Kind immer neue Untersuchungen, Operationen, Medikamente. Mediziner werden so unfreiwillig zu Komplizen, wenn sie versuchen, dem vermeintlich schwer kranken kleinen Patienten zu helfen.

Und die Täterinnen wirken sehr überzeugend. »Die Frauen sind oft überdurchschnittlich intelligent«, sagt Ulrike Böhm, Rechtsmedizinerin an der Universitätsklinik in Leipzig, »sonst wären sie nicht in der Lage, die Symptome der angeblichen Erkrankung ihres Kindes so detailliert und schlüssig zu schildern.«(...)


der mittlere teil des obigen zitates macht den vielleicht wesentlichen unterschied zu den anderen, "offeneren" formen von infantizid und gewalt gegen kinder recht gut deutlich.

aber auch über einige gemeinsamkeiten darf spekuliert werden:

(...)"Was treibt Mütter zu solchen Taten? Krupinski hat sich 50 MBPS-Fälle seiner Studie im Detail angesehen. In 48 Fällen war die Mutter die Täterin. Sie war im Durchschnitt 30,7 Jahre alt, ihr Nachwuchs vier Jahre. Neun Kinder trugen bleibende Schäden davon, eines der Opfer starb. »Ein Drittel der Frauen wurde in eine psychiatrische Klinik eingewiesen«, sagt Krupinski. Denn die Täterinnen leiden oft an einer schweren Persönlichkeitsstörung. Sie sehnen sich nach Aufmerksamkeit, wissen nicht, wie sie Beziehungen zu ihren Mitmenschen knüpfen sollen, fühlen sich isoliert und einsam. Manche entwickeln ein Borderline-Syndrom, einige sind drogen- oder alkoholabhängig, andere depressiv. Nicht selten wurden sie selbst in ihrer Jugend emotional vernachlässigt oder sexuell missbraucht."

täter-opfer-dialektik...wir sehen genau die gleichen zuschreibungen und das wohlbekannte sammelsurium verschiedener diagnosen, wie es auch aus anderen zusammenhängen rund um (mütterliche) gewalt gegen kinder bekannt ist. nur eine besondere variante der simulation sorgt hier für ein verändertes bild:

"Mit einem kranken Kind wendet sich für diese Frauen das Blatt. Plötzlich finden sie Anerkennung, gelten als perfekte Mütter, die sich aufopfernd um ihr schwer krankes Kind kümmern und nicht von dessen Krankenbett weichen. »Die beste Freundin der Frauen ist dann die Krankenschwester auf Station«, sagt die Kinder- und Jugendpsychiaterin Carola Bindt."

für die kinder jedoch bleiben die destruktiven bis tödlichen folgen die gleichen:

"Den Kindern selbst glaubt meist niemand – wenn sie überhaupt den Mut haben, sich einem Erwachsenen anzuvertrauen. Schätzungen zufolge sterben etwa zehn Prozent der Opfer an den Folgen dieser krankhaften Mutterliebe."(...)

ich zweifle stark daran, ob das wort "mutterliebe" selbst mit dem obigen attribut in diesem kontext grundsätzlich angebracht ist. eher scheint mir wahrscheinlich, dass es an dieser stelle wie so oft mal wieder einen ausdruck der ideologischen selbstvergewisserung dieser gesellschaft darstellt. und solange das so bleibt - neben anderen existenziellen voraussetzungen - , solange wird weder diesen müttern noch den kindern wirkungsvoll geholfen werden können.

assoziation: eine antwort an "scardanelli"

da der kommentar von "scardanelli" neulich zum letzten beitrag anläßlich des "autistic pride day" etliches interessante enthält und deutlich macht, gebe ich meine antwort mal wieder in form eines eigenen beitrags - das halte ich für übersichtlicher.

*

"1. Der jW-Artikel umfasst etwa 6000 Zeichen, die "Assoziationen" dieses Bloggers haben die dreifache Länge, und selbst philosophisch gebildete Leser wie ich haben einige Mühe, zu verstehen, worum es geht. Der Blogger täte gut daran, einmal einen knappen Zeitungsartikel für ein breiteres Publikum zu schreiben. Dann wüsste er, dass für blanke "Assoziationen", etwa Spekulationen über einen Zusammenhang zwischen Newtons Autismus und seinem Weltbild, darin kein Platz bleibt."

liebe/r scardanelli, Sie beginnen Ihre kritik mit einem doch sehr eigenartigen einstieg - ich habe jedenfalls auch zukünftig nicht vor, mich bei der kommentierung von fremdartikeln an formalen eigenheiten von diesen zu orientieren statt am inhalt. und dazu würde ich Ihnen empfehlen, sich einmal genauer mit dem sinn der rubrik "assoziation" in diesem blog zu beschäftigen - dazu gibt´s hier zu beginn mehr zu lesen.

"2. Der Blogger dagegen ordnet die jW in der Schublade "Traditionsmarxismus" ein und führt das Fehlen einer Betrachtung über den von ihm gemutmaßten Zusammenhang bei Newton auf diese Zugehörigkeit zurück. Das ist wirklich in jeder Hinsicht Unsinn. Erstens ist das Feuilleton der jW, dessen Redakteur diese Wissenschafts-Seite gestaltet hat, nicht in "traditionsmarxistischer" Hand. Auch der Autor des zitierten Artikels dürfte kaum der Kategorie "Traditionsmarxismus" zuzuordnen sein. (Er nimmt sich auch nicht in "sympathisierender neulinker Tradition" der Forderungen von AutistInnen an, sondern er ist selbst Asperger-Autist.)"

danke für die letzte information, die ich eigentlich als angabe zum autor sowohl in der jungen welt als auch in der analyse & kritik erwartet hätte, wo eine etwas längere variation des jw-textes veröffentlicht wurde. die bezeichnung "traditionsmarxistisch" diente im übrigen als generelle aussage zur "jungen welt", ohne ein bestimmtes ressort oder autorInnen konkret zu meinen. an dieser stelle kann ich übrigens auch meinen eindruck von Ihnen, "scardanelli", genauer äußern: Sie legen bisher sowohl formalistische kriterien als auch ein relativ wortwörtliches verständnis bei Ihrem kommentar an den tag - und erfüllen damit ironischerweise selbst in sehr allgemeiner weise einige asperger-eigenschaften.

"Zweitens sind unter Menschen mit Autismus Weltbilder aller Art anzutreffen. Deshalb entbehrt die Behauptung eines Zusammenhangs von Newtons wissenschaftlichem Denken mit seiner autistischen Persönlichkeit jeder Grundlage. Die autistische Persönlichkeit kann Menschen die Kraft geben, sich "ihres Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen" (Kant). Mit Physik oder mit einem mechanistischen Weltbild hat sie dagegen an sich nichts zu tun."

nun, auf die - mir durchaus plausibel erscheinende - idee, bezgl. newton diesen zusammenhang zu vermuten, sind lange vor mir bereits andere leute gekommen - vielleicht lesen Sie sich einmal, falls Sie es noch nicht getan haben, diesen beitrag durch. denn da stehen einige meiner meinung nach durchaus ernstzunehmende argumente für den genannten zusammenhang.

zum anderen aber: wenn Sie bei newton so argumentieren, dann verstehe ich Ihr schweigen zu den vom autor in der jw genannten anderen beispielen von "genialen persönlichkeiten" mit vermutetem autistischen hintergrund nicht so recht. sollten Sie dann nicht auch die gleiche aussage bezgl. michelangelo, einstein, bill gates & co. treffen? wenn beliebige kulturelle bzw. wissenschaftliche produktionen "nichts" mit einer autistischen persönlichkeit zu tun haben sollten, wäre es dann aus Ihrer perspektive nicht nötig, den autor zu kritisieren, der diesen zusammenhang selbst explizit herleitet (und u.a. genau damit als begründung für die "neurologische vielfalt" argumentiert)?

meine eigene meinung zum zusammenhang zwischen (immer auch gesellschaftlich bedingter) psychophysischer struktur eines menschen und seinen/ihren weltbildern, produktionen etc. lässt sich an vielen stellen im blog nachvollziehen und steht - wie Sie es sich sicher denken können - der Ihrigen konträr entgegen.

"3. So sind auch die Mutmaßungen des Bloggers über einen Zusammenhang zwischen "Kapitalismus als verdinglichender Megamaschine" und Autismus als "objektivistischer", "objektfixierter" und "verdinglichender" Wahrnehmung nichts weiter als eine Luftnummer eines second-hand-adornitischen Ideologiekritikers."

ein rhetorisch fulminanter satz, der sich inhaltlich jedoch als fragwürdig erweist...

"Wir wissen doch gar nicht, ob Autismus heute wirklich häufiger ist als früher. Er wird bloß häufiger erkannt."

...weil ich annehme, dass Sie selbst bereits von der auffälligen ballung (asperger-)autistischer diagnosen in it-zentren wie dem silicon valley gehört haben (die übrigens auch an einem britischen standort der high-tech-industrie, nämlich rund um cambrigde, zu verzeichnen ist)? es ist durchaus mehr als eine "luftnummer", hier die manifesten auswirkungen einer den modernen kapitalismus absolut prägenden branche zu vermuten. ich sehe darin eher die spitze des eisbergs, weil sich gerade in der it-branche und ihren produkten wesentliche strukturelle eigenschaften des kapitalismus mit am deutlichsten manifestieren: abstraktion, virtualisierung, beschleunigung, ortlosigkeit, binäre logik u.a. - alles eigenschaften, die der verdinglichung von menschen (bzw. überhaupt allem lebendigen) notwendig zugrunde liegen bzw. voraus gehen. und zumindest für den it-bereich kann Ihre obige aussage als nicht zutreffend bezeichnet werden.

"Außerdem, was die ideologiekritischen Kategorien des Bloggers angeht: "Verdinglichung und verdinglichtes Denken haben auch die Bedingungen einer Welt ohne Mangel geschaffen" (Adorno).

in anderen worten hat das ja temple grandin formuliert, die ich in meinem ursprungsbeitrag zitiert habe. ich habe da allerdings auch noch einiges angemerkt, was ich an dieser stelle in anderen worten nochmal so formulieren könnte: "die welt ohne mangel" ist bisher erstens nur für eine kleine (und auch in der verteidigung ihrer privilegien zunehmend extremistischer werdende) minderheit aller menschen realität; zweitens ist in solchen aussagen auch immer eine mehr oder weniger große blindheit gegenüber den potenziell katastrophalen folgen verdinglichender wahrnehmung enthalten - wir haben zwar eine welt mit autos, handys, intimspray und der auswahl unter 20 waschmitteln - aber gleichzeitig eine welt, in der "auschwitz" als synonym für die auf die (traumatische) spitze getriebene verdinglichung weiterhin nachdrücklich gültig ist. die eine seite der medaille ist nicht zu trennen von der anderen, und ich frage mich immer wieder mal, ob die "errungenschaften" der technischen "zivilisation" inzwischen nicht primär zur kompensation ihrer zunehmend offensichtlicher werdenden mörderischen folgen/seiten genutzt werden.

"4. Natürlich ist die im postfordistischen Kapitalismus dauernd verlangte "Teamfähigkeit" und "Flexibilität" von Grund auf fremdbestimmt, das bringt der Blogger völlig richtig auf den Punkt. Aber das steht doch gar nicht im Gegensatz zu dem, was in dem Artikel gesagt wird."

nein? hat der jw-autor in seinem text nicht gerade diese behaupteten eigenschaften - und zwar ohne ihren simulativen charakter zu hinterfragen - als argument dafür gebracht, dass sich (asperger-)autistische menschen eben nicht in diesen strukturen bewegen können? das thema der simulation ist an dieser stelle entscheidend, und ich habe ja selbst darauf hingewiesen, dass der asperger-variante des autismus bisher weitgehende simulationsunfähigkeit attestiert wird. wenn Sie sich hingegen die im ursprünglichen blogbeitrag zum thema simulation verlinkten älteren blogartikel hier angeschaut haben, haben Sie vielleicht auch festgestellt, dass ich mich hier auf einige theoretische ansätze beziehe, die die existenz von simulationsfähigen autismusvarianten - mit fließenden grenzen gerade zum asperger-syndrom - nahe legen. und vor diesem hintergrund ist die behauptete ausschließende wirkung von bspw. simulierter "teamfähigkeit" für "aspies" nicht besonders überzeugend, und ebenso nicht bei einer näheren betrachtung der verhältnisse in der it-branche.

"Die Frage ist allerdings, ob es nicht auch in einer nicht mehr kapitalistischen, auf der Selbstorganisation der ProduzentInnen beruhenden Gesellschaft ein Recht auf Partizipation in einem Einzelgänger-Modus geben sollte."

nun, damit rennen Sie bei mir offene türen ein - und das sage ich vor dem hintergrund ganz eigener erfahrungen. allerdings halte ich den ausdruck "einzelgänger-modus" für eine nicht unwesentliche beschönigung von schweren wahrnehmungsbe- und einschränkungen, deren psychophysisch pathologische struktur ich nicht hinter phrasen wie "neurologische vielfalt" u.ä. versteckt sehen möchte. das bedürfnis nach zweitweiligem alleinesein halte ich innerhalb einer authentischen subjektivität für völlig normal - ebenso wie das bedürfnis nach kollektivität, die auf funktionierenden beziehungsfähigkeiten beruht. und gerade die sind im gesamten autistischen spektrum eben nicht bzw. nur sehr eingeschränkt bzw. verändert vorhanden - der "einzelgänger-modus" beruht hier letztlich nicht auf einem zeitweiligen authentischen bedürfnis oder einer freien entscheidung, sondern stellt eine art zwangsweiser existenzweise dar, deren hypothetische dominanz für die menschliche spezies - jedenfalls so, wie wir ihre positiv sozialen fähigkeiten leider nur in ansätzen kennen - das aus bedeuten würde. unter anderem aus diesem grund sehe ich geschichten wie den "autistic pride" sehr skeptisch.

"5. Die in dem Blog evozierte Vorstellung vom autistischen Programmierer, der an der Technik an sich seine helle Freude findet und sich nicht darum schert, was mit dem Resultat seiner gründlichen Arbeit angerichtet wird, ist ein Klischee, das mit der Realität von AutistInnen sehr wenig zu tun hat. "Aspies" sind sehr häufig zugleich hochsensible Persönlichkeiten, denen man wirklich nicht unterstellen sollte, sie wären scharf auf technische Selbstbefriedigung ohne Rücksicht auf die Folgen."

das mag für "klassische" asperger ja weitgehend zutreffen; aber wie sieht es mit dem "versteckten" autismus innerhalb von forschung und wissenschaft aus? ich halte es aus meiner perspektive eben nicht für zulässig, das sozusagen "reine" autistische spektrum als irgendwie bizarre besonderheit am rande der menschlichen möglichkeiten zu bestaunen - ich halte eine wahrnehmung für zutreffender, die die klassischen autismus-varianten (bzw. ihre wesentlichen eigenheiten) als paradigmatisch auch für mögliche psychophysische zustände aller menschen begreift - in verschiedenen variationen, anteilen und kombinationen. zu diesem ansatz trägt übrigens auch meine ganz persönliche erfahrung mit entsprechenden zuständen bei mir und anderen bei.

"6. Natürlich ist simulierendes Verhalten in gewissem Maße eine notwendige Bedingung von Humanität. Natürlich bin ich freundlich zu anderen, auch wenn ich eigentlich gerade depressiv oder schlecht gelaunt bin - denn dafür können die anderen nichts."

so? ohne jede einschränkung? ich würde ja eher dazu tendieren, innerhalb von nahen sozialen beziehungen meinen jeweiligen zustand kenntlich zu machen, um erstens dadurch für andere transparenter zu werden (mit der möglichkeit eines größeren verständnis -> neue handlungs-/umgangsoptionen); zweitens meinen zustand u.u. dadurch auch selbst verändern zu können; und drittens der anstrengung von permanenter simulation zu entkommen. Ihre oben zitierte vorgehensweise hat eigentlich nur berechtigung im sog. öffentlichen raum; und selbst da würde ich an etlichen stellen eine möglichkeit der vermittlung eigener authentischer zustände begrüßenswert empfinden (letzteres hat übrigens nix mit der simulierten "offenheit" von exhibitionistischen talkshows oder dergleichen zu tun).

"Natürlich ist keine entwickelte Subjektivität möglich ohne Vermittlung und Entäußerung. Ein Asperger-Syndrom ist nun eben nicht einfach die permanente und totale Abwesenheit von Simulations- und Vermittlungsfähigkeit. Aspies sind genauso lern- und entwicklungsfähig wie andere Menschen (manchmal sogar mehr als andere), bloß läuft die Entwicklung bei ihnen anders ab. Wenn Aspie-Kinder sich besonders für Gegenstände wie Waschmaschinen interessieren, heißt das noch lange nicht, dass sie das lebenslang tun. Es ist doch überhaupt nicht wahr, dass Aspies keine soziale Kompetenz besäßen. Sie erwerben sie anders, in der Regel später als NTs und dadurch auch bewusster."

Sie verschleiern hier schlicht den qualitativen unterschied zwischen authentischer und simulierter sozialer kompetenz. wenn "aspies" ersteres als strukturelle eigenart ihrer persönlichkeit aufweisen würden - gäbe es sie nicht als "aspies". die "bewusstere erwerbung" beruht ja gerade darauf, dass sie den objektistischen modus ihrer wahrnehmung besonders schulen und trainieren müssen, um überhaupt ein leidlich realitätsfähiges simulatives niveau zu erreichen. das das letztere dann u.u. auch "NTs" beeindrucken kann, dürfte eher mit einer mehr oder weniger großen schädigung der eigenen authentischen fähigkeiten bei diesen zusammenhängen (was dann, nebenbei gesagt, auch zu solch grotesken verhaltensweisen führt wie denen, die alleine aus pr- und imagegründen konstruierte und simulierte "soziale kompetenz" großer konzerne für bare münze zu nehmen).

"Das kann enorme Stärken mit sich führen, z.B. sogar ein starkes soziales Engagement."

meinen Sie damit auch solche leute wie bill gates?

"Den Gerechtigkeitssinn von Aspies mit dem Formalismus der Justiz in Verbindung zu bringen, ist wieder einmal eine der oben bereits kritisierten, völlig willkürlichen und unbegründeten "Assoziationen"."

suchen Sie einmal im index oder der recherche nach beiträgen, die sich hier genauer mit verschiedenen justiziellen urteilen beschäftigen. dann werden Sie vielleicht nachvollziehen können, das von "völlig willkürlich und unbegründet" keine rede sein kann.

"7. Für den Autistic Pride engagierte Aspies verlangen nicht, dass alle Menschen autistisch werden sollen. Sie erkennen die Fähigkeiten von NTs an und verlangen nur, dass diese reziprok ebenso verfahren. Insofern ist jede Überlegung darüber, wie eine nur aus AutistInnen bestehende Menschheit aussähe, völlig unsinnig."

"Bei autistischen Personen ist inzwischen eine starke Tendenz, zu sagen, die Welt sollte sich ihnen anpassen." (zitat temple grandin; quelle hier enthalten).

das sagte grandin über ihre mitbetroffenen. und bei sowas werde ich einfach hellhörig, weil es erstens angesichts verschiedener, mit autismus in zusammenhang gebrachter eigenschaften und besonderer fähigkeiten, die zweitens zumindest teilweise eine schnittmenge mit favorisierten strukturellen eigenschaften der heutigen kapitalistischen gesellschaft aufweisen, wohl nicht so abwegig ist anzunehmen, dass sich drittens autistische betroffene vor diesem hintergrund daran machen könnten, ihren eigenen zustand entsprechend umzudefinieren - eine dekonstruktion der behinderung hin zu einer konstruktion von normalität. warum sie damit gar nicht mal so unrecht haben, hatte ich im ausgangsbeitrag versucht zu skizzieren. aber das bedeutet keinesfalls, die gründe und v.a. die implikationen eines solchen projektes kritiklos hinzunehmen.

"8. Wirkliche Gleichheit wäre die Freiheit, ohne Angst verschieden sein zu können (Adorno)."

ja. und? nochmal: ich rede hier nicht von einer bloßen "verschiedenheit". ich habe absolut nichts dagegen - im gegenteil - für wie auch immer psychophysisch geschädigte menschen alles notwendige zu tun bzw. bereitzustellen, was deren leben erleichtern kann. ich habe allerdings etwas dagegen, real vorhandene einschränkungen und behinderungen - aus welchen gründen auch immer - quasi zu de-konstruieren (und dieses vorhaben würde ich Ihnen unterstellen). autismus stellt eine qualitative und ernsthafte beschädigung ganz elementarer menschlicher sozialer fähigkeiten dar - mit der betonung auf beschädigung!

"9. Die autistische Seinsweise ist nicht antisozial. Sie ist auf andere Weise sozial als die neurologisch typische."

etwas polemik gefällig? nach dieser logik ist letztlich auch ein soziopath nur "anders sozial".

"10. Was der Blogger gegen Ende als Konzept von Geschichte skizziert, ist nicht schlecht. Ärgerlich ist nur, dass er sein "Wissen" über Autismus, das er munter zu allen möglichen und unmöglichen "Assoziationen" verrührt, anscheinend aus auf veralteten Theorien beruhenden populärwissenschaftlichen Magazinen hat. In diesem Text ist jedenfalls nicht erkennbar, dass der Blogger irgendwelche reale Erfahrung mit autistischen Menschen hätte."

wenn Sie sich nochmals die mühe machen würden, im index nach den verschiedenen beiträgen zum autistischen spektrum zu recherchieren, wäre Ihnen Ihre polemik mit den "populärwissenschaftlichen magazinen" vermutlich selbst peinlich. dann aber: was sollen denn die nicht "veralteten theorien" darstellen? etwa der ausschließliche bezug auf irgendwelche gene (wahlweise auch umweltgifte und impfungen, wobei letzteres inzwischen als widerlegt gilt)? zur rolle der gene lesen Sie bspw. einmal joachim bauer - das könnte Ihnen dabei helfen, eine nicht dissoziierende wahrnehmungsposition bei dieser frage einzunehmen (ob irgendwelche gene nämlich bei autistischen menschen nicht oder anders fuktionieren, ist definitv keine antwort zur frage nach der entstehung). dazu wäre es einmal auch interessant, sich genauer die rolle der selbsthilfebewegung, und da besonders die betroffenen eltern, anzuschauen - nicht nur hier, sondern auch durch die erfahrungen mit eltern von "schizophrenen", liegt nämlich der eindruck nahe, dass bevorzugt erklärungsmodelle gefördert werden, die bei derartigen zuständen besonders unpersönliche - und damit eltern/familien und letztlich die gesellschaft entlastende - ursachen für schwere psychophysische einschränkungen annehmen. "die gene" stellen da heute den absoluten favoriten dar, obwohl eben das nach den jüngsten forschungen kaum mehr haltbar ist.

diese verhaltensweise betroffener eltern besonders von als schizophren diagnostizierten, mit dem daraus folgenden teils enormen druck auf involvierte medizinerInnen, dürfte einen nicht unerheblichen anteil daran haben, dass sich innerhalb der psychiatrie nach der phase der besonders die dysfunktionalen sozialen verhältnisse thematisierenden psychiatrischen strömungen (laing u.a.) der späten 1960er und 70er jahre seit den 80ern wieder mehrheitlich eine eher reduktionistische und im schlechten sinne biologistische sichtweise auf schizophrene phänomene durchgesetzt hat. und wenn ich mir die teils rigorose abwehr betroffener eltern von autistInnen gegenüber jedem ansatz anschaue, der auch nur entfernt eine mögliche beteiligung seitens betroffener familien / eltern in betracht zieht, so fällt die parallelität des verhaltens mit dem eben skizzierten bezgl. schizophrenie krass ins auge. von sich als "links" verstehenden medien wie der "jungen welt" und auch der "a & k" würde ich mir bei solchen fragen einfach mehr erwarten - und nicht nur lediglich eine wiedergabe weitgehender selbstbeweihräucherung betroffener - was in diesem fall aus meiner perspektive umso mehr zutrifft, als das selbstbetroffenheit des autors beim thema nicht erwähnt wurde.

und ob ich selbst erfahrungen mit autistischen menschen habe? aus dem kontext von kliniken, kindergärten etc. nicht. ansonsten: mehr, als mir manchmal lieb ist.

Montag, 18. Juni 2007

assoziation: der "neurologischen vielfalt" und dem heutigen "autistic pride day"...

...hat die junge welt vor ein paar tagen einen artikel unter dem sinnigen titel gerechtigkeit und waschmaschinen gewidmet, der sich in sympathisierender (neu-)linker tradition einiger zentraler forderungen der selbsthilfebewegung autistischer menschen annimmt - und diesem vorhaben möchte ich ein paar kommentare meinerseits anschließen.

*

nach dem einstieg ins thema, bei dem sich der autor auch hier hinsichtlich des autismus am bewährten evergreen von den "genialen menschen" sowie der "skurrilen" verhaltensweisen von "berühmtheiten" bedient hat, gibt´s etwas historie:

(...)"Über Isaac Newton wird berichtet, daß er Vorlesungen auch dann hielt, wenn gar keine Hörer kamen, und als er einmal Freunde eingeladen hatte und Wein aus dem Keller holen wollte, kam er nicht wieder – man fand ihn in Betrachtungen vertieft. Der Volksmund spricht von »zerstreuten Professoren«. Heute weiß man, daß deren Verschrobenheit oftmals einen neurologischen Grund hat. Der österreichische Psychia­ter Hans Asperger (1906–1980), der sich in den 1930er Jahren mit hochbegabten Kindern mit gestörtem Sozialverhalten beschäftigte, sah hier eine »autistische Psychopathie«, und er vermutete sogar, daß intellektuelle Höchstleistungen ein gewisses Maß an Autismus voraussetzen."

vielleicht ist es zuviel verlangt, vom autor in einem - na, sagen wir mal, "traditionsmarxistischen" und dementsprechend einem klassisch materialistischen weltbild verpflichteten blatt zu erwarten, sich möglicherweise mal ein paar mehr gedanken zu möglichen zusammenhängen zwischen newtons persönlichkeit und seinem weltbild zu machen? immerhin ist die wiedergebene vermutung von asperger, "ein gewisses maß an autismus" sei eine voraussetzung für intellektuelle höchstleistungen, beim heutigen erkenntnisstand nicht ganz von der hand zu weisen - j.e. mertz hat das in der griffigen metapher vom "gewöhnlichen autismus der gesunden person" zusammengefasst, um den es hier aber nicht geht.

"Der Begriff »Autismus« wird allerdings in erster Linie mit einer geistigen Behinderung assoziiert. Auch hier hat, ungefähr zeitgleich mit Asperger und unabhängig von ihm, ein österreichischer Arzt Pionierarbeit geleistet: Leo Kanner (1896–1981) (...)

Der von Kanner beschriebene »frühkindliche Autismus« fällt als schwere Entwicklungsstörung auf und ist seit den 1960er Jahren eingehender erforscht worden. Die Betroffenen bleiben in den meisten Fällen lebenslang auf Hilfe und Betreuung angewiesen. Manche von ihnen verblüffen allerdings durch »Inselbegabungen«, außergewöhnliche geistige Fähigkeiten in eingegrenzten Teilbereichen wie etwa sensationelle Rechen- oder Gedächtnisleistungen."


das thema der "savants" wird eingehender u.a. in der immer wieder mal wiederholten tv-reihe expedition ins gehirn auf arte behandelt.

"Das Phänomen, dem Hans Asperger nachging, ist weniger dramatisch, und Aspergers Arbeiten sind lange Zeit kaum beachtet worden."(...)

ob das phänomen bei näherer betrachtung wirklich "weniger dramatisch" ist?

(...)"International bekannt wurden Aspergers Schriften erst in den 1980er Jahren, als die britische Psychologin Lorna Wing sie in englischer Übersetzung herausgab. Sie prägte die Bezeichnung »Asperger-Syndrom«, dieses ist seit 1992 von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt.(...)

Anders als beim Kanner-Autismus sind »aspergische« Kinder durchschnittlich bis überdurchschnittlich intelligent. Ihre Sprachentwicklung setzt nicht (oder nur wenig) verzögert ein und erreicht in kurzer Zeit ein sehr »erwachsenes« Niveau – bloß mit der Besonderheit, daß sie extrem auf den wörtlichen semantischen Gehalt der Rede fixiert sind und den der Alltagskommunikation innewohnenden pragmatischen Hintersinn nicht verstehen."


mir ist nicht so recht klar, was hier der ausdruck "pragmatischer hintersinn" bedeuten soll - eine meiner meinung nach typische besonderheit im asperger-kommunikationsverhalten besteht eher darin, doppelbedeutungen und metaebenen, auch und gerade non-verbaler, körperlich ausgedrückter art, nicht wahrnehmen zu können - auch ironie gehört hier zb. dazu, und macht aus der nicht-autistischen erfahrung heraus in vielen fällen keinesfalls irgendeinen "hintersinn", sondern dann gerade den eigentlichen inhalt aus. im übrigen hat die erwähnte fixierung - von außen betrachtet - auch durchaus ihre humoristische seite: so ist in einschlägigen foren für "aspies" immer wieder mal die geschichte vom asperger-autisten zu finden, der in einem kleinen kaff übernachten will und pünktlich kurz vor zehn gespannt aus seinem hotelfenster blickt, um das ihm von einem einheimischen angekündigte hochklappen der bürgersteige um diese zeit auch ja nicht zu verpassen - das bringt das wortwörtliche verständnis auf den punkt.

"Im Vor- und Grundschulalter gehen sie oft bizarr anmutenden Spezialinteressen mit großer Intensität nach, beschäftigen sich mehr mit Gegenständen wie Waschmaschinen oder Dachrinnen als mit Menschen. Ähnlich wie Kanner-Autisten meiden sie Blickkontakte und Berührungen und bevorzugen gleichförmige und ritualisierte Routinen, die ihnen zur Strukturierung des Alltags dienen."

und spätestens an dieser stelle wird ein ganz zentraler inhalt autistischer wahrnehmung deutlich, zu dem ich in einem erklärt gesellschaftskritischen medium wie der jungen welt eigentlich mehr fragen erwartet hätte - fragen zb. danach, wie es innerhalb einer nach allgemeinem konsens sozialen und auf vielfältigen beziehungen gründenden spezies wie der menschheit dazu kommen kann, dass sich eine - oder vielleicht sogar die "reinste" - variante von objektfixierter aka objektivistischer, verdinglichender wahrnehmung offensichtlich in den letzten jahrzehnten weltweit ausbreitet? und auch fragen danach, ob es nicht angemessen ist, zwischen dem siegeszug des globalisierten kapitalismus als verdinglichender megamaschine einerseits und der langsam zunehmenden präsenz von irgendwelchen autismusvarianten betroffener andererseits mögliche zusammenhänge, vielleicht gar evolutionärer art, anzunehmen?

stattdessen gibt´s eine beruhigende nachricht:

"Nach außen wirken sie emotional gleichgültig – ohne es tatsächlich zu sein."(...)

ich vermute, dass sich der autor hier besonders auf den streit um die empathiefähigkeiten von autistischen menschen bezieht; vielleicht auch noch auf den punkt der reizüberflutung (mit folgerichtiger wahrnehmungsabschottung nach außen zum selbstschutz). der klarheit halber sollten dann aber auch zustände wie dieser oder auch jener erwähnt werden - denn auch das sind emotionale zustände. oder?

immerhin, jetzt folgt doch noch ein kleiner schlenker zum kapitalismus:

(...)"Die meisten Asperger-Autisten haben keine offensichtliche Behinderung und können ein selbstständiges Leben führen. Weil ihnen die gerade im postfordistischen Kapitalismus fetischisierten Eigenschaften wie »Teamfähigkeit« und »Flexibilität« fehlen, gelingt ihnen meist keine ihren tatsächlichen Fähigkeiten angemessene Berufslaufbahn."(...)

aber ein mehr als ärgerlicher schlenker: erstens, sollen wir den führenden im "forbes-ranking" der weltweit reichsten leute und vermutlich bekanntesten kapitalisten überhaupt nur als ausnahme von der regel ansehen? und wie sieht es zweitens generell in der it-branche aus, die als wirtschaftszweig unser aller leben ja nun nicht unwesentlich beeinflusst? und wie überhaupt in den ganzen sog. neuen technologien, von "bio" bis "nano", in denen zunehmend enorme abstraktionsfähigkeiten - eine der leistungen objektivistischer wahrnehmung - gefordert werden? andererseits: was hat es denn mit der "teamfähigkeit" oder auch den vielbeschworenen "flachen hierarchien" in den ökonomischen strukturen tatsächlich auf sich? hier ist i.d.r. weniger authentische - und befreiende - kollektivität gemeint als vielmehr eine simulation derselben, die nicht geringen leistungsdruck auf die betroffenen ausübt - im interesse der profitrate.

nun wird die asperger-variante des autistischen spektrums im allgemeinen tatsächlich als nicht simulationsfähig angesehen - aber gilt das erstens auch noch unter gesellschaftlichen bedingungen, in denen virtuelle prozesse aller art (v.a. simulierte kommunikation unter ausschluß der körperlichkeit) explosionsartig um sich zu greifen scheinen, und auch in folge dessen zweitens simulierte prozesse als produkt des objektivistischen wahrnehmungsmodus selbst unter grundsätzlich authentizitätsfähigen menschen mehr und mehr im alltag an die erste stelle rücken? bei näherer betrachtung stellen sich bspw. die meisten sog. "geschäftsbeziehungen" als fakes, d.h. beziehungssimulationen, heraus, für die das wort warenbeziehung zwar beliebt, jedoch irreführend ist - es handelt sich schlicht um ein mehr oder weniger anonymisiertes nebeneinander von subjekten, die in ihren "jobs" in verschiedenen objekthaften masken auftreten und dazu neigen, sich selbst und untereinander, erst recht aber die kunden, ebenfalls als - bestenfalls solvente und damit profitable - objekte zu behandeln. von beziehungen, die diesen namen auch verdienen würden, ist dabei keine spur zu entdecken.

und vor diesem hintergrund ist die hypothese durchaus ernstzunehmen, dass derlei verhältnisse selbst "eigentlich" simulationsunfähigen autisten stark entgegenkommen - denn ein "als-ob"-sozialverhalten ist trainierbar, und leute wie temple grandin sind dafür ein ganz gutes beispiel (siehe dazu nochmal den basisbeitrag autismus).

die möglichen simulationsfähigen autismusvarianten (siehe als "verdachtsfälle" hier, hier und auch hier) sind dabei noch nichtmal thematisiert.

jedenfalls ist bei den derzeitigen gesellschaftlichen bedingungen das folgende durchaus schlüssig:

(...)"Viele Menschen mit Asperger-Syndrom und anderen »hochfunktionalen« (selbständige Lebensführung ermöglichenden) Autismus-Varianten wehren sich in letzter Zeit energisch dagegen, daß Autismus nur negativ, durch Defizite charakterisiert und durchweg als »Behinderung« dargestellt wird."

klar - wenn die gesamtgesellschaft in entscheidenden bereichen selbst zunehmend verhältnisse zulässt, die sich als im weitesten sinne autistisch oder zumindest autismuskompatibel (das internet ist dafür übrigens eines der prägnantesten beispiele) begreifen lassen, und das auch noch als "fortschritt" mißversteht - wenn das also der aktuelle status quo ist, dann ist tatsächlich nicht einzusehen, warum die "klassischen" autisten noch länger als "behindert" gelten sollen. allerdings: als emanzipation im authentischen sinn sollte das wirklich niemand begreifen.

"Einer der besten Kenner des Asperger-Syndroms, der australische Psychologe Tony Attwood, schlägt sogar vor, die »Diagnose« des Asperger-»Syndroms« als Pathologie einfach zu vergessen und an ihre Stelle die »Entdeckung« des »Aspie«-Charakters zu setzen. Denn er hat festgestellt, daß unter Menschen mit Asperger-Syndrom mit hoher Regelmäßigkeit mindestens ebensoviele markante positive Charaktereigenschaften wie Defizite anzutreffen sind: Wahrheitsliebe, Aufrichtigkeit, Vorurteilsfreiheit, Gewissenhaftigkeit, Sorgfalt, starker Sinn für Gerechtigkeit."

die gewissenhaftigkeit und sorgfalt - böswillig ließe sich auch pedanterie sagen - hat bspw. im bereich der edv-programmierung tatsächlich ihre vorteile, die allerdings nicht unabhängig von der verwendung der dadurch erzeugten produkte zu sehen sind. ein sorgfältig ausgetüfteltes überwachungs- oder waffensystem mag dem mehr oder weniger autistischen programmierer persönlich freude bereiten (und seinen auftraggebern ebenso) - die späteren opfer jedoch müssen dann den mit den oben genannten fähigkeiten assozierten mehr oder weniger starken verlust der empathiefähigkeit regelmäßig mit einbußen ihrer freiheit, gesundheit oder gar ihres lebens bezahlen.

die wahrheitsliebe bzw. aufrichtigkeit ist hier eher als synonym für die ebenfalls als typische asperger-eigenschaft beschriebene unfähigkeit zur lüge zu begreifen, und das ist ein durchaus zweischneidiges schwert. sicher, wahrheitsliebe wird als moralische forderung in dieser gesellschaft allerorten vor sich hergetragen. und lügen sind pfui. hier geht es jedoch um etwas ganz grundsätzliches: es gibt einige indizien dafür, dass die fähigkeit zu fakes/simulationen (und das sind lügen) als grundaussattung in allen menschen nicht nur angelegt, sondern in bestimmten ausmaß sogar absolut notwendig bei der entwicklung einer authentischen menschlichen identität ist. das mag zunächst seltsam klingen, ist aber bei näherer betrachtung durchaus schlüssig:

es geht v.a. um die "kleinen" lügen, mit denen sich bspw. kinder den zur ihrer entwicklung nötigen freiraum innerhalb der ansonsten dominanten kontrolle seitens des erwachsenen umfeldes beschaffen. ebenfalls gibt es bekanntlich durchaus sinnvolle schutzlügen, die aus einer authentisch empathischen wahrnehmung entspringen, ja sogar ausdruck von liebevoller besorgnis darstellen können. ich rede hier nicht von den gewohnheitsmäßigen simulationen von soziopathen; und andererseits auch nicht von der art von wahrheit, wie sie - achtung, polemik - bspw. die historischen nazis bei der völlig korrekten ankündigung ihrer vorhaben bezgl. mord und totschlag "auszeichnete". brutale wahrheiten, die kaum jemand hören wollte, und die womöglich auch aus einer gewissen zwanghaftigkeit heraus entstanden sind. permanente aufrichtigkeit kann massiv und bösartig grenzverletzend sein, und ist eigentlich nicht vorstellbar bei gleichzeitiger anwesenheit von empathie, die in heiklen sozialen situationen korrigierend wirkt.

die kunst besteht vermutlich darin, an den nötigen und wichtigen stellen jeweils wahrhaftig und bei bedarf auch simulativ zu sein - und dazu muss das volle menschliche wahrnehmungsspektrum vorhanden sein.

und der "starke sinn für gerechtigkeit" hat meiner meinung nach verdammt viel ähnlichkeiten mit dem prinzip, nach dem auch die heutige justiz arbeitet - ein nach objektivistischen prinzipien arbeitendes abstraktes netz, welches über alles und jedes geworfen wird - und eben daher kaum jemals wirkliche gerechtigkeit herstellen kann.

"Asperger-Spezialisten gehen davon aus, daß zahlreiche prominente Persönlichkeiten vom Asperger-Syndrom betroffen waren und sind: Newton, Einstein, Kant, Wittgenstein, Michelangelo, Kafka und viele andere. Würde eine »Heilung« solche Menschen nicht ihrer Produktivität berauben?"

das greift wieder eine diskussion auf, die hier im blog an verschiedenen stellen schon geführt wurde - und aus einer dieser debatten eine für mich immer noch gültige antwort:

"es gibt von temple grandin, die hier im zusammenhang mit dem asperger-syndrom als betroffene an anderer stelle zitiert worden ist, ein zitat, welches sinngemäß lautet, dass, "wenn alle menschen nt´s (neurologisch typisch, asperger-slang für "normale") wären, wir heute noch in höhlen sitzen und nur miteinander reden würden".

manchmal frage ich mich aber, ob das nicht vorziehenswerter wäre als die heutige situation. irgendwo habe ich hier im blog auch die aussage eines psychiaters, "psychopathen sind das salz der erde", zitiert - als ferment /katalysatoren für notwendige grenzverletzungen, die erst weiterentwicklungen möglich machen würden, seien sie für alle gesellschaften unverzichtbar. und wenn ich mir dann so die verschiedenen bereiche der kunst betrachte, mit all ihren freakigen protagonistInnen...

und trotzdem: die logik hinter solchen aussagen wie oben finde ich schon nachvollziehbar - aber gleichzeitig finde ich das auch eine implizite glorifizierung von menschlichem leid, die ich nicht vertreten kann und auch nicht möchte.

meiner meinung nach sind - qualitativ! - andere formen von entwicklung auch möglich ohne die vorbedingung, dass gesellschaften dafür erst eine mehr oder weniger große zahl ihrer mitglieder in den wahnsinn treiben müssen. allerdings meine ich damit entwicklungen, die den heutigen gesellschaftlichen normen dessen, was als wünschenswert erachtet wird, in den meisten punkten scharf zuwiderlaufen."


als nachtrag auch noch dieser aspekt: die erwähnte produktivität ist zu einem nicht kleinen teil bis heute für die leidvollen zustände auf diesem planeten mitverantwortlich.

"Seit 2005 feiern Menschen mit Autismus den 18. Juni als »Autistic Pride Day«. Sie verstehen ihn als Aktionstag gegen die Pathologisierung des Autismus und für die Anerkennung der »neurologischen Vielfalt« unterschied­lich begabter Menschen."(...)

die "neurologische vielfalt" unter und in unserer spezies anzuerkennen wäre tatsächlich ein erster nötiger schritt, um viele destruktive phänomene tatsächlich begreifen zu können. sie würde u.a. zu solchen nicht gerade kleinen konsequenzen führen müssen, das heutige justizwesen komplett umzugestalten. sie würde gleichfalls auch meiner meinung nach zu einer qualitativ neuen bewertung von phänomenen wie dem faschismus führen, und sie würde den zustand derjenigen deutlicher machen, die sich - meist als ideologie oder propaganda abgetan - bis heute gegen den gedanken von der gleichheit aller menschen wenden. als abstraktes existiert diese gleichheit, jedoch nicht in der realität. daraus dann aber wiederum die notwendigkeit sozialer/ökonomischer hierarchien abzuleiten, macht etwas deutlich, was mir bis heute kaum begriffen worden zu scheint (wobei ich das selbst sehr schwierig zu begreifen finde und etliche zeit benötigte, bis mir dieser gedanke plausibler erschien):

nämlich die entwicklung von einen begriff der menschlichen geschichte, der die aus den verstrickungen der verschiedenen neurologischen ( bzw. psychophysischen als begriffserweiterung) zustände, in denen sich menschen befinden, resultierenden konflikte und kämpfe als wichtigen und untrennbaren, vielleicht sogar primären teil der bisherigen sozialen auseinandersetzungen mit selbstverständlichkeit beinhaltet.

ansatzweise findet sich dieser gedanke unausgesprochen im hintergrund zb. hier, wobei es mir mit dem dort dargestellten ansatz ähnlich wie mit teilen des gerade kommentierten artikels geht: einige neurologisch-psychophysische "seinsweisen" kommen mit immanent antisozialer tendenz daher - und das ist nichts, was ich als entpathologisierenswert empfinden würde. im gegenteil.

Samstag, 16. Juni 2007

notiz: und dann waren da wieder the yes men...

...dieses mal mit einer letzten ölung:

(...)"Ein Mann, der sich als Florian Osenberg und Mitarbeiter von Exxon vorstellte, erklärte sodann, wie diese Technologie, welche menschliches Fleisch in ein neues Exxon-Produkt, genannt Vivoleum, umwandelt, aussehen wird. Er wies die Zuhörer darauf hin, dass man sich bei der derzeitigen Energiepolitik, die für Katastrophen prädestiniert sei, keine Sorgen um den Nachschub machen müsse:

Vivoleum works in perfect synergy with the continued expansion of fossil fuel production.With more fossil fuels comes a greater chance of disaster, but that means more feedstock for Vivoleum. Fuel will continue to flow for those of us left.

War das den Zuhörern bis zu diesem Zeitpunkt schon etwas merkwürdig vorgekommen, so entzündete sich der Eklat, nachdem sie aufgefordert wurden, eine seltsam geformte Kerze, hergestellt aus der Leiche eines Mitarbeiters von Exxon, anzustecken. Die Security stürmte die Bühne, die Vortragsredner wurden festgehalten (später aber wieder freigelassen), den Veranstaltern ist die Sache peinlich, die Agentur, welche die Redner angemeldet hätte, sei doch seriös."(...)


immer wieder in elitäre befindlichkeiten treffend, diese medienguerilleros.

notiz: beschämung als machtritual

ein empfehlenswerter text aus dem aktuellen freitag zum thema:

(...)"Scham ist also auch unter politischen Aspekten ein brisantes Thema. Denn Scham ist der politische Affekt schlechthin. Jede Beschämung setzt voraus, dass der Mensch als zoon politikon (frei übersetzt: als "Gemeinschaftstier") mit anderen Wesen seiner Art in Interaktion tritt. Ekel mag durch üblen Geruch, Angst durch ein Unwetter ausgelöst werden - nichts dergleichen ist bei Schamgefühlen möglich. Scham ist stets anthropogen, ein seelisches man-made-disaster. Infolge dieser Zwischenmenschlichkeit, an deren einem Pol der Beschämende, am anderen der Beschämte steht, kann Scham auch zielstrebig zur Durchsetzung oder zur Bekräftigung von Machtinteressen eingesetzt werden. Das weite Feld der Schamszenen reicht daher von der Ehebrecherin oder dem Dieb, die im Mittelalter am Pranger zur Schau gestellt wurden, von der öffentlich gefolterten und verbrannten Hexe bis hin zum Schüler, der, auch heute noch, auf Geheiß des Lehrers, in der Ecke zu stehen hat. Der Beschämte ist, meist schutz- und wehrlos, den Blicken aller preisgegeben. Oft wird diese Schmach noch unterstützt durch besondere Kleidung, geschorene Haare, Schandmasken oder Brandmale bis hin zur auf den Arm tätowierten Nummer des KZ-Häftlings.

Als Rudolf Höß, der Kommandant von Auschwitz, eines Abends mit seinem Schwager Franz Hensel bei einer Flasche Wein gemütlich beisammen saß, fragte Hensel, was der Begriff "Untermensch" bedeute. Höß seufzte. "Du fragst immer und fragst und fragst", erwiderte er. "Sieh dir diese Menschen doch an. Sie sind nicht wie wir. Sie sind anders. Sie sehen ganz anders aus. Sie haben kein menschliches Benehmen. Sie tragen Ziffern auf den Arm. Sie sind hier, um zu sterben".

Die Anonymisierung des Menschen, seine Degradierung zur Nummer, ist eine wesentliche Komponente systematischer, machtpolitisch motivierter Beschämung - vor Jahrzehnten in Auschwitz, vor kurzem erst in Abu Ghraib. Die berechtigte Empörung über die Exzesse der Nationalsozialisten sollte uns nicht an der Frage hindern, wie viel Beschämungspotenzial unseren gegenwärtigen Institutionen innewohnt. Den Schulen beispielsweise. Oder auch der Medizin. Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich, vor sechzig Jahren Beobachter der Nürnberger Ärzteprozesse, hat sich nicht gescheut, diese Verbindungslinie zu ziehen. Im Vorwort seiner 1947 erschienenen Dokumentation notierte er: "Es ist fast dasselbe, ob man den Menschen als ›Fall‹ sieht, oder als Nummer, die man ihm auf den Arm tätowiert - doppelte Antlitzlosigkeit einer unbarmherzigen Epoche".(...)


und das thema degradierung zur nummer wird immer aktueller.

Freitag, 15. Juni 2007

notiz: betreff gaza-streifen (update)

aus traurigem anlass nochmals zwei ältere links: Ein Irrenhaus namens Gaza und quellen des islamistischen fundamentalismus. die beschriebenen verhältnisse lassen sich mit fug und recht als die psychophysischen quellen auch der aktuellen gewalt begreifen.

edit am 25.06.07: zum thema auch das folgende interview:

"Das sind Prinzipien, die überall auf der Welt auf Gangs oder Mafia-Familien zutreffen."

assoziation: elitäre mafiosi? mafiöse eliten? was tun? (teil 2)

(da der ganze komplex vermutlich leider immer mehr platz erfordern wird, füge ich hiermit eine eigene fortsetzung dieses beitrags an - sozusagen das dritte update).

*

mittlerweile gerät auch der "verfassungsschutz" ob seines seltsamen umgangs mit den akten bzw. den methoden seiner informationsgewinnung und -weitergabe stärker in die kritik - auszüge aus einem kommentar von h. prantl in der süddeutschen zeitung:

(...)Man kann den Eindruck gewinnen, dass dort eine Mafia ihre Nester hat, deren Paten, getarnt als anständige Staatsbeamte, auf der Brühlschen Terrasse spazieren gehen; selbst Spitzen der staatlichen Gewalten sollen ja verwickelt sein in Laster und Verbrechen. Die Nachrichten aus Sachsen klingen so, als sei dort die organisierte Kriminalität die eigentliche Staatsgewalt.

Das alles soll sich ergeben aus Stapeln von Akten, in denen der Landesverfassungsschutz langjährige Beobachtungen gesammelt hat. Der Verfassungsschutz aber sitzt auf diesen Akten, als handele es sich um einen Schatz in Privateigentum. Er lässt es zu, dass sich unglaubliche, ja ungeheuerliche Gerüchte entwickeln - und verweigert zugleich die Herausgabe der Akten an die Ermittlungsbehörden."(...)


die frage danach, ob und wo möglicherweise die organisierte kriminalität die eigentliche staatsgewalt darstellt, kann ganz verschiedene antworten nach sich ziehen - abhängig besonders von der definition der ok. die definition eines extrembeispiels macht das deutlich:

(...)"Denn die so genannte "Machtergreifung" Hitlers, die in Wirklichkeit eine "Machtübergabe" an die NSDAP war, deren Anführer noch 10 Jahre zuvor wegen Hochverrats im Zuchthaus gesessen hatte, bedeutete das Ende demokratischer Rechtsstaatlichkeit. Business Crime Control betrachtet deshalb die damaligen Nazihorden als eine Variante Organisierter Kriminalität. Damit gerät BCC zwar in Widerspruch zu den offiziell anerkannten OK-Definitionen. Aber es bedurfte nicht der Verbrechen, die unter dem NS-Regime zwischen 1933 und 1945 begangen wurden, die vor 1933 genügen vollauf, um den Nachweis für die Behauptung erbringen zu können, dass die NSDAP mitsamt ihren Unterorganisationen die Kriterien eines Verbrechersyndikats erfüllte."(...)

anders gesagt: es gibt durchaus - in diktatorischen systemen sowieso, aber auch in sog. demokratien - als "legal" besonders im jeweils herrschenden formaljuristischen sinne definierte verhältnisse, die bei realistischer betrachtung als manifestationen organisierter kriminalität begriffen werden müssen. immer dann, wenn ein derartig verfasstes staatssystem vorgibt, kriminalität zu "bekämpfen", handelt es sich in wirklichkeit um stinkbanale bandenfehden, die deutlich das kapitalistische konkurrenzprinzip ausdrücken. und das hat weder mit "recht" im formaljuristischen sinne und erst recht nicht mit gerechtigkeit in einem authentisch-menschlichen sinn irgendetwas zu tun.

ich mache diesen kleinen exkurs deshalb, um ein mißverständnis zu vermeiden: ich gehe nicht davon aus, dass es sich bei den sächsischen verhältnissen um eine art "fremdkörper" innerhalb eines doch ansonsten ganz demokratisch verfassten staates handelt. nein, ich gehe davon aus, dass derlei verhältnisse eher einen blick in die eigentliche innere struktur von kapitalistisch organisierten staatssystemen erlauben, und wir möglicherweise vor unseren augen nur einen sichtbar gewordenen teil der alltäglichen machtkämpfe verschiedener fraktionen der herrschenden "eliten" beobachten können, die sich jeweils selbst und gegenseitig nach bedarf, belieben und machtverhältnissen legitimieren/delegitimieren. die klassische mafia (auch als oberbegriff für die gesamte illegalisierte ok gemeint) bringt in ihrem treiben nur die tatsächliche struktur unserer heutigen ökonomie auf den mörderischen punkt. und es fällt schon seit langer zeit schwer, qualitative unterschiede zwischen den aktivitäten großer transnationaler konzerne einerseits und den als organisierte kriminalität bezeichneten strukturen andererseits zu entdecken (mehr zu diesen gemeinsamkeiten hier). ich vermute, das u.a. genau an diesem punkt auch die affinität beider bereiche zueinander liegt.

und wenn die beiden oben genannten es jeweils schaffen, ganze staatsapparate mitsamt ihrer gewaltmittel unter kontrolle zu bekommen, lässt sich spätestens an diesem punkt nicht mehr wirklich sinnvoll eine unterscheidung treffen zwischen "legaler" und "illegaler" macht. um das zu verdeutlichen, hatte ich in einem früheren artikel u.a. zum thema folter klaus theweleit zitiert:

(...)"Kate Millet betont in ihrem Buch immer wieder, daß die Folter nicht im `Illegalen´ passiert, sondern streng staatlich geregelt ist. Die Folter kommt aus dem Zentrum der offiziellen staatlichen Macht, bezeichnet aber einen Umschlagspunkt dieser Macht, den Umschlag ins Kriminelle:

`Das Vorbild ist nicht die Ethik des Kriegers oder des Offiziers, sondern die Mafia, die Kriminalität. Aber es ist eine hochtechnisierte und hochentwickelte kriminelle Gewalt, die alle Vorteile der Verbindung mit der Regierungsmacht auf ihrer Seite hat: Ihr technisches Kernstück ist das große Kommunikationszentrum im Nationalpalast, wo alle Geheimdienstinformationen koordiniert und die Befehle für die Todesschwadronen ausgegeben werden."(...)


nochmal anders: aufgrund ihrer unsichtbaren basis, die sie in den bis heute dominanten antisozialen gewaltverhältnissen der meisten menschlichen gesellschaften besitzen, sind so ziemlich alle bis heute bekannten staatlichen formationen zwangsläufig anfällig sowohl für die infiltration seitens der ok als auch den offenen umschlag in eine beliebige variante derselben. und ob letzterer zustand dann noch formaljuristisch abgesegnet und durch simulation von "demokratischen verhältnissen" verdeckt wird, ist in einem solchen fall völlig egal.

weiter im kommentar:

(...)"Die dubiose Geschichte in Sachsen hat eine Vorgeschichte: Der sächsische Verfassungsgerichtshof hat vor zwei Jahren Teile des sächsischen Verfassungsschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt - die Teile nämlich, in denen das Gesetz den Geheimdienstlern die Befugnis eingeräumt hatte, Informationen über jegliche Organisierte Kriminalität (OK) zu sammeln.

Das Verfassungsgericht untersagte dies, weil es sich bei der Bekämpfung der OK um klassische Aufgaben von Polizei und Staatsanwaltschaft handele; das höchste Gericht erlaubte die geheimdienstliche Tätigkeit hier nur insoweit, als dies zugleich dem Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung diene.

Der Verfassungsschutz (er verfügt dort immerhin über 211 Planstellen) hätte nach diesem Urteil seine Ermittlungstätigkeiten einstellen müssen - und die Akten, soweit sie Hinweise auf Straftaten enthalten, der Staatsanwaltschaft, und, soweit nicht, dem Staatsarchiv übergeben müssen. Weder dies noch das ist geschehen. Warum nicht? Wer hatte daran welche Interessen?"(...)


bei diesem sachstand drängen sich mehrere fragen auf: ist es nicht vielfältig belegbar, dass sog. geheimdienste jeglicher coleur strukturell immer eine art avantgarde darstellen, wenn es darum geht, die zone des jeweils herrschenden rechtsrahmens zu verlassen? (ohne jetzt den aktuellen rechtsrahmen als maß aller dinge hinstellen zu wollen - das ist er meiner meinung nach absolut nicht). ist es bei solchen "diensten" nicht seit eh und je bekannt, dass sie aufgrund ihrer struktur historisch bereits in vielen situationen selbst zu kriminellen oder gar staatsterroristischen institutionen mutiert sind? was meistens auch mit einer instrumentalisierung seitens verschiedener elitärer gruppen für beliebige machtkämpfe verbunden war/ist? speziell zum aktuellen fall ist aber auch die folgende frage zu stellen: wurde hier nicht die grenze zwischen polizei einerseits und geheimdienst andererseits zum wiederholten male überschritten? und sind solche
schleichenden veränderungen in allen möglichen staatlichen bereichen dieses landes nicht immer öfter zu registrieren?

in diesem zusammenhang finde ich auch eine aussage aus einem interview aus der zeit aufschlußreich:

(...)"Der funktionierende Staat bietet ja genau die Strukturen, die die organisierte Kriminalität für ihre Zwecke nutzen will. Sie ist also gerade nicht bestrebt, die demokratische Grundordnung zu gefährden."(...)

es lohnt sich sehr, darüber nachzudenken, was das eigentlich über die "demokratische grundordnung" im vergleich zur ok aussagt.

ohne weiteren kommentar dann noch dieses hier:

(...)" Am 16. Oktober 2002 findet eine ungewöhnliche Razzia in den Räumen der K26 statt. Fünfzig Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) durchsuchen die Büros ihrer Kollegen, nehmen Akten und Mobiltelefone an sich. Anlass ist das angeblich unlautere Verhalten der K26-Beamten bei der Sicherung einer großen Menge Rauschgift. Die Vorwürfe können nicht bewiesen werden, trotzdem wird K26-Chef Georg Wehling vom Dienst suspendiert. Unterdessen nehmen sich zwei LKA-Beamte den ehemaligen Dealer und K26-Informanten Frank F. vor. Sie versprechen ihm Strafmilderung, »wenn ich gegen Herrn Wehling Aussagen machen würde«, schreibt F. in seiner eidesstattlichen Versicherung, die der ZEIT vorliegt. F. geht nicht auf das Angebot ein, er sitzt noch heute im Gefängnis. Das LKA erklärt dazu, dass gegen beide Beamte Anzeige erstattet wurde, die eingestellt wurde.

Wehlings Rechtsanwalt Rainer Wittner glaubt, dass sein Mandant aus dem Weg geräumt werden sollte. »Das K26 war auf ein Beziehungsgeflecht von Leuten aus dem Milieu, Immobilienmaklern, Polizisten und Juristen gestoßen. Da versuchten wohl einige, Leute aus dem K26 kaltzustellen.« Wehling wusste um prominente Fälle. 1993 wurde das Kinderbordell Jasmin ausgehoben, in dem hochgestellte Personen der Leipziger Gesellschaft verkehrt haben sollen. Als dem Bordellbesitzer MichaelW. der Prozess gemacht wird, wird er zu der erstaunlich milden Strafe von vier Jahren Haft verurteilt. Am 16. Mai 2000 erklärt W. dem K26 in einer Zeugenaussage: »Das Gericht hatte großes Interesse daran, dass in der Verhandlung keine ›dreckige Wäsche‹ gewaschen wird, dass ich keine Angaben zur Kundschaft mache.« Das K26 leitet die Akte an die Staatsanwaltschaft weiter. Angeblich ohne Ergebnis, ein Verfahren wird nicht eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft Leipzig gab bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme dazu ab."(...)

Donnerstag, 14. Juni 2007

notiz: existieren in einem rechts-staat

ähnlich wie bei den bisher eigentümlich zäh sichtbar werdenden informationen über die symbiose von mafia und staatlichen strukturen in sachsen lassen die nun bekanntgewordenen äußerungen eines hohen polizeibeamten jeglichen versuch, den realitäten dieses staates noch mittels eventueller übertreibungen auf die pelle zu rücken, als lächerlich erscheinen - nicht zum ersten male muß ich feststellen, dass sich die herrschenden "eliten" inzwischen immer öfter ganz offen als das sichtbar machen, was sie sind: hochgradig gefährliche antisoziale.

(...)"Besonders in der Kritik steht in der Affäre der Vize-Chef der Polizeidirektion Dessau, Hans-Christoph Glombitza. Dieser hatte laut einem vorliegenden Gedächtnisprotokoll bei einer internen Besprechung versucht, die Verfolgung rechtsextremer Straftaten zu bremsen. Er legte drei Staatsschützern nahe, dass man "nicht alles sehen müsse". Weiter sagte Glombitza, er könne es nicht anweisen, die Einleitung von Ermittlungsverfahren zu "unterlassen", aber man könne Berichte "ja auch langsamer schreiben". Dabei habe der Vize-Polizeichef das Tippen auf einer Tastatur mit nur zwei Fingern angedeutet.(...)

In Sachsen-Anhalt sei niemand glücklich über die ansteigenden Fallzahlen bei der politisch motivierten Kriminalität, sagte Glombitza weiter. "Rechtsextremismus gibt es doch überall." Die drei Staatsschützer versicherten diese Aussagen eidesstattlich. Auch die Kampagne der Landesregierung gegen Rechtsextremismus unter dem Motto "Hingucken!" kommentierte der Vize-Polizeichef: Der Innenminister als politischer Akteur habe ja gar keine andere Wahl, aber "das ist doch nur für die Galerie", man dürfe dies nicht ernst nehmen."


und mit seinen letzten zitierten sätzen hat dieser beamte schlicht und einfach die ganze wahrheit über den staatlich inszenierten "aufstand der anständigen" ausgesprochen - wieder mal nix anderes als eine pr-maßnahme (Sie wissen ja: unser image im ausland...). zu dieser geschichte auch mal wieder einen tv-tipp: heute, 21.45, panorama. ich werde das nicht sehen können, vermute aber, dass den drei inzwischen abgestraften staatschützern eine interessante frage nicht gestellt worden ist: was sie persönlich nämlich inzwischen von diesem staatsgebilde halten.

*

die andere seite der medaille namens verharmlosung von und quasi-kollaboration mit faschisten wird in einem bericht der initiative MegA - menschen gegen atomanlagen waltrop - sichtbar:

(...)"Einen Tag vor unserer Abfahrt zum G8-Gipfel nach Heiligendamm meldete sich ein bisher namenloser Polizist der Kreispolizei Recklinghausen telefonisch bei einem Umweltaktivisten, und drohte, für den Fall das MegA sich an den Protesten gegen den G8 beteilige, mit massiven polizeilichen Maßnahmen dort vor Ort. Angedroht wurden u.a. Aufenthaltsverbote und Festnahmen.

Diese Woche erklärte der Pressesprecher der Kreispolizei RE, Bernhard auf der Springe, gegenüber der Waltroper Zeitung, dass es für den Betroffenen (der zum G8 angerufen wurde) "nicht günstig" sei sich an weiteren politischen Aktivitäten zu beteiligen, da sich dieses negativ auf derzeitige und zukünftige Verfahren auswirken könne. Dazu nannte er den Namen des Betroffenen öffentlich. Wurde auch so in der Waltroper Zeitung vom13.06.07 gedruckt! Das Telefonat diente laut Polizeisprecher natürlich nicht der Drohung oder Abschreckung, sondern war nur ein gut gemeinter Rat der Kreispolizei."(...)


"nicht günstig" ist vielleicht noch die freundlichste formulierung für die entwicklung, die einem solchen rechts-staat zu prophezeien ist.

Sonntag, 10. Juni 2007

notiz: aus aktuellem anlaß...

...der hinweis auf ein weiteres update:
elitäre mafiosi? mafiöse eliten? was tun?

die dort thematisierten geschehnisse haben allergrößte öffentliche aufmerksamkeit nötig.

Samstag, 9. Juni 2007

kontext 35: auf den punkt gebracht

"Ich fühle mich in dieser Gesellschaft in wirtschaftlicher und staatlicher Sicht zunehmend von einem menschlichen Wesen zu einem Objekt denunziert. Das ist falsch, das ist unmenschlich, pervers und schafft Zukunftsängste, zumindest gehts mir so."

ab dem 1. juli 2007 werden wir alle mit einer lebenslangen personenkennziffer markiert - zumindest wird es die herrschende "elite" versuchen. und dieser versuch wird einmal mehr die verschiedenen varianten des in diesen kreisen aller wahrscheinlichkeit nach vorherrschenden wahrnehmungsmodus deutlich machen, der notwendigerweise mit einer in vielen fällen recht offenen paranoiden basis und umfassenden kontrollambitionen einhergeht. bisher fehlt es leider noch an einer herrschafts- und auch selbstkritischen psychiatrie/neurologie, um die in diesem bereich erkennbaren zusammenhänge auf breiter basis zum thema zu machen, zu untersuchen und hinweise auf nötige gesellschaftliche konsequenzen zu geben. objektivistische wahrnehmungsmodi sind eine der tödlichsten gefahren für unsere spezies überhaupt - von john brunner 1975 im "schockwellenreiter" ebenfalls auf den fatalen punkt gebracht:

"Es sind diese entsetzlich tüchtigen Leute, die mit ihren präzise funktionierenden Fischgehirnen Menschen auf Stückgut, auf Menschenmaterial, auf Zahlenkombinationen reduzieren, um sie in den Griff zu bekommen, um sie als numerische Größen in ihren Kalkülen handhaben zu können. Es ist dann nur noch ein winziger Schritt, um Menschen tatsächlich zu verschicken, zu verbrauchen, zu vernichten, zu löschen."

(...)"Wir hatten sogenannte Begleitnummern erhalten. Die Polizisten haben uns mit diesen Nummern angesprochen."(...)

(diese art des umgangs der staatsgewalt mit den ihr ausgelieferten besitzt - nicht nur, aber besonders - in d-land eine gewisse tradition - und das im verlinkten interview beschriebene verhalten seitens verschiedener polizeibeamter ist deshalb umso ekelhafter.)

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